ko r e ani sc he kunst und kult ur
J a h rg a n g 4, nr. 1 F rü h ja h r 2009
Die Königsgräber des Joseon-Reiches ISSn 1975-0617
Âecíà 2009 | Koreana 1
2 Koreana | Âecíà 2009
kOREANISCHER SCHÖNHEITSSINN
Der traditionelle Kamm
Eollebit
© Seo Heun-kang
D
ie traditionelle Frisur einer verheirateten koreanischen Frau war der Chignon. Das lange Haar wurde geflochten und dann im Nacken zu einem Knoten gewunden, der mit der Haarnadel Binyeo festgesteckt wurde. Bis zur Heirat kämmten die Frauen ihr Haar glatt und flochten es zu einem Zopf, um ein sauber-adrettes Aussehen zu bewahren. Das Haar kämmen glich einem Ritual, mit dem die Frauen allmorgendlich ihren Tag begannen. Nach dem Aufstehen wurde das während der Nacht durcheinander geratene Haar zunächst mit dem etwas breitzinkigeren Kamm Eollebit entwirrt und geglättet, danach mit dem feinzinkigeren Chambit gekämmt und zum Schluss mit einem noch feinzinkigeren Chambit gestriegelt. Durch das sorgfältige Kämmen wurden Schmutzpartikel entfernt. Gleichzeitig verteilte man dabei gleichmäßig einige Tropfen Kamelienöl ins Haar. Während die Frauen ihr Haar glatt und glänzend machten, bereiteten sie sich wohl auch geistig darauf vor, einem neuen Tag entgegen zu treten. Ein Eollebit aus hartem Buchsbaumholz galt als Kamm von bester Qualität. Einen Chambit fertigte man gewöhnlich aus Bambus an, weil die feinen Zinken dicht aneinander stehen und nicht leicht brechen. Aber ein Eollebit ist breitzinkiger und die Zinken würden leicht brechen, wenn man sie aus Bambus herstellen würde. Ein Eollebit aus Buchsbaumholz galt als besonders hochwertig, da er nicht leicht bricht, aber dennoch weich ist und sich gut durch das Haar ziehen lässt. Zudem bilden sich kaum Splitter, so dass es nicht an den Haaren zieht. Eollebit wurden auch aus anderen Hartholzsorten wie Birken, Kiefern und Jujuben gemacht. Die
dunkelrote Farbe des Jujubenholzes verlieh dem Kamm einen zusätzlichen dekorativen Effekt. Auch waren Kämme, die aus Kiefern von der Küste der Insel Jeju-do gefertigt wurden, sehr beliebt, weil man glaubte, dass die Kiefern aus Jeju-do nicht nur Krankheiten heilten, sondern auch Geister vertrieben. In der Zeit der Drei Königreiche (57 v.Chr.-668 n.Chr.) und Goryeo (918-1392), stellte man Kämme aus Schildkrötenpanzer, Elfenbein, Horn und Silber her, gravierte Muster hinein oder lackierte sie und trug sie auch als Schmuck im Haar. Ein Kamm war darüber hinaus ein Symbol der Keuschheit. In der Joseon-Zeit (1392-1910) gelobten Witwen, indem sie ihren Kamm in den Sarg ihres verstorbenen Mannes legten, Treue über den Tod hinaus. Frauen schätzten ihren Kamm so sehr, als ob er ein Teil von ihnen wäre, weshalb man ihnen die zu Lebzeiten benutzten Kämme nach ihrem Hinscheiden mit ins Grab gab. Trauernde kämmten sich nicht. Sie brachten ihre Trauer über den Tod des Verstorbenen zum Ausdruck, indem sie sich nicht um ihr Aussehen kümmerten. Es gibt einen alten Spruch, der besagt: „Selbst eine arme Braut, die mit leeren Händen in die Ehe geht, hat in der Tasche einen Kamm.“ Daraus ist ersichtlich, welche Bedeutung dem Kamm als unentbehrlichem Alltagsgegenstand zukam. Ein aus Holz geschnitzter Eollebit mit seiner halbmondförmig gerundeten Griffseite und seinen geraden Zinken ist ein Gegenstand von schlichter Schönheit. Die Kämme, die von Frauen aus adligen Familien benutzt wurden, wurden zusätzlich mit glücksverheißenden Mustern verziert.
koreanische kunst und kultur
Jahrgang 4, Nr. 1 Frühjahr 2009
Yeonneung ist eine Doppelgrabanlage im Kreis Yeoju-gun, Provinz Gyeonggi-do, in der die sterblichen Überreste von König Sejong, des 4. Regenten des Joseon-Reiches, und seiner Gemahlin Königin Soheon ruhen. Die Königsgräber von Joseon streben in der Anlage nicht nach Grandiosität, sondern nach angemessener Etikette. Der Grabhügel ist nicht mit flachen Steinplatten eingefasst, sondern mit einer Steinbalustrade, deren Säulen in ihrem Schnitt eine gewisse Zurückhaltung zum Ausdruck bringen. Das Amt für die Verwaltung des Kulturerbes stellt auf seiner Webseite vielfältige Informationen über die 500-jährige Geschichte der Königsgräber von Joseon zur Verfügung, darunter auch ein Video in englischer Sprache: http://royaltombs.cha.go.kr.
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© Seo Heun-kang
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Die Königsgräber des Joseon-Reiches 8
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Die Schönheit der Königsgräber Lee Chang-Hwan
18 Charakteristika der königlichen Grabanlagen von Joseon
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Kim Lena
24 Weisheit und Philosophie der Königsgräber von Joseon Han Sung Hee
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FOkUS
IMPRESSUM
Die Ramsar-Umweltkonferenz: das internationale Festival der Umweltfreunde | Choi Man Lim
Herausgeber
INTERvIEw
Filmregisseur Hong Sang Soo: „Sein beachtenswerter Blick“ | Shin Gi Joo kUNSTHANDwERkER kim Jong-dae
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Kim Jong-dae graviert die Ordnung des Universums in einen Kompass
Han Kyung-koo, Han Myung-hee, Jung Joong-hun, Kim Hwa-young, Kim Moon-hwan, Kim Youngna
Park Hyun Sook
Herausgabezweck: ideell
LAYOUT & DESIGn
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MEISTERwERkE
Höhepunkt des Metallkunsthandwerks der Goryeo-Zeit: Kundikâ mit Uferlandschaftsdekor | Choi Eung Chon | Lim Sang Woo
kOREA ENTDECkEN vladimir Saveliev
Vladimir Saveliev: Ein russischer Wissenschaftler nimmt die koreanische Staatsangehörigkeit an | Lee Soo Jin AUF DER wELTBÜHNE Lee Bul
Lee Bul: Ein unbequemes Miteinander
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Das Weltfestival der Nationaltheater 2008
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UNTERwEGS Jinan
Jinan: Die Steintürme unter den Gipfeln des Bergs Mai-san Lee Yong-han
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Meerbrasse mit Nudeln: ein Gericht mit Stil und Geschmack Han Bokryeo
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Meine zwei Sänger
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Frauen im koreanischen Militär: Es gibt keine Grenzen mehr Yu Yong Weon
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JO Kyung Ran Auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit des Lebens | Cha Mi-ryeong Ich hab Luftballons gekauft | übersetzung : Ahn In-kyoung, Anneliese Stern-Ko
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Ingneung wurde im Jahr 1680 als Teil der Grabstättenanlage Seooreun gebaut. Der Steintiger im Vordergrund ist einer der symbolischen Wächter des Grabes
Die Königsgräber des Joseon-Reiches Die einst prächtigen Grabstätten der Könige ziehen heute als einzigartige Grünflächen, die den Städtern Oasen der Ruhe bieten, die Aufmerksamkeit auf sich. Die landschaftliche Schönheit der königlichen Grabanlagen Koreas, die sich mitten im städtischen Umfeld befinden, wurde auch von der UNESCO-Untersuchungsgruppe gelobt. Diese Grabanlagen aus der Joseon-Zeit sind die Essenz des königlichen Kulturerbes, in der Normativität und Originalität vereint sind, sowie Aushängeschild des naturfreundlichen traditionellen Baustils von Korea. Erfahren Sie mehr über die Grabanlagen der Joseon-Zeit, die in Seoul und der umgebenden Provinz Gyeonggi-do konzentriert sind. Frühjahr 2009 | Koreana
Die Schönheit der Königsgräber Einst Gärten der Götter, jetzt Parks für die Bürger Die Grabanlagen von Joseon entstanden nach der Gründung der Yi-Dynastie im Jahre 1392 durch König Yi Seong-gye, bekannt als Taejo, über einen Zeitraum von rund 500 Jahren. Es existieren insgesamt 42 Gräber von Königen und Königinnen der 27 Yi-Dynastie-Generationen des Reiches Joseon sowie von früh verstorbenen Thronfolgern, denen posthum der Titel eines Königs verliehen wurde. Darunter befinden sich zwei Grabanlagen aus der frühen Joseon-Zeit, Jereung und Hureung, in der nordkoreanischen Stadt Gaeseong. Für die übrigen vierzig Anlagen auf südkoreanischem Boden wurde die Registrierung als Welterbestätten beantragt. Erfahren Sie mehr über die gestalterischen Besonderheiten und die Schönheit der Grabanlagen des Joseon-Reichs.. Lee Chang-Hwan Professor, Sangji Youngseo College Fotos: National Research Institute of Cultural Heritage, Seo Heun-kang
Gyeongneung, das zur Grabstättenanlage Seooreung gehört, ist ein Beispiel für die Tradition von Joseon, nach der Königsgräber in abgelegenen Gebirgsgegenden inmitten mehrerer Gebirgskämme angelegt wurden, was ein Gefühl der Sicherheit und Würde heraufbeschwor. Das Grab ist von Kiefern umgeben, die den ewigen Weiterbestand der Dynastie symbolisieren.
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ier bis vierzig Kilometer rund um die Hauptstadt Seoul befinden sich königliche Grabstätten in Parks, die eine rund 600 Jahre alte Geschichte besitzen und sich über eine Gesamtfläche von 5.215ha erstrecken. Seit frühester Zeit galten königliche Grabanlagen als heiliges Gebiet, so dass sich innerhalb dieser Anlagen keine Wohnhäuser oder Gräber von Bürgern befinden durften. So entwickelten sich diese Grabstätten der Könige in und um Seoul zu unantastbaren, mit Wald bestandenen Grüngebieten mit langer Geschichte. Bekannte Grabanlagen sind z.B. das Korea National Arboretum (KNA) im Gwangneung-Wald, das Hongneung Arboretum in Cheongnyangni oder Seonjeongneung und Heonilleung südlich des Flusses Han-gang. Die Joseon-Zeit wird als der Abschnitt der über 5.000-jährigen Geschichte Koreas bewertet, in dem die Entwicklung der koreanischen Volkskultur ihre Vollendung fand. Es war die Zeit, als sich die Hofkultur in ihrer vollen Blüte befand. Paläste und Grabanlagen, die zu dieser Zeit errichtet wurden, stellen daher das repräsentativste Kulturerbe Koreas dar. Die Grabanlagen von Joseon sind zudem in einem äußerst guten Zustand erhalten, weil sie während der JoseonZeit 518 Jahre lang vom Königshof verwaltet und nach der Gründung der Republik Korea im Jahre 1948 vom süd-
koreanischen Amt für die Verwaltung des Kulturerbes (Cultural Heritage Administration) mit besonderer Aufmerksamkeit gepflegt wurden, nachdem sie während der japanischen Kolonialherrschaft leicht beschädigt worden waren. Daher sind die Grabanlagen von Joseon historische Relikte, die unter allen heute noch bestehenden Grabstätten in Korea ihre ursprüngliche Gestalt am besten bewahrt haben. Auf Grund ihres hohen Wertes und ihrer Wichtigkeit als internationales Kulturerbe hat Korea über das Amt für die Verwaltung des Kulturerbes die Aufnahme der Grabanlagen von Joseon in die Liste der Welterbestätten der UNESCO beantragt. Im September 2008 wurde der Antrag durch eine Untersuchungsgruppe, die der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) nach Korea gesandt hatte, überprüft. Ende Juni 2009 wird auf der UNESCO-Konferenz zum Weltkulturerbe in der historischen spanischen Stadt Sevilla entschieden, ob die Grabanlagen der Joseon-Zeit in die Liste der Welterbestätten aufgenommen werden. Eine positive Entscheidung würde Korea mit Freude erfüllen, sein historisches Erbe mit der Welt teilen zu dürfen. Alte Grabkultur Die Menschen haben sich generell zu allen Zeiten an Orten niedergelassen,
wo Berge und Wasser ein angenehmes Klima und günstige Lebensbedingungen sicherten. Und sie haben sich mit dem Wunsch, nach dem Tod in Frieden zu ruhen, große Mühe bei der Suche nach einem idealen Standort für die Grabstätten ihrer Verstorbenen gegeben. Wenn es sich um das Grab eines Königs oder einer Königin handelte, wurde die Stätte besonders streng unter Berücksichtigung des jeweiligen Systems und der politischen Ideen der Zeit errichtet. Z.B. wurden in Ägypten Pyramiden und Grabgärten im Glauben an das ewige Leben der Seele angelegt, während in Indien auf Grundlage der islamischen Kultur die Grabmoschee Taj Mahal gebaut wurde. Die Grabanlagen von Joseon entstanden nach der Gründung der Yi-Dynastie im Jahre 1392 durch König Yi Seong-gye, bekannt als Taejo, über einen Zeitraum von rund 500 Jahren. Es existieren insgesamt 42 Gräber von Königen und Königinnen der 27 Yi-Dynastie-Generationen des Reiches Joseon sowie von früh verstorbenen Thronfolgern, denen posthum der Titel eines Königs verliehen wurde. Darunter befinden sich zwei Grabanlagen aus der frühen JoseonZeit, Jereung und Hureung, in der nordkoreanischen Stadt Gaeseong. Für die übrigen vierzig Anlagen auf südkoreanischem Boden wurde die Registrierung als Welterbestätten beantragt.
Kategorisierung der Königsgräber des Joseon-Reiches Die Gräber der königlichen Familie von Joseon wurden je nach Rang des Verstorbenen in „Neung”, „Won“ und „Myo“ eingeteilt. Neung waren Königen und Königinnen vorbehalten, und zwar auch solchen, denen der Titel posthum verliehen wurde. Heute gibt es noch 40 Königsgräber in Korea, die sorgfältig gepflegt werden. Dazu gehören u.a. folgende: Gongsunyeongneung
Donggureung
Jangneung (Paju)
Seonjeongneung
Jangneung (Gimpo)
Heonilleung
Seooreung
Gwangneung
Onneung
Hongyureung
Seosamneung
Yunggeolleung
Jeongneung
Yeongnyeongneung
Taegangneung
Jangneung (Yeongwol)
Uireung
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Wolleung ist das in der Grabstättenanlage Donggureung gelegene Grab von König Yeongjo, des 21. Regenten von Joseon, und seiner Gemahlin. Es wurde als Doppelgrabanlage mit getrennten Grabhügeln für König und Königin angelegt und ist von einer niedrigen Mauer umgeben.
Auf der koreanischen Halbinsel finden sich seit alter Zeit Belege zur Grabkultur. Von der Steinzeit bis hin zur Bronzezeit wurden Dolmengräber errichtet und im Zeitalter der Drei Königreiche (57. v.Chr.-668 n.Chr.) verankerte sich eine institutionalisierte Grabkultur. Die drei Reiche Goguryeo, Baekje und Silla entwickelten jeweils eine eigene, charakteristische Grabkultur. In dem darauf folgenden Vereinigten SillaReich (676-935) erschienen nach Süden gerichtete runde Grabhügel mit steinernen Monumenten und Grabstatuen. Gegen Ende des Vereinigten Silla-Reichs kamen dann geomantische Konzepte zum Tragen, so dass die Königsgräber in Richtung Berge angelegt wurden. Es wurde ein Platz ausgesucht, der sonnig und erdreich war und über eine gute natürliche Entwässerung verfügte. Die Grundlagen für die Anlage königlicher Grabstätten wurden während der Zeit des Vereinigten Silla-Reichs gelegt und auch in Goryeo (918-1392) und Joseon (1392-1910) weitergepflegt. Die einzigartigen Charakteristika der korea-
nischen Grabstättentradition sind aber erst an den königlichen Grabanlagen von Joseon klar und deutlich zu erkennen. Ideale natürliche Bedingungen Die königlichen Grabanlagen von Joseon, die von aufeinander folgenden Bergkämmen eingerahmt werden und daher eine schichtenartige Struktur aufweisen, befinden sich innerhalb eines stark abgeschotteten, quasi durch mehrere Schichten gesichterten Umfelds, das die Grabstätte von der Außenwelt isoliert. Allerdings erstreckt sich vor dem Grabhügel ein offener Raum, der eine freie Sicht in die Weite bietet. Das heißt, die Grabanlage liegt vor einem Hauptberg, wird rechter und linker Hand von etwas niedrigeren Bergfüßen geschützt und bietet einen freien Ausblick nach vorn. Generell sind die Grabanlagen aus der Joseon-Zeit so strukturiert, dass sie rechts vom Bergkamm „Blauer Drache“ und links vom Bergkamm „Weißer Tiger“ als Wächter geschützt werden, wobei die Ausläufer der beiden Kämme am
Eingang zur Anlage zueinander streben. Weisen die seitlichen Bergkämme am Eingangsbereich keine zueinander strebenden Fußenden auf, wurden zusätzlich kleine Wälder oder Teiche angelegt. Der Grabhügel, wo der Verstorbene zur letzten Ruhe gebettet wurde, befindet sich am leicht gewölbten Fußende des Hauptbergs, dem Punkt der höchsten Energie-Konzentration. Die einzelnen Elemente einer Grabanlage sind nach der konfuzianischen Hierarchieordnung linear auf einer Achse angeordnet: Grabhügel → Steinlaterne → T-förmiger Schrein → rotes, mit Spitzen bewehrtes Tor. War die Fläche für eine lineare Anordnung zu klein, wurden die Elemente den topographischen Gegebenheiten entsprechend bogenförmig angeordnet. Der Grabhügel lag höher als der T-förmige Schrein, um die würdevolle Erhabenheit und Heiligkeit des Grabes hervorzuheben und zwischen sakralem und säkularem Bereich zu unterscheiden. Hinzu kommt die symbolische Bedeutung, dass man vom Grabhügel aus Frühjahr 2009 | Koreana 11
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einen Gesamtblick auf die Landschaft direkt davor und auf die weit entfernten Flüsse und Wälder hat. Ein weiterer Faktor war die Berücksichtigung der natürlichen Umweltbedingungen wie Sonnenlicht und Entwässerung. Der Gedenkweg einer Grabanlage, der sich vom Opferraum über die Brücke Geumcheongyo bis hin zum roten Tor erstreckt, windet sich mehrfach dem Bach Myeongdangsu entlang wie die chinesischen Zeichen 之 und 玄. Dahinter steht die Absicht, den Besucher nicht sofort beim Betreten der Grabanlage den heiligen Grabhügelbereich sehen zu lassen und dadurch verstärkt eine Atmosphäre des Heiligen und des ernsthaft Würdevollen zu schaffen. Der Umfang einer Grabanlage betrug Anfang der Joseon-Zeit lediglich 100 12 Koreana | Frühjahr 2009
Bo (1 Bo = 1,187m), also knapp 120m zur Breite und Höhe. Aber seit der Regierungszeit von König Sukjong (reg. 1674-1720) wurde der gesamte Raum zwischen den beiden Bergkämmen, die nach der Geomantik-Lehre links den Blauen Drachen und rechts den Weißen Tiger symbolisieren, dem Hauptberg im Hintergrund und dem Berg im Vordergrund als Grabanlage betrachtet. Alle Dörfer, Gebäude und bürgerlichen Gräber innerhalb dieses Raumes wurden versetzt und durch Grünflächen ersetzt. Das bedeutet, dass der Umfang einer Grabanlage der Sichtweite vom Grab aus entsprach und größer war als je zuvor. Die königlichen Grabanlagen wurden über 500 Jahre lang vom Hof verwaltet und werden heutzutage vom Amt für die Verwaltung des Kulturer-
bes (Cultural Heritage Administration) gepflegt, so dass sie als historische Kulturstätten in äußerst gutem Zustand erhalten sind. Repräsentative Anlagen sind Donggureung, Seooreung, das Korea National Arboretum (KNA) im Gwangneung-Wald, das Hongneung Arboretum und Seonjeongneung. Sie stehen derzeit als Stätten des Kulturerbes unter Schutz und machen einen großen Teil der Grünflächen in und um die südkoreanische Hauptstadt Seoul aus. Wie oben dargestellt, setzte die Errichtung einer Grabanlage tiefgehende Kenntnisse über die Anpassung an die Natur voraus und nahm die naturgebundene Bautradition der Joseon-Zeit als Grundlage. Die Grabanlagen der Joseon-Zeit sind heutzutage nicht nur die am besten erhaltenen unter den hi-
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Jeongneung, das Grab von König Jungjong (11. Regent von Joseon), liegt in der Seonjeongneung Grabstättenanlage im Seouler Stadtbezirk Gangnam-gu, wo sich auch Seolleung, das Grab von König Seongjong (9. Regent) befindet. Seonjeongneung ist eine grüne Oase der Ruhe inmitten des Hochhauswaldes von Gangnamgu. Die Königsgräber von Joseon wurden so angelegt, dass beim Betreten der Anlage durch das rote spitzenbewehrte Tor der T-förmige Schrein in seiner Höhe und Breite den Blick auf den Grabhügel verdeckte.
2 Die Grabhügel von Myeongneung in der Grabstättenanlage Seooreung blicken auf den T-förmigen Schrein und die liebliche Landschaft der umgebenden Berge herab, was die Würde und Heiligkeit der Grabstätte erhöht. Die Königsgräber sind Verkörperung des in der Joseon-Zeit herrschenden Ideals der tiefen harmonischen Verbundenheit mit der Natur.
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3 Gyeongneung in der Grabstättenanlage Donggureung ist das einzige Beispiel für ein „Grab der dreifachen Beziehung“, bei dem die drei Grabhügel von König, Königin und erster Konkubine in einer Reihe angeordnet und von einer niedrigen Mauer umgeben sind.
storischen, freien Grünflächen, sondern auch der Ort, an dem man die Grabkultur Koreas am besten kennen lernen kann. Verschiedene Formen in Einklang mit der Natur Nach der Lehre der Geomantik und dem koreanischen Konzept von Natur gehören auch Grabanlagen zur natürlichen Umgebung. Daher war es wichtig, ihre Lage und ihren Umfang den topographischen Besonderheiten der Umgebung wie der Form der Berge auf der Vorder- und Rückseite anzupassen, damit sie mit ihnen im Einklang standen. Deshalb gibt es Grabanlagen von verschiedenartigem Stil wie z.B. Dalleung, Ssangneung, Hapjangneung, Dongwonigangneung, Dongwonsanghareung und Samnyeolleung, was ein besonderes Merkmal der Grabkultur von Joseon ist. Eine Anlage, die lediglich aus dem Grabhügel eines Königs bzw. einer Königin besteht, nennt man Dalleung (Einzelgrabanlage); Ssangneung (Doppelgrabanlage) ist die Grabstätte eines königlichen Ehepaars, wobei die beiden getrennten
3 Schematischer Grundriss einer typischen königlichen Grabstätte Hauptberg
Geschwungene runde Mauer
Wald im Hintergrund
Grabhügel
T-förmiger Schrein
Spitzenbewehrtes rotes Tor Rechter Bergrücken
Linker Bergrücken Teich
Bach
Vorderer Gipfel
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Nach dem koreanischen Konzept von Natur gehören auch Grabanlagen zum Naturumfeld. Neben der Einhaltung von Normen war es daher genau so wichtig, ihre Lage und ihren Umfang den topographischen Eigenschaften der Umgebung wie der Form der Berge anzupassen. Deshalb gibt es Grabanlagen von verschiedenartigem Stil wie z.B. Dalleung, Ssangneung, Hapjangneung usw.
Grabhügel auf einer eingeebneten Fläche auf einer Anhöhe nach dem Prinzip‚ „Links-oben-Rechts-unten“ (linke Seite Mann, rechte Seite Frau) angeordnet und von einer Grabmauer umgeben sind; ein Hapjangneung (gemeinsames Grab) ist ein Grabhügel, in dem König und Königin gemeinsam bestattet sind. Eine Grabanlage, bei der der Grabhügel des Königs und der der Königin sich separat auf zwei aus einem Berghang entsprungenen Anhöhen hinter dem T-förmigen Schrein befinden und bei der jeder Grabhügel von eigenen Monumenten und Statuen umgeben ist, bezeichnet man als Dongwonigangneung (Grabhügel auf unabhängigen Anhöhen gemeinsamen Ursprungs). Unter Dongwonsanghareung (stufenartig angelegte Grabhügel auf einer Anhöhe) versteht man eine Grabanlage mit den Grabhügeln eines Königspaares auf einer einzigen Anhöhe, die nach dem Prinzip „Königoben-Königin-unten“ untereinander platziert sind. Samnyeolleung (Grab der dreifachen Beziehung) ist eine Anlage mit den Gräbern eines Königs, einer Königin und einer zweiten Gemahlin, die sich nebeneinander und innerhalb einer
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Grabmauer befinden, und Dongbongsamsilleung (Grab der gemeinsam bestatteten drei Parteien) eine Anlage mit einem einzigen Grabhügel, unter dem König, Königin und zweite Gemahlin gemeinsam ruhen. Räumliche Struktur Eine königliche Grabanlage aus der Joseon-Zeit, die nach den konfuzianischen Normen angelegt ist, weist grundsätzlich die Struktur „Eingangsbereich - Bereich des Ahnenverehrungsrituals - (Übergangsbereich) – Grabhügelbereich“ auf. Das heißt, dass die Anlage in drei Bereiche eingeteilt ist, in deren Mitte sich der T-förmige Schrein befindet, an dem während des Ahnenverehrungsrituals Vorfahren und lebende Nachfahren zusammenkommen. Der Eingangsbereich ist eine Art säkulare Zone für die Gedenkenden, der Bereich des Ahnenverehrungsrituals ein Ort, wo sich Verstorbene und Grabbesucher treffen und Rituale abgehalten werden, und der am höchsten liegende Bereich des verstorbenen Königs gilt als sakrale Stätte. Die jeweiligen Bereiche bestehen wiederum aus verschiedenen Einrichtungen:
im Eingangsbereich befinden sich das Tor zur Grabanlage, ein Ritualschrein, ein Teich, ein geflämmter Streifen als Feuerschutz und die Brücke Geumcheongyo. Zum Bereich des Ahnenverehrungsrituals gehört das spitzenbewehrte rote „Tor der Geister“, ein geplasterter Weg, ein Verwaltungsbzw. Vorbereitungsraum, eine Küche für die Zubereitung von Opfergaben und der T-förmige Schrein. Im Übergangsbereich gibt es den Steinkasten Yegam, in dem die Gedenkredetexte verbrannt 1 wurden, die Verbrennungsstelle Sojeondae, eine Steinplatte, auf der die rituellen Opfergaben verbrannt wurden, den Pavillon Bigak mit dem Grabmonument, den der Berggottheit Sansin gewidmeten Steinaltar Sansinseok und den zum Grabhügel führenden „Weg der Geister“ Sindo. Im Grabhügelbereich, der im Mittelpunkt der Anlage gelegen ist und der als heilige Stätte gilt, befinden sich innerhalb der halbkreisförmigen Grabmauer der Grabhügel mit Schaf- und Tigerstatuen zu beiden Seiten, der Steintisch Honnyuseok vor dem Grabhügel (der Ort, an dem sich der Geist des Verstorbenen vergnügen kann), ein Paar achteckige Steinsäulen
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Hongneung in der Grabstättenanlage Seooreung hat eine interessante Hintergrundgeschichte. Beim Tod der Gemahlin von König Yeongjo (21. Regent von Joseon) wurde ihre Grabstätte mit einem zweiten Grabhügel für ihren Gatten versehen. Als Yeongjo schließlich an der Seite von Königin Jeongsun in der Grabstättenanlage Donggureung zur letzten Ruhe gebettet wurde, blieb der ursprünglich vorgesehene Platz in Hongneung leer, was bis auf den heutigen Tag so ist.
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Myeongneung in der Grabstättenanlage Seooreung ist die letzte Ruhestätte König Sukjongs (19. Regent von Joseon), seiner zweiten Gemahlim, Königin Inhyeon, und seiner dritten Gemahlim, Königin Inwon. Die beiden Grabhügel auf der obersten Ebene sind die von König Sukjong und Königin Inhyeon. Die Steinfigur eines Militärbeamten bewacht den Grabhügel von Königin Inwon (nicht zu sehen).
rechts und links neben dem Tisch, die steinere Grablaterne vor dem Tisch, sowie Steinfiguren von Militär- und Verwaltungsbeamten und Pferdestatuen rechts und links daneben. Außerhalb der Grabanlage liegen ein geschützter Wald für die Kultivierung von aromatischen Pflanzen und Bäumen für Holzkohle, die beim Ahnenverehrungsritual verwendet werden, sowie ein Tempel, der zur Grabstätte der Königsfamilie gehört. All diese Elemente der Raumstruktur der Grabanlage sind um die Hauptachse angeordnet, die die Bewegungsrichtung für die Besucher bildet, die die Anlage durchs Eingangstor betreten. Der Grabhügelbereich ist der Kern einer königlichen Grabanlage aus der JoseonZeit. Er wird von drei Seiten durch eine niedrige Grabmauer geschützt, in deren Umgebung ringsherum Kiefern gepflanzt werden, die die schützende Struktur betonen. Der wichtigste Bestandteil des Grabhügelbereichs ist der Grabhügel. Er weist eine runde Form auf und ist an der Basis mit zwölf Steinplatten geschmückt, die für die einzelnen Himmelsrichtungen stehen, oder mit den Bildern bzw. Schriftzeichen für die zwölf Tierzeichen des östlichen Zodiak. Der Grabhügelbereich ist horizontal durch Steinplattenabgrenzungen in drei Ebenen unterteilt. Der runde Grabhügel befindet sich auf der höchsten Ebene und dient als Raum der Ruhe für den Verstorbenen. Auf der mittleren Ebene, ist der Raum der Gelehrten, wo sich die Statuen von Gelehrten und Verwaltungsbeamten sowie deren Pferden befinden. Auf der untersten Ebene, dem irdischen Raum, stehen Statuen von Kriegern, Militärbeamten und Pferden. Der Grabhügelbereich ist ausschließlich den Verstorbenen vorbehalten, der Zugang von Lebenden war strengstens reglementiert. Der gesamte Raum der Anlage wird mittels Höhenlage, Isolierungsgrad und Größe der Fläche in einen Sakralbereich und einen Ritualbereich bzw. in den Ober- und Unteranlagenbereich getrennt, was den Prinzipien der Yin-
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Yang-Lehre entspricht. Die Anlage weist Höhenunterschiede zwischen dem oberen und unteren Bereich auf, was dem Grabhügelbereich einen freien Ausblick sichert und seine Heiligkeit hervorhebt. Im Bereich des Ahnenverehrungsrituals werden hauptsächlich Rituale durchgeführt, es ist daher ein halb säkularer Raum, in dem sich Verstorbene und Lebende während der Zeremonien begegnen. Der Gedenkweg, der vom roten Tor zum T-förmigen Schrein und weiter hinaus führt, ist in zwei bis drei Ebenen abgestuft. An beiden Seiten des Gedenkwegs hinter der Steinplatte Panwi, an dem das Ritual mit einem Kotau beginnt, befinden sich der Ver-
waltungs- bzw. Vorbereitungsraum und die Küche, in der die Opfergaben zubereitet werden. Der Gedenkweg, der aus dem dem verstorbenen König vorbehaltenen Geisterweg in der Mitte und seitlichen Wegen für die Lebenden besteht, verläuft zunächst geradlinig bis vor den T-förmigen Schrein und biegt dort dann in östliche Richtung ab, wie auch beim Jongmyo-Königsschrein und beim Sajik-Schrein in Seoul. Da die Verehrungsrituale im Südosten beginnen und im Nordwesten enden, verläuft der Weg in rechtwinkligen Windungen. Das entspricht der Ordnung der Himmelsrichtungen, nach der Südosten den Anfang (Geburt) und Nordwesten das Frühjahr 2009 | Koreana 15
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Ein Blick aus der Vogelperspektive auf Illeung in der Grabstättenanlage Heonilleung zeigt die Anordnung einer Grabanlage auf einen Blick. Die Königsgräber von Joseon stellen unter den historischen grünen Räumen in Korea das am vollständigsten erhaltene Kulturerbe des Landes dar. Anders als die von hohen Mauern umgebenen Kaisergräber aus Mingund Ching-China werden die Königsgräber von Joseon nicht künstlich begrenzt, sondern liegen inmitten von Wäldern, die aus der Ferne gesehen an schaukelnde grüne Wellen erinnern.
2 Gwangneung, das Grab von König Sejo (7. Regent von Joseon), liegt in Namyangju in der Provinz Gyeonggi-do. Zum Grabhügel eines Königs gehört auch eine niedrige Steinmauer, die den Hügel halbkreisförmig umgibt und als heiligen Bereich nach außen hin schützt.
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Ende symbolisiert. Der Grabhügelbereich, wo sich die Energie der Verstorbenen sammelt, besteht aus der überirdischen Welt (Sanggye), der mittleren Ebene (Junggye) und der irdischen Welt (Hagye). Es wird angenommen, dass diese Einteilung von der hierarchischen Ordnung des Feudalismus beeinflusst wurde, der vor dem Hintergrund der Drei-Götter-Lehre des Taoismus sowie des Neo-Konfuzianismus der Joseon-Zeit nach der konfuzianischen politischen Philosophie strebte. Der T-förmige Schrein ist so platziert, dass er, wenn man sich durchs rote Tor zum Schrein begibt, den Blick auf den Grabhügel verdeckt. Ziel war, die Hierarchie zwischen säkularer und sakraler Welt zu befestigen, weshalb der Schrein eine gewisse Höhe und Breite hat, die sicherstellt, dass der heilige Grabhügelbereich vor Blicken geschützt ist. Diese Struktur blockiert sogar während der Rituale den optischen Zugang zum Grabhügelbereich, wodurch dieser als heiliger Raum erfasst wird, der durch den Querbalken des Schreins von der irdischen Welt getrennt ist und nicht von Sterblichen betreten werden darf. Ökologische und symbolische Landschaftsarchitektur Am idealsten für die Wälder, die den Hintergrund einer Grabanlage bilden, sind Kiefernbäume. Der heilige Raum
rund um den Grabhügel muss unter allen Umständen von Kiefern umgeben sein. Kiefern, die zu den zehn Symbolen der Unsterblichkeit und Langlebigkeit gehören, stehen für die Unsterblichkeit der Dynastie und symbolisieren durch ihre immergrünen Nadeln Loyalität. Um den Bereich des Ahnenverehrungsrituals, in dessen Mittelpunkt sich der T-förmige Schrein befindet, wurden große Bäume wie Kiefern, Fichten und Mongolische Eichen gepflanzt, im unteren Bereich Storaxbäume, Stachelspitzige Azaleen und Schlippenbachs Azaleen, und in den Feuchtgebieten Japanische Erlen, die gut auf feuchtem Boden gedeihen. Als Bodendecker kam hauptsächlich koreanisches Gras (Zosia Japonica) in Frage. Während der Joseon-Zeit wurde in einer speziellen Einrichtung Gras gezüchtet und zur Rasenpflege eingesetzt; mit der Aussaat konnte man, wenn notwendig, auch im Juli oder August beginnen. Eine Ausnahme ist der Grabhügel der Anlage Geonwolleung, der auf Anordnung des dort bestatteten Königs Taejo (Yi Seong-gye) mit Riedgras aus der Gegend seines Geburtsortes Hamheung bedeckt und nie gemäht wurde. Die Grabanlagen der Joseon-Zeit sind kulturelle Relikte, die in einer konfuzianischen Welt, in der Ehrfurcht und Respekt vor den Ahnen von höchster Bedeutung waren, nach den Regeln des Konfuzianismus errichtet wurden und
den Höhepunkt der damaligen Kunst und Technik zeigen. Als Kulturerbe, das die Einstellung der Koreaner zur Natur und ihre Weltanschauung widerspiegelt, sind die Grabstätten Zeugen einer Bestattungskultur, die sich von denen anderer konfuzianischer Kulturen der selben Zeit deutlich unterscheidet. Die Bestimmung der Standortvoraussetzungen der Anlagen wurde von verschiedenen Philosophien und Lehren wie YinYang-Lehre, Geomantik, Buddhismus, Taoismus usw. beeinflusst, vor allem aber vom Konfuzianismus, der staatspolitischen Philosophie der Joseon-Zeit. Abschließend eine zusammenfassende Darstellung des Wertes der königlichen Grabanlagen der Joseon-Zeit als Kulturerbe: Sie sind von besonderem Wert, weil es sich um das kulturelle Erbe einer einzelnen Königsfamilie mit einer ungewöhnlich langen Geschichte handelt und weil sie über einen langen Zeitraum errichtet, perfekt erhalten und in ihrer Gestaltungsart einzigartig sind. Ihr Wert besteht auch darin, dass sie die Tradition der Ahnenverehrung, die über einen langen Zeitraum hinweg bewahrt und auch heute noch weitergepflegt wird, tradiert und Dokumente aus der damaligen Zeit in einem sehr guten Zustand bewahrt haben. Zudem sind sie auch als historische Landschaften von großer Bedeutung.
