Koreana - Spring 2016 (German)

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Frühjahr 2016

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST

SPEZIAL

KOREANISCHES THEATER

Koreanisches Theater heute Menschen und Trends

Bühnenbildnerin lee Byoung-bok; Daehangno; Yeonhuidan georipae; neue Protagonisten; Changgeuk

jahrgang 11, nr. 1

1975-0617 Korean Culture &Issn arts 3


IMPRESSIONEN


Der Zauber des Marronnier Parks Kim Hwa-young Literaturkritiker, Mitglied der National Academy of Art

Das ist der Marronnier Park im Seouler Theaterviertel Daehagno. Ein Künstler in roter Jacke und rotem Hut gibt auf dem Platz eine Vorstellung. Ob er ein Zauberer ist? Langsam sammeln sich Zuschauer um ihn herum. Es ist ein Straßenfest. In Daehangno finden jeden Tag und jeden Augenblick irgendwelche Events statt. Entfernt man diese Schale der Feste, kommt in komprimierter Form ein Ausschnitt der modernen koreanischen Geschichte zum Vorschein. Im nordöstlichen Teil der Seouler Altstadt befindet sich die von zahlreichen Kleinbühnen wie dem Arko Arts Theater gesäumte Straße, der das ganze Viertel seinen Namen verdankt: Daehak-ro“ (Daehak: Universität, ro: Straße; Aussprache und heute gängige Schreibung: Daehangno). Die Straße selbst erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung via U-Bahnstation Hyehwa (Linie 4) über eine Länge von ca. 1,5 km und wurde zusammen mit der direkten Umgebung von der Regierung zur „Kulturzone“ erklärt. Mit dem Berg Nak-san im Hintergrund ist Daehangno ein Viertel von historischer Bedeutung, umgeben von wichtigen historischen Stätten der Joseon-Zeit wie den Königspalästen Changgyeong-gung und Changdeok-gung und dem königlichen Ahnenschrein Jongmyo. Der Name „Daehangno“ leitet sich von der Tatsache ab, dass in dieser Straße 1946 die Seoul National University (SNU), die erste moderne staatliche Universität Koreas, ihre Pforten öffnete. 1961 schrieb ich mich in der Abteilung für Französische Sprache und Literatur der Fakultät für Geistes- und Naturwissenschaften dieser Universität ein. An der Stelle, an der heute das rote Gebäude des Arko Arts Theater zu sehen ist, stand damals ein im alten Stil gehaltenes, grau-beiges Backsteingebäude, in dem neben der Bibliothek die vielen Arbeitszimmer der Professoren untergebracht waren. In diesem Gebäude las ich zum ersten Mal Der Fremde von Albert Camus. Davor war ein Hain Japanischer Zelkoven. Folgte man dem Pfad, der sich durch die in Fliederduft eingehüllten Rasenflächen wandt, kam man zum Haupttor der Universität. Spazierte man von dort über das Flüsschen, das wir Studenten, vom fernen Paris träumend, unter uns als „Seine“ bezeichneten, erreichte man die heutige Daehagno-Straße. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite stehen bis heute das Seoul National University Hospital und die medizinische Fakultät der Universität. Hier war es auch, wo ich im Herbst 1974 nach meinem Studium in Frankreich meine erste und letzte Vorlesung vor den Studenten meiner Alma Mater hielt. 1975 zogen die meisten Fakultäten der SNU in den neuen Campus am damals südlichen Stadtrand von Seoul und das Viertel um die Universitätsstraße entwickelte sich zu einem Zentrum der Jugend, der Kunst und der Kultur. Aber das ist noch nicht alles: Bevor die Seoul National University 1946 in Daehangno einzog, stand auf dem Gelände die juristische Fakultät der Kaiserlichen Universität Keijo, die 1924 von den japanischen Kolonialherren gegründet worden war. Bei den auf dem Foto zu sehenden Bäumen handelt es sich um Rosskastanien, die Ueono Nahoteru, ein japanischer Professor für Ästhetik, 1927 aus Frankreich mitgebracht und gepflanzt haben soll. „Marronnier“, der Name des Parks, geht darauf zurück. Ob dem Künstler mit dem roten Hut der „archäologische Zauber“ der Zeit und Geschichte, die dieser Platz atmet, wohl bewusst ist?


Von der Redaktion

VERLEGER REDAKTIONSDIREKTOR CHEFREDAKTEURIN REDAKTIONSBEIRAT

Namenlos, Gesichtslos, Zwei Herzen An einem nieseligen Nachmittag im letzten Winter besuchte ich Sun Mu in Goyang am nördlichen Stadtrand von Seoul. Sein Atelier ist in einem umgebauten Haus nahe an der Autobahn, die am Han-Fluss entlang nach Norden führt. Wenn es keine Grenze zwischen den beiden Koreas gäbe, könnte er in nur wenigen Fahrstunden seinen Heimatort in der nordkoreanischen Provinz Hwanghaenam-do, wo seine Familie lebt, besuchen. Sun Mu war beim Malen, wobei er sich an den Stil, den er in Nordkorea gelernt hatte, hielt und hauptsächlich Rot und Blau, die Farben der nordkoreanischen Nationalflagge, verwendete. Es braucht einen Augenblick, um die wahren Botschaften der Bilder dieses Mannes, der unter dem Pseudonym „Sun Mu“ malt, zu verstehen und zu begreifen, was er mit „ich habe zwei Herzen“ meint. Meinem Besuch war viel Überzeugungsarbeit vorangegangen, da er Treffen mit Medienvertretern scheut. Anstatt sich für den Beitrag Traum von einer grenzfreien koreanischen Halbinsel fotografieren zu lassen, stellte er uns digitale Daten seiner Selbstporträts zur Verfügung. Mit einem ähnlichen Gefühl des Schmerzes in meinem Herzen möchte ich unsere Leser auf den Protagonisten des Musicaldramas Baek Seoks Fable auf dem Titelbild dieser Ausgabe hinweisen. Heutzutage gehört Baek Seok zu den Lieblingsdichtern der Südkoreaner, aber während des Kalten Kriegs war er in Vergessenheit geraten, korrekter gesagt, verboten. Und das nur, weil er sich vor sieben Jahrzehnten, als die Nation geteilt wurde, in seinem Heimatort in Nordkorea aufhielt. Er vermochte sich nicht an das nordkoreanische System anzupassen und es ist bekannt, dass er in einer abgelegenen Gebirgsgegend auf einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft starb. Baek Seoks Fable ist einer der jüngsten Produktionen der Truppe Yeonhuidan georipae, die für ihre Stücke mit deutlichen gesellschaftspolitischen Botschaften bekannt ist. Die SPEZIAL-Beiträge unter dem Thema „Koreanisches Theater heute: Menschen und Trends“ informieren darüber, was derzeit die koreanischen Theaterkreise bewegt. Ahn In-kyoung Chefredakteurin der deutschen Ausgabe

COPY EDITOR KREATIVDIREKTOR LEKTORAT KUNSTDIREKTOR DESIGNERS

Yu Hyun-seok Yoon Keum-jin Ahn In-kyoung Bae Bien-u Charles La Shure Choi Young-in Han Kyung-koo Kim Hwa-young Kim Young-na Koh Mi-seok Song Hye-jin Song Young-man Werner Sasse Anneliese Stern-Ko Kim Sam Lim Sun-kun, Noh Yoon-young, Park Sin-hye Lee Young-bok Kim Ji-hyun, Lee Sung-ki, Yeob Lan-kyeong

LAYOUT & DESIGN

Kim’s Communication Associates 44 Yanghwa-ro 7-gil, Mapo-gu Seoul 04035, Korea www.gegd.co.kr Tel: 82-2-335-4741 Fax: 82-2-335-4743

ÜBERSETZER

Ahn In-kyoung Anneliese Stern-Ko Do Young-in Kim Eun-ji Park Ji-hyoung

Preis pro Heft in Korea 6.000 Won Außerhalb Koreas US$9 Detailinformationen zu den Subskriptionspreisen finden Sie auf Seite 84. THE KOREA FOUNDATION BERLINER BÜRO c/o Botschaft der Republik Korea Stülerstraße 8-10, 10787 Berlin, Germany Tel: +49-(0)30-260-65-458 / Fax: +49-(0)30-260-65-52 E-mail: koreana@kf.or.kr The Korea Foundation West Tower 19F Mirae Asset CENTER1 Bldg. 26 Euljiro 5-gil, Jung-gu, Seoul 04539, Korea

KOREANISCHE KULTUR UND KUNST Frühjahr 2016

Ein Werbeposter für das Musicaldrama Baek Seoks Fable , verfasst und auf die Bühne gebracht unter Leitung von Lee Yountaek. Das Stück der Truppe Yeonhuidan georipae , das im August 2015 im Daejeon Culture and Arts Center Premiere feierte, erzählt von Leben und Werk des nordkoreanischen Dichters Baek Seok (1912-1996).

Viertejährlich publiziert von The Korea Foundation 2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu Seoul 06750, Korea http://www.koreana.or.kr

GEDRUCKT FRÜHjAHR 2016 Samsung Moonwha Printing Co. 10 Achasan-ro 11-gil, Seongdong-gu, Seoul 04796, Korea Tel: 82-2-468-0361/5 © The Korea Foundation 2016 Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf ohne vorherige Genehmigung der Korea Foundation in irgendeiner Form reproduziert werden. Die Meinungen der Autoren decken sich nicht notwendigerweise mit denen der Redaktionsmitglieder oder der Korea Foundation. Koreana ist als Vierteljahresmagazin beim Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus registriert (Reg. Nr. No. Ba-1033, August 8, 1987) und erscheint neben Deutsch auch auf Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Indonesisch, Japanisch Russisch und Spanisch.


FoKuS

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Cho seong-Jin: Zukunft der klassischen Musik in Korea Park Yong-wan

KunSTKrITIK

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traditioneller architektonischer raum Interpretation von sechs Fotografen Mok Soo-hyun

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gESchIchTEn auS ZwEI KorEaS

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traum von einer grenzfreien koreanischen Halbinsel

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Kim Hak-soon

unTErwEgS

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Hamyang und sancheong: Konfuzianische Gelehrten-Dörfer, erfüllt vom Duft der Frühlingsberge Gwak Jae-gu

rund uM ZuTaTEn

SPEZIAL

Koreanisches Theater heute: Menschen und Trends

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Bühnenbildnerin lee Byoung-bok: Wegweiserin des koreanischen theaters Kim Su-mi

SPEZIaL 2

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LIFESTyLE

Kim Jin-young

bLIcK auS dEr FErnE SPEZIaL 1

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Knoblauch, allzweck-Gewürz und Gemüse

essen: lieferservice per app

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Jeon Sung-won

Deutscher Goldrausch in Korea

rEISEn In dIE KorEanISchE LITEraTur

MICHAEL DIRAUF

Das surrealistische lied eines Wanderers über die teilung

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Cho Yong-ho

ein Wanderer ruht auch auf dem Wege nicht aus Lee Ze-ha

Daehangno: seouls repräsentatives theaterviertel Choi Yoon-woo

SPEZIaL 3

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Yeonhuidan georipae: tschechow neu betrachten Lee Chang-guy

SPEZIaL 4

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neue Protagonisten der koreanischen theaterwelt Kim So-yeon

SPEZIaL 5

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Changgeuk erwacht zu neuem leben Kang Il-joong

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SPEZIAL 1 Koreanisches Theater heute: Menschen und Trends

BüHNENBILdNERIN LEE ByOuNg-BOK WEgWEISERIN dES KOREANIScHEN THEATERS Kim Su-mi Theaterkritikerin Fotos Ahn Hong-beom

Lee Byoung-bok ist eine Pionierin, die den grundstein der Bühnenästhetik im koreanischen Theater legte. 1969 eröffnete sie ein Theatercafé, das dem koreanischen Publikum kontroverse westliche Theaterstücke, traditionelles koreanisches Volkstheater und modernes kreatives Theater näher brachte, wodurch das Kleinbühnentheater gefördert wurde. Lee, die 40 Jahre lang die Theatertruppe Jayu (Jayu Theater company; „jayu“: Freiheit) leitete, bezeichnet sich selbst bescheiden als „Narren am Heck“; jüngere Künstler betrachten sie jedoch als „Polarstern“, der ihnen den Weg weist.

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m Dezember letzten Jahres wurde in Lees Atelier im Seouler Stadtviertel Jangchungdong eine Feier zu ihrem 90. Geburtstag veranstaltet. Unter den Familienangehörigen und Künstlern, die in diesem kleinen Kreis zusammengekommen waren, befand sich auch die über 70-jährige Schauspielerin Son Sook, die zu Lee sagte: „Dank Ihrer Hartnäckigkeit konnten die Theatermacher in diesem Lande durchhalten. Weil Sie sie ihr Leben lang nicht losgelassen haben, konnten sie so weit kommen. Wir danken Ihnen sehr.“

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café Théâtre und Theatergesellschaft Jayu 40 Jahre lang (1964-2004) leitete Lee Byoung-bok die Theatergesellschaft Jayu. Anders als bei anderen Theatertruppen, bei denen meist der Regisseur die Geschäftsführung übernimmt und damit über Wohl und Wehe der Truppe entscheidet, wurde beim Theaterkollektiv Jayu die Bühnengestalterin mit dieser Aufgabe betraut. Möglich war das dank des Systems des „kollektiven Kreierens“: Für alle Entscheidungen im Produktionsprozess inklusive der Auswahl der Stücke setzten sich die für die verschiedenen Bereiche zuständigen Experten zusammen und entschieden gemeinsam. Unter diesem System arbeitete Lee engagiert als Spezialistin für Kostüme und Bühnenbild und trug so zur Weiterentwicklung von Bühnenkunst und –design bei. Als Vorbild diente der Truppe die französische Privatbühne Compagnie Renaud-Barrault, gegründet von dem Ehepaar Madeleine Renaud und Jean-Louis Barrault, und als Arbeitspartner stand ihr stets der Regisseur Kim Jeong-ok zur Seite, ein langjähriger Freund aus Lees Frankreichzeit. Voller Leidenschaft arbeiteten die beiden Hand in Hand und gründeten das Theaterkollektiv, doch in den 1960ern war in Korea kaum eine Bühne zu finden. Die hoch motivierten Kollektivmitglieder brauchten aber eine Bühne, auf der sie regelmäßig auftreten konnten. Lee erinnerte sich an die Pariser Kleinbühnen in Montparnasse und am Seine-Ufer und schlug die Eröffnung eines „Theatercafés“ vor. Zusammen mit ihrem Mann, dem Künstler Kwon Ok-yon, mietete sie einen heruntergekommenen Raum in Chungmu-ro 2-ga in der Seouler Stadtmitte, den sie eigenhändig zu renovieren begannen. Mit Kreide zogen sie Linien auf dem Boden und teilten den Raum fein säuberlichst nach Nutzungszweck ein: Eingang mit exakter Markierung der Türposition, Bühne, Technikraum, Halle, Ticketschalter und Garderobe, Kasse, kleine Bar, WC und Küche. Nach all den Tagen und Nächten voller Anstrengungen wurde das Café Théâtre in Myeong-dong, im Herzen Seouls, schließlich im April 1969 eröffnet. Es war der allererste Ort in Korea, wo die Besucher bei einer Tasse Tee oder Kaffee eine Vorführung genießen konnten. Montags stand Studententheater auf dem Spielplan, freitags war traditionell Koreanisches angesagt wie Volkstheater, der epische Sologesang Pansori oder das Puppentheater Kkokdugaksi. An den übrigen Wochentagen spielten die Jayu-Theatertruppe und andere Truppen. Präsentiert wurde ein gefächertes Repertoire: Viele kontroverse westliche Stücke wie Die kahle Sängerin von Eugène Ionesco und Die Zoogeschichte von Edward Albee, brillante koreanische Kreativtheaterstücke wie The Roly Poly on Roller Skate von Oh Tae-suk, und Neuinszenierungen von Stücken aus den 1920ern und 1930ern im Zuge der Bewegung des Neuen Theaters. Das Café Théâtre war ein Ort, an dem traditionelle koreanische Darstellende Künste (Yeonhi) wie Pansori und das Puppentheater Kkokdugagsi dem jungen Publikum präsentiert wurden und wo in einer Zeit, als Bühnen rar waren, zahlreiche Theatergesellschaften (Jayu Theater Company, Theatre Min-ye Group, Shilhum Theater Group, Gagyo Theatre Company, Minjung Theatre Company) eine Gelegenheit zu Vorführungen fanden. Somit hat es nicht nur einen monumentalen Beitrag zur Förderung des Kleinbühnentheaters geleistet, sondern auch als Plattform des sozialen Austausches für Kultur- und Kunstkreise gedient. In Lee Byoung-boks Theaterkarriere fungierte die Theatergesellschaft Jayu als eine Achse, die sie zum steten Nachsinnen über die Bedeutung von Gemeinschaft und Zusammenarbeit anregte, und das Café Théâtre als eine zweite Achse, die sie über die Bedeutung des KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 5


Kleinbühnentheaters und dessen Berührungspunkte mit dem Publikum nachdenken ließ. Entlang dieser Achsen schuf sie zahlreiche Koordinaten, und die Konflikte und Spannungen, die sich in deren Umfeld ergaben, ließen die Theaterschauspieler Koreas heranreifen und ihre Träume nähren.

Experimentelle Bühnenkostüme und Bühnengestaltung Lee Byoung-bok ging 1957 nach Frankreich. Zu der Zeit musste man von Korea aus einen Monat mit dem Schiff reisen, um dorthin zu kommen. Lee, die ihre drei Kinder, darunter einen Säugling, bei ihrer Schwiegermutter lassen musste, brach nicht fest entschlossen in die Fremde auf, weil sie den Ehrgeiz hatte, eine weltberühmte Kostümdesignerin oder Bühnenbildnerin zu werden, sondern sie wollte einfach ihren Mann beim Kunststudium in Frankreich unterstützen. Doch ihr intellektueller Hintergrund – sie hatte an einer renommierten koreanischen Universität Englische Literatur studiert – und ihr fleißiges und robustes Naturell bewiesen sich auch in Frankreich. Die „freie Minute“, in der sie ihren Mann nicht unterstützte, nutzte sie, um eine Schneiderschule zu besuchen. „Die Aufgabe war, ein zweidimensionales Schnittmuster zu entwerfen, aber ich machte weiter bis zur Drapierung am Modell, woraufhin sie mich hinauswar-

fen. Ich war doch nur so fleißig, weil ich jede Sekunde nutzen wollte, doch nach sechs Monaten war alles aus“, sagt sie. Aus der Enttäuschung wuchs der Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie begann in der Abendkleider-Abteilung einer Damenschneiderei, wo sie ihr Gespür für Design entwickelte: „Stundenlang standen Models in Slip und BH neben den Schneidern, d.h. wir haben nicht an einer Puppe geschneidert, sondern direkt am Körper Maß genommen. Immer wieder ließen wir die Models die Kleider anprobieren und sich darin bewegen, um zu sehen, wie sie fallen, und den Schnitt zu optimieren. So was hätte ich in der Schule nie gelernt.“ Diese Erfahrung diente nach ihrer Rückkehr nach Korea als Grundlage ihrer Arbeitstechniken. Damals lernte Lee auch, ein Kleidungsstück nicht einfach als ein Objekt zu betrachten, sondern als lebendiges, atmendes Wesen. Sie begann, einen Bühnenkos-

In Lee Byoung-boks Theaterkarriere fungierte die Theatergesellschaft Jayu als eine Achse, die sie zum steten Nachsinnen über die Bedeutung von Gemeinschaft und Zusammenarbeit anregte, und das Café Théâtre als eine zweite Achse, die sie über die Bedeutung des Kleinbühnentheaters und dessen Berührungspunkte mit dem Publikum nachdenken ließ. Entlang dieser Achsen schuf sie zahlreiche Koordinaten, und die Konflikte und Spannungen, die sich in deren Umfeld ergaben, ließen die Theaterschauspieler Koreas heranreifen und ihre Träume nähren.

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tüm-Stil in ihrer ganz persönlichen Handschrift zu entwickeln, bei dem Kostüm und Träger miteinander verschmolzen zu sein schienen. Durch ihre künstlerische Bühnengestaltung, bei der sie eine konsistente Harmonie von Kostümen, Requisiten und Bühnenbild anstrebte, brachte Lee ein neues Bühnendesign-Konzept ins koreanische Theater, das mit What Shall We Become? (1978) richtig in Schwung kam. Es entwickelte sich weiter bei Evening Primroses (1982), wo sie eine Zuschauergruppe durch von Buschklee-Ästen hängende Stoffpuppen mit augenlosen Gesichtern darstellte, und bei Flowers Bloom Even on Windy Days (1984), wo sie Puppen, die bis dahin reine Requisiten gewesen waren, als zentrale Elemente im Maskentheater einsetzte. In Hens Will Do If the Roosters Don’t Crow (1988) machte Lee mit über 70 Kostümen aus Hanji, dem traditionellen koreanischen Papier aus der Rinde des Maulbeerbaums, von sich reden. Mit Hanji lassen sich je nach Klebstoff-Rohmaterial (Getreide, Pflanzen, Mischfasern etc.) und -konsistenz Kostüme unterschiedlicher Steifheit herstellen, wobei je nach Anzahl der Papierschichten ein anderer Eindruck entsteht. Lee schneiderte die Kostüme abgestimmt auf die Intensität und Häufigkeit der Bewegungen der einzelnen Schauspieler. Ihre Hanji-Kostüme, die mit Überlegungen zur Dreidimensionalität gefertigt wurden, wirkten betont stilisiert und unterstrichen so den rituellen Charakter des Stückes noch stärker. Zudem verlieh die Irrealität der aus Papier gefertigten Kostüme Zeit und Raum, die im Stück dargestellt wurden, eine gewisse Tiefe und ihre verblichen wirkenden Töne erschienen elegant und stilvoll zugleich. Dass sie bei Bluthochzeit (1988) durch wild gewickelte Röcke das Gemüt des einfachen Mannes zum Ausdruck brachte, für Birds in Flight against the Setting Sun (1992) Pluderhosen im Stile der bauchigen koreanischen Jangdok-Vorratskrüge entwarf, und für Hamlet (1993) mit 400 Rollen Hanfleinen die Kulisse einer Trauerhalle darstellte – all das ist Beweis von Lees Tiefblick und künst-

lerischer Fantasie. Die von Lee gestalteten Bühnen, bei denen Formen und Texturen Saiten im Zuschauer ansprechen, machten die Aufführungen noch bewegender. Kulmination ihrer Bühnengestaltungskunst war das Ritualdrama Exorcism for Costumes (1999), bei dem letztendlich Bühnenkostüme und Kunst verschmolzen, indem die Kostüme das Schauspiel schufen und die Bühne gestalteten. In den Schubladen, in denen sie ihre Materialien säuberlich geordnet aufbewahrt, liegen leere Reissäcke, altes Zeitungspapier, Kordeln, Plastikfolien und Hanji-Papierreste. Ihre elegant wirkenden Kostüme sind also aus Alltagsabfällen gemacht. Sie nutzte getrocknete Schwammkürbisse aus eigenem Anbau, um den Kostümen mehr Volumen zu geben, und die Insignien der königlichen Roben schuf sie, indem sie wiederholt mit Fäden und Plastikfolien, die verflochten, mit Kleber fixiert und gebügelt wurden, experimentierte. Mit für jedermann erhältlichen Allerweltsmaterialien etwas zu kreieren, auf das sonst niemand kommt, und dabei wiederholte Misserfolge und Plackerei nicht zu scheuen – diese experimentelle Haltung Lees war für ihre Theaterkollegen in vielerlei Hinsicht stets eine Inspiration. Lee erinnert sich: „Gutes Hanji-Papier ist äußerst robust. Deshalb hebe ich die Hanji-Reste von misslungenen Kostümen für Masken auf. Nichts wird weggeworfen, alles kann zu einer großartigen Requisite

Ein Regiment aus Hanfleinen-Puppen bildete den Hintergrund für Die Bluthochzeit . Lee Byoung-bok, die dieses Stück des spanischen Theaterschriftstellers Federico Lorca besonders liebt, hat sich mehrfach mit koreanischen Interpretationen des Bühnenbilds versucht.

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für die Bühne werden. Der Rasen in Thieves’ Carnival wurde aus Eisenwolle gemacht. Die Idee dafür kam mir, als ich an einem Eisenwarenhandel vorbeilief, wo gerade ein Eisenblech geschnitten wurde. Die Abfälle sahen wie weiches Seidengarn aus. Als ich sie leicht zusammenknüllte, bekamen sie ein natürliches Volumen. Jedes Mal, wenn ich unterwegs war, kam ich vollbeladen mit solchen Abfällen zurück.“ Von all ihren Requisiten sind die Masken am einzigartigsten. Die Augen – wenn überhaupt vorhanden – sind enge Schlitze, die zusammengedrückten Nasen und die schiefen Münder wirken auf den ersten Blick hässlich. Doch diese eigenartigen und hässlichen Masken haben je nach Betrachtungswinkel einen unterschiedlichen Ausdruck. Das Amorphe, die Basis der koreanischen Gefühlswelt, wird auf diese Weise aufgedeckt.

Prince Hodong (1991), das krönende Werk von Lee Byeong-bok, wurde ebenfalls in Geumgok aufgeführt. Allein schon die Bühne, die auf einem Teich vor dem alten Haus eingerichtet wurde, bot einen atemberaubenden Anblick. Die „Outside-the-Box“-Kulisse mitten in der Natur, die erstklassigen Schauspieler wie Park Jeong-ja und Yun Seok-hwa und die exquisiten Kostüme und Requisiten schufen einen Raum von perfekter Harmonie. Bis heute wird dieses Stück als repräsentatives Meisterwerk für die Errungenschaften des koreanischen Bühnendesigns erwähnt. Prince Hodong krönte das Finale des Weltkongresses der OISTAT (International Organisation of Scenographers, Theatre Architects, and Technicians). Die Aufführung schien die OISTAT-Mitglieder aus anderen asiatischen Ländern noch stärker zu begeistern als die aus

Lee Byoung-bok, nirgendwo

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©Arko Art Center, Joom

Vor rund zehn Jahren war in Geumgok in der Provinz Gyeonggi-do eine außergewöhnliche Ausstellung zu sehen. Gezeigt wurden Werke, die Lee in ihrer über 50-jährigen Karriere geschaffen hatte: Kostüme, Requisiten, Puppen und anderes. Eine solche Art von Ausstellung im Inland ist schon etwas außergewöhnlich, noch außergewöhnlicher war aber der Titel Lee Byoung-bok, nirgendwo, was ihre Absicht ausdrückte, nach der Ausstellung alle im Laufe ihres Lebens geschaffenen Werke zu verbrennen. Die mehr als ein halbes Jahrhundert umfassende Sammlung von Werken eines Kunstschaffenden kann wertvolles Material für die Kunstgeschichte sein. Doch wenn nach dem Tod des Künstlers keine ausreichenden Konservierungsmaßnahmen getroffen werden, können die Werke schnell ruiniert werden oder verloren gehen. Lees „Nirgendwo-Ausstellung“ war damit ihre Art des Protests gegen die erstickende Realität in Korea, das den Wert von Kunstgeschichte und deren Dokumentierung nicht hinreichend beachtet. Der Schmerz einer Künstlerin, die all ihre Werke verbrennen will, gleicht wohl dem einer Mutter, die ihr Kind überlebt hat. Im Dezember 2009 wurde dann jedoch das Museum of Performing Arts im National Theater of Korea eingerichtet. Als Museum für Darstellende Kunst ist es zwar nicht auf Theater spezialisiert, doch zu seiner Sammlung gehört eine große Bandbreite von Materialien der Darstellenden Künste aus dem letzten halben Jahrhundert, die der Öffentlichkeit durch Ausstellungen und Bildungsprogramme zugänglich gemacht werden. Zurzeit konzentriert sich Lee Byoung-bok darauf, ihren Besitz in Geumgok zu richten. Auf einer Fläche von ca. 26.500m2 stehen ein knappes Dutzend traditionelle koreanische Hanok-Häuser, die Lee und ihr 2011 verstorbener Mann Kwon im Laufe ihres Lebens in den verschiedenen Ecken des Landes ausfindig gemacht, hierher transportiert und restauriert haben. In den 1970ern und 80ern, als Korea rapide gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwandlungen erfuhr, veränderten sich auch die Stadtlandschaften dementsprechend radikal. Im Rahmen der groß angelegten, von der Regierung vorangetriebenen „Bewegung Neues Dorf“ zur Modernisierung der ländlichen Gebiete wurden die traditionellen Hanok-Häuser größtenteils von Häusern westlichen Stils verdrängt. Das Ehepaar interessierte sich jedoch nicht für die schicken westlichen Bauten, sondern für die verschwindenden Hanok. Eins der Gebäude in Geumgok ist das Gungjip („gung“: Palast, „jip“: Haus), das König Yeongjo (reg. 1724-1776) für seine jüngste Tochter erbauen ließ. In Anerkennung des kulturellen Werts des Anwesens wurde das Gungjip 1984 als Wichtiges Volkskundliches Gut registriert. Mit dem Gungjip im Zentrum wurden weitere Hanok-Anwesen aus Yongin, Gunsan und anderen Landesteilen umplatziert, wobei auch die heruntergekommenen strohgedeckten Häuser in der Umgebung versetzt und restauriert bzw. neu gebaut wurden. Es dauerte mehrere Jahre, Bäume anzupflanzen, Wasserläufe anzulegen und das Gelände zu ebnen.

