w i nt er 2011
Koreanische Kultur und Kunst Spezial w i n ter 2011
Tripitaka Koreana J ah rg an g 6, N r. 4
Einführung; Tausendjahrfeierlichkeiten; Original-Tripitaka; Drucke in Japan; Holzdruckstöcke; Digitale Datenbank
ISSN 1975-0617
Jahrgang 6, Nr. 4
Entwicklung der Tripitaka Koreana Von Holzdruckstöcken zum Digitalen Kanon
Millenniumsjubiläum
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Koreanische Kultur und Kunst Winter 2011 IMPRESSUM Herausgeber The Korea Foundation 2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea
Die zweite Ausgabe der TripitakaKoreana -Druckstöcke, gefertigt von 12361251. Die erste Ausgabe feiert in diesem Jahr den 1.000-jährigen Jahrestag ihres Herstellungsbeginns 1011. Sie fiel im Zuge des Mongoleneinfalls von 1232 einem Brand zum Opfer.
So schreiben wir jetzt tausend Jahre „Ich habe gehört...” Mit diesen Worten beginnen die frühen buddhistischen Sutren. Diese Wendung belegt, dass die Lehren Buddhas über Generationen von Mönchen weitergegeben wurden, die die Worte ihres großen Lehrers auswendig lernten und vortrugen, bevor sie dann auf Baumblättern festgehalten und in „drei Körben“ aufbewahrt wurden. Die Tripitaka war sowohl eine Quelle der Weisheit, als auch ein Gegenstand der Verehrung. Die Mönche Ostasiens reisten auf der Suche nach diesen Weisheiten - ungeachtet der Gefahren für ihr Leben - über Berge und durch Wüsten. Nicht alle kehrten zurück, aber diejenigen, die überlebten, brachten mit der Hand kopierte Schriften mit, die dann ins Chinesische, das damals die gemeinsame Schriftsprache Ostasiens war, übersetzt wurden. Die Schriftzeichen wurden anschließend in Holzblöcke eingraviert, gedruckt und weiter verbreitet. Tausend Jahre später wurden die heiligen Schriften mit beweglichen Lettern massenproduziert und von noch mehr
Menschen gelesen. Und weitere hundert Jahre danach wurden dieselben Zeichen digitalisiert, um sie per Internet mit der ganzen Welt zu teilen. In dieser KOREANA-Ausgabe wollen wir den historischen Prozess beleuchten, wie die Menschen in Asien diese unschätzbar wertvolle Quelle von Wissen und Weisheit dokumentiert, studiert, verbreitet und bewahrt haben und auf welche Weise die Koreaner dazu beigetragen und davon profitiert haben. Es ist ein bescheidener Versuch der Kommemorierung des 1.000sten Geburtstags der Tripitaka Koreana, unternommen in der Hoffnung, dass die Weisheit, die in diesen alten Holzblöcken enthalten ist, über Wege zur Schaffung einer besseren Welt Aufschluss geben möge.
Ahn In-kyoung Chefredakteurin der deutschen Ausgabe
© Horim Museum
Holzdruck eines Lehrgemäldes zum Sutra über die Sieben Grundgebote , die in Vorbereitung auf die Zehn Höllenkönige zu beherzigen sind (Ausschnitt), 13. Jh.
spEZIAL Tripitaka Koreana
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EinfÜhrung
Tausendjahrfeierlichkeiten
Verschiedene Feierlichkeiten enträtseln tiefe Geheimnisse
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Charles La Shure
Original-Tripitaka
Weisheit, weitergegeben in Rollen aus Goryeo-Maulbeerbaumpapier
Kim Hak-soon 26
Drucke in Japan
Druckkopien der ursprünglichen Tripitaka Koreana in Japan
Kim Hak-soon
Holzdruckstöcke
Holzdruckstöcke nach 760 Jahren perfekt erhalten
Park Sang-jin
Digitale Datenbank
Der Ehrwürdige Mönch Jongnim und die digitale Tripitaka Koreana
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Nach 1.000 Jahren: Die Tripitaka Koreana eröffnet eine neue Ära für die Buddhismus-Forschung Lewis Lancaster
Kim Yoo-kyung
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Fokus
Trinkwasser oder Kulturerbe? Disput über die Petroglyphen von Bangudae
Lee Kwang-pyo
kunstkritik
Neue Wege für die koreanische Kino-Animationswelt: Leafie, a Hen into the Wild
Han Tae-sik
Auf der Weltbühne
Lim Yi-jo: Internationales Debüt mit Schwanensee in Shanghai
Kunsthandwerker
Kunstfärberin Kim Jung-hwa: Stoffe in den Farben der Natur
Choi Hae-ree
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Park Hyun-sook
KOREA entdecken
Roger Shepherd: Die große Bergkette hat mein Leben verändert
Park Jung-won
Unterwegs
Seochon: Ein Streifzug durch die Vergangenheit
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Kim Yoo-kyung
Neuerscheinung Kim Hak-soon, Kim Ho-joung Übersetzung des Korea-Teils von The Cartography of the Traditional East and Southeast Asian Societies
Cartography in Korea geschrieben von Gari Keith Ledyard
Neue CD von Chung Myung-whun und dem Seoul Philharmonic Orchestra
Claude Debussys La Mer , Maurice Ravels Ma Mère l’Oye und La Valse Kompilation alter Schriften über koreanische Tees und Teezeremonien
Korean Tea Classics geschrieben von Yi Mok und dem Ehrwürdigen Mönch Choui 82
74 78 80 82 86
Gourmetfreuden
Gukbap: Gesunder und schmackhafter Schnellimbiss
Ye Jong-suk
Entertainment
Koreanische TV-Serien - Flexibilität beim Drehbuchschreiben hat ihre Schattenseiten Kim Dae-oh blick aus der ferne Wohnen und Leben in Korea: Eine neue Vielfalt in der Stadtentwicklung? Christoph Pohlmann Lifestyle
Fans singen bei K-Pop-Konzerten mit
Surh Jung-min
Reisen in die Koreanische Literatur
Rezension: Liebesgeschichte oder Schichten von abgelagertem Eis Erste Liebe Joun Gyoung-rin
Uh Soo-woong
Tripitaka Koreana
Einführung
Nach 1.000 Jahren: Die Tripitaka Koreana eröffnet eine neue Ära für die Buddhismus-Forschung
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Ko re a n Cu l tu re & A rts
Das großangelegte Kompilierungsprojekt für den vollständigen buddhistischen Kanon in chinesischen Zeichen, das im Jahre 1011 während der Goryeo-Zeit (918-1392) begann, kam einer Revolution in der Wissensgeschichte Ostasiens gleich. Die Kommemorierung des 1.000-jährigen Bestehens der Tripitaka Koreana in diesem Jahr wirft erneut Licht auf die weitreichende Bedeutung dieses denkwürdigen Unterfangens. Lewis Lancaster Prof. em., East Asian Languages and Culture, University of California, Berkeley | Fotos: Ahn Hong-beom
K o r e a n a ı A u t u mn 2 011
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1 1. Ein Druck von der Kái-pao-tsang-Ausgabe aus der Nördlichen Song-Dynastie, aufbewahrt in der Bibliothek für seltene Bücher im Tempel Nanzenji in Kyoto, Japan. Die Kái-pao-tsang-Ausgabe aus dem Jahre 983 ist die älteste Tripitaka im klassischen chinesischen Kulturraum, jedoch ist keiner der Holzdruckstöcke heute mehr erhalten.
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n diesem Jahr begehen wir den 1.000 Jahrestag des Beginns eines umfangreichen Veröffentlichungsprojekts, das der Königshof von Goryeo im Jahre 1011 auf den Weg brachte. Im Jahre 991 sandte die im chinesischen Kaifeng regierende Nördliche SongDynastie (960–1126) ein Geschenk des Herrscherhofes nach Korea: ein Set von Drucken des chinesischen buddhistischen Kanons. Dieser erste Teil des Kanons, der mehr als 120.000 Seiten umfasste, wurde in den darauf folgenden Jahren durch andere Teile ergänzt. Ein Jahrzehnt später gab der GoryeoHof die Fertigung von auf diesen Drucken aus dem Nördlichen Song-Reich basierenden Druckstöcken in Auftrag. Später sandte der Song-Hof in Kaifeng als zweites Geschenk neue Übersetzungen von Sanskrit-Texten, die man in China gefunden hatte. Eine dritte Geschenkgabe enthielt in den vorausgegangenen Dynastien gemachte Übersetzungen, die im ersten Präsent nicht enthalten gewesen waren.
Vier ostasiatische Ausgaben Die von 1011-1087 in Korea gravierten Holzdruckstöcke überdauerten bis 1232, als sie während der Mongolen-Invasionen (12311273) den Flammen zum Opfer fielen. Weitere Druckstock-Sets wurden in den Reichen Liao
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(Khitan-Reich; 916-1125) und Jin (Jurchen-Reich; 1115–1234) angefertigt. Das heißt, im 11. Jahrhundert existierten vier Sets des buddhistischen chinesischen Kanons, und zwar in den Reichen Nördliches Song, Goryeo, Liao und Jin, aber keins dieser Sets ist bis heute erhalten geblieben. Es existieren zwar noch einige mit diesen Sets hergestellte Abzüge, aber die Blöcke sind längst zerfallen. Glücklicherweise ließ der Goryeo-Hof im 13. Jahrhundert ein zweites Druckstock-Set anfertigen, das bis heute im Tempel Haein-sa aufbewahrt wird und das älteste vollständige Set von Druckstöcken des chinesischen buddhistischen Kanons darstellt. Die Tatsache, dass die Druckstöcke aus dem 13. Jahrhundert bis heute vollständig erhalten und in einem guten Zustand sind, grenzt schon fast an ein Wunder. Das bedeutet, aus Holz gefertigte Druckstöcke, die fast 800 Jahre alt sind, werden im Tempel Haein-sa aufbewahrt. Es ist zudem bemerkenswert, dass wir in der Lage sind, etwas, das sich vor 1.000 Jahren ereignete, bis ins Detail nachzuverfolgen. Die Geschichte hält die großen Geschehnisse in Bezug auf politisch oder gesellschaftlich bedeutende Institutionen und Personen fest, und diese Geschehnisse werden über lange Zeiten von den Menschen hochgepriesen und sogar zum Gegenstand des Gedenkens Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
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3 2. Schriftrollen und ein Sutra der Khitan Tripitaka . 3. Mönche aus dem Tempel Haein-sa transportieren für die Millennium-Festivitäten mit aller Vorsicht Holzblöcke der 760 Jahre alten zweiten Ausgabe der Tripitaka Koreana .
oder Rituals. Der 1.000 Jahrestag der Gravur der Tripitaka-Druckstöcke unterscheidet sich jedoch deutlich von solchen tradierten Ritualen und Überlieferungen. Er steht für die Möglichkeit, auch in der heutigen Zeit noch den genauen Zeitpunkt auszumachen, zu dem eine kleine Gruppe ihre Arbeit an einem nationalen Projekt begann. Das Wissen über etwas, was vor 10 Jahrhunderten geschah, spricht für die Kontinuität der Tradition und die ausgeprägte kulturelle Identität, die sich in Korea finden. Die Druckkunst war in Ostasien schon vor dem 11. Jahrhundert verbreitet, aber sie hatte bis dahin nicht das Niveau erreicht, mehr als 100.000 Seiten im Standardformat und mit den chinesischen Schriftzeichen in Standardform zu produzieren; auch war man nicht in der Lage, mit diesen Seiten aus handgemachten Papier Tausende von Bänden herzustellen. Die technische Innovation, für die die Tausende von Druckstöcken aus dem 11. Jahrhundert stehen, brachte Korea in die vordersten Reihen in Sachen Sammeln und Aufbewahren von Informationen.
Ein epochemachendes Ereignis in der Geschichte des Druckes Ich habe vor 45 Jahren, als die University of California, Berkeley, eins der zwölf Abzüge-Sets von allen der rund 82.000 im Tempel Haein-sa aufbewahrten Druckstöcke erwarb, mit der Erforschung der Druckstöcke begonnen. Bei diesem in den 1960er Jahren K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
durchgeführte Projekt handelte es sich um den letzten Großeinsatz des gesamten Druckstockbestandes. Zu diesem Zeitpunkt wusste man wenig über die Druckstöcke in Korea und mein Katalog der Drucke konnte vom Universitätsverlag nur als unterstütztes Projekt veröffentlicht werden. In den darauf folgenden Jahrzehnten schlossen sich mir jedoch eine ganze Reihe von Forschern an, die heute neue Informationen über die Geschichte der Druckstöcke ausfindig machen und zu einem neuen diesbezüglichen Verständnis beitragen. Eins der aufregendsten Projekte war die Entdeckung von Tausenden von Druckseiten der Ausgabe von 1011 im Archiv der seltenen Bücher im Tempel Nanzenji in Kyoto, Japan. Der Abt von Nanzenji erlaubte einem koreanischen Team, Digitalaufnahmen von diesen Drucken, die heute im Internet frei zugänglich sind, zu machen. Außerdem erfahren wir heute viel mehr über die physische Beschaffenheit der Druckstöcke im Tempel Haein-sa. Es sieht jetzt zum Beispiel so aus, dass nicht alle aus ein und demselben Holz gefertigt wurden. In älteren Aufzeichnungen heißt es, dass man in Birkenholz gravierte, was auch für einige Druckstöcke zutrifft. Ein Großteil der Druckstöcke scheint, nach ersten Forschungsergebnissen, jedoch aus dem Holz der Berg-Kirsche gefertigt worden zu sein. Andere Forschungen beschäftigen sich mit den Gebäuden, in denen die Holzblöcke viele Jahrhunderte lang aufbewahrt wurden. Je gründlicher diese Hallen erforscht werden,
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Ko re a n Cu l tu re & A rts 1
1. Ein Holzdruckstock der zweiten Ausgabe der Tripitaka Koreana ; auf dem Holzblock lagert sich nach dem Drucken eine Tuscheschicht ab, die einen dünnen Kohlefilm bildet, der Alterung und Verwitterung verzögert. 2. Der Tempel Haein-sa; die Gebäude auf dem am höchsten gelegenen Terrain der Tempelanlage (645m über dem Meeresspiegel) sind die von zahlreichen Gipfeln des Gebirges Gaya-san umgebenen Aufbewahrungshallen der Tripitaka -Druckstöcke.
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Auch wenn es ihnen nicht bewusst gewesen ist, waren die Gelehrten in ihren Forschungen über die buddhistische Literatur Ostasiens fast ein ganzes Jahrhundert lang auf die mit den hölzernen Druckstöcken von Goryeo gefertigten Druckfassungen angewiesen.
desto bemerkenswerter erscheinen sie, denn sie stellen die perfekte Umgebung für die Aufbewahrung der Holzblöcke dar. Es ist schwer vorstellbar, dass wir heutzutage mit etwas Gleichwertigem aufwarten könnten. . Digitalisierung des Kanons Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde der gesamte 50 Millionen Schriftzeichen umfassende Inhalt der Druckstöcke digitalisiert und damit Wissenschaftlern in aller Welt zugänglich gemacht. Vor tausend Jahren war die neue Technologie der Informationsweitergabe der Umkehrbild-Druck, heute ist die neue Technologie digital. In gewissem Sinne leben wir heute in einer Zeit, die viel mit dem 11. Jahrhundert gemeinsam hat. Denn mit der Digitalisierung des in Haein-sa aufbewahrten Kanons haben sich neue Methoden des Lesens, Reproduzierens und Analysierens aufgetan, so wie vor tausend Jahren ein ähnlicher Quantensprung mit der Einführung von ersten Massendruckverfahren gelang. Die digitale Ausgabe des buddhistischen Kanons ändert die Art und Weise unserer Forschungen. In gewissem Sinne können wir jetzt den Inhalt zu uns sprechen lassen. Der Computer ermöglicht es, die inhaltlichen Schemen und den Wortgebrauch zu erfassen, was uns in die Lage versetzt, die Texte auf neue und umfassendere Art zu verstehen. Als Japan eine „moderne“ Ausgabe des chinesischen buddhistischen Kanons anfertigte, stellte sich heraus, dass es die Texte K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
auf den koreanischen Druckstöcken waren. Als diese sog. japanische Taisho -Ausgabe in der ganzen Welt zum Standard des chinesischen buddhistischen Kanons wurde, waren sich nur wenige bewusst, dass es sich dabei um eine direkte Kopie aus Haein-sa handelte. Auch wenn es ihnen nicht bewusst gewesen ist, waren die Gelehrten in ihren Forschungen über die buddhistische Literatur Ostasiens fast ein ganzes Jahrhundert lang auf die mit den hölzernen Druckstöcken von Goryeo gefertigten Druckfassungen angewiesen. Es bleiben immer noch eine ganze Reihe von Fragen über die Druckstöcke, auf die es eine Antwort zu finden gilt. So herrscht z.B. Unklarkeit über den Charakter der Werkstätten, in denen die Druckstöcke graviert wurden. Wurde nur zentral an einem Ort gearbeitet oder hatte man die Arbeit an verschiedene Tempel verteilt? Was geschah mit dem ersten Druckstock-Set während der zwei Jahrhunderte, in denen es existierte? Wie oft wurden die Druckstöcke für Abzüge benutzt und wohin gingen diese Drucke? Die Konferenzen und Workshops anlässlich der Feier des 1.000 Jahrestages erwecken neues Interesse und ziehen mehr an der Forschung interessierte Wissenschaftler an. In dieser Ausgabe von Koreana wird den Lesern ein gutes Verständnis des Charakters der Druckstöcke und ihrer Bedeutung vermittelt. Wir gehen einer neuen Ära der Forschung entgegen und es ist zu erwarten, dass wir in den kommenden Jahren noch mehr über diese wichtigen historischen Relikte erfahren können.
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Tripitaka Koreana
Tausendjahrfeierlichkeiten
Verschiedene Feierlichkeiten entr辰tseln tiefe Geheimnisse Der Geist des koreanischen Volkes, die Druckkunstkultur von Goryeo und die von Buddha hinterlassenen Lehren f端r die Menschheit sind es wert, f端r weitere tausend Jahre bewahrt zu werden. Die Feierlichkeiten zur Kommemorierung des 1.000 Jahrestages des Herstellungsbeginns der urspr端nglichen Tripitaka Koreana sind der erste Schritt auf diesem Weg. Charles La Shure Professor, Graduate School of Interpretation and Translation, Hankuk University of Foreign Studies | Fotos: Ahn Hong-beom
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Ko re a n Cu l tu re & A rts
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assen Sie uns in die Geschichte zurückgehen, aber nicht zehn Jahre, auch nicht hundert Jahre, sondern tausend Jahre bis zum Anbruch des letzten Jahrtausends, als die Welt ganz anders aussah, als wir sie heute kennen. In Europa hatte man endlich Ruhe vor Invasionen von außen, was zu einer Bevölkerungsexplosion und der Entwicklung der Gesellschaft des Hochmittelalters führte. Afrika wurde im Norden von den Fatimiden, einer schiitischismailitischen Dynastie (909-1171) beherrscht, während sich in der Sahara und den Ländern südlich der großen Wüste verschiedene Kaiser- und Königreiche sowie Stämme befanden. Die beiden Amerikas blieben noch weitere fünfhundert Jahre von ihrem schicksalsschweren Zusammenstoß mit seefahrenden Europäern verschont. Die klassischen Zentren der Maya-Kultur in Mesoamerika waren aufgegeben und die Zivilisation der Moundbuilder der Mississipi-Kultur dominierte die Gebiete, die heute den mittleren und südwestlichen Teil der Vereinigten Staaten ausmachen. In Ostasien, auf der anderen Seite der Welt, wehrte das GoryeoReich (918-1392) die khitanischen Invasoren der Liao-Dynastie (916-1125) ab, die im Gebiet des heutigen Nordost-China und der östlichen Mongolei beheimatet waren. Goryeo konnte die Khitanen tatsächlich zurückschlagen, aber der Sieg wurde nicht alleine durch Tapferkeit und Waffengewalt errungen. König Hyeonjong, dem bewusst war, dass diese nationale Krise nach mehr als reiner militärischer Stärke verlangte, befahl die Gravur von Holzdruckstöcken mit dem Kanon der buddhistischen Schriften. 76 Jahre lang widmeten sich Mönche in abgelegenen Bergtempeln im ganzen Land dieser monumentalen Aufgabe und demonstrierten dadurch nicht nur den Geist von Goryeo, sondern auch seine fortschrittliche Druckkunst. Doch nur anderthalb Jahrhunderte später kam es zu einer Tragö-
die, als die Mongolen in Goryeo einfielen und die Druckstöcke im Jahre 1232 verbrannten. „Diese Krise erwies sich als größte Chance“, sagt der Ehrwürdige Mönch Sunghan, der Leiter der Bewahrungsabteilung des Forschungsinstituts für die Tripitaka Koreana im Tempel Haein-sa. In nur 16 Jahren fertigten hingebungsvolle Mönche eine neue Ausgabe des buddhistischen Kanons an, die korrekter als die ursprüngliche Fassung war und die technischen Fortschritte der Zeit widerspiegelte. Heutzutage ist diese Tripitaka Koreana, die als Weltdokumentenerbe der UNESCO registriert ist und im Tempel Haein-sa aufbewahrt wird, das pulsierende Herz der Feierlichkeiten zur Kommemorierung ihres 1.000-jährigen Bestehens.