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Charakteristika der königlichen Grabanlagen von Joseon Geonwolleung, das Grab des ersten Joseon-Königs Taejo (reg. 1392-1398), wurde den Anweisungen des offiziellen Hofzeremonien-Protokollbuchs Uigwe entsprechend gebaut und weist daher die grundlegende Struktur einer königlichen Grabstätte der Joseon-Dynastie auf. Allerdings weichen andere Grabanlagen aus Joseon je nach den jeweiligen politischen Gegebenheiten, vom letzten Willen des verschiedenen Königs, der Geistesart des Thronfolgers und standortbezogenen Voraussetzungen in einzelnen Details von Geonwolleung ab. Z.B lässt sich anhand von Größe und Körperhaltung der Steinfiguren von Militär- und Verwaltungsbeamten, den repräsentativen Grabstatuen einer königlichen Grabstätte, auf die Verhältnisse der Zeit schließen.. Kim Lena Professor Emeritus, Hongik University Fotos: Seo Heun-kang
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Bei der Grabstätte Taereung sind die drei Ebenen einer Grabstätte gut zu erkennen: die obere Ebene mit dem Grabhügel, die mittlere Ebene mit den Steinfiguren der Verwaltungsbeamten und die untere Ebene mit den Statuen von Militärbeamten.
vollen Blüte befand, wurden als Grabhügeleinfassung die Steinstatuen der zwölf Tierzeichen des östlichen Zodiak aufgestellt, die Zeit und Himmelsrichtungen symbolisieren und das Grab als Wächter schützen sollten, was der traditionellen Weltanschauung und den Bestattungsritualen Asiens entsprach, die bereits vor dem Aufkommen des Buddhismus aus China eingeführt worden waren. Während die Wandgemälde in den Königsgräbern von Goguryeo oder die prunkvollen Grabbeigaben von Silla bereits rege erforscht wurden, wurden bislang – abgesehen von ein oder zwei Ausnahmen – noch keine Gräber aus der Zeit des Vereinigten Silla oder aus den Reichen Goryeo und Joseon ausgegraben, so dass entsprechend wenig über die Grabbeigaben bekannt ist. Doch auch bereits an den äußeren Merkmalen dieser Gräber lässt sich viel über die historischen Gegebenheiten der Zeit ablesen. Geomantik und Uigwe-Zeremonienprotokoll Während der Joseon-Dynastie gab es fünf Rituale, die der Staat der herrschenden Ideologie des Konfuzianismus entsprechend auszuführen hatte. Dazu gehörten die Bestattungsrituale mit den Vorgaben für den Standort des Grabes. Der ideale Standort für eine königliche Grabstätte, der nach den Prinzipien der Geomantik bestimmt wurde, war ein Ort, an dem die Energien der natürlichen Umgebung, die entlang der Bergkämme und des Strömungsverlaufs der Gewässer fließen, das Grab schützen. Der Grabhügel wurde auf einer weitläufigen grünen Anhöhe, hinter der sich Berge erhoben, errichtet, so dass Besucher beim Betreten der Grabanlage zum Grabhügel aufblicken mussten, was ein natürliches Gefühl der Ehrfurcht und Würde hervorrief. Unterhalb der Anhöhe befindet sich ein T-förmiger Schrein, an dem Ahnenverehrungsrituale abgehalten werden, und von dem aus sich ein Gedenkweg aus breiten, flachen Steinen bis hin zum spitzenbewehrten
© Kimchi Gyeonmunnok , Designhouse
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önigliche Grabanlagen unterscheiden sich je nach geistiger Strömung und Besonderheiten des jeweiligen Zeitalters in ihren Strukturen und der Art des Ausdrucks von Majestät. Die Hinterbliebenen verwendeten großes Interesse darauf, aufwändige Grabstätten zu bauen oder zahlreiche Beigaben ins Grab zu legen mit dem Wunsch, die Seele des Verstorbenen zu trösten, indem sie alles taten, damit das Leben im Jenseits genau so reich und würdevoll sei wie das im Dieseits gewesen war. Prächtige Grabstätten waren zudem ein Ausdruck der kindlichen Pietät gegenüber den Vorfahren, aber manchmal auch ein Symbol der Macht. In Korea geben die reichen Darstellungen der Wandgemälde in den Königsgräbern von Goguryeo oder der prunkvolle Metallschmuck, der in den Grabstätten von Silla entdeckt wurde, Aufschluss über den Charakter der herrschenden Schicht der Zeit sowie über deren Glauben an ein Leben nach dem Tode. Nach der Einführung des Buddhismus im 4. Jahrhundert spiegelten die Bestattungsrituale bis zu einem gewissen Grade auch buddhistische Aspekte wider. So wurde z.B. in allen königlichen Grabanlagen der JoseonZeit ein buddhistischer Tempel errichtet, in dem man für das ewige Leben des Königs in einem jenseitigen elysischen Reich betete. Und Lotusblumen, das Symbol des Buddhismus, sind auf die Einfassungsplatten um den YungneungGrabhügel eingraviert, unter dem König Jangjo (Kronprinz Sado, dem der Königstitel posthum verliehen wurde; 1735-1762), der Vater des 22. Joseon-Königs Jeongjo (reg. 1776-1800), und seine Gemahlin Hyeongyeong (1735-1815) ruhen. Allerdings wurden weiterhin monumentale Grabstätten gebaut, was bedeutet, dass die grundsätzliche Einstellung der Menschen zum Leben nach dem Tod kaum von dem vorbuddhistischen Brauchtum abwich. Auch zur Zeit des Vereinigten Silla-Reiches (618-935), als sich der Buddhismus auf der koreanischen Halbinsel in seiner
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Steinstatue eines Militärbeamten in der Grabstätte Gwangneung. Die Statuen von Verwaltungs- und Militärbeamten wurden vor dem Grabhügel postiert, wo sie dem Regenten quasi wie zu seinen Lebzeiten aufwarteten. Dies ist eine der Besonderheiten der Königsgräber von Joseon.
roten Eingangstor erstreckt. Der Gedenkweg besteht aus einem leicht erhöht verlaufenden Weg, der dem Geist des verschiedenen Königs vorbehalten ist, und einem seitlichen Weg daneben, den die Gedenkenden begehen dürfen. Vor dem roten, mit Spitzen bewehrten Tor fließt quer ein Bach vorbei, über den eine Steintreppe zum Tor führt. König Sejo (reg. 1455-1468), der sich unter den Herrschern von Joseon in der Geomantik am besten auskannte, begab sich selbst auf die Suche nach einem geeigneten Standort für die Grabstätte seines ersten Sohns, Kronprinz Euigyeong (1438~1457), als dieser plötzlich verschied. Er war so fest entschlossen, einen geomantisch optimalen Ort zu finden, dass er sogar fünf potentielle Standorte für die Grabanlage selbst in Augenschein nahm. Der Bau der königlichen Grabanlagen und die Ahnenverehrungsrituale standen in der Joseon-Zeit in unmittelbarer Verbindung zur Thronnachfolge. Die königlichen Grabanlagen stärkten die 20 Koreana | Frühjahr 2009
Autorität der Königsfamilie, die ihnen von den vorherigen Herrschern übergeben worden war, und standen in Bezug zum künftigen Schicksal der Dynastie. Die Bestattungen der Joseon-Könige richteten sich nach den Protokollvorschriften und Regeln, wie sie jeweils im offiziellen Hofzeremonien-Protokollbuch Uigwe festgelegt waren. Z.B. waren auch bei der Gestaltung der Grabanlage in Bezug auf die Struktur des Grabhügels, auf die Art und Anordnung, ja selbst auf die Größe der steinernen Statuen genaue Vorschriften einzuhalten. Standort und Umfang einer Grabanlage wurden von den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten der Zeit, vom letzten Willen des verschiedenen Königs, der Geistesart des Thronfolgers und den geomantischen Standortvorteilen bestimmt. Auf diese Weise konnte die Grundstruktur der königlichen Grabanlagen unverändert erhalten bleiben, obwohl sich die Dynastie über mehrere Jahrhunderte erstreckte.
Struktur der Anlage Die Grabanlagen von Joseon folgten in ihrer Struktur und Anordnung der Steinfiguren dem Vorbild der Königsgräber Ende der Goryeo-Zeit, wobei die sich im heute nordkoreanischen Gaeseong befindende Grabanlage Hyeonjeongneung, die Grabstätte von König Gongmin (31. Herrscher von Goryeo) und seiner Gemahlin Prinzessin Nogukdaejang die größten Ähnlichkeiten mit den Anlagen von Joseon aufweisen. Die Grabstätte, die als Musterbeispiel die grundlegende Struktur eines königlichen Grabs von Joseon darstellt, ist Geonwolleung, das Grab des ersten Joseon-Königs Taejo (reg. 1392-1398). Der Grabhügel des Geonwolleung ist nicht mit gepflegtem Kulturgras bewachsen, sondern mit wildem Pampasgras aus der Heimat von König Taejo. Der König hatte ursprünglich in seiner Heimat Hamheung bestattet werden wollen, wurde dann aber in Donggureung beigesetzt, weshalb man das Grab Geonwolleung mit Pampasgras
aus Hamheung bepflanzte. Anlagen wie Geonwolleung mit lediglich einem Grabhügel eines Königs bzw. einer Königin werden Dalleung (Einzelgrabanlage) genannt, während Grabstätten mit jeweils zwei getrennten Grabhügeln, die nebeneinander angeordnet sind, als Ssangneung (Doppelgrabanlage) bezeichnet werden. Darüber hinaus unterscheidet man noch andere Arten von Anlagen wie z.B. Hapjangneung (gemeinsames Grab), Dongwonigangneung (Grabhügel auf unabhängigen Anhöhen gemeinsamen Ursprungs), Samnyeolleung (Grab der dreifachen Beziehung) usw. Es ist zu beachten, dass sich auch bei Anlagen mit mehreren Grabhügeln der Grabhügel des Königs immer auf der rechten Seite befindet; die einzige Ausnahme stellt die Anlage Gyeongneung in der Stadt Goyang, Provinz Gyeonggi-do, dar, bei der das Grab des Königs auf der linken Seite liegt. Der Grabhügelbereich wird von drei Seiten – hinten sowie rechts und links – von einer niedrigen Grabmauer eingerahmt, die diesen Bereich nach außen hin schützt. Der Grabhügel wurde an der Basis von zwölf Steinplatten eingefasst, zwischen denen jeweils Ecksteine angebracht wurden. Wie bei der Grabanlage des Goryeo-Königs Gongmin befanden sich auch bei der Anlage Geonwolleung und den danach bis zum 17. Jahrhundert gebauten Grabanlagen auf den Steinplatten die zwölf Tierzeichen des östlichen Zodiak, die mit Menschenkörper und Tierkopf dargestellt werden und von einem Wolkenmuster umgeben sind. In der Anlage Geonwolleung sind wie beim Grab von König Gongmin sogar die Ecksteine mit Mustern buddhistischer Zeremonialgegenstände, des zepterartigen Vajra und der Vajraglocke, verziert. Die zwölf Tierzeichen des östlichen Zodiak wurden dann aber im 18. Jahrhundert durch Pfingstrosenmuster ersetzt, während die Ecksteine zunächst mit verheißungsvollen Wolkenmustern und später mit Lotusblütenmotiven dekoriert wurden. Jedoch waren nicht alle königlichen Grabhügel
mit Steinplatten um die Basis eingefasst, es gibt auch Grabhügel ohne diesen dekorativen Schutz. Manchmal wurden auch dachziegelförmige Steine rings um die Basis des Grabhügels angeordnet oder der Grabhügel wurde mit einer Art Balustrade mit zwölf steinernen Säulen eingefasst. Solche Veränderungen im Detail gehen auf die jeweiligen politischen Gegebenheiten der Zeit oder die speziellen Wünsche des Königs zurück. Dass um den Grabhügel einer Grabanlage von Joseon die zwölf Erdzweige (zwölf Tiere des östlichen Zodiak) dargestellt wurden, drückte den Willen aus, den Grabhügel vor Raum und Zeit zu schützen. Grundsätzlich wurden vier von den Acht Trigrammen, mit denen die Prinzipien des Universums erklärt werden, und acht der Zehn Himmelsstämme, die das System des chinesischen Kalenders bestimmen, zwischen den Zwölf Erdzweigen angeordnet und auf diese Weise die 24 Himmelsrichtungen dargestellt. Seitdem die Steinplatten an der Basis der Grabhügel nicht länger mit den zwölf Tierzeichen geschmückt wurden, gravierte man auf die Platten die chinesischen Zeichen für die 24 Himmelsrichtungen ein und brachte so symbolisch zum Ausdruck, dass sich das Grab des Königs im Zentrum eines eigenen Mikrokosmos befindet. Vor dem Grabhügel wurde ein Quaderstein als Tisch, Honnyuseok genannt, platziert, an dem sich der Geist des Verstorbenen ausruhen kann, und davor stand eine Grablaterne aus Stein. Diese Laterne weist manchmal wie eine buddhistische Steinlaterne vier oder acht Ecken auf, manchmal erinnert sie in der Struktur aber auch an ein Möbelstück aus Holz. Da man glaubte, dass sich der Geist des Verstorbenen im Grabhügelbereich frei bewegt, wurde jeweils rechts und links eine achteckige Steinsäule aufgestellt, die den Grabbereich markierte. Steinstatuen Um den Grabhügel wurden auf beiden
Seiten jeweils zwei steinerne Tiger- und Schafpaare aufgestellt, so dass das Grab von insgesamt acht Tieren beschützt wurde, die alle mit dem Kopf in Richtung Grabmauer standen. Das Grab wurde also von Tigern gehütet, die seit jeher als mutig galten, und von Schafen, die Böses abwehren und kindliche Pietät symbolisieren. Diese Tierstatuen, die zu Anfang der Joseon-Zeit nach dem Vorbild der Anlage Geonwolleung in traditioneller Form gefertigt wurden, entfernten sich mit der Zeit etwas vom festgelegten Rahmen und wurden so dargestellt, als ob sie sich in Bewegung befänden oder wiesen humorvolle Züge auf. Die Tiger wurden meist kauernd dargestellt, während die Schafe bzw. Schafböcke aufrecht stehen und Hörner oder Körper äußerst realistisch gearbeitet sind. Jedoch handelt es sich hier nicht um einheitliche Veränderungen im Laufe der Zeit; wichtigere Variablen waren die jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, die Art der verwendeten Steine und das Grabanlagen-Vorbild, an dem sich die Bildhauer orientierten. Zudem spielte auch die Geschicklichkeit der Bildhauer eine Rolle. Die Tierstatuen stehen zwar manchmal auch auf vier einzelnen Beinen, in den meisten Fällen wurden jedoch Vorder- und Hinterbeine mit einem Steinbalken verbunden, der seitlich mit Reliefgravuren von Blütenpflanzen oder Orchideen geschmückt wurde. Diese Pflanzenreliefs sind von besonders hoher Kunstfertigkeit bei den Blütenpflanzenmustern auf den Steinbalken zwischen den Beinen der Tierstatuen und auch bei den Darstellungen von Orchideen, dem Kraut der Unsterblichkeit oder Chrysanthemen auf der steinernen Grablaterne der Grabanlage Yungneung, wo Kronprinz Sado ruht, und der Grabanlage seines Sohnes König Jeongjo, die im 18. Jahrhundert während der kulturellen Blüte von Joseon errichtet wurden. Beispiele für Grabanlagen, deren Eingang von Steinfiguren und steinernen Tierstatuen bewacht wird, finden sich Frühjahr 2009 | Koreana 21
König Sejo (reg. 1455-1468), der sich unter den Herrschern von Joseon in der Geomantik am besten auskannte, begab sich selbst auf die Suche nach einem geeigneten Standort für die Grabstätte seines ersten Sohns, Kronprinz Euigyeong (1438~145 ), als dieser plötzlich verschied. Er war so fest entschlossen, einen geomantisch optimalen Ort zu finden, dass er sogar fünf potentielle Standorte für die Grabanlage selbst in Augenschein nahm.
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auch für die Zeit des Vereinigten SillaReichs, wofür das Grab Gwaerenung in Gyeongju besonders repräsentativ ist. Diese Struktur besaß auch in China eine lange Tradition, weshalb am Eingang von chinesischen Grabanlagen aus der Tang- und Song-Dynastie häufig Steinstatuen zu sehen sind. Chinesische Grabstatuen sind zwar sehr vielfältig in ihrer Art, es ist jedoch kein Beispiel dafür bekannt, dass sie eine Wächterfunktion wie bei den Grabhügeln von Joseon übernehmen würden, bei dem der auf einer Anhöhe gelegene Grabhügel ganz von Statuen umgeben ist. Die beeindruckendsten und auffälligsten unter den Steinstatuen sind die von Militär- und Verwaltungsbeamten, die jeweils rechts und links vor dem Grabhügel stehen, und vor oder neben denen jeweils eine Pferdestatue platziert ist. Auch in den kaiserlichen Grabanlagen von China stehen am Weg der Geister, der zum Eingang der Anlage führt, verschiedenartige Tierstatuen und Steinfiguren, aber es ist das besondere Merkmal der Königsgräber von Joseon, dass die Beamtenstatuen direkt vor dem 22 Koreana | Frühjahr 2009
Grabhügel stehen und zwar in einer Position, als ob sie wie zu Lebzeiten dem König mit ihren Diensten aufwarten würden. Die Steinfiguren von Militär- und Verwaltungsbeamten in den Anlagen aus der Joseon-Zeit sind wie in der Grabstätte des Goryeo-Königs Gongmin angeordnet, ihre Zahl ist jedoch um jeweils ein Paar geringer. Form, Größe und Haltung der Figuren sind zwar im Zeremonienprotokollbuch Uigwe festgelegt, die noch erhaltenen Beispiele unterscheiden sich jedoch in der Ausführung je nach Bildhauer und dessen Geschicklichkeit. Allerdings lassen sich kleinere Veränderungen im Wandel der Zeit erkennen, so dass es neben Gräbern, die dem Vorbild der Geonwolleung Grabanlage von König Taejo getreu gefolgt sind, auch Grabanlagen mit Statuen gibt, die mit über drei Metern doppelt so groß sind wie ein Mensch, oder die gerade Menschengröße aufweisen. Diese Größenunterschiede erklären sich durch den historischen Hintergrund des jeweiligen Zeitalters. Auch bei der Darstellung der Gewänder
wurden verschiedene dekorative Muster verwendet. So sind die Steinfiguren von Militär- und Verwaltungsbeamten in den Grabanlagen aus der Zeit der Könige Yeongjo und Jeongjo im 18. Jahrhundert äußerst prächtig gearbeitet. Der Rückenteil ist z.B. reich und von künstlerisch höchstem Anspruch mit den verschiedensten Motiven wie Kranichen, Wolken und dem Kraut der Unsterblichkeit verziert. Diese Darstellungsweise wurde für die spätere Zeit zum Vorbild. Es war auch zu dieser Zeit, dass sich die Form der Hüte, die die Verwaltungsbeamten trugen, änderte. Bis dahin hatten die Verwaltungsbeamten schwarze Pferdehaarhüte getragen, die an der Vorderseite senkrecht aufsteigen und etwa in der Mitte scharf in einem rechten Winkel nach oben abknicken. Die Steinstatuen von Yungneung, der Grabstätte, die König Jeongjo für seinen früh ums Leben gebrachten Vater, Kronprinz Sado, anlegen ließ, zeigen jedoch Beamtenstatuen mit sog. Goldenen Amtshüten ohne Knick, wie sie normalerweise nur die hochrangigen königlichen Gefolgsleute bei Hofsitzungen trugen.
Grabanlagen des koreanischen Daehan-Kaiserreichs (1897-1910) Ende des 19. Jahrhunderts verlor die herrschende Königsfamilie von Joseon im Strudel der Hegemoniekämpfe der Weltmächte an Stärke. König Gojong (reg. 1863-1907, 1919 gestorben), der sich dessen bewusst war, proklamierte im Jahr 1897 in einem politischen Reformversuch Joseon zum Kaiserreich. Daher weisen die Gräber von Kaiser Gojong und von Sunjong, dem letzten Regenten der Dynastie, eine Struktur und Anordnung auf, die teilweise Nachahmungen von kaiserlichen Grabstätten Chinas sind. Am auffälligsten ist dabei, dass die Steinfiguren von Militär- und Verwaltungsbeamten und die Pferdestatuen nach dem Vorbild chinesischer Kaisergräber den Weg der Geister entlang aufgestellt und die Beamtenfiguren von einer breiten Palette von Tierstatuen gefolgt wurden, darunter Giraffen, Elefanten, Löwen, Haetae (Tiger-ähnliches Fabelwesen) und Kamele. Diese Anlagen im neuen Stil waren im Vergleich 2 zu den Königsgräbern früherer Zeiten zwar größer und prächtiger, aber sie wirken in den Augen der Kenner des heimischen Traditonskontextes exotisch-befremdend. Die Anordnung der Statuen wich allerdings von der einer chinesischen Kaisergrabanlage ab. Tigerund Schafstatuen, die ein grundlegender Bestandteil von Anlagen der JoseonDynastie gewesen waren, wurden weggelassen; die Pferdestatuen wurden zwar beibehalten, standen jedoch nicht mehr neben den Steinfiguren der Militärund Verwaltungsbeamten, sondern am Anfang des Wegs der Geister paarweise rechts und links. Auch die Struktur des Bereichs des Ahnenverehrungsrituals, der sich am Ende des Wegs der Geister befindet, wurde abgeändert, und zwar wurde der T-förmige Schrein durch eine Art Raum der Ruhe für den Verstorbenen ersetzt, der an ein Palastgebäude erinnert. Die traditionellen Bestand-
teile einer Anlage von Joseon wie die dekorative Steinplatten-Befestigung an der Basis des Grabhügels, die steinerne Balustrade darum herum, der Steintisch Honnyuseok, die steinerne Grablaterne und die beiden achteckigen Steinsäulen rechts und links neben dem Tisch wurden jedoch in der traditionellen Anordnung beibehalten. Es ist anzunehmen, dass sich darin der tiefe Respekt widerspiegelt, den die Menschen der JoseonZeit im Rahmen ihres traditionellen konfuzianischen Brauchtums dem Geist des ins Jenseits gegangenen Vorfahren entgegenbrachten. In dieser Hinsicht lässt sich sagen, dass die Königsgrab-
1 Yeongneung, die Grabstätte von König Hyojong (17. Regent von Joseon). Sie ist in Form einer Doppelgrabanlage auf gleicher Anhöhe angelegt. Der obere Grabhügel ist der von König Hyojong; der im Vordergrund zu sehende Grabhügel von Königin Inseon wird von einem steinernen Tigerstatue bewacht. 2 Mit der Proklamation des Daehan-Kaiserreiches im Jahr 1897 wurde ein entsprechend majestätischer Stil für die Grabstätte von Kaiser Gojong und Kaiserin Myeongseong (Hongyureung Grabstättenanlage) angenommen. Blumenmotive zieren die Einfassung aus flachen Steinen an der Basis des Grabhügels.
anlagen von Joseon im Maßstab eher menschlich und sehr stark vom Geist der kindlichen Pietät geprägt sind, der aus den tief verwurzelten Traditionen des Konfuzianismus herrührt, während die Gräber der chinesischen Kaiser in ihrer Monumentalität für die Macht des verstorbenen Herrschers stehen.
Die Grabstätten der letzten Regenten des Joseon-Reiches wurden erst fertig gestellt, nachdem das Reich im Jahre 1910 von den Japanern annektiert worden war. Daher standen für die Grabanlage Hongneung, in der Kaiser Gojong bestattet ist, noch koreanische Handwerksmeister zur Verfügung, aber am Bau der Grabanlage Yureung, die für den 1926 verstorbenen König Sunjong errichtet wurde, waren auch Japaner beteiligt. Die Steinfiguren und Tierstatuen wurden von japanischen Bildhauern gefertigt, die damals bereits stark unter dem Einfluss der westlichen Kunst standen, weshalb die Statuen überaus realitätsnah und mit ausgeglicheneren Körperproportionen dargestellt wurden. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die königlichen Grabanlagen der Joseon-Zeit, die nach konfuzianischen Traditionen und äußerst konservativen Vorschriften für die Bestattung errichtet wurden, keine auffälligen Veränderungen erfahren hätten. In Wirklichkeit aber weisen sie während der über 500 Jahre alten Geschichte je nach Zeitalter und politischen Umständen gewisse Veränderungen auf, wobei die deutlichsten bei den Anlagen aus der Zeit des koreanischen Kaiserreiches zu finden sind. Jedoch ahmten die königlichen Grabanlagen des Kaiserreiches Joseon in Struktur und Anlage nicht blind die chinesischen Kaisergräber nach. Bau und Instandhaltung der Grabanlagen des Joseon-Reichs wurden vom Hof selbst übernommen, um die Tradition der Dynastie und die Würde des Staates aufrecht zu erhalten. Die von den Nachkommen der einstigen Königsfamilie Lee ins Leben gerufene Stiftung Jeonju Lee Royal Family Members Foundation organisiert auch heute noch zu den Todestagen ihrer königlichen Vorväter, deren Linie nun ausgestorben ist, Ahnenverehrungszeremonien. Frühjahr 2009 | Koreana 23
Ahnenverehrungsritual am Grab Wolleung (in der Grabstättenanlage Donggureung). In der Vergangenheit hat sich der regierende König persönlich zu den Gräbern der verstorbenen Könige und Königinnen begeben und spezielle Opferrituale abgehalten. Heutzutage halten die in einer Stiftung organisierten Nachfahren des Yi-Clans, der einstigen Königsfamilie von Joseon, diese Rituale an jedem einzelnen Grab ab.
Weisheit und Philosophie der Königsgräber von Joseon Die 42 königlichen Grabanlagen von Joseon sind mehr als nur letzte Ruhestätten von Königen und Königinnen. Sie sind Belege für politische Geschichte, Wirtschaft und Verwaltungssystem und Quintessenz der Kultur aus Geomantik, Landschaftsarchitektur, Bautechnik, Bildhauerei, Bekleidung usw. des Joseon-Reiches, das 518 Jahre währte. Daher kann man durch die Betrachtung der königlichen Grabanlagen die Geschichte von Joseon kennen lernen und die darin verborgene Weisheit und Philosophie seiner Menschen entdecken. Han Sung Hee Verfasserin von Das Geheimnis der königlichen Grabanlagen von Joseon, Redakteurin bei Paju-Journal Fotos: Seo Heun-kang
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wandte man sich von volkstümlichen Bestattungsritualen und der noch zur Goryeo-Zeit gängigen Tradition der Feuerbestattung ab und bevorzugte Erdbestattungen. Außerdem wurden während der Joseon-Dynastie die Bestattungsrituale nach der konfuzianischen Norm institutionalisiert, so dass äußerst komplizierte Vorschriften zu befolgen waren, in deren Mittelpunkt das Konzept der Etikette Ye stand.
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estattungstraditionen ändern sich mit der Zeit bzw. der Entwicklung der Einstellung zum Tod sowie der Vorstellung vom Leben nach dem Tod. Im buddhistischen Reich Goryeo (918-1392) glaubte man, dass mit dem Tod Körper und Seele voneinander geschieden werden und der Körper zu Staub verfällt. Demgegenüber herrschte im konfuzianischen Joseon die Idee der Ahnenverehrung vor, so dass die Verstorbenen zu Objekten der ehrfürchtigen Verehrung wurden. Dementsprechend
Vorbereitungen auf ein Staatsbegräbnis Der König liegt auf dem Sterbebett. Im Hof herrscht höchste Nervosität und eine Art Notstand. Der König, der das Herannahen des Todes spürt, ruft die obersten Minister herbei und lässt sie seinen letzten Willen abfassen, durch den er unter anderem die Thronübergabe an seinen Sohn bekannt gibt. Wenn seine letzte Stunde schlägt, legt man eine Stück Watte unter seine Nase um festzustellen, ob er noch atmet. Ist der König verschieden, wird seine Leiche gewaschen und frisch bekleidet; am dritten Tag folgt eine weitere Einkleidung in Leichengewänder. Reinigung und Einkleidung, also die Prozesse, bei denen der Körper des Verstorbenen berührt werden muss, werden von den Hofeunuchen durchgeführt; stirbt eine Königin, obliegt diese Pflicht den Zofen. Wenn die Nachricht vom Ableben des Königs bekannt wird, bereiten sich die königliche Familie und die Hofbeamten auf die Bestattungsrituale vor. Sobald sie die traurige Nachricht erfahren, legen der Kronprinz, alle weiteren Prinzen und leiblichen Söhne des Königs, die Königin, Nebenfrauen, alle Prinzessinnen usw. Kopfschmuck und Obergewänder ab, lassen ihr Haar herab und nehmen allen Schmuck aus Gold, Nephrit und Jade und alle Ornamente wie z.B. die Schmuckknotenanhänger Norigae ab. So wie heutzutage in einigen Ländern beim Tod des Präsidenten oder Staatsführers noch der Ausnahmezustand ausgerufen werden kann, wurden mit der Bekanntgabe des Ablebens des
Monarchen per Dekret eine Reihe von Aktivitäten zeitweilig verboten, das Verteidigungsministerium rief den Notstand aus und mobilisierte die Truppen, um Stadttore und Palast unter strengste Bewachung zu stellen. Die Ministerien und Ämter sandten an sämtliche Behörden in der Hauptstadt und den Provinzen offizielle Dokumente und verhängten im ganzen Land Staatstrauer. Fünf Tage lang blieben die Märkte geschlossen und man konnte nur das Allernotwendigste zum Leben in den Gassen kaufen und verkaufen. Drei Monate lang waren Hochzeiten, Musikvorstellungen und sogar das Schlachten von Tieren verboten. Daher konnte das Volk bei Staatstrauer über Monate hinweg kein Fleisch essen oder heiraten. Der Verwaltungs- bzw. Innenminister beauftragte die Behörde Uijeongbu (höchste Verwaltungsbehörde von Joseon) die drei Räte ins Leben zu rufen, die für das Procedere des Staatsbegräbnisses zuständig waren: den Rat für die Verwaltung der Leichenhalle, den Rat für die Organisation des Staatsbegräbnisses, und den Rat für die Königliche Grabanlage. Diese drei Organisationen waren eine Art Ausschuss für Friedhofsund Bestattungsangelegenheiten im heutigen Sinne. Sie erfüllten folgende Aufgaben: Der Rat für die Verwaltung der Leichenhalle verwaltete relativ einfache Verfahren wie die Vorbereitung der Leichengewänder, die Einrichtung der Leichenhalle, die Aufstellung des Sargs und die Vorbereitung der Trauerkleidung. Der Rat für die Organisation des Staatsbegräbnisses kümmerte sich um die Herstellung bzw. Vorbereitung der Grabbeigaben wie z.B. Keramiken, Ritualgegenstände, Musikinstrumente, das Trauergerüst, den Grabstein, Geschirr für die Ahnenverehrungszeremonien und das königliche Siegel. Die schwierigste Aufgabe, nämlich die Anlage der Grabstätte, kam dem Rat für die Königliche Grabanlage zu. Er beaufsichtigte die Aushebung des Grabes, den Bau des T-förmigen Schreins für die OpferriFrühjahr 2009 | Koreana 25
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tuale und des Pavillons Bigak mit dem Gedenkstein, die Fertigung des Gedenksteins mit Namen, Taten und Geburtsdatum des Verstorbenen, den Bau der Diensträumlichkeiten für die Wächter der Grabanlage und des Gebäudes, wo die Speisen für die Ahnenverehrungszeremonien vorbereitet werden usw. Außerdem veranlasste dieser Rat auch Bau und Instandsetzung von Brücken und Wegen auf der Strecke von Seoul bis zur Grabanlage. Diese drei Räte, die eigens für die königliche Bestattung provisorisch eingerichtet wurden, waren höchst bedeutsame Organisationen, für die die wichtigsten Behörden und Beamten des Staates mobilisiert wurden. 26 Koreana | Frühjahr 2009
Die Leiche des Königs wurde nach dem Waschen innerhalb von fünf Tagen drei Mal eingekleidet. Gleich nach der Waschung wurde der Leichnam in neun weiße Seidenkleider gehüllt; drei Tage später kamen neunzehn weitere Gewänder hinzu und nach fünf Tagen noch einmal neunzig Gewänder. Auf die letzte Einkleidung folgten die Einsargung und die Krönungszeremonie für den Thronnachfolger. Eis und Algen zur Konservierung In der Klassengesellschaft von Joseon war auch die Bestattungsperiode je nach Gesellschaftsschicht des Verstorbenen gesetzlich vorgeschrieben. Beim Ableben eines Königs oder einer Königin
galten fünf Monate, beim Tod eines hochrangigen Beamten drei Monate, darunter, sei es Kleinadel oder Bürger, ein Monat. Bei den Bestattungen der Königsfamilie von Joseon, die mit der Geomantik direkt in Verbindung standen, war es wichtig, dass die Leiche bis zur Erdbestattung nicht verweste. Jedoch war es schwierig den Körper eines Königs bzw. einer Königin über die fünf Monate der Bestattungsperiode in gutem Zustand zu konservieren. Wie war es vor allem während der heißen Sommermonate möglich, die Leiche so lange vor der Verwesung zu bewahren? In Korea verfügte man nicht erst im Joseon-Reich, sondern bereits seit der
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Im Zentrum der Ahnenverehrungszeremonien wie hier an der Grabstätte Sureung steht die Opferung von Reiswein vor dem Ahnenschrein, die jeweils drei Mal wiederholt wird.
2 Offizianten auf dem ausgewiesenen Weg zum Bereich der Ahnenverehrungszeremonie in der Grabstätte Yeongneung.
Sommertagen verteilte die königliche Familie je nach Rang Gutscheine an die Hofbeamten, die sie dann im Westlichen Eishaus gegen Eis eintauschen konnten.
Zeit der Drei Königreiche über die notwendige Technik zur Einrichtung von Eishäusern, in denen das im Winter gesammelte Natureis gelagert wurde. Solche Eishäuser sind heute noch in einigen Gegenden des Landes zu finden. Die repräsentativsten Eishäuser der JoseonZeit waren das Dongbinggo, das Östliche Eishaus, und das Seobinggo, das Westliche Eishaus, in Seoul, die von einem speziellen Amt verwaltet wurden. Im Östlichen Eishaus wurde Eis aufbewahrt, das die Königsfamilie von Joseon für die von ihnen als äußerst wichtig erachteten Ahnenverehrungsrituale verwendete, während im Westlichen Eishaus das Eis für die Hofküche und die Hofbeamten gelagert wurde. An heißen
Das Eis wurde im Winter aus dem zugefrorenen Fluss Han-gang gewonnen, und zwar nur an unverschmutzten Stellen mit einer Eisdicke von über 12cm. Es wurde in Blöcke von bis zu 1,8m Kantenlänge geschnitten, was etwa 1.259,712m³ entspricht. In diesem Eis lag das Geheimnis der Konservierung der königlichen Leichen bis zur Bestattung. Im Sommer wurde unter dem königlichen Sarg eine Art Eiswanne angelegt und der Sarg mit einer Bambuskonstruktion umgeben, die es ermöglichte, das Eis rundherum schichtweise aufzustapeln. Es war also ein perfekter Leichenkühlschrank im heutigen Sinne. Da man für diese Anlage viel Eis brauchte, wurden im Falle eines Staatsbegräbnisses die beiden Eishäuser, in denen normalerweise insgesamt rund 15.000 Eisblöcke lagerten, so gut wie geleert. Wenn der König oder die Königin erkrankten und ein Todesfall zu befürchten war, legte man daher im Winter gleich die doppelte Menge Eisvorrat an.
