Koreana Spring 2018 (German)

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FRÜHJAHR 2018

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST

SPEZIAL

FOTOGRAFIE

FOTOGRAFIE IN KOREA Die Freiheit der visuellen Sprache genießen Fotografie in Korea: Die Freiheit der visuellen Sprache genießen; Vom neuen Kulturprodukt zum Alltagsgegenstand; Mehr als nur Zeugen der Geschichte; Homo photocus und Digitalfotografie

Eine Fotonarren-Nation

JAHRGANG 13, NR. 1

ISSN 1975-0617


IMPRESSIONEN

Einschulungszeremonie Frühlingsbote im Winter Kim Hwa-young ı Literaturkritiker, Mitglied der National Academy of Arts


E

ine Bühne, dekoriert mit bunten Bannern und Luftballons. Unter Lehrern, Erstklässlern und Eltern herrscht geschäftiges Treiben. Wo ist das Klassenzimmer meines Kindes? Wer ist wohl der Klassenlehrer? Auch den Kindern, die fest an der Seite ihrer Mütter kleben, steht die Nervösität ins Gesicht geschrieben. Einige brechen in Tränen aus. Der März auf der koreanischen Halbinsel ist noch kalt. Doch trotz des beißenden Windes warten die Menschen bereits auf den Frühling. Für Ungeduldige beginnt der Frühling Anfang März mit der Einschulungszeremonie. Die Kinder, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, beginnen jetzt das Gemeinschaftsleben im Namen der allgemeinen Schulpflicht, beginnen, ohne die helfende Hand der Mutter auf eigenen Füßen stehen zu lernen. Von nun an heißt es, jeden Morgen früh aufzustehen, sich alleine aus- und anzuziehen, und sich in der geheimnisvollen Welt der Rechtschreibung und Zahlen zurechtzufinden. Die Geschichte der modernen Grundschulbildung in Korea geht über 100 Jahre zurück. Seit der Gründung der ersten öffentlichen Grundschule, der Gyodong-Grundschule in Seoul im Jahr 1894, hat sich die Einschulungszeremonie stark verändert. Die steifen Veranstaltungen von früher, bei denen „Landeier“ mit laufenden Nasen starr vor Angst dastanden, ein Taschentuch wie einen Orden an die Brust geklemmt, sind Schnee von gestern. Heute bieten sich Szenen der ersten Begegnung, die angenehm und freundlich wirken. In einer Schule werden den Erstklässlern Kronen aufgesetzt, in einer anderen lassen sie Papierflieger, auf die sie ihre Zukunftsträume geschrieben haben, hoch in den Himmel steigen. Die Lehrer schenken ihnen Päckchen mit allerlei Schulbedarf und die Sechstklässler, die ältesten Schüler in der koreanischen Grundschule, umarmen sie und reichen ihnen Rosen. Das beliebte K-Pop-Lied Ich bin ein Schmetterling, das alle dazu auffordert, ihre Flügel zu entfalten und ihre Träume zu verfolgen, spielt im Hintergrund. Doch wo es Licht gibt, gibt es auch Schatten. Industrialisierung und rasante wirtschaftliche Entwicklung bewirkten eine massive Konzentration der koreanischen Bevölkerung in den Städten, während die Zahl der ländlichen Haushalte schrumpfte. Aufgrund des stagnierenden Bevölkerungswachstums ist zudem die Zahl der Kinder im Schulalter stark zurückgegangen. Entsprechend mussten viele Grundschulen schließen oder wurden mit anderen Schulen zusammengelegt. 2017 betrug die Zahl der Grundschüler 2.674.227. Damit verringerte sie sich im Vergleich zu 3.829.998 im Jahr 2007 um 30,2% und im Vergleich zu 5.658.002 Schülern im Jahr 1980 sogar um 52,7%. Noch besorgniserregender ist allerdings, dass diese unschuldigen Kinder, die mit Kronen auf dem Kopf Papierflieger steigen lassen, noch nicht wissen, dass sie auf das Förderband der endlosen Konkurrenz gestiegen sind, die Koreas „Bildungshölle“ ausmacht.


Von der Redaktion

Endlich sprechen sie! Es gab einmal eine Zeit, als etwas so Banales wie eine Kurzhaarfrisur einer mutigen Demonstration des Willens, als unabhängige Person leben zu wollen, gleichkam. Der Beitrag „Wie weit sind wir gekommen?“ in dieser Ausgabe beschäftigt sich damit, wie eine derzeit in Seoul stattfindende Ausstellung die Ideale, Restriktionen und Frustrationen von Koreas „Neuen Frauen“ des 20. Jhs beleuchtet. Sie waren Wegbereiterinnen, die die tief verwurzelte patriarchalische Geisteshaltung und die darauf basierenden gesellschaftlichen Einrichtungen und Konventionen herausforderten. Einige Jahrzehnte später wurden zahlreiche koreanische Frauen vom japanischen Militär in die Sexsklaverei gezwungen. Die genaue Zahl dieser jungen Frauen und Mädchen bleibt umstritten. Die grausamen Umstände und die unmenschliche Behandlung sind durch die Aussagen der Überlebenden wohl dokumentiert. Aber erst 1991, 46 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der japanischen Besatzung Koreas, ging die erste Trostfrau mit ihrer schmerzhaften Geschichte an die Öffentlichkeit. „I Can Speak. Nach 60 Jahren: Endlich kann sie sprechen“, ein weiterer Beitrag dieser Ausgabe, bringt eine Kritik des Films I Can Speak, der auf dem Schicksal eines Opfers der Sexsklaverei des japanischen Militärs beruht. Der Film verdient für seine immer noch aktuelle Botschaft Beachtung. Es ist weiter keine Überraschung, dass die #MeToo-Bewegung auch in Korea die Mauern des langen, erzwungenen Schweigens zum Bröckeln bringt. Es begann mit einer Staatsanwältin, die ihren ehemaligen Vorgesetzten der sexuellen Belästigung bezichtigte. Diesem Fall, folgten weitere Enthüllungen einer Dichterin sowie von Schauspielerinnen, Studentinnen, Sekretärinnen und vielen anderen Frauen. Männer von Macht und Ansehen sahen ihren Ruf unwiderruflich ruiniert, darunter ein Dichter, ein Theaterregisseur, ein Schauspieler und Professor, ein Fotograf und ein Politiker, der als Präsidentschaftskandidat gehandelt wurde. Doch auch die Anklägerinnen haben einen steinigen Weg vor sich. Aber dank ihres Mutes kann unsere Gesellschaft menschlicher und gerechter werden. Ahn In-kyoung Chefredakteurin der deutschen Ausgabe

VERLEGER Lee Sihyung REDAKTIONSDIREKTOR Park Sang-bae CHEFREDAKTEURIN Ahn In-kyoung REDAKTIONSBEIRAT Han Kyung-koo Benjamin Joinau Jung Duk-hyun Kim Hwa-young Kim Young-na Koh Mi-seok Charles La Shure Song Hye-jin Song Young-man Yoon Se-young COPY EDITOR Anneliese Stern-Ko KREATIVDIREKTOR Kim Sam LEKTORAT Ji Geun-hwa, Park Do-geun, Noh Yoon-young KUNSTDIREKTOR Kim Do-yoon DESIGNER Kim Eun-hye, Kim Nam-hyung, Yeob Lan-kyeong LAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associates 44 Yanghwa-ro 7-gil, Mapo-gu Seoul 04035, Korea www.gegd.co.kr Tel: 82-2-335-4741 Fax: 82-2-335-4743 ÜBERSETZER

Ahn In-kyoung Anneliese Stern-Ko Do Young-in Lie Yukyung Park Ji-hyoung

Preis pro Heft in Korea 6.000 Won Außerhalb Koreas US$9 Detailinformationen zu den Subskriptionspreisen finden Sie auf Seite 80. THE KOREA FOUNDATION BERLINER BÜRO c/o Botschaft der Republik Korea Stülerstraße 8-10, 10787 Berlin, Germany Tel: +49-(0)30-260-65-458 / Fax: +49-(0)30-260-65-52 E-mail: koreana@kf.or.kr The Korea Foundation West Tower 19F Mirae Asset CENTER1 Bldg. 26 Euljiro 5-gil, Jung-gu, Seoul 04539, Korea

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST FRÜHJAHR 2018

Viertejährlich publiziert von THE KOREA FOUNDATION 2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu Seoul 06750, Korea http://www.koreana.or.kr

My Age of Seven: Azaleen-Reis und Chrysanthemen-Suppe Won Seoung-won 2010. C-print, 140 × 140 cm.

GEDRUCKT FRÜHJAHR 2018 Samsung Moonwha Printing Co. 10 Achasan-ro 11-gil, Seongdong-gu, Seoul 04796, Korea Tel: 82-2-468-0361/5 © The Korea Foundation 2018 Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf ohne vorherige Genehmigung der Korea Foundation in irgendeiner Form reproduziert werden. Die Meinungen der Autoren decken sich nicht notwendigerweise mit denen der Redaktionsmitglieder oder der Korea Foundation. Koreana ist als Vierteljahresmagazin beim Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus registriert (Reg. Nr. No. Ba-1033, August 8, 1987) und erscheint neben Deutsch auch auf Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Indonesisch, Japanisch Russisch und Spanisch.


SPEZIAL

Fotografie in Korea: Die Freiheit der visuellen Sprache genießen

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SPEZIAL

Fotografie in Korea: Die Freiheit der visuellen Sprache genießen

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SPEZIAL 2

Mehr als nur Zeugen der Geschichte Lee Kyu-sang

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SPEZIAL 1

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SPEZIAL 3

Vom neuen Kulturprodukt zum Alltagsgegenstand

Homo photocus und Digitalfotografie

Yoon Se-young

Choi Hyun-ju

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58 NEUERSCHEINUNG

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Pine Trees in Korea: Aesthetics and Symbolism

Lücken und leere Räume: Vollendung durch Unvollendetes

FOKUS

Dokumente zu Joseons diplomatischen Missionen nach Japan sind UNESCOWeltdokumentenerbe Suh Kyung-ho

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HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES

Einhundert Jahre, eingeschmolzen in Anseongs berühmte Gusseisenkessel

Durch das Objektiv eines Fotografen: Kiefernbäume sprechen Bände

Korean Contemporary Short Stories – Selected from KOREANA Magazine

Schätze aus der reichen Truhe der koreanischen Literatur

Nostalgia

U Seung-yeon

Gayageum Orchester präsentiert evokative Fusion-Musik

48 KUNSTKRITIK

Charles La Shure

Wie weit sind wir gekommen? Chung Jae-suk

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VERLIEBT IN KOREA

Kulturschock durch Gewöhnlichkeit Choi Sung-jin

60 UNTERHALTUNG I Can Speak Nach 60 Jahren: Endlich kann sie sprechen Song Hyeong-guk

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RUND UM ZUTATEN

Kartoffelgeschichten Jeong Jae-hoon

REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR

Choi Jae-bong

Ecke Yoon Sung-hee


SPEZIAL

Apfelbaum Kim Gwang-su, 2016. Pigmentdruck, 112 x 175cm.


Fotografie in Korea

Die Freiheit der visuellen Sprache genieĂ&#x;en Š Kim Gwang-su


Kang Woon-gu Der Künstler über seine Arbeit Ich habe großes Interesse an diesem Land. Hier bin ich geboren, hier habe ich bislang gelebt und hier werde ich auch weiterhin leben, ich bin ihm schicksalhaft verbunden. Meine Liebe zu diesem Land und meine Erforschung dieses Landes erstrecken sich natürlicherweise auf seine Menschen und ihre Schicksale. Ich habe meinen Blick nie auf das Besondere, sondern immer auf das Allgemeine gerichtet und versucht, darin eine spezifische Schönheit und Bedeutung zu finden. Die Landschaft Koreas, die für die Einheimischen nichts Besonderes sein mag, kann auf den Fremden exotisch wirken, so wie die Landschaften fremder Länder für mich exotisch sind. Mit dem Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft beschleunigte sich quasi die Zeit, sodass für mich einst gewöhnliche Landschaften mittlerweile fremd wirken können. Daher betrachte ich meinen „Dienst“ als Fotograf dieses Landes beendet. Damit macht das Fotografieren mir jetzt mehr Spaß.

Leben und Schaffen • Geboren 1941 in Mungyeong, Provinz Gyeongsangbuk-do • B.A. in Englischer Literatur, Kyungpook National University • Arbeit als Fotoreporter bei den Tageszeitungen Chosun Ilbo und Dong-A Ilbo

© Gwak Myeong-u

• Soloausstellungen: Village: A Triology (Kumho Museum of Art, Seoul, 2015); Vintage Landscapes: Royal Graves, Memorabilia of the Three Kingdoms, and Mt. Nam in Gyeongju (GoEun Museum of Photography, Busan, 2011); Mt. Nam in Gyeongju: Black and White (Ryugaheon, Seoul, 2016); Four Edges Shadow (Museum of Photography, Seoul, 2017) • Gruppenausstellungen: Photography Today (Artsonjae Museum, Gyeongju, 1995); Our Cultural Heritage: From Today’s Perspektive (Sungkok Art Museum, Seoul, 1997); Early Dawn (HowArt Gallery, Seoul, 2001) • Kang hat Bücher und Monografien veröffentlicht, darunter Essays on Photography (Youlhwadang, 2010); Vintage Landscapes: Royal Graves, Memorabilia of the Three Kingdoms, and Mt. Nam in Gyeongju (Youlhwadang, 2011); Mt. Nam in Gyeongju: Black and White Edition (Youlhwadang, 2016).

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Gwangyang Kang Woon-gu, 1983. © Kang Woon-gu

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Berg Nam-san in Gyeongju: Bergrücken des Yongjang-Tals und dreistöckige Steinpagode Kang Woon-gu, 1987. © Kang Woon-gu

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Won Seoung-won Die Künstlerin über ihre Arbeit Kurz gefasst könnte man meine Arbeiten als „Foto-Installationen“ bezeichnen. Ich ediere die unzähligen Fotos, die ich auf meinen Reisen durch die ganze Welt gemacht habe, per Computer und kreiere aus den an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten gemachten Aufnahmen ein neues Bildwerk. Der Prozess verlangt viel Präzision und Fingerspitzengefühl, und am Ende entsteht eine Fotomontage aus diskontinuierlichen Räumen und Objekten, der eine Aura des Illusionären anhaftet. Meine Werke mit ihrer Mischung aus Realität und Fantasie wirken trotz der digitalen Verarbeitung analog und präsentieren verschiedene Geschichten. Mit meinen Collagen versuche ich, ernsthafte Themen wie Mensch und Gesellschaft mit einer Prise Humor anzugehen.

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My Age of Seven: Das Meer im Heimatort meiner Mutter Won Seoung-won, 2010. C-print, 125 × 195 cm.

2 1. My Age of Seven: Seemöwen und blühende Pflaumenbäume Won Seoung-won, 2010. C-print, 125 × 195 cm. 2. Das Wassergras-Netzwerk von IT-Spezialisten Won Seoung-won, 2017. C-print, 178 x 297 cm. © Won Seoung-won & ARARIO GALLERY

Leben und Schaffen • Geboren 1972 in Goyang, Provinz Gyeonggi-do • B.F.A. in Bildhauerei, College of Arts der Chung-ang University, Seoul • Abschluss der Kunstakademie Düsseldorf und der Kunsthochschule für Medien Köln • Solo-Ausstellungen: 1978, My Age of Seven (Gana Contemporary, Seoul, 2010); Character Episode I (Artside Gallery, Seoul, 2013); Sceptical Orgy (Podbielsky Contemporary, Berlin, 2014); The Sight of the Others (Arario Gallery, Seoul, 2017) • Ihre Werke befinden sich u.a. im Besitz des National Museum of Modern and Contemporary Art in Seoul, des Seoul Museum of Art, des Mori Art Museum in Tokio, des Osthaus Museum in Hagen und des Santa Barbara Museum of Art in Kalifornien.

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Gwon O-sang Der Künstler über seine Arbeit Meine Arbeiten unterscheiden sich etwas von der traditionellen Fotografie. Zum Beispiel fotografiere ich zunächst das Model aus verschiedenen Blickwinkeln Teil für Teil vom Kopf bis zum Fuß. Dann forme ich aus extrudiertem Polystyrol-Schaumstoff eine lebensgroße Figur des Models, auf der ich ein Foto nach dem anderen anbringe. Als ich 1998 Deodorant Type, mein erstes, auf diese Weise gefertigtes Werk, dem Publikum vorstellte, bezeichneten sie es als „Foto-Skulptur“. Ich hatte mich schon immer gefragt: Muss eine Skulptur unbedingt schwer sein, aus Stein gemeißelt oder in Bronze gegossen? Ich wollte weg von den traditionellen Techniken und leichte Skulpturen schaffen, weshalb ich beschloss, Fotografie mit Bildhaue rei zu kombinieren. Seitdem ist für mich als Künstler die fundamentale Frage: Was ist Bildhauerei? Wie kann ich sie in einer progressiveren Form präsentieren?

Leben und Schaffen • Geboren 1974 in Seoul • B.F.A. und M.F.A. in Bildhauerei, Hongik University • Gruppenausstellungen: Peppermint Candy: Contemporary Art from Korea (Santiago Museum of Contemporary Art, Chile, 2007; National Museum of Fine Arts, Argentinien, 2008; National Museum of Modern and Contemporary Art, Korea, 2009), Tech 4 Change (Vestfossen Kunstlaboratorium, Norwegen, 2015) • Solo-Ausstellungen: New Structure and Relief (Arario Gallery Seoul, 2016); The Sculpture (Arario Gallery Shanghai, China, 2016) • Gwons Werke befinden sich im Besitz des Leeum Samsung Museum of Art in Seoul, des Singapure Art Museum, des Asano Curatorial Institute in Japan sowie der Zabludowicz Collection und der Universal Music Group in London.

Blouson & Albino Gwon O-sang, 2016. C-print, mixed media, 195 × 47 × 125 cm. 12 KOREANA Frühjahr 2018


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1. Fender by Gwon O-sang, 2012. C-print, mixed media, 207 × 194 × 110 cm. 2. Neue Struktur und Erleichterung by Gwon O-sang (Installation in der ARARIO GALLERY, Seoul), 2016.