Das Myung Sook Park Dance Theater bei seiner Vorstellung zu Ehren der Künstlerin während der Eröffnungszeremonie der Ausstellung Lee Byoungbok: Act 3, Scene 3 im Arko Arts Theater (2013). Die langen, natürlich drapierten Stoffstreifen, die Kostüme aus Hanji-Maulbeerbaumpapier und andere für Lee Byoung-boks Bühnenbilder charakteristische Elemente waren Kernbestandteile der Tanzvorführung.


dem Inland. Die Gäste aus China und Japan waren voll des Lobes und merkten an, dass sie als Repräsentanten Asiens stolz auf dieses von asiatischen Kollegen geschaffene Werk seien. Lee Byeoung-bok sagte: „In puncto Bühnenbild ist Korea unbestritten stark. Seit den 1990ern hat Korea seine Kompetenz mehrfach unter Beweis gestellt, wie z.B. auf der großen Weltausstellung für Szenografie in Prag.“ Zum ersten Mal wurde mit Lee Byeong-bok ein Teilnehmer aus Korea auf der Prague Quadrennial ausgezeichnet, und zwar in der Kategorie Kostümdesign. Nach ihr folgten weitere koreanische Bühnenbildner wie Shin Seon-hui und Yun Jeong-seob. Heute bemühen sich viele koreanische Bühnendesigner der jüngeren Generation, den weltweit renommierten Preis zu gewinnen. Geumgok ist für Lee Byoung-bok ein geliebter Ort mit wertvollen Erinnerungen. Aber es wurde für sie immer schwieriger, die traditionellen Häuser, die für die moderne koreanische Geschichte den Wert von Kulturgütern haben, privat zu verwalten. Auch wenn sie nach dem Standortwechsel restauriert wurden, so bleiben es doch Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alte Häuser, und da die Verlegungen auch schon über 40 Jahre her sind, wurden Aufrechterhaltung und Verwaltung immer schwieriger. Es gab sogar einmal einen Einbruch. An dem Tag, als wertvolle, unersetzbare Kulturgüter verloren gingen, saß Lee sehr, sehr lange entgeistert unter dem Dachvorsprung. Die Energie, mit der sie noch

vor zehn Jahren mit ihrer „Nirgendwo-Ausstellung“ mutig zurückschlug, ist mittlerweile allmählich verloren gegangen. Auf dem einen Ohr kann sie fast nichts mehr hören und ihre Handgelenke sind arthritisch. Auch heute noch besucht Lee Byoung-bok jeden Morgen um sieben Uhr Geumgok. Alles, was sie tut, sind Unkraut jäten und Laub fegen, aber diese banalen Aufgaben hat sie in den letzten 50 Jahren nie vernachlässigt. Vielleicht symbolisiert gerade das ihr Leben: Das Leben einer Bühnenbildnerin, die hinter den Kulissen die Kostüme zurechtzupft und bis zum Aufgehen des Vorhangs noch am Set herumpoliert. Hinter den Verzückungen auf der glitzernden Bühne stecken ihre schwieligen Hände und ihre stummen Beifallsrufe. Lee Byoung-bok hat sich daher immer in Unterscheidung von den „Narren am Bug“, also den im Rampenlicht stehenden Schauspielern, selbstspöttisch als „Narren am Heck“ bezeichnet.

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SPEZIAL 2 Koreanisches Theater heute: Menschen und Trends

DAEHANGNO SEOULS REPRÄSENTATIVES THEATERVIERTEL

choi yoon-woo Theaterkritiker und Chefredakteur des Webzine Yeongeuk In Fotos Ahn Hong-beom

In einem umkreis von 2,5 Kilometern dieser Straße gibt es ca. 160 verschiedene kleine Theater und jährlich werden nahezu 2.000 Bühnenaufführungen wie Theaterstücke, Musicals, Bühnentänze usw. präsentiert. Zu jeder Zeit des Jahres warten an einem Tag grob geschätzt ungefähr 150 unterschiedliche Vorstellungen auf ihr Publikum. Etwa 80 % des umsatzes auf dem koreanischen Theatermarkt werden hier erwirtschaftet und 70 % der Theaterschauspieler Koreas gehen hier ihrer kreativen Arbeit nach. „daehangno“, was so viel bedeutet wie „universitätsstraße“, ist ein berühmter Ort für Kultur und Kunst in Seoul.

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1 Hintergassen im Herzen von Daehangno. Mit der Zunahme von Kleinbühnen, die sich auf romantische Komödien für den Massengeschmack konzentrieren, sind die Theater mit ernsthafteren, gesellschaftspolitische Fragen thematisierenden Botschaften an den Rand des Viertels gezogen, was die Bezeichnung „Off-Daehangno“ aufkommen ließ. 2 Die Freiluftbühne des Arko Arts Theaters symbolisiert den jugendlichen und freien Charakter von Daehangno.


n Daehangno, heutzutage bekannt als „Theatermekka Koreas“, wimmelt es vor allem an den autofreien Wochenenden von Menschen, die hierher kommen, um sich Theaterstücke oder Musicals anzuschauen, oder auch nur, um die besondere Atmosphäre des Viertels zu erleben. Dabei war die Universitätsstraße nicht von Anfang an als Theaterviertel konzipiert: Während der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) stand hier ursprünglich die Kaiserliche Universität Keijo, die nach ihrer Schließung durch die Seoul Nationaluniversität (SNU) ersetzt wurde. Als die Fakultät für Geistes- und Naturwissenschaften und die juristische Fakultät der SNU 1975 auf ihren jetzigen Campus im Stadtbezirk Gwanak-gu umzogen, wurden die alten Universitätsgebäude abgerissen. Verschont wurde jedoch das im neuzeitlichen Stil gehaltene rote Backsteingebäude, das als Fakultätszentrum für Geistes- und Naturwissenschaften lange Zeit der „Wächter des Campus“ war und zusammen mit drei Rosskastanienbäumen (franz.:

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marronnier) als historisches Symbol des Ortes erhalten blieb. Es wurde ein Park an dieser Stelle angelegt, den die Bürger „Marronnier Park“ zu nennen begannen

Entwicklung des Theaterviertels Um den Park herum wurden mehrere Backsteingebäude gebaut und in einem davon öffnete 1981 das Munye Theater (heute Arko Arts Theater), das bei der Entwicklung der Universitätsstraße zum Zentrum des koreanischen Theaters als Sprungbrett fungierte. In den 1980er Jahren öffneten das Samtoh Bluebird Theater und das Marronnier Theater ihre Pforten und etwa zehn kleinere Theater aus dem Universitätsviertel Sinchon wie z.B. das Batangol Theater, das Dongsoong Art Center, das Yeonwoo Theater und das Daehangno Theater zogen auf der Suche nach niedrigeren Mieten hierher. Mit der Niederlassung wichtiger Verbände und Institutionen KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 11


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Verschiedene Festivals der Vorführenden Künste bringen Künstler aus aller Welt in der Universitätsstraße zusammen und regen zum Austausch über Werke und künstlerische Ansichten an. Die große Bandbreite an Festivals der unterschiedlichsten Genre machen Daehangno zu einem Ort dynamischer und kreativer Energie. 2

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1 Ganze Wände zierende Poster locken die Passanten in die Theater. 2 Szene aus The Wizard of Oz Fantasy, ein Familien-Musical präsentiert von Play of Art 21, das beim 12. ASSITEJ Korea Winter Festival, Seoul 2016 (7.-16. Januar) mit dem Theaterkunstpreis ausgezeichnet wurde. 3 Ihwa Village in den Seitenstraßen zwischen dem Marronnier Park und dem Naksan Park. Die alten Mauern und Treppen in den Gassen wurden im Rahmen eines öffentlichen Kunstprojekts mit Wandmalereien geschmückt, die das Viertel zu einer beliebten und einzigartigen Attraktion von Daehangno machen.


für Kultur und Kunst wie des Arts Council Korea oder der National Theater Association of Korea profilierte sich Daehangno schnell als neuer Stützpunkt der Kultur. Zeitpassend wurden die Regulierungen für Einrichtung und Betrieb von Kleinbühnen im Zentrum Seouls gelockert, was dazu führte, dass viele kleinere Theater, Theatertruppen-Büros und diverse Kultureinrichtungen nach Daehangno strömten. Auf diese Weise bildete sich Daehagnos Kernidentität und Image als Theaterviertel heraus. Als die Stadt Seoul 1985 begann, den Namen „Daehangno“ offiziell zu verwenden, stand dahinter der Plan, ein internationales Kultur-Reiseziel zu entwickeln, vergleichbar mit Montmartre in Paris, einst das Mekka der modernen Kunst, Harajuku in Tokio, das die Fashion-Kultur Japans anführt, oder Piccadilly Circus in London. Daehangno ist heute ein berühmtes Theaterviertel, das bei Performance-Künstlern in aller Welt weit bekannt ist, sodass man sagen kann, dass das ehrgeizige Vorhaben der Regierung in anderer Richtung in Erfüllung gegangen ist. Ab etwa 1985 wurde Daehangno am Wochenende dann gänzlich für den Autoverkehr gesperrt, wodurch die Straßen des Viertels durch Kulturfestivals aufblühten. Der Platz vor dem Arts Council Korea wurde frei für verschiedene Ausstellungen, volkstümliche Spiele, Gedichtlesungen, Aufführungen usw. genutzt. So wurde Daehangno auch als Straße der Festivals und der Jugend bekannt. Weitere kulturelle Ausstattungen wie symbolische Bildwerke, Skulpturen, Anschlagtafeln mit Aufführungspostern, Ticketschalter, Straßenlaternen, Bänke usw. kamen hinzu und die Open-Air-Aufführungen im Marronnier Park wurden auch an Wochentagen angeboten. So etablierte sich Daehangno als ein Ort der Vorführenden Künste, an dem das ganze Jahr über eine breite Palette von Aufführungen stattfinden.

In jüngster Zeit ist Daehangno das ganze Jahr über Gastgeber verschiedener internationaler Bühnenkunst-Festivals, die Künstler aus aller Welt in der Universitätsstraße versammeln lassen. Jahresauftakt bildet im Januar das Assitej Festival für Kinder und Jugendliche, gefolgt von New Stage und Arko Young Art Frontier (AYAF), die Bühnen für Nachwuchskünstler anbieten. Im März geht es weiter mit dem Sinchun Munye Einakter Festival, auf dem die Siegerstücke des Literaturwettbewerbs Sinchun Munye präsentiert werden, und dem Asia Theater Director’s Workshop, an dem Theaterdirektoren aus Korea, China und Japan teilnehmen. Im April und Mai steht das Seoul Theater Festival, ein repräsentative Festival der Stadt Seoul, auf dem Programm, von Juli bis August das Seoul Marginal Theatre Festival, im September das Daehangno Street Performance Festival und im Oktober und November das Seoul Performing Arts Festival und das Daehangno Small Theater Festival. Diese große Bandbreite an Festivals der unterschiedlichsten Genres machen Daehangno zu einem Ort dynamischer und kreativer Energie. Daehangno ist ein Ort, der von Leidenschaft und Visionen der koreanischen Kultur- und Kunstkreise zeugt. Hier können die Trends der koreanischen Bühnenkunstszene ausgelotet werden und das Theaterviertel beeinflusst auch in nicht geringem Maße die Weichenstellung für die Kultur- und Kunstpolitik der Regierung. Allen voran jedoch verfeinern hier junge Künstler oder solche, die es werden wollen, ihr darstellerisches Können, manchmal Rückschläge erleidend, aber stets ihren Träumen folgend.

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diversifizierung des Publikums War früher Daehangno eine Straße der jungen Menschen in ihren Zwanzigern und Dreißigern, so zieht es heute Besucher der unterschiedlichsten Altersgruppen dorthin. Zwar machen immer noch junge Menschen einen großen Teil des Publikums aus, aber der Anteil von Familien mit Kindern oder Ehepaaren mittleren Alters ist deutlich gestiegen. Grund dafür ist die breiter gewordene Palette der Attraktionen. So lenken Touristen z.B. nach dem Besuch des nahe gelegenen Naksan Parks oder des Ihwa Village mit seinen Wandmalereien ihren Schritt Richtung Daehangno, um die Gassen zu erkunden oder sich Aufführungen anzusehen. Der „Filipino Flohmarkt“, der jeden Sonntag vor der katholischen Kirche in Hyehwa-dong stattfindet, ist eine weitere Sehenswürdigkeit, die Daehangno mit zu einem besonderen Ort macht. Die Arbeitsmigranten, für die der Markt ein Treffpunkt des Austausches ist, bieten hier verschiedene Waren wie Lebensmittel von den Philippinen, Gemischtwaren, Elektrogeräte usw. an. Der als „Little Manila“ bekannte, exotische Markt zieht bereits seit über 20 Jahren viele Besucher an. KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 13


SPEZIAL 3 Koreanisches Theater heute: Menschen und Trends

yEONHuIdAN gEORIPAE TScHEcHOW NEu BETRAcHTEN die Künstlergemeinschaft im Theaterdorf in Miryang strebt nach einer Form von Theater, die distinktiv koreanisch und gleichzeitig hochmodern ist. Jedes Jahr findet dort ein Sommertheaterfestival statt, ein Event, durch das die yeonhuidan georipae (auf Englisch: Street

Theatre Troupe oder auch Theatre Troupe georipae) Theaterliebhabern kurzweilige unterhaltung schenkt und an Kultur- und Kunstliebhaber Botschaften zum Nachdenken aussendet.

Lee chang-guy Dichter und Literaturkritiker Fotos Ahn Hong-beom

nfang des 14. Jhs, als religiöse Theaterspiele, die die Kraft der durch gesegnetes Brot und Wein symbolierten Erlösung thematisierten, und säkulare Theaterspiele, die auf reine Unterhaltung fokussierten, nebeneinander existierten, kritisierte der Bischof von Salisbury (vermutlich Simon von Gent) jede Art von Berufsschauspieler als obszön, liebedienerisch und nur darauf aus, feucht-fröhliche Stimmung zu erzeugen. Doch von ihm ist auch folgendes Urteil überliefert: „Aber es gibt auch andere, die als Narren bezeichnet werden. Sie besingen die Taten der Herrscher und das Leben der Heiligen, trösten die Kranken und die Niedergeschlagenen; und anders als die Tänzer oder Tanzmädchen oder diejenigen, die beschämend gekleidet mit Zaubereien oder anderen Tricks Geister heraufbeschwören, erdichten sie nicht unzählige Infamien.“ (Oscar G. Brockett et al. (1977): Theatre and Drama in the Late Middle Ages; in: History of the Theatre, S. 127)

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Eine Theatertruppe macht sich auf den Weg Im September 1999 verließ ein Theaterkollektiv, das den Zuschauern mit seinen Stücken Trost schenkte und darin selbst Trost fand, ihr Theater im Seouler Stadtviertel Daehangno. Wer sich dabei ein erfolgloses und durch interne Streitereien zerrissenes Ensemble 14 Koreana Frühjahr 2016

vorstellt, der irrt sich: Die damals 13 Jahre alte Truppe war seit ihrer Gründung ein Publikumsmagnet, der mit experimentellen Stücken mit ungewöhnlichen Kombinationen aus herkömmlichem Theater und schamanistischen Exorzismusritualen ebenso begeisterte wie mit koventionelleren Aufführungen von hohem gesellschaftlichen Bewusstsein. Dieser nachhaltige Erfolg machte sie zu einer der repräsentativsten Theatertruppen des Landes, die das koreanische Theater auf der internationalen Bühne vorstellte. Ein Jahr davor, 1998, hatte ihre Aufführung von A Feeling, Like Nirvana auf dem Seoul International Theatre Festival Preise in fünf Kategorien gewonnen, darunter den Preis für das beste Theaterstück. Bedenkt man, dass Korea zu der Zeit wegen Zahlungsverzug durch ein IWF-Rettungspaket gestützt werden musste, war die Truppe wirklich erfolgreich. Doch jenseits des lautstarken Beifalls unter dem gleißenden Rampenlicht fühlten sich die Schauspieler körperlich und geistig erschöpft. Das Einzige, was sie angesichts des immer stärker werdenden Trends der Kommerzialisierung und Popularisierung tun konnten, war, Flyer auf der Straße zu verteilen, um Zuschauer anzulocken, oder Telefonanrufe zu machen und Journalisten um ein paar PR-Zeilen anzuflehen. Auch gut besuchte Aufführungen änderten nichts an ihrer prekären Lage, dem „Leben in ihrem Theater im Untergeschoss, wo sie schliefen, probten, und vorführten“


Lee Youn-taek, KĂźnstlerischer Direktor von Yeonhuidan georipae , leitet eine Probe. Er betont den Schauspielern gegenĂźber, dass sie die Puppen so handhaben sollten, dass kleine Bewegungen und feiner Ausdruck bedeutungstragend werden.

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„Unsere Tschechow-Inszenierung ist vulgär, grob und laut. An der Stelle, an der Einheitlichkeit und Balance des faden Realismus gebrochen werden, bricht die revolutionäre Energie nur noch spürbar kraftvoller durch. Dieses Stück zeigt, wie wir Tschechow im 21. Jh hier in Korea lesen und verstehen.“

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und dabei auch noch ihre Gesundheit aufs Spiel setzten. Ensemble-Gründer Lee Youn-taek erklärte in einer Zeitungskolumne den Grund für den Rückzug höchst literarisch mit „Ich möchte für immer ein Mensch des 20. Jhs bleiben“. Doch die Mitglieder der Truppe dürften wohl eher gedacht haben, dass sie Seoul verlassen müssen, „um fit in Körper und Geist auf die Bühne treten zu können“. Die Truppe ließ sich in einem ehemaligen Grundschulgebäude in Miryang nieder, einer Stadt 350km südlich von Seoul, die rund 100.000 Einwohner zählt. 60 Künstler machten diese „Notumsiedlung“ mit. Die Rede ist von Yeonhuidan georipae, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiert. Inzwischen tragen die Künstler einige Spitznamen wie „Kultur-Guerillas“, „Kultur-Anarchisten“ oder – wie kürzlich ein japanischer Wissenschaftler meinte – „Idealistische Theatergemeinschaft“. Diese Beinamen mögen etwas seltsam klingen, sind aber gut begründet, da sie die von den Mitgliedern gewählte Art der Existenz widerspiegeln: Sie leben als Kommune, schlafen und 16 Koreana Frühjahr 2016

essen zusammen, produzieren gemeinsam Theaterstücke und ziehen wie einst die Wanderbühnen je nach Notwendigkeit oder Nachfrage in jeden Winkel des Landes.

„Stärke der Schwachen“ Der Betriebsstil der Yeonhuidan georipae unterscheidet sich zwar eindeutig von dem der Theatermacher in den großen Städten mit hohem Kulturkonsum, ist jedoch nicht völlig neu. Als Vorläufermodelle sind z.B. die Namsadangpae zu nennen, die in der späten Joseon-Zeit landesweit aktiven koreanischen Wanderbühnen, das traditionelle Kabuki-Theater in Japan und die nach dem Mittelalter aufgekommenen Wanderbühnen in Europa. Auch in der Moderne ziehen Theatertruppen der etwas anderen Art die Aufmerksamkeit auf sich, so z.B. in Frankreich das über 50 Jahre aktive Le Théâtre du Soleil mit dem Motto „gleiche Verteilung, gemeinsame Produktion, kollektives Management“, in Vermont (USA) das Bread and Puppet Theater, dessen Mitglieder gemeinsam Landwirtschaft


betreiben, selbst hergestelltes Brot mit den Besuchern teilen und aus landwirtschaftlichen Abfallprodukten Puppen für ihre Vorführungen herstellen. Diese Künstlerkollektive wurden aus der Frustration heraus gegründet, dass man als Mitglied der kapitalistischen Mainstream-Gesellschaft seine spezifischen, theatralischen Instinkte nicht als (Tausch-)Gut der zeitgenössischen Gesellschaft nutzen kann, weshalb sie Lebensweisen entwickelten, die für ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld optimiert waren. Doch dadurch entfernten sie sich von der Mainstream-Gesellschaft und leben in der Grauzone zwischen etablierten gesellschaftlichen Strukturen und gesellschaftlichem Abseits. Auch wenn die von ihnen aus freiem Willen getroffene Entscheidung respektiert werden sollte, ist nicht zu verleugnen, dass diese Künstler Verlierer des Wettbewerbs waren, weshalb es wenig Anlass zu geben schien, ihnen überhaupt Aufmerksamkeit zu schenken. Doch der Ethnologe Victor Turner richtete das Augenmerk auf die „Stärke der Schwachen“, die liminale Individuen oder Gruppen wie Clowns, Arme, Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen, Schamanen, Propheten etc. (Mitglieder der sog. Communitas), die sich rituell von der herrschenden Sozialordnung gelöst haben, besitzen. Turner betrachtet diese sozial Unterprivilegierten als diejenigen, die durch ihre „symbolische Stärke“ (z.B. Gefährlichkeit, Infektiosität, Anarchie, Anonymität) die von der Gesellschaft vernachlässigten relativen Werte (z.B. Homogenität, Gleichheit, Moralität, gemeinsamer Besitz, gleichmäßige Verteilung) maximieren und so die Transformation der bestehenden Gesellschaftsstruktur in die künftige erleichtern. Das ist nichts anderes als der Weg, den die Yeonhuidan georipae in den letzten 30 Jahren gegangen ist, und die Werte, die sie dabei verfolgt hat.

Leben in der gemeinschaft Seit dem Aufbau des Theaterdorfes Miryang mit Unterkünften für Schauspieler und Mitarbeiter, Veranstaltungshallen und anderen relevanten Einrichtungen hat sich einiges geändert: Allen voran wird jedes Jahr das Miryang Summer Performing Arts Festival veranstaltet. Hauptziel ist zwar die Präsentation einer breiten Palette von Stücken und Performances aus dem In- und Ausland, doch gleichzeitig ist man bemüht, kulturell Ausgegrenzten Theatererfahrungen zu ermöglichen. Zudem können Nachwuchskünstler im Rahmen des Programms Werke junger Regisseure mit originären, realitätskritischen Ausdrucksstilen experimentieren, statt den

erfolgsversprechenden Weg zu gehen. Mit dem 1996 eingerichteten Uri Theatre Institute unterhält das Teaterdorf auch ein eigenes Ausbildungsprogramm für Theaterkünstler. Seitdem ist es Pflicht, dass jeder, der in die Theatertruppe aufgenommen werden möchte, zunächst die einmonatige Grundausbildung zu durchlaufen und danach in verschiedenen Bereichen praktische Erfahrungen zu sammeln hat. Dieses Procedere unterscheidet sich grundlegend vom institutionalisierten Auswahlsystem, bei dem Produzenten oder Veranstaltungsplaner das Stück festlegen und die Schauspieler durch Casting auswählen. Theatertruppenleiterin Kim So-hee, die zum ersten Absolventen-Jahrgang des Programms gehört, managt die Truppe zusammen mit rund einem Dutzend Langzeit-Mitgliedern mit über 20 Jahren Erfahrung. Zurzeit besteht die Truppe aus ca. 80 Schauspielern, die im Schnitt drei oder vier Teams angehören, die in fünf fest aufgeführten Stücken mitspielen, sodass jeder Schauspieler mindestens vier, manchmal auch sieben, acht Rollen übernimmt. Unterkunft und Verpflegung sind umsonst, die Gagen werden seit zehn Jahren in Form eines Monatsgehalts gezahlt. Das Monatsgehalt liegt zwischen 500.000 – 2.000.000 KW, hinzu kommen Zuschläge und Prämien, die im Gegensatz zu normalen Geschäftsbetrieben nicht ergebnis-, sondern wertorientiert vergeben werden. Die Schauspielerin Kim Mi-sook, die dem Management ange2 hört, sagt, dass sie nicht sicher 1 Probe für A Family on the Road , sei, ob alle mit dem Bewerdas im März auf dem Ibero-Ametungssystem einverstanden rican Theatre Festival of Bogotá , sind, doch Konflikte habe es Kolumbien, zu sehen sein wird. Für das Bühnenbild des Stücks, das bislang nie verursacht. Leben und Kunst von Lee Jung-seob Das Gemeinschaftsleben hat thematisiert, werden Lieblingsmotive auch einige Ehen gestiftet. des Malers wie Ochsen und Schmetterlinge eingesetzt. Zweite Person Ehepaaren wird eine separate von rechts: Theatertruppenleiterin Familien-Unterkunft zur VerfüKim So-hee. gung gestellt. Der Schauspie2 Das Uri Theater Institute bietet Trainingsprogramme für Schauspieler Lee Seung-heon, der der ler. Wer in die Yeonhuidan georipae Truppe mit 26 Jahren beitrat aufgenommen werden möchte, muss hier zunächst eine Grundausbildung und heute über 40 ist, hat im machen. Februar 2015 eine junge Kollegin geheiratet. Lee sagt, er habe seine Entscheidung noch nie bereut, das Theaterdorf sei seine Zukunft und die seiner Familie. Letzten Frühling verlor der Technische Direktor Cho In-kon seine Kollegin und Frau Lee Yun-joo, eine vielversprechende Regisseurin und Schauspielerin. Die 11-jährige Tochter der beiden wächst jetzt KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 17


in der liebevollen Fürsorge der Truppenmitglieder auf. Auf dem Kalender an der Bürowand ist bereits der nächste Hochzeitstermin für ein Theaterdorf-Paar rot markiert.

die Wiege des koreanischen absurden Theaters Nach der Niederlassung in Miryang hat sich der Charakter der Yeonhuidan georipae als Truppe mit ganz eigenen Theorien der Theaterproduktion weiter verstärkt. Auf Basis solider Teamarbeit wurden die meisten Requisiten und Kostüme selbst hergestellt, was die Produktionskosten senkte. Dies zeigt ihren Geist, den Markt herauszufordern und wachzurütteln, statt sich ihm zu fügen. Ihre Theaterproduktionen wurden verstärkt geprägt durch ein Interesse an der Geschichte, der Sorge um sozial Ausgegrenzte und der Verstärkung ritueller Elemente, sodass die fantasiereichen Ideen auf einer dynamischen, subversiven und absurden Bühne nur so blühten. Die Theater-„Fabrik“ in Miryang produzierte Stücke wie Rural Scholar Jo Nam-myeong, das Leben und Wirken dieses konfuzianischen Gelehrten des 16. Jhs, der sich den Potentaten der Zeit widersetzte, behandelt; Deliberation, das das tragische Leben des niedrig geborenen Wissenschaftlers und Erfinders Jang Yeongsil (1390?-1450) am Königshof thematisiert; Baek Seok’s Fable , das von dem Lyriker Baek Seok (1912-1996) handelt, der den politischen Systemen der beiden Koreas zum Opfer fiel; A Ballad of Once

Upon, ein Fantasie-Drama, das vor der Kulisse einer Mülldeponie spielt; A Man Wallowing on the Floor, das die Geschichte eines Einzelgängers erzählt. Das Publikum war begeistert und die Theaterkreise beantworteten dieses Produktions-Feuerwerk mit der Verleihung bedeutender Preise. Für Frühling 2016 stehen zwei große Aufführungen auf dem Programm: Der Kirschgarten von Anton Tschechow (8.4.-1.5.2016, Nunbit Theater im Mimagi Art Center, Seoul) und A Family on the Road (19.-21.3.2016, Bogotá). Bereits zum dritten Mal wurde die Truppe zum Ibero-American Theater Festival of Bogotá eingeladen. Da Kolumbien die Heimat des Malers Fernando Botero ist, hat sich die Truppe für dieses Stück über das Leben des Malers Lee Jung-seop entschieden. Mitwirken wird auch Claudia Osejo (siehe BOX), die sich derzeit als Staatsstipendiatin im Miryang Theaterdorf aufhält. Für Osejo, die inspiriert von einer Vorführung von Yeonhuidan georipae in Bogotá nach Korea kam, gibt es nur etwas, an das sie sich noch nicht so recht gewöhnen kann: die Proben, die bis tief in die Nacht gehen. Die Komödien Anton Tschechows verbreiteten sich ab den 1990er Jahren auf den koreanischen Theaterbühnen, als eine Reihe von Koreanern von ihren Studienaufenthalten aus Russland zurückkam. Zu der Zeit erfreuten sich russische Theaterstücke – vor allem die von Tschechow – größter Popularität bei Profi- und Hochschul-The-

Eine Szene aus Deliberation , das das tragische Leben des niedrig geborenen Wissenschaftlers und Erfinders Jang Yeong-sil thematisiert. Das Stück wurde im November 2015 anlässlich der feierlichen Eröffnung des Andersen-Kindertheaters im Kreis Gijang, Busan, aufgeführt.