Heimat der Tripitaka Koreana Unsere Reise beginnt mit einem Besuch des Tempels Hein-sa. Wir folgen der Menschenmenge den sonnengesprenkelten Weg hoch, der tiefer in die Täler des Gebirges Gaya-san führt, aber plötzlich zieht etwas unseren Blick auf sich: Es ist ein Schild, das weg von dem ausgetretenen Pfad weist. Wir folgen ihm und finden uns bald alleine vor einer Grube im Boden wieder. In der Grube befinden sich zur Hälfte eingegrabene Statuen sitzender Buddhas und auf der anderen Seite stehen zwei junge Männer mit Picke und Schaufel, die darüber diskutieren, wie die Ausgrabung am besten fortzusetzen sei. Aber es handelt sich hier nicht um eine archäologische Stätte, son-
1. Der Eingang zur Sudara-jang, der ersten der beiden Aufbewahrungshallen der Tripitaka Koreana , wo die Druckstöcke gelagert sind. 2. Zirkelgang im Haupthof des Tempels Haein-sa; die Besucher meditieren, während sie um die Steinpagode in der Mitte herumlaufen.
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Kalchakura von der chilenischen K端nstlerin Magdalena Atria; es ist eins der Werke, die im Rahmen des Haein Art Project zum Millenniumsgeburtstag der Tripitaka Koreana geschaffen wurden.
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dern um das Ausgrabungsprojekt des Künstlers Cho Duck-hyun. Als Kombination aus Installations- und Performance-Kunst gehört dieses Werk zu den vielen Kunstwerken, die sich um den Tempel Haein-sa herum und in der Umgebung befinden, und die alle zum Haein Art Project gehören, einer Sammlung von rund 50 Kunstwerken, die das Zusammentreffen von Kunst und Religion thematisieren. Sound of Buddha (Der Klang Buddhas) neben dem Tempeleingang ist eine bronzene Buddhastatue von Ahn Sung-keum. Aber es handelt sich nicht um eine gewöhnliche Statue. Sie ist vielmehr in zwei Teile geteilt mit Raum zwischen den beiden Hälften, so dass der Betrachter seine innere Buddha-Natur entdecken und ganz werden kann. Doch es sind nicht nur koreanische Künstler, die an diesem Projekt beteiligt sind. Als wir uns dem Eingangstor des Tempels, dem Ein-Säulen-Tor, nähern, erwartet uns ein seltsamer Anblick: regenbogenfarbige Knetmasse-Mandalas, die direkt am Steinsockel des Tores angebracht sind. Das ist Kalchakura von der chilenischen Künstlerin Magdalena Atria. Wir gehen an den Mandalas vorbei und passieren das Ein-Säulen-Tor, das in den Hauptbereich des Tempels führt. Im ersten Hof steht eine Steinpagode, um die ein wohlkonzipierter, gewundener Pfad führt. Alleine der Gang um die Pagode ist bereits ein Akt der Meditation und als wir dem Pfad folgen, haben wir Zeit, darüber nachzudenken, wo wir sind und warum wir hier sind. Es ist nicht ganz einfach, unsere Schritte zu verlangsamen, da wir wissen, dass die 81.258 hölzernen Druckstöcke der Tripitaka Koreana uns im hintersten Bereich und auf dem am höchsten gelegenen Terrain der Tempelanlage erwarten. Wenig später, als die Sonne hell am blauen Himmel strahlt, klimmen wir die letzten Stufen zu den Gebäuden, in denen die Druckstöcke aufbewahrt werden, hinauf. Wir steigen über die Schwelle des lotusförmigen Tors und befinden uns inmitten der Tripitaka Koreana: Hinter den Holzgittern erstrecken sich nach beiden Seiten hohe Regale, in denen die Holzdruckstöcke lagern. Die Luft ist dank der speziellen, ventilationsfördernden Konstruktion der Fenster frisch, aber gleichzeitig hängt die Schwere der Geschichte in der Luft. Es ist unglaublich, dass sich die Druckstöcke bereits mehr als 750 Jahre hier befinden und man noch immer frische Abdrücke der buddhistischen Schriften damit machen kann. Allerdings werden heutzutage verständlicherweise kaum noch Kopien mit Original-Druckstöcken angefertigt, was uns der Ehrwürdige Mönch Sungahn später in seinem Zimmer bei einer Tasse Oolong-Tee erklärt. „Für ein warmes Gespräch braucht man warmen Tee“, meint er, als er das Getränk eigenhändig für uns zube-
1. The Sound of the Buddha von dem koreanischen Künstler Ahn Sung-keum; eine Buddha-Statue wurde in zwei Hälften geteilt, so dass in der Mitte ein Raum entsteht, in dem Besucher den Buddha in sich selbst entdecken können. 2. Millennial Chorus , ein Digitalinstallations-Kunstprojekt; AMOLED-Screens zeigen Bilder statt der Gesichter von eintausend sitzenden Buddhastatuen. 3. Die World Citizen Hall auf dem Hauptveranstaltungsplatz; Tausende von Papierstreifen enthalten die Wünsche der Besucher. 3
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reitet. Während der nächsten Stunden diskutieren wir über viele Dinge und erkennen dabei, wie spärlich unser Wissen über die Tripitaka Koreana in Wirklichkeit ist. Am Ende unserer Unterhaltung sagt der Mönch mit einem Lächeln noch etwas Interessantes: „Alles unterliegt dem Wandel. Diese Tatsache zu akzeptieren ist der Schlüssel, um den Schwierigkeiten des Lebens zu entfliehen.“ Im ersten Moment scheint diese Aussage aus dem Munde von jemandem, der mit der Aufbewahrung des jahrhundertealten Druckstock-Sets beauftragt ist, etwas seltsam zu sein. Ist denn nicht der Akt des Konservierens ein Versuch, der Welle des Wandels Einhalt zu gebieten? Aber dann wird klar, was er meint: „Die Tripitaka ist ein äußerst schwieriger Text. Wir müssen eine Verbindung oder einen Kode schaffen, mit dem wir Zugang dazu erhalten.“ Tatsächlich befindet sich alles im ständigen Wandel und die Bewahrung der Tripitaka meint nicht nur die physische Konservierung der Druckstöcke, sondern die Bewahrung von all dem, für das die Tripitaka steht.
Den Geist der Tripitaka feiern Unser zweiter Tag beginnt in aller Frühe auf dem Hauptveranstaltungsplatz. Der Platz soll um 10.00 Uhr geöffnet werden, aber es warten bereits so viele Menschen draußen, dass die Tore früher geöffnet werden. Hinter dem Millennium Plaza in der Mitte liegt die Tripitaka Millennium Hall der Hauptveranstaltungsort der Ausstellung und unser erstes Ziel. In der Halle beginnt unsere Besichtigungstour im imposanten Tripitaka -Ausstellungsraum, einem zylindrischen Raum, der den Blick - entlang eines sanft gewundenen, spiralenförmigen Gehweges - nach oben zieht, ganz ähnlich wie im Guggenheim Museum in New York. Im Zentrum dieses Raums ist in einem Holocube das 3D-Bild eines Tripitaka-Druckstocks ausgestellt. Die Wände sind so dekoriert, dass sie Regalen ähneln. Als wir den Spiralenweg hinaufgehen, ist zu erkennen, dass es auch echte Regale gibt, in denen sich hölzerne Druckstöcke zu befinden scheinen. Es handelt sich jedoch um Kupferplatten-Reproduktionen der Tripitaka. Etwas über tausend wurden bislang fertig gestellt, aber die Arbeit wird auch nach dem Festival weitergehen, so dass die Regale am Spiralenweg schließlich 81.258 kupferne Druckplatten enthalten werden. Am oberen Ende des Spiralenwegs, in der zweiten Etage der Halle, gibt es eine Reihe von Räumen, die den Besucher in tiefere Erlebniswelten der Tripitaka Koreana führen. In einem Raum stellen lebensgroße Exponate den Herstellungsprozess der Tripitaka im Detail dar. Am Anfang stand der mühsame Prozess des sorgfältigen Korrekturlesens und Edierens der Inhalte und der Vorbereitung der endgültigen Textvorlage. Dieser Text wurde dann, in umgekehrter Form, auf die einzelnen Holzplatten gelegt und Zeichen für Zeichen ins Holz eingraviert. In einem anderen Raum erklärt ein Video, das auf einem Großbildschirm läuft, das wissenschaftliche Wissen und Know-how, das in
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die Konstruktion der Lagerhallen, in denen die Tripitaka schon seit Jahrhunderten aufbewahrt wird, geflossen ist. Angefangen beim Boden, der mit Kohle und anschließend mit Salz behandelt wurde, um der Erde das Atmen zu ermöglichen, bis hin zu den speziell konstruierten Fenstern dient jedes Element nur dem einen Zweck: die Tripitaka in dem unversehrten Zustand zu bewahren, in dem sie bis heute erhalten ist. Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkennen wir, dass dieser Raum nicht nur ein Vorführraum ist, sondern eine Reproduktion des Inneren der Hallen, wo die Druckstöcke gelagert sind. Überall in der Ausstellungshalle gibt es zahlreiche Exponate, die jungen und alten Besuchern Tripitaka-Koreana -Erlebnisse aus erster Hand ermöglichen, angefangen von den HolzdruckstockDruckstationen bis hin zu Stühlen mit besonderem Design, die dem Besucher mit den Klängen von Sutra-Rezitationen zu einer Ruhepause einladen. Hauptattraktion der Tripitaka Millennium Hall ist zweifelsohne der Raum mit Holzblöcken und anderen Druckinstrumentarien aus Korea und der ganzen Welt. Glanzlicht dieser Show ist ein Original-Druckstock der Tripitaka Koreana , der in einer Glasvitrine ausgestellt ist. Es ist kaum zu glauben, dass er vor 760 Jahren geschaffen wurde. Wenn man genau hinschaut, sind noch die Spuren der Werkzeuge des Graveurs zu sehen. Es gibt noch vier weitere Hallen auf dem Hauptveranstaltungsplatz, von denen sich jeweils zwei rechts und links des Millennium Plaza befinden. Beim Verlassen der Tripitaka Millennium Hall treffen wir rechter Hand auf die World Exchange Hall, in der Kunstwerke und Installationen von über 60 Künstlern aus aller Welt den Geist der Tripitaka eingefangen haben. Daneben liegt die World Citizen Hall, in der die Besucher an den Feierlichkeiten teilnehmen können. Von der Decke hängen Skulpturen mit Tausenden bunter Papierstreifen. Ein genauer Blick zeigt, dass die Streifen nicht nur der Dekoration dienen: Auf jedem steht der Wunsch eines Besuchers. Es gibt auch einen kleinen Raum für die „108- Verbeugungen-Staffel“. 108 ist eine wichtige Zahl im buddhistischen Gedankengut, da sie für die Anzahl der Leidenschaften steht, die für alles menschliche Leid verantwortlich sind. Ziel ist, dass 81.258 Besucher die Zeremonie der 108 Verbeugungen ausführen und damit einen GuinnessRekord aufstellen. Als wir den Tempel besuchten, hatten bereits 15.000 Besucher die Verbeugungen hinter sich gebracht. Gegenüber dem Millennium Plaza befinden sich zwei größere Hallen. In der Knowledge Civilization Hall findet sich zunächst eine Zeittafel, die die Geschichte der Druckkunst in Ost und West darstellt. Es werden viele Relikte und Reproduktionen von Steintafeln, Holzblöcken, handgeschriebenen Manuskripten und andere Expo1. Im Tripitaka Preservation Science Room sind Holzdruckstöcke des Herz-Sutra und des Blumengirlanden-Sutra zu sehen. 2. Lebensgroße Nachbildungen veranschaulichen den Herstellungsprozess der Tripitaka Koreana vom Gravieren der Druckstöcke bis zum Drucken der Sutren. 3. Der spiralenförmig verlaufende Korridor der Tripitaka Millennium Hall.
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Glanzlicht dieser Show ist ein Original-Druckstock der Tripitaka Koreana , der in einer Glasvitrine ausgestellt ist. Es ist kaum zu glauben, dass er vor 760 Jahren geschaffen wurde. Wenn man genau hinschaut, sind noch die Spuren der Werkzeuge des Graveurs zu sehen.
nate gezeigt, die die Entwicklung der Druckkultur im Laufe der Zeiten verdeutlichen. Im Dämmerlicht der Halle erstrahlt ein Exponat im vollen Glanz: eine Sammlung von buddhistischen Sutren, mit goldener Tinte gefertigt von dem zeitgenössischen koreanischen Kalligraphen Hur Rak. Die präzise Schönheit der winzigen Schriftzeichen ist atemberaubend und die detaillierten Illustrationen erinnern an einige der schönsten illuminierten Manuskripten in den Museen der Welt. Am Ende der Halle gelangen wir ins Zeitalter der Moderne: Dort ist ein Exponat aus tausend kleinen DigititalAnzeigen zu sehen, instrumentiert in einer Symphonie aus Licht und Farben – ein Symbol für das einzig Konstante im menschlichen Leben, nämlich den Wandel. In der Spiritual Culture Hall erfahren die Besucher etwas über den Einfluss, den der Buddhismus auf das Alltagsleben hatte. Alles, angefangen von Redewendungen, Teekultur und Kunstformen wie Bronzeglocken und Steinpagoden, alles hat seine Wurzeln im Buddhismus. Aber es ist kein passives Erlebnis: Ein gewundener Weg lädt den Besucher ein, sich in einen meditativen Geisteszustand zu versetzen. Am Ende der Halle ist ein Raum für Gäste reserviert, die gerne meditieren möchten.
Die Tripitaka hautnah erleben Draußen auf dem Millennium Plaza laden uns die Zelte mit ihren weißen und weiß-orangefarbenen Spitzendächern ein. Die Zelte sind voller Menschen, die sich eifrig im Gravieren ihrer eigenen Holzblöcke versuchen, mit Druckstock-Repliken drucken oder kleine Bastelarbeiten wie Windspiele und Lotuslaternen herstellen. Da uns die Exponate über das Verfahren des Druckens mit den Tripitaka -Druckstöcken besonders beeindruckt hat, beschließen wir, es einmal damit zu versuchen. Der erste Schritt besteht im Auftragen der Tusche. Auf traditionelle Weise würde man dafür einen Pinsel benutzen, aber wir verwenden einen modernen Tuscheroller, um sicher zu gehen, dass der Druckstock auch vollständig mit Tusche überzogen ist. Der kräftige, beißende Geruch der Tusche hängt in der Luft, als wir ein Blatt Papier auf den Druckstock legen. Jetzt braucht man nur noch sanft mit einem tuchbezogenen Reibschwamm über das Papier zu gehen und schon nimmt unser Druck Gestalt an. Als er fertig ist, kommt es uns so vor, als ob wir ein Stück selbst gefertigter Geschichte in den Händen hielten. Als die Sonne höher steigt, werden auch die Menschenansamm-
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lungen um uns herum größer. Bald schleicht eine Schlange wartender Menschen über den Millennium Plaza und es erklingt die Ansage, dass die Anstehzeit für die Besichtigung des Original-Tripitaka-Druckstocks momentan zwei Stunden beträgt. Viele Besucher beschließen, sich mit Essen und Snacks im Restaurant-Pavillon zu stärken, wo Fleischspieße und andere verführerische Leckereien angeboten werden. Aber da tut sich auf der anderen Seite des Veranstaltungsortes gerade etwas: Frauen, Männer und Kinder in traditioneller koreanischer Tracht stehen aufgereiht, als ob sie auf eine Parade warten würden. Geboten wird eine Nachstellung der Tripitaka-Prozession, die für den Transport der Druckstöcke eingesetzt wurde. Die Prozession wird von Musikanten, die Trommeln und Gongs schlagen, angeführt und von grimmig dreinblickenden Soldaten in voller Rüstung, die Waffen bereithalten, begleitet. Es folgt eine Gruppe von Frauen mit Druckstock-Repliken auf dem Kopf, die mit Bändern unter dem Kinn befestigt sind. Sie laufen in Strohschuhen über den sandigen Weg, die Hände ehrfürchtig vor sich gefaltet. Dahinter kommt eine Gruppe kleiner Kinder, die alle ganz aufgeregt sind, weil sie die Holzblöcke auf dem Rücken tragen dürfen. Ältere Kinder und Erwachsene mit Kiepen auf dem Rücken und Ochsen, die Bündel von Druckstöcken tragen, bilden das Schlusslicht. Für diejenigen, die an der Porzession teilnehmen, und diejenigen, die zuschauen, ist es eine weitere Gelegenheit, die Tripitaka zu erleben. Wie der Ehrwürdige Mönch Sungahn sagte, ist die Tripitaka in der Tat ein schwieriger Text. Die Ausstellungen, Events und Feierlichkeiten zur Kommemorierung des 1.000 Jahrestags der Herstellung der Tripitaka Koreana sind ein erster Anknüpfpunkt, der uns dem tiefen Geheimnis der Tripitaka näher kommen lässt. Wir verlassen den Veranstaltungsort mit einem größeren Verständnis des geschichtlichen Hintergrunds der Tripitaka und der Weisheit und Anstrengungen, die in ihre Schaffung geflossen sind. Am wichtigsten ist aber vielleicht, dass die Tripitaka Koreana nicht länger etwas ist, von dem wir nur gehört oder das wir nur gesehen haben: Sie ist jetzt lebendiger und atmender Bestandteil unseres Lebens.
1. Besucher beim Anschauen eines Videos, das die wissenschaftlichen Prinzipien hinter der Konservierung der Tripitaka Koreana erklärt. 2. Nachstellung einer Prozession zum Transport der Tripitaka -Druckstöcke.
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Tripitaka Koreana
Original-Tripitaka
Weisheit, weitergegeben in Rollen aus Goryeo-Maulbeerbaumpapier
- Zur aktuellen Lage der Bewahrung der Drucke der urspr체nglichen Tripitaka Koreana Die urspr체ngliche Tripitaka Koreana ist seit mehr als tausend Jahren in Form von gedruckten Schriftrollen erhalten. In Korea befinden sich rund 300 B채nde davon, in Japan rund 2.400. Kim Hak-soon Journalist
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s ist kaum zu glauben, dass diese Schriftrollen, die so aussehen, als wären sie erst vor einigen Monaten auf Hanji, dem traditionellen koreanischen Papier aus der Rinde des Maulbeerbaums, gedruckt worden, in der Tat eintausend Jahre alt sind. Der Anblick der fast 100 Bände dieser Drucke der ursprünglichen Tripitaka Koreana im Horim Museum, das sich in der Nähe der Seoul Nationaluniversität befindet, erfüllte mich mit Staunen. Als ich mich daran erinnerte, dass es sich bei diesen tausend Jahre alten Drucken quasi um die Große Enzyklopädie der buddhistischen Sutren und Lehren und damit um die umfassendste Sammlung aller vorhandenen buddhistischen Texte handelt, war ich so überwältigt, dass mein Herz heftig klopfte. Die meisten Sutren sind ohne Verfärbungen oder Beschädigungen perfekt erhalten. Es gibt zwar auch einzelne beschädigte Exemplare, aber diese Schäden sind im Laufe der von der Hand verschiedener Menschen durchgeführten Konservierungsanstrengungen entstanden.
Papier und Tusche Welches Geheimnis verbirgt sich dahinter, dass diese Drucke von den Original-Druckstöcken 1.000 Jahre lang den Unbilden der Zeit widerstanden und bis heute in nahezu perfektem Zustand erhalten geblieben sind? Das interessierte mich vor allen Dingen. Park Junyoung, der Kurator des Horim Museums, das die größte Sammlung von Drucken, die mit den Original-Druckstöcken der ursprünglichen Tripitaka Koreana gemacht wurde, besitzt, löste ein Teil dieses Rätsels: Der entscheidende Schlüssel liegt in dem Papier der Goryeo-Zeit, das damals weltweit eins der vorzüglichsten war. Zur Herstellung dieses Goryeo-Papiers wurden Fasern des Maulbeerbaums, aus denen das Papier gemacht wurde, mehr als hundert Mal geschlagen. Dann wurden die Maulbeerbaumfasern mit der klebrigen Wurzelsubstanz des Maniok-Bisameibisch (Dakpul) in einem Riesentrog mit Wasser gemischt. In diese flüssige Fasermischung wurde für ein einziges Blatt wiederholt ein Siebrahmen getunkt, auf dessen Oberfläche sich dann Faserschicht um Faserschicht ansammelte, was dem Papier besondere Haltbarkeit verlieh. Danach wurden die Papierblätter zum Walken auf einen Steinblock gelegt und mit Holzhämmern bearbeitet, um das Papier glatt und glänzend zu machen. Auf diese Weise wurden die Fasern fest miteinander verbunden, so dass das Papier wie mit einer Lackfilm beschichtet zu sein schien. Es ist diesen besonderen Materialien und Herstellungsmethoden zu verdanken, dass das Papier der Goryeo-Zeit so außerordentlich haltbar ist und in den letzten tausend Jahren seine Farbe und Form nicht verloren hat. Darüber hinaus ist das Goryeo-Papier pH-neutral, so dass es lange Zeit beständig bleibt, selbst wenn es Luft und Licht ausgesetzt wird.
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Die erste Ausgabe der Tripitaka Koreana , die vor eintausend Jahren gedruckt wurde und heute noch in Form von Schriftrollen erhalten ist.