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© Gwon O-sang & ARARIO GALLERY

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SPEZIAL 1 Fotografie in Korea: Die Freiheit der visuellen Sprache genießen

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Vom neuen Kulturprodukt zum Alltagsgegenstand 14 KOREANA Frühjahr 2018


Als die Fotografie im späten 19. Jh. nach Korea kam, erregte sie noch Staunen und Schrecken, aber im Laufe der Zeit fand sie einen festen Platz im Alltagsleben der Koreaner. Die Popularisierung der Fotografie, die mit dem Wirtschaftsaufschwung kam, ließ die einschlägigen Industrie- und Kulturbereiche aufblühen, und Fotoapparate wurden zum Alltagsgegenstand für jedermann, sodass die jüngeren Generationen heutzutage eher mit Fotografieren statt Schreiben vertraut sind. Yoon Se-young ı Chefredakteurin, Monthly Photo Art

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1. Junge Damen beim Wippen Florian Demange, 1910er Jahre. Trockene Glasplatte, 17,5 x 12,5cm. © Jeong Seong-gil

2. Die erste Abendmahlzeit Norbert Weber, OSB, 1911. Trockene Glasplatte. © Benedict Press Waegwan 2012

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3. Soldaten des großkoreanischen Daehan-Kaiserreiches beim Trainieren vor dem Tor Geonchun-mun des Palastes Gyeongbok-gung Fotograf unbekannt, undatiert. Silbergelatineabzug, 9,8 x 13,8cm. © Independence Hall of Korea

4. Tanzende Schülerinnen in der Nabawi Cathedral Florian Demange, 1900er Jahre. Trockene Glasplatte, 10 x 15cm. © Jeong Seong-gil

5. Gyemyeong Schule Norbert Weber, OSB, 1911. Trockene Glasplatte. © Benedict Press Waegwan 2012

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ährend Erinnerungen mit der Zeit verblassen, bleiben Fotos unverändert und entführen uns in vergangene Zeiten. Deshalb heißt es oft „Das Einzige, was bleibt, sind Fotos!“ Die Fotografie befriedigt das Bedürfnis des Menschen, etwas zu hinterlassen, sich einen Namen zu machen und erinnert zu werden. Doch noch vor rund 100 Jahren, als die Fotografie erstmals in Korea vorgestellt wurde, waren die Koreaner alles andere als begeistert. Als Ende des 19. Jhs die Fototechnik im damaligen Joseon-Reich (1392-1910) eingeführt wurde, besaßen nur wenige Leute wie ausländische Missionare eine Kamera. Für die meisten Koreaner war die Linse eines mysteriösen schwarzen Kastens, die eine westliche Langnase plötzlich auf sie richtete, ein Objekt des Schreckens: Dass damit das eigene Abbild exakt eingefangen und reproduziert werden konnte, war beängstigend und unheilverheißend. Es verbreitete sich daher das Gerücht, dass beim Ablichten „die Seele des Fotografierten aus dem Körper entweichen“ würde, weshalb sich viele davor scheuten, fotografiert zu werden. Doch für die wohlhabende Oberschicht waren Fotos das Produkt einer fortschrittlichen Zivilisation, in deren Genuss sie der Zeit voraus kamen, weshalb Porträtfotos als Wohlstandssymbol galten. Als Cheon yeondang, das erste kommerzielle Fotostudio Koreas, 1907 im heutigen Stadtviertel Sogong-dong im Herzen Seouls eröffnet wurde, standen einflussreiche Personen des Königshofs, Wohlhabende und Westler dort Schlange, so eine Aufzeichnung. Doch bis Fotos im Leben des allgemeinen Volkes eine Selbstverständlichkeit wurden, dauerte es noch über ein halbes Jahrhundert. Der erste Boom Zur Zeit der japanischen Kolonialherrschaft (19101945) waren Fotoapparate Luxusprodukte, für die der kleine Mann sich in Seoul ein Haus kaufen konnte. Sie galten entsprechend als exklusive Besitztümer reicher Dilettanten. Erst nach Ende des Koreakriegs 1953 kamen die ersten kommerziellen Fotostudios auf und Kameras verbreiteten sich unter professionellen Fotografen wie Fotojournalisten und reichen Amateuren, die gern auf den Auslöser drückten. Etwa zu dieser Zeit löste ein epochales Event einen

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Fotografie-Boom aus. 1957 wurde im damaligen Kunstmuseum des Palastes Gyeongbok-gung die große, internationale Wanderausstellung The Family of Man abgehalten, die nahezu 300.000 Besucher anlockte und für Furore sorgte. Kuratiert von dem amerikanischen Fotografen Edward Steichen, der zu der Zeit Direktor der Fotografie-Abteilung des New Yorker Museum of Modern Art war, zeigte die Ausstellung ca. 500 Lichtbilder berühmter Fotografen aus aller Welt zum Thema „Humanismus“. Die Ausstellung machte den koreanischen Besuchern, die bis dahin wenig mit Fotografie anfangen konnten, Rolle und Wert der Fotografie als neue Kunstform bewusst. Vom sensationellen Erfolg der Ausstellung inspiriert, veranstaltete die Tageszeitung The Dong-a Ilbo 1963 einen Amateur-Fotowettbewerb und im Jahr darauf wurde bei der Nationalen Kunstausstellung Koreas eine eigene Fotografie-Sektion eingerichtet, sodass sich die allgemeine Wahrnehmung veränderte und die Fotografie langsam Einzug ins Leben des Durchschnittsbürgers hielt. Zudem wurde noch im selben Jahr der erste Fotografie-Studiengang am Seorabeol Art College eingerichtet. Die Heranziehung professioneller Fotografen, die sich von den Hobby-Fotografen unterschieden, stieß qualitative und quantitative Entwicklungen an. Unter dem allgemeinen Trend des Realismus, der in den 1960er und 70er Jahren vorherrschte, entstanden beeindruckende Aufnahmen von einfachen Bürgern. Dazu zählen die Human-Fotoserie von Choi Minshik, der sein Leben lang das Dasein des einfachen Mannes mit der Linse einfing; Mr. Holt’s Orphanage von Joo Myung-duck, der elternlose, gemischte Kinder aus Verbindungen von in Korea stationierten amerikanischen Soldaten mit Koreanerinnen porträtierte; Alley Scenery von Kim Ki-chan, der 30 Jahre lang den Alltag in Seouls Gassen festhielt; A Hometown in Heart von Kim Nyung-man, der ab 1971 die staatliche Saemaeul-Bewegung zur Modernisierung der ländlichen Gebiete und das Leben der Menschen dort dokumentierte; und Yunmi’s Album von Jeon Mong-gag, der das Leben seiner Tochter von der Geburt bis zur Heirat mit der Kamera begleitete. Durch solch unermüdliches Schaffen einheimischer Fotografen konnten die Koreaner, die zunächst nur aus der Perspektive der Westler aufgenommen worden waren, erstmals aus der Sicht der koreanischen


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1. Am Tag der Befreiung aus dem Gefängnis entlassene Patrioten Fotograf unbekannt, 1945. 20,3 x 25,4cm. © Independence Hall of Korea

2. Busan Choi Min-shik, 1965. © Choi Yu-do. Photo source: Noonbit Publishing Co.

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3. Ein nach Vietnam entsandter Soldat spricht mit seiner Mutter, Yeouido Flugfeld Shisei Kuwabara, 1965. © Shisei Kuwabara. Photo source: Noonbit Publishing Co.

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Auch gerade in diesem Moment fotografieren unzählige Menschen in ganz Korea alles Mögliche. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass das Bewusstsein des koreanischen Volkes, das ein Jahrhundert lang durch Kolonialisierung, Krieg, Teilung und Militärdiktatur unterdrückt wurde, endlich befreit ist und die Koreaner nun ihr Leben in wahrer Freiheit genießen.

Fotografen porträtiert werden. Etwa um diese Zeit verbreitete sich der Trend, gerahmte Familienfotos an einer gut sichtbaren Stelle des Hauptraumes des Hauses, der Maru-Holzdiele, aufzuhängen. Es waren meist Aufnahmen von feierlichen Anlässen wie Hochzeiten, dem 60. Geburtstag der Eltern, dem ersten Geburtstag der Kinder oder deren Schul- und Uniabschlussfeiern. Kam Besuch, wurden Getränke und Snacks gereicht und dabei stolz das Familienfotoalbum zum Durchblättern präsentiert. Aber bis Ende der 1970er Jahre stellte man sich meist nur bei besonderen Gelegenheiten vor die Kamera. Neue Alltagstrends Erst in den 1980er Jahren kam die Massenverbreitung der Fotografie richtig in Gang. Viele Universitäten begannen, Fotografie-Studiengänge einzurichten und schon bald schlossen pro Jahr über 1.000 Absolventen an ca. 20 Universitäten ab. Ab Mitte der 1980er Jahre kehrte die erste Generation derer, die im Ausland studiert hatten, nach Korea zurück. Das war auch Resultat der enormen Wirtschaftsentwicklung Koreas, die mit einem explosiven Wachstum des Werbemarktes und einer entsprechend starken Nachfrage nach Werbefotos einherging. Im Seouler Viertel Chungmu-ro schossen Fotostudios wie Pilze aus dem Boden, was die Nachfrage nach Profi-Fotografen beflügelte, eine Vervielfachung der Zahl der Fotografie-Abteilungen an den Hochschulen mit sich brachte und das Interesse der allgemeinen Öffentlichkeit weiter anfachte. Das Wirtschaftswachstum trieb nicht nur die Nachfrage nach Werbefotos im Industriesektor an, sondern auch die Nachfrage von Privatpersonen, die sich

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jetzt mehr leisten konnten. Ein repräsentatives Beispiel dafür sind die Hochzeitsfotos. Durch diverse Marketingstrategien erzeugten die auf Hochzeitsfotos spezialisierten Studios völlig neue Bedürfnisse. Hatten sich die konventionellen Hochzeitsfotos bis dahin auf Aufnahmen während der Hochzeitsfeier beschränkt, so wurden Fotoaufnahmen im Vorfeld der Hochzeit in einem Fotostudio oder im Freien zur Selbstverständlichkeit. Das entschädigt gewissermaßen für die typisch kurzen koreanischen Hochzeitszeremonien in kommerziellen Hochzeitshallen, die meist schon innerhalb einer Stunde vorbei sind. Durch die Fotoshoots wird einerseits die Vermählung, einer der wichtigsten Anlässe im Leben, dokumentiert, andererseits bereitet es wohl auch eine gewisse Zufriedenheit, sich fein herauszuputzen und im edlen Smoking und strahlend weißem Brautkleid nach den Anweisungen des Fotografen romantisch wie Prinz und Prinzessin zu posieren. Interessanterweise führte der Hochzeitsfoto-Boom zu einem Boom der auf Babyfotos spezialisierten Studios. Nach der Geburt eines Kindes hat das Paar noch einmal die Gelegenheit, seine romantischen Fantasien bei einem besonderen Fotoshooting auszuleben. Noch vor 30, 40 Jahren wurde der neue Erdenbüger am 100. Tag nach seiner Geburt oder zu seinem ersten Geburtstag für ein Erinnerungsfoto in die traditionelle Hanbok-Tracht gekleidet und in einem Fotostudio in der Nachbarschaft fotografiert. Doch heute ist es gang und gäbe, dass man ein auf Babyfotos spezialisiertes Studio aufsucht, um wie bei einem professionellen Model-Fotoshooting eine ganze Reihe von Aufnahmen machen zu lassen. Einige Eltern warten heutzutage nicht einmal mehr bis zum 100. Tag. Dank erfolgreicher Marketing-


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1. Süden und Norden Hand in Hand, Panmunjeom Kim Nyung-man, 1992. © Kim Nyung-man

2. Ritus der Insel Jeju-do, Ost-Gimnyeong-ri Kim Soo-nam, 1981. © KIMSOONAM PHOTO

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3. Vergessene Szenen 135, Jamsil, Songpa-Stadtviertel Kim Ki-chan, 1983. © Choe Gyeong-ja. Photo source: Noonbit Publishing Co.

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KBS 이산가족찾기운동

“누가 이 사람을 모르시나요”

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1. Wiedersehen der getrennt lebenden Familien Hong Sun-tae, 1983. © Hong Seong-hui

2. Ohne Titel aus Yun-mis Zuhause, Kang Woon-gu, 1989. © Kang Woon-gu

3. Ohne Titel aus Yun-mis Zuhause, Jeon Mong-gag, 1964. © Lee Mun-gang

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Als nach Jahrzehnten der Militärdiktatur 1992 in freien und demokratischen Wahlen zum ersten Mal ein ziviler Präsident vom Volk gewählt wurde, brach ein politischer Frühling an, dem quasi ein Frühling der Fotografie folgte, der die Einstellung, dass „Fotografiertwerden nichts Gutes an sich habe“, bröckeln ließ.

strategien ist es Mode geworden, Babys bereits an ihrem 50. Lebenstag professionell ablichten zu lassen. Es ist nur natürlich, dass Kinder, die bereits von den pränatalen Ultraschalluntersuchungen an ständig dem Kameraauge ausgesetzt werden, auf natürliche Weise in die Bilderflut des Internetzeitalters integriert werden. Dunkle Zeiten Die in den Zeiten des Aufkommens der Fotografie herrschende Kamerascheu der Koreaner beruhte meist auf Unwissenheit. Abgesehen von besonderen Gelegenheiten hielt diese Aversion in weiten Teilen der Gesellschaft während des gesamten 20. Jhs an. Dies ist eng verbunden mit der modernen Geschichte Koreas. Im Zuge des Koreakrieges, dem anschließenden politischen Chaos und der Demokratisierungsbewegung gegen die Diktatur entwickelte sich eine Art „Verfolgtwerden-Mentalität“, was sich oft in Form von Misstrauen gegenüber der Kamera äußerte. Die antikommunistische Ideologie, ein Resultat der Teilung der koreanischen Halbinsel, beherrschte den Alltag der Koreaner über ein halbes Jahrhundert lang, was heute bis zu einem gewissen Grade immer noch der Fall ist. Die Militärdiktatur nutzte den Antikommunismus als Rechtfertigung für fortgesetzte Überwachung, Unterdrückung und Festnahme von Demokratie-Befürwortern. Als Ergebnis herrschte in der Gesellschaft eine Stimmung der Furcht, Unsicherheit und Repression. In einem Umfeld, in dem eine offene Meinungsäußerung zum falschen Zeitpunkt schicksalhaft sein konnte, galt es als sicherer, sich so unsichtbar wie möglich zu machen und Anonymität zu wahren. Aus diesen Gründen wandten viele auf öffentlichen Plätzen den Kopf ab, wenn

sie merkten, dass jemand fotografierte. Die Beweise sammelnde Funktion der Fotografie machte die Menschen kopfscheu, sobald sie in den Sucher der Kamera eines Fremden gerieten. Als nach Jahrzehnten der Militärdiktatur 1992 in freien und demokratischen Wahlen zum ersten Mal ein ziviler Präsident vom Volk gewählt wurde, brach ein politischer Frühling an, dem quasi ein Frühling der Fotografie folgte, der die Einstellung, dass „Fotografiertwerden nichts Gutes an sich habe“, bröckeln ließ. Ein Demokratiekämpfer verwendete sogar ein Foto, das ihn zur Zeit der Militärdiktatur in Häftlingskleidung zeigt, als PR-Foto beim Wahlkampf. Seine Wahl zum Parlamentsabgeordneten sorgte entsprechend für Furore. Natürlich ist mit der anhaltenden Teilung Koreas die Vorsicht in Bezug aufs Fotografieren immer noch nicht ganz verschwunden, sodass Fotografen auch heute noch auf das Warnschild „Fotografieren verboten“ stoßen. Eine Fotoenthusiasten-Nation Trotz allem ist das Zeitalter, in dem jeder Fotograf ist, angebrochen. Die Kamera, einst ein Luxusgut, hat als Alltagsgegenstand Einzug in jeden Haushalt gehalten und durch die Verbreitung des Smartphones, dessen integrierte Kameras Spiegelreflexkamera-Qualität aufweisen, ist nun fast jeder im Besitz eines eigenen Fotoapparates. Fotografie als visuelle Sprache hat sich zu einem Kommunikationsmittel entwickelt, das in vielen Fällen geschriebene und gesprochene Sprache ersetzt. Und im Zuge der Entwicklung hochmoderner Internettechnologien ist eine Generation herangewachsen, die mehr mit Bildern als Schrift vertraut ist. Diese Strömung der Zeit belegt eine interessante

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Umfrage, über die vor rund zehn Jahren in einem Zeitungsartikel berichtet wurde. Danach galten Fotografie-Studenten als Wunschheiratskandidaten Nr. 1. Als Gründe wurden angegeben, dass viele Fotografie-Studenten Söhne aus wohlhabenden Familien seien, dass Berufsfotografen viel reisten und vergleichweise flexible Arbeitszeiten hätten. Ungefähr zu der Zeit erzählte mir ein Fotografie-Professor eine amüsante Geschichte: Als er 1979 zum Fotografie-Studium in die USA gehen wollte, wurde er gefragt: „Für ein Foto braucht man doch nur auf den Knopf zu drücken. Weshalb willst du dafür bis nach Amerika gehen, um zu studieren?“ Doch heute staunen dieselben Leute: „Wie konntest nur so weitsichtig sein?“ Die Fotografie wächst geradezu explosionsartig. Die Zahl der Amateur-Fotografen soll bei mehreren Millionen liegen und es gibt landesweit Hunderte von Fotowettbewerben, die die Begeisterung schüren. Preisgewinner dieser Wettbewerbe erhalten Punkte, die ab einer bestimmten Höhe für den Beitritt zur Photo Artists Society of Korea qualifizieren, die mittlerweile an die 10.000 ständige Mitglieder hat. Neben Wandern und Golfen ist Fotografieren zu einem der beliebtesten Hobbys für Ruheständler geworden. Auch gerade in diesem Moment fotografieren unzählige Menschen in ganz Korea alles Mögliche. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass das Bewusstsein des koreanischen Volkes, das ein Jahrhundert lang durch Kolonialisierung, Krieg, Teilung und Militärdiktatur unterdrückt wurde, endlich befreit ist und die Koreaner nun ihr Leben in wahrer Freiheit genießen. Die Zeiten, in denen die Koreaner vor dem Kameraauge in sich zusammenschrumpften, sind vorbei. Heute posieren sie selbstbewusst vor der Linse und genießen die fotografische Freiheit. Das macht bewusst, dass die Koreaner nach der Freiheit von Sprache und Schrift nun auch die Freiheit der visuellen Sprache genießen gelernt haben.

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1. Ein Paar beim Hochzeitsfoto-Shooting. Anders als in den 1990ern, als der Hochzeitsfoto-Boom einsetzte und die meisten Paare vor der Hochzeit Außenaufnahmen machen ließen, werden heutzutage Atelier-Shootings nach Art von professionellen Fashion-Aufnahmen bevorzugt. © Vienna Studio

2. Ein kleines Mädchen, das für ein Fotoshooting im Atelier wie ein Model herausgeputzt wurde. Während die Eltern in der Vergangenheit den 100. Tag des Neugeborenen oder den 1. Geburtstag zum Anlass nahmen, den in die traditionelle Hanbok-Tracht gekleideten Sprössling im nächsten Fotostudio professionell ablichten zu lassen, feiern die jungen Eltern von heute oft auch den 50. und 200. Tag des neuen Erdenbürgers durch Fotoaufnahmen in einem auf Babyfotos spezialisierten Studio. © Sarangbi Studio

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Die Schöne und das Biest von Koo Bohn-chang Aus: VOGUE Korea, Dezember 2002. © Koo Bohn-chang


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1. DMZ Park Jong-woo, 2017. © Park Jong-woo

2. Rotes Haus I#007, 2005, Pjöngjang Noh Sun-tag, 2005. © Noh Sun-tag

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3. Der Seoul Plaza vor dem Rathaus ist vollgepackt mit Rote-Teufel-Cheerleadern, die bei der Fußball-WM Korea/Japan die koreanische Nationalmannschaft am 22. Juni 2002 beim Viertelfinalspiel gegen Spanien anfeuerten. © Chosun Ilbo

4. Tausende von BürgerInnen protestieren am 19. Nov. 2016 mit Kerzen in der Hand auf dem Gwanghwamun Plaza in der Seouler Innenstadt gegen Präsidentin Park Geun-hyes Missregierung. © Yonhap News Agency

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SPEZIAL 2 Fotografie in Korea: Die Freiheit der visuellen Sprache genießen

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Mehr als nur Zeugen der Geschichte Die Essenz der Fotografie liegt darin, das Hier und Jetzt festzuhalten. Entsprechend wurden koreanische Dokumentarfotografen zu Zeugen der turbulenten Geschichte Koreas. Man kann sagen, dass die moderne koreanische Fotografie mit der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft 1945 geboren wurde. Mit der Zeit gewannen Fotos die Kraft, den Lauf der Geschichte zu verändern. Lee Kyu-sang ı Leiter, Noonbit Publishing Co.