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atertruppen. Unterschiedliche Versionen der Tschechow-Werke wurden aufgeführt, z.B. in Stanislawski-Manier, bei der der erhabene Geist des Menschen erforscht wird, oder im Wachtangow-Stil, bei dem die Charaktere ins Extreme getrieben dargestellt werden. Und ausgerechnet Yeonhuidan georipae, die bislang mit Russland nichts am Hut hatte und als die koreanischste aller koreanischen Theatertruppen gelten kann, interessiert sich für Tschechow. 2015 startete sie ein einzigartiges Experiment, bei dem vier Regisseure sieben Tschechow-Stücke, darunter Onkel Wanja (Regie: Lee Yountaek) und Die Möwe (Regie: Kim So-hee), neu interpretieren. Höhepunkt dieser Serie ist Der Kirschgarten , das anlässlich des 30-jährigen Gründungsjubiläums der Theatertruppe aufgeführt wird. Lee Youn-taek, Künstlerischer Direktor des Kollektivs, kommentiert: „Unsere Tschechow-Inszenierung ist vulgär, grob und laut. Die Gutsbesitzerin Ranjewskaja, der der Kirschgarten gehört, wird als demente alte Dame porträtiert und ihr Bruder Gajew als Nichtsnutz; der Kaufmann Lopachin, ein ehemaliger Leibeigener, wird als extremer Realist gezeichnet und der bankrotte Gutsbesitzer Simeonow-Pischtschik als Hamlet-ähnlicher Charakter. Wie in einer Slapstick Komödie wird alles übertrieben inszeniert. An der Stelle, an der Einheitlichkeit und Balance des faden Realismus gebrochen werden, in dem abgeholzten und zerstörten Kirschgarten, bricht die revolutionäre Energie nur noch spürbar kraftvoller durch. In dem Moment erschallen die massiven Klänge der Kanonenschüsse aus der Ouvertüre 1812 von Tschaikowsky. Das zeigt, wie wir Tschechow im 21. Jh hier in Korea lesen und verstehen.“ Ich stimme Ralph Waldo Emerson zu, der einst sagte, dass „die Gesellschaft nie vorschreite“. Sie gleiche vielmehr einer Woge. Gewinnt sie auf der einen Seite, verliert sie auf der anderen. Doch unabhängig vom Zeitalter, in dem wir leben, werden die theatralischen Instinkte des Menschen nie degenerieren, sondern uns Begeisterung und Wut spüren lassen und manchmal auch Trost schenken. Genau das ist der Grund, warum wir in Korea im 21. Jh nochmals Tschechows Stücke sehen sollten, und warum A Family on the Road in Bogotá heiß erwartet wird.

YEONHUIDAN GEORIPAE IN DEN AUGEN EINER AUSLÄNDISCHEN SCHAUSPIELERIN claudia Osejo Schauspielerin

Meine erste Begegnung mit der Yeonhuidan georipae war 2012, und zwar auf dem Ibero-American Theater Festival in meiner Heimatstadt Bogotá. Sie führten Shakespeares Hamlet auf, wobei mich die exquisite Harmonie von klassischem westlichen Theater und koreanischer traditioneller Kunst zutiefst berührte. Zur zweiten Begegnung kam es zwei Jahre später, als die Truppe Bluthochzeit von Federico García Lorca in Bogotá aufführte. Erneut erstaunte mich, wie perfekt sie ein spanisches Theaterstück an koreanische Traditionen adaptiert hatten. An dem Tag entschied ich mich, mit ihnen zusammen Schauspielkunst zu studieren und nahm an ihrem Workshop Atmen beim Schauspielen teil. Doch das reichte mir nicht, mein Durst nach Schauspielkunst wurde nur noch stärker. Er wurde dann durch ein Sonderstipendium der kolumbianischen Regierung für junge Künstler gestillt, das mir ermöglichte, in Korea mit der Truppe zu arbeiten und zu lernen, wie sie Theaterstücke produziert und welche Schauspieltechniken sie anwendet. Anfangs war meine Aufgabe, nicht nur die Proben, sondern alle Einzelschritte des Produktionsprozesses zu fotografieren. Dabei wurde mir bewusst, dass das ganze Team mit ungemeiner Hingabe und Professionalität arbeitet. Als ich dann an der Inszenierung teilnahm, sei es als Schauspielerin oder Beleuchterin, lernte ich, wie präzise und gründlich jede einzelne Aktivität zu sein hatte. Jede Bewegung bedurfte Atem- und Energieregulierung, Musik war ein Muss und die Stimme brachte Intentionen und Nuancen nicht nur in Liedern, sondern auch in Dialogen zum Ausdruck. Die biografischen, das Geschichtsbewusstsein der Koreaner weckenden Theaterstücke der Truppe über Leben und Geisteshaltung ehrenhafter Persönlichkeiten, seien es nun klasssiche oder moderne Stücke, erinnern mich immer wieder an die Tatsache, dass Erinnerungen Vehikel sind, mit denen man künstlerische Akte bedeutsam und ihre Botschaft allgemeinverständlich vermitteln kann. Lee Yun-taek, der Künstlerische Direktor, war allen voran darum bemüht, Regieanweisungen zu geben, die die Schauspielkunst der einzelnen Darsteller in ihren Bewegungen individuell-differenzierter, kraftvoller und tiefgründiger machten. In jeder Szene wurden Alltagsklänge und -geräusche eingespielt, was die Darbietung bereicherte und das Publikum in die Vorführung eintauchen ließ. Das Leben in der Truppe beschränkt sich nicht nur auf die Produktion von Stücken. Dahinter existieren Prinzipien für Aufrechterhaltung und Management aller Räumlichkeiten wie Theater und Wohnbereich. Dazu gehört z.B. auch, dass die Schauspieler mit Bescheidenheit das Theater, in dem sie spielen, selbst reinigen. Als Schauspielerin denke ich, dass dies ein Teil der Ausbildung ist, ein Lernprozess, durch den hervorragende Schauspieler und Individuen herangezogen werden. Mein Leben hier als Studentin dauert noch an und ich habe noch einen weiten Weg vor mir, aber mein Aufenthalt hat sich schon als unbezahlbare Gelegenheit erwiesen, nicht nur etwas übers Theater, sondern auch übers Leben zu lernen. Yeonhuidan georipae hinterlässt in der koreanischen und auch in der asiatischen und internationalen Bühnenkunst ein wertvolles Erbe. KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 19


SPEZIAL 4 Koreanisches Theater heute: Menschen und Trends

NEuE PROTAgONISTEN dER KOREANIScHEN THEATERWELT

©National Theater company of Korea

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Kim So-yeon Theaterkritikerin

die zunehmende Mannigfaltigkeit der Vorführungsorte, die in den verschiedenen Landesteilen etablierten Theaterfestivals und der umfassende internationale Austausch unter den Theaterleuten machen das koreanische Theater immer dynamischer. Im Zentrum dieser Entwicklung steht eine neue generation von Regisseuren, die sich gedanken über Kontemporanität machen. 20 Koreana Frühjahr 2016


as koreanische Theater ist seit der Millenniumwende sehr dynamisch. Die junge Generation Theatermacher stürzt sich beständig und noch umfassender in die Schaffung von Theaterstücken, während die Plattformen für Produktion und Präsentation an Zahl und Umfang zunehmen.

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Quelle der dynamik Daehangno im Herzen Seouls hat sich längst als Zentrum für die Aufführung von Theaterstücken, Musicals, Tänzen, Shows etc. etabliert. Das ganze Jahr über finden nicht nur hier, sondern auch in anderen Regionen und Städten des Landes Theaterfestivals statt. Während mittlere und größere Bühnen meist in Seoul ansässig sind, werden die großen Publikummagnet-Theaterfestivals größtenteils in anderen Regionen ausgetragen. Zu nennen sind z.B. das Miryang Summer Performing Arts Festival, das Chuncheon International Mime Festival, das Keochang International Festival of Theatre etc. Die Rolle der öffentlichen Theater ändert sich ebenfalls. Beschränkte sich ihre Funktion früher darauf, privaten Theatertruppen ein gutes Aufführumfeld zu günstigen Preisen anzubieten, so übernahmen sie nach der Millenniumwende auch selbst die Produktion. Nicht nur die Theater, die von den Kunst- und Kulturstiftungen privater Unternehmen geführt werden wie das LG Arts Center und das Doosan Art Center, sondern auch die mit öffentlichen Geldern

Von „Wer bin ich?” zu „Jetzt und Hier” Es gibt drei Regisseure, die auf der Welle der Dynamik zu neuen Sternen am Theaterhimmel aufgestiegen sind. Bevor wir zu ihrer Geschichte kommen, bedarf es jedoch eines kleinen Blicks zurück. So wie in anderen asiatischen Ländern wurde auch in Korea das moderne Theater mit der Einführung des westlichen Theaters geboren. Deswegen rangen viele koreanische Regisseure mit der Frage der Identität ihres Theaters und dem Problem, wie das moderne westliche Theater mit den koreanischen Theatertraditionen verbunden werden könnte. Die Hauptwerke der Meister des modernen koreanischen Theaters im 20. Jh wie die von Kim Jung-ok, Heo Gyu, Son Jin-chaek, Oh Tae-seok, Lee Yun-taek etc. sind Ergebnis der Erforschung der Identität des koreanischen Theaters auf Basis der traditionellen Kultur. Sie haben westliche Klassiker wie die griechischen Tragödien oder Shakespeares Werke in der Sprache des traditionellen koreanischen Theaters neu interpretiert oder traditionelle koreanische Riten und unterhaltsame Freilicht-Aufführungen, die an alltäglichen Orten

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©Playfactory Mabangzen

1 The Orphan of Zhao (2015), adaptiert und geleitet von Koh Sun-woong. Aus dem klassischen chinesischen Drama wurde eine Oper koreanischen Stils. 2 Killbeth (2010), eine Adaption von Shakespeares Macbeth , unter der Leitung von Koh Sun-woong. Das Wechselspiel von tragischer Spannung und Komödie, das sich inmitten der spektakulären Handlung entfaltet, generiert eine explosive theatralische Energie.

betriebenen Bühnen wie das Koreanische Nationaltheater, das Myeongdong Theater und das Namsan Arts Center haben das ganze Jahr über Eigenproduktionen auf dem Spielplan stehen. Ein weiterer Trend ist die Zunahme von speziellen Freilicht-Aufführungen auf bestimmten Straßen oder Plätzen. Mit dem steigenden Interesse an besonderen Vorstellungsorten richtet sich die Aufmerksamkeit auf verschiedene andere Räume. In Seoul gibt es z.B. Mehrzweck-Kulturräume wie das Takeout Drawing in Hannam-dong, ein Platz für Ausstellungen und Aufführungen, der auch als Werkstatt und Performance-Bühne fungiert, und die Indie Art-Hall Gong, für die eine ehemalige Fabrik im Fabrikviertel des Stadtteils Yeongdeungpo umgestaltet wurde. Weitere Beispiele sind Kulturräume, für die Geschäftsräume in alten Wohnvierteln saniert wurden. Durch breiten internationalen Austausch erweiterten sich auch die Grenzen zur Außenwelt. Das Asian Arts Theatre, das sich in dem im Herbst 2015 eröffneten Asia Culture Center in Gwangju befindet, stellte z.B. zum Thema „Asien“ viele neue Werke vor, die von neuen und etablierten, in Europa und Asien aktiven Künstlern stammen. Zudem gelingt immer mehr koreanischen Theaterstücken der Vorstoß auf ausländische Bühnen, wobei sie nicht mehr nur in Asien und Europa, sondern z.B. auch in Südamerika auf ein breites Publikum treffen. Auch die internationale Zusammenarbeit hat sich deutlich erweitert, wobei ausländische Regisseure mit koreanischen Schauspielern Stücke inszenieren oder koreanische Regisseure im Ausland Aufführungen betreuen. Die Zahl gemeinsamer Produktionen zwischen koreanischen und ausländischen Theatertruppen ist ebenfalls am Steigen.


wie öffentlichen Plätzen oder Höfen stattfanden, auf der Bühne des modernen Theaters neu erschaffen. Dadurch entdeckten sie das dramaturgische Potential der traditionellen vorführenden Genres wie Gut (schamanistisches Exorzismusritual), Talchum (Maskentanz), Minyo (Volkslied), Pansori (epischer Sologesang) etc., nutzten es für moderne Stücke und bereicherten so die Theatersprache. Die Stückeschreiber und Regisseure des 21. Jhs unterschieden sich gänzlich von ihren Vorgängern und stellten die Auseinandersetzung mit Kontemporanitätsfragen vor die mit Identitätsfragen. Sie schüttelten die Zweifel daran, ob die Sprache ihres Theaters ihre eigene oder die von anderen geborgte sei, ab und fragten sich stattdessen, ob ihre Stücke Gültigkeit und Relevanz für die Fragen im Hier und Jetzt besitzen oder nur erfundene Geschichten vom nicht realen Leben erzählen. Natürlich waren sie nicht die ersten: Kim Seok-man, Lee Sang-u, Kim Gwang-rim etc., die Schüler oder Kollegen der oben erwähnten Meister, bildeten die erste Generation, die den Fokus von der Identitätsfrage auf die Geschichten der Menschen, die mit ihnen im Hier und Jetzt lebten, lenkte. Park Kun-hyung ist ein Autor und Regisseur der neuen Generation, der sich an vorderster Front dem Thema der Kontemporanität widmet. Beautiful Youth ist ein repräsentatives Werk, durch das er bekannt wurde. Entgegen dem Titel erzählt es die Geschichte eines Jugendlichen, dessen Familie zerfällt und der weder in der Schule noch in der Gesellschaft akzeptiert wird. Das Werk wurde 1999 im Theater Lab Hyehwa-dong No. 1 – mit weniger als 100 Sitzplätzen eine der kleinsten Bühnen in Daehangno – uraufgeführt. Auf der Blackbox-Bühne standen nur zwei lange Bänke aus dem Zuschauerraum. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein „armes Stück“. Wird auf der leeren Bühne eine Decke ausgebreitet und ein Tischchen mit Soju-Reisschnaps und getrocknetem Seetang als Snack hingestellt, verwandelt sie sich in ein Zimmer, in dem Vater und Sohn leben. Ein Werbeposter an der Wand macht daraus eine schäbige Kneipe. Park erzählt unumwunden die Geschichte der Ausgeschlossenen, die in einem Zeitalter des Überflusses am äußersten Rande der Gesellschaft leben. Er sagt: „Was für einen Zweck hat es, ein großes Haus auf der Bühne zu errichten, wenn unser Leben nicht so ist?“ Manchmal treten in seinen Werken Auslassungen, Verzerrungen oder Übertreibungen stark hervor, aber sie werden eingesetzt als hyperrealistische Darstellungen und furchterregende Erinnerung an die harten Realitäten der Zeit, in der wir leben, und die wir oft vergessen. Viele von Parks Werken handeln von der Familie, die nicht länger als letztes Bollwerk des Menschen gegen die feindliche Umwelt fungiert. Erzählt wird von Menschen aus dysfunktionalen Familien, von auseinanderbrechenden Familienbanden, von Menschen, die an den äußersten Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Die Stücke gehen jedoch über geschädigte Familienbeziehungen hinaus und beschreiben Wunden und Schmerzen, die überall in

©Namsan Documenta

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der koreanischen Gesellschaft lauern, im intensiven Spannungsfeld zwischen Zynismus und Humanismus.

Simpel und doch fließend Während Park Kun-hyung hartnäckig in die Frage des „Hier und und Jetzt“ eintaucht, ist der Theaterschriftsteller und Regisseur Koh Sun-woong voller Theatralität. Er ist versiert darin, v.a. klassische Werke neu zu interpretieren und ihnen in seinem ganz eigenen Stil und der ihm eigenen Sprache neue Lebenskraft einzuhauchen. Killbeth (2010) ist eine Bearbeitung von Shakespeares Macbeth . Es spielt in einer unbekannten Zeit an einem unbekannten Ort, an dem Menschen ununterbrochen töten und getötet werden. Der Titel Killbeth ist ein Wortspiel von „Macbeth“ und dem koreanischen Slangausdruck „Kallo makbeseu (Mit Schwertern wahllos zugestochen)“. Dabei wird an ein Kampftheater erinnert, in dem Macbeth mit einem Schwert sticht oder gestochen wird. Wie der Titel suggeriert, beginnt das Stück mit einem Kampf, bei dem die Schwerter aufeinander prallen. Während der ganzen Aufführung ist immer wieder lautstarkes Geschrei und Schwertergeklirre zu hören, das manchmal in Handgefechten seinen Höhepunkt findet. Das heißt jedoch nicht, dass Shakespeares Tragödie als reines Schwertkampf-Spektakel adaptiert wurde. Zwar akzentuieren die Bewegungen den Körper der Schauspieler so realistisch, dass der herunterströmende Schweiß zum

1 Ghost Walk aus dem Stück Namsan Documenta: Practice - Theatre Version (2014), produziert von Lee Kyung-sung und Creative VaQi. In Ghost Walk unternehmen Publikum und Schauspieler vor der eigentlichen Aufführung einen einstündigen Spaziergang durch das Namsan-Viertel, auf dem sie einander begegnen. 2 Before After (2015) unter der Leitung von Lee Kyung-sung behandelt die Sewol-Fährkatastrophe von 2014. Anhand dieses tragischen und schockierenden Unglücks erforscht das Stück das Gefühl des Schmerzes.


Berühren nah scheint, doch genau so brillant sind die Schnellfeuerwehr-Dialoge, die eine herkömmliche dramatische Situation verdrehen. Kohs Dialoge zerbrechen absichtlich das Metrum von Alltagsgespräch oder Tragödie und schaffen einen eigenen, Rhythmus. Die von diesem Rhythmus getragenen Worte spitzen manchmal die Spannung aufs Höchste zu, nur um sie dann ins Leere laufen zu lassen, was eine witzige Wende bringt. Oder die Spannung der Tragödie wird durch eine absichtliche Unbeschwertheit, die im Kontrast zur dramatisch zugespitzten Situation steht, in einen Zustand der Hysterie überführt. Das geschickte Wechselspiel von Anspannung und Entspannung in Körperbewegungen und Worten, das sich in Kohs Stücken in einem rhythmischen Austausch entfaltet, füllen diese mit einer theatralischen Energie, die dem Zuschauer fast den Atem raubt. Koh Sun-woong jüngstes Werk The Orphan of Zhao, das 2015 auf die Bühne kam, zeigt, dass sein dramaturgischer Stil nicht nur von geistreicher Sensibilität zeugt, sondern bis zum Kern menschlichen Leidens vordringt. The Orphan of Zhao ist ein klassisches chinesisches Drama von Ji Junxiang aus dem 13. Jh. Erzählt wird die Geschichte einer Familienrache: Alle 300 Angehörige des Zhao-Clans werden niedergemetzelt, nur ein Neugeborenes überlebt. Viele Menschen opfern ihr Leben, um den Waisenjungen zu retten, der heranwächst, um Rache für die Ausrottung seiner Familie

©Doosan Art Center

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Die Stückeschreiber und Regisseure des 21. Jhs unterschieden sich gänzlich von ihren Vorgängern und stellten die Auseinandersetzung mit Kontemporanitätsfragen vor die mit Identitätsfragen. Sie schüttelten die Zweifel daran, ob die Sprache ihres Theaters ihre eigene oder die von anderen geborgte sei, ab und fragten sich stattdessen, ob ihre Stücke Gültigkeit und Relevanz für die Fragen im Hier und Jetzt besitzen oder nur erfundene Geschichten vom nicht realen Leben erzählen. 24 Koreana Frühjahr 2016


zu nehmen. Bei der Inszenierung dieser brutalen Rachegeschichte reduziert Koh Requisiten, Bewegungen und Dialog auf ein Minimum. Das Bühnenbild besteht lediglich aus einem roten Vorhang, der die leere Bühne kreisförmig einschließt. Ereignisse und Handlungen werden durch kodierte Bewegungen und Requisiten vereinfacht dargestellt. Die Charaktere wählen alle den Tod, um die Rache des Waisenkindes vollstrecken zu helfen. Koh glorifiziert ihren Tod nicht als mutige Entscheidung im Namen von Moral oder Gerechtigkeit und weist auch nicht auf die Sinnlosigkeit der Vendetta hin. Vielmehr beschreibt er in einfachen, fließenden Bewegungen und Dialogen, wie stark die Charaktere am Scheideweg von Leben und Tod am Leben hängen und den Tod fürchten. Er thematisiert ihren heftigen inneren Konflikt, ihre Qualen und ihre Entschlossenheit, als sie letztendlich die ihnen gegebene Mission erfüllen. Es ist menschlich, nicht in eine solche Tragödie verwickelt werden zu wollen, und es ist auch menschlich, angesichts der Wahl zwischen Leben und Tod entschlossen eine Entscheidung zu treffen.

die Ethik der Empfindsamkeit Lee Kyung-sung hat zwar gerade erst die Dreißig überschritten, doch aufgrund seiner distinktiven Methodologie in puncto Theaterinszenierung haftet ihm das Attribut „jung“ schon lange nicht mehr an. Die von ihm geleitete Theatergruppe Creative VaQi erregte durch ihre Standort-spezifi-

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©Theater Golmokil

1, 2 Szenen aus Beautiful Youth , dem Stück, dem Regisseur Park Kun-hyung seine Berühmtheit verdankt. Seit seiner Erstaufführung im Jahr 1999 wurde es mehrfach in unterschiedler Besetzung auf die Bühne gebracht. Entgegen dem Titel porträtiert es die harte gesellschaftliche Gegenwart unserer Zeit, in der junge Menschen nicht länger von der Zukunft träumen.

schen Vorführungen im alltäglichen Raum wie an Zebrastreifen oder auf offenen Plätzen Aufmerksamkeit. Aber Lee ist nicht nur ein junger Regisseur, der durch neue Ansätze und kreative Experimente auffällt. In Namsan Documenta: Pratice-Theatre Version (2014) von Lee Kyung-sung und Creative VaQi ist der Protagonist quasi das Namsan Arts Center, wo das Stück präsentiert wurde. 1960 als Drama Center eröffnet, wurde es schnell zu einer wichtigen Bühne für das moderne Theater, geriet dann jedoch in Vergessenheit, bis es jüngst als produzierendes Theater neu eröffnet wurde. Namsan Documenta basiert auf in öffentlichen und privaten Archiven unternommenen Recherchen über die Geschichte des Theaters und seinen Standort am Berg Nam-san in der Seouler Innenstadt. Das Stück enthält Videomaterial, das bei den Recherchen entdeckt und in edierter Form direkt präsentiert wird, und eine Szene aus der Tragödie Hamlet, die Eröffnungsprogramm des Theaters war, wobei die Szene jedoch in einer anderen Bearbeitung inszeniert wird. Durch ein fiktives Interview werden das Theater und das Namsan-Viertel als Schauplätze von Ereignissen in der modernen koreanischen Geschichte wiedererweckt. Wie der Titel schon besagt, wird das Stück als Dokumentationstheater vorgestellt, es ist aber weit mehr als eine edierte Kompilation von historischen Aufzeichnungen. Lee und Creative VaQi überschreiten auf geniale Weise die Grenzen zwischen Präsentation und Reproduktion, Fakten und Fiktion, und machen sich auf eine intellektuelle und sensuelle Reise zur Erkundung des Raums namens „Theater“ und der Essenz des Theaterschaffens im Hier und Jetzt. Lees jüngstes Werk Before After (2015) zeugt von einem noch reiferen Blick. Das Stück behandelt den tragischen Untergang der Fähre Sewol, der 2014 der koreanischen Bevölkerung einen Schock versetzte. Das Unglück wird jedoch weder nachgespielt, noch wird der Ursache der Katastrophe oder ihren Nachwirkungen nachgegangen. Stattdessen wird nach dem Gefühl des Schmerzes in Bezug auf das Unglück gefragt. Der moderne Mensch lebt in einer hoch technologisierten Gesellschaft, ist aber tödlichen Unfällen und durch höhere Gewalt verursachte Katastrophen ausgesetzt, die er dann dank der Technologie in Form von Medienberichterstattung konsumiert. In einem Zeitalter, in dem die Gräuel des Krieges live übertragen werden, werden auch Katastrophen durch Bewegtbilder übermittelt. Before After ruft dazu auf, diesem „Konsum des Schmerzes“ ein Ende zu setzen. Zu diesem Zweck fokussiert das Stück auf die Geschichte einer Schauspielerin, die den Tod ihres Vaters durchgemacht hat, und thematisiert den ganz persönlichen Schmerz der einzelnen Darsteller durch z.B. Erzählen oder Nachstellung. Einblendungen von Live-Szenen des Stückes zeigen aus einem anderen Blickwinkel, was gerade auf der Bühne geschieht. Inwieweit können wir uns in den anderen einfühlen und seinen Schmerz mit unserem ganzen Körper nachempfinden? Das Stück ging diesen Fragen in ruhiger, aber akribischer Manier nach, was ihm beträchtliche Aufmerksamkeit einbrachte.