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Wie aus dem alten Spruch „Papier bleibt tausend Jahre beständig, während Seide fünfhundert Jahre überdauert“ hervorgeht, war die ausgezeichnete Qualität des Hanji-Papiers weit bekannt. Insbesondere die hohe Qualität des Goryo-Papiers wurde selbst von den stolzen Chinesen anerkannt. In einem chinesischen Dokument heißt es: „Das Maulbeerbaumpapier von Goryeo ist von heller und lieblicher Beschhaffenheit und wird als ‚weißes und geschlagenes Blatt‘ bezeichnet. Das Goryeo-Papier enthält Fäden von Seidenraupenkokons, so dass es glatt und haltbar wie Seide ist; weil es beim Fertigen von Kalligraphien die Tusche gut aufsaugt, wird es hoch geschätzt. Es ist ein wertvolles Objekt, das es selbst in China nicht gibt.“ Von Su Shi (Su Dongpo) (1037-1101), einem der acht meisterhaften Schriftsteller der chinesischen Reiche Song (960-1279) und Tang (618-907) und der berühmteste Dichter der Song-Zeit, ist überliefert, dass er sich gewünscht haben soll, einmal Papier und Seladon aus Goryeo zu besitzen. Die kürzlich von Frankreich als Dauerleihgabe zurückgegebenen Uigwe, die Hofprotokolle des Joseon-Reiches (1392-1910) aus dem Außen-Hofarchiv Oegyujanggak auf der Insel Ganghwa-do, sind erstaunlich gut erhalten: Das Papier ist in perfektem Zustand und der Inhalt deutlich erkennbar, was besondere Aufmerksamkeit auf sich zog. Für die Uigwe -Abschriften, die für den König bestimmt waren, wurde zwar erstklassiges Papier verwendet, aber es lässt sich trotzdem sagen, dass das Goryeo-Papier das Papier von Joseon übertrifft. Die Besonderheiten des Papiers, das für die Drucke der ursprünglichen Tripitaka Koreana zum Einsatz kam, wurden aufgedeckt von einem Forschungsteam unter Leitung von Nam Gwon-hui, Professor für Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Kyung-
pook Nationaluniversität, der beim Projekt zur Restaurierung der ursprünglichen Tripitaka Koreana eine führende Rolle spielt. Professor Nam und das Research Institute of the Tripitaka Koreana unter Leitung des Ehrwürdigen Mönches Jongnim führten von August bis November 2010 das Gemeinschaftsprojekt „Analyse des Papiers und der Bindeform des Originals der Tripitaka Koreana “ durch. Im Rahmen dieses Projekts brachten sie die Geheimnisse von Papier, Rolle, Bindeform, Leim und Einbänden von den vorhandenen Drucken des Originals der Tripitaka Koreana ans Licht. Auf Grundlage der Untersuchung der Dichte des Papiers und der Analyse der Faserarten konnte rückgeschlossen werden auf Größe, Dicke und Farbe des Papiers, auf die Form des verwendeten Siebrahmens, die Stärke des Schlagens und die Oberfläche. Die Forschungsergebnisse wurden im November 2011 auf der Webseite des Forschungsinstituts veröffentlicht.
1. Band 12 des Diskurses über den bewussten Körper (Abhidharma Vijnaya-kaya Pada Sastra ) aus der ursprünglichen Tripitaka Koreana (Sammlung des Horim Museum). 2. Band 11 des Kommentars über Hohes Lehren (Abhidharma Vibhasa Sastra ) aus der ursprünglichen Tripitaka Koreana (Sammlung des Horim Museum).
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Professor Nam sagt: „Das Hanji-Papier, das hauptsächlich aus Maulbeerbaumfasern gemacht ist, kann ohne schädigende oder zerstörende Einwirkungen von außen 2.000 Jahre überdauerrn. Von daher gesehen macht es wenig Sinn, von dem ‚Geheimnis der tausendjährigen Beständigkeit‘ zu sprechen.“ Neben dem Papier steckt auch hinter der zum Drucken verwendeten Tusche ein Geheimnis der Aufbewahrung. Die Tusche wurde aus einer Kombination von Leim und der Asche, die beim Verbrennen von Kiefernzweigen oder Kiefernknoten, die einen hohen Harzanteil enthalten, gemacht. Auf diese Weise hergestellte Tusche verliert ihr kräftiges Schwarz bei der Verwendung für Drucke oder Kalligraphien nicht und bleibt über tausend Jahre unverändert erhalten.
Kleben von Papierblättern Das Geheimnis dafür, dass sich diese Rollen tausend Jahre lang nicht auflösten und in ihrer ursprünglichen Form erhalten blieben, liegt in dem exzellenten Klebstoff. Bei der Verbindung der einzelnen Papierblätter wurde ein Leim verwendet, der aus einer
Mischung von 3 bis 10 Jahre lang fermentiertem Naturweizen und Heilkräutern hergestellt wurde. Dank dieses Klebstoffes sind bis heute zwischen den verbundenen Papieren keinerlei Brüche entstanden und das Papier hat seine ursprüngliche Glätte bewahrt. Obwohl die Verbundstellen nur zwei oder drei Millimeter breit sind, haben sie ihre Stabilität nicht eingebüßt, was sehr erstaunlich ist. Das Papier, das zur Herstellung der Drucke der ursprünglichen Tripitaka Koreana verwendet wurde, weist je nach Zeitraum des Druckens ziemlich unterschiedliche Beschaffenheit auf. Nach Professor Nam wurden die in Korea vorhandenen Drucke meistens auf dickem, weißen Papier gedruckt, während die im japanischen Tempel Nanzenji und anderswo aufbewahrten Drucke mit dünnem, gelblichen Papier gefertigt wurden.
Drucksammlungen Kurator Park Jun-young erklärt, dass sich im Horim Museum die größte Sammlung von Drucken der ursprünglichen Tripitaka Koreana vom Niveau Nationalschatz und Wertvolles Kulturgut befinden.
Die Drucke der ursprünglichen Tripitaka Koreana strömen „die lebendige Weisheit von tausend Jahren“ aus. Plötzlich fallen mir die Worte des Ehrwürdigen Mönchs Uicheon (1055-1101), Sohn von König Munjong und Begründer der Cheontae-Schule des Buddhismus, ein, der die Herstellung der Tripitaka Koreana als „Weitergabe der gesammelten Weisheit des Millenniums an das Millennium der Zukunft“ bezeichnete.
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Darunter sind das Blumengirlanden-Sutra, Band 2 (Buddhavatamsaka Mahavaipulya Sutra, Nationalschatz Nr. 266), der Diskurs über den bewussten Körper, Band 12 (Abhidharma Vijnaya-kaya Pada Sastra, Nationalschatz Nr. 267), der Kommentar über hohes Lehren und Band 11 (Abhidharma Vibhasa Sastra, Nationalschatz Nr. 268) besonders beeindruckend. Anlässlich der Kommemorierung des 1.000 Jahrestages des Beginns der Gravierarbeiten der ursprünglichen Tripitaka-Koreana veranstaltete das Horim Museum in der Sinsa-Zweigstelle in Gangnam-gu (18. Mai - 31. August) und in der Sillim-Zweigstelle in Gwanak-gu (30. Mai - 31. Oktober) in Seoul die Sonderausstellung 1011-2011- tausend Jahre warten: das Original der Tripitaka Koreana, so dass sich das Publikum auch die Drucke des Originals vom Wert eines Nationalschatzes ansehen konnte. Bislang wurden immer nur ein oder zwei Drucke der Original-Tripitaka der Öffentlichkeit präsentiert, eine umfangreiche Ausstellung fand damit zum ersten Mal statt. Die Exponate
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im Rang vom Nationalschatz oder Wertvollem Kulturgut wurden je nach Bindestil und Erhaltungszustand in drei Kategorien unterteilt. Das Sungam Museum für antike Schriften, in dem sich neben dem Horim Museum die größte Sammlung von Druckkopien der ursprünglichen Tripitaka Koreana befindet, ist dafür berühmt, den einzigen Holzschnitt des Tripitaka -Originals zu besitzen. Bei diesem Holzschnitt handelt es sich um den einzigen noch existierenden Band der Eojebijangjeon (Yuzhi mizangquan, Kaiserlicher Kommentar über den buddhistischen Kanon), einer Gedichtsammlung von Taizong, dem Kaiser des Nördlichen Song-Reichs (9601126). Eojebijangjeon ist ein kostbares Werk, das nur in der Tripitaka Koreana enthalten ist. Diese Sutren bestehen aus tausend Gedichten in Form von Fünf-Wort-Versen, die die tiefe Bedeutung der buddhistischen Lehren erklären. Der Holzschnitt enthält Szenen, in denen Figuren vor dem Hintergrund der von glückverheißenden Wolken umhüllten schönen Berg- und Flusslandschaft die Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
Titelbild für den ersten Band des Yuzhi mizangquan ; eine Vielfalt von Motiven wie Berge und Felsen, Wolken, Flüsse, Bäume und Menschen wird durch aufwändige Gravuren aufs Feinste zum Ausdruck gebracht.
Prinzipien der Askese lehren. Dieses künstlerisch wertvolle Werk aus der frühen Goryeo-Zeit zeigt in feinster Linienführung und elaborierter Darstellung die topographischen Besonderheiten wie Berge und Felsen, Wolken, Flüsse, Bäume in unterschiedlichsten Variationen, Gebäude und Menschen. Es wird vermutet, dass der Holzschnitt aus dem ausgehenden 11. Jahrhundert, als die Holzdruckstöcke der ursprünglichen Tripitaka Koreana graviert wurden, stammt. Da nur wenige Gemälde aus der frühen Goryeo-Zeit erhalten sind, ist dieser Holzschnitt sehr wertvoll. Er bietet einen Einblick in die stilistischen Besonderheiten der Landschaftsmalerei und der Holzschnitt-Illustrierung von Sutren. Das Sungam Musem für antike Schriften ist das einzige auf alte Bücher spezialisierte Privatmuseum in Korea. Das in der Nähe des Gwanghwamun Plaza in Seoul befindliche Museum besitzt Sutren der Goryeo-Zeit, die mit einem spitzen Ritzstift markiert sind, was der Sammlung besonders hohen Wert verleiht. Der Ritzstift wurde aus hartem Material wie Holz oder Elfenbein hergestellt und zum Einritzen von Zeichen verwendet, die auf die zu befolgende Reihenfolge des Lesens eines Sutra hinweisen oder Erklärungen und Kommentare liefern. Diese Zeichen sind mit bloßem Auge schlecht zu erkennen, können aber bei Beleuchtung aus einem bestimmten Winkel oder mit Hilfe von Spezialausrüstung entziffert werden. Die Sutren sind derzeit der allgemeinen Öffentlichkeit nicht zugänglich. Im Horim Museum und im Sungam Museum für antike Schriften befinden sich jeweils fast 100 Drucke der ursprünglichen Tripitaka Koreana, was 83 Prozent des Gesamtbestandes in Korea entspricht. Weitere Bände sind im Besitz der Bibliothek der Keimyung Universität (5), des Nationalmuseums (4), des Hoam Kunstmuseums (4), des Gacheon Museums (4), des Tempels Guin-sa (3), des Cheongju Museums für Frühe Druckkunst (Cheongju Early Printing Museum) (3), der Bibliothek der Yonsei Universität (3), des Seoul Geschichtsmuseums (Seoul Museum of History) (2), der Yeungnam Universität (2), des Jeonju Hanji Museums (2), des Gyeonggi Provinzmuseums (Gyeonggi Provincial Museum) (1), des Museums der Myongji Universität (1) und des Samseong Museums für Verlagswesen (Samseong Museum of Publishing) (1). In der Sammlung des Nationalmuseums befindet sich auch der Druck des Traktats über die Bekannntmachung der heiligen Lehre, Band 12 (Prakranaryavaca Sastra, Nationalschatz Nr. 271), den der kürzlich verstorbene Song Seong-mun, der Verfasser einer Serie beliebter Englisch-Lehrbücher, dem Museum vermachte. Als diese Schrift 1992 zum Nationalschatz bestimmt wurde, herrschte große Aufregung unter den Experten, denn es handelt sich um den ältesK o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
ten Druck der ursprünglichen Tripitaka Koreana, der in Originalform erhalten ist. Professor Nam vermutet, dass es noch weitere Personen gibt, die im Besitz von Drucken der ursprünglichen Tripitaka Koreana sind, dies aber geheim halten. Heutzutage sollen in Korea rund 300 Bände der ursprünglichen Tripitaka Koreana existieren, während sich in Japan im Tempel Nanzenji und im Tsushima Museum für Volksgeschichte (Tsushima Folk History Museum) 2.400 Bände befinden. Das heißt, die Gesamtzahl von Druckkopien beläuft sich auf rund 2.700. Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen gibt es 154 Bände (78 Titel der buddhistischen Sutren) von Drucken der Tripitaka Koreana, die sich nur in Korea befinden. 66 Bände (50 Titel) sind im Tempel Nanzenji und 8 Bände (1 Titel) im Tsushima Museum für Volksgeschichte. Von den Drucken in Korea basieren 70 auf denselben Sutren und haben die gleiche Anzahl von Bänden wie die japanischen. Darunter befindet sich ein Sutra mit sogar drei Kopien, was bedeutet, dass sie nach der Fertigstellung des OriginalDruckstocksets mindestens drei Mal entweder ganz oder teilweise gedruckt wurde. Professor Nam, der an der Untersuchung des kompletten Druckbestandes der Tripitaka Koreana teilnahm, erklärt, dass beim Vergleich der japanischen und koreanischen Versionen 20 Unterschiede auf identischen Seiten von Drucken desselben Bandes entdeckt wurden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auch nach dem Abschluss der Herstellung des OriginalDruckstocksets teilweise Korrekturen durchgeführt wurden oder Druckstöcke wegen Konservierungsprobleme neu graviert werden mussten.
Schriftrollen Bei den Drucken der urspünglichen Tripitaka Koreana handelt es sich um Schriftrollen, für die bedruckte Einzelblätter aneinander geklebt und zusammengerollt wurden. Das ist die älteste Methode der Buchherstellung und die ältesten, in Korea entdeckten Bücher haben alle Schriftrollenform. Dieses Fromat wird auf Koreanisch als „Gweonjabon“ bezeichnet und der Ursprung von „Gwon“ (Band), geht auf dieses Wort zurück. Die Einbände der Drucke wurden aus tiefblau gefärbtem Hanji-Papier gemacht, manchmal wurden sie auch ungefärbt belassen. Auf den tiefblauen Einbänden wurde der Name des Sutra in Gold geschrieben, während auf den ungefärbten Einbänden mit Tusche gearbeitet wurde. Kurator Park Jun-young sagt, dass der Kalligraphie-Stil der ursprünglichen Tripitaka Koreana schöner als der der zweiten Ausgabe ist. Die Drucke der ursprünglichen Tripitaka Koreana strömen „die lebendige Weisheit von tausend Jahren“ aus. Plötzlich fallen mir die Worte des Ehrwürdigen Mönchs Uicheon (1055-1101), Sohn von König Munjong und Begründer der Cheontae-Schule des Buddhismus, ein, der die Herstellung der Tripitaka Koreana als „Weitergabe der gesammelten Weisheit des Millenniums an das Millennium der Zukunft“ bezeichnete.
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Tripitaka Koreana
Drucke in Japan
Druckkopien der ursprünglichen Tripitaka Koreana in Japan Kim Hak-soon Journalist | Fotos: Park Bo-ha
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ür mich als Koreaner ist es eine bedauerliche Tatsache, dass sich der größte Teil der Drucke der ursprünglichen Tripitaka Koreana in sorgfältiger Aufbewahrung in Japan und nicht in Korea befindet. Der Tempel Nanzenji und das Tsushima Museum für Volksgeschichte (Tsushima Folk History Museum) haben ungefähr 2.400 Tripitaka-Drucke in ihrem Besitz, 8 Mal mehr, als sich in koreanischen Sammlungen befinden. Doch nicht nur die schiere Quantität der in Japan befindlichen Drucke ist überwältigend, sie sind auch qualitativ besonders hochwertig Allein im Tempel Nanzenji befinden sich 1.800 Rollen, also mehr als ein Drittel der ursprünglichen Gesamtzahl der Drucke der Tripitaka Koreana . Professor Nam Gwon-hui sagt, dass diese Rollen wahrscheinlich die ältesten bekannten Drucke sind und dass sie auch zur gleichen Zeit gedruckt wurden. Nur der Traktat über die Bekanntmachung der heiligen Lehre (Prakaranaryavaca Sastra), der in Besitz des Seoul Geschichtsmuseums (Seoul Museum of History) ist, soll älter als die Drucke im Tempel Nanzenji sein. Inhaltlich gesehen sind die Nanzenji-Drucke ebenso von besonderem Wert. Da Struktur und Inhalt der ursprünglichen Tripitaka Koreana aus der Goryeo-Zeit (918-1392) auf der K'ai-pao-tsang Ausgabe (971-983), dem buddhistischen Kanon des Nördlichen Song-Reichs (960-1126) basieren, stellen die Drucke eine wertvolle Quelle zur Erforschung der Goryo-Zeit dar und sind zudem hilfreich für die Rekonstruierung der Tripitaka-Version aus dem chinesischen Song-Reich, von der weltweit nur noch rund 10 Bände existieren. Der siebte Band der Yogacarabhumi Sastra (Darlegung auf den Stadien von Yogic Praxis) aus Nanzenji ist neben der koreanischen Ausgabe eine wichtige Schrift, die mit einem spitzen Stift markierte Zeichen enthält, weshalb er mit Blick auf die Interpretation von klassischen chinesischen Sutren und die Erforschung der alten koreanischen Sprache als wertvolles Material gilt. Darüber hinaus sind Eojebijangjeon (Yuzhi mizangquan ), Eojesoyoyeong (Yuzhi xiao yao yong) und Eojebulbu (Yuzhi fofu) kostbare Ausgaben mit großflächigen Holzschnitten. Obwohl einer der insgesamt 20 Originalbände verloren ging, sind rund 100 beeindruckende Holzschnitte mit elaborierten Detaildarstellungen erhalten geblieben. Von dem chinesischen Kanon K'ai-pao-tsang existiert nur noch ein einziger Band mit Holzschnitten. Die Drucke der ursprünglichen Tripitaka Koreana sind meistens
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aus einer oder zwei Papiersorten gemacht, aber manchmal wurden auch mehrere Papiersorten unterschiedlicher Qualität verwendet. Die Existenz der ursprünglichen Tripitaka-Drucke wurde schon vor den 1930er Jahren, als Korea unter japanischer Kolonialherrschaft (1910-1945) stand, bekannt. Die Drucke waren jedoch damals selbst japanischen Wissenschaftlern nur beschränkt zugänglich, koreanische Wissenschaftler hatten keine Gelegenheit, sie in Augenschein zu nehmen. Als Dr. Kim Du-jong und Prof. Cheon Hye-bong von der Sungkyunkwan Universität in den 1960er Jahren einige Bände untersuchten, wurden diese koreanischen Wissenschaftskreisen zum ersten Mal bekannt. Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
Rund 600 Bände befinden sich im Besitz des Tsushima Museums für Volksgeschichte. Diese Drucke wurden ursprünglich im Tempel Ankokuji auf der Iki-Insel in der Nähe der Insel Tsushima und im Tempel Joshoji auf Tsushima aufbewahrt. Der Tempel Ankokuji trug bis Anfang des 14. Jahrhunderts denselben Namen wie der Tempel Haein-sa in Korea, in dem die zweite Ausgabe der Tripitaka Koreana aufbewahrt ist, aber er wurde später umbenannt, als Japan landesweit Tempeln und Pagoden errichten ließ, um die Seelen der im Krieg Verstorbenen zu trösten und für das Wohlergehen der Nation zu beten. Ankokuji meint entsprechend „Tempel für den Frieden der Nation“. Von den Maha Prajnaparamita Sutren aus Ankokuji stammen 219 Bände von der ursprünglichen Tripitaka Koreana und 6 der Bände enthalten Angaben darüber, dass Heo Jin-su, ein Regierungsbeamter von Goryeo, der in Gimhae diente, 1046, im 12. Regierungsjahr von König Jeongjong (reg. 1034-1046), diese Sutren drucken ließ, und zwar als Bitte für das Wohlergehen des Landes, die Langlebigkeit seiner Mutter und das Seelenheil seines verstorbenen Vaters. Dies ist die einzige definitive Angabe über die Herstellung, die sich auf einer Druckausgabe der ursprünglichen Tripitaka Koreana befindet. Heo Jin-su soll die Drucke als Opfergabe in zwei Buddha-Statuen im Tempel Seobaek-sa in der Nähe von Gimhae als Opfergabe eingeschreit haben. Koreanische Wissenschaftler vermuten, dass die in einer der Statuen aufbewahrten Drucke von den Japanern geraubt und nach Japan gebracht wurden. Die Drucke von Joshoji stehen ganz am Anfang der Tripitaka Koreana, repräsentieren das Ganze und weisen inhaltlich den größten Umfang auf, so dass sie die „600 Banya (Maha Prajnaparamita Sutren)“ genannt werden, d.h., sie werden als die wichtigsten Sutren betrachtet. Da sich unter den 1.800 Bänden im Tempel Nanzenji kein einziger Druck des Daebanyagyeong (Maha Prajnaparamita-Sutra , Vervollkommenheit der Weisheit-Sutra) befindet, liegt die Vermutung nahe, dass diese Sutren gleichzeitig nach Japan gebracht und an verschiedene Orte verteilt wurden. Weil auf der Rückseite von einigen der Nanzenji-Bänden in Gimhae in Korea verfasste Dokumente zu sehen sind, ist es auch möglich, dass sie von derselben Einheit stammen. Die Bände von Ankokuji kamen ursprünglich aus der Nähe von Nagasaki und wurden später in den Tempel gebracht. Die Tripitaka -Bände aus dem Tsushima Museum für Volksgeschichte wurden ursprünglich in den Tempeln Joshoji und Ankokuji aufbewahrt. Laut Museum und den bibliographischen Angaben der Tripitaka-Bände sollen sie im Tempel Cheonhwa-sa im Osten von Gaeseong, der Hauptstadt von Goryeo, gefertigt worden sein. Aus den Aufzeichnungen Goryeosa (Geschichte des Goryeo-Reichs) und Sinjeung dongguk yeoji seungnam (Überarbeiteter und ergänzter geographischer Überblick über Korea ) geht hervor, dass der K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
2 1. Professor Nam Gwon-hui, der am von 2004 bis 2010 durchgefxührten, koreanisch-japanischen Digitalisierungsprojekt der ursprünglichen Tripitaka Koreana teilnahm, nimmt die Originalausgabe der Tripitaka -Drucke im Tempel Nanzenji in Kyoto, Japan, in Augenschein. 2. Das Archiv der Original-Tripitaka -Drucke im Tempel Nanzenji.