Es gab jedoch noch ein anderes Problem bei der Aufbewahrung der Leiche: die Beseitigung der beim Schmelzen entstehenden Feuchtigkeit. Um die Feuchtigkeit aufzufangen, hängte man rund um den Sarg Bambusnetze auf. Jedoch reichten auch diese nicht aus, so dass man zusätzlich noch Algen verwendete. Trockene Algen, die hochgradig feuchtigkeitsabsorbierend sind, wurden als Entfeuchter in der Leichenhalle aufgestapelt. Während der Bestattungsperiode wurden Berge von trockenen Algen gebraucht. Sie wurden zwar nach einmaliger Verwendung weggeworfen, fanden hinter den Kulissen aber häufig den Weg auf die Märkte, wo sie zu niedrigen Preisen an die Armen verkauft wurden. Kardinalfrage: Wo soll das Grab angelegt werden? Landschaftsarchitekten aus Europa, die im Juli 2008 die Grabanlagen der Joseon-Dynastie wie z.B. die Anlage Gwangneung des 7. Joseon- Königs Sejo in Namnyangju-si, Provinz Gyeonggido, besichtigten, waren sprachlos vor Staunen. Sie waren überrascht, dass das Ideal des europäischen landschaftlichen Gartens, also die „Harmonie zwischen Natur und künstlich Geschaffenem“, Frühjahr 2009 | Koreana 2
bereits in den königlichen Grabstätten von Joseon verwirklicht worden war. Alle Grabanlagen von Joseon befinden sich inmitten eines schönen Umfelds aus Wäldern und fließenden Gewässern. Selbst die Anlagen in städtischen Gebieten sind ausnahmslos von Wäldern umgeben, was sie nicht nur zu einem wertvollen Kulturerbe macht, sondern auch zu Oasen der Ruhe und Erholung für Besucher, die sich auf die Suche nach den Spuren der Joseon-Dynastie begeben. Warum befinden sich eigentlich alle königlichen Grabanlagen von Joseon auf einer leichten Anhöhe, umgeben von Wäldern und Fließgewässern? Selbst ein König, der fünf Monate lang in der Leichenhalle aufgebahrt wurde, musste einmal begraben werden. Da stellte sich in Bezug auf die Bestattung die wichtigste Frage: Wo sollte die letzte Ruhestätte des Herrschers sein? Während der Joseon-Zeit wurden bei allen Standortentscheidungen die geomantischen Voraussetzungen als am wichtigsten erachtet, was nicht nur für Grabstätten, sondern auch für den Bau der Hauptstadt, der Paläste und Gebäude galt. Heutzutage verbindet man den Begriff „Geomantik“ meist nur noch mit der Suche nach einem Grabstandort. Das ursprüngliche Ziel der Geomantik war jedoch, das harmonische Miteinander von Mensch und Natur zu sichern. Betrachtet man aber die Etymologie des koreanischen Begriffes für Geomantik, „Pungsu“, was wörtlich
übersetzt „Wind und Wasser“ bedeutet, kommen einem unwillkürlich wieder Stätten für Gräber, Dörfer und Wohnhäuser in den Sinn. Da Leben und Sterben des Menschen nicht von Erde und Boden zu trennen sind, ist der Begriff in gewissem Sinne angemessen. Der Hauptwächterberg, der sich hinter einem Grab oder Wohnhaus befindet, hat die Funktion einer Windsperre (Jang-pung, 藏風), während ein Wasserlauf die Erdenergie blockiert und verhindert, dass sie davonströmt (Deuk-su 得水); diese beiden Konzepte werden in „Pungsu“ (風水), „Wind und Wasser“ zusammengefasst („Feng shui“ auf Chinesisch). Die Lehre der Geomantik, auch als Divinationslehre bekannt, wurde zur Zeit der Drei Königreiche in Korea eingeführt, war Ende der Silla-Zeit und während der Goryeo-Zeit weit verbreitet und wurde im darauf folgenden konfuzianischen Reich Joseon aufs Strengste befolgt. Die besten Belege dafür sind die Paläste und königlichen Grabanlagen von Joseon. Joseon war sozusagen ein Reich, das nach außen hin konfuzianisch war, im Inneren aber von der Geomantik bestimmt wurde. Der König glaubte, dass sein verschiedener Vater, der vorherige Herrscher, an einem nach der geomantischen Lehre idealen Ort bestattet werden sollte, damit die Nachfahren der königlichen Familie die Linie mit noch größerer Macht fortführen konnten.
Unter den 27 Königen von Joseon besaßen König Sejo (1417-1468) und Jeongjo (1752-1800) die profundesten Geomantik-Kenntnisse. König Sejo war auch derjenige, der die Struktur der Grabanlagen von Joseon veränderte. Sejo ließ die Wände des ursprünglich steinernen Sargraums im Zentrum des Grabhügels vergipsen, den Steinsarg durch einen Holzsarg ersetzen und die Steinplatten an der Basis des Grabhügels abschaffen. Dadurch verringerte sich die Last der Zwangsarbeit, die auf den Schultern des Volkes ruhte, um die Hälfte. In Joseon wurden nämlich für die Anlegung einer königlichen Grabanlage Arbeiter aus dem ganzen Land zwangsrekrutiert. Sie mussten zwei Wochen lang arbeiten, bevor sie ausgewechselt wurden, und sich in dieser Zeit selbst verpflegen. Zu Zeiten, in denen landwirtschaftliche Arbeiten wie Aussaat oder Ernte anstanden, wurden buddhistische Mönche eingesetzt. Laut alten Aufzeichnungen wurden für den Bau der Anlage Changneung von König Yejong (1450-1469) 7.000 Untertanen zwangsmobilisiert, während bei der Verlegung des Grabes von König Sejong (1397-1450) 5.000 Zwangarbeiter und 150 Handwerksmeister eingesetzt, sowie ca. 200 Tonnen Reis und 6 Tonnen Salz verbraucht wurden. In Joseon, einem Reich mit Konzentration der Macht in den Händen des Königs, wurden schon seit Beginn der Dynastie königliche Grabanlagen nach
1 Ahnenverehrungszeremonie in Geonwolleung (Grabstättenanlage Donggureung). Der Bereich der Ahnenverehrungszeremonie wird durch den Querbalken des T-förmigen Schreins in einen sakralen und einen säkularen Bereich getrennt. Die Anlage ist so konzipiert, dass den Besuchern ein direkter Blick auf den Grabhügel verwehrt wird.
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2 Das Protokollbuch Uigwe des Rates für die königlichen Grabanlage dokumentiert das formelle Procedere und Protokoll für die Anlage eines königlichen Grabes im Joseon-Reich. Die Abbildung zeigt die Prozession zur Verlagerung der Gräber von König Sejong dem Großen und Königin Soheon an ihre heutige Ruhestätte in Yeongneung.(Archiv Gyujanggak)
der Geomantik-Lehre angelegt, als wären die Monarchen vom Wohlergehen ihrer Nachkommen besessen. Dahinter stand der Wunsch, dass die Nachfahren Generation auf Generation in den Genuss der königlichen Macht kommen mögen. Zu dieser Zeit entstand auch die Formel, dass man durch das Studium der konfuzianischen Lehren in der Hofbeamtenwelt auftsteigen und sich durch das Studium der Geomantik einen großen Namen machen konnte. Daher war die Geomantik eine wichtige Lehre, die die Beamten fleißig studierten, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, d.h. erfolgreich Karriere zu machen und zugleich das Wohlergehen ihrer Nachkommen zu sichern. Im Joseon-Reich, das auf einer rigorosen gesellschaftlichen Statushierarchie basierte, kam der König als Inhaber der absoluten Macht als erster in den Genuss der Privilegien und Rechte der Geomantik. An zweiter Stelle standen Angehörige des Hochadels, aber selbst sie mussten, mochte ihr Status auch noch so hoch sein, oft Dutzende oder gar Hunderte von Gräbern ihrer Ahnen von einem Tag auf den anderen verlegen, wenn diese Clan-Grabstätten zum Standort für eine neue königliche Grabanlage bestimmt wurden. Sogar für das Grab von Prinz Gwangpyeong, des fünften Sohnes von König Sejong und Großonkels von König Seongjong (1469-1494), wurde keine Ausnahme gemacht, als der Platz, an dem es lag, als Standort für das Grab von König Seongjong ausgewählt wurde. Bestattungsvorschriften Warum errichtete man in Joseon königliche Grabanlagen an bereits belegten Orten, so dass man die vorhandenen Gräber quasi enteignete, obwohl in der koreanischen Grabstättentradition folgendes Tabu bestand: „An einem Ort, der bereits als Grabstätte genutzt worden ist, darf kein neues Grab angelegt werden.“ Zu jener Zeit war die geomantische Lehre eine Art streng gehütetes Geheimnis, das nur einer kleinen Grup-
pe Priviligierter bekannt war, nämlich der Königsfamilie und den Adligen. Die königliche Grabanlage war von einer mehrere Kilometer breiten Sperrzone umgeben, in die sich Normalsterbliche nicht hineinwagen durften, und auch das Bestattungsprocedere unterlag der absoluten Geheimhaltung. Es war gesetzlich festgelegt, dass alle Grabgruben, ausgenommen die von Königsgräbern, eine Standardtiefe von 1,5-1,6m haben müssen; Verstöße gegen dieses Gesetz wurden scharf bestraft. Für Königsgräber galt eine Tiefe von 3,2-3,3m. Nach der Geomantik war das nämlich die Tiefe, die garantierte, dass der Verstorbene die Erdenergien am besten aufnehmen konnte, was wiederum das Wohlergehen der Nachkommen sicher stellte; dies war allerdings das absolute, auf der Geomantik gründende Geheimnis der Königsfamilie. Falls ein Staatsminister oder Angehöriger der königlichen Familie, die das Geheimnis kannten, diese Praxis nachahmten, wurden in der Regel die ganze Familie und die nächsten Verwandten ausgelöscht. Beim Bau eines Joseon-Königsgrabs wurden prinzipiell die ursprünglichen topographischen Gegebenheiten genutzt und nur etwa zu 10% wurde fremde Erde verwendet. Für die Menschen von Joseon bedeutete der Tod die Rückkehr zur Natur und nach der geomantischen Lehre konnte nur unberührte Erde Lebensenergien an den Körper weiterleiten. Daher sind die königlichen Grabanlagen von Joseon nicht das Ergebnis einer künstlichen Gestaltung, sondern Orte, an denen die jeweiligen naturgegebenen Bedingungen in ihrer ursprünglichen Form lebendig sind und die Idee, dass der Mensch aus der Erde kommt und wieder zu ihr zurückkehrt, umgesetzt ist. Während die kaiserlichen Grabstätten der chinesischen Mingund Quing-Dynastie von hohen Mauern umgeben sind, erfüllten in Joseon Wälder die Funktion von Mauern. Betrachtet man diese Grabanlagen aus der Ferne, erinnern die Wälder rund um die Anlage an schaukelnde grüne Wellen,
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weshalb sie auch als „grünes Meer“ bezeichnet werden. Begibt man sich in eine der an einem verheißungsvollen Ort angelegten königlichen Grabanlagen aus der JoseonZeit, erfüllt den Besucher eine kühlerfrischende Energie. Geomantiker erklären das damit, dass dort die positiven „Gi-Energien“ fließen. An einigen Stellen in den königlichen Grabanlagen und Palästen funktionieren Handys plötzlich nicht mehr, obwohl es in der Nähe keine augenscheinlichen Barrieren für die Signale gibt. Laut GeomantikExperten sind dies Schnittstellen von GiEnergieströmen. Geomantik kann als eine Art natürliche Geographie betrachtet werden, die ihren Ursprung im grundlegenden Wunsch des Menschen hat, in der Wärme von Mutter Natur geboren zu werden, zu ihr zurückzukehren und dort in Frieden zu ruhen. Die königlichen Grabanlagen von Joseon wurden nach diesem Prinzip errichtet, weshalb beim Bau die eigentliche Landschaft nicht geschädigt und die ursprünglichen topographischen Voraussetzungen möglichst ausgenutzt wurden. Sie stellen daher ein kulturelles Erbe dar, das das traditionelle koreanische Konzept von Natur, nach dem Natur und Mensch im Einklang miteinander stehen sollten, in komprimierter Form präsentiert. Frühjahr 2009 | Koreana 2
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Der große Trauerzug Wenn nach Debatten zwischen zahlreichen Geomantikern, Beamten und dem neuen König der Standort für das Grab gewählt worden war und die Bestattungsperiode endete, kam der Tag, an dem der verschiedene König den Palast für immer verlassen und zur Erde zurückkehren musste. Der Trauerzug bestand aus etwa fünftausend bis zehntausend Trauernden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gesamtbevölkerung von Joseon damals höchstens sieben bis fünf Millionen betrug. Stellt man sich den Zug mit seinen unzähligen Trauerfahnen, auf denen die Verdienste des Königs aufgemalt oder aufgeschrieben waren, dem Totengerüst, den zahlreichen Sänften, den mit klingenden Glocken geschmückten Pferden, dem König und seinen Militär- und Verwaltungsbeamten, den Hofdamen und Eunuchen usw. vor, dann muss es 30 Koreana | Frühjahr 2009
ein beeindruckendes Spektakel der Superlative gewesen sein. Oft brach der Trauerzug in der Nacht auf; in diesem Fall trugen 500 Personen eine Fackel. Der Trauerzug erstreckte sich generell über eine Distanz von etwa vier Kilometern, wobei am Straßenrand die in Trauergewänder gekleideten Untertanen ihrem Herrscher das letzte Geleit gaben. Bei der Bestattung von Königin Inseon, der Gemahlin von Hyojong (1619-1659), des 17. Königs von Joseon, deren Überführung zum Bestattungsort am 28. Mai 1674 stattfand, musste der Trauerzug, der sich vom Königspalast in Seoul entlang des Flusses Han-gang bis zur Anlage Yeongneung in Yeoju, Provinz Gyeonggi-do, begab, sogar zwei Mal übernachten. Es wurden 150 Schiffe und eine Besatzung von insgesamt 3.690 Mann eingesetzt. Königin Inseon wurde am 4. Juni 1674
zur letzten Ruhe gebettet. Ihre Grabstätte wurde von rund 3.200 aus ganz Joseon rekrutierten Mönchen gebaut, die sich für vierzehn Tage selbst versorgen mussten. Bei diesem Bau wurden relativ wenige Zwangsarbeiter eingesetzt, weil das Grab von König Hyojong bereits angelegt worden war und man daher z.B. den T-förmigen Schrein und den Opferraum nicht mehr zu errichten brauchte. Aus Aufzeichnungen geht hervor, dass der Trauerzug von Königin Inyeol (1594-1635), der Gemahlin von König Injo (1595-1649), gegen drei Uhr morgens aufbrach, wobei ihr mitsamt den Totenbahrenträgern 6.770 Trauernde die letzte Ehre gaben. Staatsbegräbnis und Politik Die Bestattung eines Königs war ein äußerst wichtiges Ereignis, das genau so viele Finanzen und Arbeitskräfte beanspruchte wie ein nationales Projekt, und
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Gongsunyeongneung in Paju. Die Waldgebiete in den Grabstätten aus der Frühzeit Joseons sind heute an die 600 Jahre alt und ideale Ausflugsziele für Kindergartenkinder und Schüler aus dem hauptstädtischen Raum.
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Die königlichen Grabanlagen von Joseon sind nicht das Ergebnis einer künstlichen Gestaltung, sondern Orte, an denen die jeweiligen naturgegebenen Bedingungen in ihrer ursprünglichen Form lebendig sind und die Idee, dass der Mensch aus der Erde kommt und wieder zu ihr zurückkehrt, umgesetzt ist. Während die kaiserlichen Grabstätten von China von hohen Mauern umgeben sind, erfüllten in Joseon Wälder die Funktion von Mauern. Betrachtet man diese Grabanlagen aus der Ferne, erinnern die Wälder rund um die Anlage an schaukelnde grüne Wellen, weshalb sie auch als „grünes Meer“ bezeichnet werden.
es war gleichzeitig die erste Staatsangelegenheit, mit der sich der Thronfolger zu befassen hatte. Nach der Beisetzung verteilte der neue König an alle, die bei Vorbereitung und Durchführung des Staatsbegräbnisses mitgewirkt hatten, je nach Verdienst Belobigungen. Da diejenigen, die einen geeigneten Standort für das Grab empfohlen hatten, oder die Minister, deren Vorschläge für das Bestattungsritual angenommen worden waren, in einen höheren Rang aufsteigen konnten, war die Bestattungsperiode eines Königs für einen Hofbeamten die beste Chance, die Aufmerksamkeit des neuen Regenten zu erregen und seine zukünftige Karriere zu sichern. Die fünfmonatige Bestattungsperiode, die dem Tod eines Königs, des höchsten Inhabers der Macht, vorausging, war daher auch eine Zeit für den Thronnachfolger, die Grundlagen für die politische Macht, die er zum Regieren des Reiches benötigte, zu legen. Vor allem wurde das Hofkabinett im Zuge der Entscheidung über den Standort der Grabstätte je nach der politischen Neigung des neuen Königs völlig umgestaltet. Das heißt, dass der König wäh-
rend der Diskussionen über den Standort unliebsame Beamte beseitigte und so seine politische Stellung als Regent befestigte. Ein Staatsbegräbnis war zwar die Bestattung eines Herrschers, es war aber auch eine Gelegenheit, unter dem Mantel der Geomantik politische Interessen durchzusetzen und politische Gegner aus dem Weg zu räumen. Während der Vorbereitungen auf die Bestattung wurden nach dem Prinzip „neue Besen kehren besser“ einflussreiche Gefolgsleute des vorherigen Regenten beseitigt und lediglich diejenigen, die dem Thronnachfolger Treue schworen, mit hohen Ämtern betraut. Die königlichen Grabanlagen sind auch historische Relikte, die Aufstieg und Niedergang der Dynastie der Joseon-Zeit widerspiegeln. Die Anlagen, die ab Mitte der Joseon-Zeit errichtet wurden, weisen in Bezug auf Struktur und Standort, die Symbole der absoluten Macht des Königs, Abweichungen zu den Grabstätten der früheren Zeit auf. Dies verrät, dass die Autorität des Königs in Wanken geraten und der Einfluss der hochrangigen Beamten größer geworden war. Tat-
sächlich wurde Ende der Joseon-Zeit bei sämtlichen Angelegenheiten, angefangen von der Wahl des Standortes einer Grabstätte, der Wille der Minister eher durchgesetzt als der des Königs, was folglich zum Untergang der Dynastie führte. Man sagt, dass die Könige der JoseonZeit „mit einem Königsgrab beginnen und mit einem enden“. Es ist nämlich die erste Aufgabe des Thronfolgers, ein Grabmal für den verstorbenen König zu errichten, und sein Leben als König endet widerum in einer königlichen Grabanlage, in der dann auch seine königliche Macht ihr Ende findet. Die 42 königlichen Grabanlagen von Joseon sind mehr als nur letzte Ruhestätten von Königen und Königinnen. Sie sind Belege für politische Geschichte, Wirtschaft und Verwaltungssystem und Quintessenz der Kultur aus Geomantik, Landschaftsarchitektur, Bautechnik, Bildhauerei, Bekleidung usw. des JoseonReiches, das 518 Jahre währte. Daher kann man durch die Betrachtung der königlichen Grabanlagen die Geschichte von Joseon kennen lernen und die darin verborgene Weisheit und Philosophie seiner Menschen entdecken. Frühjahr 2009 | Koreana 31
FOkUS
Die Ramsar-Umweltkonferenz: das internationale Festival der Umweltfreunde Die Vertragsstaaten-Konferenz der Ramsar-Konvention ist eine bedeutende internationale Umweltkonferenz, bei der der Zustand der Feuchtgebiete der Welt bewertet und gemeinsam Schutzmaßnahmen entwickelt werden, weshalb sie auch als „Umwelt-Olympiade“ bezeichnet wird. Die Konferenz wird alle drei Jahre reihum auf den verschiedenen Kontinenten ausgetragen. Gastgeber der Ramsar-Umweltkonferenz 2008 (28. Okt. - 4. Nov.), die unter dem Motto „Gesunde Feuchtgebiete, gesunde Menschen“ stand, war die Stadt Changwon in der Provinz Gyeongsangnam-do. Choi Man Lim Leiter des Vorbereitungskomitees der Ramsar-Umweltkonferenz in der Provinz Gyeongsangnam-do
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2 1 Gluckenten, eine seltene Vogelart, im Flug über den See Geumgang, das größte Vogelschutzgebiet für Zugvögel in Korea. Im Rahmen der Ramsar-Umweltschutzkonferenz 2008 wurde eine Maßnahme angenommen, die zur „Förderung der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz der Migrationsrouten von Wasservögeln“ aufruft. 2 Im Changwon Exhibition Convention Center fanden die Plenarsitzungen der 10. Vertragsstaatenkonferenz der Ramsar- Konvention statt, an der Delegierte und Experte aus 140 Mitgliedsländern teilnahmen.
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ie 10. Konferenz der Unterzeichnerstaaten der Ramsar-Konvention fand vom 28. Oktober bis 4. November in Changwon in der Provinz Gyeongsangnam-do statt. Es nahmen 2.288 Repräsentanten der jeweiligen Regierungen und internationaler Organisationen aus 140 Ländern teil. Darüber hinaus besuchten 2.890 Teilnehmer die wissenschaftlichen Begleitsymposien und 139.500 nahmen das Angebot an Kulturveranstaltungen wahr. Rechnet man die insgesamt rund 201.000 (2.400 pro Tag) Teilnehmer der Exkursionen ins UpoFeuchtgebiet und zum Junam-Reservoir hinzu, kommt man auf eine Gesamtzahl von ca. 500.000 Teilnehmern.
© Yoo Bum-joo
Ramsar-Konvention Die offizielle Bezeichnung der RamsarKonvention lautet „Übereinkommen über Feuchtgebiete, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Wattvögel, von
internationaler Bedeutung“. Vereinfacht formuliert spricht man vom „Übereinkommen über Feuchtgebiete“. Das Ziel dieses Übereinkommens ist, in internationaler Zusammenarbeit Maßnahmen gegen die Schäden der wirtschaftlich, kulturell und biologisch hoch wertvollen Feuchtgebiete auszuarbeiten und so diese Gebiete zu schützen. Die Feuchtgebiete, denen in ökologischer Hinsicht verschiedene wichtige Funktionen zukommen, stellen für den Menschen wertvolle Umweltressourcen dar. Aber trotzdem ist die Zahl der Feuchtgebiete mittlerweile auf Grund von Entwicklungsprojekten wie Gewinnung von Agrarflächen, Eindeichung, Landgewinnung an der Küste usw. dermaßen drastisch zurückgegangen, dass heutzutage bereits die Hälfte aller Feuchtgebiete auf der ganzen Welt verschwunden sind. Deswegen wurde man sich der Notwendigkeit eines internationalen Übereinkommens Frühjahr 2009 | Koreana 33
bewusst, was schließlich im Abschluss der Ramsar-Konvention resultierte, deren Ziel es ist, die Feuchtgebiete als Ökosysteme der Natur länderübergreifend und systematisch zu schützen. Der Name „Ramsar“ kommt von der kleinen Stadt Ramsar im Iran, in der am 2. Februar 1971 18 Länder zusammenkamen und das Übereinkommen schlossen. Bis heute haben 158 Staaten das Abkommen unterzeichnet, wobei jedes Mitgliedsland bei seinem Beitritt verpflichtet ist, wenigstens ein Feuchtgebiet zur Aufnahme in die Ramsar-Liste der Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung zu bestimmen, das die Kriterien der Konvention erfüllt, und den Erhalt des ökologischen Charakters des Gebietes zu sichern. Korea trat der Ramsar-Konvention im Juli 1997 als 101. Land bei und hat seitdem folgende elf Feuchtgebiete in die RamsarListe aufnehmen lassen: die YongneupHochmoore im Daeam-Gebirge in der Provinz Gangwon-do, das Upo-Feuchtgebiet in der Provinz Gyeongsangnamdo, die Insel Jang-do in der Provinz Jeollanam-do, die Suncheon-Bucht in der Provinz Jeollanam-do, Mulyeongari auf der Insel Jeju-do, das Du-Ung-Feucht34 Koreana | Frühjahr 2009
gebiet in der Provinz Chungcheongnamdo, das Moojechineup-Feuchtgebiet in der autonomen Stadt Ulsan, das MuanWattgebiet in der Provinz Jeollanam-do, das Maehwamareum-WasserpflanzenFeuchtgebiet in der Provinz Gangwondo, das Odaesan-Gebirge in der Provinz Gangwon-do und den Kratersee Muljangori auf der Insel Jeju-do. Die Unterzeichnerstaaten der RamsarKonvention kommen alle drei Jahre zu einer ordentlichen Generalversammlung zusammen, um den Stand der Implementierung der Bestimmungen der Ramsar-Vereinbarung durch die einzelnen Mitgliedsstaaten zu erfassen und neue Implementierungsmaßnahmen auszuarbeiten. Die erste VertragsstaatenKonferenz der Ramsar-Konvention wurde 1980 in Cagliari/Italien eröffnet. In den acht Folgekonferenzen wurde eine breite Themenpalette diskutiert und der Wert der Feuchtgebiete rückte noch stärker in den Blickwinkel.
Changwon-Erklärung In der Plenarsitzung der diesmaligen Vertragsstaatenkonferenz der RamsarKonvention in Changwon wurden insge-
samt 33 Tagesordnungspunkte wie z.B. „Feuchtgebiete und Gesundheit“ diskutiert. Als Resultat wurden Entschließungsentwürfe zu 32 Themen angenommen, darunter „Förderung der Artenvielfalt in Reisfeldern als Feuchtgebietssystemen“, „Förderung der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz der Migrationsrouten der Wasservögel“, „Klimawandel und Feuchtgebiete“, „Feuchtgebiete und BioBrennstoffe“ und viele mehr. Besonders zu beachten ist, dass durch den Entschließungsentwurf über die „Förderung der Artenvielfalt in Reisfeldern als Feuchtgebietssystemen“ vorgeschlagen wurde, die Reisfelder als Ramsar-Feuchtgebiete auszuweisen, wodurch das Bewusstsein in Bezug auf den ökologischen Wert der Reisfelder verstärkt und durch nachhaltige Anbaumethoden die Biodiversität der Reisfelder erweitert werden soll. Einer der größten Erfolge der Konferenz dürfte gewesen sein, dass der von der koreanischen Delegation verfasste Entwurf der Changwon-Erklärung auf Expertensitzungen zu einer Endfassung bearbeitet und schließlich die „ChangwonErklärung zum Wohlergehen der Menschen und der Feuchtgebiete“ angenom-
© Ha Dong-chil
Teilnehmer und Besucher nahmen an der im Rahmen der Ramsar- Konferenz angebotenen Exkursion zum Upo-Feuchtgebiet teil, das auf der Ramsar-Liste der Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung in Korea steht.
men wurde. In der Changwon-Erklärung wurden die Feuchtgebiete als „WasserInfrastruktur der Natur“ anerkannt und es wurde deutlich erklärt, dass in Zukunft die einzelnen Staaten in ihre strategischen Maßnahmen bezüglich des Klimawandels auch die Frage des Managements der Feuchtgebiete miteinbeziehen werden. Die diesmalige Erklärung betont gegenüber den politisch Verantwortlichen den besonderen Wert der Feuchtgebiete und die Notwendigkeit ihres Schutzes und stellt diesbezüglich konkrete Richtungsvorgaben auf, weshalb sie in Zukunft für die internationale Gemeinschaft als Leitfaden zum Feuchtgebietschutz dienen wird. Während der Plenarsitzungen wurden Sondervorträge zu Themen wie „Schutz der koreanischen Feuchtgebiete und deren nachhaltige Nutzung“, „Feucht-
gebiete und Verringerung der Armut“, „Umfassendes Wasser-Management: Prognosen für die kommenden 10 Jahre“ usw. gehalten. Zudem gab es 54 Nebenveranstaltungen wie das „Internationale Forum für Feuchtgebiet-Governance“ usw., auf denen über Themen wie Klimawandel und vieles mehr diskutiert wurde. Auch wurden 19 internationale Symposien wie das „Internationale Symposium über die Feuchtgebiete in Ostasien“ eröffnet.
Ein Umweltfestival für Experten und Laien Während der Plenarsitzungsperiode wurde am 2. November eine Exkursion zu acht Zielen angeboten, darunter Feuchtgebiete wie das Upo-Feuchtgebiet und ökologisch interessante Stätten wie das Mündungsgebiet des Flusses Nakdong-gang sowie Orte von kultureller
und historischer Bedeutung. Daneben gab es ein inoffizielles Programm wie Morgenspaziergänge in den Feuchtgebieten und Touren für Begleitpersonen der Konferenzteilnehmer. Im Changwon Exhibition Convention Center (CECO), dem Hauptaustragungsort der Konferenz, präsentierten die Teilnehmerstaaten an ihrem PR-Stand ihre wichtigsten Feuchtgebiete und die relevanten Maßnahmen zu deren Schutz. Der Stand Koreas stellte die Feuchtgebiete und die diesbezügliche Politik mittels IT-Anwendungen vor. Weil es viele verschiedene Veranstaltungen gab, die sich nicht nur an Experten, sondern auch an Laien wandten, wurde die Konferenz zu einem Umweltfestival, an dem alle Bürger teilnehmen konnten. Für das allgemeine Publikum, das nicht zur Konferenz zugelassen war, gab es auf dem Gelände des Konferenzzentrums
Eins der Highlights der Konferenz war die Annahme der „Changwon-Erklärung zum Wohlergehen der Menschen und der Feuchtgebiete“. In der Changwon-Erklärung werden die Feuchtgebiete als „Wasser-Infrastruktur der Natur“ anerkannt und es wurde deutlich erklärt, dass in Zukunft die einzelnen Staaten in ihre strategischen Maßnahmen bezüglich des Klimawandes auch die Frage des Managements der Feuchtgebiete miteinbeziehen werden.
Die 10. Vertragsstaatenkonferenz der Ramsar-Konvention zog die Aufmerksamkeit durch ihre besondere Umweltfreundlichkeit auf sich: Der Papierverbrauch wurde minimiert, die Nutzung von Wegwerfartikeln reduziert und für den Transport setzte man umweltfreundliche Fahrzeuge ein.
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eine Reihe von Kunst- und Kulturevents sowie Erlebnisaktivitäten u.ä., durch die den Besuchern die Wichtigkeit der Feuchtgebiete und der globalen Umwelt bewusst gemacht und die Bedeutung der Ramsar-Konferenz nahe gebracht wurde. Auf dem Außengelände des CECO war eine PR-Halle für grünes Wachstum aufgebaut. An 103 Ständen (12 PR-Stände von Städten und Provinzen, 7 PR-Stände von Kreisen, 10 PR-Stände von ausländischen Partnerstädten der Stadt Changwon, Stände, die mittels IT-Technologie die Feuchtgebiete vorstellten usw.) gab es für die Besucher Wissenswertes zu Bedeutung und Schutz der Feuchtgebiete. Im Bereich des CECO-Plaza lockte die traditionelle Kultur Koreas mit Aktivitäten wie Drachensteigenlassen, Exponaten wie den Statuen, die zum Schutz an den Eingängen von Dörfern und Tempeln aufgestellt wurden, oder BauernmusikVorführungen. Neben traditionellen kulinarischen Genüssen ließen ein Marktplatz im alten Stil, eine alte Schmiede u.ä. den Lebensstil von einst erleben. Verschiedene Kunst- und Kulturevents boten noch 36 Koreana | Frühjahr 2009
mehr Sehenswertes. An den Freilichtprogrammen nahmen über 20.000 Bürger teil und bekamen so Einblick in die Wichtigkeit des Feuchtgebietschutzes und der Umwelt.
Umweltfreundlichkeit Die 10. Ramsar-Konferenz 2008 zog besondere Aufmerksamkeit auf sich, weil sie dem Charakter einer Umwelt-
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konferenz gemäß auch umweltfreundlich ausgeführt wurde. Um den Verbrauch von Papier zu minimieren, gab es statt Wegwerf-Pappbecher für jeden Teilnehmer einen wieder verwendbaren eigenen Becher, dazu einen USB-Speicher, über den alle Unterlagen ausgetauscht wurden. In den Unterkünften wurden keine kostenlosen Wegwerfprodukte zur Verfügung gestellt, sondern nur auf Anfrage
1 Das Exkursionsprogramm umfasste Ausflüge zur Suncheonman Bucht in der Provinz Jeollanam-do, einem Ramsar-Feuchtgebiet, wo die Besucher verschiedene Vögel beobachten konnten, für die das Wattgebiet an der Küste ein Zufluchtsort ist. 2 Auf dem Freiluftgelände vor dem Konferenzzentrum fand eine Bilder-Ausstellung mit Werken von Kindern aus aller Welt statt. Um die nächste Generation von Schützern der Feuchtgebiete heranzuziehen, wurde eine Vielfalt von Programmen speziell für die Jugend angeboten 3 Im Vorfeld der offiziellen Ramsar-Konferenz 2008 wurde eine Kinder-Ramsar-Konferenz für Kinder aus allen bisherigen Veranstaltungsländern abgehalten. Kinder aus Italien, Kanada, Australien und Costa Rica nahmen an einem Erlebnisprogramm über natürliche Färbetechniken teil.
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gegen Entgelt angeboten. Auch Bettwäsche und Handtücher wurden nicht automatisch gewechselt, sondern auf Bitte der Gäste. Außerdem bekamen Teilnehmer, die PET-Flaschen wiederverwendeten, Bonuspunkte. Als Transportmittel wurden umweltfreundliche Fahrzeuge mit Biogasantrieb oder Hybridwagen eingesetzt. Diese umfassenden Bemühungen um eine umweltfreundliche Ausrichtung der Konferenz hinterließen bei den Teilnehmern einen tiefen Eindruck und die RamsarKonferenz 2008 machte Schule als Vorbild für eine umweltfreundliche internationale Veranstaltung. Reduzierung von Kohlenstoff: Zum ersten Mal in der Geschichte der RamsarVertragsstaatenkonferenz wurde mit einem speziellen Stand ein Fonds zur Reduzierung von Kohlenstoff auf den Weg gebracht. Bei diesem Fonds ging es darum, dass jeder so viel Geld spendet, wie er in seinem Alltag gezwungenermaßen zur Entstehung von Treibhausgasen beiträgt, und sich auf diese Weise an den weltweiten Bemühungen zur Kohlenstoffreduzierung beteiligt. An die 2.400 Konferenzteilnehmer und Bürger unterstützten diese Spendenaktion. Das Geld wird an das Sekretariat der Ramsar-Konvention weitergeleitet und für die Reduzierung von Treibhausgasen in den Entwicklungsländern und den Schutz von Feuchtgebieten verwendet. Kinder-Konferenz: Die Stadt Changwon veranstaltete im Vorfeld der Ramsar-
Konferenz 2008 eine Kinder-RamsarKonferenz, um die zukünftigen Schützer der Feuchtgebiete heranzuziehen. Kinder aus Korea und allen bisherigen Veranstaltungsländern (Italien, Niederlande, Kanada, Schweiz, Japan, Australien, Costa Rica, Spanien, Uganda) außer der Schweiz nahmen daran teil. Durch verschiedene Programme wie die Besichtigung von Feuchtgebieten usw. prägte sich ihnen das Bewusstsein ein, dass die Feuchtgebiete die Lungen der Erde sind.
Allgemeine Bewertung Die 10. Vertragsstaatenkonferenz der Ramsar-Konvention war in Bezug auf die Teilnehmerzahl die bislang größte ihrer Art und wurde mit der Annahme von einer Rekordzahl von 32 Entschließungsentwürfen von den Teilnehmern als sehr erfolgreich bewertet. Durch verschiedene Bemühungen wie die Präsentierung der von der Regierung vorangetriebenen Strategie des grünen Wachstums konnte Korea seinen Stand des herrschenden Umweltbewusstseins weltweit bekannt machen und seinen internationalen Status als fortgeschrittenes Land in Sachen Umwelt heben. Vor allem kann es auch als großer Erfolg gelten, dass die koreanischen Bürger durch die Ramsar-Konferenz 2008 mehr Interesse am Schutz von Feuchtgebieten und Umwelt gewonnen haben. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass das Engagement der freiwilligen Helfer
wesentlich zum Erfolg der Veranstaltung beigetragen hat. Die freiwilligen Helfer wurden von Allgemeinwissen bis hin zu Fachwissen umfassend und systematisch geschult und haben die Aufgaben, mit denen sie je nach Einsatzbereich betraut worden waren, zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt. Alle Konferenzteilnehmer waren von der Freundlichkeit und dem Enthusiasmus der freiwilligen Helfer äußerst angetan und bedankten sich bei ihnen für das während des ganzen Veranstaltungszeitraums gezeigte Engagement. Das durch die Ramsar-Konferenz stimulierte Interesse der Bürger an den Feuchtgebieten machte sich in der steigenden Beliebtheit der Öko-Touren zu den Feuchtgebieten bemerkbar. Während der Konferenz besuchten pro Tag ca. 4.000-5.000 Besucher das Upo-Feuchtgebiet und das Junam-Reservoir, am Wochenende konnten sogar jeweils 100.000 bzw. 30.000 Besucher registriert werden, was das Interesse an der Konferenz und den Feuchtgebieten widerspiegelt. Die Bedeutung der Ramsar-Konferenz 2008 kann in folgenden Punkten gesehen werden: Die Botschaft „Gesunde Feuchtgebiete, gesunde Menschen“ wurde in die ganze Welt hinausgetragen; die Entschließungsentwürfe reflektierten die unterschiedlichen Ansichten der einzelnen Interessenkreise; der Status Koreas in punkto Umweltschutz wurde angehoben und das Bewusstsein der Bürger über den Schutz der Feuchtgebiete erweitert. Frühjahr 2009 | Koreana 3
INTERvIEw
Der koreanische Regisseur Hong Sang Soo sorgte im Jahr 1996 mit seinem Debütfilm The day a pig fell into a well (Doejiga umul-e ppajin nal; Der Tag, an dem das Schwein in den Brunnen fiel, 1996) für großen Aufruhr in der Kritikerwelt. Doch zu einem kommerziellen Erfolg kam es nicht, so dass ihm ausreichende Mittel für die nächste Produktion fehlten. Sein zweiter Film The Power of Gangwon Province (Gangwondoui him, 1998), ein Mikro-Budget-Film, wurde beim 51. Filmfestival in Cannes in der Reihe „Un Certain Regard (Ein bestimmter Blick)“ ausgezeichnet. Mit Virgin Stripped Bare by Her Bachelors (O! Sujeong; Die Jungfrau, von ihren Junggesellen entblößt, 2000 ) begründete Hong Sang Soo seine eigene Filmgrammatik. Verfolgen wir die Entwicklung von Hongs Filmen, „die aus einander fremden Bruchstücken eine neue Bedeutung schaffen“. Shin Gi Joo Journalist, Filmmagazin Premiere | Fotos: Cine 21
Filmregisseur Hong Sang Soo: „Sein beachtenswerter Blick“ H ong Sang Soos Sehkraft lässt immer weiter nach. Während der Verfilmung von Virgin Stripped Bare by Her Bachelors hatte er zum ersten Mal Probleme mit seinen Augen. Aber er kümmerte sich nicht darum und überanstrengte sein Sehvermögen weiter. Mit jedem neuen Film, den er herausbrachte, wurden seine Augen ein bisschen schlechter. Doch er kommentiert nur gefasst: „Alle Menschen verlieren einmal an Sehkraft. Schließlich sterben ja auch alle einmal. Die Sehkraft lässt bei jedem langsam nach. Das führt letztendlich zum Sterben.“ Eigentlich ist das nichts Besonderes, aber auch nichts, worüber man so gelassen sein kann. Auch heute noch machen ihm die Augen zu schaffen. „Jetzt bin ich an meine Krankheit gewöhnt. Ich merke, wenn es soweit ist, dass ich wieder Probleme bekomme. Ich habe ein Gespür für die Krankheit bekommen und die Kraft, sie zu kontrollieren.“ Regisseure sind Menschen, die die Welt mit ihren Augen erfassen. Wenn ein Regisseur blind wird, ist auch seine Kunst zu Ende.