SPEZIAL 5 Koreanisches Theater heute: Menschen und Trends

cHANggEuK ERWAcHT Zu NEuEM LEBEN

Kang Il-joong Theaterkritiker

Mit der Propagierung als „Pansori-Oper“ sind die Bemühungen zur „Modernisierung“ des traditionellen koreanischen Musiktheaters changgeuk in vollem gange. durch gewagte Versuche, sich in Bezug auf Inhalt und Form von Althergebrachtem zu lösen, werden traditionellen Pansori-Stücke neu geboren, was vom Publikum aller Altersgruppen begeistert begrüßt wird. Im Mittelpunkt dieser bedeutungsvollen Modernisierungswelle steht die National changgeuk company Korea.

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er epische Sologesang Pansori, der in Korea als „Wichtiges Immaterielles Kulturgut Nr. 5” registriert ist und in die UNESCO-Liste des „Immateriellen Kulturerbes der Menschheit” aufgenommen wurde, ist in Bezug auf die Inszenierung sehr schlicht. Pansori wird von nur zwei Künstlern dargeboten: einem Sänger (Sorikkun), der die Geschichte mit einem Fächer in der Hand Gesang vorträgt, und einem Trommler (Gosu), der ihn begleitet. Die Lieder werden zum Schlag der Trommel gesungen und zwischendurch von erzählenden Passagen (Aniri) abgelöst. Die Liedinhalte werden durch Gestik und Mimik akzentuiert (Ballim). Doch Pansori wird erst durch ein zusätzliches Element zu Pansori: durch die kurzen Zwischenrufe Chuimsae. Sie werden hier und da während des Sologesangs vom Trommler oder von Zuschauern eingestreut, um die Stimmung zu erhöhen, Bewunderung für das Können des Sängers auszudrücken oder den erzählten Inhalt zu kommentieren. Da aber das traditionelle, auf mündlich überlieferten Volkserzählungen basierende Pansori quasi eine Ein-Mann-Oper ist, ist die Stimme des Sängers von ausschlaggebender Bedeutung.

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Niedergang von Pansori und Aufkommen von changgeuk Die Pansori-Kultur begann sich Mitte der Joseon-Zeit im 17. Jh zunächst v.a. im einfachen Volk zu verbreiten. Mitte des 19. Jhs hatte die Beliebtheit des Pansori ihren Höhepunkt erreicht, und zwar nicht nur bei den Massen, sondern auch bei der herrschenden Yangban-Klasse, sodass viele Meistersänger hervorgebracht wurden. Sänger, die vor dem König sangen, wurden gar mit höheren oder niederen Hofbeamtentiteln belohnt. Doch aufgrund verschiedener interner und externer Faktoren ging es dann mit der einst so beliebten Gesangskunst immer mehr bergab: Statt einiger Meistersänger gab es immer mehr mittelmäßige Sänger, das Publikumsinteresse an Solo-Aufführungen schwand, das japanische Sinpa-Theater (Neues Theater), die Peking-Oper und modernes westliches Theater wurden eingeführt und Theaterhallen westlichen Stils gebaut. Mit Beginn des 20. Jhs wurden diese Trends noch ausgeprägter. Die auffälligste Veränderung war das Erscheinen eines neuen Gesangsvorführungsgenres, bei dem nicht nur ein, sondern zwei oder mehr Sänger auftraten. Es war eine weiterentwickelte Form des Pansori namens „Changgeuk“, eine Art Musiktheater. Die erste Changgeuk-Aufführung war Eunsegye (The Snow-Covered World) von Lee In-jik. 1908 im Theater Wongaksa (heute: Jeongdong Theater) in Seoul uraufgeführt, läutete dieses erste kreative Changgeuk-Stück das Zeitalter des modernen koreanischen Theaters ein. Da die Zahl der Changgeuk-Schauspieler allmählich wuchs und die Changgeuk-Stücke vor realistischen Kulissen in modernen westlichen Theatern aufgeführt wurden, erhielt Changgeuk

©National Theater of Korea

Eine Szene aus Sugung-ga (Mr. Rabbit and the Dragon King ) unter der Regie von Achim Freyer. Die große Pansori-Sängerin Ahn Sook-seon spielte in einem langem Gewand drei Meter hoch über der Bühne thronend die Rolle des kommentierenden Sängers, der die Geschichte voranbringt. Das im September 2011 im Nationaltheater uraufgeführte Stück war das erste Ergebnis der Bemühungen, das traditionelle Musiktheater Changgeuk zu modernisieren.

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zwar den Anstrich eines übergreifenden Kunstgenres, vermochte jedoch lange Zeit u.a. wegen des Mangels an kreativen Stücken und Fördermaßnahmen nicht recht aufzublühen.

Modernisierung von changgeuk Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren beachtenswerte Veränderungen spürbar: In die Changgeuk-Aufführungen, die lange fast nur von Menschen mittleren Alters und Senioren besucht worden waren, strömten plötzlich viele jüngere Besucher, allen voran Theater- und Opernliebhaber, sodass einige Vorstellungen sogar ausverkauft waren. Das Genre erfuhr eine neue Blüte. Das war möglich, weil eine ganze Reihe Changgeuk-Stücke mit neu interpretierten Inhalten und modernem Bühnenbild produziert wurden. Angeführt wird diese Bewegung von der National Changgeuk Company Korea, eine dem Nationaltheater unterstellten Truppe, die bei den Neubearbeitungen folgende Ziele verfolgt: Von den alten zwölf Original-Pansori-Stücken werden die fünf, deren Inhalt bis heute lückenlos überliefert ist, von renommierten Künstlerischen Leitern aus dem In- und Ausland, die bislang keine Erfahrung mit dem Genre haben, ins Changgeuk-Format gebracht. Dazu gehören Chunhyang-ga (Das Lied von Chunhyang), Simcheong-ga (Das Lied von Simcheong), Heungbo-ga (Das Lied von Heungbo), Sugung-ga (Das Lied vom Palast im Meer) und Jeokbyeok-ga (Das Lied von den Roten Klippen). Auch klassische Werke aus dem Ausland sollen für Changgeuk-Aufführungen adaptiert werden. Durch diese doppelgleisige Herangehensweise kann einerseits der Teil des koreanischen Publikums, das eher mit dem westlichem Theaterstil als mit dem der koreanischen Darstellenden Künsten vertraut ist, stärker angesprochen werden. Menschen aus dem Ausland wiederum erhalten leichteren Zugang zum Changgeuk, da Changgeuk-Stücke durch die Augen westlicher Regisseure neu interpretiert oder umgekehrt westliche Theaterklassiker für die Changgeuk-Bühne adaptiert werden. Die restlichen sieben, unvollständig überlieferten Pansori-Stücke wie Byeongangsoe-taryeong (Das Lied von Byeon Gang-soe) und Baebijang-taryeong (Das Lied von Hofmarschall Bae) wurden unter Widerspiegelung der heutigen gesellschaftlichen und sozialen Umstände gewagt neu interpretiert und neu kreiert, was den Theater-Charakter von Changgeuk weiter verstärkt. Durch den mittels dieser Herangehensweisen erzeugten Synergie-Effekt gewinnt Changgeuk als Kunstform immer mehr an Kontemporanität und Universalität. Der derzeit enthusiastischen Resonanz des Publikums nach zu urteilen, ist Changgeuk keine staubtrockene Klamotte aus der Vergangenheit mehr. Die Vornehmheit des traditionellen Theaters bewahrend, ist es als populäres Genre der Darstellenden Kunst am Puls der Zeit. drei „Pansori-Opern“ „Startsignal“ für das Neuerwachen des Changgeuk war das Stück 28 Koreana Frühjahr 2016

Sugung-ga (engl: Mr. Rabbit and the Dragon King ), das im September 2011 in der Main Hall Hae des Nationalheaters aufgeführt wurde. Es war das allererste Produkt des Programms World Master’s Choice, in dessen Rahmen renommierte ausländische Regisseure dazu eingeladen werden, Changgeuk-Stücke mit neuem Format und Inhalt zu produzieren. Mr. Rabbit wurde von dem namhaften deutschen Regisseur Achim Freyer inszeniert. Freyers Interpretation und Bühnengestaltung waren ein absolutes Novum für die koreanischen Changgeuk-Fans. Das Original Sugung-ga hat Fabelcharakter: Als der todkranke Drachenkönig, der Herrscher der Unterwasserwelt, hört, dass frische Hasenleber ihm Heilung bringen kann, schickt er die loyale Schildkröte an Land, um einen Hasen herbeizubringen. Nichts Böses ahnend lässt sich der Hase in den Unterwasserpalast locken, wittert jedoch schon bald die Gefahr und rettet sich geschickt, indem er sagt, dass er seine Leber an Land gelassen habe und erst holen müsse. Dieses Stück satirisiert den Konflikt zwischen dem Volk, symbolisiert durch den raffinierten Hasen, und der herrschenden Schicht, vertreten durch Drachenkönig und Schildkröte. In Freyers Mr. Rabbit-Inszenierung wird die Schildkröte als profaner, nach Ruhm und Reichtum gierender Charakter gezeichnet und der Hase als cleverer Held, der stets bestrebt ist, alle möglichen Unbilden zu überwinden. Der Drachenkönig erscheint als Herrscher, der keine Mittel und Wege scheut, um sein Leben zu verlängern. Freyer dekorierte zudem die Decke des Meerespalastes mit unzähligen Plastikflaschen, um die heutige Umweltverschmutzung aufs Korn zu nehmen. Der deutsche Regisseur, der auch als expressionistischer Maler bekannt ist, entwarf eigenhändig den Bühnenvorhang. Auch die Kostüme und Masken, in denen die Changgeuk-Schauspieler sangen und tanzten, stammten von ihm. Bilder von solch visueller Stärke waren bis dahin kaum auf einer Changgeuk-Bühne zu sehen. Zudem wurde der für Pansori-Stücke charakteristische satirisch-humorvolle Inhalt im modernen Stil wiederbelebt, um das Publikum von heute zum Lachen zu bringen. Z.B. erschienen in der Szene, in der der Drachenkönig auf Bitte der Schildkröte das Bild eines Hasen anfertigen lässt, virtuose Maler wie Kim Hong-do, Ai Weiwei, Andy Warhol, Albrecht Dürer und Pablo Picasso. Dadurch wurde das Changgeuk, ein Genre, das auf das junge Publikum etwas altbacken wirken könnte, in ein neues, prächtig-elegantes Gewand gekleidet. Auch die Genre-Bezeichnung, die den Charakter der Aufführung bestimmt, wurde von „Changgeuk“ zu „Pansori-Oper“ geändert. A Different Chunhyang, das im November 2014 im Small Hall Dal des Koreanischen Nationaltheaters aufgeführt wurde, war die zweite Changgeuk-Inszenierung unter ausländischer Regie. Die künstlerische Leitung übernahm der rumänischstämmige Amerikaner Andrei Serban, der in Nordamerika und Europa als Opernund Theaterregisseur sehr aktiv ist. Das Pansori Chunhyang-ga , auf dem die Changeuk-Inszenie-


©National Theater of Korea

1 Eine Szene aus A Different Chunhyang unter der Leitung von Andrei Serban. Das Stück mit der Künstlerin Lee So-yeon, einem aufgehenden Stern am Pansori-Himmel, wurde im November 2014 im Nationaltheater aufgeführt. 2 Eine Szene aus Medea , einem Changgeuk-Stück auf Vorlage von Euripides gleichnamiger klassischer Tragödie, aufgeführt im Mai 2013 im Nationaltheater. Mit Park Ae-ri, einem Star der National Changgeuk Company in der Hauptrolle, wurde die Inszenierung dafür gelobt, „die Essenz der griechischen Tragödie in koreanischer Liedform übermittelt zu haben“. 3 Eine Szene aus Madam Ong , uraufgeführt 2014 im Rahmen des Projekts, die sieben unvollständig überlieferten Pansori-Stücke zu rekonstruieren. Diese erste, unter der Leitung von Koh Sun-woong entstandene Pansori-Rekonstruktion ist der bislang größte Hit der National Changgeuk Company; für 2016 sind Wiederholungen geplant. 1

Kim Sung-nyo, Künstlerische Leiterin der National Changgeuk Company Korea, betont, dass „der traditionelle epische Sologesang Pansori als Gesangskunst gut bewahrt und weitergegeben werden muss, während Changgeuk als eine von Pansori abgeleitete Schauspielkunst der Zeit angepasst werden sollte“. 2

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auf der Leinwand und dem Bühnenboden Tuschebilder von Bambus, einfachen Punkten, Linien, Flächen und des mythischen Pflaumenblüten-Arkadia. Vor diesen schlichten, aber dennoch hochgradig symbolhaltigen Bühnenszenen strahlte der Gesang von Meistersänger Song Soon-seop und der anderen Sänger eine starke Energie aus.

Weitere Erfolge Inmitten der heißen Resonanz des Publikums auf die modernen Reinterpretationen und Adaptionen des Changgeuk-Theaters laufen parallel andere Popularisierungsversuche auf Hochtouren. Von den sieben, unvollständig überlieferten Pansori-Stücken wurde das Byeongangsoe-taryeong unter dem Titel Madam Ong unter der Regie von Koh Sun-woong im Juni 2014 wiedergeboren. Während im Original der Fokus auf dem wollüstigen Byeon Gang-soe liegt, wird in Madam Ong die Gemütsverfassung der hingebungsvollen Frau Ong herausgearbeitet. Madam Ong wurde zur ersten Produktion in der Geschichte der National Changgeuk Company, bei der alle 23 Vorstellungen restlos ausverkauft waren. Die klassische Novelle Janghwa-Hongryeon-jeon , die das Schick-

Eine Szene aus Jeokbyeok-ga (Song of the Red Cliff ), im September 2015 unter Leitung von Lee So-young im Nationaltheater aufgeführt. Das Stück wurde für den Synergie-Effekt der simplizistischen, aber hochgradig symbolhaltigen Bühnenbilder und die kraftvollen Solos von Meistersänger Song Soon-seop gelobt.

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rung A Different Chunhyang beruht, handelt von der die Gesellschaftsschichten übergreifenden Liebe zwischen Yi Mong-ryong, dem Sohn eines Magistraten, und Seong Chun-hyang, der Tochter einer ehemaligen Gisaeng (professionelle Unterhalterin). In A Different Chunhyang porträtiert Serban Chunhyang als eine Heldin, die selbst den Tod nicht fürchtet, um das Ideal der Liebe als Wert zu schützen. Yi Mong-ryong hingegen wird als Mensch beschrieben dem es an reinem Herzen mangelt: Er, der Sohn eines hochrangigen Beamten, verliebt sich zwar Hals über Kopf in ein Mädchen niederen Standes, vergisst sie aber nach der kühlen Abwägung von Gewinn und Verlust einer solchen Beziehung recht schnell. Die Inszenierung war radikal unkonventionell: Auf beiden Seiten der Bühne erhob sich eine kalte, schwarze Wendeltreppen-Konstruktion, der Boden war mit Sand bedeckt, ein Wasserbecken fungierte als Bach. Das Stück machte ausgiebigen Gebrauch von auf die Leinwand projizierten Videosequenzen, die in Kontrast zum Geschehen auf der Bühne standen: Während im Video Chun–hyang und Mong–ryong, beide in traditionelle Hanbok-Tracht gekleidet, ihrer Liebe nachgeben, ist Mong–ryong auf der Bühne ein moderner junger Mann am Laptop. Als drittes Changgeuk-Werk ist Jeokbyeok-ga (engl.: Song of the Red Cliff) zu nennen, inszeniert von Lee So-young, der namhaften koreanischen Opernregisseurin und ehemaligen Künstlerischen Leiterin der Koreanischen Nationaloper. In dem Stück, das im September 2015 in der Main Hall Hae des Koreanischen Nationaltheaters auf die Bühne gebracht wurde, ergänzten sich Bühnenbild und Gesang aufs Fantastischste. Das Pansori-Stück Jeokbyeok-ga, das die historischen Ereignisse von der Schlacht von Chibi bis zur Flucht Cao Caos durch die Huarong-Schlucht aus dem chinesischen Roman Die Geschichte der Drei Reiche behandelt, wurde von Lee als politisch-satirisches Stück neu interpretiert. Anstatt wie in der Pansori-Version in maskuliner Manier Helden und Heerführer als Inbegriff der Tapferkeit auf dem Schlachtfeld erscheinen zu lassen, arbeitete Lee in völliger Umkehrschau das Leid der namenlosen einfachen Untertanen heraus, die ihr Leben opfern und dann vergessen werden. Bei diesem Stück glänzte vor allem die Bühnenästhetik. Aus dem Orchestergraben schießt eine Trommel empor, um die Bühne zu stützen. Einzige Installation auf der Bühne ist ein fächerförmiges Gebilde: Der Fächer ist alt, das Papier zerfleddert, sodass die nackten Rippen zu sehen sind. Auf der Leinwand, die an traditionelles Hanji-Maulbeerbaumpapier erinnert, wird eine Pansori-Vorführung gezeigt. Die Szene einer herkömmlichen Pansori-Vorführung, bei der der Sänger mit dem Fächer in der Hand zum Schlag der Trommel singt, wird hierbei als Bühnenkomponente visualisiert. Durch Drehung oder Umplatzierung dient die Fächer-Konstruktion als facettenreiche Kulisse: Mal ist es der Hügel, von dem aus Cao Cao sein Heer dirigiert, mal der Hof Zhuge Liangs, den Liu Bei drei Mal aufsucht, um ihn als Berater zu rekrutieren, mal ein Kriegsschiff oder ein Vogel. Mit dem Wechsel der einzelnen Szenen erscheinen


sal zweier Schwestern erzählt, wurde im November 2012 unter der Regie von Han Tae-sook und dem Titel Janghwa and Hongryeon in Form eines Thriller-Changgeuk neu geboren: Anhand eines Mordfalls, der sich in einer mittelständischen Wohnhaus-Anlage mit Park und Teich ereignet, wurden Egoismus und Desinteresse der Menschen von heute auf schaudererregende Weise zum Ausdruck gebracht. Die Transformation der klassischen griechischen Tragödie Medea ins Changgeuk-Format (Regie: Seo Jae-hyeong, Premiere: Mai 2013) bewies erfolgreich das Wachstumspotenzial des Changgeuk-Theatergenres. Seopyeonje (Regie: Yun Ho-jin, Premiere: März 2014), das durch den gleichnamigen Film-Bestseller über die blinde Sängerin bereits weit bekannt war, wurde ebenfalls positiv bewertet. Auch Der Kaukasische Kreidekreis (Regie: Jeong Ui-sin, Premiere: März 2015) von Bertolt Brecht, der auf Anfrage der National Cahnggeuk Company von dem koreastämmigen japanischen Regisseur Jeong Ui-Sin produziert wurde, lockte unzählige Besucher ins Theater.

Aufrechterhaltung und Modernisierung Treibende Kräfte hinter den laufenden Modernisierungs- und Globalisierungsbestrebungen sind Ahn Ho-sang, Direktor des Koreanischen Nationaltheaters, und Kim Sung-nyo, Künstlerische Leiterin der National Changgeuk Company Korea. Kim betont, dass „der traditionelle epische Sologesang Pansori als Gesangskunst gut bewahrt und weitergegeben werden muss, während Changgeuk als eine von Pansori abgeleitete Schauspielkunst der Zeit angepasst werden sollte.“ Sie plant die Fortsetzung des Projekts, die zwölf Pansori-Stücke durch renommierte Regisseure aus dem In- und Ausland aus neuen Blickwinkeln interpretieren und inszenieren zu lassen. Das oben genannte Stück Mr. Rabbit and the Dragon King von Achim Freyer wurde nach seiner letzten Vorstellung in Korea im Dezember 2011 im deutschen Opernhaus Wuppertal auf die Bühne gebracht, wo es begeisterte Kritiken erntete, und im September 2012 erneut im Koreanischen Nationaltheater aufgeführt. Madam Ong von Koh Sun-woong wird auf Einladung des Théâtre de la Ville im April 2015 in Paris aufgeführt.

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FOKuS

„Erstaunlicherweise war ich in der Endrunde überhaupt nicht nervös. Meine Finger spielten wie von alleine und es machte mir Spaß, der von mir gespielten Musik zuzuhören“ – so Cho Seong-Jin in einem Interview in Anschluss an die Siegerehrung.

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CHO SEONG-JIN ZUKUNFT DER KLASSISCHEN MUSIK IN KOREA Beim Internationalen chopinKlavierwettbewerb 2015 gewann der junge Pianist cho Seong-Jin aus Südkorea den ersten Preis und die Polonaise-Auszeichnung. die sog. „cho-Seong-Jin-Sensation“ gab Anlass dazu, dass noch mehr Menschen noch genauer und ernsthafter die klassische Musikszene Koreas beobachten. Park yong-wan Ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift Auditorium Gaeksuk , Beamter im Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus

©Bartek Sadowski_NIFC

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n einem Tag im Herbst letzten Jahres wurden ununterbrochen Fotos eines jungen Mannes auf der Zeitleiste meines Facebook-Accounts hoch- und heruntergeladen. Meine Facebook-Freunde, von denen die meisten Musikliebhaber oder Kulturschaffende sind, posteten pausenlos begeisterte Kommentare. Schon bald erschien sein Foto auf der Startseite des größten Online-Portals Koreas. So etwas passiert normalerweise nur bei berühmten Jungstars oder Sportlern. Doch der junge Mann, auf den sich alle Augen des Landes richteten, ist außergewöhnlicherweise keins von beiden: Er ist Pianist. Am 21. Oktober 2015 wurde der Gewinner des 17. Internationalen Chopin-Wettbewerbs bekannt gegeben. Die Welt schaute zu, wie ein neuer Star geboren wurde, nachdem 2010 die russische Konzertpianistin Yulianna Andrejewna Avdeeva und 2005 der Pole Rafał Blechacz den ersten Preis gewonnen hatten. Den ersten Platz belegte Cho Seong-Jin. Er war damit der erste Koreaner in der Geschichte des Chopin-Wettbewerbs, der sich an die Spitze spielen konnte. Kaum war die Neuigkeit bekannt, teilte auch schon die auf klassische Musik spezialisierte koreanische Konzertagentur Credia International mit, dass für den 2. Februar 2016 im Seoul Arts Center ein Gala-Konzert des Chopin Wettbewerbes geplant sei, bei dem Cho Seong-Jin und andere Preisträger des Wettbewerbs auftreten würden. Als am 29. Oktober 2015 der Karten-Vorverkauf begann, stürzte der Server des Online-Buchungssystems der Agentur vor Überlastung einmal ab, was bei klassischer Musik eine absolute Seltenheit ist. In nur einer Stunde waren alle Tickets ausverkauft.

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Erfolgsgeschichte des chopin-Wettbewerbs Die wichtigsten Wettbewerbe für klassische Musik sind der Internationale Chopin-Wettbewerb in Warschau, der Internationale

Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau und der Concours Reine Elisabeth (Königin-Elisabeth-Wettbewerb) in Brüssel. Diese Wettbewerbe fokussieren entweder ausschließlich oder größtenteils aufs Klavier, was darauf hinweist, dass die Pianisten unter den Künstlern der klassischen Musik am stärksten vertreten sind. Unter diesen Wettbewerben ist der Chopin-Wettbewerb der einzige, bei dem die Teilnehmer ihr Talent nur anhand der Klavierwerke eines einzigen Komponisten messen. Trotz dieser rigorosen Einschränkungen hat der Chopin-Wettbewerb ironischerweise die meisten Stars hervorgebracht, und auch die meisten Skandale. Seine Erfolgsgeschichte begann vor 89 Jahren. Damals litt Warschau noch unter den Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges und die an Körper und Geist erschöpften Polen begeisterten sich für Sport, nicht aber für Kunst. Jerzy Żurawlew, Professor am Warschauer Konservatorium und Chopin-Spezialist, befürchtete, dass Polen seinen Ruf als kulturstarkes Land verlieren könnte. Er zerbrach sich den Kopf darüber, wie er die Bevölkerung wieder in die Konzerthäuser locken könnte und fand die Lösung in „Olympischen Spielen der Musik“, sprich, einem Musikwettbewerb. Der erste Chopin-Wettbewerb fand am 23. Januar 1927 in der Warschauer Nationalphilharmonie statt. Die Teilnehmer durften nur Werke von Chopin präsentieren, eine Regulierung, die bis heute gültig ist. Gewinner war der Russe Lew Oborin. Die folgenden Wettbewerbe wurden 1932 bzw. 1937 ausgetragen, aber danach wurde der Concours aufgrund der Wirren des Zweiten Weltkriegs für eine Weile ausgesetzt. Nach Kriegsende kam dann 1949 anlässlich des 100. Todestages von Chopin der vierte Wettbewerb zustande, bei dem mit Halina Czerny-Stefańska erstmals ein polnischer Preisträger geehrt wurde, und zwar gemeinsam mit der Russin Bella Davidovich. 1960 wurde der erste „Big Star“ in der Geschichte des Chopin-Wettbewerbs, der seit 1955 im 5-Jahre-Rhythmus

1 Der Pianist Cho Seong-Jin zusammen mit den Juroren und den weiteren Preisträgern des 17. Internationalen Chopin-Klavierwettbewerbs in der Konzerthalle der Warschauer Philharmoniker in Warschau, Polen. Links: Silbermedaillen-Gewinner Charles Richard-Hamelin aus Kanada; rechts: Bronzemedaille-Gewinnerin Kate Liu aus den USA. 2 Cho Seong-Jin bedankt sich beim Publikum nach seiner Vorführung auf dem Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb 2015 in Warschau.

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stattfindet, geboren: Es war niemand anderer als der Italiener Maurizio Pollini. 1965 wurde die schweizerisch-argentinische Pianistin Martha Argerich geehrt, gefolgt von Garrick Ohlsson (1970), dem ersten amerikanischen Preistäger, und dem Polen Krystian Zimerman (1975). Beim 10. Wettbewerb 1980 rührte Argerich noch einmal ganz Warschau auf, diesmal mit dem „Pogorelich-Skandal“: Als der Kroate Ivo Pogorelich trotz seiner genialen, wiewohl unorthodoxen Darbietung nicht zur Endrunde zugelassen wurde, verließ Argerich aus Protest die Wettbewerbs-Jury. Der damalige Preisträger, der Vietnamese Dang Thai Son, hat sich mittlerweile längst einen Namen als Chopin-Spezialist gemacht. Nachdem 1985 Stanislaw Bunin den Chopin-Preis gewonnen hatte, blieb bei den folgenden beiden Wettbewerben der Gewinner-Platz leer. Erst im 21. Jh saß wieder ein Genie am Klavier: Der 18-jährige Chinese Li Yundi errang 2000 doppelten Starruhm: als erster Preisträger nach 15 Jahren und als bis dahin jüngster Gewinner in der Geschichte des Chopin-Concours. Der 15. Wettbewerb 2005 schrieb

ebenfalls Geschichte: Allein die Tatsache, dass nach Krystian Zimermans Sieg im Jahr 1975 wieder ein polnischer Pianist ausgezeichnet wurde, sorgte in ganz Polen für Aufregung. Hinzu kam, dass keine Preisträger für Platz 2 und Platz 5 nominiert wurden, dafür aber vier asiatische Pianisten Platz 3 und 4 belegten: Platz 3 ging an die Brüder Im Dong-min und Im Dong-hyeok aus Südkorea und Platz 4 an Sekimoto Shohei und Yamamoto Takashi aus Japan.