Cheonhwa-sa Anfang des 12. Jahrhunderts gebaut wurde und bis ins 15. Jahrhundert hinein existierte. Die Drucke von Ankokuji fielen in den 1980er Jahren einem Diebstahl zum Opfer, so dass sich ihre Zahl auf 33 Bände reduzierte, jedoch sollen einige der gestohlenen Bände später in Korea entdeckt worden sein. 2005 wurden einige der Tripitaka -Drucke, die auf der Insel Tsushima aufbewahrt wurden, nach Korea geschafft, was in den koreanischen Wissenschaftskreisen für große Aufregung sorgte. Bei der Registrierung dieser auf nicht rechtmäßigen Wegen nach Korea zurückgebrachten Kulturgüter wurden die koreanischen Bibliographen auf sie aufmerksam. Einige der Bände wurden auch als Kulturgüter registriert. Aber Japan fordert diese Relikte jetzt zurück, weil sie bereits von der japanischen Kulturagentur (Agency for Cultural Affairs) zu Kulturgütern Japans erklärt worden waren. (Professor Nam Gwon-hui berichtet, dass er und sein Team bei der Untersuchung der Tripitaka-Drucke in Japan nicht wenigen Härten ausgesetzt waren. Bei den Forschungsarbeiten, die in den Sommer- und Wintersemesterferien durchgeführt wurden, mussten sie in Gebäuden ohne Fenster und ohne Heizung bzw. Klimaanlage arbeiten. Im Winter bedeutete das, eisige, bis in die Knochen dringende Kälte zu ertragen, gegen die auch mehrere Kleiderschichten übereinander nichts halfen. Im Sommer steckten sie von Kopf bis Fuß in Schutzkleidung, so dass über der Gesichtsmaske nur die Augen frei blieben. Und das bei der schwülen Hitze, die sich nur durch häufige Pausen an der frischen Luft im Abstand von ein, zwei Stunden ertragen ließ. Unter diesen harten Bedingungen arbeiteten sie fünf Jahre lang.)
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Tripitaka Koreana
Holzdruckstöcke
Holzdruckstöcke nach 760 Jahren perfekt erhalten Die Holzdruckstöcke der Tripitaka Koreana sind keine schönen Kunstwerke. Sie sehen eher wie mit schwarzer Tusche vollgeschmierte Holzblöcke aus, in der unzählige Schriftzeichen in Umkehrschrift eingraviert sind. Aber sie sind umfangreiche und mit großem handwerklichen Geschick gearbeitete Artefakte der frühen Druckkultur Koreas, in die Hingabe und Anstrengung der Menschen der Goryeo-Zeit (918-1392) flossen, die jedes einzelne der 52 Millionen Schriftzeichen der buddhistischen Sutren per Hand eingravierten. Park Sang-jin Prof. em. für Forestry und Forest Engineering, Kyungpook National University Fotos: Ahn Hong-beom, Suh Heun-gang
Ein Holzdruckstock der zweiten Ausgabe der Tripitaka Koreana (der letzte der 660 Bände der Maha Prajnaparamita Sutra) Vervollkommenheit der Weisheit-Sutra; rechts und links am Druckstock sind Griffe angebracht, die die Handhabung beim Drucken oder Langern erleichtern.
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ie Zivilisationsgeschichte der Menschheit wurde durch die Entwicklung von Techniken, mit denen Wissen schriftlich festgehalten, aufbewahrt und an andere weitergegeben werden konnte, auf den Weg gebracht. Zuerst schrieben und zeichneten die Menschen auf Tierhäute, Stoffe, Tontafeln oder Baumrinde. Im Zuge der Weiterentwicklung der Techniken benutzten sie auch dünne Streifen aus Bambus oder anderen Holzarten. Mit der Verbreitung des Buddhismus erkannte man die Notwendigkeit zum Druck der buddhistischen Schriften, damit diese von vielen Menschen auf einmal gelesen werden konnten. Wenn man die Schriftzeichen auf Holzblöcken eingravierte, war es möglich, bei Bedarf große Mengen von Kopien zu erstellen. In Korea wurde die Buchdrucktechnik bereits sehr früh entwickelt: Bereits im 8. Jahrhundert wurde das Mugujeonggwang Daedaranigyeong (Reines Licht Dharani-Sutra) angefertigt, das heute älteste erhaltene, mit Holzdruckstöcken gedruckte Dokument. Später wurde die Tripitaka Koreana herausgegeben, die den Höhepunkt der Entwicklung der Holzdrucktechnik darstellt. Die Tripitaka-Holzdruckstöcke sind heute das umfangreichste noch erhaltene SutrenHolzblockset der Welt.
Herstellung der Holzdruckstöcke Die Tripitaka Koreana besteht aus 81.258 Holzdruckstöcken, in die
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buddhistische Sutren, die rund 52 Millionen chinesische Schriftzeichen umfassen, eingraviert sind. Auf Vorder- und Rückseite jedes Holzblockes befinden sich zusammen etwa 640 Schriftzeichen, an beiden Seiten sind Griffe angebracht. Die Tripitaka-Blöcke variieren in der Länge, messen aber meistens 68 oder 78 Zentimeter. Sie sind 24 Zentimeter breit, 2,8 Zentimeter dick und wiegen jeweils rund 3,4 Kilogramm. Aufgestapelt würden sie einen circa 3.200 Meter hohen Turm ergeben, aneinander gelegt käme man auf eine Strecke von rund 60 Kilometern. Das Gesamtgewicht liegt bei etwa 280 Tonnen und das Volumen bei etwa 450 Kubikmetern. Die Mikroskop-Analyse von kleinen, den Tripitaka -Druckstöcken entnommenen Holzproben brachte folgendes Ergebnis: 64% Prozent der Druckstöcke wurden aus dem Holz der Berg-Kirsche (Prunus sargentii) und 15 Prozent aus dem des Nashi-Birnbaums (Pyrus pyrifolia) gemacht, die in den südlichen und zentralen Regionen Koreas allgemein verbreitet sind. Für den Rest der Blöcke verwendete man folgende Hölzer: Gerippte Birke (Betula costats), Pagoden-Hartriegel (Cornus controversa), Japanischer SpitzAhorn (Acer mono), Silberne Magnolie (Machilus thunbergii) und Zitterpappel (Populus davidiana), die jeweils Anteile von eins bis neun Prozent aufweisen. Das Holz der Berg-Kirsche, das am häufigsten verwendet wurde, ist von gleichmäßiger Textur und eignet Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
Ein Illustrationsdruckstock für das Sutra über die Sieben Grundgebote , die in Vorbereitung auf die Zehn Höllenkönige zu beherzigen sind ; es handelt sich um einen im Tempel gravierten Druckstock, der nach der zweiten Ausgabe der Tripitaka Koreana angefertigt wurde.
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Selbst ein technisch versierter Kunsthandwerker kann pro Tag nur rund 40 Schriftzeichen in einen Holzblock eingravieren. Daher wird geschätzt, dass rund 1,3 Millionen Personentage gebraucht wurden, um das Mammutprojekt der Tripitaka -Gravur zu vollenden.
sich mit einer relativen Dichte von rund 0,6 gut fürs Gravieren. Es findet sich zudem an leicht zugänglichen Orten. Zur Herstellung von Holzdruckstöcken wurden zunächst Bäume mit einem Durchmesser von mindestens 40 Zentimentern gefällt, die man dann ein oder zwei Jahre in den Bergen liegen ließ, um den Wachstumsstress zu mildern. Teams aus zwei Personen schnitten die Stämme dann vor Ort mit Gattersägen in Stücke, wobei die Borke zurückgelassen wurde. Um die Gefahr des Reißens oder Verziehens der Bretter während des Trocknens zu verringern, kochte man sie in Salzwasser. Nachdem die Bretter mehr als sechs Monate an der Luft getrocknet worden waren, wurden die Oberflächen mit einem Hobel geglättet. Danach wurden die Bretter auf die Größe der Tripitaka-Blöcke zugeschnitten und an beiden Seiten mit Griffen, die etwas dicker als die Holzblöcke waren, versehen. Die Griffe verhindern, dass die gravierten Oberflächen der Holzblöcke miteinander in Kontakt kommen oder sich die Blöcke krümmen und erleichtern die Handhabung beim Drucken und Transportieren. Danach wurde Hanji-Papier (Hanji: traditionelles koreanisches Papier aus der Rinde des Maulbeerbaums), auf das man mit dem Pinsel ein Sutra geschrieben hatte, mit der beschriebenen Seite nach unten auf den Holzblock geklebt. Da nach dem Trocknen die Schriftzeichen nicht mehr gut sichtbar waren, bestrich man beim Gravieren das Papier mit Pflanzenöl. Für eine Druckkopie des Sutra bestrich man den gravierten Holzblock dann mit Tusche, legte ein Papier darauf, drückte es leicht klopfend an und hob es ab. Nachdem die Druckstöcke mehrfach verwendet worden waren, versiegelte man einen Teil von ihnen mit Lack (Ot), einem traditionell in Ostasien gebräuchlichen Beschichtungsstoff. Urushiole, der Hauptbestandteil von Ot, verhindert das Eindringen von Feuchtigkeit und wirkt gegen Fäulnis und Insekten. Da jedoch nur einige Tripitaka-Holzblöcke mit Ot behandelt wurden, liegt die Vermutung nahe, dass dahinter eher dekorative Zwecke standen. Selbst ein technisch versierter Kunsthandwerker kann pro Tag nur rund 40 Schriftzeichen in einen Holzblock eingravieren. Daher wird geschätzt, dass rund 1,3 Millionen Personentage gebraucht wurden, um das Mammutprojekt der Tripitaka -Gravur zu vollenden. Aus der Goryeosa (Geschichte des Goryeo-Reiches; 1451) geht hervor, dass die Tripitaka-Herstellung 16 Jahre in Anspruch nahm. Aber die auf den Druckstöcken selbst eingravierten Jahresbezeichnungen nach dem 60-Jahre-Zeitrechnungszyklus weisen darauf hin, dass die Gravierarbeiten 12 Jahre lang, sprich von 1237 bis
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Die Tripitaka -Aufbewahrungsstätte besteht aus zwei parallel, im Abstand von 16m zueinander ausgerichteten Lagerhallen. Die beiden kleineren Gebäude an den Kopfenden dienen zur Lagerung von anderen Sutren-Druckstöcken aus dem Besitz des Tempels Haein-sa.
1248, dauerten. Das heißt, pro Jahr waren 110.000 Personentage Einsatz erforderlich. Da die Zahl der gravierten Blöcke von Jahr zu Jahr unterschiedlich ist, dürften in einigen Jahren Zehntausende von Handwerksmeistern am Tripitaka-Projekt gearbeitet haben.
Optimale natürliche Ventilation Obwohl Hölzer für Schäden durch Fäulnis, Insekten und Feuer anfällig sind, konnten die Tripitaka -Blöcke 760 Jahre lang ohne Schaden zu nehmen aufbewahrt werden, was auf verschiedene wissenschaftliche Maßnahmen zurückzuführen ist, darunter die besondere Konzeption der Aufbewahrungsstätte der Tripitaka Holzblöcke, das Janggyeonnogpan-jeon. Das Janggyeonnogpan-jeon besteht aus zwei aus Holz gebauten in gerader Linie ausgerichteten Hallen, die in einem Abstand von 16 Metern nebeneinander stehen und jeweils 646 Quadratmeter groß sind. Da die Hallen nach Süden ausgerichtet sind, wird mehr Sonnenlicht hereingelassen, was die Luft im Inneren trocken halten hilft. Die Gebäude sind so konzipiert, dass größtmögliche natürliche Belüftung garantiert ist, wofür auch auf dekorative Elemente gänzlich verzichtet wurde. Die Hauptquerbalken, die von den Außensäulen gestützt werden, wurden jeweils mit den Säulen in der Mitte verbunden. In die Räume zwischen den Hauptquerbalken wurden wiederum kleinere Balken eingelassen, wodurch die Hauptquerbalken gestützt und ein Maximum an Innenraum sichergestellt wurde. Darüber hinaus sind Größe und Form der oberen und unteren Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
Der Ehrwürdige Mönch Sungahn (links), Leiter der Bewahrungsabteilung des Research Institute of the Tripitaka Koreana , demonstriert die Herstellung von Drucken mit den Sutra-Druckstöcken.
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Das Innere der Tripitaka -Lagerst채tte. 30
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Die unteren Fenster an der Vorderseite der Lagerhallen sind vier Mal größer als die oberen Fenster, so dass Feuchtigkeit und schwere Luft schnell aus dem Gebäude abziehen können.
Fenster auf der Vorder- und Rückseite der Hallen unterschiedlich. Weil feuchte Luft nach unten sinkt, wurden die unteren Fenster auf der Nordseite etwas kleiner als die oberen gehalten, um das Einströmen von Feuchtluft zu reduzieren. Da die Luft, die in die Hallen gelangt, die Feuchtigkeit der Holzblöcke absorbiert, wird sie schwerer und sinkt zu Boden. Die unteren Fenster auf der Südseite sind vier Mal so groß wie die oberen, damit diese feuchte Luft möglichst rasch wieder durch die Fenstergitter auf der Vorderseite abziehen kann. Hingegen sind die oberen Fenster auf der Vorderseite sehr klein, damit die trockene, nach oben steigende Luft möglichst lange in der Halle gehalten werden kann. Der Boden wurde nicht mit Holzdielen ausgelegt, sondern besteht aus nacktem Lehm. Je nach Feuchtigkeitsgehalt der Luft absorbiert und beseitigt der Lehm die Feuchtigkeit, so dass der Luftfeuchtigkeitslevel auf natürliche Weise konstant gehalten wird. Aber während der jüngsten Renovierungsarbeiten wurde der Boden mit einer dünnen Schicht Branntkalk überzogen, um das Aufkommen von Staub zu verhindern. Da der Branntkalk die Feuchtigkeitsaufnahme durch den Lehmboden blockieren und so die natürliche Feuchtigkeitsregulierung in den Hallen behindern könnte, ist eine erneute umfassende wissenschaftliche Überprüfung notwendig. Ein anderes Geheimnis der Konservierung der Druckstöcke liegt in der Aufbewahrungsmethode im Halleninneren. In den Aufbewahrungshallen sind die ganze Länge der Hallen entlang Holzregale angeordnet. Diese Regale bestehen aus fünf Regalbrettern, K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
auf denen die Holzdruckstöcke mit der Längsseite nach unten stehen. Auf jedem Regalbrett sind 80 Holzblöcke in zwei Schichten übereinander gelagert. Die Griffe mit einer Dicke von 4 Zentimetern sind dicker als die Holzblöcke (2,8cm), so dass jeder Druckstock bei der Lagerung von einem natürlichen Sicherheits- und Ventilationsraum von 2,4 Zentimeter Breite und 60-70 Zentimeter Länge umgeben ist. Von oben aus gesehen gibt es also sozusagen auf jeder der fünf Einheiten natürliche viereckige „Ventilatoren“. Diese natürliche Luftzirkulationsvorrichtung erlaubt einen vertikalen Luftfluss gemäß den Konvektionsströmungen. Der Wassergehalt der Holzdruckstöcke liegt bei etwa 16-17 Prozent und variiert je nach Jahreszeit kaum, da beim Bau der Hallen und bei der Anordnung der Holzregale das Hauptaugenmerk auf die Ventilation gelegt wurde. Die Tuscheschichten, die nach dem Druckeinsatz auf den Holzblöcken antrockneten, tragen ebenfalls zur Konservierung der Tripitaka Koreana bei. Die Oberfläche der Holzblöcke weist unzählige Mikroporen auf, die von den gröberen Tuschepulverpartikeln, die auch nach dem Drucken auf der Holzblockoberfläche verbleiben, verstopft werden. Auf diese Weise sind die Holzblöcke nach dem Drucken voll mit Tusche überzogen, wodurch sich eine Kohlenstoffbeschichtung auf der Oberfläche bildet, die Alterung, Verwitterung und Photodegradation der Holzblöcke durch Hitze und Licht aufhält und zum Teil auch feuchtigkeitsblockierend wirkt.
Hingebungsvoller Einsatz der Mönche Selbst wenn die Holzblöcke unter Einsatz solch wissenschaftlicher Vorkehrungen bewahrt werden, sind mögliche Verluste durch z.B. Feuer oder Diebstahl nicht auszuschließen. Zu einer solchen Gefährdung kam es zum ersten Mal 1592, als die Japaner ins Joseon-Reich einfielen, aber Feiwilligen-Soldatentruppen schützten die Tripitaka Koreana vor den feindlichen Händen. Im Jahr 1950, als der Koreakrieg ausbrach, wurde ein Befehl zur Bombardierung der Partisanen, die sich im Tempel Haein-sa verschanzt hatten, gegeben, aber Luftwaffenoberst Kim Yeong-hwan entschied damals klug, benachbarte Orte mit Maschinengewehren anzugreifen, wodurch die Gefahr der Zerstörung der Holzdruckstöcke abgewendet werden konnte. In erster Linie ist es jedoch dem Einsatz der buddhistischen Mönche für den Schutz der Holzdruckstöcke zu verdanken, dass die Tripitaka Koreana in den letzten 760 Jahren bis auf den heutigen Tag perfekt in ihrer ursprünglichen Form erhalten blieb.
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Tripitaka Koreana
Digitale Datenbank
Der Ehrwürdige Mönch Jongnim und die digitale Tripitaka Koreana Hinter der digitalisierten Tripitaka Koreana , die jetzt auf Tastendruck auf dem Bildschirm erscheint, stehen viele Menschen, die zu Projektinitiierung, Finanzierung und den diversen Schritten der Herstellung beitrugen und so dieses historische Projekt möglich machten. Im Mittelpunkt all dieser Bemühungen aber steht der Ehrwürdige Mönch Jongnim. Kim Yoo-kyung Freiberufliche Journalistin | Fotos: Ahn Hong-beom
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auptakteur der im 21. Jahrhundert — 760 Jahre nach der Kompilierung — vollbrachten Digitalisierung der im Tempel Haein-sa aufbewahrten zweiten Ausgabe der Tripitaka Koreana ist der Ehrwürdige Mönch Jongnim, Vorstandsvorsitzender des Research Institute of the Tripitaka Koreana (RITK). 1972 trat der Ehrwürdige Mönch Jongnim (geb. 1944) in die Tempelgemeinschaft ein, in den 1980er Jahren war er als Leiter der Bibliothek von Haein-sa tätig. Da kam er zu der Feststellung: „Dem Medium ‚Druck‘ sind Grenzen gesetzt. Ich wollte, dem jetzigen Zeitalter entsprechend, eine computerisierte Version der buddhistischen Sutren erstellen.“ Jongnim, Büchernarr und Mönch des ZenBuddhismus, wollte in der Tripitaka , der großen Schriftensammlung des Buddhismus, die Konzepte der buddhistischen Philosophie wie „Bedingtes Entstehen“ (Pratitya-samutpada) bestätigen und dachte, dass der Computer diesen Traum von einem „Computopia“ verwirklichen helfen könnte.
Datenbank der Tripitaka Koreana 1993 wurde das Research Institute of the Tripitaka Koreana ins Leben gerufen und das Megaprojekt einer Zusammenstellung aller Schriften des buddhistischen Kanons und deren digitaler Aufbereitung fürs Internet in Angriff genommen. Dazu gehören im Einzelnen die während der mongolischen Invasion verbrannte Original-Tripitaka Chojo Daejanggyeong (hergestellt 1011-1087), die zweite Ausgabe der Tripitaka Palman Daejanggyeong (hergestellt 1236-1251), sowie alle in der Zeit dazwischen verfassten relevanten Texte, darunter die vom Ehrwürdigen Mönch Uicheon aus der Goryeo-Zeit angefertigten Schriften Gyojangchongnok (hergestellt 1090). Dabei ergaben sich eine Reihe von Problemen, die vor der Eingabe der 52 Millionen chinesischen Schriftzeichen unbedingt gelöst werden mussten, wie z.B. die Auswahl eines Fonts für die chinesischen Schriftzeichen, die Behandlung von Zeichen mit unterschiedlichem
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Aussehen, aber gleicher Bedeutung, die Einfügung von Satzzeichen und die finanziellen Herausforderungen. Nichtsdestotrotz konnte das Projekt der Tripitaka-Digitalisierung im Jahr 2000 erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Unter den Ländern, die die Tripitaka besitzen, wie China und das dazugehörige Autonome Gebiet Tibet, Taiwan und Japan gelang es Korea als erstem Land, diese gewaltige Aufgabe zu realisieren. Seit der Fertigstellung wurde der Genauigkeitsgrad der digitalen Tripitaka durch sechsmaliges Korrekturlesen erhöht. Im Zuge dieses Prozesses wurden als Resultat der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diversen Problemen Studien mit Bezug zu rund zehn Bereichen wie Schriftzeichen mit gleicher Bedeutung, aber anderem Schriftbild, buddhistische Terminologie, Tripitaka -Kommentare und Sutren-Bibliographien veröffentlicht, was neue Horizonte in der Buddhismus-Forschung eröffnete. Darüber hinaus wurde auch die Restaurierung von Stein-Sutren des Tempels Hwaeom-sa abgeschlossen. Die Sutren, die während der japanischen Invasion (1592-1598) durch die Verbrennung der Halle Jangyuk-jeon in 13.000 Stücke zerbrachen, wurden Stück für Stück fotografiert und wieder in ihrer ursprünglichen Form zusammengesetzt. Der Ehrwürdige Mönch Jongnim erklärt: „Ohne die Suchfunktion der digitalisierten Tripitaka Koreana wäre dies unmöglich gewesen. Nachdem wir alle Stücke zusammengesetzt hatten, stellte sich heraus, dass es sich um das 60-bändige Blumengirlanden-Sutra (Avatamsaka Sutra) handelt.“ Seit 2004 beschäftigt sich das RITK mit der Suche nach Relikten der Chojo Daejanggyeong, der Original-Tripitaka, fotografierte dabei u.a. die im japanischen Tempel Nanzenji befindlichen rund 1.800 Drucke
Der Ehrwürdige Mönch Jongnim, Vorstandsvorsitzender des Research Institute of the Tripitaka Koreana , ist die treibende Kraft hinter dem Digitalisierungsprojekt.