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ie Geschichte der modernen koreanischen Fotografie begann genau am 15. August 1945, als Korea die Unabhängigkeit wiedererlangte. Die koreanischen Fotografen, die in den Zeiten der Unterdrückung und Überwachung durch die japanischen Kolonialherren nur unverfängliche Fotos wie Landschaftsaufnahmen machen durften, konnten ab diesem Tag ihr Land und ihre Landsleute aus der Perspektive eines freien Koreaners abbilden. In diesem Sinne ist der Unabhängigkeitstag auch „Tag der Unabhängigkeit der koreanischen Fotografie“. Anders als bei der Malerei, bei der Szenen aus Vorstellung oder Erinnerung auf die Leinwand gebracht werden, ist die Fotografie ort- und zeitgebunden. Viele Fotografen erhoben ihre Stimme durch die Fotos, die sie an den Schauplätzen historischer Ereignisse geschossen hatten. Zu ihnen gehörte auch Lee Kyung-mo (1926-2001), damals ein 19-jähriger Fotograf aus Gwangyang in der Provinz Jeollanam-do. Von Befreiung zu Koreakrieg Lee Kyung-mos erste Kamera war ein Geschenk seines Großvaters. Damals träumte er noch davon, Maler zu werden, aber als er eine Minolta Vest zum Eintritt in die Mittelschule bekam, schlug er den Weg der lebenslangen Beschäftigung mit der Fotografie ein. Am Tag der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft ging er mit seiner Kamera auf die Straße Kinder beim Spielen in den Gassen von Haengchon-dong, Seoul Kim Ki-chan, 1972. © Choi Gyeong-ja. Photo source: Noonbit Publishing Co.

und fotografierte die von Freude überwältigte Menschenmenge. Das war die Geburtsstunde der modernen Fotografie in Korea. Anfang September 1945 stieß Lee mit seiner Kamera zufällig auf eine seltsame Szene, die sich vor dem Seouler Einkaufsviertel Myeong-dong abspielte: Statt japanischer Soldaten sah er amerikanische Soldaten, die jetzt in Seoul stationiert waren, vor dem dortigen Kaufhaus herumschlendern oder mit Rikschas fahren. Die drei Jahre unter der amerikanischen Militärverwaltung lösten Kontroversen darüber aus, ob sie nun Befreiung oder Eroberung durch eine andere ausländische Macht bedeuteten. Es war eine Periode, in der sich die Tragik der Teilung abzeichnete. Auch dem jungen Fotografen musste es bedeutsam erscheinen, dass die Befreiung von der japanischen Herrschaft in eine Herrschaft des amerikanischen Militärs überging. Lee Kyung-mo hinterließ viele Fotos, die die Zeiten des Umbruchs dokumentieren, von dem niedergeschlagenen Aufstand in Yeosu und Suncheon, der im Oktober 1948 durch die Kämpfe zwischen Rechten und Linken ausgelöst wurde, bis zum Koreakrieg, der im Juni 1950 ausbrach. Die Freude der Befreiung wich allzu bald dem Schmerz der Teilung. Es erschienen Fotografen, die ihre Kameralinsen auf diese düstere Realität fokussierten. Nachrichtenoffizier und Fotograf Han Chi-gyu (1929-2016) dokumentierte die für Zivilisten gesperrte Demilitarisierten Zone (DMZ), den Schauplatz der Teilung, in Bildern. Han, der in einem Fischerboot aus dem Norden geflohen war und während des Kriegs in der südkoreanischen Armee diente, hatte seine Dienstkamera gleich einem Alter Ego immer dabei. Bis 1979, als er als Oberst in Ruhestand ging, schoss er jedes

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Mal Bilder, wenn er in der DMZ war oder die ihm unterstellten Einheiten besuchte. Auch bei seinen Besuchen zu Hause fotografierte er die sich ständig wandelnde Seouler Innenstadt oder seine heranwachsenden Kinder. Hans Fotosammlungen, die er noch kurz vor seinem Tod veröffentlichte, lassen über die Wunden der Teilung und die Militärkultur nachdenken, die das Leben der Koreaner stark beeinflussten. Not der sozial Benachteiligten Trotz Krieg und Landesteilung erreichte Korea ein weltweit beispielloses, komprimiertes Wirtschaftswachstum. Die koreanischen Fotografen richteten ihre Linsen jetzt mit warmem Blick auf diejenigen, die am Rande des Wirtschaftswunders standen. Zu den repräsentativen Fotografen, die den Alltag der gesellschaftlich Marginalisierten aufzeichneten, gehört Choi Min-shik (1928-2013). Nach seinem Abschluss in Design an der Chubi Central Art School in Tokio im Jahr 1957 brachte er sich selbst das Fotografieren bei und begann, Menschen zu fotografieren. Choi, der im Laufe seiner Karriere die 14-bändige Bildbandserie Human herausgab, porträtierte Menschen, die am Rande der Gesellschaft in Armut und Schmerz lebten, indem er intuitiv in das Innere und die Natur des Menschen hineinblickte: „Meine ganze Liebe hat immer den Armen und Benachteiligten am Rande der Gesellschaft gegolten. Über 50 Jahre habe ich meine Kameralinse auf Menschen, die in Dunkelkeit und Entbehrung leben, gerichtet. Beim Drücken auf den Auslöser habe ich kein einziges Mal ihre Herzlichkeit als Mensch bezweifelt.“ Für Choi Min-shik, der selbst sein ganzes Leben lang arm war, waren die Armen mehr als nur Fotoobjekte. Choi, der mehr als jeder andere eine tiefe Zuneigung für seine benachteiligten Mitmenschen empfand, dokumentierte eindringlich das Leben derer, die während der rapiden Wirtschaftsentwicklung in den 1960ern und 1970ern an den Rand gedrängt worden waren. Es gab noch einen weiteren Fotografen, der erkannte, dass Industrialisierung und Wirtschaftswachstum nicht unbedingt Glück versprechen. Kim Ki-chan (1938-2005), der bei einem TV-Sender arbeitete, schlang jedes Wochenende die Kamera über die Schulter und besuchte die Armenviertel in Seoul. „Die Gasse im Viertel Jungnim-dong war die Heimat meiner Seele. Als ich sie zum ersten Mal betrat, erinnerte ich mich an die lärmige Atmosphäre einer Gasse in Sajik-dong in meiner Kindheit. Da beschloss ich auf der Stelle, den Rest meines Lebens dem Thema Glück und Elend der Menschen in den Gassen zu widmen“, erinnerte er sich einmal. Kim veröffentlichte sechs Bildbände unter dem Thema „Gassenszenen“ sowie eine Sammlung von Fotos von Menschen aus ländlichen Regionen, die in Seoul vor dem Hauptbahnhof kampierten, und beleuchtete den Wandel der Bauerndörfer, die sie

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verlassen hatten. Über Jahrzehnte dokumentierte er Szenen in dem engen Raum namens Gasse und das Leben ihrer Bewohner, zu denen sich eine vertraute Beziehung entwickelte. Seine Werke werden als Dokumentation über einen langen Zeitraum immer wieder neu bewertet. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung des Landes forderte einen hohen Preis wie den Verlust der Bindungen zu Familie, Nachbarn und Heimatort. Doch die einfachen Menschen von damals, die zwar arm waren, sich aber gegenseitig ermutigten, trösteten und so ihr Leben in den mit Warmherzigkeit gefüllten Gassen verbrachten, leben in seinen Bildern weiter. Sehnsucht nach Demokratie Nach dem Tod des mit eiserner Faust regierenden Präsidenten Park Chung-hee (1917-1979), der während seiner langen Herrschaft eine Reihe von Wirtschaftsentwicklungsplänen initiierte, wurde die koreanische Gesellschaft vom Fieber der Demokratisierung gepackt. Die Studenten gingen aus Protest gegen das neue Militärregime auf die Straße und Bürger, die bis dahin Stillschweigen gewahrt hatten, schlossen sich ihnen an. Da aber die Medien von der Regierung zensiert wurden, kannten die Bürger nicht die volle Wahrheit über die Demokratiebewegung oder die vom Militärregime geschmiedeten Pläne. Aber trotz des beschränkten Zugangs zu Informationen kamen v. a. die Studenten an die Wahrheiten über die blutige Niederschlagung des Bürgeraufstands von Gwangju im Mai 1980 und stellten sich an die vorderste Front der Demokatiebewegung. Der Fotojournalist Kwon Joo-hoon (geb. 1943), der vor seiner Pensionierung 2015 für die koreanische Nachrichtenagentur Newsis gearbeitet hatte, war 47 Jahre lang als Zeitzeuge vor Ort unterwegs. Am 20. Mai 1986 befand er sich um 14.00 Uhr auf dem Acropolis-Platz der Seoul National University, um über das Maifest zu berichten. Thema des Events war „Historische Wiederbeleuchtung des Gwangju-Aufstandes“, und Pfarrer Moon Ik-hwan (1918-1994), ein bekannter, regimekritischer Aktivist, sprach gerade zu den Studenten. Plötzlich rief ein Student, der auf dem Flachdach des vierstöckigen Studentenzentrums stand, Parolen aus, übergoß sich mit Universalverdünner und zündete sich an. Dann sprang er und fiel sieben Meter auf die Terrasse im zweiten Stock. Studenten, die sich in der Nähe befanden, rannten zu ihm und versuchten vergeblich, das Feuer zu löschen. Die Flammen konnten schließlich mit einem Autofeuerlöscher gelöscht werden, doch der Student namens Lee Dong-su starb kurz nach seiner Ankunft im Krankenhaus. Unter dem damals verhängten Ausnahmezustand wagte keine Presseagentur in Korea, das Bild dieser schockierenden Selbstverbrennung zu veröffentlichen. Die Zeitung Hankook Ilbo, für die Kwon damals arbeitete, berichtete als einzige darüber, allerdings nur in einem Kurzartikel. Erst als das Foto in der interna-


Amerikanische Soldaten in Rikschas Lee Kyung-mo, Myeong-dong, Seoul, 09. 1945. © Lee Seung-jun. Photo source: Noonbit Publishing Co.

Koreanische Soldaten während einer Patrouille an der Militärischen Demarkationslinie Han Chi-gyu, 09. 1972. © Han Seung-won. Photo source: Noonbit Publishing Co.

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Fallender Lee Han-yeol Chung Tae-won, 1987. © Chung Tae-won. Photo source: Noonbit Publishing Co.

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Auf den Schauplätzen der modernen koreanischen Geschichte waren Fotografen stets präsent. Mit der Kamera drückten sie ihre Kritik an Militärregimen aus und fingen die Menschen, die im Marsch hin zur Industrialisierung zurückblieben, mit warmem Blick auf. tionalen Presse erschien, wurde es in Korea bekannt. Das entsetzliche Bild des brennenden Studenten verdeutlicht, wie verzweifelt die Sehnsucht der Studenten nach Demokratie war. Ein Journalist gestand später, dass ihn das Foto dermaßen erschütterte, dass er sich gegen die geplante Karriere als Richter entschied, um als Journalist über die Wahrheit zu berichten. Doch Kwon Joo-hoon war nicht der einzige Fotograf, der die eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen dem autoritären Regime und den Befürwortern der Demokratie dokumentierte. Chung Tae-won (auch bekannt als Tony Chung, geb. 1939), der im Korea-Büro der Nachrichtenagentur Reuters als Leiter der Fotoabteilung arbeitete, schoss Fotos vom Aufstand in Gwangju 1980 und den Juni-Demonstrationen 1987, die um die ganze Welt gingen. Es gelang Chung, ein Foto von dem Studenten Lee Han-yeol zu machen, der bei einer Demonstration vor der Yonsei Universität am 9. Juni 1987 von einer Tränengasgranate getroffen zusammenbrach. Dieses Foto löste die landesweiten Juni-Demonstrationen aus und gilt seitdem als ein Symbol der koreanischen Demokratiebewegung. Das Foto, das den mit blutüberströmtem Gesicht bewusstlos zusammenbrechenden Studenten zeigt, verdeutlichte die grausame, unrechtmäßig ausgeübte Staatsgewalt der Regierungstruppen und ließ eine jähe Wut in den Bürgern aufkommen. Laut Chungs Erinnerungen hob ein Student in den sich ausbreitenden Tränengasschwaden seine Hand in Richtung Hinterkopf und brach dann plötzlich zusammen, weshalb er sofort zu ihm rannte. Chung machte eine Nahaufnahme von einem Studenten, der Lee auf die Beine helfen wollte. Chung, dem die Bedeutung dieses Fotos schlagartig bewusst wurde, eilte ins Büro, entwickelte den Film in der Dunkelkammer und verschickte das Foto in die ganze Welt, während der Student ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Danach machte Chung den Notarzt, der Lee Han-yeol behandelte, ausfindig und erkundigte sich telefonisch nach seinem Zustand. Er erhielt die Antwort, dass Lee im Koma liege und wohl kaum überleben werde. Lee Han-yeol konnte das Bewusstsein nicht wiedererlangen und starb schließlich am 5. Juli. Bei allen Straßenprotesten, über die Chung berichtete, stand er auf der Seite der Studenten und machte Nahaufnahmen. Auch beim Gwangju-Aufstand befand er sich unter den Bürgern und fotografierte die blutigen Auseinandersetzungen, während die Kugeln hin und her flogen.

Auf den Schauplätzen der modernen koreanischen Geschichte waren Fotografen stets präsent. Mit der Kamera drückten sie ihre Kritik an Militärregimen aus und fingen die Menschen, die im Marsch hin zur Industrialisierung zurückblieben, mit warmem Blick auf. Auf diese Weise retteten die Dokumentarfotografen all das vor dem Vergessen, was durch Regierungszensur aus unseren Erinnerungen, aus öffentlichen Aufzeichnungen und der Geschichte beinahe ausgelöscht worden wäre. Durch ihre Fotos strebten sie stets danach, auf der Seite der Schwachen statt der Starken, auf der Seite der Opfer statt der Täter und der Demokratie statt der Macht zu stehen. Demokratisierung der Fotografie Die kritischen Momente in Koreas moderner Geschichte seit 1945, die von einem Wirbel des Wandels und raschen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen geprägt war, wurden v.a. von Fotojournalisten dokumentiert. Doch die Kerzenlichtdemonstrationen, die im Oktober 2016 begannen, machten bewusst, wie sich die Zeiten geändert haben, da auch die an den Protesten teilnehmenden Normalbürger zu Dokumentarfotografen wurden. Am 16. April 2014 nahmen die Schüler auf Klassenfahrt, die in der sinkenden Fähre Sewol eingeschlossen waren, mit ihren Handys ihre letzten verzweifelten Momente auf. Die herzzerreißenden Bilder und Videos lösten in der Öffentlichkeit tiefe Trauer aus und wurden zu entscheidenden Beweisen der Tragödie. Im Zeitalter der Analogfotografie packten Fotojournalisten ihre Ausrüstung zusammen, um vor Ort zu fotografieren. Im Zeitalter der Digitalfotografie kann jeder auch ohne professionelle Ausrüstung oder Spezialkenntnisse mit qualitativ hochwertigen Smartphone-Kameras aus seiner eigenen Perspektive Aufnahmen machen. In diesem Sinne wurde auch die Fotografie „demokratisiert“. Während der Kerzenlichtdemonstrationen auf dem Gwanghwamun-Platz im Winter 2016 war häufig zu sehen, wie Demonstranten mit Familien und Mitstreitern für Selfies posierten. Dies unzähligen Schnappschüsse werden sie lange daran erinnern, dass sie an den Tagen, an denen sich die Wut der Bürger gegen die von Korruptionsskandalen gebeutelte Präsidentin richtete, Teil der leidenschaftlichen Bewegung für Demokratie waren.

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SPEZIAL 3 Fotografie in Korea: Die Freiheit der visuellen Sprache genießen

HOMO PHOTOCUS und Digitalfotografie Mit der allgemeinem Verbreitung von Digitalkameras und Smartphones hat die Fotografie eine völlig neue Dimension erhalten. Sie ist heutzutage ein Instrument zur Aufzeichnung von Alltagsmomenten und nicht mehr nur von besonderen Ereignissen sowie eine Schnittstelle der Kommunikation, die jeder leicht nutzen kann. Das Aufnehmen von „Beweisfotos“ und deren Verbreitung über die sozialen Medien ist zu einem typischen Merkmal des koreanischen Alltags geworden. Choi Hyun-ju ı Freiberufliche Werbetexterin, Fotoessayistin

Flaneur im Museum, Louvre Kim Hong-shik, 2016. Prägearbeit; Urethan, Tinte und Siebdruck auf Edelstahl; 120x150 cm (inklusive Rahmen). © Kim Hong-shik

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eutzutage macht quasi jeder überall Fotos. Warum sind so viele Menschen davon besessen? Vielleicht steht dahinter der Wunsch, den Moment, in dem das Fotoobjekt auf eine bestimmte Weise existierte, vor dem Vergessen zu bewahren. Anders gesagt: Fotografieren steht im Zusammenhang mit „Besitzen“, denn Erinnerungen sind im weiten Sinne auch eine Art Eigentum. Wird eine Kamera auf sie gerichtet, sagen alte Menschen oft: „Was willst du denn mit einem Foto von einem alten Gesicht?“ Diese Reaktion verrät den Gedanken, dass Fotos dem Schönen vorbehalten sind. Warum denkt man, dass nur Schönes fotografiert zu werden verdient? Natürlich gibt es nicht unbedingt einen Grund, die Kamera auf unschöne Objekte oder Szenen zu richten, es sei denn, man braucht Beweismaterial zu dienstlichen Zwecken oder man verfolgt ein spezifisches künstlerisches Konzept. Das ultimative „Einmal-im-Leben-Foto“ Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass nach dem Aufkommen der Digitalkamera eine Unzahl von Amateurfotografen Landschaftsfotos geschossen haben, die praktisch identisch sind,

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gleichsam wie eine Druckserie. Warum wohl? Einmal besuchte ich einen alten Tempel, der am Ende einer Klippe zu hängen schien, und war enttäuscht, dass wegen dichten Nebels nichts zu sehen war. Ich sagte mir: „Ach, der Tempel sollte jetzt genau von dieser Stelle aus und exakt in diesem Winkel fotografiert werden!“ Fotos, die ich von dem Ort in einem Reisebuch gesehen hatte, streiften mir durch den Kopf. Ich wartete eine ganze Weile, doch der Nebel wollte sich nicht lichten. Da meinte der Reiseführer lächelnd: „Es gibt eine gute Methode: Googeln Sie einfach mal den Ort, wenn Sie wieder zu Hause sind!“ Unzählige Menschen kommen mit fast identischen Fotos von den Zielorten ihrer Reise zurück, weil sie ähnlich einem Grundbuch-Eintrag einen vorzeigbaren Beleg für ihre persönlichen Erlebnisse oder Empfindungen darstellen. Da diese Beweisstücke für jedermann leicht verständlich sein und beifälliges Kopfnicken ernten sollen, ist es besser, wenn sie möglichst denen der anderen ähneln, statt Originalität aufzuweisen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum Reisende an Touristenattraktionen Schlange stehen, um dieselbe Ansicht aus demselben Winkel zu schießen. Man möchte also die schöne Landschaft, die man mit eigenen Augen gesehen hat, mit


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der eigenen Kamera festhalten, sie sich so „aneignen“ und sich diese Tatsache des „Besitzens“ von anderen bestätigen lassen. Solche Aufnahmen werden in Korea „Beweisfotos“ genannt. In 30 Jahren werden Fotografiehistoriker diese Beweisfotos vielleicht als eigenes Genre wie Dokumentar- oder Porträtfotos klassifizieren. Nach Homo faber, dem schaffenden Menschen, Homo habilis, dem geschickten Menschen, und Homo ludens, dem spielenden Menschen, wurde schließlich in den 2010ern eine neue Spezies namens „Homo photocus“ geboren. Der Homo photocus unterscheidet nicht nach Geschlecht und Alter. Sogar ältere Menschen, die vor neuen technischen Geräten eher zurückschrecken, kennen keine Kameraangst. Denn anders als eine digitale Spiegelreflexkamera ist eine Smartphone-Kamera kinderleicht zu bedienen. Mit dem Smartphone, das bequem mit einer Hand gehalten werden kann, kann man jede Art von Foto schießen. Und mit einer als Armverlängerung fungierenden Selfie-Stange lässt sich aus jedem beliebigem Winkel fotografieren, sodass man keinen Fremden um Hilfe bitten muss. Der Homo photocus, die neue Spezies des 21. Jhs, widmet sich mit dem Smartphone in der ausgestreckten Hand in allen Ecken und Enden

1. Junge, in Hanbok herausgeputzte Frauen vergnügen sich damit, im Palast Changgyeong-gung Selfies zu schießen. Sie sind augenscheinlich mehr am Aufnehmen von Beweisfotos interessiert als an der historischen Stätte. © Chosun Ilbo

2. Restaurantbesucher, die vor dem Genuss der gerade servierten Speisen und Getränke für ein Foto posieren. Die jungen Leute haben den neuen Kulturtrend geschaffen, ihre Alltagsaktivitäten zu dokumentieren und über die sozialen Medien zu teilen. © GettyimagesBank

der Welt dem Hinterlassen von Beweisfotos. In der Ära von Digitalkamera, Smartphone und sozialen Medien ist „Beweisfoto“ wohl der Begriff, der diese neue Spezies am besten charakterisiert. An Orten in Seoul wie dem Palast Gyeongbok-gung oder dem Hanok-Dorf Bukchon mit seinen traditionellen Häusern sowie im Hanok-Dorf der traditionsreichen Stadt Jeonju sind seit einigen Jahren ungewöhnliche Szenen zu beobachten. An diesen bekannten Kulturorten sind in ausgeliehende Hanbok gekleidete Teenager und junge Leute in ihren 20ern zu sehen, die Beweisfotos aufnehmen. Der Hanbok, die traditionelle

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Der Homo photocus, die neue Spezies des 21. Jhs, widmet sich mit dem Smartphone in der ausgestreckten Hand in allen Ecken und Enden der Welt dem Hinterlassen von Beweisfotos. In der Ära von Digitalkamera, Smartphone und sozialen Medien ist „Beweisfoto“ wohl der Begriff, der diese neue Spezies am besten charakterisiert. koreanische Tracht, die heute aus dem Alltagsbild so gut wie verschwunden ist und nur noch zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten getragen wird, ist wieder zurück auf der Straße. Interessanterweise geht es bei diesem Trend nicht um die Wiederbelebung von Tradition oder Geschichte, sondern schlicht und einfach ums Fotografieren. Die jungen Menschen kleiden sich in Hanbok, um sich in dieser schönen traditionellen Tracht, die sich von moderner Kleidung deutlich unterscheidet, zu fotografieren. Die Beweisfotos werden dann über die sozialen Netzwerke geteilt, sei es mit Freunden in der realen Welt oder mit Online-Bekanntschaften. Das beste Beweisfoto wird zum „Insaeng-shot“ deklariert, zum „Einmal-im-Leben-Foto“. Dafür ist es ihnen nicht zu mühselig, in geliehener Hanbok-Kleidung durch angesagte Viertel und Königspaläste zu streifen oder berühmte Cafés und Touristenattraktionen aufzusuchen. Herzstück der Kommunikation Fotografien ziehen Menschen an. Internet-Postings ohne Begleitfotos erwecken kaum Interesse. Deshalb sind Betreiber von Ein-Mann-Medien wie Blogger äußerst bemüht, faszinierende Fotos hochzuladen, die zum Anklicken verführen. Das gilt besonders für Blogger zu Themen wie Essen und Mode, bei denen Fotos eine entscheidende Rolle spielen. Oft ausgerüstet mit hochleistungsstarken Digitalkameras, stellen diese Blogger ein Talent unter Beweis, das dem eines professionellen Fotografen nahekommt. Digitalkameras und Smartphones haben vieles verändert. Im analogen Zeitalter ließ man von den geschossenen Fotos Abzüge machen, die man dann gerahmt an die Wand hängte oder auf den Tisch stellte. Hin und wieder schaute man sie sich an und schwelgte in Erinnerungen. Im Digitalzeitalter ist das Fotoschießen nur der Beginn. Es folgt ein Prozess aufeinander folgender Schritte von Auswahl guter und Löschen schlechter Fotos, Bearbeitung mit Photoshop oder einer Foto-App und Hochladen in den sozialen Netzwerken. Das Foto entsteht also nicht im Moment des Fotografierens an sich, sondern wird quasi erst im Moment des Hochladens zum Foto.