Ein Traum, noch größer als der gewinn des Wettbewerbs Doch zurück zu Cho Seong-Jin, der letzten Herbst ganz Korea in Aufregung versetzte. Cho, Jahrgang 1994, absolvierte die renommierten Kunstschulen Yewon School und Seoul Arts High School in Korea und studiert seit 2012 bei Michel Béroff am Pariser Konservatorium. Er zog die Aufmerksamkeit der internationen Musikwelt auf sich, als er 2008 den 1. Platz beim Internationalen Chopin-Wettbewerb für Nachwuchspianisten in Moskau belegte und im Jahr darauf als bis dahin jüngster Teilnehmer den Internationalen KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 35


Klavierwettbewerb in Hamamatsu/Japan „Ich mag es nicht, als ‚Idol‘ bezeichnet zu werden. Manche nennen gewann. Danach bewies Cho sein Können mich auch ‚Chopin-Spezialist‘, aber Chopin ist für mich immer noch 2011 beim Internationalen Tschaikowseiner der Komponisten, bei dessen Werken es mir am meisten an ki-Wettbewerb in Moskau und 2014 beim Arthur-Rubinstein-Klavierwettbewerb in Selbstvertrauen mangelt. Beethoven und Brahms komponierten in Tel Aviv, wo er jeweils Platz 3 belegte. ihren späteren Jahren leichtere Stücke, sie scheinen mir die Dinge Ich lernte Cho im Dezember 2008 keneins nach dem anderen losgelassen zu haben. Das scheint auch nen, als er im zweiten Mittelschuljahr war und gerade vom Chopin-Wettbewerb für für das Leben zu gelten. Also sollte ich mir wohl an diesem Punkt Nachwuchspianisten in Moskau zurückmeines Lebens vieles zu eigen machen, damit es später etwas gibt, kam. Gekleidet in der Schuluniform der was ich loslassen kann.“ Yewon School betrat er eher schüchtern das Studio, um Fotoaufnahmen machen zu lassen. Sein Gesicht war rundlich und prall, doch seine Augen warmen Insel im Süden? waren voller Neugier, sodass sie kalt wie Schneeflocken glänzten. Es vergingen weitere zwei Jahre, bevor ich Cho 2013 erneut traf. Zu An dem Tag erzählte er mir die Geschichte vom ersten Wettbewerb, der Zeit studierte er in Paris und war einen Monat vor dem gemeinan dem er in seinem zweiten Grundschuljahr in Korea teilgenomsamen Auftritt im Seoul Arts Center mit den Münchener Philharmen hatte. Cho hörte die anderen Teilnehmer spielen und dachte monikern unter Leitung von Lorin Maazel nach Korea gekommen. überrascht: „Wow, ALLE spielen ja so! Ich dachte, nur professioEr sagte: „Abgesehen von den hohen Lebenshaltungskosten und der schwierigen Sprache bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben nelle Pianisten könnten so spielen.“ Zum Chopin-Nachwuchspiin Paris. Alles ist neu und interessant. Ich glaube, auch mein Chaanisten-Concours, den er in Moskau gewonnen hatte, bemerkte er: „Die Teilnehmer, die ich in Moskau traf und die etwa in meirakter hat sich stark verändert. Ich habe wohl meine Angst verlonem Alter waren, strahlten großes musikalisches Selbstvertrauen ren. Früher war ich ein bisschen schüchtern, aber jetzt fühle ich und Selbstbewusstsein aus, was mich klein fühlen ließ. In Zukunft mich gelassener im Umgang mit anderen, die sich ihrerseits vielwerde ich wohl beim Studieren der westlichen Musik meine Grenleicht dadurch unwohl fühlen.“ Aus dem Jungen war ein Mann geworden, aber seine Augen hatten immer noch diesen kalten zen stärker spüren. Ich muss mich einfach noch besser vorbereiten Schneeglanz. In unserer Unterhaltung entdeckte ich manchmal und härter an mir arbeiten.“ Äußerungen, bei denen ich mir nicht sicher war, ob sie humorvoll Im Januar 2009, ein Jahr nach seinem Auftritt in Moskau, spielte er oder provozierend gemeint waren. In seinem Inneren schien ein beim Neujahrskonzert in der Kumho Art Hall in Seoul Liszts Dankleiner Ofen zu stecken, in dem eine seltsame Mixtur aus Passite-Sonate. Könnte ein Halbwüchsiger wirklich in der Lage sein, nur anhand der Noten und Partitur-Symbole Liszts Liebe oder Dantes on und Gelassenheit zu brennen schien. Meine letzte Frage an ihn Himmel und Hölle zum Ausdruck zu bringen? Chos Spiel beseitigwar: „Wollen Sie denn überhaupt erfolgreich sein?“ . „Ich habe gehört, dass ich jetzt sogar Asket geworden sein soll. te all meine Zweifel und übermittelte deutlich die Geschichte von Natürlich habe ich Ambitionen und will Erfolg haben, aber es Liszt und Dante. Ich fragte mich, ob es mich gleichermaßen bewegt kommt darauf an, was man darunter versteht“, antwortete Cho. „Ist hätte, wenn er mir diese Geschichten in Worten erzählt hätte. Wohl ein Musiker, der viel Geld macht, erfolgreich? Oder bedeutet Erfolg, kaum. Nur der Musik wohnt diese Kraft inne. Chos Spiel vermittelte die Menschen durch ein exzellentes Spiel zu rühren? Ein Musiker mir, dass Musik etwas Erhabenes und das Spielen von Musik etwas kann doch auch seine Musik für sich behalten wollen und zu seiner Großartiges ist. eigenen Freude und Zufriedenheit im abgeschiedenen Kämmerlein Im Winter 2011 traf ich Cho wieder in der Kumho Art Hall. Diesspielen. Auch das kann Erfolg sein. Es gibt keine absolute Definimal war er mit der Pianistin Son Yeol-eum zusammen, einer Kollegin und guten Freundin. Sie warteten auf ihren Auftritt als Duo. tion von Erfolg. Ich habe einen wirklich großen Traum. Ich möchte Am Ende unseres langen Gesprächs erzählte Cho aus heiterem kostbare Musik spielen. Es soll nicht einfach heißen: Cho Seong-Jin Himmel von Okinawa: „Vor kurzem hatte ich einen Auftritt in Okitritt auf. Ich möchte spielen wie Radu Lupu, Grigory Sokolov oder Murray Perahia, deren Spiel kostbar in ihrer Einzigartigkeit ist. Für nawa und habe mir danach einen Tag frei genommen, was ich in manche Menschen mag das kein Erfolg sein. Aber für mich ist das den ganzen letzten Jahren nach meinen Auslandsaufführungen nie ein großer Traum, ein viel größerer Traum als der erste Platz bei gemacht habe. Als ich mich etwas umgesehen habe, ist mir aufgeeinem Wettbewerb.“ fallen, dass sich die Menschen dort auch über die kleinsten Dinge Welche Bedeutung haben Wettbewerbe für junge Musiker? Die wirklich freuten. Als ich das so sah, fragte ich mich zum ersten Mal Pianistin Son Yeol-eum, die beim Internationalen Tschaikowsin meinem Leben, was Glücklichsein bedeutet.“ Warum sprach der damals 17-jährige Cho Seong-Jin wohl vom Glücklichsein auf einer ki-Wettbewerb 2011 vor Cho Platz 2 belegte, sagte dazu: „Ich habe 36 Koreana Frühjahr 2016


bei solchen Wettbewerben einige seltsame Erfahrungen gemacht, was meine Zweifel daran wachsen ließ. Ich erinnere mich daran, was mein Lehrer Kim Dae-jin mir damals sagte. Er meinte, dass ich Wettbewerbe als Unsinn betrachten könne, und sie seien es irgendwo auch. Doch wenn man erst mal in die Welt hinausgegangen sei, könne man nichts finden, was fairer als ein Wettbewerb sei. Es stimmt wirklich.“ Für die jungen Menschen aus aller Welt, die professionelle Musiker werden wollen, sind Wettbewerbe das grausamste, aber dennoch sicherste Tor zum Erfolg. Aber der Sieg ist nur der Toröffner. Chos Äußerung, nicht einfach Wettbewerbe gewinnen zu wollen, sondern den größeren Traum zu verfolgen, wirklich kostbare Musik zu spielen, wirkt daher nur noch ehrlicher. Vor kurzem unterzeichnete Cho Seong-Jin einen Vertrag mit der französischen Musikagentur Solea Management. Die von Romain Blondel 2005 gegründeten Agentur managt rund 20 Musiker, darunter den Pianisten Menahem Pressler, den Violinisten Daniel Hope, den Cellisten Jean-Guihen Queyras und den Flötisten Emmanuel Pahud. Cho, der derzeit in Paris studiert, wird mithilfe der dort ansässigen Agentur seine Aktivitäten in Europa ausweiten.

cho-Seong-Jin-Effekt? Es gibt verschiedene Ansichten darüber, wie sich Chos Erfolg beim Chopin-Wettbewerb auf den koreanischen Markt der klassischen Musik auswirken würde. Um die Zeit der Veröffentlichung der Live-Aufnahme von Chos Wettbewerbspräsentation kamen auch die neuen Alben der beiden populären jungen Pianisten Lim Donghyek und Kim Sunwook heraus. Die drei Alben bewirken einen Synergieeffekt, was die Verkaufszahlen weiter hoch hält. Wie lange der sog. „Cho-Seong-Jin-Effekt“ erhalten bleibt bzw. sich noch aus-

weitet, ist jedoch umstritten. Grundsätzlich ist der Binnenmarkt der koreanischen klassischen Musikindustrie zu klein. Außerdem gibt es nicht hinreichend genaue Statistiken über Umsätze je nach Kategorie, Konzertpublikum-Analysen etc., die für die Revitalisierung der Industrie notwendig sind. Um es mit den Worten eines jungen Musikers auszudrücken: „Am frustrierendsten finde ich, dass es in Korea nur Musikmacher gibt und sonst nichts; so gut wie keinen Markt, keine Medien, die sich adäquat der Musik annehmen, keine Verbraucher, keine Anbieter.“ Unabhängig davon, in welche Richtung sich die Industrie entwickelt, ist der Sieg des 22-Jährigen im Chopin-Wettbewerb an und für sich schon wertvoll, da dadurch noch mehr Menschen Koreas klassische Musikszene genauer und mit größerem Ernst betrachten. In einem Interview direkt nach dem Chopin-Wettbewerb bat der Reporter Cho, vor seinem Konzert im Februar einige Worte zu seinen Fans in Korea zu sagen. Cho antwortete darauf: „Ich mag es nicht, als ‚Idol‘ bezeichnet zu werden. Manche nennen mich auch ‚Chopin-Spezialist‘, aber Chopin ist für mich immer noch einer der Komponisten, bei dessen Werken es mir am meisten an Selbstvertrauen mangelt. Beethoven und Brahms komponierten in ihren späteren Jahren leichtere Stücke, sie scheinen mir die Dinge eins nach dem anderen losgeNach der Veröffentlichung des lassen zu haben. Das scheint auch Live-Mitschnitts von Cho Seong für das Leben zu gelten. Also sollte -Jins Präsentation auf dem 17. ich mir wohl an diesem Punkt meiInternationalen Chopin-Klavierwettbewerb (2015), herausgenes Lebens vieles zu eigen machen, geben von Deutsche Grammodamit es später etwas gibt, was ich phon, stürmte das Album die loslassen kann.“ Spitze der Klassik-Charts, die es immer noch hält.

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KuNSTKRITIK

Mok Soo-hyun Kunsthistorikerin Fotos Ahn Hong-beom

TRADITIONELLER ARCHITEKTONISCHER RAUM

©Leeum, Samsung Museum of Art

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INTERPRETATION VON SECHS FOTOGRAFEN Im Leeum, Samsung Museum of Art, fand vom 19. November 2015 bis zum 27. März 2016 die Ausstellung Hommage auf die koreanische Architektur: Weisheit der Erde (A Homage to Korean

Architecture: Wisdom of the Earth) statt. Sie stellte Architektur als Zusammentreffen von Natur und Mensch dar und zollte damit dem humanistischen geist der koreanischen Architektur Tribut.

1 Changdeokgung von Bae Bien-U. Das Foto zeigt den Blick vom Pavillon Yeonghwadang auf den hinteren Garten des Palastes Changdeok-gung. 2 Gyeongbokgung und die Straße der Sechs Ministerien. Modell im Maßstab 1:1200. Der Besucher kann den Hauptpalast des Joseon-Reiches und die Straßen in der Umgebung mit dem heutigen Erscheinungsbild der Gegend vergleichen. (Sammlung der Korea National University of Cultural Heritage)

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ie Gebäude des 2004 eröffneten Kunstmuseums Leeum, die von weltweit renommierten Architekten – dem Schweizer Mario Botta, dem Franzosen Jean Nouvel und dem Niederländer Rem Koolhaas – entworfen wurden, sind an sich bereits Kunstwerke. Die diesmalige Ausstellung über die traditionelle koreanische Architektur fand in der Sonderausstellungshalle statt, einer von Koolhaas konzipierten modernistischen Struktur mit einer hohen Decke. Im Vorfeld der Ausstellung stand eigentlich das Projekt, anlässlich des 50. Jubiläums der Samsung Kulturstiftung (Samsung Foundation of Culture) eine Bildband-Serie zur koreanischen Architektur herauszugeben: Dafür wählte ein Komitee aus Architekturhistorikern zehn repräsentative traditionelle Räume in Korea aus, die dann von sechs Fotografen aufgenommen wurden, um zehn Fotobände zu gestalten. Man fand es jedoch zu schade, dass die mit großer Sorgfalt gemachten Aufnahmen nur in Form von Büchern vorgestellt werden sollten, weshalb eine Ausstellung organisiert wurde, die die Bedeutung des Bildband-Projekts auf Kunstmuseum-Ebene zu einem weiterreichenden Diskurs erweitern sollte.

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Schlüsselwörter Himmel, Erde und Mensch Die Ausstellung gliederte sich in drei Teile. Je nach Art der Raumnutzung wurde die traditionelle koreanische Architektur in Orte für religiöse Rituale, Orte für die Umsetzung der Herrschaftsordnung sowie Orte des alltäglichen Lebens aufgeteilt, die durch Himmel Erde und Mensch symbolisiert wurden. Architektur wurde also zum Medium, um zu beleuchten, wie der Mensch mit dem Himmel kommuniziert, welche Ordnung er auf der Erde geschaffen hat und wie er in Harmonie mit anderen Menschen lebt. Der Teil „Himmel“ war betitelt mit „Land des Schweigens und der Erhabenheit“. Beleuchtet wurden die buddhistischen Tempel Haein-sa, Bulguk-sa, Tongdo-sa und Seonam-sa sowie der Königsschrein Jongmyo aus der Joseon-Zeit (1392-1910), in dem sich der Geist des Konfuzianismus manifestiert. Der Teil „Erde“, beschrieben mit dem Untertitel „Verwaltung der Standorte und Architektur der Ordnung“, präsentierte neben Aufnahmen von Seouls Festung Hanyangdoseong u.a. auch Fotos von zwei UNESCO-Welterbestätten: dem repräsentativen Joseon-Königspalast Changdeok-gung und der Festung Hwaseong in Suwon. Der Ausstellungsbereich „Mensch“ stand unter dem Untertitel „Räume des Lebens und 40 Koreana Frühjahr 2016

harmonischen Zusammenlebens“. Er gewährte einen Einblick in das Sippendorf Yangdong bei Gyeongju, in dem die seit dem 15. Jh tradierte Lebensweise der gelehrten Yangban-Oberschicht bis heute erhalten geblieben ist. Zu sehen waren auch Aufnahmen der Akademie Dosan Seowon, einer Bildungseinrichtung, die den Neokonfuzianismus, die Staatsideologie des Joseon-Reichs, propagierte, und des Gartens Soswaewon in Damyang, Provinz 1 Jeollanam-do, der als Inbegriff der traditionellen koreanischen 1 Yucheomdang , eine moderne Privatgarten-Architektur gilt. Reinterpretation des Raumkonzepts Eine Ausstellung zum Raum des Clan-Hauses Mucheomdang ist nicht einfach: weitläufiim Sippendorf Yangdong, bei der die traditionelle Holzstruktur durch ge architektonische Räume Stahlkonstruktionen ergänzt wurde. müssen in der AusstellungsVon der kleinen Veranda (1,8m x 1,8m) halle komprimiert präsentiert aus sind auf eine Leinwand projizierte Landschaften des Dorfes Yangdong werden, wobei dem Besucher zu sehen, was einen Eindruck davon nicht nur die dreidimensionavermittelt, wie man früher in traditiole räumliche Tiefe anhand von nellen Häusern die Landschaft in den Innenraum holte. zweidimensionalen Medien wie 2 Solemn Serenity, eine Drei-Kanal-ViFotos vermittelt werden muss, deoarbeit des Dokumentaristen Park Jong-woo. In dem durch schwarze sondern v.a. auch ein Gefühl Vorhänge abgedunkelten Vorführfür das Leben der Menschen, raum konnte der Besucher den die diese Bauwerke errichtet königlichen Ahnenschrein Jongmyo und seine Architektur sowie Riten und in ihnen gelebt haben. Zu und Ritualmusik zum Klang fallenden diesem Zweck wurden statt Regens erleben. schriftlicher Erklärungen die ausgewählten zehn architektonischen Räume zunächst in Form von an den Wänden arrangierten großformatigen Fotografien präsentiert, wodurch der Besucher direkter mit den Orten in Berührung kam. Für ein umfassenderes Verständnis und ein vertieftes Raumerlebnis sorgten verschiedene zusätzliche Installationen: facettenreich kombinierte 3D-Scan-Aufnahmen, 3D-Animationen über den Bauprozess, rekonstruierte Modelle aus der Vogelperspektive sowie relevante Relikte und Malereien. Das Werk Die nördliche Wand des Installationskünstlers Seo Do-ho, bei dem eine Seite eines traditionellen Hanok-Hauses durch eine Näharbeit reproduziert wurde, war eine moderne Interpretation der Hanok-Erinnerungen und Erlebnisse des Künstlers. Auswahl und Zusammenstellung der Exponate zeugten von Sensitivität und Umsicht der Kuratoren.


Begegnung von Architektur und Fotografie An diesem Projekt nahmen sechs Fotografen teil: Joo Myeongduck, Bae Bien-U, Koo Bohnchang, Kim Jae-gyeong, Seo Heunkang und Kim Do-kyun. Sie unterscheiden sich in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen wie Dokumentation, Kulturgüter, Landschaften usw. und decken darüber hinaus altersmäßig das breite Spektrum von den 40ern bis in die 70er ab. So war der Blickwinkel der Fotografen zwar vielseitig, die Ausstellung als Ganzes aber in sich schlüssig. Um eine ganzheitliche Perspektive bemüht, erfassten die Fotografen neben dem architektonischen Raum auch die umgebende Landschaft. Die Halle Janggyeongpan-jeon des Tempels Haeinsa, in der die 80.000 hölzernen Druckstöcke der Tripitaka Koreana, des buddhistischens Kanons aus dem 13. Jh, aufbewahrt werden, wurde durch die Augen des Fotografen Joo Myeong-duck vorgestellt. Seine Aufnahmen waren so fein, dass selbst jede einzelne Schneeflocke, die auf die Dächer der Tempelgebäude fiel, genau zu sehen war. Die Fotos, die im langsamen Tempo wechselten, gaben dem Besucher das Gefühl, sich gemächlichen Schrittes wandernd in der Tempelanlage umzuschauen. Zu sehen waren nicht nur die stationären Gebäude, sondern auch der Alltag der Askese praktizierenden Mönche, was den Tempel als von Leben erfüllte religiöse Stätte ins Bewusstsein brachte . Die Besucher hielten unwillkürlich vor Bae Bien-Us feierlichen Ernst ausstrahlendem, von einem länglichen Rahmen eingefassten Foto des Jongmyo-Schreins inne, das die Haupthalle und den mit Steinen ausgelegten, schneebedeckten Vorhof zeigt. Bei der Dokumentation Feierliche Stille (Solemn Serenity) des Dokumen-

taristen Park Jong-woo ist das Raumgefühl des Jongmyo-Schreins am ausgeprägtesten. Der kleine, durch einen Vorhang völlig abgedunkelte Vorführraum wurde auf drei Seiten von Aufnahmen des Jongmyo-Schreins erfüllt, die die Fünf-Minuten-Darbietung wie eine Ewigkeit anfühlen ließen. Die hauptsächlich in Schwarz-Weiß gehaltenen Aufnahmen gaben Monumentalität und Ritualität des Raums komprimiert wieder, indem sie die Architektur von Jongmyo, die Menschen, die die Schreinrituale durchführen, die Ritualmusik und den Klang des Regens synästhetisch festhielten. Seo Heun-kangs Bilder von Bulguk-sa zeigten nicht den heutzutage oft vor Touristen wimmelnden Tempel, sondern brachten die Würde zum Ausdruck, die dieser im 8. Jh errichtete Tempel einst ausgestrahlt haben muss. Nicht nur der Pagode Dabotap (Pagode der Vielen Schätze), den Steinbrücken Cheongun-gyo (Brücke der Blauen Wolken) und Baegun-gyo (Brücke der Weißen Wolken), dem Vorhof der Paradieshalle Geungnak-jeon, sondern auch Details wie den natürlichen Steinsockeln und dem Dancheong-Farbdekor wurde dabei Aufmerksamkeit geschenkt. Koo Bohn-chang fotografierte den Tempel Tongdo-sa in Yangsan, der sich im Tal einen Flusslauf entlang erstreckt und deshalb schwer als Ganzes mit der Kameralinse zu erfassen ist, aus der Perspektive des Kiefernwalds hinter dem Geumganggyedan (Altar der diamantgleichen Gebote), dem Herzstück des Tempels. Soswaewon, ein Garten in Damyang, der unter Einbeziehung eines natürlichen Wasserlaufs erbaut wurde, bringt das koreanische Konzept von Natur und Architektur besonders gut zum Ausdruck. Koo zeigte die umgebende Landschaft, die vom Pavillon des Gartens aus zu sehen ist, und machte dadurch nicht auf die Architektur selbst, sondern eher auf die

©Leeum, Samsung Museum of Art

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Architektur „in“ der Natur aufmerksam. Ein weiteres Beispiel dafür ist der Palast Changdeok-gung, der eine unkonventionelle räumliche Anordnung aufweist. All diese Exponate demonstrierten, wie die koreanische Architektur den Standort eines Bauwerks interpretiert und mit der Natur kommuniziert. Während die chinesische Architektur, Wert auf Größe und Monumentalität legte, achtete die koreanische Architektur mehr auf die Verbindung, in der die einzelnen Räume zueinander stehen, als auf deren Form oder Größe. Hierin liegt das koreanische Konzept von Architektur und Natur.

Konvergenz von alter Kunst und digitaler Technologie Die traditionellen Gemälde, alten Karten und architekturbezogenen Kunsthandwerksstücke, die gezielt und themengerecht die Bildexponate ergänzten, erweiterten die jeweiligen architektonischen Räume und boten einen vertiefenden Einblick. Der Bildband Sukcheonjeado (Illustrationen meiner Arbeitsplätze) ist eine illustrierte Dokumentation von Regierungsbehörden, in denen ein koreanischer Hofeamter im 19. Jh in seinen 42 Dienstjahren arbeitete. Diese Leihgabe der amerikanischen Harvard-Yenching-Bibliothek wurde dem koreanischen Publikum zum ersten Mal vorgestellt. Gyeonggigamyeongo (Blick auf die Verwaltungsbehörde der Provinz Gyeonggi-do) ist eine Illustration auf einer 12-teiligen Faltwand, die den Zug des Gouverneurs der Provinz Gyeonggi-do vom Westtor der Hauptstadt in Richtung seines Amtssitzes zeigt. Die einzelnen Szenen bieten lebendige Darstellungen des Alltagslebens und der Gebäude des 19. Jhs. Die sog. „digitale Lupe“, die es ermöglichte, mittels digitaler Bildschirme Detailausschnitte zu vergrößern, bot einen noch genaueren Blick auf Bauten und Personen. Digitale Technologien wurden ebenfalls eingesetzt, um visuelle Rekonstruktionen und Detailansichten einer goldbronzenen Pagode zu schaffen. Diese Miniaturpagode aus der Goryeo-Zeit, die sich im Besitz des Leeum befindet, ist lediglich 155cm hoch. Das Artefakt besteht aus fünf Stockwerken, doch Forschungen zufolge soll es einst neunstöckig gewesen sein. Dementsprechend wurde die Pagode mit neun Stockwerken digital rekonstruiert. Die einzelnen Strukturelemente wie Spitze, Dach und Geländer sind ebenso deutlich zu sehen wie feinere Details wie die kleine Windglocke am Dachvorsprung oder die auf den Körper eingravierten Buddha-Figuren. Insgesamt wurden bei der Ausstellung eher Videos als wörtliche Erklärungen eingesetzt. Die 3D-Animation über den Bau der Seokguram-Grotte in Gyeongju, die 2013 auf der 42 Koreana Frühjahr 2016

Sonderausstellung Silla: Korea's Golden Kingdom im New Yorker Metropolitan Museum of Art zu sehen war, demonstriert, wie die Grotte aus dem 8. Jh ihre vollkommene Form erreichen konnte. Die 3D-Animationen über den Bau des Paldal-mun, eins der Tore der Festung Hwaseong in Suwon, und über die Anlage des Gartens Soswaewon, die den Prozess von der Grundsteinlegung bis hin zum Aufhängen der Schrifttafel des Pavillons Gwangpunggak veranschaulichten, erleichterten den Besuchern das Verständnis der Struktur einer Holzbaukonstruktion, indem sie simulierten, wie auf den Grundsteine zunächst die Säulen, darüber die Balken und schließlich die Dachkonstruktion angebracht wurden.