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Fotokopie-Ausgabe der Original-Tripitaka , 2011 herausgegeben vom Research Institute of the Tripitaka Koreana ; diese Ausgabe veranschaulicht gut alle Original-Elemente der Goryeo-Zeit, darunter auch die Aufbewahrungstruhen.
und unternahm bibliografische Studien dazu. Mit diesem Datenmaterial und den rund 300 im Horim Museum in Korea befindlichen Drucken der Originalausgabe wurde 2009 die Datenbank der Original-Tripitaka aufgebaut. 2011 wurde eine auf Basis von Fotos des Originals hergestellte Fotokopie-Ausgabe herausgegeben. Dies war ein umfassendes Projekt, bei dem neben Fotos und Texten Details wie Papier, Tusche, Klebstoff, Holz, Färbstoffe und Aufbewahrungstruhen möglichst getreu der Goryeo-Zeit (918-1392) wiedergegeben wurden. Daran ist das breite wissenschaftliche Spektrum, das die Tripitaka in sich vereinigt, erkennbar. All diese Informationen sind auf der Homepage der Körperschaft Research Institute of the Tripitaka Koreana (http://kb.sutra.re.kr/ ritk_eng/index.do) in der „Tripitaka Koreana Knowledgebase (Tripitaka Koreana Datenbank)“ zu finden. Diese Datenbank bietet neben den heiligen Schriften des Buddhismus verschiedene Lexika, Bibliografien und sogar Informationen über die Menschen, die die Tripikata-Druckstöcke graviert haben. Das Datenmaterial gewinnt durch seine Aufeinanderbezogenheit weiter an Fülle, so dass ein wahres „Meer von Informationen“ geboten wird.
Digitale Quelle des 21. Jahrhunderts Zusätzliche Projekte sind bereits im Gange. So wurden Dokumente, die mit dem vom Ehrwürdigen Mönch Uicheon (1055-1101) aus der Goryeo-Zeit zusammengestellten 4.700 buddhistischen Kommentaren Gyojang in Zusammenhang stehen, gesammelt. Der Ehrwürdige Mönch Jongnim verfasste auf Grundlage von in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Russland verstreuten buddhistischen Sutren, die aus einer Grotte in der chinesischen Stadt Dunhuang stammen, eine „Vergleichsstudie zwischen der Tripitaka Koreana und den Dunhuang-Dokumenten.“ Dieses Projekt wird als Grundlage für die „Kompilation von buddhistischen Schriften und Erforschung der Geschichte der Aufbereitung von buddhistischen Schriften“ dienen. Endgültiges Ziel ist, neben der Tripitaka Koreana 30 Tripitaka -Versionen aus der ganzen Welt im Internet zur Verfügung zu stellen, darunter den Kanon im mittelindischen Dialekt Pali, auf Sanskrit und die Taisho-Tripitaka, den buddhistischen Kanon aus China, sowie Sutren in Englisch. Dieses Projekt umfasst auch die koreanische Hangeul-Version, die zurzeit übersetzt wird, und eine Tripitaka für gemeinsame buddhistische Rituale zwischen Süd- und Nordkorea. Im Wesentlichen zielt der Ehrwürdige Mönch Jongnim darauf ab, die Informationen über den Buddhismus neu zu gestalten und dadurch neue Wege für eine erweiterte und vertiefte Forschung,
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sprich „Tripitaka-Studien“, zu eröffnen. „Jetzt kann man nicht nur auf alle Dokumente, die die Tripitaka Koreana ausmachen, sondern auch auf die massiven Bestände an Tripitaka-bezogenen Materialien aus der ganzen Welt im Internet einfach und bequem zugreifen. Darüber hinaus wird auch die Entwicklung von handschriftlichen Manuskripten zu Holzdruckstöcken und vom Druck mit beweglichen Lettern zur digitalen Sammlung beleuchtet. Bei dem Projekt lief zwar das eine oder andere auch nach der Versuch-und-Irrtum-Methode, aber insgesamt ging bislang alles nach Plan. Ich kann, ohne zu zögern, diese Arbeit als digitale Sammlung des 21. Jahrhunderts nach den vier historischen Sammlungen nach Buddhas Tod bezeichnen“ - so der Ehrwürdige Mönch Jongnim. „Im Lauf der Geschichte kam es mit Bezug zur Tripitaka Koreana zu einigen Überholmanövern unter den drei ostasiatischen Staaten Korea, China und Japan. Zuerst lag China an der Spitze. China hat die buddhistischen Schriften aus dem Sanskrit ins Chinesische übersetzt und während des chinesischen Song-Reiches (960-1279) wurde die Tripitaka hergestellt. Dann ging das koreanische GoryeoReich in Führung. Dank der Bearbeitung und Korrekturen des Ehrwürdigen Mönches Sugi wurden die Holzdruckstöcke der zweiten Ausgabe der Tripitaka Koreana , die bis heute gut erhalten sind, gefertigt. Japan gelang es nicht, eine eigene Tripitaka herauszugeben, aber es brachte Drucke des Tripitaka-Originals an sich und erstellte auf Grundlage dieser Drucke und weiterer Manuskripte aus Korea und China die japanische Tripitaka-Version, die bis heute existiert. In den 1920er Jahren, also vor nur rund hundert Jahren, gelang es Japan, den Taisho-Kanon , versehen mit Register und modernen Dokumenten, massenweise herzustellen. Seitdem betrachten buddhistische Wissenschaftler diese japanische Tripitaka -Version als grundlegend für ihre Studien. Die Tripitaka Koreana verlor ihren praktischen Wert und Japan rückte an die vorderste Front in der Buddhismus-Forschung. Aber 2000 gelang Korea als erstem Land die Digitalisierung der Tripitaka und dadurch haben wir ein Zeitalter eröffnet, in dem buddhistische Wissenschaftler in unserer Tripitaka -Datenbank Informationen recherchieren können. Wenn wir die Digitalisierung nicht schnell umgesetzt hätten, wären die Buddhismus-Studien Koreas denen des Westens oder in Japan und China untergeordnet worden.“ Zur Lösung von Problemen, die im Zuge der Tripitaka-Digitalisierung auftraten, wurden 5- bis 15-köpfige Forscherteams gebildet, die ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten. Hier einige Beispiele: Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
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1. Das Papier, das für die Fotokopie-Ausgabe der Original-Tripitaka verwendet wurde, wurde von Kim Sam-sik, Meister der Papierherstellungskunst und Träger des gleichnamigen Immateriellen Kulturgutes, gefertigt. 2. Eine Kopie der Tripitaka Koreana mit Zwischenräumen zwischen den Zeichen und eingefügten Satzzeichen; die Unterteilung des Originaltextes in Sätze und die Einfügung von Satzzeichen gehörte zu den wichtigsten Unterfangen des Digitalisierungsprojekts.
In der Tripitika Koreana gibt es verschiedene bedeutungsgleiche Schriftzeichen mit unterschiedlichem Schriftbild. Der japanische Taisho-Kanon , der auf der Tripitaka Koreana basiert, fasste alle Zeichenvarianten in einem Standard-Zeichen zusammen, aber die digitale Tripitaka Koreana enthält alle rund 30.000 in den Holzdruckstöcken enthaltenen bedeutungsgleichen SchriftzeichenVarianten. Unter den insgesamt 7.468 Gruppen von SchriftzeichenVarianten ist z.B. eine mit 65 Varianten zu finden (für das Zeichen Chak 鑿 (Graben). . Das Team unter Leitung von Yi Gyu-gap, Professor an der Yonsei Universität, veröffentlichte das Lexikon der bedeutungsgleichen Schriftzeichen mit unterschiedlichem Schriftbild in der Tripitaka Koreana , in dem diese Schriftzeichen klassifiziert und ihr Bezug zu den standardisierten Schriftzeichen definiert werden. Es ist das erste und umfassendste Projekt dieser Art in der Geschichte der Studien der chinesischen Schriftzeichen. Dieses Lexikon wird für andere Länder bei ihren Projekten zur Tripitaka -Digitalisierung hilfreich sein. Wenn ein anderes Land seine landesspezifischen sinnverwandten Schriftzeichen mit unterschiedlichem Schriftbild registriert, fügt das RITK sie der Liste hinzu und erstellt digitale Schriftzeichen als Referenz. Die Tripitaka-Kommentare und Das Lexikon der buddhistischen Terminologie, die vom Team unter Leitung von Jeong Seung-seok, Professor an der Dongguk-Universität, hergestellt wurden, enthalten umfangreiche Einträge, die weit über die bisherigen Arbeiten in diesem Bereich hinausgehen. Die Holzdruckstock-Ausgabe der Tripitaka für die digitale Version mit Leerstellen und zehn Satzzeichen wie Punkt, Fragezeichen und Anführungszeichen zu versehen, war eine mühselige, per Hand ausgeführte Aufgabe, für die in den 1990er Jahren alle verfügbaren Kräfte aus Süd- und Nordkorea mobilisiert wurden. Aus Norkorea nahmen, über China, Koryphäen der chinesischen Klassiker aus der Akademie der Sozialwissenschaften an diesem Projekt teil. Als Resultat der Anstrengungen übertrifft die digitale Ausgabe der Tripitaka Koreana die japanische Version, in der nur Leerzeichen, K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
Komma und Punkt verwendet werden. Darüber hinaus machte Fotograf Park Bo-ha 160.000 Fotos von den 80.000 Druckstöcken der Tripitaka Koreana, um sie als Fotodokumente festzuhalten. Der integrierte Tripitaka-Katalog ist, einfach ausgedrückt, ein Werk, das die Zusammenhänge des Dschungels von Tripitaka Texten verdeutlicht, und als Blaupause und Zentralnervensystem für das in den kommenden Jahren durchzuführende Projekt zur Erstellung einer Integrierten Tripitaka dient. Diese Forschungsergebnisse wurden in Buchform unter dem Titel Daejang (Große Sammlung buddhistischer Schriften) herausgegeben.
Intellektuelles Engagement eines Individuums Das RITK befindet sich auf dem Gelände des Tempels Bota-sa in Anam-dong, Seongbuk-gu, Seoul. Der Ehrwürdige Mönch Jongnim gab 2005 seinen Posten als Institutsleiter auf und ist jetzt Vorsitzender des Vorstands. „Bevor die verschiedenen Projekte ins Laufen kommen, muss ich mich eigenhändig darum kümmern. Danach führen dann die für die Einzelprojekte gebildeten Gruppen die Arbeiten durch. Nach dem Abschluss der Projekte werden die Gruppen aufgelöst. Das ist eine sehr harte Arbeit.“, sagt er. Das Institutsgebäude ist so schlicht und einfach ausgestattet, dass man kaum glauben kann, dass hier solch immense Projekte durchgeführt wurden. Sieben, acht langjährige Mitstreiter, darunter die Mönche Daeseok und Jung hyeon, Jeon Cheol-hwan und Kim Mi-yeong sind für die Forschungsarbeiten zuständig. Oh Yun-hui, der vor kurzem seine Forschungsarbeit Tripitaka Koreana : Behälter der Weisheit von eintausend 2 Jahren veröffentlichte, war früher der Ehrwürdige Mönch Hyemuk, der in der Anfangsphase der Tripitaka -Digitalisierung mit Mönch Jongnim zusammenarbeitete. Von den Mitarbeitern des Tripitaka Koreana-Projekts sind mittlerweile sieben buddhistische Mönche geworden und sieben promovierten in der Tripitaka -Forschung, u.a. an der Universität Peking. 1986 veröffentlichte Mönch Jongnim das Buch Das Lied der wandernden Kobolde (Mangyangui norae), in dem er seine Ansichten über Konzepte der buddhistischen Philosophie wie Bedingtes Entstehen (Pratitya-samutpada), Methoden der Zen-Meditation und den Begriff der Leerheit (Shunyata) darlegte. „Ohne materielle Güter, die dem Menschen Bequemlichkeit bieten, oder konzeptionelle Objekte wie Gott bieten die buddhistischen Konzepte wie Bedingtes Entstehen und die Weltsicht der Leerheit Wege für die Lösung weltlicher Probleme. Ich möchte die Theorie von der unabhängigen Natur des Menschen oder die Ontologie, die
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im Widerspruch zum Konzept des Bedingten Entstehens steht, zerschlagen. Diese Philosophien streben allesamt danach, ein fundamentales Konzept, das am Ende allen existentiell Seienden verbleibt, zu finden, aber das buddhistische Konzept des Bedingten Entstehens befasst sich mit den Beziehungen zwischen allen Dingen. In dieser Hinsicht ist es eine Art Erkenntnistheorie, die sich von der westlichen Ontologie unterscheidet. Die Sutren, für die ich mich besonders interessiere, sind das Diamant-Sutra und die Grundverse über den Mittleren Weg (Madhyamaka Sastra). Weil das Diamant-Sutra (Vajracchedika prajnaparamita Sutra) zum Frühwerk des Buddhismus gehört, enthält sie den Leerheitsbegriff nicht. Er kam erst später auf und die Grundverse ziehen das logische Konzept der Leerheit bis ins Extreme. Wenn ich, auch jetzt noch, anderen Menschen diese Denkweise vermitteln könnte, dann würde ich meine Aufgabe als erledigt betrachten können. Aber Das Lied der wandernden Kobolde hatte
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seine Grenzen, daher habe ich die Tripitaka-Digitalisierung als Mittel zur Bestätigung meiner Logik in Angriff genommen.“ Beispielsweise antwortete der Ehrwürdige Mönch Joju auf die Frage „Was ist Dharma?“ mit „Der Pinienbaum auf dem Hof.“ Unter dem Konzept des Bedingten Entstehens soll bewiesen werden, wie diese Antwort in dieser Form unter den gegebenen Konventionen der Zeit zustande kam. Auf diese Weise will er durch die Kompilation von Zitaten des Zen-Buddhismus Worte und Taten von buddhistischen Mönchen je nach Zeitalter, Ordenszugehörigkeit und Zuhörerschaft unterscheiden. Das große Projekt der Tripitaka-Digitalisierung wurde letztendlich aus der intellektuellen Leidenschaft eines einzigen Individuums geboren. Ohne den unerschütterlichen Willen von Mönch Jongnim wäre die Digitalisierung der Tripitaka, die jetzt über eine Person oder die Welt des Buddhismus hinaus zum Erbe der ganzen Menschheit geworden ist, nicht auf das jetzige Niveau gebracht worden. Unter seiner Regie wurden seit den 1990er Jahren wisKorean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
Mit der Entwicklung der Wissens-Datenbasis des Research Institute of the Tripitaka Koreana kann jetzt jeder den Originaltext der Tripitaka Koreana lesen und auf der Webseite des Instituts nach weiteren relevanten Informationen suchen.
senschaftliche Konferenzen und Forschungsprojekte, die den Buddhismus Koreas und dessen Philosophie miteinander kombinieren, auf den Weg gebracht.
Mönch Sungahn, Leiter der Bewahrungsabteilung des RITK des Tempels Haein-sa, sagt: „Allein der Gedanke an Mönch Sugi lässt mein Herz höher schlagen.“ Choe U, sein Sohn Choe Hang und sein Schwager Jeong An gehören zu den privaten Sponsoren der zweiten Ausgabe der Tripitaka Koreana . Als der Ehrwürdige Mönch Jongnim das Digitalisierungsprojekt in Angriff nahm, übergab ihm der Ehrwürdige Mönch Songdam in Incheon eine Milliarde Won (rund 750 Mio. Euro), die buddhistische Gläubige in der bislang größten Spendenaktion der buddhistischen Gemeinde gesammelt hatten, mit der Bemerkung: „Das ist die einzige Aufgabe der buddhistischen Gemeinde in diesem Zeitalter.“ Samsung Electronics, das Amt für Kulturerbeverwaltung (Cultural Heritage Administration), die Nationale Forschungsstiftung (National Research Foundation of Korea) und andere Organisationen förderten das Projekt, aber die Spenden von denjenigen, die den Ehrwürdigen Mönch Jongnim und seine Arbeit unterstützen wollten, spielten eine nicht geringe Rolle. In Bezug auf die mit den Tripitaka-Holzdruckstöcken durchgeführten Druckarbeiten existieren Dutzende von Dokumenten aus der Joseon-Zeit. Da es sich hierbei um ein Projekt handelte, das Drucken und Binden von mehr als 6.000 Bänden für ein Set umfasste, stand es meistens unter der Leitung der Königsfamilie oder von buddhistischen Mönchen. Obwohl sich das Joseon-Reich streng an konfuzianistischen Prinzipien orientierte, druckten die Könige Taejo (reg. 1392-1398), Sejong (reg. 1418-1450) und Sejo (reg. 1455~1468) die Tripitaka, um Buddha um seinen Segen für das Reich, die Bür-
Die Menschen im Hintergrund Hinter der digitalisierten Tripitaka Koreana , die jetzt auf Tastendruck auf dem Bildschirm erscheint, stehen viele Menschen, die zu Projektinitiierung, Finanzierung und den diversen Schritten der Herstellung beitrugen und so dieses historische Projekt möglich machten. Uicheon (1055-1101) war ein Prinz, der im Alter von zehn Jahren Mönch wurde. Auf seinen Reisen ins chinesische Song-Reich (9601279), das von den Khitanen gegründete Liao-Reich (916-1125) und in verschiedene Regionen Japans, darunter die Präfektur Okinawa, sammelte er 4.700 buddhistische Kommentare, die er in Druckstöcke gravieren ließ und in drei Druckbänden mit dem Titel Gyojangchongnok veröffentlichte. Mönch Sugi vom Tempel Gaetae-sa in Gaeseong verglich bei der Edierung der zweiten Ausgabe der Tripitaka Koreana die vorhandenen Drucke der Originalausgabe, die Liao-Drucke, die SongDrucke und andere buddhistische Schriften, die er selbst gesammelt hatte, miteinander. Auf diese Weise behob er Probleme und Mängel und korri„Ich kann, ohne zu zögern, diese Arbeit als digitale gierte Auslassungen in rund 60 Sutren. Dank seiner Kompilations- und Editionsarbeit gilt die Tripitaka Sammlung des 21. Jahrhunderts nach den vier historischen Koreana als der perfekteste buddhistischen Kanon mit den wenigsten Fehlern und als Sammlung von Sammlungen nach Buddhas Tod bezeichnen.“ besonders hohem Wert, die das hohe Niveau der Buddhismus-Forschung und der Druckkultur der Goryo-Zeit zeigt. Mönch Sugi verfasste auch zehn Bücher, in denen er seine Edierungs- und Korrekturarbeiten dokuger und die Königsfamilie zu bitten. Lady Shin, die Gemahlin von mentierte. Prinz Yeonsangun (reg. 1494-1506), der als einer der grausamsten „Die Sammlungen des Ehrwürdigen Mönchen Sugi sind die ersHerrscher der Joseon-Zeit gilt, ließ für ihren Mann drei Bände der ten Schriften, die ein unabhängiges Korrektursystem beschreiben. Tripitaka drucken, während die Königswitwen Insu und Inhye wähDamit leistete Mönch Sugi über 200 Jahre früher, was Erasmus rend der Regierungszeit von König Seongjong (reg. 1469-1494) die von Rotterdam später für die christlichen Schriften des Westens Tripitaka -Aufbewahrungsstätte Janggyeongpan-jeon renovieren leisten sollte.“ ließen. Auch König Gojong (reg. 1863-1907) druckte die Tripitaka In einer Tripitaka -Sonderausstellung im zentralen Buddhismusauf eigene Kosten, Königin Eom und die Hofdame Im unterstützten die Instandhaltung der Tripitaka-Blöcke. 1963, also in vergleichweiMuseum (Central Buddhist Museum), das sich im Tempel Jogyesa in Seoul befindet, wurde eine hölzerne Druckplatte von diesen se jüngster Vergangenheit, wurden 13 Drucksets in Haein-sa herSammlungen präsentiert. Es ist zwar nur eine normale tuschegegestellt. Ein 6.000 Bände umfassendes Set wird im zweiten Stock schwärzte Holzdruckplatte voller umgekehrt eingravierter chinesides Sudara-jeon, einer der zwei großen Tripitaka-Lagerhallen des scher Schriftzeichen, aber sie scheint die Würde des hoch angeseTempels Haein-sa, aufbewahrt. Die Bände sind zum Teil von außen henen und gelehrten Mönchen Sugi auszustrahen. Der Ehrwürdige durch die Fenster zu sehen. K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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Trinkwasser oder Kulturerbe? Disput über die Petroglyphen von Bangudae Es muss dringend etwas zur Bewahrung der prähistorischen Petroglyphen auf der Felswand Bangudae unternommen werden. Zur Lösung des Streits um dieses vorgeschichtliche Erbe zwischen der Kulturerbeverwaltung (Cultural Heritage Administration), die auf dem Schutz der Erbstätte beharrt, und der Stadt Ulsan, für die die Trinkwasserversorgung ihrer Bürger von größerer Bedeutung ist, hat die Regierung zwar einen Kompromissvorschlag vorgelegt, aber wirtschaftliche Faktoren stellen jetzt die Machbarkeit in Frage. Lee Kwang-pyo Journalist, Kulturabteilung der Tageszeitung Dong-A Ilbo | Fotos: Kwon Tae-kyun
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ie Bangudae-Petroglyphen, Nationalschatz Nr. 285, sind vorgeschichtliche Felsgravuren auf einem mächtigen Felsen an der Mündung des Daegokcheon in der Gemeinde Daegok-ri, Kreis Ulju-gun, Stadt Ulsan-si. Sie wurden 1971 von einem Forschungsteam der Dongguk Universität unter Leitung des mittlerweile emeritierten Professors Mun Myeong-dae entdeckt und in der Welt bekannt gemacht.