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Die geposteten Fotos werden reichlich kommentiert, gelobt oder kritisiert. Würde man eine Fotografie personifizieren, so wäre es im analogen Zeitalter ihr glücklichstes Schicksal gewesen, nach dem Entwickeln eingerahmt an der Wohnzimmerwand aufgehängt zu werden. Im digitalen Zeitalter werden Aufnahmen selten ausgedruckt, sondern nur noch als Images in der virtuellen Welt veröffentlicht und verbreitet. Über das Schicksal einer digitalen Fotografie entscheidet die Qualität der Bearbeitung und die Zahl der „Likes“ in den sozialen Netzwerken. Nach meiner persönlichen Erfahrung sind es nicht Postings zu aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Themen oder Diskussionen persönlicher Erlebnisse oder Besorgnisse, die in den sozialen Medien die meisten Kommentare erhalten, sondern Selfies und Beweisfotos. Solche Fotos bewegen eine größere Zahl von Menschen und bringen sogar eher Wortkarge zum Kommentieren. Fotos bringen Menschen leichter zum Lachen und lassen sie emotionaler werden als Texte. Durch ihre stärkere Anziehungskraft bringen sie Menschen einander näher, ermutigen dazu, sich gegenseitig nach dem Befinden zu fragen, einander zu grüßen und Geschichten zu teilen. Kurz gesagt, sie motivieren Menschen, miteinander in Beziehung zu treten und enger miteinander zu kommunizieren. Die Fotografie, der das digitale Zeitalter Flügel verliehen hat, hat sich also zum nützlichsten Mittel der Kommunikation entwickelt. Beweis für Verlangen, nicht für Fakten Die Anzahl der Fotos, die in den 2010ern geschossen wurden, dürfte die Gesamtsumme aller Fotos, die seit der Erfindung des Fotoapparates über einen Zeitraum von rund 180 Jahren angefertigt wurden, übertreffen. Zweifelsohne ermöglichte das erst die technische Entwicklung, doch andererseits liegt diesem Phänomen auch die Tatsache zugrunde, dass die Fotografie im digitalen Zeitalter unser Verlangen widerspiegelt. Kim Rando, Professor für Verbraucherwissenschaft an der Seoul National University, nennt in seinem Buch Trend Korea (2015) u. a. die „Sucht nach Beweisen“ und die „alltägliche Angeberei“ als repräsentative Trends des Jahres 2015. Laut Kim leben wir in einem Zeitalter des Misstrauens, in dem kaum jemand mehr


etwas ohne Beweis glaubt, also nur noch Sichtbares und Belegbares anerkannt wird. In einer Welt, in der das „Retweeten“ und „Liken“ in den sozialen Medien die Grundlage der eigenen Identität bilden, sei das Angeben Alltag geworden und der Alltag wiederum Stoff des Angebens. In dieser Ära des „Selbstbeweisens“ dient das sog. „Beweisfoto“ als Beleg. Aber ist das nicht etwas eigenartig? Ein Beweis sollte den Tatsachen entsprechend wasserdicht sein. Was nicht mit den Tatsachen übereinstimmt, kann kein Beweis sein. Ein „Beweisfoto“ ist zwar an sich eine Tatsache, dann aber wieder auch nicht. Denn ein Selfie z. B. bildet nicht das reale, sondern das schöner und ideal bearbeitete Selbst ab, das von der Realität „abgetrennt“ wurde. Es gibt zahlreiche Smartphone-Apps, mit denen sich das Gesicht verschönern lässt: Falten verschwinden, der Teint erhält einen zarteren Ton, die Augen wirken größer. Wie ironisch ist es, dass diese Fotos, die aus dem realen Kontext genommen und digital aufgehübscht wurden, zur Verifizierung des eigenen Ich verwendet werden. Schon lange haben die Menschen Fotos benutzt, um ihre eigene Identität zu „beweisen“. Doch heutzutage ist es schwierig,

Der Sehwa-Strand auf der Insel Jeju-do ist stets voller Paare und Flitterwöchler, die vor der schönen Meereslandschaft Fotos schießen. Der Wunsch der Menschen, besondere Momente in ihrem Leben auf Fotos einzufangen und auf den sozialen Medien zu teilen, hat aus jeder Ecke der Insel eine gefeierte Touristenattraktion gemacht. © jejuguree

jemanden anhand des Fotos in Führerschein oder Lebenslauf wiederzuerkennen. Kaum einer – zumindest in Korea – verwendet noch unbearbeitete Fotos. Verschönerte Selfies und Beweisfotos sind also keine Belege der eigentlichen Identität, sondern des eigenen Verlangens – ein Beweis für „So möchte ich sein“ und nicht für „So bin ich“. Das Schießen von „Beweisfotos“ per Smartphone ist demnach ein ständiges Bemühen, seine eigenen Wünsche zu beweisen und von anderen anerkennen zu lassen. Es ist ein Zeitalter des Widerspruchs, in dem man sich einerseits weigert, anderen zu vertrauen oder mit ihnen zu kommunizieren, andererseits aber von ihnen anerkannt werden möchte. Die Fotos im digitalen Zeitalter stehen damit auch für unsere Zwiespältigkeit.

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FOKUS

Dokumente zu

JOSEONS DIPLOMATISCHEN MISSIONEN NACH JAPAN

sind UNESCO-Weltdokumentenerbe

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Von 1592 bis 1598 lieferten sich die drei nordostasiatischen Nachbarländer bittere militärische Auseinandersetzungen auf der koreanischen Halbinsel, wobei die chinesische Ming-Dynastie dem Joseon-Reich bei der Verteidigung gegen die japanischen Invasoren zur Hilfe kam. Der Krieg legte die ganze Halbinsel in Trümmer, doch in den darauf folgenden zwei Jahrhunderten konnten Korea und Japan ihre Beziehungen durch engagierte diplomatische Bemühungen wiederherstellen. Im Oktober 2017 wurden die Aufzeichnungen zu den einzelnen diplomatischen Missionen unter der Bezeichnung Dokumente zu Joseon Tongsinsa/Chosen Tsushinshi: Die Geschichte des Friedensaufbaus und Kulturaustauschs zwischen Korea und Japan vom 17. bis 19. Jh. (Documents on Joseon Tongsinsa/ Chosen Tsushinshi: The History of Peace Building and Cultural Exchanges between Korea and Japan from the 17th to 19th Century) in das UNESCO-Weltdokumentenregister aufgenommen. Suh Kyung-ho ı Ehrenprofessor, Seoul National University, ehemaliges Mitglied des Internationalen Expertenkomitees für das UNESCO-Programm Memory of the World

Boot mit Empfehlungsschreiben des Joseon-Hofs bei der Flussaufwärtsfahrt in Japan (Ausschnitt). Edo-Zeit; unbekannter Künstler. Tinte und Farbe auf Papier, 58,5 x 1.524cm. Das Gemälde zeigt ein Boot auf dem Yodogawa-Fluss in Osaka, an Bord eine Gesandtschaft mit Empfehlungsschreiben des Joseon-Königs. Die Gesandtschaft, die sich in Busan einschiffte, wechselte bei der Ankunft in der Flussmündung auf ein vom Tokugawa-Shogunat bereitgestelltes Luxusboot. Das Boot ist mit Fahnen dekoriert, die das Emblem des Tokugawa-Shogunats zeigen. In der Mitte sind auf ihren Instrumenten spielende Joseon-Musiker zu sehen. © National Museum of Korea

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ls das Joseon-Reich (1392-1910) seine erste diplomatische Delegation nach Japan entsandte, waren weniger als zehn Jahre nach Beginn der verheerenden, durch die japanischen Imjinwaeran-Invasionen (1592-1598) ausgelösten kriegerischen Auseinandersetzungen vergangen. Nach dem Tod von Toyotomi Hideyoshi (15371598), der die Aggressionen angeführt hatte, forderte das Tokugawa-Shogunat (1603-1868) das Joseon-Reich zur Entsendung einer diplomatischen Delegation auf, um die Feindlichkeiten beizulegen und den Frieden zu bewahren. Ermüdet vom Krieg, der das ganze Land in Trümmer gelegt hatte, nahm das koreanische Königreich die Aufforderung an. Die Reise von Hanseong (das heutige Seoul), die die koreanischen Gesandten – auf Koreanisch „Tongsinsa“ (wörtl.: Gesandte für Austausch) – in die japanische Hauptstadt Edo (das heutige Tokio) auf sich zu nehmen hatten, dauerte über sechs Monate. Mit 400-500 Delegierten war die Mission auch von der Größe her ein beachtliches Unterfangen. Und der Empfang war überall entsprechend großzügig. Das japanische Shogunat gab dafür eine so beträchtliche Summe aus, dass es sogar in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Bis 1811 entsandte Joseon insgesamt zwölf diplomatische Delegationen, die nicht nur einen großen Beitrag zur Friedenssicherung zwischen den beiden Ländern leisteten, sondern auch als Kanal für den bilateralen Kulturaustausch dienten. Diesbezüglich wurden 2017 insgesamt 111 Dokumente (333 Einzelstücke) ins UNESCO-Weltregister eingetragen: 5 diplomatische Dokumente (51 Schriftstücke), 65 Reisedokumentationen (136 Schriftstücke und Bilder) und 41 Dokumente zum Kulturaustausch (146 Schriftstücke und Bilder). Davon werden 63 Dokumente (124 Schriftstücke und Bilder) in Korea und 48

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(209 Schriftstücke und Bilder) in Japan aufbewahrt. Die Registrierung, für die sich die Kulturstiftung Busan und der Verbindungsrat für alle Orte im Zusammenhang mit Chosen Tsushinshi in Japan eingesetzt haben, ist insofern von besonderer Bedeutung, als dass der Erfolg durch die gemeinsamen Anstrengungen Koreas und Japans zustande gebracht wurde. Weltgeschichtliche Bedeutung anerkannt Die Registrierung erfolgte, als sich das Internationale Beraterkomitee (IAC) zum UNESCO-Weltdokumentenerbe in einer heiklen Situation befand. Es waren nämlich zwei Dokumente gegensätzlicher Natur zur Nominierung eingereicht worden: Dokumente zu Joseon Tongsinsa und Dokumente zur Sexsklaverei der japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg. Wie bekannt, wehrte sich die japanische Regierung vehement gegen die Aufnahme der Dokumente zu den sog. „Trostfrauen“, die von 15 Bürgerorganisationen aus 8 Staaten gemeinsam eingereicht worden waren. Das IAC empfahl der UNESCO-Generaldirektorin schließlich, die Aufnahme der kontroversen Trostfrauen-Dokumente vorzubehalten und statt dessen die Dokumente zu Joseon Tongsinsa zu registrieren. Indem das IAC die beteiligten Parteien in Bezug auf die Trostfrauen-Dokumente zum Dialog aufforderte, hat die UNESCO ihr Prinzip deutlich unterstrichen, dass künftig für gemeinsame Nominierungen nur Dokumente, über die eine Einigung aller Parteien herrscht, zur Aufnahme geprüft werden. Das Joseon Tongsinsa ist ein Fallbeispiel für dieses Prinzip. Beim Auswahlverfahren über die Aufnahme ins UNESCO-Register des Dokumentenerbes werden verschiedene Kriterien wie gesellschaftlicher Wert, Erhaltungszustand und Rarität der


nominierten Dokumente berücksichtigt. Hauptkriterium ist jedoch deren weltgeschichtliche Bedeutung, insbesondere, ob das Dokument ein Ereignis oder eine kulturelle, zivilisatorische Errungenschaft betrifft, die über ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Region hinaus die Menschheitsgeschichte beeinflusst hat. Das IAC empfiehlt für Dokumente, die diese Kriterien erfüllen, den Eintrag ins Weltregister, in allen anderen Fällen die Registrierung als regionales oder nationales Erbe. Die Argumentation, dass bestimmte Dokumente über die nationale Ebene hinaus auch weltgeschichtlich bedeutsam sind, muss durch eine unter breitem Blickwinkel erfolgende Interpretation der Geschichte gestützt werden. In diesem Sinne dient das UNESCO-Programm zum Weltdokumentenerbe als ein Fenster, das neue, sich von den herkömmlichen geschichtswissenschaftlichen Positionen unterscheidende Perspektiven bieReiseroute der Joseon-Delegation nach Japan Seoul

Ostmeer

Mungyeong

Nikko

JOSEON

JAPAN Busan

Tsushima

Kyoto Shimokamagari

Shimonoseki

Tokyo Hakone

Ogaki

Osaka

Ushimado

Arai

tet. Die Aufnahme der Joseon-Tongsinsa-Dokumente ist damit auch ein Anlass zu neuen Interpretationen des betreffenden historischen Kontextes. Ein Fenster auf das Nordostasien des 17. Jhs Zur Auswertung der Bedeutung der Joseon-Tongsinsa-Dokumente im weltgeschichtlichen Kontext müssen die historischen Gegebenheiten zu Zeiten ihrer Erstellung in den Fokus gerückt werden. Von 1607 bis 1811, als diplomatische Delegationen zwischen dem Königreich Joseon und Tokugawa-Japan hin- und herreisten, befand sich Europa nach dem Anbruch des Zeitalters der Entdeckungen Anfang des 15. Jhs inmitten der ersten Globalisierung in Form der Kolonialisierung durch den Seehandel. Handelsschiffe aus verschiedenen europäischen Ländern erreichten den Indischen Ozean durch Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas und fuhren durch den Golf von Aden vor der Arabischen Halbinsel nach Indien und Südostasien sowie nach Indonesien und in den Südpazifik, wodurch ein enormer Seehandelsmarkt entstand. Das Endziel dieser Fahrten war natürlich China, sodass der Handel mit China, angeführt von der Niederländischen Ostindien-Kompanie und der Britischen Ostindien-Kompanie, schließlich einen beträchtlichen Anteil des Welthandels stellte. Doch die chinesische Regierung war mehr an der Ordnung in

Shizuoka

Ainoshima Pazifik

Einzug der Delegation in die Burg von Edo (Ausschnitt), Mittlere Joseon-Zeit. Tinte und Farbe auf Papier, 30,7 x 595cm. Das Gemälde zeigt die Joseon-Delegation bei ihrem Einzug in die Burg von Edo im Jahr 1636. Über den Figuren ist ihre Position angegeben, was Aufschluss über die jeweilige Rolle gibt. Das Gemälde wird Kim Myeong-guk zugeschrieben (1600-?), der die Delegation als Hofkünstler begleitete. © National Museum of Korea

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Nordostasien als am Seehandel mit den Europäern interessiert. In dem weitgehend von den Strömungen der Außenwelt abgeschnittenen nordostasiatischen Raum herrschte eine eigenständig aufgebaute Ordnung. Nach Untergang der Ming-Dynastie (1368-1644) im Nachfeld der japanischen Imjinwaeran-Invasionen brachen die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Japan ab. China stellte den Handel mit Japan ein und Japan hielt seine Politik der geschlossenen Tür aufrecht. Doch der Abbruch der Beziehungen bedeutete nicht das Ende jeglichen Kontakts, da die beiden Länder durch kulturelle Gemeinsamkeiten wie die Verwendung von chinesischen Schriftzeichen und konfuzianisches Gedankengut kulturell verbunden waren. Vor allem brauchten sie einander für den Handelsaustausch. In Japan herrschte eine hohe Nachfrage nach chinesischen Waren wie v.a. Büchern, während China das Silber, das es als Währung benutzte, aus Japan importieren musste, wo es in reichlichen Mengen zu finden war. Nachdem der Handel zwischen China und Japan aufgrund politischer Konflikte zum Stillstand kam, fungierte das Joseon-Reich dank seiner geopolitischen Lage in der Mitte als Bindeglied für den indirekten Austausch. In dieser sich Anfang des 17. Jhs neu formierenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Konstellation in Nordostasien wurden nicht nur die Dokumente zu Joseon Tongsinsa verfasst, sondern auch Yeonhaengnok (1792), die Aufzeichnungen der diplomatischen Gesandtschaft aus Joseon nach Peking. Daher ist eine Analyse beider Aufzeichnungen hilfreich, um zu verstehen, wie Nordostasien sich als ein Raum mit eigener Ordnung behaupten konnte, bevor die Zwangsöffnung durch die westlichen Mächte durch die Opiumkriege vollendet wurde. Diese beiden Dokumente helfen außerdem zu verstehen, warum der ehemalige südkoreanische Präsident Roh Moo-hyun (19462009) dafür plädierte, dass Korea die „Rolle des Ausbalancierers in Nordostasien“ übernehmen sollte. Mit anderen Worten: Die Dokumente zu Joseon Tongsinsa sind nicht nur Aufzeichnungen über die Vergangenheit, sondern ein wichtiges historisches Erbe, das auch für das heutige Verständnis der Region von Relevanz ist. Zudem ist es erforderlich, das Augenmerk auf die Besonderheiten der nordostasiatischen Region im weltgeschichtlichen Kontext zu richten. Europa kolonialisierte seit dem Zeitalter der Entdeckungen die meisten Regionen der Welt. Nordostasien war diesbezüglich die einzige Ausnahme. Die Region, die niemals Kolonie der Europäer wurde, stieg später als eine wichtige Achse in der Weltgeschichte auf. Die Zeit vom Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg (18941895) Ende des 19. Jhs, als die beiden Mächte um die Vorherrschaft in Nordostasien kämpften, bis zum Ende des Pazifikkrieges (1941-1945) hatte weitreichende Auswirkungungen auf die künftige Weltordnung. Während des Kalten Krieges kam es zu