Koreas Architektur einst und heute Trotz der räumlichen Beschränkungen waren auch lebensgroße Repliken architektonischer Elemente zu sehen. Im Eingangsbereich der Ausstellung stand z.B. eine Entasis-Säule von Muryangsu-jeon, der Haupthalle des Tempels Buseok-sa, die zu den ältesten und schönsten Exemplaren ihrer Art gehört. Die Säule weist am oberen Ende verzahnte Streben zum Stützen der Last der Dachtraufe auf. Sie vermitteln die Wärme des Baumaterials Holz und zeigen sowohl die Stützkraft als auch die Weichheit der Säule, die sich aus den geschwungenen Linien ergibt. Im letz1 Die nördliche Wand von Suh Do-ho ten Bereich der Ausstellung ist eine elaborierte Textil-Installation, die ein Hanok-Haus mit traditionelwar die Installation Yucheomlem Dach und renoviert mit moderdang (Haus des Hinzugefügnen Ziegeln, Fenstern und Türen ten) als moderne Interpretatizeigt. 2 Die Dächer von Sudara-jang und on von Mucheomdang (Haus Beopbo-jeon von Joo Myung-duck. des Nichts-Hinzugefügten) zu Unter den Dächern dieser beiden Gesehen, eines der repräsentabäude des Tempels Haein-sa werden seit über 600 Jahren die hölzernen tiven Gebäude im Dorf YangDruckstöcke des als UNESCO-Weldong. Das Exponat ist ein Werk terbe gelisteten buddhistischen Kanons Tripitaka Koreana gelagert. von Kim Bong-ryol, Historiker der traditionellen Architektur und Leiter der Korea National University of Arts, der die erste Silbe „mu“ in „Mucheomdang“ für „nicht vorhanden sein“ durch „yu“ für „vorhanden sein“ austauschte. Durch diese humorvolle Wortspielerei ergab sich der Werktitel „Yucheomdang“ mit der neuen Bedeutung „Hinzugefügtes ist vorhanden“, was ausdrückte, dass dem traditionellen Raum die moderne Sichtweise hinzugefügt wurde. Der auf traditionelle Art erbaute Holzpavillon 1 wurde mit einem in moderner


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Simplizität mit Stahlteilen konstruiertem Raum kombiniert, was für die Einheit von Tradition und Moderne sowie für die Vereinigung der beiden Hauptclans im Sippendorf Yangdong steht. Die Bedeutung des Bauwerks ergab sich aber vor allem daraus, dass die Besucher es barfuβ betreten und erleben konnten. Der Pavillon mit seinen hölzernem Fußbodenplanken erlaubte die visuelle und taktile Wahrnehmung eines Hanok-Hauses, während der Besucher im Zimmer sitzend durch eine fensterartige Öffnung auf Augenhöhe eine Diaschau mit Landschaften des Dorfes Yangdong sehen konnte. An der Stelle, von der aus die schönste Landschaft zu genießen war, war in Hanok-Häusern ein Fenster angebracht, das die Landschaft einem eingerahmten Bild gleich ins Zimmer holte, was den Besuchern das Naturkonzept der alten Koreaner, die auf diese Weise mit der Natur kommunizierten, vermittelte. Seit seiner Eröffnung hat das Leeum drei bis vier Sonderausstellungen pro Jahr veranstaltet: Zum einen Ausstellungen von traditionellen Gemälden und kunsthandwerklichen Artefakten aus Museumsbesitz, die z.B. in Die Hofmaler von Joseon (2011-2012) oder Exquisit und wertvoll: Die Pracht der koreanischen Kunst (2015) zu sehen waren, zum anderen Ausstellungen über moderne Künstler wie Andy Warhol Factory (2007) oder Anish Kapoor (20122013). Hommage auf die koreanische Architektur: Weisheit der Erde war die erste Ausstellung zum Thema Architektur. Der stell-

vertretende Museumsdirektor Lee Joon versicherte, dass es die erste Ausstellung war, die im wahrsten Sinne durch „Konvergenz von Vergangenheit und Gegenwart, von Kunstgeschichte und Architektur, sowie von Technologie und Geisteswissenschaft“ zustande gebracht wurde. Über 70 Prozent des Lebensraums der Koreaner ist heutzutage urbanisiert. Nicht nur ausländische Touristen, sondern auch junge Koreaner betrachten die traditionelle Architektur nicht mehr als Bestandteil ihres Lebensraums, sondern als etwas, das man auf der Reise besichtigt. Doch ob es ihnen bewusst ist oder nicht: Die Raum-Erfahrungen, die sie beim Heranwachsen in Korea gesammelt haben, sind nicht völlig verschwunden. Die Koreaner sind sich nach wie vor der Bedeutung eines anheimelnd von Bergen umrahmten Standortes bewusst, prüfen, ob ihr Wohnraum nach Süden ausgerichtet ist oder nicht, und mögen Fenster, die frische Brisen und Sternenlicht hineinlassen. Für sie ist es immer noch selbstverständlich, vor dem Betreten des Wohnraums die Schuhe auszuziehen, und sie hegen eine nostalgische Sehnsucht nach warmen Fußböden und papierbeklebten Fenstern, die Licht und Geräusche durchlassen. Falls die Besucher der Absicht der Kuratoren entsprechend diese „koreanischen Architektur-DNA“ zu spüren vermochten, dann war die Ausstellung ein Erfolg.

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gEScHIcHTEN AuS ZWEI KOREAS

TRAuM VON EINER gRENZFREIEN KOREANIScHEN HALBINSEL Kim Hak-soon Journalist, Gastprofessor, Korea University

Mehr als 28.000 nordkoreanische Flüchtlinge haben auf der Suche nach Freiheit oder auf der Flucht vor dem Hunger ihre Heimat verlassen und sich in Südkorea angesiedelt. darunter sind auch einige Maler. Während sie aufgrund des fortwährenden Konflikts zwischen Nord- und Südkorea ein Leben im Abseits führen, bringen sie durch ihre Werke Erinnerungen an ihre Heimatorte im Norden und den Wunsch nach Wiedervereinigung zum Ausdruck. 44 Koreana Frühjahr 2016


uf den ersten Blick scheinen viele Werke der aus Nordkorea geflüchteten Künstler propagandistische Botschaften zu enthalten, auch wenn diese etwas anderes implizieren, als es in Nordkorea der Fall sein würde. Tatsächlich musste Sun Mu (geb. 1972), ein aus Nordkorea geflüchteter Maler, die Folgen einer solch missverständlichen Interpretation seiner Kunst erfahren: Einmal hatte er sich auf der Polizeiwache einer Befragung zu unterziehen. Das war 2007 während seiner ersten Ausstellung in Südkorea, die er in einer Galerie im Seouler Innenstadtbezirk Jongno-gu hielt. Eines Tages platzte ein Polizist herein und sagte: „Kommen Sie bitte kurz mit. Wir hätten da ein paar Fragen.“ Später stellte sich heraus, dass einige Anwohner und Besucher ihn wegen „Ausstellung von Bildern, die Nordkorea nur loben“ angezeigt hatten – ein Verstoß gegen das Nationale Sicherheitsgesetz Südkoreas. Als er 2008 an der Busan Biennale teilnahm, wurden seine Werke entfernt, weil unter ihnen ein Porträt von Kim Il-sung war. Ähnliches erlebte auch der Maler Song Byeok (geb. 1969), der ebenfalls aus Nordkorea geflohen ist. Ältere Anwohner entdeckten in Songs Atelier in einem Einkaufskomplex im wohlhabenden Seouler Südviertel Gangnam Porträts der nordkoreanischen Staatsführer Kim Jong-il und Kim Jong-un und zeigten ihn an, was einen Besuch des südkoreanischen Geheimdienstes zur Folge hatte.

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Keine Linien, keine grenzen Sun Mu, der 1998 Nordkorea verließ und nach einigem Herumstreifen in China, Thailand und Laos schließlich 2002 Südkorea erreichte, gilt als „aus Nordkorea geflüchteter Maler Nr. 1“. Doch anders als andere floh er nicht geplant und aus Abneigung gegen das Regime. Als Kind war er im Jugendverband und dank seines dreijährigen Studiums an einer Kunsthochschule konnte er während seines Wehrdienstes als Propagandamaler arbeiten. Zur Flucht kam es per Zufall: Um sich über Wasser halten zu können, war er vorübergehend nach China gegangen, um dort mit allen möglichen Jobs etwas Geld zu verdienen. Gerade zu dieser Zeit standen Wahlen in Nordkorea an. Jeder Nordkoreaner ist zum Urnengang verpflichtet und jeder, der diese Pflicht verletzt, wird als politischer Verbrecher angesehen und zur Strafe in ein Arbeitslager geschickt. Sun Mu, der keine Möglichkeit sah, es noch rechtzeitig bis zum Wahltag nach Hause in die Provinz Hwanghae-do, eine Region weit ab von der nordkoreanisch-chinesischen Grenze, zu schaffen, beschloss, Nordkorea für immer zu ver-

2 1 Zieh deine Kleider aus von Sun Mu, 2015, Öl auf Leinwand, 130cm x 190cm. 2 Selbstporträt von Sun Mu, 2009, Öl auf Leinwand, 100cm x 40cm Auf dem Gemälde ist zu lesen: „Jetzt bin ich schon rund zehn10 Jahre weg von dir. Ich frage mich, wann deine Tür geöffnet wird.“

lassen. Bis zu einem gewissen Grade dürfte auch das bessere Leben in Südkorea, über das er in China etwas erfahren hatte, zu dieser Entscheidung beigetragen haben. In Seoul schrieb er sich an der Kunsthochschule der Hongik University ein, wo er einen Master-Abschluss machte und professioneller Maler wurde. Er begann den Künstlernamen „Sun Mu“ („Keine Linie“) zu benutzen, ein Ausdruck seiner Hoffnung, dass die Grenze zwischen Nord- und Südkorea eines Tages verschwinden würde. Aus Sorge, dass seine noch in Nordkorea lebenden Familienmitglieder und Verwandten seinetwegen leiden könnten, gibt er bis heute seinen wirklichen Namen nicht preis und verbirgt in der Öffentlichkeit sein Gesicht hinter Schirmmütze und Sonnenbrille. Sun Mus Werke zeichnen sich v.a. durch schneidende Kritik an der nordkoreanischen Führung und dem sozialistischen System des Landes aus. Scheinbar heiter und fröhlich in einem Pop-Art-Stil, der von der nordkoreanischen Propagandakunst beeinflusst ist, sind seine Bilder auf indirekte – und vernichtende – Weise subversiv, wie z.B. an Kim Jong-il in

Adidas und Jesus in Korea zu sehen ist. Sun Mus paradoxe Darstellung der nordkoreanischen Realität hat auch die Aufmerksamkeit der internationalen Kunstwelt erregt. Bislang hat er zweimal in New York, zweimal in Berlin und jeweils einmal in Jerusalem, Oslo und Melbourne ausgestellt. 2016 wird er an einer Gruppenausstellung in Frankreich teilnehmen. Die westlichen Medien haben Sun Mu den Beinamen „Maler ohne Gesicht“ gegeben und zollen seinen Werken Beachtung: Es sind Arbeiten, die die nordkoreanischen Führer verspotten, die Sun Mu als Götter zu verehren erzogen worden war.

doku I am Sun Mu In vielen von Sun Mus jüngsten Werken sind Szenen des Lebens in Nord und KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 45


Süd, Menschen, Dinge oder Ereignisse als Parallelen Seite an Seite festgehalten. Damit drückt er seinen unerschütterlichen Wunsch nach Frieden, Versöhnung und Koexistenz aus. Er versucht, die speziellen Gegebenheiten der Teilung und die Realität Nordkoreas durch die Linse der künstlerischen Hinterfragung zu betrachten, wobei er von politischer Propaganda Abstand hält. Er möchte nicht noch einmal der Ideologie zum Opfer fallen, sagt er. Um die Werke von Sun Mu zu verstehen, muss man über simplifizierende Interpretationen hinausgehen. Denn er brachte seine Erfahrungen und Emotionen auf die Leinwand, während er eine ideologische Verwirrung zwischen zwei völlig unterschiedlichen politischen Systemen durchmachte. Obwohl er jetzt schon seit 14 Jahren in Südkorea lebt, ist die Anpassung an das andere Umfeld für ihn immer noch nicht leicht. Oft passiert es, dass er im Traum noch im Norden lebt, um dann aufzuwachen, und sich, zurück in der Realität seines Lebens in Südkorea, verloren zu fühlen. Der Dokumentarfilm I Am Sun Mu, der das 7. Internationale DMZ-Dokumentarfilmfestival im September 2015 eröffnete, lässt den Künstler mit einem Blick erfassen. Die 87-minütige Doku des amerikanischen Regisseurs Adam Sjöberg (geb. 1985) wirft Licht auf Leben und Kunstwelt von Sun Mu und zeigt auf, was er durch seine Kunst zu bewirken erhofft. Der Film beschreibt, wie seine Soloausstellung in Peking im Jahr 2014 im letzten Moment ins Wasser fiel. Am Tag der Eröffnung versperrten Polizeibeamte den Eingang zur Galerie in der Pekinger Innenstadt. Ein großes Werbeplakat und alle Exponate wurden entfernt und beschlagnahmt. Die Bilder befinden sich heute immer noch in Peking. Mit seinen Werken, die hauptsächlich in Rot, Weiß und Blau, den Farben der Nationalflaggen der Teilnehmerländer der festgefahrenen Sechser-Gespräche über das nordkoreanische Atomprogramm, gehalten waren, wollte Sun Mu den Wunsch des koreanischen Volkes nach Wiedervereinigung vermitteln. „Aus Sicherheitsgründen wollte ich sowieso nicht zur Eröffnung gehen. Als meine Ausstellung dann abgesagt wurde, hatte ich wirklich Angst, nach Nordkorea verschleppt zu werden und meine Frau und meine beiden Töchter zurücklassen zu müssen.“ Die Augen dieses im Abseits lebenden Künstlers sind stets auf eine offene Welt gerichtet: „Als ich wegen meiner Ausstellung in New York war, wurde mir nochmals bewusst, dass es auf der Welt nicht nur Nord- und Südkorea gibt, sondern auch Länder im Nahen Osten, in Afrika, Lateinamerika und Europa. Ich möchte Werke über das Leben der Menschen dort schaffen.“

Zieh deine Kleider aus Auch die Werke des Pop-Künstlers Song Byeok kritisieren und satirisieren das politische System Nordkoreas. Wie Sun Mu stammt auch er aus der Provinz Hwanghae-do und benutzt mit „Song Byeok“ ebenfalls ein Alias. Doch anders als Sun Mu engagiert sich Song Byeok in der Öffentlichkeit, sodass sein Gesicht

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relativ bekannt ist. Zu seinen repräsentativen Werken gehört die Verfremdung des berühmten Posters zum Film Das verflixte 7. Jahr: Das Gesicht von Marilyn Monroe, die ihr vom Wind aus dem U-Bahn-Schacht hochgewehtes Kleid festhält, wurde dabei gegen das von Kim Jong-il ausgetauscht. Der Titel von Song Byeoks Werk – Zieh deine Kleider aus – ist eine Aufforderung an Nordkorea, sich nach außen zu öffnen. In Songs Arbeiten erscheinen oft Tauben und Schmetterlinge, die seinen Worten nach „den Traum von Freiheit, der tief in den Herzen der Nordkoreaner verborgen schlummert“ symbolisieren. Song Byeok hatte in Nordkorea sieben Jahre lang Propagandaplakate gemalt, bevor er flüchtete, um dem Hunger zu entkommen. Sein erster Fluchtversuch im August 2000 missglückte. Sein Vater, der ihn begleitete, ertrank in der reißenden Strömung des in der Regenzeit angeschwollenen Flusses Tumen, während Song selbst von der Grenzpolizei verhaftet wurde. Im Gefängnis musste er Zwangsarbeit leisten und verlor dabei das oberste Glied seines rechten Zeigefingers, der für einen Maler lebenswichtig ist. Nach seiner Freilassung

Um die Werke des Künstlers Sun Mu zu verstehen, muss man über simplifizierende Interpretationen hinausgehen. Obwohl er jetzt schon seit 14 Jahren in Südkorea lebt, ist die Anpassung an das andere Umfeld für ihn immer noch nicht leicht. Oft passiert es, dass er im Traum noch im Norden lebt, um dann aufzuwachen, und sich, zurück in der Realität seines Lebens in Südkorea, verloren zu fühlen. 46 Koreana Frühjahr 2016


wagte er 2001 erneut die Flucht. 2002 kam er über China nach Südkorea. 2005 erreichte ihn die traurige Nachricht vom Tode seiner Mutter. Zwei Jahre später verhalf er seiner jüngsten Schwester zur Flucht. Nach Abschluss seines Kunstpädagogik-Studiums am College of Education der Kongju National University im Jahr 2007 schrieb er sich für den Master-Studiengang in Asiatischer Malerei an der Hongik University ein. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, übernahm er allerlei Handlanger-Arbeiten. 2011 hielt er im Seouler Viertel Insa-dong seine erste Solo-Ausstellung unter dem Titel Ewige Flucht, ewige Freiheit und eröffnete danach allein in den USA drei Ausstellungen. Die 2012 in Washington veranstaltete Ausstellung wurde von einer Reihe prominenter Persönlichkeiten besucht, darunter Robert King, US-Gesandter für Menschenrechtsangelegenheiten in Nordkorea, und Kathleen Stephens, ehemalige US-Botschafterin in Südkorea. Auch wichtige internationale Medien wie CNN, BBC und NHK berichteten darüber. In den USA wurde Song sogar von Universitäten im ganzen Land zu Gastvorträgen eingeladen. Im Oktober 2015 veranstaltete er anlässlich des 25. Jahrestages der Deutschen Einheit in Frankfurt eine Ausstellung, auf der u.a. Werke wie Kim Jong-un und Marilyn Monroe die Aufmerksamkeit der Medien erregte. Für September 2016 ist eine Ausstellung an der ehemaligen innerdeutschen Grenze geplant. Song Byeok sagt, dass er mehr sein möchte als nur ein auf Nordkorea spezialisierter Künstler. Er möchte nicht nur den Nordkoreanern, sondern allen Menschen der Welt, die unter Hunger und Unterdrückung leiden, durch seine Kunst Hoffnung und Frieden schenken. Folgende handschriftliche Notiz auf dem Tisch in seinem Atelier zieht die Aufmerksamkeit auf sich: „Unterwirf dich nicht der Realität; fordere die Welt heraus und gehe deinen eigenen Weg, beständig und ohne stehen zu bleiben“.

Ministerium für die Streitkräfte des Volkes und als Hochschul-Professor aktiv. Seine erste Soloausstellung mit 70 Werken, die die natürlichen Landschaften von Südund Nordkorea zeigen, fand im Februar 2010 in Insa-dong 2 in Seoul statt. Kang verstarb 1 Auf dem Platz von Sun Mu, 2015, Öl auf Leinwand, jedoch bereits einen Monat 160cm x 130 cm später im Alter von nur 57 Jah2 Song Byeok bei der Arbeit in seinem Studio. ren an Leberkrebs. Auch noch 3 Von Freiheit träumen von Song Byeok, 2013, Acrylfarbe auf dickem Reispapier, 82cm x 110cm während der Chemotherapie hatte er Tag und Nacht an den Gemälden für seine Ausstellung gearbeitet. Immer wieder sagte er mit Bedauern: „Ich möchte mich zwar voll und ganz der Kunst widmen, bis unsere Nation endlich wieder vereint ist, aber mein Körper macht nicht mit.“ „In den 1970er und 80er Jahren, als ich meine Karriere als Künstler begann, war die Wirtschaftslage im Norden noch gut. Ich wurde gut bezahlt und das Leben war nicht so hart. Aber es gab keine Freiheit. Für einen Künstler ist das Fehlen der kreativen Freiheit ungeheuer schmerzhaft.“ Das Thema seiner ersten und zugleich letzten Ausstellung war „Auf der Suche nach der ersehnten Freiheit“. Sein Ölgemälde Die Wellen der Freiheit bezeugt, wie innig Kang die Freiheit ersehnte. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen des Nordens musste er eine ganze Zeit unter dem Decknamen „Kang Ho“ leben. Kangs Worte spiegeln seinen innigen Wunsch nach der Wiedervereinigung Koreas wider: „Kultur und Kunst sind Bereiche, in denen der Norden und der Süden über die Ideologien hinaus eins werden können. Wenn Nord- und Südkorea mithilfe der Kunst nach Gemeinsamkeiten suchen und sich auf dieser Grundlage annähern, dann, denke ich, wird der Tag der friedlichen Wiedervereinigung ein Stück näher rücken.“

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durch die Kunst zueinander finden Kang Jin-myung (1953-2010), der älteste unter den nach Süden geflüchteten nordkoreanischen Malern, war bereits schwer krank, als er zehn Jahre nach seiner 1999 begonnen Odysee endlich in Südkorea ankam. Auch er hatte im Norden propagandistische Bilder gemalt, bevor er nach Qingdao in China floh, wo er als koreanischstämmiger Chinese getarnt in einer von einem Koreaner geführten Accessoire-Fabrik arbeitete. Als Maler gehörte er zur Elite seiner Zunft: Nach dem Kunststudium in Pjöngjang war er als Künstler für das KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 47


uNTERWEgS

© Korea National Park Service / Jirisan National Park

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haMyanG unD sancheonG

gwak Jae-gu Dichter Fotos Ahn Hong-beom

Konfuzianische GelehrTenDörfer, erfüllT voM DufT Der frühlinGsberGe unter den verschiedenen Kreisen in der Jirisan-gebirgsregion sind die Kreise Hamyang-gun und Sancheong-gun durch Wanderwege miteinander verbunden. Es sind anheimelnde und reizvolle Reiseziele mit einladenden Bergen und Ebenen. Beim Wandern scheinen in den Frühlingsdüften die Spuren der alten konfuzianischen gelehrten mitzuschwingen.

Das Gebirge Jiri-san, das sich durch die drei Provinzen Jeollanam-do, Jeollabuk-do und Gyeongsangnam-do zieht, wurde 1967 wegen seiner landschaftlichen Schönheit und seiner vielen Stätten von historischem und kulturellem Wert sowie seines volkskundlichen Erbes zum ersten Nationalpark Koreas bestimmt. Nogodan in Gurye, Jeollanam-do, einer der vielen Gipfel des Gebirges, wird jeden Mai von einem Meer Rhododendronblüten geschmückt.

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s gibt zwei Gerüche, die ich in meinem Leben immer besonders gemocht habe: den Geruch der Milch meiner Mutter und den der Berge im Frühling. Ehrlich gesagt, habe ich keine Erinnerungen mehr an den Geruch der Milch meiner Mutter. Da seit dieser Zeit über 60 Jahre vergangen sind, bleibt dieser Geruch für mich lediglich als Vorstellung. Aber trotzdem ist eine der schönsten Szenen, die ich in meinem Leben erblickt habe, die einer stillenden Mutter. Rund sechs Mal habe ich Trekkingtouren im Himalaya gemacht, aber es war nicht das mystische Panorama der verschneiten Berge, das mein Herz bewegte, sondern der Anblick stillender Frauen in den Hochgebirgsdörfern. Der Blick eines Fremden machte sie nicht verlegen. Als sich unsere Blicke trafen, lächelten sie mich strahlend an und grüßten mit „Namaste“. Sie betrachten einen Ortsfremden nämlich durch die Augen einer Mutter.

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Erinnerungen an Jiri-san Auf meinem Weg von Namwon über den Jeongnyeongchi-Pass im Jirisan-Gebirge ins Dorf Unbongeup trank ich fortwährend den Duft der Berge. Ich liebe den Duft der Berge, der zu Frühlingsbeginn durchs Autofenster dringt. Er erinnert an den Geruch von Büchern in den Regalen alter Archive oder an den Entwurf eines Gedichts, das ich über Nacht geschrieben habe. Der Duft der Frühlingsberge, der den alten Holzbänken am Bahnsteig, dem Pfeifsignal des Fernverkehrszugs und sogar den Rücken der Menschen, die am Bahnsteig stehend Instantnudeln essen, anhaftet,

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ist nicht opulent, sondern still. Ein Berg fordert auch nie: „Lies meine Träume“. Er steht einfach schweigend an ein und derselben Stelle und wartet auf das nächste Kapitel der sich bald ändernden Landschaft. Den Frühlingsbergen entströmt ein Geruch, der selbst dem Körper eines Globetrotters nicht eigen ist. Der Wagen fährt in aller Ruhe durch diesen Geruch. Vor langer Zeit ging ich einmal auf eine Trekkingtour ins Jirisan-Gebirge und kam dabei durchs Baengmudong-Tal. Ich hatte jemanden, der mit mir ging. Im Leben gibt es schicksalhafte Momente, die man schlecht einfach Zufallsglück nennen kann. Es war einer dieser Momente. Nur die Götter werden wissen, warum diese Person sich auf eine Trekkingtour mit mir eingelassen hatte. Auf dem Weg aßen wir in einem kleinen Dorf zu Mittag. Der Wirt brachte uns Kimchi, das geheimnisvoll roch. Es war ein völlig neuer Geruch, der an Jasminblüten erinnerte, aber dann auch wieder an Lavendel. Der Wirt erklärte, es sei der Geruch von „Jenpi“. Ich hatte also gerade ein fremdes Gewürz gekostet und ich mochte den neuen Geruch. Im Nachschlagewerk fand ich das am Fuße des Jiri-san als „Jenpi“ bezeichnete Gewächs als „Chopi“ wieder, zu Deutsch „Szechuanpfeffer“ (Zanthoxylum piperitum). Der Wirt, der sah, mit welchem Genuss ich sein mit Szechuanpfeffer gewürztes Kimchi aß, fügte noch hinzu: „Auch wenn es wärmer geworden ist, wird es oben auf der Bergspitze noch kalt sein. Nehmen Sie lieber ein Bündel Reisstroh mit.“ Er hatte noch Reisstroh vom Dreschen im Herbst. Ich folgte seinen Worten, packte etwas naiv einen Haufen Reisstroh – es

1 Der Tempel Daeowon-sa, einer der unzähligen alten Tempel im Jirisan-Gebirge, befindet sich an den östlichen Berghängen im Kreis Sancheong, Provinz Jeollanam-do. Passiert man den Pavillon, an dem die volle Bezeichnung des Tempels, i.e. Bangjeongsan Daeowon-sa, zu lesen ist, erreicht man den Kern der Tempelanlage. Der Fluss, der sich vom Parkplatz aus am Haupttor vorbei zum Pavillon schlängelt, gilt als einer der landesweit besten Orte zum Verweilen und die Füße ins Wasser baumeln zu lassen. Der Daewon-sa ist zudem einer der größten, nur von Bhikkhuni (weibliche Mönche) bewohnten Tempel des Landes. 2 Die Reisfeld-Terrassen des Dorfes Macheon in Hamyang wurden von dem amerikanischen TV-Sender CNN zu den TOP-50-Reisezielen in Korea gewählt.


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dürften mehr als 10kg gewesen sein – auf meinen Rucksack und machte mich auf den Weg Richtung Bergspitze. Am Campingplatz angekommen, bedeckten wir, wie uns geraten, den Boden mit Reisstroh. Und als wir uns dann hinlegten, spürten wir, wie angenehm weich es war. Zugedeckt mit zwei Decken lagen wir im Licht der Wärme spendenden Lampe auf dem Stroh. Am Morgen entdeckten wir, dass das Zelt weiß von Raureif überzogen war. In dieser Nacht im Zelt küssten wir uns zum ersten Mal. Als wir aus den Bergen kamen, heirateten wir und bekamen schließlich zwei Kinder.

Von Menschenhand angelegter, tausendjähriger Wald Der Wagen tastet sich durchs Gebirge nach Hamyanggun. Hamyang, auf Chinesisch Xianyang, ist auch der

Name der Hauptstadt des ersten, unter Kaiser Qin Shihuangdi (259-210 v. Chr.) vereinten chinesischen Reiches. Warum hat man diesem Bergdorf, in dem sogar die Wolken Rast machen könnten, einen solchen Namen gegeben? Die ideographischen chinesischen Schriftzeichen geben Aufklärung: „Mögen alle Menschen (Ham;咸) im Schein der warmen Sonne (Yang; 陽) leben.“ Meine Schritte führen mich zum Wald Sangnim. Sangnim ist ein Wald, der vor über 1.100 Jahren während der Herrschaft der Silla-Königin Jinseong (reg. 887-897) von dem Gelehrten Choe Chi-won (857-?) angelegt wurde. Es ist der älteste, von Menschenhand angepflanzte Wald in Korea. Mit 11 Jahren ging Choe zum Studium nach Tang-China, bestand das Staatsexamen mit 17 Jahren und kehrte im Alter von 28 Jahren ins damalige Silla-Reich zurück. Er meldete sich KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 51


Läuft man den nach Jeongs Beinamen „Ildu“ benannten Spazierweg hoch, hat man vom Hügel aus einen Blick über die ganze Dorflandschaft. Zwischen den Ästen der alten Kiefern sind die ordentlichen und gepflegten Hanok-Häuser mit ihren Ziegeldächern zu sehen. Von einigen Häusern am Bach steigt Rauch auf, ein Zeichen für die Zubereitung des Abendessens. freiwillig für eine Beamtenstelle auf dem Lande und erhielt den Posten des Gouverneurs von Hamyang. Als er sah, wie sehr die Menschen dort unter Wasserkatastrophen litten, soll er diesen Wald zum Schutz vor Hochwasser und Überschwemmungen angepflanzt haben. Am Eingang des Waldes stehen zwei miteinander verwachsene Bäume, um die sich eine schöne Legende rankt. Seit jeher wurden solche Bäume als gutes Omen für das Schicksal der Nation betrachtet. Bei besagten Bäumen sind die Stämme zweier unterschiedlicher Baumarten, nämlich einer Japanischen Zelkove und einer Tschonoskis Hainbuche, zusammengewachsen, sodass sie die Blicke der Vorbeigehenden auf sich ziehen. Um die Zeit, als Choe den Wald anlegte, soll ein junger Mann, der auf der anderen Flussseite wohnte, sich in eine junge Frau, die innerhalb der Festung

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von Hamyang lebte, verliebt und deshalb jeden Tag den Fluss überquert haben. Als Choe davon hörte, ließ er im Flussbett Trittsteine verlegen. Im Laufe der Zeit verschwanden diese Trittsteine und wurden von den Bewohnern von Hamyang durch eine Brücke namens Cheonnyeon–gyo („Tausend-Jahre-Brücke“) ersetzt. Die Hamyanger nennen die verwachsenen Bäume „Liebesbäume“. Der Legende nach soll die Liebe eines Paares, das gemeinsam darunter vorbeigeht, in Erfüllung gehen. Der Sangnim-Wald, der auf einer Fläche von über 200.000m2 rund 120 Pflanzenarten, darunter ca. 20.000 Laubbäume, beherbergt, wurde zum Naturdenkmal Nr. 154 designiert.