Aufzeichnungen über das Leben in prähistorischer Zeit Die Bangudae-Petroglyphen bestehen aus rund 300 Bildern von Menschen und Tieren wie Tigern, Hirschen, Wildschweinen, Walen und Seehunden. Laut Schätzung von Experten wurden diese Felsgravuren zwischen der Späten Neusteinzeit und der Bronzezeit gefertigt. Die Bilder, die sich in der Mitte des Felsens befinden, sind über eine Fläche von 10m Höhe und 4m Breite verteilt. Betrachtet man die einzelnen Darstellungen, gewinnt man einen lebendigen Einblick in das Alltagsleben der Menschen, die in prähistorischer Zeit auf der koreanischen Halbinsel lebten. Dieses Leben wird realistisch, dynamisch und auch humorvoll geschildert, so z.B. durch die Darstellung eines tanzenden Mannes mit entblößtem Geschlechtsteil, eines Jägers auf Walfang, eines Tigers in einer Falle, sich paarender Wildschweine, eines Wals mit Harpunen im Nacken und eines Wals, der bläst. Es gibt weltweit nicht viele prähistorische Felszeichnungen, die wie die von Bangudae eine so große Felswand so dicht überziehen. Sie zeigen nicht nur Beschäftigungen und Alltag der vorgeschichtlichen Menschen, sondern bringen auch deren Wunsch nach Fülle zum Ausdruck. Die Bangudae-Petroglyphen können mit Recht als
Die Bangudae-Petroglyphen in der Ortschaft Daegok-ri, Kreis Ulju-gun, Stadt Ulsan-si. Die Gravuren konzentrieren sich in vertikaler Richtung auf der Oberfläche des breitesten und glattesten Felsens unter einer Reihe von Felsen, die sich am unteren Abschnitt des Flusses Daegok-cheon befinden. K o r e a n a ı AWui nt ut emm r 2 0211 011
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Die Bangudae-Petroglyphen kÜnnen mit Recht als ein Epos bezeichnet werden, das Leben und Kultur in vorgeschichtlicher Zeit beschreibt. Sie sind besonders bedeutsam, weil sie die weltweit älteste bekannte, realistische Darstellung einer Walfangszene darstellen.
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1. Die Felsenbilder von Bangudae stehen seit der Anlage eines Stausees in der Nähe vier bis acht Monate pro Jahr unter Wasser. (Das Foto wurde von Yim Se-gweon, Professor für Geschichte an der Andong National University, am 23. August 2008 aufgenommen.) 2. Ein Wal (links) und Fische, die in den Bangudae-Felsen graviert wurden.
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ein Epos bezeichnet werden, das Leben und Kultur in vorgeschichtlicher Zeit beschreibt. Sie sind besonders bedeutsam, weil sie die weltweit älteste bekannte, realistische Darstellung einer Walfangszene darstellen. Ebenfalls in der Nähe des Flusses Daegok-cheon befinden sich die Felsbilder von Cheonjeon-ri, Nationalschatz Nr. 147. Bei diesen Felszeichnungen handelt es sich um Petroglyphen einer anderen Art, das heißt, es sind hauptsächlich Gravuren abstrakter, geometrischer Symbole wie Punkte, Kreise, konzentrische Kreise, Rauten, Wellenmuster und Muster, die vermutlich Gesichter von Göttern darstellen sollen. Während die Bangudae-Felsbilder das Alltagsleben der vorgeschichtlichen Menschen zeigen, liegt der Fokus bei den Petroglyphen von Cheonjeon-ri auf ihrer religiös-spirituellen Vorstellungswelt. Die Tatsache, dass sich die beiden Petroglyphen-Stätten innerhalb einer Region befinden, macht sie umso bedeutsamer, denn dadurch wird die Wichtigkeit der Ulsan-Region als Basis für die ersten Menschen auf der koreanischen Halbinsel bezeugt. Korea hofft, dass die Bangudae-Felsbilder in die Liste der UNESCO-Welterbes aufgenommen werden: 2010 wurden sie zusammen mit den Felsbildern von Cheonjeon-ri und der kulturhistorisch bedeutsamen Umgebung unter dem Namen „Daegokcheon Stream Petroglyphs“ auf die koreanische Tentativliste für Welterbestätten gesetzt.
Grad der Erhaltung Die Petroglyphen auf der Felswand Bangudae konnten dank ihrer günstigen Lage, die sie vor Wind und K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
Wetter schützt, sowie der glatten Oberfläche des Felsens, die das Einsickern von Regenwasser weitgehend verhindert, dem Zahn der Zeit gut widerstehen. Selbstverständlich wurde die Oberfläche der Wand im Laufe der Jahrtausende durch natürliche Verwitterungsprozesse beeinträchtigt, aber das Risiko des beschleunigten Verfalls, das derzeit durch die Entwicklung des umliegenden Gebietes gegeben ist, stellt ein noch größeres Problem dar. 1965, als die Existenz der Bangudae-Petroglyphen noch nicht bekannt war, hat die Stadt Ulsan nur etwa vier Kilometer von der Felswand entfernt den SayeonDamm und Stausee gebaut, um die Nutzwasserversorgung für die Industrie und die Trinkwasserversorgung für die Bewohner der Region sicherzustellen. Seitdem stehen die Felszeichnungen vier bis acht Monate pro Jahr unter Wasser, was zu kritischen Schäden an der Oberfläche führte. Vor allem im Winter, wenn das in die Felsrisse eingedrungene Wasser wiederholt gefriert und schmilzt, beschleunigt sich der Verfallsprozess. Laut eines Untersuchungsberichts, den die Kongju Nationaluniversität 2010 veröffentlichte, bedarf es dringender Schutzmaßnahmen für die Petroglyphen, da bereits 24 Prozent der Wandoberfläche beschädigt sind und die äußerste Felsschicht durch die periodischen Überflutungen bereits drei bis vier Millimeter tief erodiert ist.
Disput über Gegenmaßnahmen Nachdem bekannt wurde, dass die Petroglyphen bereits stark Schaden genommen haben, setzten sich Mitte der 1990er Jahre die Zuständigen der Kulturerbeverwaltung, Vertreter der Stadt Ulsan und Kulturerbeexperten an einen Tisch, um über Erhaltungsmaßnahmen zu diskutieren. Als Resultat diverser Beratungen wurden 2003 drei Alternativen vorgelegt: Senkung des Wasserspiegels des Stausees, Verlegung des Flusslaufes oder Errichtung eines Schutzdammes. Bei der ersten Alternative geht es darum, den Wasserspiegel des SayeonStausees von 60m auf 52m über dem Meeresspiegel zu senken, um zu verhindern, dass die Felswand durch aus dem Stausee laufendes Wasser unter Wasser gesetzt wird. Die zweite Lösung sieht eine Umleitung des Flusslaufes
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des Daegok-cheon, der an der Felswand vorbeifließt, vor, das heißt, der Fluss soll durch einen Tunnel geführt werden. Die dritte Alternative ist die Errichtung eines Schutzdammes vor der Felswand, um das Flusswasser von den Petroglyphen fern zu halten. Die meisten Experten und auch die Kulturerbeverwaltung waren für die erste Alternative, die Senkung des Wasserspiegels, und wiesen auf die Probleme der Lösungen 2 und 3 hin: Ein Tunnel oder ein Schutzdamm würde die Landschaft in der Umgebung beeinträchtigen, vor allem aber könnten die Vibrationen, die bei den Bauarbeiten entstehen, das Kulturerbe stark beschädigen. Dadurch könnte die Felswand wiederum ihren Wert als potentielles Welterbe verlieren. Die Stadt Ulsan allerdings lehnte den ersten Vorschlag ab und unterstützte den zweiten bzw. dritten mit dem Argument, dass die Senkung des Wasserspiegels die Wasserversorgung der Stadt Ulsan verschlechtern würde und damit auch das Trinkwasser für die Bürger knapp werden könnte. Keine der beiden Parteien gab nach und die Auseinandersetzungen wurden über Jahre hinweg bis heute geführt. Im Laufe der Zeit wurde zwar allgemein die erste Lösung stärker befürwortet, jedoch bestand die Stadt Ulsan hartnäckig darauf, dass eine hinreichende Wasserversorgung gewährleistet sein müsse, bevor der Wasserspiegel des Stausees gesenkt werden könne. Da die Verhandlungen nicht von der Stelle kamen, legte 2009 das Premierministerbüro einen Kompromissvorschlag vor, wonach der Wasserspiegel gesenkt und die Felswandbilder so geschützt werden sollten. Durch die Wasserspiegelsenkung sollte die Wassermenge, die zu den Petroglyphen abfließt, reduziert werden, während das fehlende Wasser woanders her besorgt werden sollte. Konkreter gesagt: Aus dem Unmun-Stausee der Stadt Cheongdo sollten täglich 70.000 Tonnen Wasser an die Stadt Ulsan geliefert werden, was für Ulsan 120.000 Tonnen Wasser pro Tag garantieren würde. Dieser Kompromissplan war das sogenannte „Projekt zur Versorgung der Stadt Ulsan mit Frischwasser“. Im Jahr 2010 akzeptierte Ulsan schließlich Plan 1 unter der Voraussetzung der Sicherstellung der Wasserversorgung der Stadt. Endlich hatte man in dem sich endlos hinziehenden Streit über die Erhaltungsmaßnahme für die BangudaePetroglyphen einen Durchbruch erreicht. Die Kulturerbeverwaltung erstellte Pläne, nach denen sofort nach Eingang der Ergebnisse der Inspektionen am Unmun-Stausee mit der Wasserspiegelsenkung und dem Bau von Schleusentoren ab der zweiten Jahreshälfte 2011 begonnen werden sollte. Die Senkung des Wasserspiegels auf 52m würde die Zahl der Tage, an denen die Felszeichnungen unter Wasser stünden, auf 55 pro Jahr reduzieren. Die Einrichtung von Schleusentore würde die Zahl weiter auf nur einen oder zwei Tage pro Jahr senken.
Die Petroglyphen von Cheonjeon-ri befinden sich in der Nähe des Flusses Daegok-cheon. Die Felsgravuren veranschaulichen die religiöse und spirituelle Welt der prähistorischen Menschen in abstrakten geometrischen Mustern.
Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen Im Juli 2011 stieß man jedoch auf ein unerwartetes Problem. Laut Ergebnis der Machbarkeitsstudie, die während der Vorbereitungsphase von der Zentralregierung durchgeführt wurde, weist das „Projekt zur Versorgung der Stadt Ulsan mit Frischwasser“ keine Wirtschaftlichkeit auf. Damit wurde der Plan, Wasser für Ulsan aus dem Unmun-Stausee zu beziehen, so gut wie gestrichen. Daraufhin schlug die Stadt Ulsan der Regierung erneut Lösungen 1 und 2 vor. Entsprechend wurde man wieder auf Punkt Null der Diskussionen über die Maßnahmen zur Erhaltung der Petroglyphen zurückgeworfen. Jetzt wird die
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Regierung als verantwortungslos kritisiert, da für sie nur die Wirtschaftlichkeit zähle, während ein wertvolles Kulturerbe immer weiter Schaden erleide. Der Wasserspiegel des Sayeon-Stausees ist ein wichtiges Thema, aber zum jetzigen Zeitpunkt sind auch der Erhalt der Oberfläche der Petroglyphen-Felswand und Maßnahmen zu ihrer Stabilisierung wichtig und dringend. Stabilisierungsmaßnahmen sind jedoch wiederum mit Vorsicht zu überlegen, denn durch eine Behandlung der Oberfläche werden ihre Eigenschaften verändert. Kim Chang-joon, Leiter der Abteilung für Konservierung des Kulturerbes in der Kulturerbeverwaltung, weist auf Folgendes hin: „Bei einer Konservierungsbehandlung entsteht auf der Oberfläche eine Schicht, was wiederum zu unerwünschten Nebeneffekten führen könnte. Wenn man jetzt Konservierungsmaßnahmen durchführt, können die Petroglyphen vielleicht noch zehn bis zwanzig Jahre erhalten bleiben, aber danach ist mit noch gravierenderen Schäden zu rechnen.“ Das heißt, Konservierungsmaßnahmen K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
sollten nicht übereilt entschieden, sondern sorgfältig überlegt werden. Außerdem sind sie nur dann möglich, wenn das Wasser vor der Felswand vollständig beseitigt worden ist. Wie man das Problem auch dreht und wendet, die Lösung ist nicht einfach. Denkt man, dass endlich eine Lösung gefunden wurde, kocht das Problem der Wasserversorgung immer wieder hoch und wird zum Stolperstein für die Beschließung von Maßnahmen zum Schutz der Felszeichnungen. Die Zentralregierung sollte daher kontinuierlich Bemühungen unternehmen, um die Sorge der Ulsaner um eine Gefährdung ihrer Wasserversorgung zu zerstreuen. Zum Glück verbreitet sich in der Gesellschaft der allgemeine Konsens, dass ein Kulturerbe wie die Bangudae-Petroglyphen kein lästiger Störfaktor im Alltagsleben ist, sondern etwas, das Leben und Geist bereichert. Erst nachdem der Schutz der Petroglyphen sichergestellt ist, sollte man das, was noch zu diskutieren bleibt, diskutieren. Zudem ist es ein weltweiter Trend, nicht nur die Kulturerbestätten selbst, sondern auch die umliegende Landschaft und Umwelt zu schützen. Das gilt auch für die Bangudae-Felszeichnungen. Es ist zu hoffen, dass der Disput so schnell wie möglich beigelegt wird, und zwar basierend auf der Einsicht, dass die Verantwortung, unser Kulturerbe zu bewahren und an die kommenden Generationen zu übergeben, weit wichtiger als irgendeine direkte Bequemlichkeit ist.
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kunstkritik
Neue Wege für die koreanische Kino-Animationswelt
Leafie, a Hen into the Wild
Leafie, a Hen Into the Wild (Leafie, eine Henne hinaus in die Wildnis ) ist ein Animationsfilm für die ganze Familie, in dem es um die Abenteuer einer Henne in Mutter Natur geht. Die Tierfiguren, an denen man sechs Jahre lang arbeitete, geben vor dem Hintergrund koreanischer Berg- und Feldszenerien ein „schauspielerisches Darstellungstalent“ zum Besten, das ihr inneres Wesen zum Ausdruck bringt, und machen dem Publikum so auf herzerwärmende Weise die Bedeutung von Verständnis und Rücksichtnahme unter den Menschen bewusst.
Han Tae-sik Filmkritiker
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auptfiguren des Animationsfilms Leafie, a Hen Into the Wild sind eine Henne, die aus einer Hühnerfarm geflohen ist, und eine Stockente, die von ihr ausgebrütet und aufgezogen wird. Der Film unter der Regie von Oh Sung-youn erregte im Sommer 2011 große Aufmerksamkeit als Familienfilm. Zusammen mit Green Day (Grüner Tag) von Han Hye-jin und Ahn Jae-hoon, der im Juni Premiere hatte, und The King of Pigs (König der Schweine) von Youn Sang-ho, der im November in die Kinos kam, schrieb Leafie ein neues Kapitel in der Geschichte der koreanischen Animationsfilme.
Kooperation zwischen Animations- und Realfilm Seit Yobi, The Five Tailed Fox (Yobi, der fünfschwänzige Fuchs) von Regisseur Lee Sung-gang (2007) wurden auf dem koreanischen Markt für Animationen kaum nennenswerte Werke einheimischer Produktion hervorgebracht. Der Grund dafür liegt hauptsächlich in der Schwierigkeit, Investoren zu finden, denn zahlreiche koreanische Kino-Zeichentrickfilme erwiesen sich trotz hoher Qualität in Bezug auf die Zuschauerzahlen
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als Flop. Daher gingen viele bereits vor der Premiere der oben genannten drei Filme davon aus, dass von ihnen die Zukunft der koreanischen Animation abhängen würde. Unter diesen Dreien fiel der Erfolg von Leafie, a Hen Into the Wild besonders auf. Dass Leafie zum Kassenschlager wurde, liegt daran, dass der Film gerade rechtzeitig zur Sommerferienzeit in die Kinos kam und im Bereich der Produktionstechnik neue Versuche machte. In Korea lagen bislang Planung, Produktion, PR-Arbeit und Distribution von Animationsfilmen in der alleinigen Hand von auf Animation spezialisierten Produktionsunternehmen. Das war ein im Vergleich zum Realfilmbereich relativ rückständiges und ineffizientes System. Vor diesem Hintergrund wurde auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den beiden Bereichen hingewiesen und Leafie, a Hen Into the Wild ist Produkt eines ersten Versuches dieser Art. In diesem Film wurden das Know-how in Projektplanung und Ausgestaltung der Geschichte von Myung Films, einem erfahrenen Unternehmen in der Realfilmproduktion, mit den kreativen Ideen und den herzerwärmenden Zeichnungen des Animationsfilmspezialisten Odolddogi kombiniert. 3 Milliarden Won (rd. 1,97 Mio. Euro) flossen in die Produktion und noch einmal 1,8 Milliarden Won (rd. 1,18 Mio Euro) in die Vermarktung. Das Resultat war ein Bombenerfolg. Die Handlung des zugrunde liegenden Kinderbuches wurde geschickt für die Präsentation auf der Leinwand adaptiert, auf der die anmutigen, in warmen Farben gezeichneten Tierfiguren zum Leben erweckt wurden. In der Ausgestaltung der märchenhaften Geschichte über die Beziehung zwischen Natur und Mensch sind die typisch koreanische Gefühlswelt und viel originäre Kreativität erkennbar.
Stärke des Originals Leafie, a Hen Into the Wild basiert auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Hwang Sun-mi, einem Werk, das die eine-Million-Verkaufsmarke überschritt, was in der koreanischen Kinderliteratur eine Seltenheit ist. Das Original handelt von einer Henne namens Leafie, die in der Legebatterie einer Hühnerfarm lebt, aber davon träumt, einmal wie Hofhennen auf den Eiern zu sitzen und deshalb aus der Hühnerfarm ausbricht. Auf den ersten Blick mag der Film an den britischen Film Chicken Run erinnern, aber Leafie zeichnet sich durch größeren Ernst in Thematisierung und philosophischem Hintergrund aus. Beispielsweise werden
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ziemlich gewichtige und komplexe Themen wie Leben und Tod, Rassenfragen, Freiheit und Flucht, Zivilisation und Natur sowie Modernismus und Postmodernismus behandelt, wenn der Film die Flucht von Leafie aus der Legebatterie über den Hof in das Reservoir verfolgt. Das Produktionsteam, das sich 2004 für die Verfilmung dieses Kinderbuches entschied, setzte sich zum Ziel, einen Film zu schaffen, der die Sensitivität des Originals möglichst getreu erhält und von der ganzen Familie zusammen genossen werden kann. Sechs Jahre später gelang es dem Team, das themathische Bewusstsein des Originals wirkungsvoll in den Film einfließen zu lassen und eine rührende Geschichte über Natur und Wachstum des Lebens auszugestalten. Die Henne Leafie, die durch Zufall zum ersten Mal in ihrem Leben auf ein Ei zu sitzen kommt, und die Stockente Chorok (Grün), die aus diesem Ei schlüpft, knüpfen eine besondere Mutter-Sohn-Beziehung, anhand derer leitende Erzählmotive wie das Heranwachsen von Kindern und Mutterliebe in rührender Weise zum Ausdruck gebracht werden. Dabei wird die koreanische Note des Werks sichtbar.
Auch bei Erwachsenen beliebt Der Film weicht von dem typischen Ende „Sieg des Guten über das Böse“ ab. „Wir haben im Film die übliche Konstellation von Gut und Böse mit der Henne als Verkörperung des Guten und dem Wiesel als Inkarnation des Bösen vermieden, weil es im wahren Leben sehr verschiedenartige Menschen von sehr guten bis sehr bösen gibt. Das bringt die Menschen auch zum Nachdenken.“ In diesem Sinne entschied sich der Regisseur gegen ein Happy End, was für einen Familienfilm eher kühn ist. Leafie, a Hen Into the Wild sticht v.a. durch seine zeichentechnisch lebhafte Gestaltung der diversen Trickfiguren hervor. Eine der unumstößlichen Überzeugungen der Animationsbranche ist, dass es nichts Schwierigeres gibt als die Vermenschlichung von Vögeln mit ihren Schnäbeln und Flügeln. Darüber hinaus ist Leafie ein auf Zeichnungen basierender 2D-Animationsfilm, d.h. im Vergleich zu 3D-Produktionen werden viel größere Sorgfalt und Anstrengungen verlangt. Der Film lässt denn auch die harte Arbeit und die künst-
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Um einen Animationsfilm zu schaffen, der typisch koreanischen Malstil aufweist und sich so von Werken aus Hollywood oder Japan unterscheidet, erforschte das Zeichenkünstler-Team die Berge, Seen und Ebenen Koreas und fertigte Bleistiftzeichnungen an, aus denen mehr als 1.000 Hintergrundszenen entstanden.
lerische Versiertheit der Designer und Animatoren von Odolddogi, die insgesamt rund 120.000 Zeichnungen per Hand fertigten, erkennen. Um einen Animationsfilm zu schaffen, der typisch koreanischen Malstil aufweist und sich so von Werken aus Hollywood oder Japan unterscheidet, erforschte das ZeichenkünstlerTeam die Berge, Seen und Ebenen Koreas und fertigte Bleistiftzeichnungen an, aus denen mehr als 1.000 Hintergrundszenen entstanden. Insbesondere eine Szene im Schlussteil des Films, in der eine Sumpflandschaft in den Farben des Sonnenlichtes am Nachmittag getaucht ist und sich die Schatten von Bergen und Bäumen im Wasser widerspiegeln, weist einen hohen Grad an ästhetischer Perfektion auf. Die Stimmen bekannter Schauspieler, die den Film synchronisierten, und die Hintergrundmusik von Musikdirektor Lee Ji-su trugen ein Weitereres dazu bei, ein Werk zu schaffen, das noch bewegender als das Originalbuch selbst ist. Wie in der Planungsphase erhofft, zog Leafie per Mundpropaganda von erwachsenen Kinobesuchern Zuschauer der verschiedensten Altersschichten an. Nach offiziellen Besucherzahlstatistiken wurde der Film im ersten Monat nach der Premiere von mehr als 720.000 Zuschauern gesehen, was einen neuen Kassenrekord für Animationsfilme darstellt. Ende September wurde die 2-Millionen-Marke überschritten, womit die Gewinnschwelle von 1,5 Millionen Besuchern durchbrochen wurde.