Die Kehrseite des Sichtbaren Aber vielleicht geht das filmerische Schaffen von Hong Sang Soo doch nicht zu Ende. Hong sieht nämlich die Welt nicht mit seinen physischen Augen. Er sieht vielmehr das Unsichtbare, die Kehrseite der sichtbaren Welt. Er schafft seine Filme nicht mit seinen Augen, sondern setzt seine zahlreichen Erfahrungen mit seinem Herzen zusammen: „Ich interessiere mich für die Bruchstücke in der Welt. Manche Schriftsteller legen großen Wert auf die ursprüngliche Quelle. Daher glauben sie, dass ein Bruchstück der Quelle auch seine ursprüngliche Bedeutung beibehalten muss. Deswegen wagen sie nicht, die Bruchstücke neu anzuordnen oder betrachten das Bruchstück an sich als wertvoll. Ich denke anders. Wenn jemand die Teilstücke eines Ereignisses in einer anderen Ordnung neu zusammensetzt, entsteht eine völlig neue Bedeutung. Und genau das sollte man auch tun.“ 38 Koreana | Frühjahr 2009
Filmemacher Hong Sang Soos Neigung, sich dem Einfluss der etablierten Trends zu entziehen, kommt in folgendem eigenwilligen Gedanken zum Ausdruck: „Ich werde oft nach der Bedeutung meiner Filme gefragt, aber solche Fragen kann man nur Ăźber Filme stellen, die nach Bedeutungen suchen.“
Hongs Film On the Occasion of Remembering the Turning Gate (2002), der die Wanderungen eines unbekannten Schauspielers durch die Provinz beschreibt, beruht mehr auf Improvisationen statt auf einem Drehbuch im konventionellen Sinne.
Hong Sang Soo misstraute von Anfang an der sichtbaren Welt dem Sichtbaren. Das, was er sieht, rückt er im Inneren nach hier und nach dort und schafft so etwas Neues. Die Schauspieler, die in Hongs Filmen auftreten, waren alle über ein und dasselbe erstaunt. Kim Yeong-ho, der in Night and Day (Bam-gua Nat, 2007) mitspielte, formuliert es so: „Eines Tage bekam ich das Filmskript und fand darin genau meine Erfahrungen beschrieben. Hong hatte aus unserer Unterhaltung beim Bier einen Filmstoff gemacht.“ Hong Sang Soo sagt dazu: „Ich lasse tausend Quellen offen und schreibe daraus alles Mögliche. In den Quellen finde ich ein Detail, Stück oder Bruchstück, was auch immer. Aus welcher Quelle es stammt, ist ohne Belang. Manchmal finde ich auch ein Teilstück in einer völlig unerwarteten Quelle. “ Während andere Regisseure sich den Kopf darüber zerbrechen, welches Image sie erschaffen sollen, beschäftigt sich Hong Sang Soo damit, wie er die unzähligen Bruchstücke seiner Erfahrung arrangieren und welche Bedeutung er daraus kreieren soll. Lebenserfahrungen haben nichts damit zu tun, ob man sehen kann oder nicht. Vielleicht sind ihm seine Augen wirklich gar nicht wichtig.
Künstlerische Inspiration Für Hong Sang Soo waren Filme seit seiner Kindheit etwas Vertrautes. Seine Mutter war in den 1960er und 1970er Jahren eine bekannte Filmproduzentin. Wie ein Schriftsteller den Stift und ein Maler den Pinsel gewohnt ist, so war für Hong die Kamera etwas Selbstverständliches. Für ihn ist ein Film nicht einfach ein industrielles Produkt, das sich aus optisch Reizvollem und Vergnüglichem zusammensetzt, sondern ein privates Ausdrucksmittel seines Inneren. Vielleicht geht es auf den familiären Hintergrund seiner Kindheit zurück, dass er Filme nicht als kommerzielle Produkte betrachtet, sondern eher als ein alltägliches Medium. Es war selbstverständlich, dass er sich für das Studium der Theater- und Filmwissenschaft an der Chung-Ang University einschrieb. Sein Weg war bereits vorgezeichnet. Doch im Jahr 1980 meldete er sich plötzlich ab und machte sich auf den Weg nach Amerika. An koreanischen Hochschulen konnte er nichts über den Film, so wie er ihn sich vorstellte, lernen. Ein Film ist für ihn ein Werk der intellektuellen Schöpfung. Seine Vorstellung vom Film war eine grundsätzlich andere als die der Hollywood-Kids, die in den Kinos ihren Traum vom Film träumten. Am California Institute of Art und am School of the Art Institute of Chicago studierte er das Wesen des Films. 40 Koreana | Frühjahr 2009
Auf dem Pusan International Film Festival 2008 verbrachte Hong Zeit mit der französischen Filmregisseurin Claire Denis. Hong unternimmt in seinen Filmen Experimente, die Picasso in der Malerei unternommen hat.
Sein fast zehnjähriges Studium in den USA übte einen entscheidenden Einfluss auf seine Filme aus. Er entwickelte eine neue Filmgrammatik, die sich von einfachen Vergnügungsfilmen unterschied, und war vom experimentellen Film des Modernismus und Postmodernismus fasziniert. In den 1980er Jahren wurde der koreanische Film durch eine strenge Zensur unterdrückt. Damals konnten Filmemacher nur „Hostess-Bar-Filme“ wie Yeong-ja's Heydays (Yeongjaui jeonseongsidae, 1975) und The Horse Loving Woman (Aemabuin, 1982) drehen. Dass The day a pig fell into a well im Jahr 1996 die Filmkritiker in Aufruhr versetzte, scheint nur selbstverständlich gewesen zu sein. Bis dahin hatte sich der koreanische Film auf die wahrheitsgetreue Wiedergabe der Realität beschränkt. Um es mit Hongs Worten auszudrücken: Die Quelle nicht zu beschädigen, keine Neuanordnung der Bruchstücke vorzunehmen, sondern sie genau wiederzugeben – darin bestand das Moralgebot der Zeit. Es war das Zeitalter des Realismus. Doch Hongs Filme brachen die Denkweise, unter der der koreanische Film stand, auf. „Andy Warhol zeigte acht Stunden lang nur das Empire State Building und produzierte aus dem einfachen Teilstück unzählige abgeleitete Bedeutungen. Meine Filme sind ähnlich. Ein Film ist eine Art Anordnungsmethode. Man kann es so sehen, dass ich durch extrem einfache Strukturierungen etwas Neues schaffe.“ Hong fügt noch hinzu: „Es gibt Filmemacher, die schon im Voraus die Aussage ihres Films festlegen und es zum Ziel setzen, durch den Film diese Aussage zu vermitteln. Ich werde auch öfters gefragt, was meine Filme bedeuten. Solche Fragen sind aber nur angemessen für Filme, die auf Botschaften großen Wert legen und anstreben, danach zu suchen.“ Hong Sang Soo räumte im koreanischen Film mit der fixen Idee der Bedeutung auf. Er spottete über das hehre Ideal der realistischen Wiedergabe. Statt das Leben wiederzugeben, interpretierte er es in seinen Filmen neu.
Misserfolg und dann ein Mikro-Budget-Film Es war ein Schock für die koreanische Filmwelt. Die intellektuellen Kritiker waren von seinen Filmen fasziniert. Es war ein Zeichen, dass auch im koreanischen Film die Dekonstruktion und Rekonstruktion der Bedeutung begonnen hatte: der Postmodernismus. Aber der Schock, den der Film The day a pig fell into a well hervorrief, beschränkte sich nur auf den Brunnen, i.e. die Kritiker. Der Großteil des Publikums konnte den Film nicht völlig verstehen. Die ungewöhnliche Entfaltung der Handlung, das schockierende Ende und die zersplitterte Geschichte sorgten eher für UnbeFrühjahr 2009 | Koreana 41
hagen unter den Kinogängern. Der Film war kommerziell ein Flop, was es Hong erschwerte, ausreichende Mittel für seinen nächsten Film aufzutreiben. Er bedauert: „Der Film kann als ein Medium der Vermittlung von Bedeutung betrachtet werden. Ein solcher Film konzentriert sich auf die interessante Vermittlung der Botschaft. Aber meine Einstellung zum Film ist anders. Das hängt von der jeweiligen Disposition des Filmemachers ab. Aber die Leute sind an Aussagen gewöhnt und reagieren mit Ablehnung auf alles, was sie nicht verstehen. Der Film unterliegt dem Zwang, eine bestimmte Bedeutung zu vermitteln oder eine klare Ordnung zu haben. Dieser Zwang lastet schwer auf mir.“ Nach dem Misserfolg musste er seinen zweiten Film The Power of Gangwon Province mit einem Mikro-Budget produzieren. Der Film entwickelt sich so, als befände sich die Kamera auf einem Ausflug in die Provinz Gangwon-do. Es gibt auch kein deutliches Handlungsschema: Eine Frau und ein Mann, die einst ein außereheliche Beziehung zueinander unterhielten, gehen auf die Reise nach Gangwon-do. Aber dieser Film hat Hong neuen Auftrieb gegeben. Er wurde beim 51. Filmfestival in Cannes in die Reihe „Un Certain Regard“ eingeladen. Es war das erste Mal, dass ein koreanischer Film in Cannes gewürdigt wurde. Während in den 1960er Jahren japanische Filme von Akira Kurosawa und Mizoguchi Kenji weltbekannt wurden und in den 1980er Jahren taiwanische Filme von Hou Hsiao-Hsien und Edward Yang weltweit großes Interesse auf sich zogen, führten koreanische Filme ein Mauerblümchendasein. Deswegen war es von besonderer Bedeutung, dass Hongs zweiter Film in Cannes für „Un Certain Regard“ eingeladen wurde. Das heißt, dass koreanische Filme langsam begannen, im Fluss der internationen Filmgeschichte nach vorne zu schwimmen.
Hongs besondere Art der Aufnahme Auch Hong Sang Soo selbst entwickelte sich weiter. Während seine experimentellen Debütfilme The day a pig fell into a well und The Power of Gangwon Province ein Ergebnis seiner Anpassung an das koreanische Film-Umfeld waren, ist der Film Virgin Stripped Bare by Her Bachelors ein Werk, mit dem er seinen eigenen Stil, seine eigene Filmgrammatik entwickelte. Nach Virgin Stripped Bare by Her Bachelors war seine eigenwillige Art der Aufnahme ein heiß diskutiertes Thema. Moon Sung-geun, der in mehreren Filmen von Hong spielte, sagt: „Jetzt bin ich daran gewöhnt, aber damals war es wirklich befremdend. Er erklärt nichts, es gibt kein fertiges Drehbuch. Man bekommt es erst am Morgen des Aufnahmetages. Da sieht man die Dialoge zum ersten Mal und dann muss man auch gleich spielen. Man kann sich überhaupt nicht darauf vorbereiten.“ Hong erklärt zu den Vor-Ort-Drehvorlagen: „Ich möchte nicht, dass sich der Schauspieler auf seinen Charakter vorbereitet. Dabei kommt nur geplante Schauspielerei heraus. Ich gebe den Schauspielern möglichst keine Informationen. Ich will nämlich keine berechnete Schauspielerei, sondern eine sich je nach Situation verändernde Darstellung.“ Er beschreibt seine Arbeit als eine Kreation von neuen Bedeutungen durch die Sammlung von einander fremden Fragmenten innerhalb eines gewohnten Ganzen. Die Darstellung der Schauspieler ist für ihn auch nur eins der Fragmente. Aber die Fragmente, die er im Leben entdeckt, sind gewohnte, und doch gleichzeitig neue Fragmente. Aus der Kombination von polierten und zugeschnittenen Teilstücken kann nichts Neues entstehen. Das ist der Grund, warum er den Schauspielern nichts erklärt. Die Hauptfigur in seinen Filmen ist immer Hong selbst. Er sagt, dass er aus fremden Teilstücken eine neue Bedeutung schöpft. Aber der Ort, an dem die Bedeutung als erstes entsteht, ist gerade das Innere von Hong. Dann wächst die neue Bedeutung im Inneren jedes einzelnen Zuschauers. Er selbst ist das Prinzip und die Regel für die Zusammensetzung der einzelnen Teilstücke. Aber seine Filme sind kugelförmig, so dass an seinem Prinzip und seiner Regel jeder eine ganz andere Ebene entdeckt. „Ich gestalte ein kugelförmiges Objekt. Es ist etwas ganz anderes als Filme, die als Medium zur Vermittlung von Botschaften oder Geschichten konzipiert sind und in denen alle Teilstücke sich nach diesem Zweck richten. Solche Filme sehen sozusagen wie ein Dreieck aus, dessen Ende spitz zuläuft. Aber ich möchte, dass der Widerspruchs- und Symmetriepunkt des Lebens wie eine Kugel geformt ist und die Leute daraus die Seite, die sie sehen möchten, entnehmen und verstehen. Sie können meine Filme auch gern als Matrix der Selbstanalyse benutzen.“ Was ihm in Bezug aufs Filmemachen die größte Freude bereitet, ist nicht, wenn ein guter Schau42 Koreana | Frühjahr 2009
spieler exzellent spielt oder ein Film zum Kassenschlager wird: „Ich bekam einmal eine E-Mail. Jemand schrieb mir, dass er meinen Film sehr traurig fand. Aber sein Freund, der neben ihm im Kino saß, fand den Film amüsant. Manche sagen, dass ich in meinen Filmen Frauen abwerte. Aber gerade neben solchen Leuten sitzen auch Frauen, die meinen Film ganz lustig finden und laut lachen. Das macht mich wirklich glücklich. In einem gewissen Sinne ist es das Beste für mich.“ Hong unternimmt in seinen Filmen die Experimente, die Picasso in der Malerei unternommen hat. Picassos Versuch, nicht nur die eine sichtbare Seite eines Objekts zu präsentieren, sondern auch die unsichtbare Seite zu zeigen, beruht auf dem Gedanken, dass man ein Objekt nur dann in seiner vollen Dimensionalität darstellen kann, wenn man auch die unsichtbaren Seiten darstellt. Das war der Moment, in dem der Mensch, der in seiner eigenen Perspektive gefangen war, seine Grenzen durchbrach. Hong experimentierte in gleicher Weise wie Picasso mit dem narrativen Medium namens Film. Dass seine Filme öfters Liebesgeschichten thematisieren, hat ebenfalls hier seinen Grund. Liebe ist eine Handlung, bei der zwei Menschen einander ansehen. Sie stehen einander gegenüber und sehen einander an, aber sie können die Rückseite des Anderen nicht sehen. Hong strebt in in seinen Filmen danach, auch die verborgene Rückseite darzustellen, was auch Picasso versuchte. Hong verbrachte die letzten Jahre damit, gegen seine eigenen künstlerischen Grenzen zu kämpfen und Widerstand gegen das koreanische Filmumfeld, das ihn unterdrückt, zu leisten. Anders als bei seinem Debüt kann er heute nicht mehr auf die absolute Unterstützung der Kritiker zählen. So verlor er auch seine ernsthaften Filmfans. Aber andererseits entstanden im gleichen Maße auch Anhänger, die absolut hinter ihm stehen. Zum Beispiel ist die Während andere Regisseure sich den Kopf darüber Schauspielerin Go Hyun-jung ein großer Fan von Hong zerbrechen, welches Image sie erschaffen sollen, beund stets bereit, eine Rolle in seinen Filmen zu übernehschäftigt sich Hong Sang Soo damit, wie er die unzähligen men. Go ist eine legendäre Schauspielerin in Korea. Nach Bruchstücke seiner Erfahrung arrangieren und welche ihrer Heirat pausierte Go für zehn Jahre und entschied Bedeutung er daraus kreieren soll. „Wenn jemand die sich dann für ein Comeback in einem Film von Hong. Sie Teilstücke eines Ereignisses in einer anderen Ordnung sorgte damit für großen Wirbel in der Filmwelt. Go sagt zu neu zusammensetzt, entsteht eine völlig neue Bedeuihrer Entscheidung: „An einem Tag, an dem etwas Trautung,“ sagt er. riges passiert war, ging ich ins Kino. Aber alle Tickets für die anderen Filme waren schon ausverkauft, es gab nur noch welche für den Film von Hong. Sein Film gefiel mir. Die Liebesgeschichte war interessant, brachte mich aber auch zum Nachdenken. Ich habe alle seine Filme gesehen. Wenn ein neuer angelaufen ist, habe ich mir gesagt, ‚Er hat wieder einen gemacht‘ und habe ihn mir angesehen.“ Sie ist ein wahrer Fan von Hong. Sie mochte Hongs Turning Gate besonders, einen Film, den die Kritiker zerrissen, die Kinobesucher jedoch bejubelten.
Die kleine kugelförmige Welt von Hong Sang Soo Im vergangenen Jahr produzierte er gleich zwei Filme, einen Langfilm und einen Kurzfilm, der auf dem Jeonju International Film Festival gezeigt werden wird. Der Langfilm Ohne es genau zu wissen handelt von einem Filmregisseur und einem Filmfestival-Programmgestalter. Hong äußerte bei einem Interview: „Letztes Jahr habe ich dauernd von jemandem gehört: „Ohne es genau zu wissen“. Diese Wendung ging mir nicht mehr aus dem Kopf und so kam es, dass ich daraus einen Film gemacht habe.“ Hongs Gewohnheit, die zersplitterten Teilstücke des Lebens zu sammeln, ist selbst sein Leben. In dem Film spielen Go Hyun-jung, Kim Tae-woo, Ha Jung-woo und Jung Yoo-mee. Die meisten haben keine Gage angenommen. Ohne es genau zu wissen könnte man als eine weitere Variation eines Hong-Films bezeichnen. Er hat viele Gemeinsamkeiten mit seinen früheren Werken, aber in dem Film wird auch wieder eine neue Kugel geformt. Was die Gemeinsamkeiten und was die Unterschiede sind, sehen Hong und das Publikum natürlich anders. In dieser Weise schafft Hong seine eigene kleine kugelförmige Welt. „Ich mache Filme, aber ich füge ihnen keine Ideologien oder Botschaften hinzu. Wie das Publikum den Film interpretiert, ist Aufgabe des Publikums. Ich lerne davon und habe auch Spaß daran, zu sehen, was die Leute aus meiner Kugel so alles machen. Es ist mir aber ehrlich gesagt egal, was sie daraus machen. Ob sie die Kugel hassen oder ihr irgendwelche Bedeutungen geben, geht mich nichts an. Das ist die Aufgabe des Publikums.“ Hong lebt davon, Kugeln herzustellen. Und wir befinden uns bereits in seinen Kugeln. Frühjahr 2009 | Koreana 43
kUNSTHANDwERkER
Ein Yundo umfasst eine Kompassrose mit einer 24-Strich-Teilung und eine Reihe konzentrischer Kreise für geomantische Anwendungen. Der Yundo war lange Zeit ein unerlässliches Messgerät, um nach den Prinzipien der Geomantik verheißungsvolle Stätten für Häuser oder Gräber auszumachen.
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Kim Jong-dae graviert die Ordnung des Universums in einen Kompass Der traditionelle koreanische Kompass Yundo ist mehr als ein einfaches Messgerät zur Bestimmung der Himmelsrichtungen. Da man sagt, dass die Prinzipien des Universums und der Natur stark mit dem Glück des Menschen verbunden sind, ist er vielmehr Kristallisation der asiatischen Gedankenwelt auf einem aus dem Holz des Jujubenbaums gefertigten Brett von 30 cm Durchmesser. Obwohl Meister Kim Jong-dae schon seit 50 Jahren Yundo herstellt, beschleunigt sich sein Herzschlag auch heute noch, wenn er in einem letzten Arbeitsschritt die Magnetnadel anbringt. Park Hyun Sook Freie Schriftstellerin | Fotos: Joo Byoung-soo
„W
ie man einen Yundo herstellt, habe ich zunächst gelernt, indem ich meinem Onkel über die Schulter bei der Arbeit zugeschaut habe. 1962 habe ich dann richtig mit der Yundo-Herstellung begonnen und ich mache es heute immer noch. Aber es ist trotzdem immer wieder erstaunlich zu sehen, welch tiefe Prinzipien des Universums und der Welt in einem Kompass stecken. Das Leben des Menschen wird vom Geschehen in der Welt bestimmt! Der Yundo ist auch der Richtungsweiser in meinem Leben. Es geht nicht darum, irgendwelche geheimnisvollen oder spirituellen Wege zu finden. Man muss nur dem richtigen Pfad folgen. Und wenn es nicht der richtige ist, sollte man ihn nicht gehen.“
Ein 350 Jahre altes Vermächtnis Meister Kim ist 76 Jahre alt. Seine mit Schwielen übersäten Hände bearbeiten ein Stück Holz von einem Jujubenbaum, der mindestens 150 Jahre alt ist. Er macht zwar diese Arbeit schon seit über 50 Jahren, zeichnet in exakt abgemessenen Abständen die konzentrischen Kreise und ritzt die winzigen Schriftzeichen ein, aber sein Herzschlag beschleunigt sich auch heute immer noch, wenn er zum Schluss die Nadel, die er mit dem 300 Jahre alten Magneteisen magnetisiert hat, anbringt. Meister Kim Jongdae, Träger des Immateriellen Kulturgutes Nr. 110, hat sein ganzes Leben der Yundo-Herstellung gewidmet. Der Yundo zeigt nicht nur die Himmelsrichtungen an, sondern ist auch ein traditionelles Messgerät, das alle Prinzipien von Himmel und Erde und des Universums erhellt. Aber niemand kann das Rad der Zeit anhalten. Meister Kim, der sein ganzes Leben lang in seinem Heimatort Yundo gebaut hat, erzählt, dass er in den letzten Jahren
langsam das Alter spürt. „Die Zeit fliegt, nicht wahr? Bis vor zwei Jahren hatte ich noch keine Schwierigkeiten, die kleinen chinesischen Zeichen ins Holz zu ritzen. In meinem Alter war ich auch sehr dankbar dafür. Aber in der letzten Zeit kann ich nicht mehr so lange arbeiten wie früher, weil meine Augen sehr nachgelassen haben. Ich arbeite aber trotzdem. Für einen großen Kompass brauche ich ungefähr vier bis fünf Monate. In einem Jahr baue ich ungefähr 50 Stück. Für die Stücke, die viel Feinarbeit verlangen, schneide ich nur die runde Holzplatte zu und schleife sie. Dann schicke ich sie meinem Sohn, der in Anyang als Lehrling arbeitet und später mein Nachfolger werden soll. Es gibt nichts zu bedauern. Wer kann sich den Gesetzen der Natur widersetzen? Ich selbst bin ja auch ein Teil der Natur!“ Im leichten Lächeln des Meisters liegt kein Bedauern über die Unerbittlichkeit der Zeit, sondern die heitere Gemütsruhe eines Weisen, der den Gesetzen der Natur folgt. Es ist der Yundo, der ihn die Prinzipien der Natur gelehrt hat. Auf sein Leben rückblickend meint Meister Kim, dass es wohl der Wunsch des Himmels gewesen sein muss, dass sein Großvater, sein Onkel und nun er schon in der dritten Generation dieses Familienhandwerk ausüben. Aus historischen Aufzeichnungen geht hervor, dass vor 350 Jahren die Handwerkskunst der YundoHerstellung von der Jeon-Familie an die Han-Familie, dann an die Seo-Familie und schließlich an die Kim-Familie weitergegeben wurde. Nach seinem Großvater Kim Gwon-sam und seinem Onkel Kim Jun-eui übernahm Kim Jong-dae das Handwerk und nun setzt sein Sohn Kim Hee-soo (46) die Familientradition fort. Als Meister Kim Jun-eui das Talent des Neffen entdeckte, lehrte Frühjahr 2009 | Koreana 45
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Der 76-j채hrige Yundo-Baumeister Kim Jong-dae, der bereits seit 체ber 50 Jahren Yundo herstellt, benutzt nur Holz von Jujubenb채umen, die 채lter als 150 Jahre sind.
er nicht seinen eigenen Sohn, sondern seinen Neffen das Handwerk und bat ihn in seinem letzten Willen, die Familientradition zu übernehmen. Kim Jong-dae, der damals Mitte zwanzig war und beim landwirtschaftlichen Genossenschaftsverband arbeitete, kündigte wegen dieses letzten Wunsches seines Onkels und des Rates seines Vaters seine Stelle und widmete sich fortan voll und ganz der Yundo-Herstellung.
Heungdeuk Paecheol: ein Meisterstück Früher waren Yundo sehr beliebt und wurden auch äußerst geschätzt. Kim Jong-daes Onkel, der verstorbene Kim Jun-eui, stand in dem Ruf, Yundo von besonders guter Qualität zu fertigen, so dass Käufer aus allen Landesteilen, ja sogar aus den heute in Nordkorea gelegenen Provinzen Pyeongan-do und Hamgyeongdo kamen und im Herrenzimmer warteten, bis der Yundo fertig war. Damals kostete ein von Kim Jun-eui gebauter Yundo 10 Seom (1 Seom = ca. 180 Liter) Reis. Man war nur zu gerne bereit, für einen dieser hochgeschätzten Kompasse eine lange Wartezeit in Kauf zu nehmen. Als Kim mit der Yundo-Herstellung begann, war die tief verwurzelte Wertschätzung, die man dem traditionellen Kompass entgegenbrachte, noch nicht ins Wanken geraten. „Es gab keinen Tag, an dem kein Kunde erschienen wäre. Sie kamen aus dem ganzen Land, Seeleute, Geomantiker und Astronomen. Sie wollten mit dem Yundo die Konstellation der Sterne deuten oder einen guten Standort für ein Haus oder ein Grab finden. Auch die Mönche berühmter Tempel wie Songgwang-sa, Geumsan-sa und Seonun-sa verwendeten Yundo, um einen verheißungsvollen Platz für einen Tempel oder geomantisch ideale Orte für die Häuser der Gläubigen zu finden. Der Yundo zeigt nicht nur die Himmelsrichtung an, sondern auch Ying und Yang, die fünf Elemente, die acht Trigramme sowie die Himmelsstämme und die Erdzweige. Je mehr Cheung (konzentrische Kreise) es gibt, desto genauer ist die Bestimmung von Richtung und Inhalt. Es gibt 1 bis 36 Cheung. Ein 1-Cheung-Yundo, der nur die 12 Himmelsrichtungen anzeigt, ist zwar noch einfach herzustellen, aber ein 24-Cheung-Yundo verlangt alleine schon 4.000 Schriftzeichen, die eingraviert werden müssen. In jedem Cheung sind der Wandel der 4,5 Milliarden Jahre alten Erde, die Logik des Wasserkreislaufes usw. verborgen. Damit unterscheidet sich der Yundo grundlegend von einem Kompass, der nur einfach die vier
Himmelsrichtungen anzeigt.“ Seit alters her wird die Heimat des Meisters, das Dorf Naksan im Kreis Gochanggun, Provinz Jeollabuk-do, „Heungdeok“ genannt. Schon vor 320 Jahren wurden in Heungdeok Yundo gefertigt, die auch als „Paecheol“ bekannt waren. Paecheol 1 aus Heungdeok wurden „Heungdeok Paecheol“ genannt und galten als Meisterwerke. Auf dem Berg hinter dem Dorf, dem Jaeseong-san, gibt es einen „Schildkröten-Felsen“, der seit alter Zeit für seine geheimnisvollen Kräfte berühmt ist. Wenn man in eine der sieben Ausbuchtungen auf dem waagrecht in Süd-Ost-Richtung liegenden Felsen einen fertig gestellten Yundo legt, kann man genau feststellen, ob die Nadel exakt nach Norden zeigt. Man sagt, dass, wenn man einen außerhalb von Naksan hergestellten Yundo auf den SchildkrötenFelsen legt, die Nadel seltsamerweise nicht mehr genau in Richtung Norden zeigt. Deswegen heißt es seit jeher, dass nur ein Paecheol aus Naksan genau nach Norden zeigen kann. Das war vielleicht der Grund dafür, warum bereits seit der Zeit des Vereinigten Silla-Reiches (668-918), als die Geomantik aufkam, in Naksan Yundo hergestellt wurden.
Anwendung und Aufbau Ein speziell für geomantische Zwecke konzipierter Yundo, bei dem die 24 Richtungen durch Kreise dargestellt werden, wird auch Jinamban, Jinamcheol, Yundo, Nagyung, Paecheol usw. genannt. Er wurde schon im Zeitalter der Drei Königreiche (57 v. Chr.-668 n. Chr.) zur geomantischen Standortbestimmung, zu militärischen Zwecken usw. eingesetzt und fand auch in der GoryeoZeit (918-1392), als die Astronomie blühte, rege Verwendung. In der Joseon-Zeit (1392-1910) beaufsichtigte das Gwansanggam, die für Astronomie zuständige Behörde, die Herstellung von Yundo. Im Joseon-Reich war dann die Geomantik weit verbreitet, so dass auch normale Bürger Yundo benutzten, um die genaue Nordrichtung der portablen Sonnenuhr zu bestimmen. Männer von hoher Abstammung befestigten einen kleinen und schlichten Yundo, Seonchu genannt, als dekorativen Anhänger an ihrem Fächer. Frauen trugen indes ein Myeonggyeongcheol bei sich, das Handspiegel und Kompass in einem war, während Geomantiker einen komplizierteren Yundo bevorzugten. Kim Jun-eui fertigte
1 Herren aus der adligen Oberschicht der Joseon-Gesellschaft trugen kleine Yundo mit Grundfunktionen bei sich, die oft als dekorative Anhänger am Fächer befestigt wurden. Kim Jong-dae fertigt besonders kunstvolle Yundo mit dekorativen Elementen wie z.B. Schildkröten-Gehäuse.
2 Die Herstellung eines hochpräzisen Yundo umfasst eine Reihe
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komplizierter Arbeitsschritte, für die an die 30 spezielle Werkzeuge notwendig sind. Von links nach rechts: Pinzette, großes Doreumsoe für das Zeichnen von Kreisen, Abrichtlineal, zwei kleine Doreumsoe, Meißel, hölzerne Pinzette und Jeonggangdae Frühjahr 2009 | Koreana 4
„Ich verwende ausschließlich Holz von mindestens 150 Jahre alten Jujubenbäumen, weil die Maserung fein und das Holz fest ist, so dass auch kleine Schriftzeichen gut eingeschnitzt werden können. Zuerst schneide ich aus dem Holz ein perfekt rundes Brett heraus und schleife die Oberfläche glatt. Dann lege ich den Mittelpunkt fest und zeichne in bestimmten Abständen konzentrische Kreise drumherum, die dann in exakt 360 Segmente unterteilt werden, die jeweils einem Grad entsprechen. Die kleinste Ungenauigkeit kann dabei dazu führen, dass der Kompass nicht richtig funktioniert, d.h. er ist ungenau.“
meistens flache Yundo sowie Seonchu oder Myeonggyeongcheol. Kim Jong-dae erhöhte den künstlerischen Wert des Yundo, indem er auf den Deckel die zehn Symbole des langen Lebens (Sonne, Berge, Wasser, Felsen, Wolken, Kiefer, Kraut der Unsterblichkeit, Schildkröte, Kranich und Hirsch) eingravierte. Kim Hee-soo, sein Sohn und Nachfolger, hat vor, neue Yundo mit traditionellen Motiven der Volksmalerei und folkoristischen Mustern zu präsentieren. Schauen wir uns einen Yundo einmal genauer an. In der Mitte befindet sich die Kompassnadel. Von innen, der Mitte, laufen nach außen konzentrische Kreise, die immer größer werden, je weiter sie vom Zentrum entfernt sind, und von radial verlaufenden Linien in Segmente unterteilt werden. An den Schnittstellen sind dicht an dicht winzige chinesische Schriftzeichen eingraviert, die die Richtungen andeuten. Der Unterschied zu einem normalen Kompass ist, dass diese Schriftzeichen nicht für Nord, Süd, Ost und West stehen. Es sind die Acht Trigramme, die Zehn Himmelsstämme und die Zwölf Erdzweige, wie sie im I-Ching, dem chinesischen Buch der Wandlungen dargestellt werden.
Herstellung des Yundo Da Präzisionsgenauigkeit und Beständigkeit für die Qualität des Yundo entscheidend sind, muss der Meister seine ganze Geisteskraft auf jeden einzelnen Arbeitsschritt von der Auswahl des Holzes bis zur Herstellung der Kompassnadel konzentrieren. „Ich verwende ausschließlich Holz von mindestens 150 Jahre alten Jujubenbäumen, weil die Maserung fein und das Holz fest ist, so dass auch kleine Schriftzeichen gut eingeschnitzt werden können. Zuerst schneide ich aus dem Holz ein perfekt rundes Brett heraus und schleife die Oberfläche glatt. Dann lege ich den Mittelpunkt fest und zeichne in bestimmten Abständen konzentrische Kreise drumherum, die dann in exakt 360 Segmente unterteilt werden, die jeweils einem Grad entsprechen. Die kleinste Ungenauigkeit kann dabei dazu führen, dass der Kompass nicht richtig funktioniert, d.h. er ist ungenau.“ Wenn der Meister diese
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erste Hürde im Fertigungsprozess erfolgreich genommen hat, wartet eine neue Herausforderung auf ihn: die Eingravierung der chinesischen Schriftzeichen. Jedes Schriftzeichen muss einzeln eingraviert werden, wobei kein einziger Fehler unterlaufen darf. Die Zeichen müssen zudem exakt angeordnet werden und selbst beim kleinsten Fehler heißt es, die ganze Holzoberfläche wieder glatt schleifen und von vorne anfangen. In den Yundo werden anstatt Nord, Süd, Ost und West Jin (震), Tae (兌), Yi (離) und Gam (坎) eingraviert. In die Zwischenräume, die normalerweise für Südost, Südwest, Nordsüd und Nordost gedacht sind, werden die chinesischen Zeichen aus den acht Trigrammen Son (巽), Gon (坤), Geon (乾) und Gan (艮) eingeritzt. Auch die Himmelsstämme und die fünf Elemente werden markiert. Gab-eul (甲乙) bedeutet Baum (Holz) (木) und steht im Osten; Byeong-jeong (丙丁) bedeutet Feuer (火) und steht im Süden; Gyeong-sin (庚辛) bedeutet Gold (Metall) (金) und steht im Westen; Yimg-gye (任癸) bedeutet Wasser (水) und steht im Norden. Das Element Mugi (戊己) für Erde (土) wird bei den Richtungen ausgelassen, weil Erde immer im Zentrum steht. Da der Yundo die Richtungen der Zwölf Erdzweige und Acht Trigramme anzeigt, ließ Meister Kim Jun-eui seinen Neffen Kim Jong-dae erst einmal die Klassiker Daxue (大學, Das große Lernen) und das I-Ching (周 易, Buch der Wandlungen ) studieren, bevor er ihm die handwerklichen Techniken beibrachte. Es dauert ca. 10 Tage, die Schriftzeichen bis zum 9. Kreis einzuritzen und über vier Monate, bis der 22. Kreis erreicht wird. Nach der Eingravierung der Schriftzeichen wird die ganze Oberfläche mit schwarzer Tusche bestrichen, wodurch die konzentrischen Kreise deutlicher zu erkennen sind. Danach wird weißes Jadepulver aufgestreut, um die eingravierten Schriftzeichen deutlich hervorzuheben und die vier Himmelsrichtung-Zeichen werden mit Pigmenten aus rotem Sand gefärbt. Zum Schluss wird die Kompassnadel angefertigt und aufgesetzt. Um eine feine Nadel herzustellen, muss ein Stück Stahl entsprechend zugeschnitten, in Kohlefeuer erhitzt und fein wie ein Sekundenzeiger gehämmert
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werden. Dann legt man die Nadel für etwa drei Stunden auf den Magnetstein, der schon seit 300 Jahren in der Familie vererbt wird, damit sie richtig magnetisiert wird. Setzt man sie anschließend auf den aus einer Kupfer-Zinn-Legierung hergestellten Drehstift, zeigt sie genau Norden an. Neben dem Magnetstein gehören noch über 30 weitere Werkzeuge zu den wertvollen Familienerbstücken, die Meister Kim Jong-dae von seinem Onkel bekommen hat: eine Doldoe (Ahle), eine NadelPinzette, ein Jeong (eine Art Stemmeisen), Hwalbibi (Werkzeug, mit dem man Löcher bohrt), Doreumsoe (eine Art Zirkel für das Zeichnen von Kreisen), Meißel, Jeonggandae (Lineal) usw. „Man muss darauf achten, den Magnetstein an einem nicht zu kalten und oder zu warmen Ort aufzubewahren, damit er nicht seine Magnetkraft verliert. Die Werkzeuge müssen in gutem Zustand gehalten werden; wenn das Schneidblatt stumpf wird, muss man es auswechseln. Die alten Werkzeuge wie dieser Magnetstein, die ich von meinem Onkel geerbt habe, sind für mich wie Lehrer und Freunde. Es wird mir direkt warm ums Herz, wenn ich sie anschaue. Den Lebensunterhalt nur mit der Herstellung von Yundo zu verdienen, war nicht einfach. Aber ich denke, ich habe gut daran getan, diesen Weg zu gehen. Der Yundo führt mich ja in die richtige Richtung. Er zeigt, wo immer er sich auch befinden mag, die richtige Richtung an. Ich war zwar mein ganzes Leben lang kein reicher Mann, aber ich habe immer versucht, ein aufrichtiger Mensch zu sein. Das ist die Lehre, die der Yundo mir ohne Worte gegeben hat.“ Weil der Yundo ihm den rechten Weg im Leben gewiesen hat, schwankt der Schritt des alten Meisters nicht durch Reue. Sein inniger Wunsch, den besten Yundo zu fertigen, ähnelt dem Kompass, der immer nach Norden zeigt. Man kann das treue Herz des Meisters in den Worten spüren, dass er, solange er seine Finger noch bewegen kann, Yundo herstellen wird, weil es wohl eine Frist ist, die ihm die Natur gewährt.