Landschaftliche Reize des Hanok-dorfs gaepyeong Seit der Joseon-Zeit (1392-1910) sagten die Bewohner


1 Die erhöhte Veranda im Alten Haus von Jeong Yeo-chang in Hamyang, Provinz Gyeongsangnam-do. Oberhalb der klassischen Holzbrüstung ist das Eingangstor des Hanok-Anwesens zu sehen. 2 Nongwoljeong in Damyang. Der Name bedeutet „den Mond verspotten“ und bezieht sich auf den herrlichen Anblick des Monds, der sich im Wasser auf den Felsen spiegelt.

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von Hamyang gern „Links Andong, rechts Hamyang“. Damit wollten sie wahrscheinlich stolz hervorheben, dass Hamyang und Andong Orte sind, die den Seonbi-Geist, den Geist der konfuzianischen Gelehrten der Joseon-Zeit, repräsentieren. Tatsächlich finden sich in Hamyang Spuren von Leben und Gelehrsamkeit von Seonbi, deren Namen den Koreanern bis heute ein Begriff sind, darunter Choe Chi-won (Beiname: Goun), Kim Jong-jik (1431-1492; Beiname: Jeompiljae), Jeong Yeo-chang (1450-1504; Beiname: Ildu) und Park Ji-won (1737-1805; Beiname: Yeonam). Ich kam nach Gaepyeong, ein Dorf mit traditionellen Hanok-Häusern. Nachdem ich eine kleine Brücke überquert und das Dorf betreten hatte, erblickte ich eine Reismühle. In den alten Dörfern gab die Größe der Mühle Aufschluss über die „Größe des Lebens“: Je geschäftiger es in der Mühle zuging, desto angenehmer und bequemer dürfte das Leben der Bewohner gewesen sein. Ein Hain alter, ungewöhnlicher Kiefernbäume ist hinter der Mühle zu sehen. Ich besuchte das Alte Haus des Gelehrten Jeong Yeo-chang. Jeong war ein wichtiges Mitglied der Sarim-Faktion, der Faktion der in den Provinzen lebenden Elite-Gelehrten. Bei der gegen die Sarim gerichteten Säuberungsaktion, die Yeongsangun (reg. 14941506), der despotischste Herrscher der Joseon-Zeit, 1504 veranlasste, als er erfuhr, dass man seiner verstoßenen Mutter, Lady Yun, den Schierlingsbecher gereicht hatte, wurden viele Literati verbannt oder hingerichtet und bereits verstorbene Literati wie Jeong Yeo-chang exhumiert und enthauptet. Jeongs Anwesen, das aus 12 Gebäuden besteht, wurde von seinen Nachfahren errichtet, nachdem König Jungjong (reg. 1506-1544) 1506 Jeong rehabilitiert hatte. Die große Tafel im Herrengemach mit den chinesischen Schriftzeichen 百世淸風 (Baeksecheongpung: Über 100 Generationen wehender, reiner Wind) fällt ins Auge. Die Zeichen stehen für den ewig reinen, ehrlichen Geist eines konfuzianischen Gelehrten und enthalten dessen Wunsch, dass die Nachfahren Generation auf Generation als aufrichtige Gelehrte leben mögen. Wer gerne trinkt, der sollte den hausgemachten Solsongju (Schnaps aus Kiefernnadeln und -knospen) probieren. Dieser Schnaps mit seiner 500-jährigen Tradition wird bis heute von den Nachfahren Jeong Yeo-changs als Opfergabe für die Ahnenverehrungsrituale gebraut, um den Vorfahren die größtmögliche Ehre zu erweisen. Gern hätte ich von dieser Spezialität, die aus den im Frühling gesammelten Knospen junger Kiefern zubereitet werden soll, gekostet, um die poetische Inspira-

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tion der alten Gelehrten nachzuempfinden, doch leider konnte ich niemanden im Promotionscenter antreffen. Läuft man den nach Jeongs Beinamen „Ildu“ benannten Spazierweg hoch, hat man vom Hügel aus einen Blick über die ganze Dorflandschaft. Zwischen den Ästen der alten Kiefern sind die ordentlichen und gepflegten Hanok-Häuser mit ihren Ziegeldächern zu sehen. Von einigen Häusern am Bach steigt Rauch auf, ein Zeichen für die Zubereitung des Abendessens. Früher war das für den Reisenden ein wichtiger Faktor bei der Unterkunftwahl. Blühten in einem Dorf die Blumen und stieg über den Dächern der Rauch vom Kochen des Abendessens empor, sagten sie sich: Ach, hier sollte ich heute übernachten. Mir war es zwar nicht vergönnt, Solsongju zu probieren, doch da ich nach Herzenslust den Duft der alten Kiefern und des Rauchs vom Kochen eingesaugt hatte, könnte man sagen, ich hätte „Songyeonju“ getrunken: „Kiefernrauchwein“.

dörfer und Tempel im Bergtal Der Wagen schlägt den Weg zum Tempel Daewon-sa in Sancheong-gun ein. In der Nähe des Flusses Gyeongho-gang, der am Fuße des Jiri-san vorbeifließt, liegen einige Bergdörfer mit reizvollen Namen wie Sicheon, Chansaem, Deokgyo und Myeongsang. Die KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 53


Lichter der in Dunkelheit gehüllten Ortschaften bieten einen schönen Anblick. Die Lichter einiger Häuser weiter oben am Berg erinnern an Leuchtkäfer. Der Tempel Daewon-sa rühmt sich unter den Tempeln im Gebirge Jiri-san des tiefsten Klangs des Gebirgswassers. Während ich den reichen Gebirgsduft einatmend den langen Bergpfad hinaufstieg, folgte mir stets der Klang des Wassers. Inmitten der Bergdüfte glitzerten die Sterne und der Eisengong des Tempels, der zur abendlichen Gebetsstunde rief, ertönte. Als ich durch das dunkle Tempelgelände schritt und die Haupthalle Daeung-jeon erreichte, grüßte mich eine Bhikkhuni, eine buddhistische Nonne, mit einer Verbeugung und gefalteten Händen. Ich erwiderte ihren Gruß auf dieselbe Weise und erklärte: „Es ist spät. Ich wollte den Tempel einmal bei Nacht besuchen.“ Wortlos entfernte sie sich mit kleinen Schritten. Ich wünschte mir, eine Nacht in diesem Tempel verbringen zu können, dem Klang des Gebirgswassers zu lauschen und den Duft der Berge einzuatmen. Dieser Wunsch wurde zwar nicht erfüllt, aber ich konnte wenigstens in einer Pension, die sich in einem kleinen Dorf auf dem Grundstück des Tempels befindet, übernachten und eine Schüssel Reis mit Beilagen aus wilden Bergkräutern zu mir nehmen. Die Lichter der Dörfer am Fluss glichen Blumen.

Ein dorf mit reizvollen alten Mauern 1989 bereiste ich zusammen mit dem Schriftsteller Lee Myeong-han (geb. 1932) die westlichen Regionen Chinas. Wir besuchten Dunhuang, Turpan und Ürümqi und Lee, der als Arzt der Traditionellen Koreanischen Medizin die Familienpraxis weiterführte, sagte mir, dass es im Westen Chinas eine außerordentliche Heilpflanze namens Chinesischer Raupenpilz gebe. Als er mir von dieser mysteriösen Heilpflanze erzählte, die im Winter Raupengestalt hat und sich bis zum Sommer in eine Pflanze verwandelt, glaubte ich ihm zunächst nicht, doch in einem Heilkräuterladen in Liuyuan konnte ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Schriftsteller die Pflanze behutsam in beiden Händen hielt. Er war es, der mir erklärte, dass die Essenz der Traditionellen Koreanischen Medizin in der Aromatherapie liegt. Das heißt, dass man mit dem guten Duft von Bergkräutern schlechte Energie aus dem Körper treiben kann, was auf andere Weise vertrauenswürdig klang als der Chinesische Raupenpilz. In Sancheong-gun gibt es das Museum der Traditionellen Koreanischen Medizin, das die am Fuße des Jiri-san wachsenden Heilpflanzen vorstellt, und das Donguibogam-Dorf,

Sehenswertes in Hamyang / Sancheong Seoul

280km Hamyang

290km

Sancheong

gaepyeong hanok–dorf Sangnim–wald hamyang Intercity bus Terminal

donguibogam–dorf

Sancheong Intercity bus Terminal Tempel daewon–sa

gebirge jiri–san yedam–dorf in namsa–ri

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Die miteinander verwachsenen Bäume am Eingang zum Wald Sangnim in Hamyang. Der Legende nach soll die Liebe von Paaren, die gemeinsam darumter hindurchgehen, in Erfüllung gehen.


das anlässlich des 400. Jubiläums der Herausgabe des 25-bändigen Donguibogam (Enzyklopädie der koreanischen Medizin) des Mediziners Heo Jun (1539-1615), eingerichtet wurde. Donguibogam , das als Standardwerk der Östlichen Medizin gilt und einst auch in China und Japan herausgegeben wurde, gehört zum UNESCO-Dokumentenerbe. Zusammen mit der Buchdruckkunst mit beweglichen Metalllettern gehört es zu den bedeutendsten Kulturgütern Koreas. Das Yedam-Dorf in Namsa-ri wahrt die typische Form eines Gelehrten-Dorfes der Joseon-Zeit. Der Name bedeutet „Dorf mit reizvollen alten Mauern“. Am Dorfeingang markiert ein Schild den Weg, den Admiral Yi Sun-sin (1545-1598) nach seiner Amtsenthebung als Oberbefehlshaber des Marinehauptquartiers der Drei Provinzen genommen haben soll, um als einfacher Soldat ins Exil zu gehen. Eine Mauer, deren Steine sorgfältig mit rotem Lehm verfugt wurden, kommt in Sicht. Am Eingang einer Gasse heißen zwei sich kreuzende

Japanische Schnurbäume den Reisenden willkommen. Diese über 300 Jahre alten Bäume sind auch als „Gelehrtenbäume“ bekannt, da die grüne Energie, die von ihnen ausstrahlt, Körper und Geist der Gelehrten rein und klar hielt. Nach der Geomantik-Lehre soll das Dorf in der Konfiguration zweier feuerspeienden Drachen angelegt worden sein. Die Bäume sollen gepflanzt worden sein, um die Flammen zu bannen. Die Einfriedungsmauern der Häuser, die einen durchschnittlich großen Menschen überragen, könnten auf einige Besucher etwas störend wirken. Ob nicht ein Hof, von dem aus man einen freien Blick auf die Berge und Ebenen genießen könnte, natürlicher gewirkt hätte? Daher klingt der Titel „Koreas allerschönstes Dorf“ für mich etwas gezwungen. Während ich darüber sinniere, dass ein Literati von hoher Gelehrsamkeit und herausragendem Ruf wohl kaum solch hohe Mauern hätte errichten lassen, beglückt mich der sanfte Duft nach Frühlingserde, der dem Mauerwerk entströmt.

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RuNd uM ZuTATEN

KNOBLAUCH

Kim Jin-young Geschäftsführer, Traveler’s Kitchen Fotos Shim Byung-woo

Allzweck-gewürz und gemüse Knoblauch, das aus Zentralasien stammende Wurzelgemüse, wird heutzutage überall auf der Welt angebaut, sei es in Korea und china in Ostasien, in westasiatischen Ländern wie Indien, in südeuropäischen Staaten wie Spanien und Italien und auch in den beiden Amerikas. In der koreanischen Küche ist Knoblauch ein Kernwürzmittel in fast allen gerichten, aber auch frische Knoblauchzehen kommen zusammen mit anderen gemüsen auf den Tisch. 56 Koreana Frühjahr 2016


ür die Koreaner ist Knoblauch (auf Koreanisch: Maneul) ein Nahrungsmittel mit so langer Tradition, dass es sogar im Gründungsmythos des ersten koreanischen Reiches eine Rolle spielt: Danach sollen ein Tiger und ein Bär Hwanung, den Sohn des Himmelsherrschers Hwanin, darum gebeten haben, ihnen Menschengestalt zu verleihen. Hwanung wies sie an, hundert Tage lang in einer dunklen Höhle zu verbringen, jegliches Sonnenlicht zu meiden und sich nur von Knoblauch und Beifuß zu ernähren. Der Tiger, der das nicht ertragen konnte, rannte aus der Höhle, doch der Bär hielt durch und verwandelte sich in eine Frau, die dann Hwanung heiratete und ihm einen Sohn namens Dangun gebar. Dieser gründete Gojoseon (Alt-Joseon; 2333-108 v. Chr.), das erste Reich auf der koreanischen Halbinsel. In der traditionellen koreanischen Medizin heißt es zusammenfassend über die Wirksamkeit von Knoblauch, dass Knoblauch „den Körper mit wärmender und belebender Energie füllt und Kälte und kalte Energie vertreibt, während er schädliche Energie und Stoffe abstößt und nach außen abführt“. Beispielsweise ist in historischen Dokumenten nachzulesen, dass der Knoblauchverbrauch stieg, wenn Gerüchte über ansteckende Krankheiten kursierten. In der modernen Medizin wurde durch verschiedene Studien nachgewiesen, dass Knoblauch die Durchblutung ankurbelt, antibakterielle Wirkung besitzt und das Immunsystem stärkt. Knoblauch gilt als Superfood mit potentiell schützender und hemmender Wirkung gegen bestimmte Arten von Krebs, die auf der Webseite des American Institute for Cancer Research gelistet werden.

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das Allzweck-gewürz In den meisten Regionen wird Knoblauch als Gewürz verwendet, wobei sich deutliche Ähnlichkeiten ausmachen lassen: In China etwa werden bei der Zubereitung von Gerichten zunächst dünne Knoblauchscheiben mit Chilischoten oder Lauchzwiebeln in Öl gebraten oder frittiert, in Italien werden sie in Olivenöl gebraten, bevor sie in die Pasta kommen, und in Japan werden dünne Knoblauchscheiben oder zerdrückter Knoblauch in Mayu (Sesamöl) frittiert, um die Basis für die japanischen Ramen-Nudeln herzustellen, wobei für eine weniger kräftige Geschmacksnote manchmal Knoblauchpulver verwendet wird. Auch für die Koreaner ist Knoblauch an allererster Stelle ein Gewürz, allerdings wird er eher zerdrückt als in Scheiben geschnitten verwendet. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass bei der Zubereitung von fast allen koreanischen Gerichten zerdrückter Knoblauch als Gewürz verwendet wird. So wie die Europäer bei der Herstellung von Brühen ein Kräuter- und Gewürzsträußchen (Bouquet garni) zum Aromatisieren, Geschmacksverstärken oder zur Milderung aufdringlicher Geruchsnoten verwenden, geben die Koreaner zu denselben Zwecken reichlich Knoblauch in Fleisch- oder Fischgerichte wie Samgyetang (gefülltes Ginseng-Huhn in heißer Brühe), Galbijjim (geschmorte, marinierte Rinderrippen), Dakbokkeumtang (Schmorhähnchen in süßlich-scharfem Sud) und Haemultang (Meeresfrüchte-Stew). Gyerim Maneuldak („Knoblauchhähnchen“), ein altes Dakbokkeumtang-Restaurant in Jongno 3-ga in der Seouler Innenstadt, ist berühmt für die Schöpflöffelgroße Portion zerdrückten Knoblauchs mit der das geschmorte Hähnchen-Stew serviert wird. Während das Gericht auf dem Tisch über der Flamme vor sich hin köchelt, schmilzt der Knoblauchberg zusammen mit dem Hähnchenfett langsam in die heiße Brühe hinein und beseitigt nicht nur den aufdringlichen Fettgeruch, sondern erzeugt auch eine ganz distinktive, süßliche Geschmacksnote, die tiefer ist als die von Zucker. gegrillt oder roh In Korea kommen für Ssam-Gerichte, bei denen mundgerechte Essensportionen in rohe Gemüseblätter eingewickelt werden, auch oft frische, rohe Knoblauchzehen auf den Tisch. Wird Rindoder Schweinefleisch direkt am Tisch gegrillt, gibt man einen Happen Fleisch auf ein Sesam- oder Lattichblatt und wickelt ihn zusammen mit einer Scheibe Knoblauch und Ssamjang-Gewürzpaste darin ein. Wer keinen rohen Knoblauch mag, kann Knoblauchzehen als ganzes oder in Schei-

Früher hat jede Familie einen ordentlichen Vorrat getrockneter Knoblauchknollen der Saison gekauft und an den Stängeln gebündelt an einem schattigen, luftigen Platz aufgehängt, um sich dann bei Bedarf in der Küche davon zu bedienen. Heutzutage bieten die Supermärkte für den Hausgebrauch geschälte Knoblauchzehen oder zerdrückten Knoblauch in praktischen Portionspackungen an.

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ben geschnitten auf der Grillplatte im Fleischfett anbraten, oder der Knoblauch kommt in ein Alu-Schälchen mit Sesamöl, wo er auf dem Grillrost gegart wird. Das ist eine gute Methode, um den beißend-scharfen Geschmack von rohem Knoblauch zu tilgen und der typischen „Knoblauch-Fahne“ vorzubeugen. Eine der traditionellen Beilagen auf dem koreanischen Esstisch ist ManeulJangajji, Knoblauch-Pickle in Sojasoße. Dafür werden entweder geschälte Knoblauchzehen oder ganze Knoblauchzwiebeln, befreit von den äußeren Blattschichten, einige Monate lang in aufgekochte und danach abgekühlte Sojasoße eingelegt. Der Geschmack der Sojasoße, der sich je nach Familienrezept unterscheidet, und der Geschmack des Knoblauchs, der während des Reifens weicher wird, verschmelzen und bringen eine einzigartige und lange haltbare Beilage hervor. Das Nahrungsmittel, das wohl am einfachsten mit Knoblauch zubereitet werden kann und mittlerweile fast überall in der Welt gegessen wird, ist Knoblauch-Baguette. Dafür braucht man nur eine Paste aus zerdrücktem Knoblauch, weicher Butter und Zucker anzurühren, auf diagonal geschnittene Baguettescheiben aufzutragen, eine Prise getrocknete Petersilie darüber zu streuen und das Brot im Ofen anzubräunen. Beim Backen breitet sich der verlockende Duft des Knoblauchs über die Küche hinaus aus und beim Hineinbeißen spürt man, dass der Buttergeschmack an Fülle und Tiefe gewonnen hat.

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Knoblauch-Blütenstiele und -stängel Die Knoblauch-Liebe der Koreaner beschränkt sich nicht nur auf die Knolle. Maneuljong, die zarten grünen Stiele mit der Blütenknospe, die in Aroma und Geschmack milder sind, eignen sich hervorragend als Zutat für Beilagen. Der Knoblauch bildet im Sommer Blütenstände mit Scheindolden aus. In ihnen sitzen kleine Brutzwiebeln, die wieder als Pflanzgut verwendet werden können. Wer aber besonders große Knoblauchknollen ernten möchte, sollte die Blütenstiele noch vor der Blüte entfernen. Dadurch kann die Pflanze ihre ganze Kraft in die Knollenbildung stecken. Die Bündel grüner Knoblauch-Blütenstiele, die noch dünner als Spargelsprossen sind, künden auf den Märkten vom Beginn des Frühlings. Zusammen mit getrockneten Minigarnelen in Öl kurzgebraten oder als Jangajji in Sojasoße eingelegt, ergeben sie eine beliebte Beilage. Sie bieten sich auch als Knoblauchersatz für die Zubereitung von Spagehtti aglio e olio an, für die sonst Knoblauchzehen und Olivenöl verwendet werden. Auch nach dem Garen bleiben die Blütenstiele knackig und die Schärfe verwandelt sich in eine angenehme Süße. 1

In der traditionellen koreanischen Medizin heißt es, dass Knoblauch „den Körper mit wärmender und belebender Energie füllt und Kälte und kalte Energie vertreibt“. In der modernen Medizin wurde durch verschiedene Studien nachgewiesen, dass Knoblauch die Durchblutung ankurbelt, antibakterielle Wirkung besitzt und das Immunsystem stärkt. 58 Koreana Frühjahr 2016


Zur Frühlingszeit werden die Knoblauchstängel zusammen mit anderen Gemüsen wie Lattich oder grünen Chili serviert. Man kann die in mundgerechte Stücke geschnittenen Stängel auch in der vorgeheizten Pfanne in Öl kurzbraten, zubereitungsfertige Tintenfischstücke hinzugeben und mit Gochujang (Chilipaste), Zucker, ein wenig Essig, Doubanjiang (chinesische Paste aus Ackerbohnen und Sojabohnen) und Austernsoße abschmecken. Das ergibt eine Beilage, deren Aroma schon bei der Zubereitung den im Frühjahr etwas verloren gegangenen Appetit zu stimulieren vermag.

Schalotten und Knoblauch Derjenige, der mit den großzügig mit Knoblauch gewürzten koreanischen Gerichten nicht so vertraut ist, kann sich einen vergleichbaren Geschmack und ähnliches Aroma vorstellen, wenn er an Schalotten denkt. Schalotten und Knoblauch gehören beide zu den Lilienartigen, wobei die Schalotte vom Geschmack her so scharf wie Knoblauch, aber süßer als Küchenzwiebeln ist. In Frankreich und Südostasien wird die Schalotte üblicherweise für Salate und Soßen verwendet. Bei der Zubereitung von Soßen dient sie als Basis, bei Fisch- und Fleischgerichten wird sie als Garnierung oder Gewürz eingesetzt. Schalotten werden auch in etwas Öl im Ofen gegart, während jüngere Blätter zum Würzen verwendet werden, ganz ähnlich, wie man in Korea Knoblauchzehen in Öl anbrät oder die Blütenstiele als Zutat für verschiedene Gerichte nimmt. Wenn man fremde Orte bereist, ist es kaum zu vermeiden, auf fremde Gerichte zu treffen. Dieses Treffen sollte in ein genussvolles Erlebnis verwandelt werden, damit die Reise noch bedeutungsvoller werden kann. Aus diesem Grunde habe ich mich als Lebensmittelexperte mit Reiseautoren zusammengetan und das Lebensmittelberatungsunternehmen Traveler’s Kitchen geschaffen. Unser Ziel ist, unsere Kunden und die Besucher unseres Blogs dazu zu ermutigen, bei Reisen in Korea nicht die berühmtesten Restaurants aufzusuchen, sondern heimische Gerichte der Saison und lokale Spezialitäten zu probieren; und bei Auslandsreisen möchten wir raten, koreanische Restaurants zu meiden und statt dessen die fremde Esskultur mit Freude zu entdecken. In diesem Sinne möchte ich Korea-Besuchern, die nicht so vertraut mit Knoblauch sind, empfehlen: Versuchen Sie doch einmal, sich hier in Korea mit diesem geschmackvollen und aromatischen Gewürz und Gemüse anzufreunden!

1 Eingelegte Knoblauchzehen. Dafür wird eine Marinade aus Sojasoße und Zucker (und je nach Geschmack Essig) gekocht und nach dem Abkühlen über die geschälten Knoblauchzehen gegossen. Das Resultat ist immer einzigartig, da Sojasoßengeschmack und Zubereitung von Familie zu Familie anders sind. 2 Eingelegte Knoblauchstängel. Die Stängel werden in mungerechte Stücke geschnitten, in eine Marinade, für die Sojasoße, Zucker (und ggf. Essig) gekocht wurden, eingelegt und zum Reifen in verschlussfeste Behälter gegeben. 3 Zerdrückte oder ganze Knoblauchzehen sind unabdingbar, um den Geschmack verschiedener Fleischgerichte wie z.B. Samgyetang (gefülltes Ginseng-Huhn in heißer bruhe) zu erhöhen.