Neue Ära für den koreanischen Animationsfilm In einigen Szenen, die in 3D gestaltet wurden, wirkt die Bildsynthese zwar leicht fremdartig. Sieht man von solch kleineren Bearbeitungsmängeln ab, weist Leafie, a Hen Into the Wild jedoch alle Kriterien auf, um eine neue Ära in der koreanischen Animationsfilmbranche, die bislang auf dem Niveau von Kinderanimationen geblieben ist, einzuläuten: ein solides thematisches Szenario, hoch entwickelte Technologie für Effekte, erstklassiges künstlerisches Zeichengeschick und einen erfolgreichen Synergieeffekt durch die gemeinsame Planung von Animations- und Realfilmproduzenten. In Korea gibt es bereits viele Regisseure von Indie-Animationsfilmen und Animationskünstlern, die sich bei renommierten Filmfestivals im Ausland einen Namen gemacht haben. Jetzt stehen ihnen noch größere Chancen offen.
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Auf der Weltbühne
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s gibt zahlreiche koreanische Tänzer, die den ehrgeizigen Versuch unternommen haben, mit dem Ziel einer „Globalisierung des traditionellen koreanischen Tanzes“ ihre Werke auf die Bühnen der Welt zu bringen, der Erfolg war bislang jedoch eher gering. Aber der Versuch von Lim Yi-jo unterschied sich in der Herangehensweise: Lim verwarf die bisher gängige Methode, traditionelle koreanische Werke als Ausgangsstücke zu nehmen und für die westliche Bühne zu adaptieren und kombinierte stattdessen westliche Klassiker des Balletts mit koreanischem Tanz. Bereits bei der Neukonzipierung von Schwanensee auf koreanische Art hatte Lim Yi-jo die internationale Bühne im Auge. Lim, dessen Tanzkarriere mehr als fünf Jahrzehnte umspannt, ist skeptisch gegenüber Versuchen, mit traditionellen Werken wie Sim Cheong, Chun-hyang oder Hwang Jin-yi, die auf Klassikern der koreanischen Volksliteratur beruhen, auf die Weltbühne zu treten. Er weiß nämlich, dass es schwierig ist,
damit das Publikum im Ausland, das nicht mit der traditionellen koreanischen Kunst und Kultur vertraut ist, überzeugend anzusprechen, und meint: „Aus unserer Sicht ist es sicherlich nicht ganz zufriedenstellend, den traditionellen koreanischen Tanz an westliche Erzählstoffe anzupassen, aber das weltweite Publikum möchte nicht-westliche vorführende Künste in einer leicht nachvollziehbaren und zugänglichen Art und Weise erleben.“
Die Sorge vor dem „Sprung ins Ungewisse“ Schwanensee von Lim Yi-jo wurde im April 2010 im Rahmen des regulären Programms des Seoul Metropolitan Dance Theater, das Lim als Direktor leitet, uraufgeführt und im Mai 2011 in einer Neubearbeitung nochmals auf die Bühne gebracht. Schwanensee gilt als Quintessenz des klassischen Balletts. Die lyrische Story, die meisterhafte Musik Tschaikowskys, die technisch perfekte Choreografie, die graziösen Schwanenkostüme und die traumhafte Bühne sind so tief in der Vorstellung der Ballettfans verankert, dass es kaum erfolgreiche Reinterpretationen des Werks gibt und selbst Altmeister der Choreografie vor einem Neuarrangement dieses großen Werks zurückschrecken. Als Lim Yi-jo, Meister des traditionellen koreanischen Tanzes, eine Reinterpretation von Schwanensee auf Basis des traditionellen koreanischen Tanzes ankün-
Lim Yi-jo: Internationales Debüt mit Schwanensee in Shanghai Lim Yi-jo, der Meister des traditionellen koreanischen Tanzes, präsentierte Schwanensee auf der Bühne des China Shanghai International Arts Festival 2011 . Das Tanzdrama ist eine Neuinterpretation des Tschaikowsky-Ballettklassikers, der Atem und Bewegungen des koreanischen Tanzes integriert. Choi Hae-ree Forscherin, Korea Dance Resource Center
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1. Eine Szene aus Lim Yi-jos Schwanensee , aufgef羹hrt auf dem China Shanghai International Arts Festival 2011 . Lim ist der Direktor des Seoul Metropolitan Dance Theater . 2. Lim Yi-jo tanzt Salpuri (schamanistischer Exorzismus-Tanz).
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Lee Jin-young vom Seoul Metropolitan Dance Theater tanzt die Hauptrolle von Prinzessin Seolgoni in Lim Yi-jos Schwanensee .
digte, wurde das in Theaterkreisen daher skeptisch als waghalsiger Sprung ins Ungewisse betrachtet. Doch Lims Versuch erwies sich letztendlich als glänzender Erfolg. Mit der positiven Bewertung, neue Horizonte für den koreanischen Tanz zu eröffnen, erhielt Lim für sein Tanzdrama auch die Einladung zur Teilnahme am internationalen Kunstfestival in Shanghai. Lim gab seinem Werke den Untertitel Großes Zusammentreffen zwischen dem Seoul Metropolitan Dance Theater und Tschaikowsky. Er beschreibt den koreanischen Tanz als einen Tanz, der für alle Musikstile adaptiert werden kann und erklärt: „Der Schwerpunkt meiner Interpretation liegt auf der Kombination von traditionell koreanischen Tanzbewegungen und klassischer westlicher Musik“. Das heißt, die für die Allgemeinheit vertraute klassische Musik wurde mit dem traditionellen koreanischen Tanzbewegungen, die durch kontrollierte Atemtechniken voller Gefühl, Dynamik in der Ruhe und Ästhetik der Zurückhaltung charakterisiert sind, verknüpft. Auch Hintergrund und Rollenverteilung wurden nach dem Konzept eines koreanischen
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Tanzdramas neu arrangiert. Kulisse der Handlung bilden Buyeon, Biryong und Mangang, drei fiktive koreanische Reiche der Antike, in denen eine von Magie geprägte Weltsicht vorherrscht. Auch die vier Hauptfiguren des Originalwerkes wurden adaptiert: Prinz Jigyu von Buyeon (Prinz Siegfried), Prinzessin Seolgoni von Biryong (Schwanenprinzessin Odette), Zauberer Nodubalsu von Mangang (der böse Zauberer Rotbart) und Nodubalsus schwarze Kreatur, der schwarze Schwan Geomunjo (Rotbarts Tochter Odile). Choreograf Lim Yi-jo trainierte die jungen Tänzer des Seouler Tanztheaters persönlich und sorgte damit für eine perfekte Realisierung seines Konzepts. Die spektakulärste Szene im Schwanensee –Original ist der Gruppentanz in geradliniger und diagonaler Aufstellung. Um die koreanische Gefühlswelt einzubringen, machte Lim daraus Kurven- und Kreisformen. Das klassische En pointe (Spitzentanz) wurde durch die Didim-Fußarbeit, die die Grundlage des koreanischen Tanzes bildet, ersetzt. In mehreren Szenen wurden repräsentative traditionelle koreanische Tanz-Genres wie Schwerttanz, Fächertanz, der Hoftanz Taepyeongmu und der buddhistische Mönchstanz Seungmu eingearbeitet, was der Aufführung ein noch stärkeres koreanisches Flair verlieh.
Allgemeiner Anklang und kreativer Geist „Du tanzst stilvollendet!“ - das ist wohl das größte Kompliment, das man einem, dem traditionellen koreanischen Tanz verschriebenen Künstler machen Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
lungen versucht, indem er z.B. in seine moderne Tanzchoreografie Motive der kann. Lim Yi-jos Tanz ist Verkörperung dieser Stilvoltraditionellen koreanischen Märchen- und Volksglaubenswelt einarbeitet. Seit lendetheit. Sein Tanz vermittelt das Gefühl von klarer fünf Jahren tragen seine Bemühungen Früchte: 2006 wurde das von ihm choEleganz und tiefem Gehalt. Jede einzelne seiner Bewereografierte Stück Heaven and Earth zum Fall for Dance Festival, das jedes gungen ist von großer Hingabe durchdrungen. Seine Fußarbeit, seine Handbewegungen und sanften Blicke Jahr vom New York City Center organisiert wird und als eins der besten intersind von ungewöhnlicher Subtilität. Mit seiner kompaknationalen Tanzfestivals gilt, als Eröffnungsvorstellung eingeladen. Zudem ten Statur und seinem gutem Aussehen verfügt Lim wurde sein Engagement für die Förderung des traditionellen Tanzes auf der über körperliche Attribute, die ihn geradezu für den koreanischen und internationalen Bühne im Oktober 2006 mit der Verleihung traditionellen koreanischen Tanz geboren scheinen der staatlichen Kultur-Ehrenmedaille „Hwagwan“ gewürdigt. lassen. Tänzer zu werden, war Lim Yi-jos Schicksal: Seine Auf dem Weg zur Weltbühne Mutter war eine moderne Tänzerin, unter deren EinLim Yi-jo präsentierte Schwanensee am 4. und 5. November im Rahmen des fluss er seit Kindesbeinen an verschiedene Arten des Hauptprogramms des China Shanghai International Arts Festival 2011. Dieses Tanzes, darunter auch modernen westlichen Tanz, Kunstfestival, das in diesem Jahr zum 13. Mal stattfand und gemeinsam vom kennen lernte. Mit fünf Jahren fing er an, zu tanzen, chinesischen Kulturministerium und der Stadt Shanghai ausgerichtet wird, ist wobei er zunächst Ballett lernte. Sein erster Tanzlehdie größte internationale Kunstveranstaltung in China. Zusammen mit dem rer war der große Ballettmeister Song Beom. In seiner Singapore Arts Festival und dem Hong Kong Arts Festival gehört es zu den drei Jugend lernte Lim von großen Künstlern wie der Panbedeutendsten Kunstfestivals in Asien. Während des knapp einmonatigen Fessori-Sängerin (Pansori: traditioneller epischer Solotivals versammelten sich etwa drei Millionen Künstler und Präsentatoren aus gesang) Kim So-hee und dem modernen Tänzer Eun China und der ganzen Welt in Shanghai. Im Zentrum der Veranstaltungen steht Bang-cho verschiedene Tanzstile und auch traditioneldas Hauptprogramm. In den vergangenen zwölf Jahren standen u.a. folgenle koreanische Musik. de illustre Namen auf dem Programm: das russische Kirov Ballet, das britiNachdem er im Alter von 18 den Mönchstanz Seungmu sche Royal Ballet, das taiwanische Cloud Gate Dance Theatre, das französische von Lee Mae-bang erlebt hatte, entschied er sich für Orchestre National de France, der Dirigent Zubin Mehta und das Israel Philharden traditionellen Tanz. „Als ich sah, wie Meister Lee monic Orchestra usw. In diesem Jahr wurden neben dem Seoul Metropolitan Mae-bang den Mönchstanz tanzte, bekam ich regelDance Theater 24 Künstler und Gruppen eingeladen, darunter das Béjart Ballet recht Gänsehaut und dachte: Diese enorme SelbstkonLausanne, die Berliner Philharmoniker, der Violinist Itzhak Perlman und das trolle und Zügelung des Ausdrucks - das ist die Essenz des traditionellen koreaLim beschreibt den koreanischen Tanz als einen Tanz, der für alle nischen Tanzes.“ Lim ging sofort bei Lee Mae-bang in die Lehre und auch heute Musikstile adaptiert werden kann und erklärt: „Der Schwerpunkt noch, gut vier Jahrzehnte später, ist Lee Mae-bang sein Lehrmeister. Daher ist Lim meiner Interpretation liegt auf der Kombination von traditionell koreYi-jo als ein Tänzer bekannt, dessen Tanz anischen Tanzbewegungen und klassischer westlicher Musik“. in seiner Stilvollendetheit dem von Meister Lee Mae-bang ähnelt. Außerdem ist Lim staatlich anerkannter Ausbildungsassistent des „Wichamerikanische Broadway-Musical Zoro. tigen Immateriellen Kulturgutes Nr. 27“, dessen Träger Lim Yi-jos Schwanensee ist das erste koreanische Werk, das zum Shanghaisein Lehrer Lee Mae-bang ist, und staatlich anerkannKunstfestival eingeladen wurde, einem Festival, dessen Planungsteam dafür ter Ausbildungsabsolvent besonderer Kompetenz des bekannt ist, äußerst selektiv bei seiner Auswahl renommierter Kunsttruppen traditionellen exorzistischen Tanzes Salpuri, des „Wichfür das Hauptprogramm zu sein. tigen Immateriellen Kulturgutes Nr. 97“, dessen Träger Die Festivalorganisatoren waren überrascht von Lim Yi-jos Reinterpretation ebenfalls sein Lehrer Lee ist. Wie früher sein Meister von Schwanensee, da nach ihrer Auskunft chinesische Tänzer vor zehn Jahren Lee Mae-bang gilt heute Lim Yi-jo als der beliebteste einen ähnlichen Versuch des Neuarrangements auf Basis der eigenen tradititraditionelle Tänzer. onellen Kultur unternommen hatten. Das Ergebnis hatte dann aber nicut den Mit dem traditionellen Tanz alleine gibt Lim sich aber Erwartungen eutsprocheu und zur Aufgabe des Versuchs geführt. Das Komitee nicht zufrieden, sondern er sucht nach Herausfordesah dann im Mai 2010 per Zufall eine DVD-Aufnahme von Lim Yi-jos Schwanenrung auf neuen Bühnen. Sein Ziel ist, Tanzwerke von see und entschied sich ohne zu zögern für die Einladung des Werkes. Es ist zu koreatypischer Lyrizität und Lebensfreude zu schaffen, hoffen, dass die Aufführung in Shanghai als Sprungbrett für Lims weitere Aufwofür er neue Experimente unternimmt und Abwandtritte im Ausland dienen wird. K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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Kunsthandwerker
Kunstfärberin Kim Jung-hwa Stoffe in den Farben der Natur
Kim Jung-hwa verwendet das Blau des Indigos, um das tiefe Meer darzustellen. Das Rot der Färberdistel drückt die Wärme der Sonne aus und das Schwarz der Rinde des Kastanienbaums – einem Tuschebild ähnlich – das Dunkel, das sich in der Abenddämmerung über das Gebirge Jiri-san legt. Um ein einziges Werk fertigzustellen, braucht sie drei bis fünf Jahre und manchmal muss sie den Stoff sogar rund 1.500 Mal färben. Park Hyun-sook Freiberufliche Schriftstellerin | Fotos: Ahn Hong-beom, Kwon Tae-kyun
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im Jung-hwa, eine Künstlerin, die sich der traditionellen Färbekunst Koreas verschrieben hat, erinnerte mich schon gleich zu Beginn unseres Gesprächs an eine literarische Figur: Kkonni, die Protagonistin des Romans Honbul (Geist-Feuer ) von Choi Myung-hee. Kkonni ist die Tochter von Urye, der Magd einer Adelsfamilie, die dafür zuständig ist, die Kleider der Familie ihres Herrn zu schneidern. Das kleine Mädchen erhält von seiner Mutter wertvolle Stoffreste in exquisiten Farben wie scharlachrote Seide, violetten Hanfstoff oder jadegrünen Ramiestoff, die es nie im Leben wird tragen können. Berauscht von der Schönheit der Farben bewahrt Kkoni die Stoffstücke wie einen Schatz auf. Sie besitzt nämlich ein besonders sensitives Auge für die Farben der Natur. „Wie schön wäre es
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doch, wenn sie in einem Bach aus solch wunderschönen Farben spielen könnte!“, lamentiert die Mutter, als sie sieht, dass Kkoni von einer Schönheit in Bann geschlagen ist, die der Tochter einer Dienerin verwehrt bleiben muss. Im traditionellen koreanischen Färberwesen werden Naturmaterialien wie Blumen, Blätter und Früchte als Pigmentstoffe verwendet. Deshalb strahlen von traditionellen Färbern gefärbte Stoffe die tiefen und reichen Farben der Natur aus. Im Joseon-Reich (13921910), in dem die einzelnen Gesellschaftsschichten streng getrennt waren, durften nur die Yangban, die Adligen der Zeit, feine, in reichen Farben gefärbte Stoffe tragen. Kim Jung-hwa, die älteste Tochter eines Obstbauern aus Yeongcheon in der Provinz Gyeongsangbuk-do, war schon als kleines Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
Explodes: Cosmos 3 (2007). 1.600cm × 120cm. Gallapfel, Kiefernnadeln, Chinesische Pfingstrosen, Caesalpinia sappan, Zimt, Silbermagnolien und gemischte Färbsubstanzen auf einem Stoff aus Leinen-Baumwoll-Gemisch.
Kind von den Farben der Natur fasziniert. „Als Kind war ich kränklich und hatte öfters Krämpfe. Meine Mutter hat mich dann immer auf den Rücken genommen und ist mit mir durchs Dorf spaziert, um mich zu beruhigen. Die Landschaftsbilder, die ich damals gesehen habe, haben sich tief in meine Erinnerung eingenistet: das flammende Rot des Sonnenaufgangs, die Farbe des Gesichts meiner Mutter im Licht der aufgehenden Sonne, die trübe, aber warme Farbe des Dungs auf den Feldern und das Grauviolett der Bäume in unserem Birnengarten. Wenn ich auf der Wiese liegend direkt in die Sonne blickte und dann die Augen schloss, erstrahlte hinter meinen Augenlidern ein Kaleidoskop von Farben. Als ich später zum ersten Mal eine Mandala sah, war ich total überrascht, denn in der Mandala waren all die Lichter K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
und Farben, die ich gesehen hatte, nachdem ich direkt in die Sonne geschaut hatte. Ich wollte eine Malerin werden, die all die Farben der Natur widergibt. An dem Tag, an dem ich mit Wachsmalstiften zu malen begann, wurde mir aber bewusst, dass die Farben, die mir zur Verfügung standen, und die Farben, die ich aus der Natur kannte, anders waren. Einmal bin ich während der Malstunde in der Grundschule weinend nach Hause gelaufen, weil es keine Farben gab, mit denen ich die Bäume richtig hätte darstellen können.“ Der Durst des kleinen Mädchens nach Farben konnte über zwanzig Jahre lang nicht gelöscht werden. Während Kim die Mittelschule besuchte, starb ihr Vater und die Familie geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten, so dass sie anfangen musste, zu arbeiten, um
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„Jedes Mal, wenn ich mich an eine Färbearbeit mache, suche ich nach neuen Inspirationen. Gräser, Sonnenschein, Wind, Tau und Mondlicht helfen mir bei der Arbeit.“
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1. Kim Jung-hwa sprenkelt Kakipflaumensaft auf die Leinwand. Für Arbeiten an überdimensionalen Werken geht sie nach draußen auf die Felder vor ihrem Atelier. 2. Sees: Sees 20 (2009). 74cm × 122cm. Polygonum indigo, Caesalpinia sappan, Kakipflaumensaft und gemischte Färbsubstanzen auf Baumwollstoff.
zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Nachdem sie die Oberschule absolviert hatte, bestand sie 1974 die Beamtenprüfung für Berater in den Landgemeinden und begann als Hauswirtschaftliche Beraterin zu arbeiten. Bis Mitte dreißig hatte sich zwar von Zeit zu Zeit ihr alter Wunschtraum, Malerin zu werden geregt, sie hatte ihn aber unter großer Anstrengung ignorieren müssen.