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Sammlung von Reiseberichten (Haehaeng chongjae) ist eine Sammlung von Aufzeichnungen, die während der Goryeo- und Joseon-Zeit von Mitgliedern der koreanischen Gesandtschaften nach Japan angefertigt wurde. Sie umfasst 28 Titel, von denen die meisten auf das Joseon des 17. und 18. Jhs referieren. Zusammengestellt wurden sie von Hong Gye-hui (1703-1771), einem Gelehrten und Hofbeamten, der unter den Joseon-Königen Yeongjo und Jeongjo diente. © National Museum of Korea

heftigen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West, die in einen Stellvertreterkrieg mündeten und die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel anhalten ließen. Ende des 20. Jhs zog die Region wegen des Aufstiegs Chinas noch größere Aufmerksamkeit auf sich. In diesem Kontext stellen die Dokumente zu Joseon Tongsinsa historische Belege für die Wurzeln des heutigen geopolitischen Interesses der Großmächte an der nordostasiatischen Region dar. Deshalb sind sie über ihren Wert als Materialien zur Erforschung der Geschichte der koreanisch-japanischen Beziehungen hinaus bedeutsam. Koreanische Aufzeichnungen über das vormoderne Japan Abgesehen vom historischen Wert sind die Joseon-Tongsinsa-Dokumente in Bezug auf Inhalt und Struktur originär. Da sie diplomatische Dokumente, Reiseberichte, Illustrationen und Schriftverkehr zwischen Gelehrten einschließen, stellen sie ein umfassendes Sammelwerk der Erfahrungen dar, die die Koreaner der Zeit mit Japan machten. In anderen Kulturkreisen würden solch unterschiedliche Inhalte wohl in separate Kategorien sortiert werden und an unterschiedlichen Orten liegen, aber im vorliegenden Falle wurden unterschiedliche Dokumentensorten zu einem organischem Ganzen verbunden. Das zeugt von dem Bestreben der koreanischen und japanischen Gelehrten, sich ein umfassendes Bild über das jeweilige Gegenüber zu machen. Beachtenswert ist zudem, dass in den Dokumenten auch der Schriftverkehr zwischen koreanischen und japanischen Gelehrten enthalten ist. Trotz sprachlicher Barrieren pflegten sie auf Grundlage von chinesischen Zeichen und konfuzianischem Gedankengut einen regen Dialog, der auch als rein privater Austausch betrachtet werden könnte. Doch die Regierungsvertreter und Gelehrten der beiden Länder betrachteten die ausgetauschten Aufzeichnungen, die die Hauptströmungen der jeweiligen Gesellschaft repräsentierten, nicht als private Korrespondenz, sondern nahmen sie in die offiziellen Sammlungen auf. Dass über 200 Jahre lang Gesandtschaften


von Joseon nach Japan geschickt wurden, war nur möglich, weil die Gelehrten beider Länder sich bewusst waren, dass ihr fortgesetzter Dialog nicht nur nützliche Informationen über das andere Land lieferte, sondern auf Grundlage des Verständnisses der jeweiligen aktuellen Situation auch zur Friedenssicherung beitragen konnte. Der in die offiziellen Dokumente aufgenommene schriftliche Dialog der Gelehrten war also ein wichtiges, für die Region typisches Protokoll über den diplomatischen und kulturellen Austausch in Nordostasien. Illustrationen zur Informationsbeförderung Die Dokumente zu Joseon Tongsinsa sind auch in puncto Verarbeitung und Vermittlung von Informationen interessant. Wie an den bereits früher als Weltdokumentenerbe registrierten Uigwe (Königliche Protokolle des Joseon-Reichs), die die staatlichen Riten und Zeremonien in Text und Bild festhalten, zu sehen, vermittelten und bewahrten die Gelehrten des Joseon-Reichs Informationen nicht nur in schriftlicher Form, sondern auch visuell in Form von Illustrationen, eine Tradition, die die Dokumente zu Joseon Tongsinsa fortführen. Um die Aufenthalte der diplomatischen Gesandtschaften zu dokumentieren, reisten Maler mit oder man rekrutierte Illustratoren vor Ort. Das beweist, welch große Bedeutung visuellen Materialien zur Dokumentation und Vermittlung von Informationen beigemessen wurde. Zu Zeiten, als Auslandsreisen eine

Einzug der koreanischen Gesandtschaft in Edo von Hanegawa Toei, 1748. Tinte und Farbe auf Papier, 69,7 x 91,2cm. Nach der Übergabe der Empfehlungsschreiben des Joseon-Königs an den Shogun bei der Ankunft in Edo zieht die Gesandtschaft auf dem Weg zu ihrer Unterkunft im Tempel Honganji in Asakusa durch die Stadt. © Kobe City Museum/DNPartcom

Seltenheit waren, waren die meisten Menschen auf indirekte Erfahrungen durch die Berichte der Entsandten angewiesen, wobei Illustrationen eine wichtige Rolle zur Weiterleitung von detaillierten und akkuraten Informationen spielten. Aus der Perspektive der damaligen koreanisch-japanischen Beziehungen gesehen, war die Entsendung von diplomatischen Gesandtschaften nach Japan nur eine von vielen diplomatischen Aktivitäten der Joseon-Regierung. Doch spielten sie eine Schlüsselrolle zur Sicherstellung des Friedens zwischen beiden Ländern und ermöglichten es Korea, den indirekten Kontakt zwischen China und Japan zu erleichtern. Die Dokumente, die jetzt ins UNESCO-Weltdokumentenregister aufgenommen wurden, sind lebendiger Beweis für Koreas Mittlerrolle in Nordostasien. Sie wurden anerkannt als wichtige Quellen für die Geschichte der Diplomatie und der internationalen Beziehungen sowie als Zeugnis des Ursprungs und der Entstehung der politischen Konstellationen in diesem Teil der Welt, wo sich über das 20. Jh hinaus bis heute Frieden und Konflikt heftig überkreuzen.

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HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES

Einhundert Jahre, eingeschmolzen in Anseongs berühmte Gusseisenkessel Das vom Großvater gegründete Familienunternehmen, das zunächst von seinem Vater und danach ihm selbst weitergeführt wurde, ist jetzt in der Hand seines Sohnes. Im Laufe von 108 Jahren wurde die Treuherzigkeit, mit der die Familie die traditionellen gusseisernen Kessel Gamasot herstellte, zu einem ihrer Markenzeichen. Gussmeister Kim Jong-huns Hingabe an das Handwerk wurde jetzt mit der Registrierung als Träger des 45. Immateriellen Kulturerbes der Provinz Gyeonggi-do gewürdigt. U Seung-yeon ı Freiberufliche Schriftstellerin Fotos ı Ahn Hong-beom

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M

anchmal fragt man sich, wie alt eine Person, die man gerade kennengelernt hat, wohl sein mag, insbesondere dann, wenn man mehr über ihr Leben erfahren und wissen möchte, was sie durchgemacht und wie sie gelebt hat. Es geht hier nicht um eine Bewertung nach oberflächlichen Merkmalen wie Größe oder Alter, sondern um Interesse an ihrer persönlichen Geschichte, daran, wie sie im Laufe ihres Lebens Zeiten und Orte verknüpft hat. So erfuhr ich die Lebensgeschichte von Gussmeister Kim Jong-hun, der in diesem Jahr 88 Jahre alt wird. „Ich bin Jahrgang 1930, habe also lange gelebt und vieles durchgemacht“, erzählt Kim. „Als der Pazifikkrieg ausbrach, muss ich wohl in der fünften Klasse gewesen sein. Ich habe den Zweiten Weltkrieg und die Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft erlebt. Ich habe auch im Koreakrieg gedient, auch wenn ich nicht im Kampfeinsatz war. Ich war 18, als China in den Krieg eintrat und unsere Truppen zum Rückzug zwang. Damals wurden alle koreanischen Männer ab einschließlich 17 Jahren als Milizsoldaten in den Nationalen Verteidigungskorps eingezogen. Im eiskalten Winter marschierten wir ohne jede Verpflegung nach Busan und aßen unterwegs alles, was wir in den Häusern der Bürger bekommen konnten.“ Das ganze Land war ein Schlachtfeld, aber Kim überlebte. Und glücklicherweise konnte er nach dem Krieg sein Studium fortsetzen. Seinen Traum vom Medizinstudium musste er zwar aufgeben, aber er schaffte die Aufnahme an die renommierte Seoul National University, wo er die Landwirtschaftliche Fakultät besuchte. Er war ein junger Mann mit vielen Träumen, der bereit war, alles auszuprobieren, dem aber das Schicksal nicht wohlgesinnt war. Als es für seinen Vater, dessen Gesundheit sich während des Krieges verschlechtert hatte, immer schwieriger wurde, seine Gießerei zu betreiben, blieb Kim keine andere Wahl, als seine Lehrbücher gegen Eisen einzutauschen. Seine Erfahrung mit dem Gießhandwerk hatte sich bis dahin auf gelegentliche Handlangerarbeiten beschränkt, aber jetzt musste er eigenhändig das heiße, geschmolzene Metall in die Form gießen. Das war 1953, anderthalb Jahre vor seinem Studiumabschluss und kurz nachdem der Koreakrieg mit einem Waffenstillstand zu Ende gegangen war. Kim wollte wieder zurück an die Universität, blieb letztendlich aber in der Gießerei, wo er die robusten Gamasot herstellte: Kessel und Töpfe aus Gusseisen. Träume hinter sich gelassen In den 1950er Jahren hatte jeder Haushalt eine Reihe von Gamasot in der Küche. Selbst diejenigen, die sich nicht so Gussmeister Kim Jong-hun inspiziert einen fertiggestellten eisernen Kessel. Die aus reinem Eisen geschmolzenen Kessel sind bei Liebhabern des traditionellen Handwerks begehrt.

gut standen, besaßen einige eiserne Kessel, die jeweils für das Kochen von Reis, Wasser oder Suppe verwendet wurden. Haushalte, die von der Rinderzucht lebten, hatten sogar einen separaten Eisenkessel zur Zubereitung von Viehfutter. Da diese Kessel unentbehrliche Haushaltsartikel waren, musste Kim sich keine Gedanken über den Verkauf seiner Produkte machen. Die auf einem Ochsenkarren zum nächsten Markt transportierten Gamasot wurden jeweils gegen zwei 80-Kilo-Säcke Reis und zwei Ballen Baumwollstoff eingetauscht. Das war zwar kein Bargeld, aber mehr als ausreichend. Auch ohne eigene Landwirtschaft war die Scheune stets mit Reis gefüllt und Kims Familie hatte nicht unter den befürchteten hungrigen „Gersten-Engpass-Tagen“ im Frühsommer zu leiden. So war die Eisenkesselherstellung ein rentables Geschäft, das den Lebensunterhalt der Familie sicherte. Vielleicht war es deshalb, dass Kim sich nie gegen die Bitte seines Vaters, das Familienunternehmen zu übernehmen, aufgelehnt hatte. „Mein Großvater ließ sich als junger Mann in Anseong nieder, einer für ihre Gusseisen- und Messingwaren bekannten Stadt, wo er anfänglich in einer Messinggeschirr-Fabrik arbeitete. Später baute er dann in einer Marktecke einen Stand auf und lötete Löcher in Eisenkesseln, bevor er schließlich einen Reparaturladen eröffnete“, erzählt Kim. 1910 übernahm der Großvater dann die Gießerei eines Japaners, die er „Anseong Jumul“ (Anseong Eisenguss) nannte. Das war der Beginn des Familienunternehmens, einer Werkstatt, die auf einem Grundstück von ca. 1.000 ㎡ lag, und wo sechs, sieben Familienmitglieder pro Monat nicht mehr als sechs oder sieben Kessel herstellten. 1930 erbte Kims Vater das Geschäft. Er stellte ein paar weitere Handwerker ein, aber die Produktion erhöhte sich kaum. „Es kam erst zu groß angelegten Innovationen, als ich den Betrieb übernahm und das Produktionssystem reformierte.“ Wurde bis dahin beim Schmelzen des Eisens mit einem fußbetriebenen Blasebalg Luft in den Ofen geblasen, so ersetzte Kim den Pedalantrieb durch einen mechanischen Motorantrieb, um die Produktionskapazität zu erhöhen. Um den Transport effizienter zu machen, wurde der alte Ochsenkarren durch einen Lkw ersetzt, eins der Armeefahrzeuge, die nach dem Waffenstillstand an Zivilisten verkauft wurden. Dadurch erweiterten sich die Vertriebskanäle des Unternehmens von den Märkten in der unmittelbaren Nähe auf die Städte Incheon, Yongin und Suwon in der Provinz Gyeonggi-do und sogar auf entferntere Städte wie Cheongju und Jecheon in der nördlichen Provinz Chungcheong-do. Durch solche Verbesserungen in Produktion und Vertrieb vergrößerte sich schließlich auch das Geschäftsvolumen. Jedoch änderte Kim nichts an dem uralten, über Generationen weitergegebenen Herstellungsprozess. Bis heute hält er sich nach wie vor an die traditionellen Gießmethoden und gießt die Schmelze per Hand in Form.

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Große, „Gamasot“ genannte Eisenkessel wurden in den traditionellen Küchen in die Öffnung des Lehmherds eingelassen. Hier zu sehen ist ein kleiner, freistehender Topf zum Dämpfen von Reis oder zum Kochen von Stews. 200 x 200 x 120mm. © Seo Heun-kang

Kim erklärt: „Der Ofen wird mit Holz und Kohle gefeuert, wobei zum Schüren des Feuers Luft hineingeblasen wird. Dann wird Roheisen, Koks und Kalkstein hinzugesetzt, um die Temperatur im Schmelzofen auf 2.100ºC zu bringen. Um die fürs Gießen robuster Eisenkessel notwendige hochreine Metallmasse zu erhalten, muss die Temperatur stets auf gleichbleibendem Level gehalten werden. Die Schmelze wird dann in die Form gegossen. Ist die Menge nicht ausreichend, bilden sich Lunker im Gussstück. Schwankt die Temperatur auch nur minimal, verspritzt das flüssige Metall leicht, weshalb stets äußerste Sorgfalt geboten ist.“ Auch als kim die Gießerei durch Einführung neuer Technologien modernisierte, wollte er irgendwann doch wieder zurück an die Universität. Aber gleichzeitig liebte er den Moment, in dem er und seine Mitarbeiter sich im selben Takt bewegend das geschmolzene Metall, mehrere zehn Kilogramm rot glühender Masse, in einem Zug in die Form gossen. Die mühsamen Vorbereitungsarbeiten, die eine Reihe von Werkzeugen und Ausrüstungsgegenständen wie Gussformen, Formkasten, Kerne und Sandformen beinhalteten, störten ihn überhaupt nicht. Er hatte auch keine Angst vor dem Funkenflug. Das Wichtigste für ihn war, einen soliden Kessel zu fertigen, den niemand so leicht zerbrechen konnte. Dafür mussten Ofen und Formen jederzeit in optimalem Zustand gehalten werden. Familienbetrieb, der Wechselhaftigkeit des Marktes trotzt Das Metall, in das Kims Zeit sich verdichtete, traf sich mit den auflodernden Flammen, um zu einem robusten Eisenkessel zu werden. Oft wurde er von Gefühlen überwältigt, wenn er mit der Hand über die kalte Oberfläche eines Kessels strich und die darin akkumulierte Zeit zu ihm zu sprechen schien. Manchmal gefror ihm auch das Herz bei dem Gedanken an „den nicht gegangenen Weg“ und „den Weg, den er gehen musste“. Aber jedes Mal

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erwärmte ihn das heiße und schwere, geschmolzene Metall und brachte ihn zurück auf den Weg, den er gehen musste. Als er alle Gießereiverfahren gemeistert hatte, sagte er sich: „Ich werde wohl den Rest meines Lebens mit dem Gießen von diesen Eisenkesseln verbringen.“ „Aber ich habe mich geirrt”, meint Kim. „Denn die Eisengießerei war wie jedes andere Geschäft auch vom Fortschritt der Technologie betroffen. Die in den 1970er Jahren unter Federführung der Regierung durchgeführte landesweite Entwicklungskampagne „Bewegung Neues Dorf“ löste eine Modernisierung des Lebensraums aus, sodass alte Küchen mit großen Eisenkesseln auf niedrigen Lehmherden verschwanden und durch moderne Küchen ersetzt wurden. Das Verbot des willkürlichen Holzfällens führte dazu, dass die Holzfeuerherde verschwanden und ihre Raumheizungsfunktion vom Brikett-Heizkessel übernommen wurde. Das war nur der Anfang. In den 1960ern kam Neusilber auf und in den 1980ern Edelstahl, sodass es mit den schweren und sperrigen Eisenkesseln nur bergab gehen konnte.“ Mit dem immer bequemer werdenden Alltagsleben geriet der Gusseisen-Markt aufs Abstellgleis. Ausgediente Gamasot-Eisenkessel, bei denen noch nicht lange zuvor die Nachfrage das Angebot überstiegen hatte, landeten jetzt beim Altwarenhändler. Als die traditionellen Eisenkessel, die einst zuverlässige Begleiter in den Küchen des Landes gewesen waren, als verschmähte Relikte der Vergangenheit aufgegeben wurden, schlossen die Gießereien im Land. Kim hatte es schwer, sich an die schnell ändernden Zeiten anzupassen, aber er dachte nicht daran, aufzugeben. Er versuchte, einen neuen Markt zu entwickeln und produzierte Waren wie Gussheizkessel und Autoteile. In den frühen 1980er Jahren innovierte er den Familienbetrieb noch einmal, indem er kleinere, Gasherd-taugliche Eisentöpfe für Kernfamilien entwickelte. Aber als sich sein Geschäft gerade zu stabilisieren begann, stieß er wieder auf ein neues Problem. „1989 entging ich gerade noch mal dem Bankrott durch einen notleidenden Wechsel, den ich von einem Kunden erhalten hatte“, berichtet Kim. „Aber 1994 hatte ich nicht mehr so viel Glück. Mein Haus und meine Fabrik wurden beschlagnahmt, als ich gerade mit Heizkesseln auf den chinesischen Markt vorstoßen wollte. 1997, mitten in der Asienkrise, beantragte die koreanische Regierung beim Internationalen Währungsfonds ein Rettungspaket, was das Geschäftsklima noch weiter verschlechterte. Trotz allem konnte ich nicht aufgeben.“ Die Schwierigkeiten nahmen kein Ende. Das Geschäft in einer gemieteten Fabrik mit schlechten Arbeitsbedingungen und ständig steigenden Mieten am Laufen zu halten, war nicht einfach. 2004, als sein zweitältester Sohn in die Firma eintrat, gab es in der Werkstatt nicht einmal einen Hammer oder eine Schaufel, geschweige denn eine Gussform. Sie mussten ganz von vorne


Er liebte den Moment, in dem er und seine Mitarbeiter sich im selben Takt bewegend das geschmolzene Metall, mehrere zehn Kilogramm rotglühender Masse, in einem Zug in die Form gossen. anfangen, um das Familienunternehmen Anseong Jumul wieder aufzubauen. Jetzt gab es für ihn keinen „nicht gegangenen Weg“ mehr. Vom Handwerker zum Künstler Obwohl Kim auf den Wunsch seines Vaters in das Geschäft eingestiegen war, machten 50 Jahre der Hingabe ihn schließlich zu einem Künstler. Die ganze Zeit über wurde er von einer Leidenschaft rein wie das bei 2.100℃ geschmolzene Metall getrieben. „Allmählich sprach es sich herum, dass wir unsere Kessel und Töpfe nach Jahrhunderte alten traditionellen Eisenguss-Fertigungsmethoden herstellen“, sagt Kim. „Mein Handwerk wurde 2003 als Bestes der Provinz Gyeonggi-do anerkannt und 2006 zum Immateriellen Kulturerbe Nr. 45 der Provinz erklärt. Es hat ein halbes Jahrhundert gedauert, bis dieses Handwerk, das in meiner Kindheit Alltag und spielerischer Zeitvertreib war, zu meinem Beruf wurde und mir schließlich eine solche Ehre zuteil werden ließ.“ 2006 übernahm sein zweiter Sohn, Kim Seong-tae, Anseong Jumul als vierter CEO und leitete wieder eine neue Welle des Wandels ein. Er erhielt ein Patent auf einen neu entworfenen

Anseong Jumul ist um Ausweitung der Gusstechnik-Anwendungsmöglichkeiten durch Kombination von modernem Design mit traditionellen Produktionstechniken bemüht. Die achteckige Auflaufform (240 x 220 x 65mm) kann fürs Kochen oder Braten verwendet werden, während die unterteilte Pfanne auch für Topfzwecke genutzt werden kann.

Kim Seong-tae (zweiter von links), der Sohn des Meisters, der das Management von Anseong Jumul übernommen hat, entfernt zusammen mit seinen Mitarbeitern eine Gussform vom Kernkasten, während sein Vater (vierter von links) zuschaut. Um ein Verziehen zu vermeiden, sollte die Gussform abgenommen werden, wenn das Gussstück auf rund 800°C abgekühlt ist. © Seo Heun-kang

Eisentopf, bei dem der Deckel innerhalb des Topfrandes platziert wird, damit der Inhalt nicht überkocht. Er diversifizierte auch die Produktlinie, die jetzt neben den großen traditionellen Kesseln verschiedene modifizierte Topfmodelle umfasst, sodass die gusseisernen Produkte bei allen, die ihren Wert zu schätzen wissen, erneut an Popularität gewonnen haben. Die vielleicht größte Veränderung war die Entscheidung, die Produkte online zu verkaufen, was die Verkaufszahlen deutlich ansteigen ließ. Aber das Unternehmen war nicht einfach nur auf Profit aus, sondern stellte seinen Stolz und seine Ehre als Generationen-altes Familienunternehmen in den Vordergrund. „Seit mein Sohn das Management übernommen hat, wurde das Produktionssystem stark verbessert. Jetzt können mehr Leute unsere Produkte noch einfacher erwerben“, sagt Kim. „Mein einziger Wunsch ist, dass außer meinem Sohn, der 2009 zum Nachfolger des Eisenguss-Erbes ernannt wurde, noch mehr Menschen ein Interesse an diesem kostbaren Handwerk entwickeln und die über 100 Jahre weitergegebene Tradition noch gefestigter erhalten bleibt.“ Auch wenn er durch schwindelerregenden Wandel und Wachstum inmitten der Turbulenzen der modernen Geschichte ins Wanken geriet, so hat Kim Jong-hun doch stets versucht, im Hier und Jetzt wachsam zu bleiben. „Es scheint, dass der Gamasot-Eisenkessel mein Schicksal ist, an das ich wie an eine Lebensgefährtin unzertrennlich gebunden bin“, sagt der auf die Neunzig zugehende Gussmeister mit einem Lächeln, das so rein und bescheiden wirkt wie die Eisentöpfe, die er fertigt.