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BLIcK AuS dER FERNE

DEUTSCHER GOLDRAUSCH IN KOREA Michael dirauf Dipl.-Ing. (FH) und Autor des Buches Goldrausch in Korea

n einem schwül heißen Sommertag im Jahr 2013 stehe ich hoch oben über Incheon im Jayu Park und blicke hinunter auf die Hafenstadt. Links von mir ist eine Gedenkstätte, die an den amerikanischen General McArthur erinnert. An dieser Stelle stand einst das Haus der Firma Eduard Meyer & Co., das deren Vertreter Carl Wolter um 1890 errichten ließ. Was bringt mich an diesen Ort? Per Zufall hatte ich fast genau ein Jahr vorher Kontakt zu Professor Pistorius aufgenommen, dessen Urgroßvater der Bruder eines Koreareisenden war. Professor Pistorius stellte mir 30 Briefe und viele Fotos seines Vorfahren Louis Bauer zur Verfügung, die zum Teil transkribiert bzw. als Sprechdatei vorhanden waren. Louis Bauer war Direktor der deutschen Goldmine in Korea, die von 1899 bis 1903 im heutigen Nordkorea betrieben wurde. In einem Brief an seinen Bruder vom 6. Juni 1899 schrieb Louis Bauer über seinen positiven Eindruck von Korea: „…ich sage, die Koreaner gefallen mir sehr gut und ihr Land noch besser. Es lässt sich hier leben und ich fühle mich schon ganz zu Hause.“ Da ich selbst vor über 30 Jahren mehr als zwei Jahre in Korea verbracht hatte, konnte ich mich persönlich mit dem Satz identifizieren. Die Begeisterung in den Schilderungen von Louis Bauer hatte meinen Spürsinn geweckt. Aus meiner Büchersammlung holte ich die historischen Bücher von Siegfried Genthe Korea – Reiseschilderungen und von Angus Hamilton Korea

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hervor. Sie berichteten von deutschen Landsleuten im Tal von Tangkogä, und dass sie damals auf ihrer Reise vom „Bergingenieur Bauer“ am Platz der deutschen Goldmine empfangen worden seien. Die beiden Autoren erwähnten noch eine weitere Person: den deutschen Geologen „Bergassessor Knochenhauer“. Er war der Vorgänger von Louis Bauer als Direktor der Goldmine. Eine weitere glückliche Fügung war, dass der Urenkel von Bruno Knochenhauer die Tagebücher und Fotos seines Urgroßvaters aus der Zeit in Korea an die Sächsische Landesbibliothek, die Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, übergeben hatte. Einige Fotos sowie Tagebücher von drei Reisen in Korea, ein Bericht über die Goldfunde und eine Briefsammlung in altdeutscher Schrift, die ich über Monate per Hand in den Computer übertrug, ergaben ein vielschichtiges Bild über die Arbeitswelt Koreas zur damaligen Zeit. Doch wie war es überhaupt zu dieser deutschen Goldmine gekommen? Immer tiefer drang ich in die Geschichte nach der gewaltsamen Öffnung Koreas für den internationalen Handel ein. Der Berater von König Gojong (König von Joseon, ab 1897 erster Kaiser des Daehan-Reiches; reg. 1863-1907), Paul Georg von Möllendorff, engagierte den deutschen Geologen Carl Christian Gottsche, der im Jahr 1884 zur Erforschung der geologischen Verhältnisse sechs Monate durch Korea reiste. Zur selben Zeit gründete auch die Firma Eduard Meyer & Co. eine Zweigstelle ihres Han-

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delshauses in Jemulpo, dem heutigen Incheon. Ausgestattet mit diesem Wissen begann ich mit der Recherche in diversen Archiven Deutschlands. Neben dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin besuchte ich auch das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde. Dort fand ich die Akten, in denen der Schriftverkehr mit dem damaligen deutschen Konsulat in Seoul gesammelt war. Neben verschiedenen Statistiken über den Handel mit Korea entdeckte ich dort auch Unterlagen von Prinz Heinrich von Preußen, der die deutsche Goldmine im Juni 1899 besuchte. Er war der Bruder des damaligen deutschen Kaisers und zu dieser Zeit Kommandant und Befehlshaber des ostasiatischen Kreuzgeschwaders der deutschen Kaiserlichen Marine. Neben der Suche nach den Lebensgeschichten der beiden Direktoren Bruno Knochenhauer und Louis Bauer versuchte ich auch deren Reisen in Korea anhand von alten koreanischen Karten nachzuvollziehen. Parallel begann ich mit der Suche nach Familiennachkommen von weiteren deutschen Minenarbeitern und Besuchern, deren Aufenthalte in diversen Büchern und Zeitungen dokumentiert sind. Dankenswerterweise konnte ich auf das umfangreiche Buch Globetrotter, Abenteuer, Goldgräber. Auf deutschen Spuren im alten Korea von Hans-Alexander Kneider zurückgreifen, der in seiner Publikation den Besuch aller bisher bekannten deutschen Reisenden in Korea zwischen 1832 und 1910 dokumentiert hat. Das Internet ermöglichte mir, mit vielen Nachfahren Kontakt aufzunehmen. Einige konnten mir weitere Informationen geben, während ich die eine oder andere Lücke in deren Familiengeschichte schließen konnte. Aber auch einige Besucher meiner Webseite (http://goldmine.dirauf.com/) konnten mir wertvolle Tipps zu weiteren Recherchen geben. Einer dieser Ratschläge führte mich zur Bergakademie Freiberg, in deren Geowissenschaftlichen Sammlungen eine große Anzahl an Gesteinsproben gelagert sind. Dort befinden sich auch einige Proben aus Korea, die Louis Bauer an der Universität, an der er seine Ingenieurausbil-

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dung abgeschlossen hatte, auf den Goldgehalt untersuchen ließ. Die in einem Archivschrank liegenden Gesteinsproben aus dem heutigen Süd- und Nordkorea wurden mir von einer freundlichen Mitarbeiterin gerne gezeigt. Auch der zugehörige Brief, eine Karte der Goldmine und diverse Fotos wurden mir zur Verfügung gestellt. Der stetig wachsende Berg an Informationen, die ich bisher noch in keiner Literatur gefunden hatte, veranlasste mich, mein Wissen in Buchform zusammenzufassen und so entstand mein Buch Goldrausch in Korea. In 32 Kapiteln versuche ich, die damalige Zeit wieder lebendig werden zu lassen. Über die Suche nach Bodenschätzen im Land spanne ich einen Bogen zur deutschen Konzession für die Goldmine. Die anfängliche Auseinandersetzung und die spätere Zusammenarbeit mit den Einheimischen wird ebenso geschildert wie das Leben der ausländischen Bergleute fern der Hauptstadt. Für einige deutsche Besucher war die deutsche Goldmine auch ein touristisches Ziel. Ein Foto vom damaligen Jemulpo, das Bruno Knochenhauer und Carl Wolter mit einem schlossähnlichen Gebäude im Hintergrund zeigt, veranlasste mich, die entsprechende Darstellung vor Ort in Korea zu erkunden. In Incheon wurde ich von den überraschend gut wiederaufgebauten und gepflegten Gebäuden in der Altstadt sowie verschiedenen Museen überrascht. In einem befindet sich sogar ein Modell des Hauses, das die Firma Eduard Meyer & Co. damals errichten ließ. Und so führte mich mein Blick aus der Ferne auf die bisher kaum bekannte Geschichte der deutschen Goldmine in Korea wieder zu einer persönlichen Begegnung mit dem schönen Land.

1 Abschied von Bruno Knochenhauer (vierter von rechts) von der Goldmine. 2 Zahltag auf der Goldmine. 3 Koreanische Arbeiter und Zuschauer. 4 Feldbahnen auf der Goldmine.

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LIFESTyLE

ESSEN: LIEFER– SERVICE PER APP jeon Sung-won Chefredakteur, Hwanghae Review (Yellow Sea Culture) Fotos Shim Byung-woo

Was Essen betrifft, bietet sich koreanischen Haushalten als Mittelweg zwischen einer selbstgekochten Mahlzeit zu Hause und Auswärtsessen der Lieferservice. die Auswahl an Speisen, die an jedem Wochentag und rund um die uhr bis zur Haustür gebracht werden, beschränkt sich nicht auf westliches Fast Food, sondern umfasst auch traditionelle koreanische Suppen- und Stew-gerichte. derzeit gewinnt der Lieferservice durch Smartphone-Apps an Einfluss, die nahtlosen und leicht handhabbaren Service von Speisenauswahl über Preisvergleich und Ermäßigungen bis hin zur Bezahlung bieten. 62 Koreana Frühjahr 2016


usländern, die einmal in Korea gelebt haben, bleiben die Essenslieferungen frei Haus wohl als besondere Korea-Erfahrung in Erinnerung. Natürlich sind solche Lieferdienste nicht nur in Korea zu finden, aber die koreanische Variante dürfte einige originäre Besonderheiten aufweisen.

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Hauslieferungen: rund um die uhr Zunächst: Die Lieferung ist kostenlos und Trinkgelder sind nicht üblich. Auch in anderen Ländern gibt es Essenslieferdienste, die einfach zuzubereitende Gerichte wie Pizza oder Sandwiches bis zur Haustür bringen, aber meist gegen Lieferaufschlag und mit Erwartung von Trinkgeld für den Lieferanten. In Korea kann eine unglaubliche Vielfalt an Gerichten geordert werden, wobei die Zustellung äußerst schnell erfolgt. Bestellungen sind auch noch spät in der Nacht möglich und nicht wenige Restaurants bieten einen 24-Stunden-Lieferservice und zwar auch an Sonn- und Feiertagen. Eine weitere Besonderheit: Chinesische oder koreanische Gerichte werden nicht in Einwegpackungen, sondern in normalem Geschirr gebracht, das später wieder abgeholt wird. Am Info-Brett im Eingangsberich von Mehrparteien Wohnhäusern finden sich oft allerhand Werbeblätter mit Ermäßigungscoupons diverser Restaurants in der Nähe. Noch genauere Informationen über Restaurants mit Lieferservice im jeweiligen Wohnbezirk gibt es im Internet. Die neueste Bestellmethode erspart jedoch sogar das Anrufen: Mithilfe von Smartphone-Apps lässt sich von Auswahl über Bestellung bis hin zur Bezahlung des Essens alles mit ein paar Klicks erledigen. Anfänge des Lieferessens Das erste, in historischen Aufzeichnungen belegte Lieferessen ist Hyojonggaeng, wörtlich: „Katersuppe, die man bei Tagesanbrauch beim Glockenläuten, das das Ende der Sperrstunde signalisiert, isst“. Im 1925 veröffentlichten Haedong Jukji (Bambuszweig-Gedichte aus Korea) schreibt der Literat und Journalist Choe Yeongnyeon (1856-1935) über diese herzhafte Suppe: „Die Einwohner von Gwangju bereiten Hyojonggaeng hervorragend zu. Chinakohlherzen, Sojabohnensprossen, Kiefernpilze, Shiitake-Pilze, Rinderrippen, Seegurken und Seeohren werden in Wasser gemischt mit dicker Sojabohnenpaste gegeben und einen ganzen Tag lang geköchelt. In der Nacht werden die mit Suppe gefüllten Krüge in wattierte Decken gehüllt nach Seoul transportiert, wo sie etwa beim Läuten der Morgenglocke in den Residenzen der hohen Beamten ankommen. Der Suppenkrug bleibt so lange warm und es gibt nichts Besse-

res gegen Kater als Hyojonggaeng.“ Essenslieferungen sind eine Besonderheit der modernen städtischen Handelskultur, weshalb das Hyojonggaeng-Beispiel beweist, dass bereits in der Joseon-Zeit der Keim des modernen Kapitalismus in Korea zart zu sprießen begonnen hatte. 1910 wurde das Joseon-Reich (1392-1910) eine Kolonie Japans, das als erstes die westlichen Errungenschaften der Moderne übernommen hatte, und Korea erlebte den Umbruch der Zeiten unter japanischer Herrschaft. Nach der Annexion war das Joseon-Reich gezwungen, den modernen Kapitalismus anzunehmen, wobei die Menschen aus den ländlichen Regionen auf der Suche nach Arbeit in die Städte abwanderten, was wiederum Veränderungen in der städtischen Kultur bewirkte. Besonders die Vertragshafenstadt Incheon wurde zu einem Schmelztiegel, wo sich Menschen aus den nördlichen Provinzen Pyeongan-do und Hwanghae-do (heute Nordkorea), aus der südlichen Provinz Chungcheong-do sowie Einwanderer aus Japan und China ansiedelten, was sich auch auf die Essenskultur auswirkte. Markante Beispiele dafür sind Jjajangmyeon (Nudeln in schwarzer Bohnensoße), ein koreanisiertes chinesisches Gericht, und Naengmyeon (Buchweizennudeln in kalter Brühe), ein repräsentatives Wintergericht aus den nördlichen Regionen Koreas, das mit der Fabrikherstellung von Eisblöcken dann zu jeder Jahreszeit genossen werden konnte. Da Incheon eine Hafenstadt war, wurden dort für den Bedarf auf den Schiffen bereits früh Eisfabriken errichtet, sodass Eis jederzeit im Gros zu haben war. Kim Seok-bae (geb. 1925), Fotograf und Zeitzeuge der Geschichte der koreanischen Fotografie, erinnert sich daran, dass 1938, als er 14 war, bei ihm zu Hause als Nachtimbiss einmal Naengmyeon aus Incheon nach Euljiro 1-ga in der Seouler Stadtmitte bestellt wurde. Zu der Zeit gab es auch in Seoul in den Straßen der nahe gelegenen Viertel Jongno 3-ga und Cheonjing-dong Naengmyeon-Restaurants. Aber Incheon war berühmt für dieses leckere Nudelgericht, das dann telefonisch aus einem rund 40 Kilometer entfernten Ort bestellt wurde. Doch diese frühe Essenslieferkultur verschwand gegen Ende des Pazifikkrieges wieder, da die Nahrungsmittel rationalisiert wurden und Restaurants schließen mussten.

Ppalli, ppali Hintergrund der hochentwickelten koreanischen Lieferservice-Kultur ist nicht zuletzt das „Ppalli-ppalli (Schnell-schnell)“, eine gewissermaßen distinktive koreanische Eigenschaft, die sich während der komprimierKoreanIsCHe Kultur unD Kunst 63


ten Modernisierung des Landes herausbildete. Korea musste gleich nach der Befreiung 1945 die Tragödie der Teilung und des Bruderkriegs erleben. Doch innerhalb kurzer Zeit stieg Südkorea zu einer Mittelmacht auf, die sich unter die zehn größten Handelsnationen der Welt einzureihen vermochte. Dabei bewies die Ppalli-ppalli-Kultur ihre Stärke, die beiden großen Herausfordeungen der Zeit, i.e. Wirtschaftsaufschwung in den 1960er und Demokratisierung in den 1980er Jahren, zu bwältigen. Doch für das Erreichen des Ziels des hohen Wachstums mussten viele Koreaner bis spät in die Nacht arbeiten und ihre Mittag- und Abendessenspausen verkürzen. Auch das koreanische Marktumfeld unterstützte die Entwicklung der Lieferservice-Kultur. Nach Expertenanalysen sind u.a. angemessene Bevölkerungsdichte in den städtischen Gebieten sowie die Vorliebe für Mitternachtsnacks wichtige Gründe für die Etablierung des heutigen Liefersystems, denn der Service ist nur bei ausreichender Nachfrage in einem leicht erreichbaren Gebiet möglich. Derzeit strömen zwar immer mehr Arbeitskräfte aufgrund der steigenden Arbeitslosenzahlen infolge des Konjunkturrückgangs sowie der Frühpensionierung der Babyboomer-Generation in den Gastronomie-Bereich, aber das Gastronomie-Gewerbe stagniert. Vor diesem

Hintergrund tritt der Lieferservice als kraftvolles Instrument zur besseren Anpassung an ein immer konkurrenzbetonteres Marktumfeld in Erscheinung.

Lieferservice-Apps Inmitten der sich verschärfenden Konkurrenz auf dem Lieferservice-Markt erschienen ab 2010 sog. Lieferservice-Apps, die auf Basis der Standort-Informationen der Nutzer Infos über Lieferservice-Restaurants anbieten. Mit der zunehmenden Smartphone-Verbreitung haben diese Applikationen die Konnektivität zum Kunden verstärkt. Verschiedene Service-Funktionen wie Kundenbewertungen der Restaurant-Dienstleistungen, Zahlungsfunktionen, Ermäßigungsangebote usw. wurden gekoppelt. Wie für ein IT-starkes Land mit hoher Smartphone-Verbreitungsrate zu erwarten, verfügt Korea über eine breite Verbraucherschicht, die mit der Nutzung von neuen Smartphone-Apps wohl vertraut ist. In einer 2013 vom Korea Foodservice Industry Research Institute gemachten Umfrage zu Auswärtsessen-Trends antworteten bereits 84,2% der Befragten, dass sich durch die Verbreitung von Mobilgeräten ihre Gewohnheiten geändert hätten. 53,5% gaben an, per Mobilgerät Informationen über Restaurants zu sammeln und 25,3% sag-

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In einer 2013 vom Korea Foodservice Industry Research Institute gemachten Umfrage zu Auswärtsessen-Trends antworteten bereits 84,2% der Befragten, dass sich durch die Verbreitung von Mobilgeräten ihre Gewohnheiten geändert hätten. 53,5% gaben an, per Mobilgerät Informationen über Restaurants zu sammeln und 25,3% sagten, dass sie häufig Apps herunterladen und nach neuen Restaurants und Menüs suchen.

ten, dass sie häufig Apps herunterladen und nach neuen Restaurants und Menüs suchen. In derselben Umfrage von 2014, die zusätzliche Fragen über Lieferservice-Apps enthielt, antworteten 18,2% der Befragten, dass sie solche Apps nutzen. Die meisten App-Anwender waren jedoch im Alter von 20 bis 39. Momentan stehen 30 bis 40 Lieferservice-Apps in harter Konkurrenz miteinander. Die kumulierte Zahl der Downloads der meist genutzten Lieferservice-Apps – darunter die Spitzenreiter Baedal Minjok, Yogiyo und Baedaltong – überschreitet bereits 40 Millionen. Um sich die Spitzenposition zu sichern, bietet Baedal Minjok einen Direktservice, der, wenn der Nutzer die Aktivierung der standortgebundenen Dienste akzeptiert, jegliche weitere Eingaben von Informationen überflüssig macht. Dieser Service

steht in engem Zusammenhang mit dem als „Internet der Dinge“ bekannten spitzentechnologischen Netzwerk. Die Essenslieferservice-App-Firmen stoßen auf Basis ihres Erfolgs im heimischen Markt jetzt auch auf den Weltmarkt vor. Es ist jetzt an der Zeit, Forschungen in Gang zu bringen, damit die koreanische Lieferservice-Kultur über die reine Sofortbefriedigung des Wunsches nach Essen hinaus neue Werte schaffen kann. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass die Bestellung von Mitternachtssnacks oder Essenslieferungen nach Hause oder ins Büro in der Kultur wurzelt, Mahlzeiten mit Familienmitgliedern oder Arbeitskollegen zu teilen anstatt alleine zu speisen, weshalb menschliche Werte und die Gemeinschaft betonende Werte in die Entwicklung einfließen sollten.

2 1 Immer mehr Leute lassen sich mit ein paar Klicks auf der Lieferservice-Apps ihres Smartphones das gewünschte Essen nach Hause und sogar zu einem Picknickplatz im Freien liefern. 2 Lieferanten rasen mit dem warmen Essen auf dem Moped die Straße entlang. Die Zahl der Lieferdienste ist derzeit am Steigen.

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REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR

REZENSION

DAS SURREALISTISCHE LIED EINES WANDERERS ÜBER DIE TEILUNG „Meine Erzählwelt wurde stark von der Malerei beeinflusst. Ich interessiere mich mehr für die innere, unbewusste Welt der Individuen, für ihre Träume und Albträume als für das äußere gesellschaftliche Bewusstsein. Man kann sich ihnen zwangsläufig nur mit surrealistischen Techniken annähern, insofern sie Kosmopoliten sind, die nicht mittels rationalen Denkens beleuchtet werden können. Dass meine Romane auf Bildern, nicht auf Geschichten fokussieren, liegt hierin begründet, und indem ich die Spannung mit den Lesern aufrechterhalte, möchte ich ihrer Fantasie größeren Spielraum gewähren.“ Cho Yong-ho Schriftsteller, Literaturjournalist der Zeitung The Segye Times

984 war Korea in Nord und Süd geteilt und auch heute noch, gut dreißig Jahre später, hat sich an dieser Situation nichts geändert. Zwischen den beiden Koreas herrschten extreme Spannungen und die sog. neue Militärregierung, die auf der politischen Bühne erschienen war, entpuppte sich als nicht weniger repressiv als das Regime davor. Angesichts dieser Umstände widersetzte sich die koreanische Literatur der politischen Unterdrückung durch einen allgemeinen Trend hin zur sog. „Minjung (Volk) Literatur“, die den gesellschaftlich Unterprivilegierten Trost spendete, und der Sozialrealismus rückte in den Mittelpunkt. In dem Jahr veröffentlichte der Schriftsteller Lee Ze-ha die Erzählung Ein Wanderer ruht auch auf dem Wege nicht aus, für die er ein Jahr später mit dem Yi Sang Literarturpreis ausgezeichnet wurde. Lee Ze-ha war eine Art Außensei-

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ter, der den Trends seiner Zeitgenossen in den literarischen Kreisen nicht folgte. 1937 geboren, hatte er an der Hongik University, einer renommierten Kunsthochschule, Westliche Malerei studiert. Er schrieb darüber, wie stark ihn nach seinem Umzug aus seinem ländlichen Heimatort in die Hauptstadt Seoul die Entdeckung des Expressionismus und Surrealismus in Kunstbüchern prägte. Als er sich daran machte, dem Unbewussten in seinen Erzählungen Ausdruck zu verleihen, setzte er bewusst Techniken wie Betonen und Transformation, derer sich diese Geisteströmungen bedienten, ein. Die so entstandenen Werke wie Pflanzenfresser oder Eine Kurzbiographie von Yuja wurden meist als abstrus bewertet, aber in Ein Wanderer ruht auch auf dem Wege nicht aus war die Geschichte leichter zu verfolgen, sodass sie auch dem Durchschnittsleser vertrauter erschien. Und tatsächlich wurde die Erzählung für so kraftvoll befunden, dass sie nicht nur mit einem renommierten Literaturpreis gekürt, sondern auch von dem beliebten Regisseur Lee Jang-ho verfilmt wurde. Aber sie ist alles andere als leichte Kost, und das bis zum Ende. Das wohl wichtigste Kennzeichen dieser Erzählung ist die Art und Weise, wie sie dem Leser Erklärungen verweigert. Während sich die Geschichte entwickelt, bleibt der Leser ständig orientierungslos, da ihm keinerlei Hinweise gegeben werden, aus denen er schließen könnte, was geschieht und warum. Als der einsame Mann zu Beginn der Erzählung nach den anderen Fahrgästen aus dem Bus aussteigt, sich herumdreht und zum Meer aufmacht, gibt es z.B. keinerlei Hinweis auf seine Beweggründe. Auch die plötzliche Begegnung mit dem bewaffneten Wachposten, der sich ihm in den Weg stellt, ist rätselhaft, besonders für den nicht-koreanischen Leser, dem kaum bekannt sein dürfte, dass die Strände am Ostmeer zu der Zeit noch für die Öffentlichkeit unzugänglich und zur Verhinderung von nordkoreanischen Infiltrationen befestigt waren und bewacht wurden. „Verwirrung“ ist der Name des Spiels, das der Erzähler von Anfang bis Ende spielt. In dem nahe gelegenen Gasthaus werden die geheimnisvollen Beweggründe des Mannes kontrastiert mit einer vertrauten Szene von sich amüsierenden Wanderern aus dem Bus, die sich mit Prostituierten treffen, Sobald die Gruppe weg und der Mann alleine ist, wird er zu einem offensichtlich kranken alten Mann und dessen Krankenschwester geführt und der Gasthausbesitzer bittet ihn, die beiden gegen Bezahlung zu einem unbestimmten Ziel in den Bergen nahe der Demilitarisierten Zone zu bringen. Er lehnt jedoch ab und schließt sich der Gruppe in ihrem Motel an. Die Nacht vergeht mit Glücksspiel und kurzen Anspielungen auf Sex. Als er mit einer der Frauen aufs Zimmer geht, lehnt er ihre Dienste ab. Als nächstes wird er geweckt und erfährt von einem Unfall: Eine Frau ist plötzlich zusammengebrochen und gestorben. Einer der Männer aus der Wanderguppe drängt ihn, vor dem Erscheinen der Polizei zu verschwinden, was er auch macht. Sich plötzlich bewusst werdend, dass er sich dem Mann nicht ordentlich vorgestellt hat, kehrt er zum Motel zurück, aber die Gruppe ist

bereits weg. Aus einem Impuls heraus fährt er dann zum Gasthaus zurück, nur um zu erfahren, dass der Alte und die Krankenschwester bereits aufgebrochen sind. Der Mann landet schließlich in einem Rohfisch-Gasthaus in Gangneung weiter südlich an der Küste. Erst jetzt bewegt sich die Erzählung weiter zu seiner Frau. Jetzt erfährt der Leser, dass es sich bei dem Pulver in der Plastiktüte um die Asche der Ehefrau handelt und dass er zu dieser Reise aufgebrochen ist, um einen Platz zum Verstreuen zu finden. Die anschließenden Stunden muten zutiefst surrealistisch an: Anstatt die Asche in einer feierlichen Zeremonie zu verstreuen, schüttet er sie aus dem Fenster des Gasthauses. Er beschließt, dort zu übernachten und eine Frau leistet ihm für einen kurzen Moment käuflicher Liebe Gesellschaft. Am anderen Morgen findet sich der Leser inmitten von halluzinatorischen Szenen wieder, die damit endet, dass eine Frau in einen entgegenkommenden Wagen läuft. An diesem Punkt trifft der Leser auf die tatsächlichen Erinnerungen des Mannes an den Tod seiner Frau, aber immer noch indirekt. Der Mann macht sich wieder auf die Suche nach dem Alten und der Krankenschwester. Als sich ein Schneesturm ankündigt, nimmt er ein Taxi in die Berge, wo er auf zwei Männer trifft, die den beiden ebenfalls auf der Spur sind. Schließlich finden sie die Geflüchteten. Der alte Mann aus reichem Hause wollte in der Nähe seines Heimatortes jenseits der DMZ sterben, erlitt aber auf dem Weg dahin einen Schlaganfall. Sein Sohn hatte die Krankenschwester angestellt, aber jetzt zahlen sie sie aus, nehmen den Alten mit. Die gemeinsam verbrachte Nacht ist voller unausgesprochener Gefühle und Spannungen. Die Krankenschwester erzählt, dass eine Wahrsagerin ihr prophezeite, wo sie den Mann treffen könne, mit dem sie in einem früheren Leben verheiratet war. Am nächsten Morgen fährt bei einem Exorzismus-Ritual, das eine Schamanin am See für die Seele eines Kindes abhält, ein Geist in die Krankenschwester. Der Mann erinnert sich dabei daran, dass seine Frau irgendwann einmal gesagt hatte: „Du wirst im dreißigsten Lebensjahr am Wasser einen Mann treffen, der drei Särge trägt. Dieser Mann ist dein Ehemann aus deinem früheren Leben.“ Der Reiz dieser Erzählung liegt darin, dass sie sich „realistischen“ Standard–Erzähltechniken verweigert und – nach einer weiteren unerwarteten Entwicklung der Ereignisse – abrupt endet. Der Leser kann nicht wissen, was geschehen wird, ob der Mann und die Krankenschwester zusammen bleiben und was aus ihnen wird. Stattdessen wendet sich die Geschichte dem Schamanismus und den Verbindungen zwischen Lebenden und Toten zu. Zu einer Zeit, als sich die meisten Schriftsteller mit Landesteilung und Sozialrealismus beschäftigten, lotete diese Erzählung die Tiefen von magischer Fantasie und Surrealismus aus. Der weitere Weg des Wanderers bleibt so geheimnisvoll wie er bereits zu Anfang war. KoreanIsCHe Kultur unD Kunst 67


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About the Program

English, French, German, Russian, Spanish • Languages • Foreigners interested in translating Korean literature • Eligibility •

※※ Fellowship recipients are ineligible to apply for scholarships offered by other organizations while studying at the Academy. ※※ A certificate of completion is issued at the end of each year. of Fellowships 3–4 for each language • Number • Translation of Korean Literary Texts, Study of Translation Styles, Korean • Curriculum • Literature, Korean Culture, Korean Language - The program also offers activities such as meetings with Korean writers and cultural excursions. Professors of literature, translation, and Korean language and culture • Faculty • September 2016–June 2018 • Duration • - 1st Year: September 2016–June 2017 - 2nd Year: September 2017–June 2018 (Fall Semester: September–December | Spring Semester: March–June)

The LTI Korea Translation Academy offers several courses for aspiring translators of Korean literature from all around the world. Designed for people who are deeply interested in translating Korean literature, the Regular Course was earlier offered as a one-year program. With the vision of transforming the Academy into a graduate school of translation, we expanded it into a two-year program in 2015. We are looking for talented applicants who will rise to the challenge of translating Korean literature, thereby contributing to the growth of its global readership.

How to Apply

Documents • Application •

Application form, personal statement written in Korean, a letter of recommendation, sample translation of a literary work, and a certificate of Bachelor's degree - The application and personal statement forms, and the letter of recommendation form can be downloaded from the LTI Korea website. (ltikorea.org) - Foreign applicants may submit a certificate of registration and academic transcripts in place of a bachelor's degree certificate. - Text to be translated: 「왼손잡이 「왼손잡이 여인」, 김숨, 『2015 제39회 이상문학상 작품집』, 문학사상사 여인」, 김숨, 『2015 제39회 이상문학상 작품집』, 문학사상사 , 2015, pp. 62–69(until the 8th line from the top of the page)

Criteria • Selection •

Application review, sample translation review and telephone interview - Applications can be made online (academy.klti.or.kr) or by email (academy@klti.or.kr). The applications should be received no later than 24:00(Korean standard time) April 30, 2016.

Selection process

Period April 1–30, 2016 • Application • of Candidates for Telephone Interview • Announcement • Interview May 23–27, 2016 • Telephone • • Final • Result Announcement June 8, 2016

May 18, 2016

Contact: Ms. Lee, Min A (Tel: +82-2-6919-7752 | E-mail: academy@klti.or.kr)

Korean Culture & arts 5


2 Koreana Summer 2015

koreana@kf.or.kr


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