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1 Von einem Jujubenbaum, der wenigstens 150 Jahre alt ist, wird zunächst ein Stück Holz ausgewählt. Es wird zu einem perfekten Kreis zugeschnitten und glatt geschliffen.
2 Vom Mittelpunkt aus werden in bestimmten Abständen konzentrische Kreise eingeritzt.
3 Der äußerste Kreis wird in 360 Segmente unterteilt, die jeweils einem Grad entsprechen. Dieser Arbeitsschritt entscheidet über die Präzisionsgenauigkeit eines Yundo.
4 Beim Eingravieren der chinesischen Zeichen kann bereits der kleinste Fehler genügen, um die gesamte Oberfläche zu ruinieren. In diesem Fall muss der ganze Prozess noch einmal von vorn begonnen werden.
5 Ein Stück Stahl muss zugeschnitten, in einem Kohlefeuer erhitzt und in die Form einer dünnen Nadel gehämmert werden. Zur Magnetisierung wird die Nadel auf einen Magnetstein wie diesen gelegt, der als Familienerbstück bereits seit 300 Jahren von einer Generation an die nächste weitergereicht wird..
6 Nachdem die magnetisierte Nadel auf dem Drehstift aus einer Kupfer-Zinn-Legierung angebracht worden ist, zeigt sie automatisch nach Norden.
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MEISTERwERkE
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as buddhistische Ritualgefäß stammt von den Wassergefäßen ab, die die Mönche in Indien neben anderen Habseligkeiten wie einer Reisschüssel oder Kleidern einpackten, wenn sie auf Reisen gingen. Auf Sanskrit hieß es „Kundikâ“, woraus in China dann ausspracheadaptiert Gunji (軍持) oder Gunchiga (軍雉迦) wurde. Diese Wassergefäße, die zu den wichtigen Alltagsgegenständen im Leben der Mönche gehörten, wurden später bei religiösen Zeremonien zum Versprengen des geweihten Wassers vor dem Buddha verwendet. In Darstellungen von Buddhas und Bodhisattwas mit einer Kundikâ ist diese ein Symbol für Retter sowie Gnade. Zum Beispiel soll die Kundikâ, die der Bodhisattwa Avalokiteshvara, die Göttin der Barmherzgkeit, hält, das Lebenselixier Amrita enthalten, mit dem Durst und Schmerzen der Menschen gelindert werden.
Form, Material und Verwendungszweck Über die Form der frühen Kundikâ gibt es Beschreibungen in historischen Dokumenten. In dem Reisebericht Berichte über den Buddhismus aus der Region des Südmeers, den der chinesische Mönch Yi Jing im 6. Jahrhundert über seine Pilgerfahrt nach Indien verfasste, findet sich eine relativ genaue Beschreibung einer Kundikâ aus dieser Zeit: „Über dem zwei Finger langen schlanken Hals sitzt eine senkrecht aufragende Tülle, die wie ein kupfernes Essstäbchen aussieht. Auf der Schulter befindet sich ein zwei Fingerglieder langer Stutzen mit einer Kupfermünzen-großen Öffnung zum Einfüllen der Flüssigkeit. Damit keine Insekten oder Staub eindringen, sind die beiden Öffnungen mit Klappdeckeln versehen oder man bedeckt sie mit kleinen Bambusholz- oder Stoffstücken. Das Gefäß hat ein Fassungsvermögen von 1,5 Liter. Wie oben beschrieben, hat eine Kundikâ eine nach oben ragende
Tülle auf dem schlanken Hals und einen Stutzen auf der Schulter, was sie von anderen gewöhnlichen Flaschen oder Wasserkesseln unterscheidet. Als Material wurden zwar auch Ton, Gold oder Silber verwendet, aber meistens waren die Kundikâ aus Bronze oder Keramik. In der Goryeo-Zeit, als der Buddhismus als Staatsreligion angenommen wurde, waren Kundikâ neben Weihrauchgefäßen wichtige Ritualgegenstände und wurden in entsprechend großer Anzahl hergestellt. Es wird vermutet, dass Kundikâ ohne große Veränderungen der ursprünglichen Form kontinuierlich gefertigt wurden und dass sie auch in dieser dem indischen Prototyp nahen Form nach Korea kamen. Xu Jing, der Abgesandte des chinesischen Song-Reiches, der im Jahr 1123 zur Regierungszeit von König Injong das Reich Goryeo besuchte, verfasste in seinen Aufzeichnungen Illustrierter Bericht über Goryeo folgende Beschreibung einer Kundikâ: „Der Körper ist bauchig und daran sitzt ein gedrungener Ausgießer. Der Ausgießer am oberen Teil des Gefäßes ist zweigliedrig mit einer scheibenförmigen Auskragung in der Mitte, auf die noch einmal ein dünner Hals (Tülle) folgt, so dass die Form an eine große Schmuckhaarnadel oder einen Pinsel erinnert.“ In den Aufzeichnungen wird zudem berichtet, dass damals die Kundikâ auch im Volk als alltäglicher Gebrauchsgegenstand Verwendung fand. Kundikâ wurden also nicht nur in Ritualen als Gefäße für geweihtes Wasser verwendet, sondern auch im Alltagsleben. Die Beispiele einiger Keramik-Kundikâ, die mit exquisiten Einlegedekors geschmückt sind, wie sie häufig auf dem Cheongja-Seladon der Goryeo-Zeit zu finden sind, legen nahe, dass Kundikâ auch als dekorative Kunstobjekte für die Königsfamilie oder Adlige hergestellt wurden. Man vermutet, dass dieses Gefäß, das ursprünglich ein alltäg-
Höhepunkt des Metallkunsthandwerks der Goryeo-Zeit:
Kundikâ mit Uferlandschaftsdekor Kundikâ nannte man eigentlich die Wassergefäße buddhistischer Mönche, die später im Kult als Ritualgefäße zum Versprengen des geweihten Wassers vor dem Buddha verwendet wurden. Die meisten koreanischen Kundikâ, die heute noch existieren, stammen aus der Goryeo-Zeit (918-1392) und sind aus Metall, Keramik oder Ton. Die bronzene Kundikâ mit Uferlandschaftsdekor, Nationalschatz Nr. 92, wird in Bezug auf Form und Dekor als die schönste Kundikâ aus der Zeit des Goryeo-Reichs bewertet. Choi Eung Chon Professor an der Graduate School of Art History, Dongguk University Fotos: National Museum of Korea
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licher Wasserbehälter für Mönche war und sich dann zu einem Ritualgegenstand entwickelte, wie andere buddhistische Objekte der Handwerkskunst auch seit frühester Zeit in den buddhistischen Ländern wie China, Korea und Japan weit verbreitet gewesen sein muss. In China und Japan sind bis heute noch zahlreiche Metall-Kundikâ aus der früheren Zeit des 7. - 8. Jahrhunderts erhalten. Aber in Korea ist aus der Spätzeit des Vereinigten Silla-Reiches nur noch eine Kundikâ aus Bronze erhalten, die im Gebirge Buso-san in der Region Buyeo entdeckt wurde. Schlüsse auf das Aussehen von Kundikâ aus der Frühzeit des Vereinigten Silla-Reiches lässt lediglich eine goldbronzene SariraBehälter aus dem Jahr 751 zu, die im Stil zwar ähnlich ist, aber andere Details aufweist und in einer dreistöckigen Steinpagode im Tempel Galhang-sa eingeschreint war. Die meisten koreanischen Kundikâ, die bis heute erhalten sind, stammen aus der Goryeo-Zeit und sind aus Metall, Keramik oder Ton. Die Kundikâ aus dem 10. Jahrhundert, die in der Stadt Samcheok in der Provinz Gangwon-do gefunden wurde und noch keine so hoch aufragende Tülle, aber einen langen Stutzen auf der Schulter hat, gibt Aufschluss über die Charakteristika der Kundikâ in der frühen GoryeoZeit. Typischer für die Goryeo Zeit sind jedoch Kundikâ, wie sie in den historischen Aufzeichnungen beschrieben wurden: Oval-bauchiger Körper, langer schlanker Hals mit einer runden Auskragung in der Mitte, auf der eine hoch aufragende, spitz zulaufende Tülle sitzt, gedrungener Stutzen in Eieruhrform. Der Stutzen war fürs Einfüllen und die Tülle fürs Ausgießen gedacht, mit der Zeit verwendete man sie aber nach eigenem Belieben. Viele Kundikâ aus der Goryeo-Zeit weisen als typische eingelegte Dekormotive
beschauliche Uferlandschaften, Wolken, Kraniche, Drachen, Gräser oder Farne auf, die aus feinen geflochtenen Silberdrähten gearbeitet wurden.
Eingelegte Dekormotive Die Kundikâ mit Uferlandschaftsdekor aus dem koreanischen Nationalmuseum, die hier vorgestellt wird, heißt offiziell, „Cheongdong-eunipsa-poryusugeummunjeongbyeong (Bronzene Kundikâ mit Weiden und Wasservögeln aus eingelegtem Silberdraht)“. Unter den in Korea noch erhaltenen Kundikâ gilt sie in Bezug auf Form und Dekor als am herausragendsten, weshalb sie als einzige zum Nationalschatz (Nr. 92) bestimmt wurde. Es ist eine typische Kundikâ mit einem graziösen, ovalen Körper, einem langen, schlanken Hals und einem gedrungenen, in der Form an eine Eieruhr erinnernden Stutzen. Die Bronze nahm aus unbekannten Gründen auf der gesamten Oberfläche einen hellgrünen Farbton an, der absichtlich angebracht wirkt, und die silbernen Einlegedekors, die im Laufe der Zeit korrodierten, schimmern dunkel hindurch. Die auf dem hellgrünen Beschlag angebrachten Einlegedekors sind nicht prachtvoll ornamental, sondern eher von einer verfeinerten Schlichtheit. Sehen wir uns die Dekormotive einmal genauer an. Zwei Weiden mit gewundenem Stamm stehen sich auf einer hügelartigen Insel auf der rechten und linken Seite des Gefäßes gegenüber. Sie sind umgeben von größeren und kleineren Inseln, die dicht mit Schilf und Wasserpflanzen bewachsen sind. Dazwischen fliegen mehrere Enten am Himmel. Auch auf dem Wasser gibt es Enten, die aber gemächlich dahingleiten. Daneben ist ein Fischer im Boot zu sehen. An der Schulterpartie des Gefäßes findet sich die liebliche Darstellung eines kleinen Hügels in der Ferne, über den Wildgänse am Himmel ziehen.
Diese Kundikâ aus dem Goryeo-Reich hat einen oval-bauchigen Körper und einen langen, schmalen Hals mit einer scheibenförmigen Auskragung, über der eine Tülle zum Ausgießen angebracht ist. Ein Stutzen an der Schulter war zum Einfüllen des Wassers gedacht. Der zarte Einlegedekor zeigt eine Uferlandschaft mit Wasservögeln, die sich im Schilf unter herunterhängenden Weidenzweigen vergnügen. Frühjahr 2009 | Koreana 51
Die scheibenförmige Auskragung zwischen Hals und Tülle ist mit einem Silberbeschlag mit exquisitem Dekor geschmückt, was die elegante Verfeinerung der Kundikâ unterstreicht. Dieses Meisterwerk ist Zeugnis für die vollendete Handwerkskunst und Liebe zum Detail, die in den Herstellungsprozess einflossen.
Das Uferlandschaftsmotiv mit Weidenbäumen, Lotosblumen, Schilfgräsern und vergnüglich schwimmenden Wasservögeln ist Ausdruck des innigen Wunsches der Menschen von Goryeo nach einem Leben nach dem Tod. Die Bronze nahm auf der gesamten Oberfläche einen hellgrünen Farbton an, der absichtlich angebracht wirkt, und die silbernen Einlegedekors, die im Laufe der Zeit korrodierten, schimmern dunkel hindurch. Die auf dem hellgrünen Beschlag eingelegten Dekors sind nicht prachtvoll ornamental, sondern eher von einer verfeinerten Schlichtheit
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Ein solches Motiv, „Poryusugeummun“ genannt, ist charakteristisch für Keramiken oder Weihrauchgefäße aus der Goryeo-Zeit. Meistens handelt es sich um Uferlandschaften an Flüssen oder Seen mit Wasserpflanzen wie Schwertlilien, Rohrkolben, Weiden oder Schilfgräsern und Wasservögeln wie Stockenten, Wildgänsen oder Reiher. Da solche Uferlandschaften ähnlichen Stils auch auf alten Wandgemälden in Gräbern der chinesischen Liao-Dynastie (907-1125) zu finden sind, wird auch die Ansicht vertreten, dass sie dort ihren Ursprung hätten. Aber abgesehen von den erwähnten Wandbildern sind in China kaum weitere Beispiele für diese Uferlandschaft-Motive belegt, während sie umgekehrt im GoryeoReich weit verbreitet waren. Das Motiv der Uferlandschaft war in Goryeo im 11. und 12. Jahrhundert besonders populär, also zu einer Zeit, als das Volk stark dem Zen-Buddhismus anhing. Man vermutet daher, dass die Menschen von Goryeo, die unter dem Einfluss des ZenBuddhismus nach innerer Ruhe und Besinnung strebten, ihren sehnlichen Wunsch, nach dem Tod in einer solchen Welt wiedergeboren zu werden, durch diese Motive zum Ausdruck brachten. Die Weiden, die bei Uferlandschaftsmotiven an zentraler Stelle stehen, sind zudem im Zusammenhang mit dem damals in Goryeo verbreiteten buddhistischen Gwaneum-Glauben (Verehrung des Avalokiteshvara Bodhisattwa, der Göttin der Barmherzigkeit) zu sehen. Ein Ufer mit Weiden, Lotos, Schilf und Wasservögeln, die gemächlich auf dem Wasser schwimmen, war für die Menschen der Zeit wahrscheinlich ein Ort, an dem sie sich die Göttin der Barmherzigkeit gut vorstellen konnten. Tatsächlich befinden sich in Darstellungen des Avalokiteshvara Bodhisattwa mit Kundikâ immer Weidenzweige in den Öffnungen derselben. Weiden sind auch in vielen Avalokiteshvara-Bildern aus Goryeo zu sehen, weil man glaubte, dass Weiden Krankheiten heilen und Dämonen vertreiben können. Jedenfalls ist noch zu beachten, dass es sich bei den Weiden auf dieser Kundikâ um in Korea heimische Trauerweiden, auch „Goryeo-suyang“ genannt, handelt. Das Motiv der Uferlandschaft mag zwar aus China übernommen sein, aber die koreanischen Künstler haben einen originär koreanischen Dekor daraus geschaffen
Dekor
eine Zusammensetzung aus einfachen Grundstrukturen und Linien aus. Ein zweiter Blick lässt dann aber eine ästhetisch gekonnte Anwendung von freier Fläche, Aussparung und Akzentsetzung erkennen. Gleichzeitig wurde eine perspektivische Darstellungsweise angewendet, d.h. weit entfernte Objekte wurden bewusst kleiner gearbeitet, was dem Dekor die Lebendigkeit eines echten Bildes verleiht. Um die Schulter und den niedrigen Fuß windet sich ein gleichmäßig gearbeitetes Kettenmuster, was ihr im Vergleich zu andern Kundikâ einen weicheren und gleichzeitig schmuckeren Ausdruck verleiht. Um den Stutzen sind Lotosranken sowie Lotosblätter eingraviert, während der Hals mit gelegentlichen Wolken und die Tülle mit dichtem Wegerichmuster verziert ist. Die Dekoration mit so verschiedenartigen Motiven ist eine weitere Besonderheit dieser Kundikâ, die sie von anderen abhebt. Der mit Ziergravuren versehene silberne Klappdeckel am Stutzen und der Silberbeschlag an der Auskragung zwischen Hals und Tülle verleihen dem Gefäß einen elegant-dekorativen Charakter. In dieser Hinsicht ist der Nationalschatz Nr. 92 eins der erstaunlichsten Meisterwerke seiner Zeit, das mit großer Hingabe und Anstrengung gefertigt wurde. Anhand der nicht zu langen und angemessen spitz zulaufenden Tülle auf einem wohlproportionierten Körper voller Solidität und der ästhetischen Gestaltung der Landschaftsmotive, bei dem im Gegensatz zu den prächtigen Silberbeschlägen mit Aussparungen und Akzentsetzungen die verfeinerte Schönheit betont wird, ist zu vermuten, dass diese Kundikâ Anfang des 12. Jahrhunderts, als die Metallhandwerkskunst der Goryeo-Zeit ihre Blüte erreichte, hergestellt wurde. In der späten Goryeo-Zeit verloren die zuvor mit wohlproportionierten Formen und Mustern gearbeiteten Kundikâ allmählich ihre Proportinoniertheit durch übertriebene Betonung der Tülle und kleinere Körper. Auch der Dekor wurde immer komplizierter und verschiedenartiger, was zu einer Schematisierung führte, so dass die Kundikâ an ästhetischem Gehalt verlor. In der JoseonZeit (1392-1910) gab es fast keine klassischen Kundikâ mehr, sondern es wurde eine Art Hybrid-Gefäß aus Wasserbehälter und Kundikâ oder Wasserkessel mit einer langen Tülle und einem Griff hergestellt. So ging allmählich die große Tradition der koreanischen Kundikâ verloren.
Der eingelegte Silberdraht-Dekor sieht auf den ersten Blick wie
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Das Weltfestival der Nationaltheater 2008
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as Weltfestival der Nationaltheater, das vom 5. September bis zum 30. Oktober 2008 zum zweiten Mal stattfand, war ein großer Erfolg. Das Team für die Planung und Ausrichtung hat sich bei den Vorbereitungsarbeiten darum bemüht, bei der Festlegung der Teilnehmerländer und der Programmplanung deutlich andere Schwerpunkte zu setzen als beim ersten Festival. Während beim ersten Festival hauptsächlich klassische Werke im Mittelpunkt standen, die nach Kontinent und Land sowie Untersuchungen der einzelnen Stücke ausgewählt wurden, konzentrierte man sich beim zweiten Festival hauptsächlich auf moderne Stücke.
Kreatives Konzept
Dieses Mal wurden Theatergruppen aus Norwegen, Frankreich, China, Moldawien, Thailand und Russland für den offiziellen Teil des Programms eingeladen und Gruppen Das Weltfestival der Nationaltheater (The World Festival of National Theaters ) aus der Mongolei und Deutschland für ist ein weltweit einzigartiges Festival in der Hinsicht, dass Gruppen von NatiSonderaufführungen. Neben den ausländischen Teilnehmern traten im offiziellen onaltheatern verschiedener Länder zusammenkommen, die für das jeweilige Programm auch koreanische Gruppen, Land repräsentativ sind und lange Traditionen aufweisen. An der zweiten die allesamt dem Koreanischen NatioAuflage dieses Festivals, das vom 5. September bis zum 30. Oktober 2008 stattnaltehater angehören, auf die Bühne. So fand, haben Gruppen aus Norwegen, Frankreich, China, Moldawien, Thailand, präsentierten die Nationale Theatertruppe Russland, der Mongolei und Deutschland teilgenommen und sind neben den (The National Drama Company of Korea), vier Gruppen des koreanischen Nationaltheaters auf die Bühne getreten. die Nationale Tanztruppe (The National Dance Company of Korea), das Nationale Lim Sang Woo Zuständiger für Planung, The National Theater of Korea Musiktheater Changgeuk (The National Fotos: The National Theater of Korea Changgeuk Company of Korea) und das Nationalorchester für Klassische Koreanische Musik (The National Orchestra of Korea) ein repräsentatives Repertoire. Es wurde auch zum ersten Mal versucht, koreanische Werke, die speziell für die ausländische Bühne produziert wurden, im Randprogramm „Fringe Performances“ in das offizielle Programm zu integrieren, um eine noch größere Vielfalt zu erreichen. Als Resultat konnte dieses zweite Festival noch mehr Aufmerksamkeit als das erste auf sich ziehen und kann als voller Erfolg gelten. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, als ich das erste Weltfestival der Nationaltheater 2007 vorbereitete, fallen mir wieder die Worte ein, die im Schreiben des griechischen Nationaltheaters standen, mit dem man die Teilnahme bestätigte: „Das griechische Nationaltheater macht zwar bereits seit langem Tourneen durch die ganze Welt, aber ein Festival wie das koreanische, an dem Nationaltheater aus aller Welt teilnehmen, ist etwas völlig Neues für uns. Wir möchten an dieser einzigartigen Veranstaltung unbedingt teilnehmen.“ Wir waren damals noch dabei, die grundlegenden Planungsarbeiten auf die Beine zu stellen, und wussten nicht so recht, mit welchen Stücken und wie wir das Programm gestalten sollten, so dass lediglich kopfzerbrechende Diskussionen geführt wurden. Dieses Schreiben gab uns die Zuversicht, dass das Festival erfolgreich sein würde, wenn es einen distinktiven und besonderen Charakter und ein deutlich umrissenes Thema haben würde. 54 Koreana | Frühjahr 2009
Drei Schwestern, eine Vorstellung des Moskauer Maly Theaters. Yuri Solomin, der renommierte Kunstdirektor der Truppe, präsentierte dieses klassische Stück zur Eröffnung des Festivals.
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Wenn von den Kulturzentren der Welt die Rede ist, dürfte zurzeit noch keine Assoziation zu Korea aufkommen. Korea ist jedoch dabei, sein kulturelles Potential gezielt zu entwickeln, wozu das Weltfestival der Nationaltheater einen nennenswerten Beitrag leistet.
Schließlich wurde die sich über zwei Monate erstreckende Veranstaltung, an der acht Länder — Griechenland, Großbritannien, Italien, die Türkei, Indien, China, die Schweiz und Korea — teilnahmen, das größte Fest der Darstellenden Kunst in Korea.
Russland: Drei Schwestern , Moskauer Maly Theater Versetzen wir uns einmal in die Zeit vor fast zwanzig Jahren. Im März 1990 brachte das Bolschoi-Ballett einen Schock frischen Windes in die koreanische Theaterwelt. Und im Mai desselben Jahres, noch bevor sich das koreanische Publikum von dem angenehmen Schock erholen konnte, entsandte die damalige sowjetische Regierung das Maly Theater mit der Komödie Der Kirschgarten nach Seoul. Das koreanische Publikum, das die Stücke von Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904) wie z.B Die Möwe bis dahin nur aus Werksammlungen oder als Bühnenaufführungen mit koreanischer Besetzung kannte und entsprechend begierig nach mehr von Tschechow war, hatte endlich die Gelegenheit zu erleben, was modernes realistisches Theater ist. Im selben Jahr nahmen Russland und Korea diplomatische Beziehungen zueinander auf und genau 18 Jahre und 4 Monate nach dem ersten Auftritt spielte das Maly Theater im September 2008 ein vom ständigen Kunstdirektor Juri Solomin inszeniertes Stück auf der koreanischen Bühne. Er brachte Tschechows Werk Drei Schwestern , das quasi als ABC-Fibel des Theaters gilt und für das das Publikum noch mehr Interesse hatte als für Der Kirschgarten, als Eröffnungsstück der ausländischen Beiträge auf die Bühne des zweiten Weltfestivals der Nationaltheater. Juri Solomin, der einflussreichste Direktor in der russischen Theaterwelt, war in den 1960er Jahren sowjetischer Kulturminister und wurde auch vom Staat mit der Auszeichnung „Volkskünstler der UdSSR“ gewürdigt. Mit seiner Interpretation des Tschechowschen Werkes stellte die exzellent trainierte Truppe dem koreanischen Publikum modernes realistisches Theater vom Feinsten vor. Das Maly Theater, das repräsentativste Theater in Russland mit 120 Schauspielern und über 700 Angestellten, zählt neben der Royal Shakespeare Company (RSC) und der Comédie-Française zu den drei besten Theatern der Welt.
Norwegen: Peer Gynt , New Theatre in Osolo Der zweite Akt des Stücks begann mit dem ohrenbetäubenden Aufheulen einer echten Harley-Davidson und eines dachlosen Flitzers, die auf der Bühne erschienen. Als dann die vertrauten Klänge von Solveigs Lied erklangen, schlossen wir leicht die Augen und versanken endlos in den Gefühlen, die die Stimme der Singenden in uns heraufbeschwor. Wir konnten nicht anders als dankbar sein, dass direkt vor unseren Augen die wunderbaren Szenen aus Ibsens Peer Gynt gespielt wurden. Anton Tschechow vollendete 1903 sein letztes Werk Der Kirsch56 Koreana | Frühjahr 2009
garten und starb im darauf folgenden Jahr. Ibsen, der etwa zwei Jahre nach Tschechow starb, machte sich mit seinen Werken wie Gespenster oder Nora oder Ein Puppenheim einen Namen als herausragendster Vertreter des modernen Theaters auf der skandinavischen Halbinsel und wird auch oft als „Vater des modernen Theaters“ bezeichnet. Peer Gynt , das allgemein als Ibsens Werk mit der größten Vorstellungskraft gilt, erzählt davon, dass der moderne Mensch durch die absurde Jagd nach Reichtum und Macht geistig verwüstet wird und solch eitle Ambitionen bloß Vergängliches sind. Dies wird durch die Szene deutlich, in der die Hauptfigur Peer Gynt in den Armen von Solveig, seiner früheren Geliebten, die eine alte Frau mit weißem Haar geworden ist, seinem Ende entgegensieht. Der norwegische Komponist Edvard Grieg schrieb die Musik zu diesem Bühnenstück. Die Peer Gynt A/S, das Organisationskomitee des Peer GyntFestivals, organisiert seit 1967 jährlich rund dreißig Veranstaltungen in etwa 15 Dörfern von Gudbrandsdalen, einer Region, in der die alten Traditionen Norwegens bis heute lebendig geblieben sind. Der Höhepunkt dieses Festivals, das aus verschiedenen künstlerischen Programmen wie Theateraufführungen und Konzerten besteht, ist die Aufführung von Peer Gynt auf der Freilichtbühne am See Gålå. Die Peer Gynt-Produktion in Korea wurde auf Einladung des Weltfestivals der Nationaltheater von Svein Sturla Hungnes, dem Regisseur des New Theater in Oslo, auf die Bühne gebracht, der als Regisseur, Kunstdirektor und in der Hauptrolle des Peer Gynt eine dreifache Leistung erbrachte. Das ursprünglich für eine Freilichtbühne gedachte Werk wurde für die Aufführung auf der koreanischen Bühne im Hae-Hauptsaal des koreanischen Nationaltheaters neu bearbeitet. Peer Gynt gilt als Ibsens Werk von größtem Format. Auch die koreanische Aufführung war eine großangelegte Inszenierung, die von insgesamt 74 Darstellern – 44 Schauspielern und Musikern aus Norwegen und 30 koreanischen Chorstimmen, die der Regisseur selbst ausgewählt hatte – vorgeführt wurde.
Frankreich: zwei Komödien des Nationaltheaters Odéon Frankreich hat fünf Nationaltheater. Das Nationaltheater Odéon, das auch als „Theater Europas“ bekannt ist, ist verpflichtet, die Hälfte des Jahres ausschließlich europäische Stücke aufzuführen und organisiert für die übrige Zeit Koproduktionen mit anderen Theatern oder Gastveranstaltungen auf Einladung. Für das Festival hat es zwei Stücke vorbereitet, die hintereinander geschaut werden können: The Young Girl, the Devil and the Mill aus dem Jahr 1992 und Water of Life aus dem Jahr 1999, beide von Olivier Fy dramatisiert und inszeniert. Der literarische Stoff beider Stücke stammt von den Gebrüdern Grimm, die auch bekannte Volksmärchen wie Schneewittchen, Hänsel und Gretel und Dornröschen
Peer Gynt, gespielt vom New Theater of Oslo. Da dieses Stück normalerweise auf einer Freilichtbühne aufgeführt wird, waren einige Adaptionen notwendig, um es im Hae-Hauptsaal des koreanischen Nationaltheaters auf die Bühne bringen zu können.
Das Nationaltheater Odéon, eine bekannte französische Truppe des Komischen Theaters, führte The Young Girl, the Devil & the Mill und Water of Life auf. Frühjahr 2009 | Koreana 5
gesammelt und niedergeschrieben haben. Olivier Fy hat seinem Talent freien Lauf gelassen und die Stücke mit humorvollen und witzigen Liedern gespickt, die das Publikum bis zum Schluss in die Welt der Träume und Fantasie entführten, wobei das Happy End einen angenehmen Nachgeschmack der Hoffnung hinterließ. Die elektrischen Blumendekorationen und Mini-Fanfaren beschworen eine Zirkus-Atmosphäre, die alle Theaterbesucher, ob Mann oder Frau, ob jung oder alt, gemeinsam genießen konnten. Durch die Aufführungen des Nationaltheaters Odéon konnte das koreanische Publikum den typisch französischen Humor erleben.
China: das Ballettstück Rote Laterne von Zhang Yimou Zhang Yimou, der große chinesische Filmdirektor, reiste mit einer beeindruckenden Entourage aus insgesamt 170 Mitwirkenden des chinesischen Nationalballetts (National Ballet Company of China) an und präsentierte das Ballettstück Rote Laterne , bei dem allein der Titel bereits das Herz höher schlagen lässt. Es war die allererste Aufführung in Korea. Zhang Yimou stellte 2008 bei den Olympischen Sommerspielen in Peking als künstlerischer Leiter sein Können vor einem Weltpublikum erneut unter Beweis. Er hatte sich bereits durch Mega-Inszenierungen von Filmen und Opern nicht nur in Korea, sondern international einen Namen als Spitzenkünstler gemacht, weshalb seine Ballettaufführung Rote Laterne großes Interesse und Neugier erweckte. Sogar diejenigen, die dem Ballett normalerweise nur wenig abgewinnen können, warteten ungeduldig auf die Rote Laterne, um zu erfahren, wie der große Künstler seine Welt der Filmkunst auf die Bühne transferieren würde. Erwartungsgemäß startete die Vorführung mit einer prachtvollen Szene, bei der unzählige rote Laternen auf der Bühne das ganze Theater in ein rotes Licht tauchten. Verschiedene visuelle Attraktionen wie die traditionelle Peking-Oper und Schattentheater zogen neben der Live-Musik, die von einem 70-köpfigen Orchester gespielt wurde, das Publikum in ihren Bann. Es war eine Veranstaltung, die durch die Ästhetik der Farben die Tradition Chinas in vollem Maße zum Ausdruck brachte und zugleich durch die Kombination von chinesischer Tradition und Ballett, einer darstellenden Kunst des Abendlandes, etwas völlig Neues kreierte. Zhang Yimou machte damit noch einmal seine Formel „1+1“ wahr. Dass das Ballettstück Rote Laterne, das bereits auf Tourneen in rund dreißig Ländern bzw. Städten zu sehen war, als Finale des Festivals auf die Bühne gebracht wurde, hob noch einmal das Ansehen des Weltfestivals der Nationaltheater.
Thailand: Das Bangkok Symphonie-Orchester 2008 war ein besonderes Jahr bezüglich der koreanisch-thailändischen Beziehungen, da 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Ländern gefeiert wurden. Aus diesem Anlass wurden verschiedene Veranstaltungen abgehalten, unter denen vor allem das Konzert des Bangkok Symphonie-Orchesters großes Interesse auf sich zog, weil es hauptsächlich Kompositionen des gegenwärtigen Königs von Thailand, Bhumibol 58 Koreana | Frühjahr 2009
Bei Zhang Yimous Rote Laterne öffnete sich der Vorhang auf ein rotes Lichtermeer, das von Tausenden roter Laternen geschaffen wurde. Es gehört zu den etablierten Traditionen des chinesischen Theaters, durch den Einsatz von Farbe spektakuläre visuelle Szenen zu kreieren.
Um den 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Korea und Thailand zu feiern, gab das Bangkok Symphonie-Orchester eine Vorstellung mit zeitgenössischen thailändischen Kompositionen.
Adulyadej, spielte. Die herrlichen Melodien des Orchesters unter Leitung des Dirigenten Usni Pramoj beeindruckten das Publikum im Nationaltheater Koreas. Das Konzert, das die hohe musikalische Leistung Thailands vorstellte, leistete einen Beitrag zur Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Korea und Thailand, die versprachen, den kulturellen Austausch weiter fortzusetzen. Das Weltfestival der Nationaltheater ist ein Festival, das sich nicht nur auf die Vorstellung und Veranstaltung von Aufführungen begrenzt. Es übernimmt auch die Rolle eines Kultur-Delegierten, indem es mit verschiedenen Ländern regen Austausch pflegt, und zugleich die Funktion eines Diplomatie-Fensters, das dem koreanischen Publikum das Repertoire von repräsentativen Theatern verschiedener Länder vorstellt – Aufgaben, die es auch in Zukunft weiterhin ausführen wird. Die koreanischen Festivalbesucher, die Aufführungen repräsentativer Werke verschiedener Länder besuchen, können sich einen eigenen Eindruck von deren Kultur verschaffen und so durch das Festival auch ein neues Bewusstsein in Bezug auf ein fremdes Land erwerben. Das ist der Grund, warum hauptsächlich Nationaltheater als Teilnehmer eingeladen werden, die für ihre Herkunftsländer repräsentativ sind. Zugleich wird prinzipiell nur das Haupt-Repertoire der teilnehmenden Nationaltheater-Gruppen auf dem Festival aufgeführt. Während dieses Festivals, auf dem Nationaltheater aus aller Welt zusammenkommen und ihr kulturelles und künstlerisches Potential voll entfalten, ist jeder einzelne Schauspieler und auch jeder einzelne Mitarbeiter ein Diplomat bzw. Botschafter der Kultur. Natürlich kommen das ganze Jahr über viele ausländische Truppen nach Korea und zeigen ihre Stücke dem koreanischen Publikum auf der Bühne. Es finden Vorführungen verschiedener Genres wie Theater, Ballett, Musical und Oper statt. Außerdem werden auch zu anderen Festivals Gruppen aus dem Ausland eingeladen. Was das Weltfestival der Nationaltheater von anderen Festivals in Korea unterscheidet, ist das einzigartige Konzept, Vielfältigkeit anzustreben und gleichzeitig unter dem Motto „Nationaltheater im Fokus“ die Werke der jeweils repräsentativen Autoren verschiedener Länder vorzustellen. Darüber hinaus wird durch Seminare eine wissenschaftliche Annäherung versucht, indem profundes Wissen über die einzelnen Werke und deren nationalen Kontext vermittelt wird Im Jahr 2009 werden unter anderem Großbritannien, Spanien, Frankreich, die Philippinen und Brasilien im Mittelpunkt des Festivals stehen. Anders als 2008 wird ein Land als Hauptgastland bestimmt und Länder, zu denen diplomatische Beziehungen bestehen, werden eingeladen. Auf diese Weise soll das Festival zu einem Event entwickelt werden, an dem bedeutende Theatergruppen aus allen Ländern der Welt gern teilnehmen möchten. Im Vergleich zu namhaften internationalen Festivals wie z.B. dem Edinburgh Festival und dem Festival von Avignon befindet sich das koreanische Festival zwar noch in den Kinderschuhen, es sollte aber gelingen, es in absehbarer Zukunft als ein Festival von Weltformat zu etablieren. Frühjahr 2009 | Koreana 5
kOREA ENTDECkEN
Vladimir Saveliev: Ein russischer Wissenschaftler nimmt die koreanische Staatsangehörigkeit an Dr. Vladimir Saveliev, ein weltweit bekannter Experte im Bereich 3D-Bild-Display, hat, nachdem er zwei Mal beim Einbürgerungstest gescheitert war, jetzt die koreanische Staatsbürgerschaft erhalten. Der Wissenschaftler, der die Weisheit des Lebens im Buddhismus gefunden hat, treibt heute seine Forschungen voran, damit Korea im Sektor der 3D Image Display zu einem der führenden Länder der Welt wird. Lee Soo Jin Freie Schriftstellerin | Fotos: Ahn Hong-beom
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er russische Wissenschaftler Vladimir Saveliev (54) hat vor kurzen die koreanische Staatsangehörigkeit angenommen. Der direkteste Nachweis der neuen Staatsbürgerschaft ist sein neuer Pass. Dr. Saveliev ist nun im Besitz eines vom koreanischen Außenministerium ausgestellten Passes und muss sich bei den Einreiseformalitäten am Internationalen Flughafen Incheon am Schalter für koreanische Staatsbürger anstellen. Er hat den Schritt nach Korea ganz getan. Dr. Saveliev ist ein Wissenschaftler, der sich in Russland über zwanzig Jahre lang nur auf die Forschung konzentriert hat. Warum hat er die fortgeschrittene Wissenschaftsnation Russland verlassen und Korea zu seiner zweiten Heimat gemacht? Vor allem musste er dafür seine russische Staatsbürgerschaft aufgeben, da Korea keine doppelte Staatsbürgerschaft anerkennt. „Ich habe mich vor acht Jahren aus beruflichen Gründen für Korea entschieden, weil ich mich einfach in einem besseren Umfeld nur auf Forschung und Experimente konzentrieren wollte. Russland besitzt ein hohes Niveau in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung, während Korea stark in der angewandten Wissenschaft ist. Bei meiner Arbeit geht es um 3D-Bilder und deren Anwendung im Alltag, also um angewandte Wissenschaft. Korea war deshalb für mich genau der Ort, an dem ich mich auf meine Forschungen konzentrieren konnte.“ Allein im Jahr 2008 ließen sich ca. 10.000 Ausländer in Korea einbürgern. Diese Zahl umfasst Ausländer, die durch Eheschließung mit einem koreanischen Staatsbürger auf Antrag eingebürgert wurden, und Ausländer, die nach Bestehen des Einbürgerungstests die koreanische Staatsbürgerschaft erhielten. Im letzten Falle kann man wie Dr. Saveliev die Staatsbürgerschaft erwerben, wenn man volljährig ist, über fünf Jahre in Korea gelebt hat, beruftstätig ist und den schriftlichen
1~2 Dr. Valdimir Saveliev arbeitet als leitender Forscher im Whole Image Lab des Forschungsinstituts für Elektro- und Computertechnik der Hanyang Universität, wo er sich auf die kommerzielle Anwendung von 3-D Bildern spezialisiert hat.