© Korea Cultural Heritage Foundation

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KUNSTKRITIK

Wie weit sind wir gekommen? Die Ausstellung The Arrival of New Women, die vom 21. Dezember 2017 bis 1. April 2018 im Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst im Palast Deoksu-gung in Seoul zu sehen ist, erkundet die koreanische Moderne anhand des Bildes der „Neuen Frauen“ in der zeitgenössischen visuellen Kultur. Die Ausstellung zieht besondere Aufmerksamkeit auf sich, da erstmals versucht wird, die Frauen vor einem Jahrhundert aus der Perspektive der Frauen von heute zu beleuchten. Chung Jae-suk ı Kulturredakteurin, Tageszeitung The JoongAng Ilbo

„N

eue Frau“ bezieht sich auf Frauen, die im Zeitalter der Aufklärung, also in der Zeit der Öffnung Koreas, als die koreanische Gesellschaft unter dem Einfluss der westlichen Kultur und der neuen Bildung umfassende Veränderungen erfuhr, aufwuchsen. Diese Bezeichnung, die in Korea in den 1890er Jahren aufkam, wurde von Zeitschriften, Zeitungen und anderen Medien von den 1920er bis in die 1930er Jahre häufig verwendet. Die Neue Frau wurde insbesondere als Wesen dargestellt, das nach modernen Ideologien und Kultur strebt. Bubikopf: die Kultfrisur der Neuen Frau Im Sommer 2017 veröffentlichte Cho Sun-hee den Roman

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Drei Frauen, der die Revolutionärinnen Ju Se-juk (1901-1953), Huh Jung-sook (1902-1991) und Go Myeong-ja (1904-?) beschreibt, die in der ersten Hälfte des 20. Jhs ein von Leidenschaft geprägtes Leben führten. Als Kolleginnen und Freundinnen gleicher Gesinnung entschlossen sich die drei Frauen eines Tages, ihre Haare abzuschneiden. Zu der Zeit war es sowohl ein feierlicher Schwur als auch eine fröhliche Besiegelung von Kameradschaft und Solidarität. Der Roman wurde von einem Schwarzweiß-Foto aus der Monatszeitschrift Sinyeoseong (Neue Frau) inspiriert, die während der japanischen Besatzungszeit in Gyeongseong, dem heutigen Seoul, beliebt war. Huh Jung-sook, Redakteurin der Zeitschrift und Heldin des Romans, schrieb in der im Oktober 1925 erschienenen Sonderausgabe


Bubikopf: „Wir waren so bedingungslos glücklich, als hätten wir ein erhabenes Ideal oder ehrgeiziges Ziel erreicht, das uns bis dahin noch unbekannt war.“ In den 1920er Jahren waren Frauen mit kurzen Haaren noch eine Sensation. Es gab nur eine Handvoll Frauen mit Bubikopf, einer Frisur, die als „Eine-Frau-Demo“ zu verkünden schien: „Ich bin eine selbstständige Person!“ Die Frauen der Joseon-Zeit (1392-1910) hatten ihr langes Haar immer als Zopf oder adretten Chignon getragen und erst vor dem Schlafengehen gelöst, sodass eine Kurzhaarfrisur einer Demonstration von Mut und starkem Willen gleichkam. Inmitten von mehrfacher Unterdrückung und Widersprüchen wie Imperialismus, Kolonialismus, Patriarchat und dem Zusammenprall von östlicher und westlicher Kultur, war ihr Bewusstsein zerrissen zwischen den traditionellen Werten der Fügsamkeit als weise Mutter und gute Ehefrau und der modernen Frau, sodass die Neuen Frauen ihre Identität durch ihre kurzen Haare manifestierten. Die ersten

Sektion 3 der im Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst zu sehenden Ausstellung The Arrival of New Women ehrt fünf große Wegbereiterinnen aus der ersten Hälfte des 20. Jhs und beleuchtet ihre Ideale und Enttäuschungen. Es sind Na Hye-seok (1896-1948), die erste Malerin westlichen Stils, die Schriftstellerin und Übersetzerin Kim Myeong-sun (1869-1951), die moderne Tänzerin Choi Seung-hee (1911-1969), die sozialistische Feministin Ju Se-juk (1901-1953) und die Sängerin Lee Nan-young (1916-1965). © National Museum of Modern and Contemporary Art

Gesichter, die die Besucher der Ausstellung im Palast Deoksugung sehen, sind eben die der kurzhaarigen Frauen von vor 100 Jahren. Die Ausstellung umfasst mehr als 500 Exponate, darunter Gemälde, Skulpturen, Stickereien, Fotografien, Druckgrafiken, Filme, beliebte Schlager, Bücher und Zeitschriften. Sie ist in drei Sektionen unterteilt und Frauen mit kurzem Haar sind fast überall zu sehen. Vom Zeitalter der Aufklärung bis zur japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) war die Kurzhaarfrisur das Symbol der Neuen Frauen in der zeitgenössischen visuellen Kultur. Diese Tatsache wird durch das Titelblatt der Septemberausgabe 1933 des Monatsmagazins Byeolgeongon (Eine ande-

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Die Frauen auf den Titelbildern von Frauenmagazinen und Romanen, die von den 1920er bis in die 1940er Jahre erschienen, wurden meist als aktive und energiegeladene Wesen dargestellt. Im Uhrzeigersinn von links: Liebesgeschichte: Leidenschaftliche Liebe, 1957, veröffentlicht von Sechang Seogwan; Kwon Jinkyu Museum. Sinyeoseong (Neue Frau), September 1933, illustriert von Ahn Seok-ju, veröffentlicht von Gaebyeoksa; Kwon Jinkyu Museum. Buin (Lady), Juli 1922, illustriert von No Suhyeon, veröffentlicht von Gaebyeoksa; Kwon Jinkyu Museum. Byeolgeongon (Eine andere Welt), September 1933, illustriert von Ahn Seok-ju, veröffentlicht von Gaebyeoksa; aus der Sammlung von Oh Yeong-shik.

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„Diese Frauen waren mutig genug, das Schicksal herauszufordern und ein dramatisches Leben zu führen. Heutzutage sind wir frustriert über Gehälter und Beförderungen, aber diese Frauen haben sich nicht mit solchen Banalitäten befasst. Sie haben sich kaum um ihr eigenes Leben gesorgt, sondern sich mit Leib und Seele der Geschichte entgegengestellt.“

re Welt) bestätigt, die über Hobbys berichtete. Die kurzhaarige Frau auf dem Titelblatt ist nach westlicher Art geschminkt, trägt einen ihre Rundungen betonenden, modernen Rock, der die geschmeidigen Bewegungen ihrer Beine andeutet, einen provokativen roten Gürtel und hohe Absätze. Herausforderungen für die Neue Frau Die Frauen der Joseon-Zeit, insbesondere die der Oberschicht, die als „Anbang-Manim“ (Dame der inneren Gemächer) bezeichnet wurden, waren nur Schatten ihrer Männer. Sie verließen selten das Haus und widmeten sich Haushalt und Kindererziehung. Doch die Zeiten änderten sich und die Neuen Frauen gingen hinaus auf die Straße. Sie wollten unabhängige Individuen werden und außerhalb des Schutzes ihrer Familie selbstbestimmt lernen und arbeiten. Als die Protagonistin des Films Mimong (Süße Träume, 1936. Regisseur: Yang Ju-nam) ihre Familie verlässt, ruft sie: „Ich bin kein Vogel im Käfig!“ Der erste Teil der Ausstellung „New Women on Parade“ beleuchtet, mit welcher Dynamik die Neuen Frauen durch die Straßen paradierten. In einem der Exponate stellt Ahn Seok-ju, ein Pionier der Illustration von Zeitungs-Fortsetzungsromanen, eine Gruppe Neuer Frauen mit der lebhaften Gestik von paradierenden Tänzerinnen dar. Die zweite Sektion blickt auf die Neuen Frauen als Malerinnen zurück. Kunst bot den Frauen der frühen Neuzeit eine Fluchtmöglichkeit aus der Enge der traditionellen Erziehung, die weibliche Tugenden wie Gehorsam und Schweigsamkeit betonte. Die Kunst mit ihrer Kombination von neuen Werten und künstlerischer Leidenschaft bot den Neuen Frauen Raum zum Atmen. Doch Künstlerin zu werden war nicht einfach. Die ersten Frauen in Korea, die um 1910 die Kunstszene betraten, waren ehemalige Gisaeng, professionelle Unterhalterinnen. Diese Frauen, die mehr Freiheiten als gewöhnliche Frauen genossen, malten die Vier Huldvollen Pflanzen (Pflaumenblüten, Orchideen, Chrysanthemen und Bambus) und zeichneten sich durch Kalligrafie-Talent aus, wurden jedoch nicht als eigenständige Künstlerinnen anerkannt. Die Chosen [Joseon] Kunstausstellung, organisiert vom japanischen Generalgouverneur, brachte die erste Generation koreanischer Malerinnen hervor. Die im ostasiatischen Stil malende Park Re-hyun (1920-1976) und Chun Kyung-ja (1924-2015), die in Japan Kunst studiert hatten, gehören zu den führenden Vertreterinnen. Ihnen voraus ging jedoch noch eine andere vortreffliche Malerin: Na Hye-seok (1896-1948), deren Genre westliche Ölmalerei war. Sie war Koreas erste Malerin westliSelbstporträt von Na Hye-seok, wahrscheinlich 1928. Öl auf Leinwand, 88 x 75cm. Suwon IPark Kunstmuseum.

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cher Art und Schriftstellerin, wird aber v.a. als Feministin und Verfechterin der Befreiung der Frau erinnert. Sie stellte nicht nur in der Kunst viele ihrer männlichen Kollegen in den Schatten, sondern auch im Schreiben und veröffentlichte zahlreiche Romane und Essays. Ihr Ölgemälde Selbstporträt, das vermutlich 1928 entstand, drückt in dunklen Farben Schmerz und Niedergedrücktheit aus, die eine Frau als Intellektuelle und Künstlerin in jenen Zeiten des Umbruchs empfinden musste. Hommage an die Neuen Frauen Die dritte Sektion der Ausstellung erinnert anhand des Lebens von fünf repräsentativen Persönlichkeiten, darunter Na Hye-seok, an die Ideale der Neuen Frauen. Diese Sektion verfolgt einen erfrischenden Ansatz, indem sie die Neuen Frauen mit der heutigen Generation koreanischer Frauen vergleicht und fragt, wie weit die Frauen im Laufe eines Jahrhunderts nach vorne geschritten sind. Sektion 3 beginnt mit Na Hye-seok. Sie war die erste Koreanerin, die die private Joshibi Frauenuniversität für Kunst und Design abschloss. Zudem verfasste sie zahlreiche Essays, in denen sie die traditionellen patriarchalischen Familienstrukturen und das ungerechte Ehesystem scharf kritisierte. In Die ideale Ehefrau, einem ihrer bekanntesten Essays, das im Dezember

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1914 in der dritten Ausgabe von Hakjigwang (Licht des Lernens), einer Publikation der koreanischen Studentenvereinigung in Japan, erschien, kritisierte sie: „Die Erziehung zur guten Ehefrau und weisen Mutter dient nur dem Mann und führt dazu, aus der Frau eine Sklavin zu machen.“ Ein Auszug aus einem anderen ihrer Essays, Glücklich sein, ohne mich zu vergessen, das 1924 in der Augustausgabe der Zeitschrift Sinyeoseong erschien, kommt einem Aufschrei zur Wiedererlangung der Menschenwürde gleich: „Wir waren zu bescheiden. Nein, wir haben gelebt und dabei unser Ich vergessen. Wir haben das in uns schlummernde unbegrenzte Potential nicht erkannt. Sind nicht einmal auf die Idee gekommen, es zu testen! Wir haben uns nur geopfert und haben auf den leisesten Wink hin gehorcht.“ Der Rest der Sektion ist anderen repräsentativen Wegbereiterinnen gewidmet, darunter der Schriftstellerin und Übersetzerin Kim Myeong-sun (1896-1951), der modernen Tänzerin Choi Seung-hee (1911-1969), der sozialistischen Aktivistin Ju Se-juk und der Schlagersänergin Lee Nan-yeong (1916-1965). Ein leichtes Schluchzen war zu vernehmen, als die Besucher den Spuren dieser Pionierinnen folgten. Sektion 3 ist besonders interessant, weil dort Künstlerinnen von heute den fünf Neuen Frauen, die es wagten, Männer-zentrierte


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1. SF Drome: Ju Se-juk von Kim So-young, 2017. Dreikanalvideo. Sammlung der Künstlerin. 2. Forschung von Lee You-tae, 1944. Tinte und Farbe auf Maulbeerbaumpapier, 212 x 153cm. Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst. 3. Eines Tages vor einiger Zeit von Chun Kyung-ja, 1969. Tinte und Farbe auf Papier, 195 x 135cm. Museum SAN.

gesellschaftliche Tabus zu brechen, auf ihre Weise Hommage erweisen. Diese „frische Verschwesterung“ mit den Neuen Frauen ruft die Frauen von hier und heute auf, sich selbst zu erkennen und sich stark zu machen. Die Videokünstlerin Kim Se-jin ehrt durch ihr Werk Die Chronik des schlechten Blutes Kim Myeong-sun, eine Schriftstellerin der ersten Generation, die in ihren Werken eine originäre Welt schuf. Geboren als uneheliche Tochter einer Gisaeng, stand Kims bescheidene Herkunft ihrer Leidenschaft für Literatur nicht im Wege, wie die im Video rezitierten Gedichte beweisen. Regisseurin Kim So-yeong widmet ihr Video SF Drome: Ju Se-juk der Aktivistin, die von der Revolution des Proletariats träumte. Kwon Hye-wons audiovisuelle Installation Unbekanntes Lied beleuchtet das Leben der namhaften Sängerin Lee Nan-yeong, deren Song Tränen von Mokpo heute noch so bekannt ist wie eh und je. Das Video zeigt eine sich drehende

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Frau mit ständig wechselndem Make-up, wobei verschiedene Versionen des Liedes Blaue Träume des Cafés zu hören sind, das Lee 1939 auf Schallplatte aufnahm. Cho Sun-hee beendet ihren Roman Drei Frauen mit der Aussage: „Diese drei Frauen wurden zu Beginn des 20. Jhs geboren, aber ich habe das Gefühl, sie schon über 100 Jahre zu kennen. Die Zeiten, in denen sie lebten, waren wahrhaftig die dunkelsten unserer Geschichte. Sie lebten im wahrsten Sinne des Wortes in ‚Hell-Joseon‘, einer Hölle namens Joseon. Aber diese Frauen waren mutig genug, das Schicksal herauszufordern und ein dramatisches Leben zu führen. Heutzutage sind wir frustriert über Gehälter und Beförderungen, aber diese Frauen haben sich nicht mit solchen Banalitäten befasst. Sie haben sich kaum um ihr eigenes Leben gesorgt, sondern sich einsam und allein der Geschichte entgegengestellt.“ Beim Verlassen der Ausstellungshalle klangen die letzten Wörter in mir nach: „[...] sich einsam und allein der Geschichte entgegengestellt.“ Vielleicht waren alle Neuen Frauen in der Ausstellung so. Wie weit sind wir gekommen? Ich verneige mich vor unseren Müttern und Großmüttern, die auf Kosten ihres eigenen Lebens nach einer utopischen Welt suchten. Vielleicht ist die Neue Frau noch nicht im wahren Sinne angekommen.

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VERLIEBT IN KOREA

KULTURSCHOCK durch Gewöhnlichkeit

Die meisten koreanischen Besucher von Ingo Baumgartens Ausstellungen dürften sich unwillkürlich fragen, um was es bei seinen Gemälden eigentlich geht. Aber dann verlassen sie die Ausstellung nicht nur mit Erinnerungen an längst vergessene Anblicke, sondern auch mit einem neuen Bewusstsein dafür, dass alte, vertraute Szenen amüsant und erfrischend sein können. Choi Sung-jin ı Chefredakteur, Korea Biomedical Review Fotos ı Ahn Hong-beom

Ingo Baumgarten betrachtet Architektur als ein kulturelles Produkt, das die lokale Geschichte und humanistische Merkmale in sich birgt. Er bringt sein Interesse an den „westlichen“ Häusern der koreanischen Mittelschicht, die in den Zeiten von Industrialisierung und schnellem Wirtschaftswachstum von den 1970er bis in die 1990er Jahre gebaut wurden, auf die Leinwand.

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uf den ersten Blick scheint Ingo Baumgarten nicht gerade begeistert vom Leben in Korea zu sein. Der deutsche Maler und Professor hat kaum Kontakt zu den Leuten, seien es Koreaner oder Expats. Diese Gleichgültigkeit mag noch aus der Zeit stammen, als er 1993 als Kunststudent zum ersten Mal nach Korea kam, um sich die Daejeon Expo anzusehen. Er war unbeeindruckt. „Die meisten Gebäude waren neu, glänzend und groß. Ihre Ausmaße und Uniformität erinnerten mich an osteuropäische Länder wie z.B. Ungarn“, sagt er. „Genau so seltsam muteten die zahlreichen in Korea produzierten Autos an. Auf den Straßen waren nur wenige ausländische Modelle zu sehen.“ Baumgartens Empfinden änderte sich, nachdem er eine Koreanerin geheiratet, an einer Universität zu unterrichten begonnen und sich 2008 in Seoul niedergelassen hatte. Der Nichtraucher, der nur selten ein Glas trinkt, lebt weiterhin zurückgezogen und widmet den größten Teil seiner Freizeit Frau und Sohn. Aber jetzt gibt es vieles, was er an Korea mag, angefangen von der Natur bishin zum Essen. Er lobt die Infrastruktur in Seoul als „äußerst gut“ und findet sein Leben hier „recht bequem, trotz der Menschenmassen“. Und trotz der ständig präsenten Bedrohung durch einen Krieg mit Nordkorea fühlt er sich ziemlich sicher, weil es im Vergleich zu einigen europäischen Staaten oder den USA wenig Kriminalität und Gewalt gibt. Berufliche Sicherheit, öffentliche Sicherheit, persönlicher Komfort und Annehmlichkeit dürften entscheidende Faktoren bei der Entscheidung, wo man sich niederlassen soll, sein. Aber es braucht schon mehr als Zufriedenheit mit Bezug auf diese Aspekte, um einen ernsthaften Künstler und Kunsttheoretiker wie Baumgarten für über ein Jahrzehnt in Korea zu halten. Für ihn spielen die kulturellen und historischen Besonderheiten des Landes eine entscheidende Rolle. Baumgarten lebt in der Nähe der Hongik Universität, wo er als Professor für Malerei tätig ist. Das Gebiet um die Universität wird nach der koreanischen Abkürzung für die Hochschule „Hongdae“ genannt. Nicht nur bei jungen Koreanern, sondern auch bei Ausländern gilt es als Vergnügungsviertel. Was den ruhigen, leise sprechenden und nachdenklichen Maler in dem Viertel hält, sind nicht die touristischen Hotspots oder die Menschenmassen, die die Gegend bevölkern. Sein Interesse als Künstler stimuliert etwas, auf das die meisten nie kommen würden: Es sind die „Yangok“, ein- oder zweistöckige Wohnhäuser im westlichen Stil, die meist zwischen den 1970er und 1990er Jahren gebaut wurden. Mit drei bis fünf Schlafzimmern stehen die Yangok für das Selbstvertrauen und den Optimismus, der koreanischen Mittelschichtfamilien in den Zeiten des Wirtschaftswachstums nach dem Koreakrieg eigen war. Heute sind sie archaische Erinnerungen an diese Zeit. Die Yangok, die sich meist in alten, manchmal etwas heruntergekommenen Wohn-

vierteln in Stadtbezirken wie Mapo-gu im westlichen Seoul finden, stehen nicht nur in scharfem Kontrast zu den traditionellen Hanok-Häusern, sondern auch zu den reicheren Gegenden der Hauptstadt und den Luxusapartments im vornehmen Bezirk Gangnam-gu. Warum die Yangok? Baumgarten hat mehr als nur ein paar Gründe für seine Fixierung auf Yangok. Seine Begründung fußt v.a. auf dem Grundprinzip seines künstlerischen Strebens: Material im Panorama seiner alltäglichen Routine zu entdecken. Er streift durch seine Nachbarschaft in Seogyo-dong sowie das nahe Hapjeong-dong und Sangsu-dong und betrachtet die Dandok jutaek, die frei stehenden Einfamilienhäuser, die sich von den Wohnhochhäusern, die das Bild koreanischer Städte bestimmen, unterscheiden. Trifft er auf ästhetisch inspirierende Baustrukturen– nicht nur Häuser, sondern auch Brücken, Schulen oder U-Bahnstationen – fotografiert oder zeichnet er sie, um sie später für seine Gemälde zu nutzen. Ein weiterer Grund, den er anführt, klingt etwas ironisch. Die meisten Koreaner betrachten Yangok als westlich. In Baumgartens Augen könnten sie aber kaum koreanischer sein. „Die Erbauer und Hauseigentümer wollten offensichtlich amerikanische Elemente wie Terrassen und Gärten einführen“, sagt er. „Aber die meisten Yangok bewahren traditionelle koreanische Baustilelemente wie z.B. geschwungene Linien und eine starke Betonung des Haupteingangstors.” Diese Mischung führt in den meisten Fällen dazu, dass der Bau letztendlich eine Mischung beider Stile ist oder aber keinen von beiden widerspiegelt. Während viele koreanische Kritiker die Häuser im letzteren Sinne als stillos beurteilen, ist Baumgarten anderer Meinung. Tatsächlich wird den Koreanern oft vorgeworfen, dass sie aus Ignoranz ihre eigenen Kulturgüter vernachlässigen und alles Ausländische bewundern. Für Baumgarten sind die Yangok nur ein weiteres Beispiel für eine solch unangebrachte Bewunderung. Visuelle Anthropologie Baumgartens Lieblingsthematik liegen aber über reine Ästhetik hinaus noch andere – und tiefgründigere – Sachverhalte zugrunde. Das einzige Kernkonzept, auf dem seine jahrzehntelange Karriere fußt – er hat in Deutschland, Frankreich und Großbritannien studiert und gearbeitet und danach in Japan, Taiwan und Korea – ist „VisuelleAnthropologie“, die er als „die Erforschung von Alltagsleben, Kultur und Gesellschaft durch teilnehmende Beobachtung und ihre Transformation in Bilder und Kunstwerke“ definiert. Während seiner Studien und Arbeiten in den letzten rund 30 Jahren war Baumgarten stets um Relevanz bemüht, indem er