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Einbürgerungstest besteht. Landschaft, die sich so sehr von der Sibiriens unterscheidet Zurzeit ist Dr. Saveliev als leitender Forscher im Whole und die ihn mit einem einzigen Blick gefangen nahm: Die Image Lab des Forschungsinstituts für Elektro- und schneebedeckten Berge, auf denen die aneinander gereihComputertechnik (Research Institute of Electrical and ten niedrigen Bäume Muster bildeten, und die freundlich Computer Engineering) der Hanyang Universität tätig. Sein wirkenden roten und blauen Dächer. Aber seine ersten Forschungsbereich ist die Anwendung von 3D-Bildern Erinnerungen an die Begegnung mit Korea liegen noch viel auf elektronische Haushaltgeräte. Bei der 3D-Displayweiter zurück. Im zentralasiatischen Kasachstan leben die Technologie geht es darum, dreidimensionale, möglichst so genannten „Goryeoin“, eine koreanischstämmige Minrealitätsnahe Bilder zu schaffen, so wie sie das Auge in Wirklichkeit sieht. In In Korea gibt es genügend weltweit anerkannte 3D-Display Hersteller, um Korea gibt es genügend weltweit anerden Forschungsdrang von Saveliev zu stillen. Seine Forschungen begannen v.a. Früchte zu tragen, als er an dem fünfjährigen, 2008 abgeschloskannte 3D-Display-Hersteller, um den senen gemeinsamen Entwicklungsprojekt der Hanyang Universität und Forschungsdrang von Saveliev zu stilder Firma Samsung Electronics zur Entwicklung eines „hoch realitätsgelen. Seine Forschungen begannen v.a. treuen“ 3D TV-Displays teilnahm. Früchte zu tragen, als er an dem fünfjährigen, 2008 abgeschlossenen gemeinsamen Entwicklungsprojekt der Hanyang Universität und der Firma Samsung Electronics zur Entwicklung eines „hoch realitätsgetreuen“ 3D TV-Displays teilnahm.
Wendepunkt Für Dr. Saveliev begann das Leben in Korea bereits im Jahr 2000, als er vom Forschungsinstitut KIST (Korea Institute of Science and Technology) als Gastforscher eingeladen wurde. Seine Laufbahn begann mit dem Studium der Physik und angewandten Mathematik an der Staatlichen Universität Nowosibirsk. Danach arbeitete er über zwanzig Jahre lang als Wissenschaftler und unterrichte auch eine Zeit lang an seiner Alma Mater. Von 1976 bis 2000 beschäftigte er sich am Institute of Automation and Electrometry (IA&E), der im sibirischen Akademgorodok gelegenen Zweigstelle der Russischen Akademie der Wissenschaften, ausschließlich mit seinen Forschungen. Akademgorodok, die Stadt der Wissenschaften und der Bildung, die auch als „Silicon Valley Sibiriens“ bekannt ist, liegt ca. 30km südlich von Nowosibirsk in den sibirischen Wäldern. Hierhin kommen die hervorragendsten Wissenschaftler und Mathematiker aus der gesamten Russischen Föderation, um an den renommierten Universitäten und zahlreichen Forschungsinstituten, den Brutstätten der Wissenschaftsnation Russland, zu studieren oder zu arbeiten. 1999 kam es in Moskau zu einem Treffen, das für Dr. Saveliev große Veränderungen bringen sollte. Auf einer internationalen Konferenz traf er Prof. Son Jeong-yeong, der damals Forscher am KIST war und derzeit an der Universität Daegu lehrt. Prof. Son engagierte sich dafür, den russischen Forscher nach Korea einzuladen, weshalb Saveliev sein Leben in Korea schließlich mit einem Forschungsaufenthalt am KIST begann. Professor Son wurde zu einem engen Freund und Kollegen. Dr. Saveliev beschreibt lebhaft den ersten Eindruck, den er vom Flugzeug aus von Korea hatte, und schildert die 62 Koreana | Frühjahr 2009
derheit, die vor rund hundert Jahren von der koreanischen Halbinsel nach Russland auswanderte. In Kasachstan kostete Dr. Saveliev das von den ethnischen Koreanern zubereitete Essen und verliebte sich geradezu in den Geschmack der koreanischen Küche. Heute weiß er zwar, dass das Essen, das er damals probierte, die lokale kasachische Variante der traditionellen koreanischen Küche war, aber die Erinnerung an den kulinarischen Genuss ist ihm bis heute im Gedächtnis geblieben. Dr. Saveliev liebt typisch koreanische Gerichte, die auch von vielen Koreanern gern gegessen werden wie Haemultang (scharfe Meeresfrüchte-Suppe), Jukkumi bokkeum (gebratener zehnarmiger Tintenfisch), Heukdwaeji galbi (gegrillte Rippen von schwarzen Schweinen) und Pogi kimchi (eingelegte Chinakohlköpfe). Noch interessanter ist, dass die Lieblingsgerichte seiner russischen Frau koreanische Straßensnacks sind wie Fritiertes, Sundae (koreanische Blutwurst) und Garak guksu (Nudelsuppe).
Buddhistische Sutra Der koreanische Buddhismus schlug seine Seele in den Bann. Dr. Saveliev, der keiner Religionsgemeinschaft angehörte, ging eines Tages zufällig bei einem buddhistischen Tempel vorbei, wo der Anblick der Sutren rezitierenden Mönche in ihm unzählig viele Fragen aufkommen ließ. Er konnte zwar kein Wort verstehen, aber er spürte, dass in seinem Herz unbemerkt Frieden einkehrte. Es war für ihn ein sehr seltsames Erlebnis. „Wie gut können wir wirklich miteinander kommunizieren, selbst wenn wir die gleiche Sprache sprechen? Mir wurde bewusst, dass man miteinander kommunizieren kann, wenn man sein Herz öffnet und den Partner zu verstehen versucht. Dann ist es kein Problem mehr, dass die Sprachen unterschiedlich sind. Ich habe dieses Wunder in der Kommunikation selbst mehrmals erlebt.“ Durch den Buddhismus begann Dr. Saveliev damit, die koreanische Kultur tief in sich aufzunehmen. So
Dr. Saveliev schreibt dem buddhistischen Glauben die Wirkung zu, ihm die notwendige Klarheit des Geistes zu verlangen, die vonnöten ist, um all seine Energien auf das jeweils zu lösende Problem zu konzentrieren.
oft er konnte, ging er zum Tempel Jeongto-sa, der sich auf dem Berg Cheonggye-san befindet. Der oberste Mönch des Tempels, Mönch Bogwan, verlieh ihm den buddhistischen Namen Cheonggo (淸高, klar und hoch). „Wenn ich die Sutren singe, wird mein Geist ruhig und klar. Bei meiner Forschungsarbeit stoße ich immer wieder auf neue Probleme, für die Lösungen zu finden sind. Ein klarer Geist gibt mir die Kraft, mich voll und ganz auf ein Problem konzentrieren zu können.“ Der Buddhismus hat auch sein Leben erhellt. Dr. Saveliev sagt, dass das Leben eine lange Reise ist, bei der man auf beiden Schultern schwere Lasten trägt. Aber ein klarer Geist macht die Last leichter. Es heißt, weil man die Last nicht wegwerfen kann, ist es das Schicksal eines Menschen, das ganze Leben darunter zu leiden. Aber Dr. Saveliev lernte durch den Buddhismus die Weisheit, dass man das Gewicht der Last reduzieren kann, indem man seine Denkweise ändert. Dr. Saveliev staunt über die enormen Veränderungn, die Korea in den letzten acht Jahren durchgemacht hat. Jedes Jahr erscheint eine neue Linie auf dem Plan der U-Bahn und innerhalb von wenigen Jahren werden große Wohnhochhaus-Komplexe gebaut. Aber es ist nicht die Stadt-
entwicklung, die ihn fasziniert, sondern die Natur Koreas. Er und seine Frau Elena leben in Gwangju in der Provinz Gyeonggi-do, wo sie auch die kleinsten Veränderungen der Natur im Laufe der Jahreszeiten spüren können. Dr. Saveliev träumt von dem Tag, an dem sich seine ganze Familie in Korea versammelt, da seine Kinder in Russland, Australien, Ungarn und Deutschland verstreut leben. Für den zweiten Teil seines Leben, der sich in Korea abspielen wird, hat er sich folgende Ziele gesetzt: „Ich möchte dazu beitragen, dass Korea im Bereich der 3D-Image Technologie weltweit führend wird und ich würde mein diesbezügliches Wissen gerne an koreanische Studenten weitergeben.“ Er würde auch gerne die traditionelle koreanische Rundtrommel Buk und die Eieruhrtrommel Janggu spielen lernen, aber dann lacht er und meint, er sei sich aber nicht ganz sicher ist, ob seine Frau und seine Nachbarn den Lärm ertragen könnten. Dr. Saveliev schlägt in Korea als Koreaner neue Wurzeln. Er hat viele Kollegen und Freunde um sich, die ihm gern dabei helfen, in Korea eine zweite Heimat zu finden. Deswegen fühlt sich Dr. Saveliev als Koreaner glücklich und zuversichtlich. Frühjahr 2009 | Koreana 63
AUF DER wELTBÜHNE
Lee Bul
Ein unbequemes Miteinander Die Installationskünstlerin Lee Bul zählt neben dem Videokünstler Paik Nam June zu den bedeutenden Künstlern aus Korea. Durch ihre beiden Ausstellungen in New York im Museum für moderne Kunst im Jahr 1997 und im Guggenheim Museum im Jahr 1998 als nominierte Kandidatin für den Hugo Boss Preis sowie durch die Auszeichnung mit einem Sonderpreis auf der Biennale in Venedig machte sie sich einen Namen als Künstlerin von Weltrang. 2007 stellte sie als erste Künstlerin aus Korea ihre Werke in der Galerie der Cartier-Stiftung für zeitgenössische Kunst (Fondation Cartier pour l'art contemporain) aus und sie ist auch die einzige koreanische Vertreterin, die zusammen mit renommierten internationalen Künstlern an „Chanel Mobile Art“, dem Wanderausstellungsprojekt von Chanel, das von Februar 2008 bis Februar 2010 läuft, teilnimmt. Ab 2010 plant sie eine große retrospektive Ausstellung, die in Europa, den USA und Asien zu sehen sein soll. Chung Joon Mo Kunstkritiker, ehemaliger Leiter der Kunst- und Wissenschaftsabteilung am National Museum of Contemporary Art
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as Leben sei eine Reise, sagt man. Wie viele Menschen werde ich auf meiner Reise kennen lernen und wie viele Orte besuchen? Solche Fragen stellt man sich, wenn man sich die Werke von Lee Bul ansieht. Diese ungeahnten Fragen, die mit ihren Kunstwerken eigentlich nicht direkt zu tun haben, kommen dem Betrachter in den Sinn, weil ihre Kunst über das sichtbare Objekt oder die einfache Existenz hinaus auf etwas anderes verweist.
Fremde Begleitung Durch die Performances ihrer Frühzeit und durch die schauspielerische und narrative Darstellung von Räumen durch eine riesige Konstruktion aus selbstgemachten Werbeballons, einen verrottenden Fisch mit glitzernden Verzierungen, Cyborgs mit Arm- und Beinstümpfen sowie durcheinander geflochtene Strukturen und Spiegel erzählt Lee Bul auf verschiedene Weise über Weiblichkeit, Leben, Tod, Realität, Ich, Sprache, Existenz usw. Man kann ihre verschiedenen Geschichten als unabhängig voneinander betrachten, oder sie einfach, wie bei einem konventionellen Künstler, als einen Prozess zur Vervollständigung ihrer eigenen Welt definieren. Aber wenn man ihre Kunstwerke in ihrer Gesamtheit von den Anfängen bis heute genau betrachtet, dann erscheinen sie eher wie ein gut strukturierter Roman oder eine Romanserie in mehreren Bänden statt wie einzelne Kurzgeschichten. Deswegen ist die Interpretation ihres Werkes manchmal auch eine unbehagliche Angelegenheit, bei der man das Gefühl hat, dauernd mit dem Fuß irgendwo festzustecken und nicht weitergehen zu können, obwohl der Weg, der noch vor einem liegt, lang ist. Begierden, die die Vergangenheit versiegeln und unter dem Druck der Realität nach innen wachsen; Überzeugungen, die angesichts der Macht versteckt werden oder die man sich nicht zu zeigen traut: Im Inneren des Menschen gibt es stets so eine unbequeme Wahrheit oder einen Widerstreit, weswegen es keinen Menschen gibt, dessen Leben leicht wäre. Ihre jüngsten Werke vermitteln wieder eine andere Art von Botschaft und Vergnügen, wie auf einer Fernreise im Nachtzug zufällig neben einem Fremden zu sitzen, dessen Anwesenheit einem unangnehm ist, den man aber auch irgendwie braucht. Wir erleben nur einen ganz kleinen Teil, nur ein Bruchstück der Welt und glauben, dass es die ganze Welt ist. Wegen dieser Arroganz setzen wir Grenzen und Definitionen für das Leben und messen Werte bei. Lees Werke sind wie Zunder, der die verborgenen, in uns angehäuften Zweifel am Leben und die Leidenschaft für die Welt wieder zu einem Feuer aufflammen lassen und uns zum Weitergehen bringen.
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Behinderte Cyborgs Lee Bul versetzte in den 1980er Jahren die dogmatische Kunstwelt Koreas in Aufruhr. Ihre provozierenden Performances schockierten viele Menschen und stellten insbesondere die Künstlergemeinde der Zeit vor neue, aggresssive Fragen. Bei ihren Performances hing sie mit nacktem Körper mit dem Kopf nach unten, wischte sich in einem weißen Hochzeitskleid, dem Symbol der Reinheit, den Hintern mit Zeitungspapier ab, und führte in der traditionellen koreanischen Tracht Hanbok einen Fächertanz vor, allerdings als Hochschwangere und mit einer Gasmaske auf dem Gesicht; so reizte sie das unter Verschluss gehaltene Ich der Menschen und öffnete ihnen die Augen für die Befreiung. Wegen solcher Performances wurde sie als Feministin kategorisiert.
1 Lee Buls Arbeiten, die auf einer Wanderausstellung durch Europa, die USA und Asien zu sehen sind, zeigen die fortwährende Entwicklung ihres künstlerischen Schaffens. (Foto: Rhee Jae-yong)
2~3 Kristallobjekte und Aluminiumnetze, die prachtvoll wie ein Kronleuchter glänzen, sind Bestandteile von Lee Buls Soloausstellung On Every New Shadow in der Fondation Cartier pour l’art contemporain, 2007. (Fotos: Patrick Gries. Fondation Cartier pour l’art contemporain)
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Ihre jüngsten Werke bringen ein instabiles Miteinander durch die Verbindung von komplizierten und organischen Beziehungen zu einer extremen Synthese. Es ist, als ob ein achtungsgebietender und heroischer Cyborg, dieses Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine, und ein Roboter aus einem Zeichentrickfilm, die als einzelne Einheiten existieren, auf den Befehl „Vereinigung!“ eins geworden wären und eine unvorstellbare Kraft entfesselten.
Der Cyborg in Lee Buls Arbeiten ist kein heroischer Verteidiger der Erde mehr, sondern eine behinderte Figur, die von der Decke baumelt. „Cyborg W1-W4,” 1998. Installation, Venice Biennale, 1999. (Foto: Rhee Jae-yong)
Aber sie einfach als Phallushasserin, Frauenrechtlerin oder Künstlerin, die sich von der männer- und phallusorientierten Kultur zu befreien versucht, abzustempeln, ist gewiss kurzsichtig. Ihre Kunst ist nämlich ein „Spucken“ auf jegliche Art von Irrationalität der Gepflogenheiten, Traditionen und Alltagsgewohnheiten. Für Lee Bul ist der Körper der wichtige Erzähler, der ihre künstlerische Geschichte weiterschreibt. Der Körper ist für sie der träumende Geist und zugleich der Körper des Geistes. So, wie das Leben nicht das ist, was wir leben, sondern das, was wir glauben zu leben, so ist auch der Körper für sie ein anderes Wesen und Selbst zugleich. Lee entdeckte eine andere onthologische Bedeutung des Körpers, oder anders ausgedrückt, sie erkannte seine Bedeutung neu. Nachdem sie zu dieser Erkenntnis gekommen war, tauchten Cyborgs in ihren Werken auf. In der in unseren Köpfen verankerten Vorstellung sind Cyborgs mutige Kämpfer, die die Welt schützen oder Helden der Gerechtigkeit, die die Menschen aus Krieg und Chaos retten. Aber Lees Cyborgs sind behindert. Es sind defekte Dinge, die weggeworfen und durch neue ersetzt werden müssen. Diese Cyborgs sind Teile der uns bekannten perfekten Cyborgs. Muss aber immer gleich das Ganze weggeworfen werden, wenn ein kleines Stück verloren geht? Können alle Teile nur als Teile eines vollständigen Ganzen existieren? Muss man auf sein Leben verzichten, wenn man seinen Körper nicht so bewegen kann, wie man will? Müssen die Cyborgs, die durch das All flogen und die Außerirdischen, die die Erde angriffen, hel66 Koreana | Frühjahr 2009
denhaft zurückschlugen, verschwinden, wenn sie verletzt sind? Man sagt zwar, der Mensch wird erwachsen, indem er sich Stück für Stück von den Erinnerungen und der Empfindsamkeit seiner Kindheit entfernt. Aber ähneln wir nicht eigentlich mehr und mehr den Cyborgs, denen ein Körperteil fehlt, während wir den Körper unserer Kindheit abstreifen und sich unser Körper langsam verändert? Lees Cyborgs sind Abbilder unseres Lebens. In dieser Hinsicht ist unser Körper eine andere Existenzform von uns und zugleich die Manifestation der Existenz in der gegebenen Realität.
Ein fataler, schicksalhafter Begleiter Der Körper ist ein Weggefährte des Herzens, wiewohl ein unbequemer. Die Cyborgs entwickeln sich in Lee Buls späteren Arbeiten zu Karaoke-Räumen in Form von abgeschlossenen Einzelzellen, in denen man nicht für jemand anderen, sondern nur für sich selbst singt oder auch, um sich zu vergessen. Karaoke-Hallen sind mittlerweile weltweit beliebte Freizeit- und Vergnügungseinrichtungen geworden. Man geht kaum alleine zum Karaoke. Aber auch wenn man in der Gruppe geht, ist derjenige, der gerade singt, alleine. Die anderen kümmern sich nicht darum, ob gerade jemand singt oder nicht und sind mit ihren eigenen Dingen beschäftigt. Ein Karaoke ist daher ein Ort, wo man zwar zusammen ist, sich aber alleine vergnügt. Das erste Werk von Lee Buls Karaoke-Projekt war eine Karaokekapsel für eine Person. So ein Karaoke gibt es in Wirklichkeit nicht. Aber in der Wirklichkeit eines Karaokes ist man letztendlich immer alleine. Dasselbe gilt für die Nachbarn und Freunde in
unserem Alltagsleben. Wie Körper und Herz sind sie immer mit uns zusammen, aber gleichzeitig auch immer getrennt von uns. Ein fremder Raum kann alleine auf Grund seiner Fremdartigkeit Interesse erregen. Gleichzeitig ruft die Fremdheit auch Angst hervor. Lees Karaoke ist ein Raum der Befreiung, in dem man allein ist und auf niemanden zu achten braucht, während seine Abgeschlossenheit und Verborgenheit gleichzeitig ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Durch nur einen einzigen Raum können „ Furcht und Neugier“ oder „Einsamkeit und die Sicherheit des Alleinseins“ erfahren werden. Während man in der Schwerelosigkeit der Kapsel solch verschiedenen Erfahrungen ausgesetzt ist, wird der Mensch in seiner Existenz, die zwischen dem Hochgefühl des Entfliehens aus dem öden Alltag, der sich wie ein Refrain wiederholt, und der Angst, die dieses Entfliehen hervorruft, wie ein ständig flimmernder Bildschirm hin und her driftet, zutiefst verunsichert. Dieser instabile Zustand der Koexistenz von verschiedenen Gefühlen löst sich nicht auf, auch wenn man das Karaoke-Gerät neu startet.
Von einem Körper ohne Organe zu einem Erzählraum Das Leben sei eine Reise, sagt man. Wie viele Menschen werde ich auf meiner Reise kennen lernen und wie viele Orte besuchen? Solche Fragen stellt man sich, wenn man sich die Werke von Lee Bul ansieht. Diese ungeahnten Fragen, die mit ihren Kunstwerken eigentlich nicht direkt zu tun haben, kommen dem Betrachter in den Sinn, weil ihre Kunst über das sichtbare Objekt oder die 2 einfache Existenz hinaus auf etwas anderes verweist. Wenn der krakenähnlich verschlungene Körper einer Hydra im Spiegel Verwirrung und irrationale Gefühle zu Tage bringt, verschwinden das Ich und das andere Ich, der Cyborg. Die Betrachter sind an diesem vertrauten und zugleich fremden öffentlichen Ort verwirrt darüber, ihr Ich für einen Moment zu verlieren. Sie entdecken es zwar sofort in den Spiegelreflexionen von Lees Werk wieder, sind aber konsterniert, weil ihnen die Realität ihrer eigenen Gestalt fremd erscheint. In ihrem jüngsten Werk stellt Lee Bul eine Situation dar, in der das Ich verschwindet und nur das Gefühl, Ich Lee Bul, in die traditionelle koreanische Tracht Hanbok gekleidet, bei der Aufführung eines Fächertanzes mit einer Gasmaske auf dem Gesicht: mit solchen Aktionen rührt sie an Grenzen, um das Publikum zur Selbsterkenntnis zu führen. (Foto: Artoilet installation, 1989)
zu sein, existiert. Das Situationsspiel, das die sexbesessene, aufdringliche, mit hochdekorativem Schmuckwerk getarnte Gesellschaft, die aus der Koexistenz von einander fremden Dingen besteht, und die Absurdität der menschlichen Existenz porträtiert, erreicht seinen Höhepunkt. Im so genannten Raum der Moderne, in dem nur noch das Gerüst ohne Körper und sich kindisch wiederholende Dekorationen übrig geblieben sind, treffen sich in den Hülsen der Architektur die Menschen, stoßen aufeinander oder gehen auch manchmal aneinander vorbei. In den meisten Fällen treffen sie einander letztendlich nicht, auch wenn sie sich am selben Ort befinden. Und dann stehen sie entfernt voneinander da, verbunden nur durch die Schritte der Passanten und ihre Blicke. Lee Bul lässt den Betrachter seinen Blick durch eine Glasscheibe auf ein Land fixieren, das er nicht erreichen kann, oder sie bringt Geschichte, unter anderem die moderne Geschichte Koreas, in ihre Werke hinein. Ihre neuesten Arbeiten, die sowohl an Ausmaßen als auch an inhaltlicher Tiefe gewonnen haben, betonen stärker das Narrative. Der Raum wird zum Mittelpunkt der Geschichte, um den sich mehrere Episoden ranken, die zu einer Geschichte werden. Auf diese Weise bringt sie das Zeitalter und die Geschichte der Architektur, der Schüssel ihrer künstlerischen Arbeit, und der Gebäude, der Stützen der modernen Zeit, in ihre Werke hinein. Aber selbst das Bauwerk eines kreativen Architekten, das als modernes Ideal gilt, ist für sie nur eine Vorrichtung oder ein Werkzeug. Die darin enthaltenen Dekorationen wie Glaskugeln, Kristalle oder Metallnetze sind verführerisch, aber gleichzeitig auch furchterregend und dienen als Ansatz zu Analogieschlüssen oder Vorstellungen in Bezug auf historische Fakten. Aber auch diese Dekos geben keine speziellen Andeutungen oder Tipps, so dass sich der Betrachter völlig unvoreingenommen in die Mitte der Erzählung stellen kann. So gesehen ist es die Essenz ihrer Kunst, dass der Protagonist des Schauspiels nicht die Autorin Lee Bul ist, sondern das Publikum, das ihre Werke betrachtet. Die Grammatik ihrer Kunst besteht darin, sich selbst zu leeren und das Publikum sehen zu lassen. Es ist etwas völlig Fremdes, an das man sich erst noch gewöhnen muss, etwas wie das Schicksal, ohne den anderen nicht leben zu können, auch wenn es unbequem ist - diese Erfahrung „eines Körpers ohne Organe“. Warten wir auf noch eine andere, eine neue Lee Bul, die sich ab 2010 mit ihrer retrospektiven Ausstellung in Europa, den USA und Asien präsentieren wird. Frühjahr 2009 | Koreana 6
UNTERwEGS
Der „Pferdeohren-Berg” Mai-san wird nach seinen beiden Gipfeln Ammai und Sunmai benannt, die aus der Ferne an Pferdeohren erinnern. Im Frühling, wenn sie wie Schiffsmasten aus den Nebelschwaden ragen, sind sie ebenfalls als „Masten-Gipfel“ bekannt. 68 Koreana | Frühjahr 2009
Jinan Die Steintürme unter den Gipfeln des Bergs Mai-san In Jinan, dem Hochplateau zwischen den Gebirgsketten Noryeong und Sobaek, befinden sich die Quelle des Flusses Seomjin-gang und der Oberlauf des Geum-gang. In der Mitte von Jinan erhebt sich der „Pferdeohren-Berg“ Mai-san, so genannt, weil seine beiden Gipfel an Pferdeohren erinnern. Der Steinturm-Tempel MaisanTapsa, der zu den sieben Wundern in Korea gehört, wird das ganze Jahr über von zahlreichen Touristen besucht. Jinan ist zudem als Heimat der Falkenjagd für seine Falkner bekannt, die Träger des Immateriellen Kulturguts Nr. 8 sind. Lee Yong-han Dichter | Fotos: Ahn Hong-beom
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1 Buddha-Statue im Tempel Geumdang-sa 2 Die Hänge des Berges Mai-san sind von natürlichen kleineren und größeren Höhlen übersät. Durch Verwitterung haben sich sog. TafoniFelsformationen gebildet. Bergsteiger stapeln vor den Höhlen Steine zu kleinen Türmen auf.
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ujinjang“ ist eine betonende Wendung buddhistischen Ursprungs, die eigentlich „Zustand von enormer Fülle ohne Grenzen“ bedeutet und als Adjektiv im übertragenen Sinne alles beschreibt, was voll oder unerschöpflich ist. Die Menschen aus der Provinz Jeollabuk-do sehen den Ursprung des Wortes jedoch in den drei Städtenamen Muju, Jinan und Jangsu. Diese Orte befinden sich in dermaßen entlegenen Berggegenden, dass es schwierig ist, seinen Weg wieder herauszufinden. Im Übrigen sind diese Gegenden aber auch von so großem landschaftlichen Reiz, dass jemand, der sie einmal besucht hat, sie nicht wieder verlassen möchte. Aus diesem Grund beschriebe man etwas „von enormer Fülle ohne Grenzen“ als „mujinjang“. Entsprechend der zentralen Stellung von „Jin“ in „mujinjang“ muss Jinan ein Ort mit einer grenzenlosen Fülle von Schönheiten sein.
Der „Pferdeohren-Berg“ Mai-san Das Wahrzeichen von Jinan ist der Berg 0 Koreana | Frühjahr 2009
Mai-san. Der „Pferdeohren-Berg“ Maisan erhielt seinen Namen, weil seine beiden Gipfel Pferdeohren ähneln. Eigentlich wurde er bis Anfang der Joseon-Zeit „Sokgeum-san“ genannt, davor in der Silla-Zeit „Seoda-san“ und in der GoryeoZeit „Yongchul-san“. Die beiden Bergspitzen heißen „Ammai-bong“ (StutenBergspitze, 686m) und „Sunmai-bong“ (Hengst-Bergspitze, 680m). Aber man nennt die Gipfel je nach Jahreszeit anders. „Mai-bong“ (Pferde-Gipfel) heißen sie im Herbst und im Frühling nennt man sie „Dotdae-bong“ (Masten-Gipfel), weil sie wie zwei Schiffsmasten aus den Nebelbanken herausragen. Im Sommer heißen sie „Yonggak-bong“ (Drachenhorn-Gipfel) und im Winter „Munpil-bong“ (Kalligraphiepinsel-Gipfel). Ausdrücke wie „Meisterwerke der Natur“ oder „Gottes Werke“ sind zutreffend für solch außergewöhnliche landschaftliche Schönheiten. Es gibt auch eine Sage über die beiden Bergspitzen. Vor langer Zeit lebten einmal ein Gott und eine Göttin mit ihren beiden
Kindern auf dem Berg Mai-san. Eines Tages erging der Ruf des Himmels an sie und sie bereiteten sich auf den Aufstieg ins himmlische Reich vor. Der Gott sagte: „Die Menschen dürfen auf keinen Fall sehen, wie wir in den Himmel aufsteigen, daher lass uns in der tiefen Nacht aufbrechen.“ Aber die Göttin erwiderte: „Die dunkle Nacht ist furchterregend. Lass uns lieber im Morgengrauen aufbrechen.“ Also nahm die Göttin bei Tagesanbruch ihre beiden Kinder in den Arm und begann zusammen mit ihrem Gemahl, in den Himmel aufzusteigen. Just in diesem Moment wurden sie von einer der Dorffrauen entdeckt, die hinausgegangen waren, um Wasser zu schöpfen. Erbost darüber, dass sie von Menschenaugen gesehen worden waren, was es ihnen unmöglich machte, in den Himmel aufzusteigen, riss der Gott die beiden Kinder aus der Umarmung der Göttin und kehrte mit ihnen zur Erde zurück, wo sie sich in Berggipfel verwandelten. Entmutigt kehrte auch die Göttin zurück und ließ
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sich als Berggipfel daneben nieder. Es heißt, dass es deshalb zwei kleinere „Kinder-Bergspitzen“ auf den beiden Seiten der Hengst-Bergspitze Sunmai-bong gibt.
Mysteriöser Turmtempel und umgedrehte Eiszapfen Der ganze Stolz von Mai-san ist der Steinturm-Tempel. Ist der Berg Mai-san ein Kunstwerk der Natur, dann ist der Tempel ein Kunstwerk von Menschenhand. Vor etwa einhundert Jahren fing der Gelehrte Lee Gap-ryong, der sich von der Welt zurückgezogen hatte, im Alter von 25 Jahren an, Steintürme zu bauen. Bis zu seinem Tod siebzig Jahre später errichtete er etwa 120 Steintürme, von denen etwa 80 Türme bis heute ihre ursprüngliche Form bewahrt haben. Obwohl weder Klebstoff noch Zement verwendet wurden, trotzten die Türme 100 Jahre lang dem Zahn der Zeit und den Unbilden der Natur, weshalb der Tempel zu den wenigen mysteriösen Wundern der Welt zählt. Haupttürme sind das „Himmel-und-Erde-
Turmpaar“ Cheonji-tap, das von den fünf Obang-Türmen, die für die fünf Elemente (Metall, Wasser, Feuer, Erde, Holz) stehen, umringt ist. Ursprünglich bezog sich „Turmtempel“ nur auf das hölzerne Tempelgebäude inmitten der Steintürme, aber mittlerweile umfasst die Bezeichnung das ganze Tempelgebiet mit allen Steintürmen. Ein weiteres Rätsel des Tempels sind die umgedrehten Eiszapfen. Wenn man im Winter frühmorgens frisches Wasser aus der Quelle in der Nähe des Tempels schöpft und betet, kommt es zu dem geheimnisvollen Phänomen, dass sich in der Wasserschüssel ein Eiszapfen bildet, dessen Spitze himmelwärts ragt. Viele Menschen sollen das mit eigenen Augen gesehen haben. Man versucht, das Phänomen mit der besonderen Richtung und Geschwindigkeit des Windes sowie der Temperatur und dem Luftdruck in dieser Gegend zu erklären, aber es nur auf diese Weise zu erklären, scheint auch nicht ganz befriedigend zu sein.
Das hängende Buddha- Wandgemälde im Geumdang-sa Nur 1,4 km vom Steinturmtempel entfernt befindet sich südlich des Berges Mai-san der Tempel Geumdang-sa. Dort hängt das 4,74m breite und 8,70m hohe Gwaneumbosal-Gwaebultaenghwa, ein Wandgemälde des Avalokiteshvara Bodhisattwa, der Göttin der Barmherzigkeit, das als Nationalschatz Nr. 1.266 als meisterhaftes Taenghwa-Bild (Buddha-Wandgemälde) gilt. Es wird erzählt, dass seit alten Zeiten die Mönche in Dürreperioden das Buddha-Bild aufhängten und Bittrituale um Regen veranstalteten. Ihre Gebete sollen jedes Mal erhört worden sein. Der Tempel Geumdang-sa wurde im Jahr 814 unter der Herrschaft des Silla-Königs Heondeok errichtet und ist auch als Ort bekannt, an dem der buddhistische Priester Naong Ende der Goryeo-Zeit seinen asketischen Übungen nachging. Unter der japanischen Kolonialherrschaft war der Tempel zudem ein Stützpunkt einer Partisanengruppe aus der Jinan-Region. Es Frühjahr 2009 | Koreana 1
1 Der Berg Mai-san, vor dem ein Feld mit Ballonblumen in voller Blüte steht, ist von saftigem Grün bedeckt. Im Sommer sind die beiden Gipfel des Maisan auch als „Drachenhorngipfel“ bekannt.
2 Am Weg, der in der Nähe des Oberlaufes des Flusses Geum-gang am Ufer des Sees Yongdang entlang führt, liegen vier Aussichtspunkte, darunter der „Hügel der Nostalgie“.
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2 © Yang Young-hoon
Der ganze Stolz von Mai-san ist der Steinturm-Tempel. Obwohl weder Klebstoff noch Zement verwendet wurden, trotzten die Türme 100 Jahre lang dem Zahn der Zeit und den Unbilden der Natur, weshalb der Tempel zu den wenigen mysteriösen Wundern der Welt zählt. Ursprünglich bezog sich „Turmtempel“ nur auf das hölzerne Tempelgebäude inmitten der Steintürme, aber mittlerweile umfasst die Bezeichnung das ganze Tempelgebiet mit allen Steintürmen.
wird auch berichtet, dass die Tochter von Jeon Bong-jun, des wegen seines kleinen Wuchses auch als „Mungobohnen-General“ bekannten Anführers des DonghakAufstands (Bauernrebellion von 1893/94 gegen korrupte Beamte und Adlige sowie ausländische Kräfte), etwa zehn Jahre lang Zuflucht in diesem Tempel fand.
Die zwei Täler des Bergs Unjang-san Zwischen den beiden Gipfeln Myeongdeok-bong und Myeongdo-bong des Bergs Umjang-san erstreckt sich nördlich der Stadt Jinan an malerischen Klippen entlang das fünf Kilometer lange Tal des Flusses Juja-cheon. Das Tal wird „Uniram“ genannt, weil es noch bis vor siebzig Jahren keine passierbaren Wege durch das von Steilklippen umgebene Tal, in dem nichts außer Himmel, Steine und Bäume zu sehen waren, gab und nur die Wolken es besuchten (Uniram: WolkenSonnen-Felsental). Man nannte es auch „Baniram“ (Halb-Sonnen-Felsental), da dort die Sonne nur einen halben Tag lang scheint. Dieses Tal voller fantastischer Stein- und Felsformationen, das vom Duft klaren Wassers erfüllt ist, wurde schließlich irgendwann für die Menschen zugänglich gemacht und ist mittlerweile
als die zweitschönste Sehenswürdigkeit von Jinan zu einem beliebten Erholungsort geworden. Das zweite Tal heißt Baegundong. Es ist für die etwa 100㎡ breite Jeomjeon-Felsplatte bekannt. Das kristallklare Wasser, das sich aus fünf Metern Höhe in die Tiefe ergießt, bietet einen herrlichen Anblick. Im Frühling bedecken Azaleen das Tal und im Herbst verwandelt das üppige Laub es in ein Wunderland aus Rot- und Goldtönen. Im Gegensatz zum Tal Uniram (Baniram), das heute als Urlaubsort druchgängig zahlreiche Besucher anzieht, ist das weniger besuchte Tal Baegundong ein willkommener Ort der Ruhe für alle, die Erholung suchen. Auch der Fluss Seomjin-gang, der seit alter Zeit als Lebensader das Land durchfließt, hat seinen Ursprung in Jinan. Demi-saem heißt seine Quelle, die sich am nördlichen Fuße des Bergs Palgongsan (1.151 m) in Baegun-myeon in Jinan befindet. „Demi“ bedeutet „Bergspitze“ oder „Haufen“. Die Quelle ist tatsächlich von Steinhaufen umringt und die oberste Bergspitze, aus der das Wasser quillt, heißt Cheonsang-demi (HimmelBergspitze, 1.080 m). Cheonsang-demi ist sozusagen der Weg, der entgegen der
Fließrichtung hinauf zum Himmel führen soll. Der Wasserlauf des Seomjin-gang führt von Demi-saem durch Baegunmyeon, rund um den Berg Mai-san durch die Orte Imsil, Gurye und Hadong bis zum Südmeer gut 200 km weiter. Der kleine Wanderweg zur Quelle Demi-saem, der vom Fuß des Berges aus etwa eine Stunde in Anspruch nimmt, ist voller Schönheiten und Wunder der Natur, weshalb er auch „Raum des Lernens in der Natur“ genannt wird. Ein weiteres Wunder der Natur in Jinan ist die so genannte Natur-Kühlanlage Punghyeol-Naengcheon. Den chinesischen Zeichen entsprechend meint Punghyeol „eine Höhle, aus der kalter Wind strömt“, und Naengcheon „kaltes Quellwasser“. In der Höhle am Fuße des Bergs Daedu-san fror in früheren Zeiten selbst im Hochsommer das Wasser ein. Heutzutage bläst aus dieser Höhle ein kalter Wind von etwa 4 °C. Naengcheon ist das Quellwasser, das neben der Höhle fließt. Aus der Quelle sprudelt das ganze Jahr lang kaltes Wasser mit einer ständigen Temperatur von 3 °C. Die Bewohner aus den Dörfern in der Nähe nutzen im Sommer diese natürlichen Kühlschränke zur Aufbewahrung von Kimchi. Das Naengcheon-Wasser Frühjahr 2009 | Koreana 3
ist als eins der besten Wasser in Korea bekannt. Auch Heo Jun, der in der JoseonZeit berühmte Leibarzt des Königs und Verfasser des Standardwerks der traditionellen koreanischen Medizin Dongui Bogam , bezeichnete es als Heilwasser und berichtete, dass viele mit Haut- oder Magen-Darm-Problemen hierher kamen und Heilung fanden.
Beizjagd im Hochwinter
1 1 Das Himmel-und-Erde-Turmpaar befindet sich am höchst gelegenen Punkt des Tempelgeländes. Die noch erhaltenen rd. 80 Steintürme des Turmtempels, die ohne Klebstoff oder Zement errichtet wurden, sind von Menschenhand geschaffene Kunstwerke, die über 100 Jahre den Unbilden der Elemente getrotzt haben.
2 Das Tal Baegundong ist nicht weniger malerisch als das „Wolken-Sonnen-Felsental“ Uniram bzw. das „Halb-Sonnen-Felsental“ Baniram. Das glasklare Wasser eines Wasserfalls, der fünf Meter in die Tiefe fällt, bietet einen faszinierenden Anblick.
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Ohne Zweifel sind der Berg Mai-san, der Steinturmtempel sowie das Tal Uniram (Baniram) die repräsentativsten Sehenswürdigkeiten von Jinan. Aber niemand kann behaupten, Jinan wirklich zu kennen, wenn er nicht eine Beizjagd erlebt hat. Jinan ist seit einigen Jahrzehnten die Heimat der Falkenjagd in Korea und die Tradition wird bis heute weitergeführt. Der verstorbene Falkner Jeon Yeong-tae wurde im Jahr 1998 als Träger des Immateriellen Kulturgutes Nr. 8, der Falkenjagd, ausgezeichnet und 2007 übernahm Park Jeong-o den Titel. Bei der Beizjagd werden abgerichtete Falken für die Jagd auf Fasane, Hasen usw. eingesetzt. Den Falkner, der die längste Erfahrung besitzt und Falken und Beizjagd kommandiert, nannte man „Maejabi“ oder „Bongbaji“. Normalerweise beginnt die Beizjagd im Dezember, wenn die Mauser vorbei ist.
Für eine Beizjagd werden mindestens fünf Personen gebraucht, normalerweise besteht ein Jagd-Team aus sieben bis acht Leuten. „Früher, als wir noch Landwirtschaft betrieben, gab es nichts mehr zu tun, wenn erst einmal alle Feldarbeiten im Spätherbst abgeschlossen waren. Im Winter sammelten sich dann die Dorfleute im Herrenzimmer und die Erwachsenen schickten die jungen Leute auf die Beizjagd. Wer einmal daran Geschmack gefunden hat, der bleibt fleißig dabei. Das gibt es einfach nicht, dass man sich hinlegt, weil man eine Erkältung hat. Auch an extrem kalten Wintertagen heißt es zehn Mal rennen und zehn Mal schwitzen, wenn der Falke zehn Flüge macht. In früheren Zeiten war die Beizjagd eine Art Nationalsport, der vom König und von einfachen Bürgern, von Adligen und von Dienern, von Armen und Reichen und von Jung und Alt gleichermaßen gerne betrieben wurde. Es gab keinen Ort, wo man nicht mit Falken jagte. War jemand gerade bei der Beizjagd, blieben die Leute, die vorbeigingen, stehen und schauten zu. Wenn der Falke jagte, schrien die Leute, und wenn der Falke sich dann in die Lüfte erhob... Es gab kein tolleres Schauspiel als das“, so erzählte der verstorbene Falkner Jeon Yeong-tae vor langer Zeit einmal über die Beizjagd mit Falken.
Der Falkner und der Falke
© Yang Young-hoon
Als wenige Jahre nach der Befreiung Koreas von der japanischen chen und in Mesopotamien im ersten vorchristlichen Jahrhundert Kolonialherrschaft (1945) im Jahr 1950 der Koreakrieg ausbrach, berichten. Es gibt auch Belege, die die Geschichte der Beizjagd in war für die Menschen nur noch das nackte Überleben wichtig und Korea wenigstens bis ins Zeitalter der drei Reiche Goguryeo, Baekje die Falknerei geriet allmählich in Vergessenheit. Ein weiterer Faktor und Silla nachweisen: Im Samguksagi , der Geschichte der Drei Königreiche, steht, dass zur Silla-Zeit die Beizjagd populär war und waren die Waldschutzmaßnahmen, in deren Rahmen Holz als Brennstoff durch Kohle und Erdöl ersetzt wurden: Wenn die Berge zu dicht auch auf Wandbildern in Goguryeo-Gräbern sind Falkenjagdszenen bewaldet sind, ist der Falkner nämlich in seiner Bewegungsfreiheit zu finden. In der Goryeo-Zeit gab es sogar die staatliche Behörde eingeschränkt. Und mit dem Erscheinen von Jagdgewehren wurden Eungbang, die u.a. dafür zuständig war, Falken als Tribut an das die Falken überflüssig. Am entscheidendsten war jedoch, dass Falkenchinesische Yuan-Reich zu schicken. Sie war bis zur Joseon-Zeit eier auf Grund von Umweltschädigung und gnadenloser Wilderei zu die zentrale Stelle für Falken-Rechtsstreite und Falken-Abrichtung. einer Rarität wurden. Auf der Beizjagd fängt ein Falke durchschnittKoreanische Falken wurden auch in China als gute Jagdvögel anerlich drei bis vier Fasane, manchmal aber kannt und „Haedongcheong“ genannt. Haeauch über zehn, erzählen die Falkner. Man dongcheong sind als Jungfalken (Boramae) sagt zwar dass der Falke ein Fasanenjäger bekannt, aber in einigen Aufzeichnungen sei, aber eigentlich fangen Falken nicht nur werden sie auch als Wanderfalken beschrieFasane. Sie jagen auch Hasen, Wiesel und ben. Mistkäfer. Nach der Jagd muss man den FalDie traditionelle Beizjagd war in Korea ken eine Woche lang ordentlich füttern, damit bis in die Zeit der japanischen Besatzung er richtig zunimmt. Er bekommt jeden Tag ein (1910-1945) landesweit sehr beliebt. Zur Zeit Küken. der japanischen Kolonialherrschaft soll es Die Falkner unterscheiden die Vögel nornoch über 1.000 Falkner gegeben haben, was malerweise folgendermaßen: Falken unter einen kleinen Eindruck von der Beliebtheit einem Jahr heißen „Boramae“; Wildfalken, dieses Jagdsports gibt. Die Beizjagd ist keine die in den Bergen gehalten werden, nennt einsame Beschäftigung, sondern eine Art man „Sanjini“; Faust-trainierte Falken Freizeit-Jagdsport, dem man in der Gruppe (meistens im Sommer gezüchtet) werden nachgeht. Der Bongbaji, der erfahrenste „Sujini“ und Wanderfalken „Naljini“ genannt. Falkner, den man auch „Suwalchi“ oder Darunter sind die jungen Falken Boramae „Maebaji“ nennt, hält den Falken auf dem (unter anderem Habichte), die früher auch Arm und wenn ein Fasan oder Hase in Sicht „Haedongcheong“ hießen, für die Beizjagd kommt, ruft er „Falke los!“ und lässt den am besten geeignet. Ein Falke, der noch das Falken los. Falken sind sehr klug und sollen Eine Falke aus dem Besitz des verstorbenen Falkners Jeon Yeong-tae, Träger des Inmaterililafarbene Federkleid des Jungvogels trägt, auch verstehen, wenn der Falkner vor dem ellen Kulturgutes Nr. 8, der Falkenjagd. In Jinan, ist zwei Jahre alt, eine Falke ohne diese Beizflug sagt: „Fasan in Sicht!“ Dann gibt der der Heimat der Falknerei in Korea, werden Gefiederfarbe drei Jahre. Abgerichtete JagdSpäher der nach der Beute Ausschau hält, Falken zur Jagd auf Wachteln und Hasen abgefalken arbeiten mit ihrem Falkner ungefähr Richtungsanweisungen und sechs oder sierichtet. vier oder fünf Jahre lang zusammen - vorben Fänger laufen in Höchstgeschwindigkeit ausgesetzt, dass sie nicht auf und davonfliegen -, manche aber auch in die wahrscheinliche Flugrichtung des Falken. Wenn der Falke die bis neun Jahre. Beute auffrisst, macht er sich auf und davon, weshalb die Fänger ihn Es gibt einen interessanten koreanischen Ausdruck, der seinen so schnell wie möglich von seiner Beute trennen müssen. Ursprung in der Falkenjagd hat: „Sichimi ddenda“. „Sichimi“ ist eine Bevor der Falkner auf die Jagd gehen kann, muss er erst einmal kleine viereckige Erkennungsmarke (manchmal ein dünnes Plättchen einen Falken fangen. Falken legen normalerweise im Frühling ihre aus Kuhhorn) mit Name und Adresse des Falkners, mit der der Vogel Eier. Nachdem die Brut geschlüpft ist, holt man das Küken nach an einer Schwanzfeder als Eigentum ausgezeichnet wird. Früher, als einiger Zeit aus dem Nest. Man holt sich den Falken, wenn er noch die Falkenjagd sehr populär war, gingen öfters Falken auf der Jagd klein ist, weil dann die Gefahr geringer ist, dass er auf und davon fliegt. verloren. Dabei kam es auch vor, dass jemand anders den Falken Aber da sich die Nester an äußerst gefährlichen Stellen befinden, ist fand, die Erkennungsmarke abzog (=Sichimi ddenda), und durch eine es nicht so einfach, ein Küken aus dem Nest zu rauben. Je größer der neue Marke mit seinem eigenen Namen ersetzte. Daher kommt die Falke wird, desto schwieriger wird der Fang. Der Falkner muss sich idiomatische Wendung „die Erkennungsmarke abziehen“, die so viel auf den Wegen, die der Falke öfters nimmt, auf die Lauer legen und bedeutet wie „sich unwissend stellen“ oder „Unschuld vortäuschen“. ihn mit einem Netz fangen, was nur den geschicktesten gelingt. Bei Die Geschichte der Falknerei geht auf die Zeit des ersten bis zweiten der anschließenden Aufzucht und Pflege des Falken ist größte VorJahrhunderts vor Christus zurück. Dies unterstützen historische sicht geboten, damit keine einzige Feder verletzt wird. Ein verletzter Falke kann nämlich nicht mehr jagen. Dokumente, die von der Beizjagd in China im zweiten vorchristliFrühjahr 2009 | Koreana 5
kÜCHE
Meerbrasse mit Nudeln: ein Gericht mit Stil und Geschmack Wie kann man Meerbrasse am besten zubereiten? Das Gericht Meerbrasse mit Nudeln, das wohl Resultat der unermüdlicher Experimente und Bemühungen der Hofdamen war, ist ein Gericht mit tiefem Geschmack. Unsere Vorfahren lobten dieses Gericht, es sei ein noch größerer Genuss als Musik und Tanz. Das Meerbrassenrezept der letzten Hofköchin Han Hui-sun wird bis zum heutigen Tag weitergegeben. Han Bokryeo Leiterin des Institute of Korean Royal CuisineTrägerin des Immateriellen Kulturgutes Nr. 38 Fotos: Ahn Hong-beom Küchenberaterin: Kim Hyong-nim
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eerbrasse ist in Korea kein Fisch, den jeder jederzeit essen könnte. Mit ihrem von Kopf bis Schwanz wohlgeformten Körper und den deutlich ausgeprägten Schuppen gilt die Meerbrasse als die Königin unter den Fischen, weshalb sie zu besonderen Anlässen als Ganzes zubereitet und serviert wird. Eine ganze gedünstete oder gebratene Meerbrasse kommt z.B. bei einem Festessen als Beilage zum Alkohol auf den Tisch, gehört bei Hochzeiten zu den Lebensmitteln, die als Geschenke an die Eltern des Brautpaares geschickt werden und hat auch einen Platz auf der Ahnenverehrungstafel. Im Nachbarland Japan wird Meerbrasse noch häufiger gegessen und zählt zu den Gerichten, die an Neujahr nach Lunarkalendar und bei Hochzeitsessen nicht fehlen dürfen. Auch gehört eine klare Meerbrassensuppe zu den besten Delikatesssuppen, da der Fisch Glück bringen und den Frühling ankündigen soll.
Schmackhaftes weißes Fleisch Meerbrasse schmeckt in den ersten Frühlingstagen zwischen März und April am besten. Von Spätherbst bis in den frühen Frühling hält der Fisch Winterschlaf und erwacht, wenn wärmere Temperaturen signalisieren, dass es Zeit zum Laichen ist. Dann entwickelt er einen ausgeprägten Appetit und frisst viele Krabben, Riesenkraken, achtarmige Kraken, koreanische Miesmuscheln usw. Im März und April schmeckt die Meerbrasse ausgezeichnet, weil sie ihrem Appetit entsprechend fleischiger wird und auch der Fettgehalt steigt. Die Meerbrasse schmeckt so gut, dass man sagt: „Selbst angefault schmeckt eine Meerbrasse immer noch.“ Meerbrassen sind Warmwasserfische und werden in Korea in den Gewässern um die Inseln Wan-do, Jeju-do, Chuja-
do, Wi-do und Geomun-do gefangen, weiterhin in den Regionen Haenam und im Archipel Dadohae. Je nach Lebensraum sind Größe, Farbe und Geschmack unterschiedlich. Es gibt zwar verschiedene Arten wie Chamdom (Pagrus major), Meokdom (Acanthopagrus schlegelii), Hwangdom (Dentex turnitrons), Heukdom (Girella punctata), Bulkdom (Evynnis japonica), Jaridom (Chromis notata), Okdom (Branchiostegus japonicus) usw., aber Chamdom, eine Meerbrasse mit glänzenden rosaroten Schuppen, mittlerer Größe und einem stromlinienförmigen Leib, gilt als die beste Meerbrassenart. Wenn der Fisch zu groß ist, macht er auf dem Teller angerichtet keinen schönen optischen Eindruck mehr. Die Meerbrasse ist ein Weißfleischfisch, der kaum riecht. Außerdem hat er viel Fleisch an den Gräten, das es auf Grund seiner Festigkeit erlaubt, den Fisch auf unterschiedlichste Weise zuzubereiten. Man kann ihn roh als Sashimi essen oder daraus eine klare Suppe kochen, ihn mit Salz oder Sojasoße würzen und backen, als Ganzes dünsten und fünffarbig garniert servieren, stückweise im Eimantel in Öl braten oder in einer Würzsoße schmoren lassen. Glutaminsäure und Inosinmonophosphat, die im Fischprotein enthalten sind, machen das Fleisch schmackhafter und milder. Unter den Fischen gehört die Meerbrasse zu den proteinreichen, aber fettarmen Sorten, was sie ideal für alle macht, die auf ihr Gewicht achten müssen oder einem erhöhten Cholesterinspiegel vorbeugen wollen. Außerdem sind Meerbrassen reich an Aminosäure, d.h. sie sind eine gute Ergänzung für die hauptsächlich auf Getreide basierte Ernährung der Koreaner. Der niedrige Fettgehalt macht das Fleisch der Meerbrasse zwar etwas fest beim Essen, es lässt sich aber leicht verdauen. Deswegen ist das Fleisch gut
für Kranke, Kinder und ältere Menschen. Unbedingt zu empfehlen ist der Kopf der Meerbrasse. Besonders im Augenbereich gibt es reichlich Glukose, das gut für Knorpel und Haut ist und die Gelenke geschmeidig macht. Außerdem wirkt es altershemmend und sorgt für eine schöne Haut. Man sagt: „Der Kopf ist der feinste Teil des Fisches“. Deswegen gilt in Japan geschmorter Meerbrassenkopf als Delikatesse. Nur Kopf und Gräten werden für dieses Gericht in süßer Sojasoße geschmort. Aber auch wenn ein Nahrungsmittel frisch und nährstoffreich ist, kann man den Essenden nicht zufrieden stellen, wenn die Speise nicht auf korrekte Weise zubereitet wird. Bei der Zubereitung von Meerbrassen gibt es einige Punkte zu beachten.
Sorgfältige Zubereitung Die Schuppen der Meerbrassen sind sehr hart und können im Hals stecken bleiben, wenn man den Fisch nicht ordnungsgemäß entschuppt. Auch sollte man beim Abschuppen mit dem Messer vorsichtig sein, da die Schuppen leicht durch die Gegend fliegen und die Umgebung verschmutzen können. Es empfiehlt sich daher, die Meerbrasse in eine große Plastiktüte zu stecken, mit der einen Hand den Schwanz des Fisches zu packen und mit der anderen die Schuppen mit einem Löffel vom Schwanz in Richtung Kopf abzukratzen. Es gibt eine noch bessere Methode: Wenn man anstatt mit einem Messer die Schuppen mit einem schräg angeschnittenen Rettich entfernt, bleiben sie im Rettich stecken und fliegen nicht herum. Es wurde oben bereits erwähnt, dass man Meerbrassen oft als Ganzes kocht, um die Form des Fisches zu bewahren. Aber auch wenn der Fisch beim Servieren noch ein Augenschmaus ist, ist es
Meerbrasse mit Nudeln, ein exqusites Gericht, ist eine Schöpfung der königlichen Palastküche von Joseon. Die im Eimantel gebratenen Filetscheiben werden so auf dem Grätenskelett angeordnet, dass die ursprüngliche Form der Meerbrasse erhalten bleibt, und dann in einer Brühe mit Rindfleisch, Pilzen und Glasnudeln geköchelt.
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Meerbrasse mit Nudeln Zutaten: 1 Meerbrasse, 200g Rindfleisch (Unterschenkel oder Brust), 130g Rindfleisch (Hachse), 120g Tofu, 50g Wasserfenchel, 4 Eier, 50g Beifuß 5 Iwatake-Pilze, 3 Shiitake-Pilze, 20g Judasohr (in Wasser vorquellen), 1 rote Chili, 50g Glasnudeln, 3 Walnüsse, 1 TL Pinienkerne, 1 TL Salz, 1 EL Cheongjang (leichte Sojasoße), 1/2 TL Pfeffer, 4 EL Mehl, Öl -Fleischwürze: 1EL Cheongjang (leichte Sojasoße), 1 TL zerstoßener Knoblauch, 1 TL Sesamöl, eine Prise Pfeffer -Fleischbällchenwürze: 1/3 TL Salz, 1 TL zerhackter Lauch, 1 TL zerstoßener Knoblauch, 1/2 TL Sesamöl, eine Prise Pfeffer
Zubereitung: 1 Die Meerbrasse entschuppen und ausnehmen. Ohne Kopf und Schwanz wegzuschneiden mit schrägem Schnitt in ca. 4cm große Stücke filetieren. Die Stücke salzen und pfeffern. Das Grätenskelett mit Kopf und Schwanz salzen und pfeffern. 2 Das Rindfleischstück von Unterschenkel oder Brust waschen, in 8 Becher (1 Becher: 236,6 ml) kochendes Wasser geben und weich kochen. Das Fleisch aus dem Wasser nehmen, in flache Streifen schneiden und in der Fleischwürze marinieren. Die Fleischbrühe mit Salz und Cheongjang würzen. 3 100g Hachse flach schneiden und wie das gekochte Rindfleisch in der Fleischwürze marinieren. Die übrigen 30g fein hacken, mit Tofu und Fleischbällchenwürze mischen und aus der Masse Bällchen von 1cm Durchmesser formen. 4 Die Iwatake-Pilze in warmem Wasser vorquellen lassen, mit den Händen reiben, um Moosreste an der Innenseite zu entfernen. Danach fein hacken. Große Shiitake-Pilze in Wasser vorquellen lassen und den Stiel entfernen. Judasohr vorquellen lassen und jedes Blatt einzeln entfernen. Die rote Chili der Länge nach halbieren und die Samen entfernen. 5 Eiweiß und Eigelb von 2 Eiern trennen und jeweils mit einer Prise Salz gut schlagen. Die Hälfte des Eiweißes in der Pfanne zu einem hauchdünnen Omelette braten; die andere Hälfte mit dem Iwatake-Hack zu Omeletten verarbeiten. Das Eigelb zu gelben Omeletten braten. 6 Die Blätter des Wasserfenchels entfernen, die Stängel in Stücke von gleicher Länge schneiden, auf einen Holzspieß aufreihen, in Mehl wenden, in geschlagene Eimasse tunken und von beiden Seiten gut braten. Die Fischfiletstücke und die Fleischbällchen ebenfalls in Mehl wenden, in Eimasse tunken und braten. Die Fleischbällchen beim Braten hin und herrollen. Die Walnüsse in warmem Wasser einweichen und die Nusshaut entfernen. Die weißen und gelben Omelettes, die gebratenen Wasserfenchel, Shiitake-Pilze, rote Chili usw. in Rechtecke von 2,5cm x 4cm schneiden. 8 Das gekochte Rindfleisch, das roh gewürzte Rindfleisch und die Judasohren in eine große, flache Pfanne geben und darauf das Grätenskelett mit dem Fischkopf geben. Die Fischfiletstücke auf dem Grätenskelett so zwischen Kopf und Schwanz arrangieren, dass die ursprüngliche Form der Meerbrasse wieder hergestellt wird. Um den Fisch die unter Nr. 7 vorbereiteten Zutaten, Fleischbällchen, Walnüsse, Pinienkerne anordnen und die Fleischbrühe hinzugeben. Die Glasnudeln in warmem Wasser weichen lassen und in kurze Stücke schneiden. Auch den Beifuß in kurze Stücke schneiden. Wenn die Brühe kocht, hinzugeben und kochen lassen.
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damit schnell vorbei, wenn erst einmal hier jemand und da jemand ein Stück mit Stäbchen herausgeangelt hat. Daher ist es ratsam, den Fisch von Vornherein an einigen Stellen mit dem Messer einzuritzen, damit sich das Fleisch in mundgerechten Stücken leicht von den Gräten lösen lässt. Die beste Methode, eine ganze Meerbrasse zuzubereiten, ist Dünsten, wobei die Rezepte dafür je nach Region unterschiedlich sind. Die größte Augenweide sind Meerbrassen gedünstet nach Art der Stadt Tongyeong in der Provinz Geongsangnam-do. Es ist ein eindrucksvolles Gericht, für das eine schöne Meerbrasse prächtig garniert wird. Weil zudem die Gräten bereits bei der Zubereitung entfernt werden, ist der Fisch auch leicht zu essen. Zunächst wird die Meerbrasse am Rücken entlang aufgeschlitzt, ausgenommen, in Sojasoße mariniert und trocknen gelassen. Danach wird der Fisch gedünstet und sorgfältig entgrätet. Anschließend wird er mit einer Mischung aus Kräutern, Muscheln und Tofu gefüllt, die Oberseite mit einer fünffarbigen Garnierung geschmückt, nochmals kurz gedämpft und dann serviert. Es gibt noch ein weiteres ausgezeichnetes Meerbrassengericht, nämlich Meerbrasse mit Nudeln, das am Königshof serviert wurde und der Meebrasse aus Tongyeong in keinster Weise nachsteht. Korrekt heißt das Gericht „Seunggia-tang“. Han Huisun (1889-1972), die letzte Palastköchin, gab das Meerbrassen-Rezept an meine Mutter Hwang Hye-seong (1920-2006) weiter, die Trägerin des Immateriellen Kulturgutes Nr. 38, der „Palastküche der Joseon-Zeit“, war und sie gab es wiederum mir. Hier die einzelnen Zubereitungsschritte.
Unvergleichlicher Genuss Zunächst filetiert man die Meerbrasse in mundgerechte Stücke, die leicht in Mehl gewendet, in geschlagenes Ei getaucht und gebraten werden. Danach legt man eine Pfanne mit gewürztem Rindfleisch und Pilzen aus. Das Grätenskelett mit dem Fischkopf auf der einen und dem
Gedämpfte Meerbrasse ist eine im Vergleich zu Meerbrasse mit Nudeln einfacher zuzubereitende Variante, die in den Küstengebieten als besondere Delikatesse gilt.
Die Meerbrasse ist ein Weißfleischfisch, der kaum riecht. Außerdem hat er viel Fleisch an den Gräten, das es auf Grund seiner Festigkeit erlaubt, den Fisch auf unterschiedlichste Weise zuzubereiten. Bei der Meerbrasse mit Nudeln wird zuerst das Fleisch in kleinen Stücken verarbeitet, danach der Fisch in seiner ursprünglichen Form rekonstruiert und mit Fleisch, Pilzen, Glasnudeln usw. und Fleischbrühe gekocht. Meerbrasse mit Nudeln ist ein Augenschmaus auf jedem Festtagstisch.
Schwanz auf der anderen Seite wird als Ganzes mit einer Prise Salz gebraten und anschließend auf Fleisch und Pilze in die Pfanne gelegt. Die gebratenen Fischfiletstücke werden der ursprünglichen Fischform getreu auf dem Grätenskelett angeordnet. Verschiedene Garnierzutaten werden hinzugegeben, dann wird die Fleischbrühe darüber gegossen und das Ganze gekocht. Die Gräten und der Fischkopf machen die Brühe noch schmackhafter und auch die Fischfiletstücke erhalten zusätzliches Aroma. Resultat ist ein unbeschreiblich tiefer Geschmack aus der Harmonie der Zutaten. Wie könnte man eine Meerbrasse noch sorgfältiger zubereiten! Dieses Rezept für Meerbrasse mit Nudeln ist nicht sehr bekannt, aber man kann darin die Bemühungen der Hofdamen spüren, mit höchster Hingabe ein unvergleichliches Meerbrassengericht zu entwickeln, das eines Königs würdig war. Aus historischen Aufzeichnungen geht hervor, dass Seunggia-tang in den Jahren
1848, 1877 und 1887 bei Festbanketten am Hof serviert wurde. Aus den Aufzeichnungen ist auch ersichtlich, dass man statt Meerbrasse Meeräsche als Zutat verwendete und neben einer Pfanne auch einen Tischkocher gebrauchte. Daraus kann man schließen, dass das Gericht während des Essens am Tisch gekocht wurde. In Aufzeichnungen aus dem Jahr 1901 heißt es, dass Meerbrasse mit Nudeln serviert wurde. Dieses Gericht mit Meerbrasse wurde auch „Seunggiak-tang“ genannt, was in wörtlicher Übersetzung bedeutet, dass es ein noch höherer Genuss als Musik und Tanz mit Unterhaltungsdamen war. Allein schon diese Namensgebung gibt eine Vorstellung davon, was für eine Delikatesse das Gericht sein muss. Der Ursprung von Seungiak-tang wird im Kochbuch von Joseon (Joseonyorihak), das 1940 von Hong Seon-pyo veröffentlicht wurde, vorgestellt. Als in der Joseon-Zeit unter der Regierung von
König Seongjong von Norden feindliche Mandschu-Stämme in die Provinz Hamgyeong-do eindrangen und das Leben der unschuldigen Bürger schwer machten, befahl der König General Heo Jong, die Grenze gut zu schützen. Als der General mit seiner Truppe in Uiju ankam, hieß man ihn mit einem Festessen willkommen, bei dem ein Meerbrassengericht serviert wurde. Heo Jong, der begeistert von dem Gericht gegessen hatte, fragte nach dem Namen, woraufhin man ihm antwortete: „Das Gericht hat noch keinen Namen, weil es speziell für Euch zubereitet wurde.“ Der General sprach daraufhin folgendes Lob aus: „Dieses Meerbrassengericht ist besser als Wein, Musik und Gisaeng (Unterhaltungsdamen).“ Daher wurde das Gericht Seunggiak-tang genannt. Wenn ein Gericht seine eigene Geschichte besitzt, wird es noch wohlschmeckender. Meerbrasse mit Nudeln ist ein solches Gericht. Frühjahr 2009 | Koreana
BLICk AUS DER FERNE
Meine zwei Sänger Die Gänsehaut, die ein schönes Lied zu erzeugen vermag, ist noch gar nichts gegen den Schauder der Ehrfurcht, der einen überläuft, wenn man einem Sänger wirklich die Inspiration anmerkt. In Korea gibt es für mich zwei Sänger, die so ganz aus der Seele heraus singen. Andreas Schirmer Germanist und Koreanist
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uch wenn ich mich nicht gern ins Noraebang, also zum Karaoke-Singen, verschleppen lasse, liebe ich doch viele koreanische Lieder. Als ich 1995 erstmals nach Korea kam (die Belohnung für zwei Jahre Koreanischlernen), entdeckte ich die Balladen koreanischer Liedermacher für mich. Wieder zurück in Österreich ließ ich mich dann fleißig von den Musikkassetten berieseln, mit denen ich mich eingedeckt hatte, um mein störrisches Hirn listig über die Bande, sprich: via Musik ans Koreanische zu gewöhnen. Eine ganze Litanei von Folksongs der 70er und 80er Jahre, die mir (und sei es durchs bloße Zu-TodeHören der armen Kassetten) ans Herz gewachsen sind, könnte ich daherbeten. Aber wenn ich mich nun ernsthaft frage, ob mir diese Lieder wirklich genug bedeuten, um damit meinen Gastbeitrag hier zu bestreiten, werde ich unsicher. Die Gänsehaut, die ein schönes Lied zu erzeugen vermag, ist schließlich noch gar nichts gegen den Schauder der Ehrfurcht, der einen überläuft, wenn man einem Sänger wirklich die Inspiration anmerkt. Van Morrison, Maß aller Dinge, schrieb einmal: If a singer is not singing from the soul, I do not even want to listen to it — it's not for me. Er dachte dabei an „Soul“ auch als Stilrichtung, aber ich möchte seinen Satz hier mal aus dem Zusammenhang reißen, ihn nur für sich stehen lassen und nun in Anspielung darauf sagen: In Korea gibt es „für mich“ zwei Sänger, die so ganz „aus der Seele heraus“ singen. Der eine war schon 44, als er, Mitte der neunziger Jahre, seinen Job in einem Autohaus hinschmiss, um nur mehr Musik zu machen. Jang Sa-ik ist der Name dieses spät, aber um so eindeutiger Berufenen. Letztes Jahr hat er sein inzwischen sechstes Album herausgebracht. Ich weiß noch genau, wie hingerissen ich war, als ich sein Lied Jjillekkot („Weiße Büschelrose“) erstmals hörte, denn was ich da an Inbrunst vernahm, hob sich um eine ganze Dimension von der gespielten Leidenschaft ab, mit der man sich sonst so abspeisen lässt. Da schreit sich einer wegen einer Blume schier die Seele aus dem Leib, preist ihre schlichte Derbheit, nennt sie „traurig wie die Sterne, betrübt wie der Mond“,
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findet auch ihren Duft „allzu traurig“, „hast darum doch die ganze Nacht geweint“. Am Ende wird das Lied noch etwas rätselhaft, auch für gelernte Koreaner. Doch egal, man braucht im Grunde gar kein Wort verstehen, um die Musik zu begreifen. Das gilt, um vom Erhabenen etwas wegzukommen, auch für den Humor, der manche von Jang Sa-iks Stücken bestimmt und der sich ebenfalls schon durch die Musik allein vermittelt. Sicher, mit Text hat man noch mehr davon. In Samsik , einer Nummer im zweiten Album, hört man nach dramatischem Getrommel den Sänger mit verstellter Stimme rufen: Samsik, wo warst du denn? Schau sich einer deine Hände an! Wenn die Krähe so eine schwarze Pfote sieht, glaubt sie, das ist ihr Großvater. Rasch, wasch dir die Hände und komm essen . Dann ein entfesseltes Musizieren, wie eine Einladung zum Mittanzen. Und der Sänger schildert uns nun eine Mutter, wie er sie vielleicht noch selber hatte: ein quengelndes Kind auf dem Rücken und einen Korb auf dem Kopf, tritt sie sich selber auf die lange Schürze, ein Regen trägt das Seine zum Stress bei, zu allem Überfluss ruft nun auch die Schwiegermutter, die auch was braucht, und dabei müsste sie, die Mutter, schon dringend mal groß aufs Häuschen ... Ein fröhlicher Kinderchor singt zwischendurch ein altes Lied. Schlicht lustig? Nein, sondern warmer Humor und menschenfreundlicher Übermut. Die Musik von Jang Sa-ik ist immer eine Mischung aus Jazz und unverkennbar koreanischen Elementen: man hört alte Bauernmusik heraus und den sich wiegenden Rhythmus koreanischer Volkslieder ebenso wie die hohe Kunst des Pansori. Zu Keyboard, Klavier und Gitarre kann sich die Energie koreanischer Sanduhrtrommeln gesellen, das Scheppern eines kleinen Gongs, das Wimmern der zweisaitigen koreanischen Fiedel. Ein originelles Crossover, das aber nie nach verkappter Altertumspflege riecht, sondern immer organisch wirkt. Nichts fürs Noraebang, aber Jang Sa-ik ist zum Glück trotzdem, wenn auch kein Star für die Massen, mehr als ein bloßer Geheimtip. Jeong Tae-chun (auch Cheong Tae-choon), der andere „meiner“ Sänger, hatte erfolgreiche Phasen, doch mittlerweile ist er vielen Koreanern kein Begriff mehr. 1978, gleich nach seinem Militärdienst, hat er sein erstes Album herausgebracht, auf ein neues, es wäre sein elftes, lässt er nun schon seit sieben Jahren warten. Sein Name ist fest assoziiert mit dem von Pak Eun-Ok, mit der er seit 1980 verheiratet ist und künstlerisch zusammengearbeitet hat. So manchen seiner Klassiker kann man auch in den Titellisten der Noraebangs finden. Auch Kerzenlicht aus seinem ersten Album, obwohl dieses feine Lied überhaupt nicht zur Karaokenummer taugt. Besser liegt man abends im dunklen Zimmer und hört, nein, horcht und lauscht: Lautlos senkt sich die Dunkelheit herab; wenn die Nacht wieder wie eine Herbergsucherin kommt, will ich eine
Kerze anzünden und ins Fenster stellen, will ich meine Einsamkeit niederbrennen. An meine Liebste denkend, die mich verlassen hat, kann ich auch heute nicht einschlafen, wache, lasse brütend Kerze um Kerze niederbrennen, bis die Nacht wieder geht. Die Liebe flackert im Lichtschein, bekommt mich in ihre Macht. Die unbelehrbaren Gefühle, sie wollen nicht erkalten, lodern wieder auf wie die Flamme meiner Kerze. Wie paraphrasiere ich nun die dazugehörige Musik? Ich gehe besser sofort zu dem über, worauf jede Musikbeschreibung, und sei sie noch so kompetent, ohnedies letztlich immer hinauslaufen muss: zum Appell zum Selberhören. Dichterdorf heißt das Lied, das jenem Erstlingsalbum den Namen gegeben hat. Vom Horchen auf den Wind und den Herzschlag der Natur ist da die Rede, vom Schirm-Zuklappen und Sich-anregnenLassen, vom Lauschen auf das Hereinbrechen der Nacht. Nein, das ist keine biedersinnige Herzensergießung, sondern kraftvoller Gesang. Das Wandern über die Dörfer hat Jeong Tae-chun überhaupt in vielen seiner Lieder besungen: aufbrechen im Morgengrauen, vom Tau nass werden, über den Bach springen und dort die Hände mal ins Wasser tauchen, zur Rast am Feldrain sitzen, die Kürbisse unter den Strohdächern leuchten sehen, den Rauch der Herdfeuer riechen, in der Abenddämmerung einen Bergpfad entlanggehen, unter den Sternen schlafen. So werden Bilder aus der kollektiven Erinnerung einer Generation beschworen, die ihre Kindheit mehrheitlich auf dem Land erlebte und die es irgendwann in die mit Unwirtlichkeit und Entfremdung assoziierte Stadt verschlagen hat. „Kühl“ ist darum der Mond von Seoul, den heimatlos gewordenen Städtern nur eine zusätzliche Last. Und wie romantisch harmlos sich mancher Liedtext auch ausnahmen mag: von Anfang an wurde Jeong Tae-chun von der seinerzeitigen Zensur schikaniert. Mit der Zeit erwies er sich als engagierter musikalischer Begleiter der auf Demokratisierung und Zivilgesellschaft drängenden Bürgerbewegungen. A Daehanminguk (Ach Korea) und andere Protestlieder gehen unter die Haut, enthalten starken Tobak an Anklage, Wut und Trauer. Auch dafür bewundere ich den Sänger - und will hier doch weiter von Liedern reden, die der Fürsprache bedürftiger sind: für manche bloßer Eskapismus, für manche verkappte Botschaft, doch im einen wie im andern Fall unterschätzt. Neben Gitarre, Mundharmonika, Keyboard und Konsorten hört man bei Jeong Tae-chun (Parallele zu Jang Sa-ik) oft auch allerlei Gongs und Trommeln, die zweisaitige Fiedel, die sechssaitige Zither, altkoreanische Flöten, Oboen und Metallschalmeien. Biya, biya (O Regen), ein Lied, in dem alle Begleitinstrumente aus dem Arsenal der traditionellen volkstümlichen Musik stammen, erzählt im Rhythmus von Feldarbeitsgesängen mit warmem Humor von einem Markttag: vom Vater, der sein Rind gut an den
Mann gebracht hat und das nun feiert; von der Mutter, die, mit schweißnassen Händen, gebannt den Aufführungen der Tanzgruppen zusieht; von der Schwester, die sich heimlich zum Markt geschlichen hat und nun die feilgebotenen Waren bestaunt; vom Kind, das sich, allein zu Hause, langweilt und dem der Magen kracht. Da braut sich ein Gewitter zusammen, Faszinosum für das Kind, Malheur für die Marktbesucher. Wo doch der Vater gerade so wohlig berauscht ist, die Mutter so hübsch geschminkt und die Schwester so aufgeregt ob all der schönen Kleiderstoffe. Darum: „Regen, bleib aus!“ Une (Weinen) heißt ein weiteres Lied mit einer ausschließlich altkoreanischen Instrumentierung. „Une“ kommt von „ulda“, einem Verb, das einerseits „weinen“ meint, andererseits auch, ohne unbedingt Traurigkeit zu implizieren, einfach den Gesang von Vögeln, das Schrillen der Zikaden oder das Quaken der Frösche bezeichnen kann. Vermochten die leidgeprüften Koreaner der Vergangenheit vor lauter Kummer und Gram keine Fröhlichkeit aus dem Vogelgezwitscher herauszuhören? Man genieße diese beliebte Erklärung mit Vorsicht. Wie auch immer, in Une trauert tatsächlich alle Natur. Es weinen oder wimmern, schluchzen, klagen: der Gackelkuckuck, trunken vom Duft der Azaleen; die Frösche, weil die Feldraine vom knüppeldick herunterprasselnden Regen überschwemmt werden; das (auch in diesem Lied) zum Hüter des Hauses eingesetzte Kind; und, im Schneegestöber, der von der nächtlichen Dunkelheit eingehüllte Berg hinter dem Haus. Mein absolutes Lieblingslied aber? Heimat (aus dem Album Gedichte über die Liebe, das Leben und die Ewigkeit ). Man horche auf den Herzschlag der sich wiederholenden wenigen Griffe an zwei Gitarren, höre die intensive Unruhe, die sich beschleunigt, und lausche dem Sänger, wie er traumverloren beginnt: Am westlichen Berg: die Abenddämmerung brennt. Er wiederholt das zweimal, ehe er quasi etwas daraus ableitet: Auch mein Herz ist angesteckt und brennt. Nach dem gleichen Muster: Am Hang des Bergs, an dem die Sonne untergeht, die Kiefer. Auch mein Körper eine Kiefer. – Im dunklen Feld mittendrin das weiße Pferd. In meinem Herzen angebundenes weißes Pferd. – In einer Ecke meines Zimmers die Tasche. Tasche, die mich schon mein ganzes Leben begleitet. Spätestens bei der letzten Strophe ist es um mich geschehen: Jede Nacht im Traum der Weg in die Heimat. – Feldweg, über den meine Sehnsucht rennt. Verlässlich stellt er sich da bei mir ein, jener Schauder der Ehrfurcht. (Gewiss, das Lied gehört vor allem gehört, nicht bloß nachgelesen.) Wäre noch Platz, würde ich weiter rühmen. Zumindest das wunderbare Lied vom Besuch am Grabhügel des Vaters, dann das Lied auf das „schmucklos abfahrende Schiff“, dessen regennasses Segel den kalten Wind umarmt, dann den liebenswürdigen Dorfsängerwettbewerb ... Wer Ohren hat, der höre!