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„Wenn meine Gemälde, die solche Gebäude darstellen, bei koreanischen Betrachtern Erinnerungen wachrufen, oder wenn sie auch nur kleine Änderungen ihrer Meinung über solche Häuser bewirken, dann bin ich schon zufrieden.“

1. Ohne Titel (schwefelgelber Balkon; Seogyo-dong, Seoul) 20122013, Öl auf Leinwand, 100 x 120cm. © Ingo Baumgarten

2. Ohne Titel (Giebel eines Einfamilienhauses, Tür; Seogyo-dong, Seoul) 2011, Öl auf Leinwand, 80 x 100cm. © Ingo Baumgarten

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seine Arbeit in Verbindung mit Gesellschaft und Realität brachte. „Während die Anthropologie alles im Zusammenhang mit dem Menschen Stehende erforscht, fokussiert die Visuelle Anthropologie auf Artefakte und visuell wahrnehmbare Auswirkungen menschlichen Verhaltens“, fügt er hinzu. Er betont, dass er die Motive seiner Gemälde mit einer gewissen „ambivalenten Distanz“ betrachtet und analysiert, wie ein Passant, der nicht involviert ist, und so versucht, urteilsfrei zu beschreiben und zu präsentieren. Aber er erkennt auch, dass das nicht hundertprozentig möglich ist. „Ich bin mir wohl bewusst, dass völlige Objektivität eine Illusion ist, weshalb ich auch nicht versuche, meine Vorliebe für Yangok-Architektur zu verstecken. Aber ich möchte auch nicht, dass meine Bilder wie Hilfeschreie oder Petitionen zur Rettung und Erhaltung der Yangok wirken“, erklärt er. „Aber wenn meine Gemälde, die diese Gebäude oder Gebäudedetails darstellen, unter den koreanischen Betrachtern einige Erinnerungen wecken, oder wenn sie ihre Meinung über solche Häuser auch nur etwas zu ändern vermögen, dann bin ich schon zufrieden.“ Baumgarten hat Erfahrung mit unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen und versucht jetzt, die soziokulturellen Qualitäten, die diesen Privathäusern und ihren architektonischen Konzepten inhärent sind, zu verstehen. Für ihn ist ein Stadtgebäude nicht nur eine bauliche Struktur, es repräsentiert vielmehr ein Individuum, eine Gruppe und eine Kultur. Ein Haus ist weit mehr als nur ein Raum zum Wohnen. Es definiert Lebensstil und Werte seiner Bewohner. Drei fehlende Elemente Wie Besucher seiner Ausstellung feststellen werden, fehlen in Baumgartens Gemälden drei Elemente: Titel, Menschen und (explizite) Botschaften. „Ich stelle nicht gerne Menschen dar, weil sie sofort die ganze Leinwand dominieren, erklärt Baumgarten. „Wenn ich menschliche Gestalten hinzufüge, helfe ich dem Betrachter nicht, das Stück Realität, das ich darstelle, nachzuempfinden, sondern das Hauptaugenmerk wird dann auf die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung gelegt.“ Er fügt hinzu: „Meine Werke sollen keinen explizit erzieherischen oder lehrreichen Charakter haben. Vielmehr möchte ich ein bestimmtes Maß an Ambivalenz bewahren, um den Betrachtern Raum für unterschiedliche Meinungen oder Interpretationen zu lassen.“ Seine Bilder sind stilistisch gesehen weder abstrakt noch figurativ in der Darstellung. Er schlägt vor, sie im Sinne der zeitgenössischen westlichen Kunsttheorie als „Widerstandskunst“ zu klassifizieren. „Um etwas Neues zu schaffen, muss man sich weigern, sich Konventionen oder Traditionen anzupassen“, so sein Anspruch. „Ich wollte keine netten Bilder mit konventionellen Themen wie Stillleben, Landschaften oder Porträts malen, um konserva-

tive Erwartungen zu erfüllen. Ich wollte mich aber auch nicht blindlings Avantgarde-Bewegungen anschließen, die der Malerei den Rücken gekehrt haben. Vielmehr habe ich versucht, auf Basis meiner persönlichen und originären Interessen einen Standpunkt fernab von diesen Strömungen einzunehmen.“ Baumgarten schloss ein B.F.A.-Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe ab und erwarb seinen Masterabschluss in Kunst an der Tokyo University of the Arts. Danach studierte er in Frankreich und Großbritannien weiter. Die Studenten in seinem Kurs Ähnlichkeiten und Unterschiede lernen, eigenständig Ideen zu entwickeln. „Ich versuche, meinen Studenten die kulturellen Wurzeln und das philosophische Gedankengut Europas näherzubringen“, sagt Baumgarten. „Koreanische Studenten verfügen über einiges künstlerisches Talent und Geschick, aber manchmal scheinen sie nicht recht zu wissen, was sie eigentlich zum Ausdruck bringen wollen.“ „Mich interessiert, aus der Perspektive eines Europäers zu analysieren und verstehen zu lernen, wie Korea die westliche Kultur und Industriebereiche aufgenommen hat und wie sie in Koreas Kultur und Lebensstil zum Ausdruck gebracht wurden“, erklärt Baumgarten. Z.B. sieht er große Unterschiede in der Art und Weise, wie Deutschland und Korea mit Architektur umgehen. „In Deutschland werden nicht so viele neue Häuser gebaut, und schon gar keine Gebäude, die nicht mit der Umgebung harmonieren. Allein in meiner Nachbarschaft wurden in weniger als zehn Jahren mehrere Häuser abgerissen und neu gebaut. Und viele vergleichsweise neue Wohnhäuser, darunter auch Yangok, wurden im Zuge der Gentrifizierung umgebaut.“ Ein kurzlebiger urbaner Hausstil Das mag Baumgartens enthusiastisches Festhalten an einem in den Augen vieler Koreaner vorübergehenden urbanen Hausstil erklären. Es erklärt auch, warum Koreaner eine Art „Kulturschock“ erleben, wenn sie sehen, dass ein ausländischer Künstler neues Leben in Szenen aus ihrer nur allzu vertrauten Umgebung haucht. Es würde nicht überraschen, wenn sie ihm dankbar dafür wären, dass er Szenen festgehalten hat, die wenige koreanische Künstler in einem solch einzigartigen und charmanten Stil dargestellt haben. „In meinen Gemälden, mögen sie nun Gebäude darstellen oder nicht, versuche ich, die realen Strömungen der zeitgenössischen Stadt zu betrachten“, sagt Baumgarten. „So wie die Stadt selbst sich entwickelt, so entwickeln sich auch meine Motive, die hoffentlich das Leben in der Stadt mit all seinen Kontrasten, seinen Ausgewogenheiten und Kombinationen widerspiegelt.“ Auf diese Weise scheint Baumgarten das Land, in dem er jetzt lebt, zu lieben. Und die Koreaner müssen sich vielleicht früher oder später für einen weiteren Kulturschock rüsten.

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NEUERSCHEINUNG

Charles La Shure ı Professor, Abteilung für koreanische Sprache und Literatur, Seoul National University

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Durch das Objektiv eines Fotografen: Kiefernbäume sprechen Bände Pine Trees in Korea: Aesthetics and Symbolism Suh Jae-sik, 160 Seiten, Seoul, Hollym, 2017. $69.50

Pine Trees in Korea: Aesthetics and Symbolism von dem preisgekrönten Dokumentarfotografen Suh Jae-sik wirft einen liebevollen Blick auf die überall in der koreanischen Landschaft zu findenden Kiefernbäume. Aber Kiefern haben im Leben der Koreaner einen weit höheren Stellenwert als nur Teil der Landschaft zu sein. In seinem Buch bietet Suh zwei Wege zu einer vertieften Wertschätzung der Bäume an. Zunächst kann der Leser quasi gemächlich durch einen Wald von atemberaubenden Fotos wandeln, durch eine Sammlung von stimmungsvollen und z.T. ehrfurchtsgebietenden Farbaufnahmen von Kiefern in ihrem Habitat: verkrümmte Kiefern, die sich vor dem Nachthimmel abheben; Sonnenstrahlen, die schräg durch einen in Nebelschwaden getauchten Kiefernwald fallen; sich unter schweren Schneedecken biegende, aber nicht geknickte Kiefern; einzelne Kiefern, die wie Wächter auf Granitgipfeln und Klippen stehen; zwei Kiefern, die sich inmitten eines Meers aus goldenem Korn aneinander schmiegen. Einige Fotos sind mit Legenden versehen, die die Bedeutung eines bestimmten Baumes oder Ortes erklären, aber die meisten sollen für sich selbst sprechen. Es gibt aber noch eine zweite Methode, dieses Buch zu lesen. An den Rändern vieler Seiten befinden sich kleine Fotos mit Erklärungen eines bestimmten Aspekts der koreanischen Kultur und die Rolle, die Kiefernbäume in Bezug darauf spielen. Der Leser kann in diese Nebenbemerkungen eintauchen, um ein tieferes Verständnis der Bedeutung der Bäume zu erhalten. Ganz offensichtlich spielen Kiefern eine wichtige Rolle in der koreanischen Architektur, da sie das Hauptbaumaterial liefern, sei es für das Gebäude-Grundgerüst und andere Strukturen bis hin zu den kleinsten Ausstattungen und Dekorationen. Kiefern spielen auch in der koreanischen Küche eine Rolle: für die beliebten Songpyeon (auf einem Kiefernnadelbett gedämpfte Reiskuchen) und Dasik (Kiefernpollen-Gebäck) liefert die Kiefer die Zutaten, während Matsutake-Pilze (Kiefernpilze) in einer symbiotischen Beziehung mit den Wurzeln des Kiefernbaums leben. Abgesehen von ihrem praktischen Nutzen sind Kiefernbäume stark symbolbeladen. So ist die Kiefer als eins der zehn Symbole der Langlebigkeit ein häufiges Motiv in Malerei, Töpferei und anderen Künsten. Aus Kiefernstämmen werden Jangseung (Pfosten mit menschlichem Gesicht) und Sotdae (langer Pfosten mit einer Gans an der Spitze) geschnitzt, die an Dorfeingängen stehen und über das Wohlergehen der Bewohner wachen. Oft wird auch eine lebende Kiefer als solche als Wächtergeist betrachtet oder fungiert als Schrein. Am faszinierendsten ist aber wohl, dass die Kiefernbäume fast wie menschliche Wesen behandelt wurden: Einem wurde von einem vorbeireisenden König der Rang eines Ministers verliehen, ein anderer wurde von einem Junggesellen zum Erben bestimmt und bezahlt bis heute Vermögenssteuer. Es gibt sogar buddhistische Rituale, in denen für die Geister toter Kiefern gebetet wird. An einer Stelle erörtert der Autor ausführlich, wie sehr Kiefern Menschen ähneln. Aber das könnte auch auf andere Art verstanden werden: Ist nicht unsere Bereitschaft, unser Abbild in der Kiefer zu sehen, ein Zeichen dafür, wie eng wir uns ihr verbunden fühlen? Indem Suh mit einem Kommentar zu den buddhistischen Ritualen abschließt, macht er deutlich, dass er mehr will als dem Leser die Schönheit der Bäume näher zu bringen: Er will in uns Liebe und Respekt für sie erwecken – und Liebe und Respekt für die Umwelt, die wir teilen.


Schätze aus der reichen Truhe der koreanischen Literatur Korean Contemporary Short Stories – Selected from KOREANA Magazine Ediert von Kim Hwa-young, 311 Seiten, Seoul, Korea Foundation, 2017. $ 10.00

Korean Contemporary Short Stories ist eine Sammlung von zwölf koreanischen Kurzgeschichten, die von 1994 bis 2016 in der englischsprachigen Ausgabe von Koreana erschienen sind. Kurzgeschichten eignen sich für ein Zeitschriftenformat besser als Romane oder Novellen. Wie Editor Kim Hwa-young hervorhebt, hat die Kurzgeschichte in den letzten hundert Jahren eine wichtige Rolle in der koreanischen Literatur gespielt. Und im Unterschied zum Westen kommt der Kurzgeschichte auch heute noch ein wichtiger Stellenwert in der koreanischen Literatur zu. „Kurzgeschichte“ heißt auf Koreanisch „Soseol“: „Kleine Geschichte“. Im Gegensatz zum Deutschen unterscheidet man im Koreanischen nicht durch unterschiedliche Begriffe zwischen Kurzgeschichten, Novellen und Romanen, sondern durch Modifizierung des Grundausdrucks „Soseol“. Verwendet man die wohl passendere Bezeichnung „Fiktion“, ergäbe

das im Koreanischen entsprechend „Kurze Fiktion“, „Mittellange Fiktion“ und „Lange Fiktion“. Auch diese Bezeichnungen geben Aufschluss über die Gleichwertigkeit der Kurzgeschichte im Vergleich zu den längeren Erzählformen in der koreanischen Literatur. Die ausgewählten Kurzgeschichten stammen meist aus diesem Jahrhundert, drei aus den 1980er Jahren. Sie repräsentieren zwölf unterschiedliche Autoren, darunter einige, deren Namen denjenigen, die mit koreanischer Literatur vertraut sind, bekannt sein dürften. Andere Schriftsteller könnten weniger bekannt sein, aber wert, einmal gelesen zu werden. Die Werke unterscheiden sich zwar hinsichtlich Thema, Ton und Stil, aber alle befassen sich mit Themen und Emotionen, die jedem Leser gut bekannt sind. Es sind die besten Kurzfiktion-Werke unter den in den letzten zwei Jahrzehnten in Koreana veröffentlichten Erzählungen, Schätze aus dem vollen „Speicher“ der koreanischen Literatur.

Gayageum Orchester präsentiert evokative Fusion-Musik Nostalgia

Sookmyung Gayageum Orchester, MP3 Album, Seoul, LOEN Entertainment, 2017. $9.49

Nostalgia ist das neunte Album des 1999 gegründeten Sookmyung Gayageum Orchester, des ersten Gayageum-Orchesters der Welt. Das Orchesnostalgia: ter gibt jährlich über 100 Konzerte und strebt danach, die Reichweite der Gayageum-Musik durch die Kombination von koreanischen und westlichen Melodien sowie Instrumenten auszuweiten. Das Gayageum ist ein bekanntes Instrument, dessen Name darauf zurückgehen soll, dass es im 6. Jh von einem Herrscher der Gaya-Stammeskonföderation nach dem Vorbild eines chinesischen Instruments entwickelt wurde. Bei diesem Instrument, das bis heute ein fester Bestandteil der koreanischen Musik geblieben ist, handelt es sich um eine 12-saitige, mit den Fingern gezupfte Wölbbrettzither. Das Gayageum, das den wichtigsten Teil des Orchesters ausmacht, wird manchmal von anderen koreanischen oder westlichen Streich- oder Blasinstrumenten begleitet. Als Streichinstrumente sind die zweisai-

tige, langhalsige Fidel Haegeum zu nennen, die mit einem Pferdehaarbogen gespielt wird, sowie die Viola. Blasinstrumente sind die sechslöchrige Bambusflöte Daegeum und die Oboe. Dem Album-Titel entsprechend wird eine Mischung beliebter koreanischer und westlicher Melodien geboten. Die beiden Versionen von Scarborough Fair (eine mit Daegeum-Begleitung, die andere mit Haegeum) könnten quasi als Lehrbuch-Definition von „Nostalgie“ gelten, ebenso wie My Way und Going Home aus Dvořáks Aus der neuen Welt. Die koreanischen Stücke werden dem internationalem Publikum weniger vertraut sein, wirken aber trotzdem beschwörend und bewegend. Insbesondere Sanjo, das längste Stück, ist eine beeindruckende und energetische Neubearbeitung einer traditionellen koreanischen Melodie für die moderne Bühne. Nostalgia, Fusion-Musik im wahrsten Sinne des Wortes, weist neue Wege auf, traditionelle koreanische Musik besser zu verstehen.

鄕愁

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UNTERHALTUNG

verliehen ihr zudem den Titel „Schauspielerin des Jahres“. Der 77-jährigen Schauspielerin, die seit ihrem Debüt vor 57 Jahren in Filmen und TV-Serien meist in Nebenrollen zu sehen war, zollte die koreanische Filmindustrie jetzt für ihre Hauptrolle in I Can Speak einstimmig Anerkennung. Das spiegelt nicht nur die Würdigung ihrer herausragenden Leistung wider, sondern auch die Würdigung des Films an sich.

I Can Speak

Nach 60 Jahren: Endlich kann sie sprechen Kann ein Film mit einem ernsten Thema wie der Sexsklaverei im Krieg ein Kassenschlager werden? Viele hatten Zweifel, bevor 2017 Kim Hyun-seoks I Can Speak ins Kino kam. Mit 3,3 Mio. Besuchern war der Film relativ erfolgreich und erhielt großes Lob von Presse und Filmkritikern.

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Song Hyeong-guk ı Filmkritiker

nde 2017 besaß Na Moonhee die meisten bedeutenden Auszeichnungen, die eine koreanische Schauspielerin innerhalb eines Jahres in der Filmbranche erhalten kann: den Blue Dragon Award für die beste Hauptdarstellerin, den Preis des Koreanischen Filmkritiker-Verbandes für die beste Hauptdarstellerin, den von der

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koreanischen Filmproduzentenvereinigung verliehenen Director’s Cut Award für die beste Schauspielerin, den Preis des Verbandes Koreanischer Filmproduzenten für die beste Hauptdarstellerin, den Sonderpreis von Amnesty International und die Auszeichnung als Frau der Filmbranche des Jahres. 26 Journalisten und Kritiker der Filmmagazins Cine 21

Pumasi-Tradition 2007 verabschiedete das US-Repräsentantenhaus Resolution HR 121 zur vom japanischen Militär während der Kolonialund Kriegszeit begangenen sexuellen Versklavung junger Frauen. Die japanische Regierung wurde aufgefordert, den Tatbestand anzuerkennen, sich zu entschuldigen und klar und unzweideutig ihre historische Verantwortung zu übernehmen. I Can Speak basiert auf der wahren Geschichte von Lee Yong-su, einem der Opfer, das im Vorfeld der Abstimmung über die Resolution aussagte. Von den frühen 1930er Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden junge Frauen und Mädchen in den japanisch besetzten Gebieten wie Korea, China, den Philippinen von den japanischen Streitkräften zwangsangeworben, verschleppt, gekauft oder durch falsche Versprechungen als „Trostfrauen“ – so die euphemistische japanische Bezeichnung – in die Prostitution gelockt. Von den rund 200.000 Opfern, die in die in ganz Japan und den besetzten Gebieten eingerichteten „Trosthäuser“ (Militärbordelle) gebracht wurden, waren die meisten Koreanerinnen, darunter junge Mädchen, die kaum das Teenageralter erreicht hatten. Ende Januar 2018 waren von den in Korea registrierten Trostfrauen nur noch 31 am Leben. Bis heute warten die Opfer darauf, dass die japanische Regierung das an ihnen begangene Kriegsverbrechen eingesteht und sich offiziell dafür entschuldigt.