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LEBEN
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Frauen im koreanischen Militär: Es gibt keine Grenzen mehr Kompetente und unternehmungslustige Koreanerinnen schreiben ein neues Kapitel in der Geschichte der weiblichen Soldaten Koreas. Bis in die 1990er Jahre war der Dienstbereich der Soldatinnen auf den Verwaltungssektor eingeschränkt, aber heutzutage leisten sie in fast allen Bereichen der Teilstreitkräfte vom Heer bis zur Marine gleiche Dienste wie die Männer. Im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern, in denen Soldatinnen alle Kampfeinsatzbereiche verschlossen sind, genießen die Soldatinnen in den Streitkräften der Republik Korea einen relativ hohen Status. Erfahren Sie mehr über diese Frauen. Yu Yong Weon Reporter, The Chosun Daily Newspaper
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m Jahr 2002 wurden in Korea erstmals drei Frauen als Kampfpilotinnen zugelassen. Die Oberleutnantinnen Park Ji-yeon, Park Ji-won und Pyun Bo-ra, die trotz der hohen Konkurrenzrate von 1:22 die Aufnahmeprüfung an der Luftwaffenakademie bestanden, sind „das Pilotinnen-Trio“ der Kampfflugeinheit. Sie schlossen die schwierige Ausbildung, zu der u.a. Nacht-, Allwetter-, Kunst- und Formationsflüge mit dem Überschall-JetTrainer T-38 und T-59 gehören, mit guten Noten ab. Sie verfügen nicht nur über eine überdurchschnittlich gute körperliche Kondition – eine Grundvoraussetzung für Piloten – , sondern zeichnen sich auch durch ausgezeichnete Führungskompetenz aus.
Die Geschichte der Kampfpilotinnen Fünf Jahre später schrieb die Hauptmännin Ha Jeong-mi, die am 22. November 2007 auf der Landebahn der Kampfflugeinheit 20 in der Stadt Seosan-si, Provinz Chungcheongnam-do, landete, wieder ein neues Kapitel in der Geschichte der koreanischen Luftstreitkräfte. Die Hauptmännin, die im Jahr 2002 zur Leutnantin ernannt wurde, ist die erste Frau, die das Jagdflugzeug KF-16 steuerte. Bis Ende 2006 flog sie das Erdkampfflugzeug A-37. Aber die ehrgeizige Pilotin bewarb sich für ein Jagdflugzeug und trainierte fast ein Jahr lang mit dem KF-16. Der Weg zur Jagdflugzeugpilotin war jedoch alles andere als leicht. Die maximale Geschwindigkeit des KF-16 ist mit
2,0 Mach zweifach höher als die Schallgeschwindigkeit und 1,5-fach höher als die des A-37. Bei abrupten Bewegungen entsteht im Flugzeug ein Druck von 9G (neunfache Erdbeschleunigung), was nicht leicht auszuhalten ist. 9G bedeutet, dass das Neunfache des eigenen Körpergewichts auf dem Piloten lastet. „Beim Trainieren mit extrem schnellen Bewegungen platzen die Kapillaren an Oberschenkeln und Armen, was rote Flecken hinterlässt.“ Has Traum von einer Karriere als Kampfflugzeugpilotin begann im letzten Oberschuljahr. „Als Mitglieder der Koreanischen Luftwaffenakademie an die Schule kamen, um für die Akademie zu werben, erfuhr ich etwas über das Leben der Kampfpiloten. Von da an träumte ich davon, den monotonen Alltag hinter mir zu lassen und durch den Himmel zu fliegen.“ 2001, in ihrem vierten Jahr an der Luftwaffenakademie, verliebte sie sich bei einem Besuch der Kampfflugeinheit 20 in das glatte, glänzende KF-16 und entschloss sich, KF-16-Pilotin zu werden. Ha sagt voller Enthusiasmus: „Ich war fest entschlossen, das Tabu für Frauen zu durchbrechen und die beste Kampfflugzeugpilotin zu werden“. Im Jahr 1997 öffnete die Luftwaffenakademie als erste unter den drei Militärakademien (Heer, Luftwaffe, Marine) die Tür auch für Frauen. Seit 2002 die erste Frau ihren Pilotenschein erhalten hat, sind die Pilotinnen beachtlich auf dem Vormarsch: Unter den insgesamt rd. 1.900 Piloten der Luftwaffe wurden 24 Frauen in
1 Zur Eliteeinsatztruppe Special Warfare Command (SWC) gehört auch eine Frau. Stabsfeldwebelin Kang Myung-suk hat mehr als 4.000 Fallschirmsprünge hinter sich.
2 In der koreanischen Marineinfanterie gibt es schon seit längerem weibliche Offiziere auf Schiffen, die bei Küstenoperationen eingesetzt werden. (Foto: Republic of Korea Navy)
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Die Aufgabe der Unteroffizierin Kim ist die sichere Beseitigung von Blindgängern beim Schießtraining und die Entschärfung von Sprengkörpern und Landminen, die im Koreakrieg verlegt wurden. Ihre Tätigkeit ist gefährlich und kann sie jederzeit das Leben kosten. Vor einem Einsatz sagt sie beschwörend drei Mal zu sich selbst: „Bleib ganz ruhig!“
verschiedenen Bereichen wie Kampf- und Transportflugzeuge sowie Hubschrauber ausgebildet (Stand 2007).
Rekordhalterin mit 4.000 Fallschirmsprüngen Es gibt eine Frau, die in der Geschichte der Soldatinnen einen neuen Rekord aufgestellt hat: Stabsfeldwebelin Kang Myung-suk ist seit zwanzig Jahren in der koreanischen Elitetruppe Special Warfare Command (SWC) tätig. Kang gehört zu Bataillon 707, das aus den besten Mitgliedern des SWC besteht, und hält mit 4.002 Sprüngen den Rekord im Fallschirmspringen. Sie hat als erste Soldatin die 4.000-Marke erreicht. An manchen Tagen absolvierte sie sogar zehn Sprünge. Durch ihr hartes Training konnte Kang im Jahr 1998 beim Wettbewerb des International Military Sports Council in Kroatien, an dem 43 Staaten teilnahmen, den zweiten Platz belegen. Der Sprung, der ihr bis heute am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist, fand 1988 im Rahmen der Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele in Seoul im Olympiastadion in Jamsil statt. „Vom Himmel aus sah das Stadion wie
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ein riesiges Herz aus und ich hatte das Gefühl, dass es im Rhythmus meines eigenen aufgeregten Herzens pochte.“ Stabsfeldwebelin Kang war ursprünglich eine eher introvertierte Person von kleiner Gestalt (1,60m groß). Das FallschirmTraining machte sie zu einer aktiven Frau, die keine Herausforderung scheut. Heute trägt sie wegen ihres beweglichen und gut gestählten Körpers den Spitznamen „Atom“ nach dem japanischen Zeichentrickfilm „Astro Boy“.
Spezialistin für Sprengstoffbeseitigung 2008 wurde zum ersten Mal bei einer Landminenbeseitigungsoperation eine Soldatin eingesetzt. Ziel solcher Einsätze ist es, durch die Beseitigung von unnötigen Landminen in grenznahen Regionen möglichen Schäden für die Zivilbevölkerung vorzubeugen. Im Jahr 2008 wurden Beseitigungsarbeiten in Yeoncheon in der Provinz Gyeonggi-do sowie in Cheorwon und Goseong in der Provinz Gangwondo unternommen. Kim Ji-yeong, Unteroffizierin des 2nd Logistical Support Command, einer Einheit zur logistischen Unterstützung, ging im Jahr 2005 zum
Militär und bewarb sich im Juni 2007 für das Sprengstoffbeseitigungsteam. Bei der Ernennung zur Unteroffizierin wurden sie und ihre vier Kolleginnen speziell für explosive Materialien eingeteilt und seitdem interessiert sie sich besonders für die Sprengstoffbeseitigung. „Ich wollte meine Zukunft auf einem Spezialbereich aufbauen, an den sich niemand so leicht wagt.“ Die Aufgabe der Unteroffizierin Kim ist die sichere Beseitigung von Blindgängern beim Schießtraining und die Entschärfung von Sprengkörpern und Landminen, die im Koreakrieg verlegt wurden. Ihre Tätigkeit ist gefährlich und kann sie jederzeit das Leben kosten. Von Juli 2007 bis März 2008 war sie etwa sechzig Mal im Einsatz. Vor jedem Einsatz sagt sie beschwörend drei Mal zu sich selbst: „Bleib ganz ruhig!“
Die erste Kompaniechefin in der Marineinfanterie Im Jahr 2006 schrieb die Marineinfanterie, die wegen ihres rigorosen Trainings auch als „Geisterjäger-Truppe“ bekannt ist, 54 Jahre nach ihrer Einrichtung ebenfalls Geschichte: Die erste Frau übernahm das Kommando einer Kampfeinheit der Marineinfanterie. Es ist Kapitänleutnantin Kim Yun-jeon vom Zweiten Regiment der Ersten Division der Marineinfanterie. Sie hatte bereits im Jahr 2001 für Schlagzeilen gesorgt, als sie als erste Frau zur Marineinfanterieoffizierin ernannt worden war. Erfolgreich managte sie ihre drei Rollen als Mutter eines 17 Monate alten Sohnes, als Chefin einer Kompanie und als Frau eines Soldaten. Bei ihrer Ernennungszeremonie waren die Soldaten zwar etwas überrascht, dass der neue Chef eine Chefin sein sollte, aber schon bald waren sie überwältigt von ihrer eisernen Disziplin und kraftvollen Stimme. Als Kadettin hatte Kim das Training genau so gut durchgehalten wie die männlichen Kollegen, sei es in der sengenden Hitze
des Hochsommers oder im rauen Seegang. Während des harten Trainings im Schießen, amphibischen Landemanövern, Abseilen vom Hubschrauber (Fast-Roping und Speed-Rappeling) und im NBCTraining gegen chemische, biologische und radioaktive Waffen legte sie eher noch größere Zähigkeit an den Tag als die Männer. Die Marineinfanterie hatte ihr auf Grund ihres Geschlechtes keine Sonderbehandlung zukommen lassen, aber das wollte Kim auch gar nicht. Ihr einziges Privileg war eine eigene Toilette und ein eigenes Zimmer. Der Grund, warum sie sich ausgerechnet für die Marineinfanterie statt fürs Heer oder für die Marine oder für die Luftwaffe entschied, was sich normalerweise ein Mann auch dreimal überlegt, ist ganz einfach: „Die Marineinfanteristen sind die Crème de la Crème unter allen Soldaten.“
Die Geschichte der koreanischen Soldatinnen Die ersten Berufssoldatinnen in Korea waren 32 Offizierinnen, die im Jahr 1948 nach einer kurzen Ausbildung ernannt wurden. Ledige Frauen zwischen 18 und 25 Jahren, die den Abschluss der sechsjährigen Mittelschule (entspricht dem heutigen Oberschulabschluss) vorweisen konnten, konnten Berufssoldatinnen werden, wenn sie die schriftliche Prüfung bestanden und die strengen körperlichen Tauglichkeitskriterien erfüllten. Die prominentesten Soldatinnen von damals waren die Ausbildungschefin Kim Hyeonsuk aus dem nordkoreanischen Pjöngjang, die nach ihrer militärischen Ausbildung zur Oberleutnantin ernannt und die erste militärische Abteilungschefin wurde, sowie die Zugführerin Kim Jeong-rye, die später Parlamentsabgeordnete und Ministerin für Gesundheit und Soziales wurde. Nach dem Ausbruch des Koreakriegs im Juni 1950 wurde im September mit der Gründung eines Ausbildungszentrums für weibliche Freiwillige die erste offizielle Frauentruppe gebildet. 1969 wurden zum ersten Mal Soldatinnen ins Ausland entsandt und die erste weibliche Luftlandetruppe wurde eingesetzt.
Seit 1988 dürfen verheiratete Soldatinnen auch nach der Geburt von Kindern weiterhin im Militär bleiben. Auch die Militärakademien, die den Frauen bis dahin verschlossen waren, öffneten allmählich ihre Pforten: 1997 die Luftwaffenakademie, 1998 die Heeresakademie und 1999 die Marineakademie. 2002 bekam die erste Militärpilotin ihren Flugschein und die ersten Absolventinnen der Heeresakademie wurden zu Zugführerinnen im an der innerkoreanischen Grenze stationierten Gewehrkorps ernannt. 2003 betrat zum ersten Mal eine Marinesoldatin ein Schlachtschiff und eroberte damit eines der repräsentativsten Tabu-Territorien für Frauen. 2006 schloss Hwang Eun-jeong, die die Aufnahmeprüfung zur Luftwaffenakademie als Beste bestanden hatte, das Studium als Beste ab.
Steigende Konkurrenz Zum Bedauern der ehemaligen Absolventinnen und derjenigen, die sich gegen die Auflösung ausgesprochen hatten, ging nach 52 Jahren die Geschichte der Schule für Soldatinnen (das ehemalige Ausbildungszentrum für weibliche Freiwillige) zu Ende. Im November 2002 wurde als Nachfolgeorganisation das „Amt zur Förderung weiblicher Soldaten“ gegründet, das dem Verteigungsministerium untersteht. Das Verteidigungsministerium trug der steigenden Anzahl von Frauen im Militär und ihrer bedeutender werdenden Rolle Rechnung und entschied sich aus Gründen einer noch umfassenderen Förderung und Entwicklung der Frauen für die Schließung. Ein halbes Jahrhundert lang hatte die Schule für Soldatinnen als Nährboden gedient und in 47 Jahrgängen 1.500 Offizierinnen sowie in 168 Jahrgängen 6.300 Unteroffizierinnen hervorgebracht. Die Zahl der Bewerberinnen an den Offiziersakademien ist rapide gestiegen und damit auch die Konkurrenz unter den Frauen. Die Marineakademie verzeichnete einen erstaunlichen Rekord mit einer
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1 Als Ha Jeong-mi, Hauptmännin bei der Luftwaffe, als erste Frau als Jagdflugzeugpilotin für das Jagdflugzeug KF-16 zugelassen wurden, schrieb sie nicht nur Geschichte, sondern verwirklichte auch einen lange gehegten Traum. (Foto: Ministry of National Defense)
2 Im Rahmen einer Übung des Capital Defense Command in Seoul trainieren weibliche Angehörige der Spezialeinheit der Polizei, der sog. SWATEinheit (Special Weapons and Tactics), das Abseilen aus elf Metern Höhe.
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Konkurrenzrate von 40:1. Auch an den Akademien des Heeres und der Luftwaffe ist die Konkurrenz unter den Frauen viel härter als unter den Männern. Aber nicht nur das: nach einem Artikel von Ende November 2008 waren im selben Jahr ein Drittel der Absolventen der Unteroffiziersakademie weiblich. Nach dem Stand von August 2008 dienen 4.910 Frauen bei den koreanischen Streitkräften, darunter 2.618 Offizierinnen und 2.292 Unteroffizierinnen (Es gibt keine Soldatinnen niederer Ränge). Im Heer gibt es 2.067 Offizierinnen und 1.563 Unteroffizierinnen, in der Marine 252 Offizierinnen und 224 Unteroffizierinnen und in der Luftwaffe 299 Offizierinnen und 505 Unteroffizierinnen. Der Frauenanteil an der Gesamtzahl der Streitkräfte ist mit 2,7% relativ gering im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA (14,6%), Japan (4,6%), China (3,6%) und Russland (8,5%). Das Verteidigungsministerium plant unter dem Projekt Reform der Nationalen Verteidigung 2020 bis zum Jahr 2020 die Soldatinnen-Rate auf 5,6 % zu erhöhen. Das Ministerium will den Anteil der Offizierinnen von 3,9% auf 7% und den Anteil der Unteroffizierinnen von 2,1% auf 5% anheben. Der höchste Dienstgrad für Soldatinnen ist heute Brigadegeneralin. Alle zwei Jahre wird eine Generalin zur Leiterin
der Militärischen Krankenschwesterakademie ernannt. Nach dem Stand von Juli 2008 gibt es in Korea eine Brigadegeneralin, 8 Oberstinnen, 60 Oberstleutnantinnen und 212 Majorinnen.
Herausforderung für unternehmungslustige Frauen Im Jahr 2007 führte das Ministerium für Frauen und Familie auf der vom Ministerium betriebenen Frauenportalseite (www. women-net.net) eine Online-Umfrage zur Einstellung von Frauen zum Dienst im Militär durch. Auffallenderweise antworteten 52,3% der jungen Beantworterinnen „Ich sehe das Militär als neue Möglichkeit der beruflichen Laufbahn und würde die Herausforderung gerne annehmen.“ Während der Status der koreanischen Frauen in der internationalen Gemeinschaft nur auf Platz 63 rangiert, wird der Status der Soldatinnen in Korea als von Weltspitzenniveau bewertet. Nach dem UN-Bericht Gender Empowerment Measure liegen die koreanischen Frauen in der Empowerment-Evaluierung weltweit nur auf Platz 63, aber die koreanischen Soldatinnen können sich mit ihren Kolleginnen in den fortgeschrittenen Industriestaaten messen. 60 Jahre, nachdem die Geschichte der koreanischen Soldatinnen mit der Gründung der Regierung
und der Ernennung von 32 Offizierinnen Ende 1948 begann, genießen koreanische Soldatinnen in punkto Diversität der Tätigkeiten einen Status, der mit dem ihrer Kolleginnen in den USA und vielen europäischen Ländern vergleichbar ist. Die USA setzen keine Frauen als Kampfkommandanten ein und Großbritannien verbietet den Einsatz von Frauen an der Kriegsfront. Berücksichtigt man weiterhin, dass es in Italien erst seit Jahr 2001 Soldatinnen gibt, dann genießen die koreanischen Soldatinnen tatsächlich höchsten Status. In Bezug auf die aktiven Tätigkeiten der Frauen in fast allen Bereichen des Militärs gibt es neben der positiven Bewertung der Statushebung auch die Meinung, dass man mit Rücksicht auf die körperlichen Besonderheiten der Soldatinnen und die äußeren Bedingungen des Truppenlebens Frauen nicht zu Kampfeinheiten zulassen sollte. Warum entscheiden sich dann heutzutage viele Frauen für das harte Militärleben? Zu diesem Trend der jungen Generation hat die neue Atmosphäre im Militär einen großen Beitrag geleistet. Viele Frauen sind der Meinung, dass das Militärleben freier geworden ist und auch Selbstentfaltungsmöglichkeiten bietet, so dass nichts dagegen spricht. Sie können zum Beispiel den Schwarzen Gürtel im Kampfsport Taekwondo oder ein Zertifikat als Spezialistin für Internetinformationssuche erwerben, wie es viele männliche Soldaten tun. Ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums äußerte sich über die steigende Zahl der Bewerberinnen wie folgt: „Das Militär bietet jungen, unternehmungslustigen Frauen viele Pluspunkte, da hier Frauen weniger als in anderen Berufssparten diskriminiert werden und eher das Gefühl, etwas geleistet zu haben und erfolgreich zu sein, haben können.“
Kadettinnen salutieren während der Vereidigungszeremonie der Sanitätsakademie der Streitkräfte in Daejeon.
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Reisen in die koreanische Literatur
© Park Jae-hong
JO Kyung Ran
JO Kyung Ran (geb. 1969), die das Innere des modernen Menschen, der keinen mentalen Halt mehr hat, mit feinem Blick betrachtet, ist eine etablierte Schriftstellerin, die auch schon viele Literaturpreise erhalten hat. Sie hat sich auch um einen regen literarischen Dialog mit ausländischen Lesern bemüht, indem sie ihre Werke in mehreren Lesungen in Nordamerika, Deutschland und Frankreich vorstellte oder mit renommierten Verlagen im Ausland Copyright-Verträge für ihren Roman Die Zunge abschloss. Eine ihrer Figuren sagt einmal: „Wenn die Unruhe im Leben nicht vermeidbar ist, so lebe mit der Kraft der Unruhe.“
REZENSION
JO Kyung Ran Auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit des Lebens Cha Mi-ryeong Literaturkritikerin
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s gibt ein koreanisches Wort, das „Ok-tap-bang 屋塔房’“ heißt. Dieses Wort besteht aus den drei chinesischen Zeichen 屋 (Haus), 塔(Turm) und 房(Zimmer), die unterschiedliche Räume bezeichnen, und meint ein kleines Zimmer auf dem Flachdach eines Gebäudes. Dieses Zimmer, das je nach Sichtweise als Gebäudeteil oder als separater Raum gelten kann, wird von jungen Städtlern benutzt, die sich noch keine Wohnung leisten können, aber Verlangen nach einem eigenen Raum für sich alleine haben. Deshalb ist der Begriff „Oktapbang“ mit Konnotationen wie „materieller Mangel“, „mentales Selbstbewusstsein“ oder „herumirrende Jugend“ behaftet. Die Autorin JO Kyung-Ran, die hier vorgestellt wird, hat fast 20 Jahre lang in einem kleinem Oktapbang in Bongchon-dong in Seoul gewohnt. Das winzige Zimmer auf dem Dach des Hauses, das ihr Vater eigenhändig gebaut hatte, war die Geburtsstätte ihrer Erzählungen. Dass wir uns die Einsamkeit der Schriftstellerin vorstellen können, die in dem beengten Raum unablässig gelesen und geschrieben haben muss, verdanken wir allein ihren Werken. JO Kyung-Ran, die Trägerin mehrerer wichtiger Literaturpreise Koreas wie des Munhakdongne-Literaturpreises (1996), des Preises für junge Künstler von heute (2002), des Hyundae Literaturpreises (2003) und des Dongin Literaturpreises (2008) ist, und sich inzwischen als eine repräsentative Autorin Koreas etabliert hat, hat das einsame Innenleben der modernen Menschen, die ihren mentalen Halt vorloren haben, mit feinfühligem Blick betrachtet und beschrieben. Dass die Leser bei der Lektüre ihrer Werke Ruhe, aber auch Würde empfinden, ist darauf zurückzuführen, dass aus dem spezifischen Blickwinkel der Autorin der Wille durchschimmert, unter keinen Umständen die menschliche Würde aufzugeben. Das gilt auch für die Erzählung Ich hab Luftballons gekauft . Diese Erzählung ist die Titelerzählung des im Jahr 2008 veröffentlichten gleichnamigen Erzählbandes. Die Hauptfigur ist eine 37-jährige Frau, die nach einem langem Studium in Heidelberg nach Seoul zurückgekehrt ist. Aber das, was in der Heimat auf sie wartet, ist weder Ruhm noch ein fester Arbeitsplatz noch eine verständnisvolle Familie. Die Stadt Seoul, die sie nach zehn Jahren wiedersieht, ist eher ein unbequemer, fremder Ort und ihre Zukunft ist alles andere als sicher. Dass die Heldin eine französische Markenhandtasche kauft, illustriert klar, dass sie sich als Außenseiterin ohne festen Halt betrachtet und über kein Selbstbewusstsein in Bezug auf ihre Lebensgestaltung besitzt. Wie kann sie diese Krise bewältigen? In der Erzählung kommen zwei männliche Figuren vor. Thomas, der in den Erinnerungen der Heldin erwähnt wird, ist Arzt und ein Freund, der ihr während ihres Aufenthaltes in Deutschland geholfen und sie getröstet hat. Er stand der Heldin, die unter Panikattacken litt, mit Rat und Tat zur Seite, und empfahl ihr als Therapiemethode, Luftballons aufzublasen. Aber er sieht ihre Zukunft nicht gerade hoffnungsvoll. Die letzten Worte, die er an die in die Heimat zurückkehrende Heldin richtet, sind trist: Er stellt fest, dass ihr das Schicksal beschieden sei, „in Isolation zu leben“, ohne sich mit den anderen oder mit der Außenwelt verständigen zu können. Der andere Mann ist der junge J, den sie in Seoul trifft. Der frühere Handball-Nationalspieler und sie begegnen sich das erste Mal als Teilnehmer bzw. Dozentin in einem Kurs im Kulturzentrum eines Kaufhauses. Es kommen erste Gefühle zwischen ihnen auf und sie verabreden sich zu Dates. Bevor jedoch die Schmetter-
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linge im Bauch über ihre erste Verabredung sich etwas beruhigen können, erfährt die Heldin Neues über J. Entgegen seinem heiter wirkenden Äußeren leidet er unter schweren Panikattaken. Seine Krankheit überwältigt ihn noch einmal im Vorfeld seines 28. Geburtstags, da sein Vater im Alter von 28 Selbstmord begangen hat. Wie wird J diese Krise bewältigen? Die Autorin erforscht in Ich hab Luftballons gekauft mit aller Aufmerksamkeit die unergründliche Unruhe und Angst, die das Leben des modernen Menschen über den Rand der Klippe treibt. Die Unruhe, gegen die die Heldin und J mühsam kämpfen, sind wohl nicht die eigenartigen Symptome derer, die unter Panikstörungen leiden. In der Erzählung legt es die Autorin der Heldin in den Mund: Es ist besser gegen die Unruhe zu kämpfen, die das Leben einschränkt und die Menschen sich innerlich verbarrikadieren lässt. Wenn die Unruhe nicht vermeidbar ist, dann muss man einen Weg finden, mit ihr zu leben. Wir sollten das Unglück und die Nöte im Leben als eine Kraft annehmen, die unser Leben aufrechterhält. In der Erzählung Ich hab Luftballons gekauft befreit sich die Heldin durch reine Willenskraft aus der Isolation und schafft Änderungen; durch die Beziehung zu J findet sie eine Spur der Hoffnung, die Thomas nicht für sie gesehen hatte. Weder sie noch J dürften die Unruhe je in ihrem Leben gänzlich überwinden können. Aber beide glauben, dass die Unruhe irgendwann einmal ausgebrannt sein wird, und sie werden die Unruhe in Bescheidenheit als einen Beweis dafür akzeptieren, dass das menschliche Leben nicht vollkommen sein kann. Die Reflexion darüber, dass der Mensch kein vollkommenes Wesen sein kann, dass – im Gegenteil – das Leben gerade deshalb schön sein kann, durchdringt die Erzählung. An den folgenden Sätzen ist festzustellen, dass eine solche Erkenntniss mit der Möglichkeit des Liebens einhergeht: „Denn ich habe nun etwas, das ich wirklich schützen möchte.“ Die Ballons flogen weiter und weiter in den fernen Himmel. Angst überwinden heißt nicht nach hinten schauen, sondern vorwärts gehen, J. Das mag Änderungen bedeuten . Wenn es einen besonderen Willen zum Leben gibt, den man selber nicht erkannt hat, so müsste er wohl rund und prall wie ein Luftballon sein. Ich stellte mich sacht auf die Zehenspitzen, damit meine Stirn sein Kinn erreichte. In der obigen Szene aus dem Schlussteil der Erzählung lassen die Heldin und J, die sich nach einiger Zeit wieder treffen, Luftballons in den Himmel steigen. Die Luftballons, die Therapie für unter Panikattaken Leidende waren, fliegen nun gefüllt mit Hoffnung in die Luft. Die runde Form der Ballons symbolisiert für die Figuren der Erzählung den Lebenswillen. „Wenn es einen besonderen Willen zum Leben gibt, den man selber nicht erkannt hat, so müsste er wohl rund und prall wie ein Luftballon sein.“ Die Harmonie des hoffnungsvollen Flugs der Ballons, die von der Luft getrieben in die Höhe steigen, und der zwei miteinander fliegenden menschlichen Ballons weist auf eine neue Möglichkeit hin, nach der die Heldin nach Verzweiflung und langem Herumirren wieder sucht. Wie die in den Himmel fliegenden Ballons wird ihre Seele in die Lüfte gehoben und himmelwärts steigen, da der Knoten, der sie bislang festgehalten hatte, sich gelöst hat.
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(Alte Ausgaben sind für US$7 pro Heft zuzüglich Luftpostgebühren lieferbar.)
Korea Focus
Korea Focus wird in Form eines monatlichen Web-Magazins (www.koreafocus.or.kr) und einer Vierteljahresschrift veröffentlicht und enthält Artikel aus den wichtigsten Tageszeitungen, Wochenmagazinen und wissenschaftlichen Zeitschriften, die das Verständnis der verschiedenen Aspekte der koreanischen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur und der wichtigsten internationalen Themen erhöhen sollen. Seit der ersten Publikation 1993 trägt Korea Focus dazu bei, in bedeutenden Forschungsinstituten und Universitäten vieler Länder das Fach Koreanistik mit Informationen zu unterstützen und in der internationalen Gemeinschaft das Interesse sowie die Kenntnisse in Bezug auf die koreanische Gesellschaft zu fördern. Abonnementpreis inklusive Luftpostgebühren Korea Japan, Hongkong, Taiwan und China sonstige Länder
1 Jahr 18.000 Won US$28 US$32
2 Jahre 36.000 Won US$52 US$60
3 Jahre 54.000 Won US$71 US$81
(Alte Ausgaben sind für US$5 pro Heft zuzüglich Luftpostgebühren lieferbar.)
Korean Cultural Heritage
Korean Cultural Heritage ist eine vierbändige Serie in englischer Sprache, in der Artikel der bisherigen Koreana-Ausgaben nach Kategorien zusammengestellt sind, um die verschiedenen Bereiche systematisch und vertieft vorzustellen. Die Serie bietet fachliche Artikel mit anschaulichem Bildmaterial. (Band 1: Traditionelle Kunst, Band 2: Geisteswelt und Religion, Band 3: Darstellende Kunst, Band 4: Traditionelle Lebensformen)
Fragrance of Korea
Fragrance of Korea: The Ancient Gilt-Bronze Incense Burner of Baekje ist eine englische Ausgabe über das goldbronzene Weihrauchgefäß von Baekje (Nationales Kulturgut Nr. 287), das in seiner Form und Schönheit als Höhepunkt der alten ostasiatischen Metallkunst bewertet wird. Diese Ausgabe besteht aus Abbildungen und Illustrationen auf 110 Seiten und drei kurzen Aufsätzen auf insgesamt 30 Seiten: „Kunstgeschichtliche Bedeutung des goldbronzenen Weihrauchgefäßes von Baekje“, „Kulturelle Dynamik und Vielfältigkeit: Vom Duftrauchbrenner Boshanlu bis zum goldbronzenen Weihrauchgefäß von Baekje“ und „Der Standort eines buddhistischen Tempels in Neungsan-ri, Buyeo“.
Preis pro Band: US$40 (zuzüglich Versandgebühren)
Preis pro Heft: US$25 (zuzüglich Versandgebühren)