I Can Speak basiert auf einem Drehbuch, das in einem 2014 von der CJ Culture Foundation und dem Ministerium für Gleichberechtigung der Geschlechter und Familie durchgeführten Wettbewerb preisgekrönt wurde. Casting und Produktion erwiesen sich als schwierig, da Jungstars aus Angst vor Negativreaktionen ihrer japanischen Fans die Hauptrollen ablehnten. Mit den Dreharbeiten konnte erst Anfang 2017 begonnen werden, als sich der Schauspieler Lee Je-hoon dem Cast anschloss. Na Moon-hee spielt die Rolle von Na Ok-boon, einer älteren Frau, die in 20 Jahren über 8.000 Beschwerden beim Bezirksamt einreicht. Sie reichen von defekten Sicherheitsleuchten bis zur Sanierung von Geschäftsvierteln. Daher wird sie von den Bezirksbeamten als „Kobold-Oma“ bezeichnet und auch die Nachbarn reden über „die komische Alte“. Lee Je-hoon spielt die Rolle von Park Min-jae, einem jungen Beamten, der Nas Beschwerden entgegennimmt. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft, die den großen Altersabstand überbrückt. Oma Na löchert Park mit der Bitte, ihr Englisch beizubringen. Park lehnt zunächst ab und meidet Na, gibt aber später unter der Bedingung nach, dass sie das Abendessen für seinen jüngeren Bruder kocht. Als die koreanische Gesellschaft noch auf der Landwirtschaft basierte, entwickelte sich eine als „Pumasi“ bekannte Tradition. „Pum“ meint die zur Ausführung einer bestimmten Arbeit nötige Kraft, sprich „Arbeitskraft“. „Asi“ bedeutet, dass jemand mit Blick auf spätere Wiedergutmachung einem anderen hilft. Pumasi kam in allen möglichen Bereichen zum Einsatz, sei es Landwirtschaft, Hausarbeit oder Kinderbetreuung. Dieses weltweit in unterschiedlicher Art entwickelte System der Nachbarschaftshilfe fungierte als solide Grundlage, die das jeweilige Gemeinwesen zusammenschmiedete. In I Can

Speak wird die Pumasi-Tradition in einer der modernen Zeit entsprechenden Form durch die Zusammenarbeit zwischen Na und Park wiederbelebt. Wissen, verstehen, bereuen Wenn die Kooperation zwischen den beiden Hauptdarstellern eine Art Pumasi ist, kann die Empathie unter den Markthändlern als „Dure“ interpretiert werden. Dure meint Pumasi-Nachbarschaftshilfe auf Ebene eines größeren Gemeinwesens. In diesem Sinne sind die Markthändler die dritten Hauptfiguren des Films. Die schwesterliche Beziehung, die Na Ok-boon, die eine Änderungsschneiderei betreibt, zu den anderen Markthändlerinnen unterhält, verleiht dem Film weitere Tiefe. Dabei ist zu beachten, dass die Identität von Na als Trostfrauenopfer bis zur Hälfte des Films nicht aufgedeckt wird. Bis dahin konzentriert sich der Film auf Details im Alltagsleben der alten Frau, der Bezirksbeamten und Händler. Die Art von Großmutter Na, die ihre Nase in alle Angelegenheiten steckt, ist anderen Leuten nicht geheuer. Als jedoch Nas Vergangenheit und die Gründe für ihren Wunsch, Englisch zu lernen, bekannt werden, bereuen alle ihr Verhalten. Es tut ihnen leid, dass sie Na missverstanden haben und gehässig zu ihr waren. Der Film wirft mehrere große Fragen auf: Wie viel Missverständnis kann sich in einer komplexen modernen Gesellschaft aus Unwissenheit ergeben? Wie schnell urteilen wir über andere, die wir kaum kennen? Wie leicht verbreitet sich im Internet Hass gegenüber Menschen, die man nicht kennt? Der Film rührt an das Mitgefühl der Zuschauer, indem er das in der Geschichte noch ungelöste Problem der Trostfrauen mit universellen Problemen der zeitgenössischen Gesellschaft verbindet. „Filmische Erlösung“ Das Bedauern vieler Filmfiguren kommt

in Form von Entschuldigungen zum Ausdruck. Der Beamte Park, die Markthändler, Ok-boons jüngerer Bruder, der versucht, die Vergangenheit seiner Schwester aus dem Gedächtnis zu streichen, US-Kongressabgeordnete: Sie alle bringen ihre aufrichtige Entschuldigung zum Ausdruck. Jedoch sollte eine Entschuldigung zuallererst vom Herkunftsland der Täter kommen, das den Überlebenden ein Eingeständnis ihrer Taten und rechtliche Kompensation schuldet. Bei der Kongressanhörung spricht Na für alle Trostfrauen die japanische Regierung an: „Es tut uns leid. Ist dieser Satz so schwer?“ Das eigentliche Hindernis beim Aussprechen dieses Satzes war aber, sich selbst dazu zu bringen, ihre schrecklichen Erinnerungen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Es dauerte 60 Jahre, bis Na endlich sagen konnte: „Ja, jetzt kann ich es sagen.“ Shim Jae-myung, Produzent von Yes, I can speak, schrieb in einem Beitrag für das Monatsmagazin GQ: „Ich bin stolz darauf, dass der Film nicht nur Gewalt und Schmerz aus der filmischen Perspektive ausstellt, sondern eine unabhängige Frau beschreibt, die für sich selbst steht und Veränderungen vornimmt.“ Die Kernbotschaft ist also nicht, dass ein Dritter für einen spricht, sondern dass man selbst seine Stimme erhebt. Will sagen, Wunden dürfen nicht begraben oder vergessen werden, man muss sie öffnen und um Empathie werben. Von Frauen im Nahen Osten bis hin zu Hollywood-Prominenten sind viele Frauen gezwungen, zu schweigen, nur weil sie Frauen sind. I Can Speak deutet offensichtlich darauf hin, dass es wichtig ist, wie Großmutter Na das Schweigen zu brechen, die Unwissenden zu informieren und um Unterstützung derjenigen zu werben, die sich in andere einfühlen können. Nur so können wir vor dem im Schweigen eingeschlossenen Schmerz gerettet werden.

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RUND UM ZUTATEN

Kartoffelgeschichten Mit ihrem hohen Nährstoffwert und ihrem Artenreichtum ist die Kartoffel nicht nur ein ausgezeichneter Ersatz für Reis, das Hauptnahrungsmittel der koreanischen Küche, sondern auch eine großartige Beilage oder Zwischenmahlzeit. Wie hat sich die Kartoffel von ihrer südamerikanischen Heimat über Europa und China und im 19. Jh. bis nach Korea ausgebreitet? Dem wollen wir durch Betrachtung ihrer Geschichte und Bedeutung nachspüren. Jeong Jae-hoon ı Apotheker und Gastronomiekritiker

Frauen beim Ausgraben von Kartoffeln in einem Feld in Taebaek, Provinz Gangwon-do. Diese größtenteils bergige Provinz ist das Hauptanbaugebiet für Kartoffeln in Korea. Erntezeit ist von Ende Juni bis Ende August. © TOPIC

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G

rob und klobig, die Körperproportionen falsch, die Szene wirkt fast cartoonhaft. Gemeint ist Vincent van Goghs Ölgemälde Die Kartoffelesser. Zwar wurde dieses Werk anfangs wenig beachtet und sogar von seinem Freund Anthon von Rappard kritisiert, aber van Gogh selbst, der Jean-François Millet folgend das einfache Leben armer Bauern zu einem Hauptthema seines Schaffens machte, betrachtete dieses Gemälde als sein erstes ehrgeiziges Werk. In gewisser Hinsicht sind Weizen, Reis und Gerste trügerisch. Wenn die Samen in die Erde gesät werden, hängen die Körner später an Stielen hoch über dem Boden. In der Erntezeit verschwindet der Boden, der sie genährt hat, in einem Meer goldener, hin und her wogender Ähren. Im Gegensatz dazu ist die Kartoffel ehrlich. Sie wird in die Erde gesetzt und aus der Erde gegraben. Die Bauern, die im schwachen Licht einer Lampe Kartoffeln essen, sind daher quasi Abbild der Realität. Ihre Fingerknöchel sind dick vom Umgraben der Erde und ihre Gesichter dunkelbraun wie ungeschälte Kartoffeln. Sie verdienen es, die dampfenden Kartoffeln zu essen, die immer noch nach Erde riechen. Die Bauern in van Goghs Gemälde strahlen zwar Würde und Zufriedenheit aus, aber als die Kartoffel im 16. Jh. aus den südamerikanischen Anden nach Europa kam, wurde sie von den Bauern nicht freudig als Nahrungsmittel angenommen. Wie van Goghs Werk, das heute als eins seiner Meisterwerke gilt, dauerte es geraume Zeit, bis die Kartoffel sich weit verbreitet hatte und geliebt wurde. Verbreitet bei Hungersnot Die Kartoffel ist ein hochwertiges Nahrungsmittel. Neben reichlich Kohlenhydraten liefert sie zahlreiche Mineralstoffe wie Kalium, Magnesium und Mangan sowie Nähr- und Ballaststoffe wie Folsäure, Vitamin B1 und B6. Als Grund-

nahrungsmittel verzehrt, enthält sie – wenn auch weniger als verschiedene Obstsorten – hinreichend Vitamin C, um Skorbut vorzubeugen. Obwohl die Vitamine erst viel später entdeckt wurden, kannten Regierungen und Wissenschaftler im Europa des 18. Jhs bereits den Nährwert der Kartoffel. Preußenkönig Friedrich II, bekannt als „Kartoffelkönig“, und der französische Pharmazeut Antoine Augustin Parmentier, der die Kartoffel in Frankreich eifrig verbreitete, waren große Kartoffelliebhaber, die stark zum Durchbruch der Kartoffel als Grundnahrungsmittel beigetragen haben. Jedoch die Bauern, für die die Kartoffeln eigentlich gedacht waren, begegneten dem neuen Nahrungsmittel zunächst mit Skepsis und lehnten den Verzehr ab. Wegen Gerüchten, dass Kartoffeln Krankheiten wie Tuberkulose, Lepra und Cholera verursachen sollen, weigerten sich einige sogar, sie zu berühren. Dass man aus Kartoffeln kein Brot backen konnte, war ebenfalls ein Grund für die ablehnende Haltung. Es kostete viel Zeit und Mühe, bis die Bauern in Europa den Wert der Kartoffel erkannten und sie als wichtige Nutzpflanze akzeptierten. Als Europa dann von einer Hungersnot heimgesucht wurde, löste sich das Problem von alleine und der Kartoffelanbau verbreitete sich mit rasanter Geschwindigkeit. Auf der koreanischen Halbinsel wurde die Kartoffel Anfang des 19. Jhs eingeführt. Chinesen, die in Korea nach wildem Bergginseng suchten, sollen Kartoffeln mitgebracht und sie in koreanische Erde gesetzt haben. Es war um etwa diese Zeit, dass der französische Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin seinen berühmten Aphorismus „Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist“ von sich gab. Diese Aussage besaß zu seiner Zeit Überzeugungskraft, denn damals gab es große Unterschiede zwischen den Nahrungsmitteln der armen Bauern der Unterschicht und der rei-

chen Oberschicht. Welche Nahrungsmittel jemand essen konnte, wurde durch gesellschaftliche Stellung und Schichtzugehörigkeit bestimmt. Die Esskultur eines Landes lässt sich jedoch besser verstehen, indem man nicht nur fragt, WAS gegessen wird, sondern WIE es gegessen wird. Obwohl Europäer und Koreaner die Kartoffel letztendlich angenommen haben, essen sie sie auf völlig unterschiedliche Weise zubereitet. Auf Reis basierender Verbrauch Während die Europäer in der Vergangenheit versuchten, aus Kartoffeln Brot, eines ihrer Grundnahrungsmittel, herzustellen, werden Kartoffeln im modernen Korea auf eine von zwei Arten verzehrt: entweder als Ersatz für das Hauptnahrungsmittel Reis oder als Beilage zu Reis. In Zeiten von Getreideknappheit waren gedämpfte oder gekochte Kartoffeln ein Ersatz für Reis. Besonders in der Provinz Gangwon-do, wo der Reisanbau wegen der ungünstigen topographischen Bedingungen schwierig ist, wurden Kartoffeln in großen Mengen angebaut und verzehrt. Wer heute durch die Region reist, trifft daher häufig auf spezielle lokale Kartoffelgerichte wie Ongsimi (Kartoffelklößchen) und Gamja-Ddeok (Kartoffelkuchen). Jedoch werden heutzutage Kartoffeln, „Gamja“ auf Koreanisch, häufiger zur Zubereitung von Beilagen zum Reis verwendet. Gerichte wie Gamja-Jorim (mundgerechte Kartoffelstücke, zusammen mit anderen Zutaten in Sojasoße geköchelt), Gamja-Tang (Schweinerippen-Eintopf mit Gemüse und ganzen Kartoffeln), Doenjang-Jjigae (Stew auf Sojabohnenpastenbasis mit Gemüse) mit Kartoffelwürfeln oder Gochujang-Jjigae (Scharfes Stew auf Chilipastenbasis mit Gemüse) mit Kartoffelwürfeln werden alle mit Reis zusammen gegessen. Interessanterweise gibt es ein Gericht aus gebratenen Kartoffelstreifen namens

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Während die Europäer in der Vergangenheit versuchten, aus Kartoffeln Brot, eines ihrer Grundnahrungsmittel, herzustellen, werden Kartoffeln im modernen Korea auf eine von zwei Arten verzehrt: entweder als Ersatz für das Hauptnahrungsmittel Reis oder als Beilage zu Reis.

Die Kartoffel, deren Ursprungsheimat die südamerikanischen Anden sind, ist nährstoffreich und enthält neben vielen Kohlenhydraten sowie Ballast- und Mineralstoffen auch Folsäure und Vitamine. Das in Kartoffeln enthaltene Vitamin C widersteht selbst hohen Kochtemperaturen.

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„Gamja-Namul“. Eigentlich bezeichnet „Namul“ alle essbaren Kräuter, Gräser oder Blätter, die gekocht, kurzgebraten oder roh mit Gewürzmischungen als Beilage verzehrt werden. Die Stängel und Blätter von Kartoffelpflanzen können jedoch nicht auf diese Weise gegessen werden. Die Kartoffel, die zu den Nachtschattengewächsen gehört, enthält in ihren grünen Stängeln und den Sprossen Giftstoffe wie Glykoalkaloide, die Durchfall, Erbrechen und Magenschmerzen verursachen können und schlimmstenfalls zu Halluzinationen, Lähmungen und sogar zum Tod führen. Pfannengerührte Kartoffelstreifen werden wahrscheinlich „Namul“ genannt, weil sie als Beilage zu Reis gegessen werden. Aus demselben Grund sind grünlich gefärbte Kartoffeln zu meiden. Werden Kartoffeln beschädigt oder dem Sonnenlicht ausgesetzt, verfärben sie sich aufgrund der Chlorophyllbildung im Inneren grünlich und bilden toxische Alkaloide wie Solanin. Da die Giftstoffe in der keimenden Kartoffel auch beim Erhitzen nicht verschwinden, müssen die grünen Teile sorgfältig entfernt werden. Während Solanin für den Menschen schädlich ist, ist es für die Kartoffel selbst nützlich, da das Toxid vor Bakterien, Schimmel und dem Verzehr durch Tiere schützt. Die Urbewohner der Anden hatten bereits durch Züchtung die Toxizität der Wildkartoffel gesenkt und sie kulti-

viert, sodass Menschen in allen Teilen der Welt, einschließlich Korea, in den Genuss der kostbaren Knolle kommen konnten. Außerdem hatten sie entdeckt, dass der Giftgehalt reduziert werden kann, wenn die Kartoffeln zusammen mit Erde gegessen werden. Laut Timothy Jones, Professor für Ernährungswissenschaft an der McGill University in Kanada, soll die Erde der Anden tatsächlich Bestandteile enthalten, die bei Verbindung mit den Kartoffel-Toxiden diese neutralisieren. Die Ureinwohner der Anden essen Chuño, ein durch traditionelle Gefriergetrocknung gewonnenes Kartoffelprodukt. Das war eine weitere Möglichkeit, den Giftgehalt der bitteren Kartoffeln (papa amarga), die dort gegessen werden, zu verringern. Dabei werden die Kartoffeln auf den Hochebenen in 3.500 m Höhe in der kalten Nachtluft gefroren und tagsüber der starken Sonneneinstrahlung ausgesetzt, wodurch sie getrocknet und damit für lange Zeit haltbar gemacht werden. Auf diese Weise hergestellte Chuño können bis zu 20 Jahre aufbewahrt werden. Diese lange Haltbarkeit ermöglichte es den alten Inkas vor acht Jahrhunderten, die benachbarten Regionen zu unterjochen und ihr eigenes Reich zu schützen. Gleichzeitig trug Chuño bei Missernten zum Überstehen von Hungersnöten bei. Wird ein Lebensmittel von einer Seite


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des Globus auf die andere übertragen, folgen jedoch selten Koch- und Verarbeitungsanleitungen. Das war auch der Fall, als die Kartoffel über Spanien und Italien nach Irland kam. Andere Sorten, andere Geschmack Wären die von den Südamerikanern verwendeten Konservierungstechniken für Chuño nach Irland übertragen worden, hätte die Kartoffelfäule, die Mitte des 19. Jhs ausbrach, wohl nicht die halbe irische Bevölkerung hinweggerafft. Bedauerlicherweise erhielten die Iren nur die Kartoffel, nicht das Konservierungswissen. Außerdem wurde in Irland nur eine einzige Kartoffelsorte, die sog. „Lumpers“ angebaut, sodass alle Kartoffeln im Land dieselbe genetische Struktur aufwiesen. Die Lumpers waren zudem sehr fäuleanfällig, sodass die Epidemie innerhalb von zwei Jahren 90% aller Kartoffeln im Land ruinierte. Das wäre in den Anden, der Heimat der Kartoffel, unvorstellbar gewesen. Denn dort wurden viele

verschiedene Kartoffelsorten angebaut, um einen jeweils unterschiedlichen Geschmack genießen zu können. Nach einer Untersuchung von 1995 sollen zum Erhebungszeitpunkt in jedem Anbaugebiet in Peru durchschnittlich 10,6 Kartoffelarten angebaut worden sein. Außerdem werden im International Potato Center in Lima etwa 5.000 Saatkartoffelsorten aufbewahrt. Daher ist es unwahrscheinlich, dass sich Irlands Unglück noch einmal irgendwo auf der Welt wiederholt. Wir schulden den Andenbewohnern großen Dank, dass wir in einer Welt leben können, in der die Kartoffel kultiviert wird, eine Knollenfrucht, die von mehr als einer Milliarde Menschen tagtäglich verzehrt wird, was sie zur drittwichtigsten Feldfrucht nach Reis und Weizen macht. In Korea werden heute über 30 Kartoffelsorten angebaut, die sich je nach ihrer Konsistenz nach dem Kochen in „mehlig“ und „festkochend“ einteilen lassen. Mehlige Kartoffeln enthalten mehr Stärke und zerfallen beim Kochen leicht, wäh-

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1. Kartoffelmaultaschen sind eine lokale Spezialität der bergigen Provinz Gangwon-do. Die aus Kartoffelmehl hergestellten und mit Mungobohnen gefüllten, gedünsteten Maultaschen haben ein delikates Aroma und garantieren Kaugenuss. 2. Goldbraun gebratene Pfannkuchen aus geriebenen Kartoffeln sind ein beliebter Snack und eine gute Beilage zum Alkohol. In Gangwon-do bestehen die Pfannkuchen nur aus Kartoffeln, in anderen Regionen werden Schnittlauch, Karrotten, Zwiebeln und Pilze hinzugegeben.

rend festkochende Kartoffeln weniger Stärke und mehr Feuchtigkeit enthalten und beim Kochen härter werden. Bislang war die Sumi Kartoffel (Superior potato), deren Konsistenz zwischen mehlig und festkochend liegt, in Korea sehr beliebt, aber in letzter Zeit steigt die Nachfrage nach einem größeren Kartoffelsortiment. Das weist darauf hin, dass die Weisheit der Bauern der Anden endlich nach Korea gefolgt ist.

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