Suche nach einem Meisterfärber „Als ich so Mitte dreißig war, fiel mir eines Tages urplötzlich ein, dass man in der Vergangenheit alle Farben, die man brauchte, aus Naturmaterialien hergestellt hatte und dass daher die Lösung in der Natur zu finden sein musste. Ich habe in alten Schriften nachgeschlagen und herausgefunden, dass in Büchern wie Gyuhap chongseo (Enzyklopädie für Frauen ; eine Art Haushaltslexikon), Imwon gyeongje-ji (Sechzehn agrarwissenschaftliche Abhandlungen), Sangbang jeongnye (Regulierungen für das Büro für Kleider etikette am Hof) und in dem chinesischen Klassiker Boncho gangmok bzw. Bencao gangmu (Handbuch der Materia Medica) die traditionellen Färbetechniken erläutert werden.“ Kim hat allerdings die traditionelle Färbekunst mit Naturmaterialien nicht aus Büchern gelernt. Die alten Färbermeister, die meist der unteren Gesellschaftsschicht angehörten, konnten nämlich nicht lesen und schreiben. Daher waren die Erläuterungen in den alten Schriften höchstwahrscheinlich nicht vollständig oder auch zum Teil nicht korrekt, denn sie waren von Gelehrten verfasst worden, die die Erklärungen der Färbermeister zu Papier gebracht hatten. In den 1980er begann Kim Jung-hwa, wann immer sie Zeit hatte, im ganzen Land Färbermeister aufzusuchen, die die Färbetechniken nicht im Kopf, sondern in den Händen gespeichert hatten. Die Meister der traditionellen Färbekunst, die vom Aussterben bedroht war, waren damals bereits 80 oder 90 Jahre alt. Die Erklärungen, die sie ihr mündlich vermittelten, unterschieden sich, wie Kim es schon vermutet hatte, deutlich von den Informationen in den Büchern. Sie erfuhr, dass die Pflanze, die als Pigmentstoff verwendet wird, je nach Zeitpunkt der Ernte und je nach Wetter an diesem Tag einen anderen Farbton erzeugen kann. Als Beize, also als Bindemittel zwischen einem Stoff, der nicht leicht Farbe annimmt, und dem Pigment, können verschiedene Mittel wie natürliche Alaunen oder Laugen aus Asche von verbranntem Symplocos (Symplocos chinensis aus der Ordnung der Heidekrautartigen) verwendet werden, wobei schon ein kleiner Unterschied in der Konzentration zu einem anderen Ergebnis führen kann. Kim Jung-hwa hörte sich die K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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Erklärungen der Meister an und begann dann selbst zu experimentieren. Jedes Mal, wenn sie dabei auf Fragen stieß, suchte sie die Meister immer und immer wieder auf. Vor allem Naju und Muan, Hochburgen der traditionellen Färbekunst, besuchte sie sehr oft. In ihrer unersättlichen Neugier stellte sie so viele Fragen, dass die alten Färbermeister sich sogar manchmal beschwerten: „Mein Gott! Hör doch auf, mir Löcher in den Bauch zu fragen!“ Aber dann reichten sie sie an geheime Meister der Kunst weiter: „Geh mal zu meiner Tante, die kann dir das erklären.“ Im Zuge ihrer Erforschungen entdeckte sie auch Farben wieder, die längst in Vergessenheit geraten waren. „1996, als ich nach den einheimischen Farben der Insel Jeju suchte, traf ich auf einen alten Perde- und Kuhhirten, der mir die Farbe Schwarzgelb vorstellte. Er erklärte, dass es sich um die Farbe des Wolda-Pferdes handele, dessen Fell rötlich und dessen Mähne schwarz ist. Daher ist das koreanische Wort Yuhwang (Schwarzgelb) eine Zusammensetzung aus Yu (Wolda-Pferd) und hwang (gelb). Ich wollte unbedingt diese Farbmischung aus Gelb und Schwarz sehen. Schließlich habe ich sie auch gefunden. Es war ein Gelb mit schwarzem Touch, also eine Art mittelhelles Braun.“ In den rund 20 Jahren, die Kim Jung-hwa nach den Farben der Natur suchte, hat sie mit 204 verschiedenen Pflanzen gefärbt, angefangen von bekannten Färbepflanzen wie Indigo, Färberdistel und Kakipflaumen, bis hin zu kaum bekannten Pflanzen und Farbstoffen wie Schmetterlingstramete, die Früchte des StumpfblattLiguster (Ligustrum obtusifolium), die Blätter des Apfelbaums, die
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Schalen von Trauben und schwarze Bohnen. Es dauert gut einen Tag, um einen Stoff in der Pigmentflüssigkeit zu färben und anschließend zu beizen. Um einen Farbton zu erhalten, der nicht leicht verblasst bzw. sich nicht leicht auswäscht und nicht fleckig ist, muss der Färbeprozess vierzig bis fünfzig Mal wiederholt werden. Das heißt, dass Kim Jung-hwa diesen Arbeitsschritt wenigstens achttausend Mal bei 3 ihren Experimenten mit den Farben der Natur wiederholt hat. Dabei hat sie auf Feldern und in Wäldern Blätter und Früchte als Rohmaterialien gesammelt, daraus die Pigmentflüssigkeit zubereitet, die Stoffe gefärbt und anschließend bearbeitet, in dem sie sie im Mondlicht trocknen ließ und dem Tau aussetzte. Kim Jung-hwas Tageswerk beginnt fast jeden Tag um vier Uhr morgens und endet erst um ein oder zwei Uhr in der Nacht. Es ist eine Zeit, in der sie so trunken ist vom faszinierenden Wandel der Stoffe, die mit jedem Eintauchen in die Pigmentflüssigkeit einen anderen Farbton annehmen, dass sie jegliches Zeitgefühl verliert und ihre Begeisterung sie die körperliche Erschöpfung vergessen lässt. Bei den Färbearbeiten vergeht die Zeit unmerklich schnell und das Herz ist vor Freude aufgeregt. Im Zuge ihrer Färbexperimente hat sie vierzig bis fünfzig Pflanzenarten ausgemacht, die sich besonders gut als Pigmentmaterial eignen. Das heißt, dass sie die Farben gefunden hat, mit der sie auf der Leinwand die Farben der Natur einfangen kann.
Von Königsrot bis Rustikalbraun Im Juli 2007 stellte Kim Jung-hwa auf Einladung der nicht-kommerziellen Künstlerorganisation Sitecreation (www.sitecreation. org) in Silicon Valley, Kalifornien, in der Stadt Santa Clara über hundert Werke aus. Gerald Brett, CEO von Sitecreation, bewertete die Kunstwelt von Kim Jung-hwa wie folgt: „Kim Jung-hwa spiegelt in ihren Werken die Welt wider, nach der wir uns sehnen. Sie ist eine Meisterin, die mit göttlicher Geschicklichkeit mit Farben umgeht, aber noch besser ist sie darin, Illusionen zu beschwören.
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Beim Färben verwendet sie traditionelle Methoden und greift auf die Vergangenheit zurück, aber ihre bildliche Darstellung ist von einer Zeitlosigkeit, die in die Vergangenheit und in die Zukunft reicht.“ Ein Einschlagtuch mit einer rauen Gebirgslandschaft aus Stoffflicken, gefärbt mit Indigo, Ramie und Färberdistel, ein Werk mit Blumen und Schildkröten, den Symbolen für Glück und Langlebigkeit, und ein Werk mit tausend Buddhas und tausend Pagoden in batikähnlicher Färbetechnik – sie alle zeigen, wie Kim Jung-hwa Natur und Traditionen Koreas in ihrer Kunstwelt zum Ausdruck bringt. Für das Werk Mit geschlossenen Augen sehen, das die faszinierenden Lichter und Farben darstellt, die sie als Kind sah, nachdem sie in die Sonne gestarrt hatte, verwendete sie Naturmaterialien wie Indigo, Rhabarber, Zwiebeln, Caesalpinien (Caesalpinia sappan) und 1 Kakipflaumen. Das sechs Meter breite und vier Meter hohe Werk Seelenbäume und das zwanzig Meter breite und zwei Meter hohe Serienwerk Kosmos , das in die Geheimnisse des Weltalls eintaucht, beeindrucken den Betrachter alleine schon durch ihre Übermensionalität, faszinieren aber noch ein weiteres Mal durch ihren feinen und frei fließenden Ausdruck. Alle Exponate entstanden durch unendlich viele Färbeprozesse, die über einen Zeitraum von drei bis zehn Jahre vorgenommen wurden. In ihren Werken verschmelzen Konkretheit und Abstraktheit und die Grenze zwischen Ölmalerei und Tuschemalerei fällt. „Färben mit Naturstoffen erzeugt eine Tiefe und Schönheit, die durch Färben mit synthetischen Stoffen nicht nachgeahmt werden kann. Außerdem werden aus der Natur gewonnene Farben auch bei wiederholtem Färben nicht stumpf oder dunkler. Daher gibt es keinerlei Begrenzungen in den Ausdrucksmöglichkeiten. Wenn man einen Stoff richtig gefärbt hat, verblasst er in der Regel auch nicht. Jedes Mal, wenn ich mich an eine Färbearbeit mache, suche ich nach neuen Inspirationen. Gräser, Sonnenschein, Wind, Tau und Mondlicht helfen mir bei der Arbeit. Auf meiner Suche nach der Essenz aller Farben, nach natürlicheren und wärmeren Tönen, ist Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
1. Für leuchtende Rottöne von Rosa bis Purpurrot mit Färberdistel gefärbte Stoffe werden zum Trocknen aufgehängt. 2. Mit Kakipflaumensaft gefärbte Stoffe werden aufs Gras ausgelegt, um den Tau des Abends aufzusaugen. 3. Materialien für naturliches Färben (im Uhrzeigersinn von oben links): Kastanienbaumrinde, frische Färberdistel, Kakipflaumen, getrocknete Färberdistel-Blüten und Indigo-Blätter. 4. Die Muster auf den gefärbten Stoffen werden per Hand mit Stichen eingefasst.
die Kunst des natürlichen Färbens wie ein Lehrer, der mir bis zum Lebensende mit Rat und Tat zur Seite steht.“ Unter den wundervollen Farben, die Kim Jung-hwa hergestellt hat, zieht vor allem eine Mischung aus tiefen Rot (Daehong) und Braun (Gal) das Auge auf sich. In der Ständegesellschaft der JoseonZeit konnten diese beiden Farben niemals zusammen erscheinen. Daehong, ein tiefes Rot von besonderer Leuchtkraft und Transparenz, war eine edle Farbe, die den Gewändern des Königs vorbehalten war. Ihr Wert entsprach dem Aufwand an Geld und Arbeitskraft, der in die Herstellung investiert wurde: Um einem 30 Zentimeter breiten und 22 Meter langen Stoff daehong-rot zu färben, brauchte man 120 Kilogramm Färberdisteln und der Stoff musste 25 Mal in die Pigmentflüssigkeit getaucht werden. Kim Jung-hwa hat, alten Aufzeichnungen folgend, acht Jahre lang mit verschiedenen Säurearten aus z.B. Chinesischem Spaltkörbchen (Schisandra chinensis), Kakipflaumen, Trauben, Äpfeln und Zitronen experimentiert, um herauszufinden, welche Art ideal für das Königsrot ist. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass die aus Trauben gewonnene Säure am geeignetesten ist. Gal ist ein Farbton zwischen Orange und Braun, der durch einen groben Farbstoff aus noch unreifen Kakipflaumen erzeugt wird. Dreckwasser- oder Erdspritzer bleiben bei dieser Farbe unauffällig, so dass sie von Menschen aus den niederen Schichten, die grobe Arbeiten zu erledigen hatten, bevorzugt wurde. Die alten Koreaner der Joseon-Zeit hätten sich nie vorstellen können, dass die Kombination aus purem Königsrot und grobem Rustikalbraun so schön sein würde.
Langsame Farben im Zeitalter der Hochgeschwindigkeit Kim merkt an: „Im Prozess des Färbens ist das Leben in komprimierter Form enthalten. Will man z.B. roten Farbstoff herstellen, braucht man mindestens vier Jahreszeiten dafür: Im Frühjahr wird die Färberdistel ausgesät, im Sommer werden die Blüten geerntet. Danach wird der gelbe Blütenfarbstoff durch Einweichen der Blüten in Wasser entfernt. Anschließend müssen die Blüten fermentieren, bevor sie in einem letzten Schritt in Lauge geknetet K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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werden. Diese Vorbereitungen zur Herstellung des roten Farbstoffes dauern mehr als ein halbes Jahr, die Färberdistel muss bis zum Herbst nach genauen Einzelschritten bearbeitet werden. Um die Farbe leicht auf dem Stoff zu fixieren, braucht man außerdem Essig, den man aus Trauben, Kakipflaumen oder Chinesischen Spaltkörbchen extrahieren muss. Das Färben selbst verlangt dann auch noch einmal viel Zeit und Sorgfalt wie z.B. bei der Färbemethode Gaeogi, bei der zuerst ein hochabsorbierender Stoff wie Baumwolle mit der Färberdistel gefärbt wird. Danach wird das Farbpigment extrahiert und zum Färben des gewünschten Stoffes verwendet. Mit dieser Methode erzielt man ein zurückhaltendes, elegantes Rot. Ein einziger Fehler in diesem Prozess bedeutet, dass man bis zum nächsten Jahr warten muss, um wieder von vorne anfangen zu können. Das sind wirklich langsame Farben im Zeitalter der Hochgeschwindigkeit.“ Kim Jung-hwa findet es eher unangenehm, als Künstlerin betrachtet zu werden. Sie sei nur eine „Färberin, die versessen auf die Farben der Natur ist“, sagt sie und zeigt mir ihre Hand mit von der harten Arbeit ausgeleierten Bändern.
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KOREA entdecken
Roger Shepherd: Die große Bergkette hat mein Leben verändert Roger Shepherd, der 70 Tage lang das Bergmassiv Baekdu daegan durchwanderte und einen Führer darüber verfasste, gilt als Experte dieser sich über die ganze koreanische Halbinsel erstreckenden Gebirgskette. Seit Oktober 2011 erforscht der Neuseeländer auch den nördlichen Teil des Baekdu daegan, der sich in Nordkorea befindet. Park Jung-won Editorin, Magazin Monthly Mountain
Baekdu-san
Gaema Plateau
DMZ kbae tte Taeergke B
Hyangno Peak
Odae-san
Taebaek-san Worak-san Songni-san
aek tte Sobrgke Be
Jiri-san
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Roger Shepherd (rechts) und Andrew Douch auf einer Wanderung entlang des Baekdu daegan, dem Bergmassiv, das das Rückgrat der koreanischen Halbinsel bildet. Ko re a n Cu l tu re & A rts
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m Juli 2010 trugen Roger Sheperds Anstrengungen von mehr als zwei Jahren Früchte: Baekdu daegan Trail: Hiking Korea's Mountain Spine (Verlag: Seoul Selection), der erste englischsprachige Führer für ausländische Bergenthusiasten, wurde veröffentlicht. Für Sheperd ging es bei dieser Publikation darum, seine „interessanten und manchmal unglaublichen Erlebnisse“, die ihm während der Besteigung des Baekdu daegan, einer Bergkette, die sich durch sechs Nationalparks in Südkorea zieht, widerfahren waren, mit Bergsteigern in aller Welt zu teilen.
Erster Besteigungsversuch Der 452 Seiten starke Bergführer unterteilt die 740 Kilometer lange Strecke vom Gipfel Cheonwang-bong im Gebirge Jiri-san im Süden bis zum Hyangno-bong in der Provinz Gangwon-do, dem nördlichsten Gipfel des Baekdu daegan auf südkoreanischer Seite, in 17 Abschnitte. Die einzelnen Abschnitte sind wiederum in eintägige Wanderstrecken eingeteilt, so dass man anhand dieses Führers Bergwanderungen systematisch planen kann. Außerdem gibt es für jede Wanderstrecke detaillierte Wegbeschreibungen und die sehenswertesten Stellen werden anhand übersichtlicher Tabellen und Karten ausführlich dargestellt. Nicht zuletzt finden sich neben den Erläuterungen über die historische, kulturelle und ökologische Bedeutung des Baekdu-daegan-Massivs auch rund 200 Fotos von religiösen Stätten sowie landschaftlichen Sehenswürdigkeiten in der Umgebung der Wanderwege. Wie kam es jedoch dazu, dass der Neuseeländer Roger Shepherd die koreanische Bergkette Baekdu daegan dermaßen weit und breit erkundete? Shepherd war schon als Kind ein Wandervogel voller Neugier, den es immer wieder zu neuen Orten zog, die es zu entdecken galt. Schon mit 21 machte er sich nach Großbritannien auf, um nur ein Jahr später nach Afrika zu gehen, das für den jungen Mann damals „terra incognita“ war. Neun Jahre lang lebte er in verschiedenen afrikanischen Ländern wie Südafrika, Mosambik und Sambia, wo er als Ranger in Nationalparks und Reiseleiter in K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
Safariparks arbeitete. Seine Wanderlust führte ihn im Jahr 2000 schließlich nach Korea. Es war, als würde ihn die Natur Koreas anlocken und nicht wieder loslassen. Doch stellte er dieses Gefühl erst einmal hintenan und kehrte 2001 nach Neuseeland zurück, wo er Polizist wurde. 2006 nahm er sich drei Monate Urlaub und besuchte noch einmal Korea, wo es zu seiner „schicksalhaften Begegnung“ mit dem Baekdu-daegan-Bergmassiv kam. Er unternahm eine Bergkammwanderung, die er jedoch wegen der Überflutungen der Monsunzeit und der allgemein ungünstigen Wetterbedingungen auf halber Strecke abbrechen musste. Allerdings hatten sich die vier Silben „Baek-du-dae-gan“ tief in seine Erinnerung eingegraben, so dass Shephard zwar wieder nach Neuseeland zurückkehrte, sich jedoch vornahm, einen zweiten Versuch zu starten.
70-Tage-Trekking Im September 2007 kehrte Roger Shepherd mit einem festen Entschluss nach Korea zurück: Er wollte erneut eine Trekkingtour durch das Baekdu-daegan-Massiv versuchen, dieses Mal zusammen mit seinem Freund Andrew Douch. Sie starteten am 2. September in Jungsan-ri in der Provinz Gyeongsangnam-do, einer Ortschaft etwa auf Hangmitte des Jirisan-Gebirges, und erreichten bereits nach 20 Tagen Gipfel 502 (wegen seiner Höhe von 502m so genannt) des Bergpasses Chupungnyeong. Ende September wanderten sie durch das Songnisan-Gebirge und machten sich Anfang Oktober zum Woraksan-Gebirge auf. Mitte Oktober erreichten sie den Cheonjedan, einen Altar zur Verehrung des Himmels im Taebaeksan-Gebirge, und kamen am 27. Oktober im Nationalpark Odae-san an. Am 7. November erreichten sie das SeokbyeoksanGebirge in der Provinz Gangwon-do, wo sie dann schließlich den Hyangno-bong, den nördlichsten Gipfel des Baekdu daegan auf südkoreanischer Seite, bestiegen. Von dieser Bergspitze aus konnten sie mit bloßem Auge Nordkorea, das hinter der Demilitarisierten Zone liegt, sehen. Anschließend zogen sie über den Pass Jinbu ryeong und erreichten am 10. November den Masan-bong, den letzten Gipfel ihrer 70-tätigen Trekkingtour durch Baekdu daegan. Auf der Wanderung gab es zahlreiche Komplikationen und erin-
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nernswerte Begebenheiten. Einmal verloren sie z.B. in pechschwarzer Nacht den Weg, entdeckten aber während des Herumirrens irgendwann ein hell leuchtendes Licht, dem sie folgten und das sie zu einer Pension brachte. Beim Anblick der völlig erschöpften und verdreckten Wanderer mit den blauen Augen packte den Pensionsbesitzer jedoch die Furcht, er schrie „Hilfe, Geister!“, knallte den beiden die Tür vor der Nase zu und verriegelte sie. Auf ihrer Tour hatten sie auch das Glück, im Sobaeksan-Gebirge den weltweit anerkannten, wertvollen Sansam (wilder Bergginseng) zu finden.
Die Bedeutung des Baekdu-daegan-Massivs „Baekdu daegan ist ein wunderschönes Bergmassiv, das in nichts anderen Gebirgsketten auf der Welt nachsteht, und zugleich ein einzigartiger Raum der Kultur. Es bietet alle Voraussetzungen, die für die Entwicklung zu einer internationalen Attraktion des Bergwandertourismus wie etwa den Appalachen-Trail in den USA notwendig sind. Ich hoffe, dass viele Ausländer davon erfahren und hierher kommen.“ Sheperds Interesse am Baekdu daegan war reiner Neugier auf neue Welten entsprungen, führte letztendlich aber zu
einem tiefen Interesse und Verständnis für den kulturellen Hintergrund Koreas wie z.B. die koreanische Geomantiklehre Pungsu und die schamanischen Berggeister Sansin. „Baekdu daegan kann als heiliger Gebirgszug bezeichnet werden, der als riesiges Lebewesen mysteriöse Energie erzeugt, und jedem, der ihn besteigt, diese Energie einflößt. Diese Bergkette ist nicht nur ein geographischer Raum mit herrlichen, reizvollen Landschaften, sondern auch ein spirituelles Wesen, das als Quelle der transzendentalen Vorstellungswelt des koreanischen Volkes gilt. Daher ist das Baekdu-daegan-Massiv heute für die Koreaner mehr als nur ein riesiger Gebirgszug, es existiert als symbolisches Konzept an sich.“ Nach der Trekkingtour begannen Sheperd und Douch damit, einen englischsprachigen Führer zu verfassen, wobei David Mason, Professor an der Kyung Hee University, als Korrekturleser mitwirkte. Als der Amerikaner Mason 1982 zum ersten Mal nach Korea kam, wurde er von den Sansin, den koreanischen Berggeistern, so fasziniert, dass er auf der Suche nach Sansin-Motiven in ganz Korea herumreiste und seine For1 schungsergebnisse 1999 in dem Bildband
„Baekdu daegan kann als heiliger Gebirgszug bezeichnet werden, der als riesiges Lebewesen mysteriöse Energie erzeugt, und jedem, der ihn besteigt, diese Energie einflößt.“
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Spirits of the Mountains veröffentlichte.
Baekdu daegan in Nordkorea Roger Shepherd wurde 2009 von der Korea Tourism Organization (KTO), der koreanischen Tourismusbehörde, die dem Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus untergeordnet ist, zum Ehrenbotschafter für Tourismus ernannt. 2010 gab er seine Stelle als Polizeibeamter in Neuseeland endgültig auf und zog nach Korea, wo er die Firma Hike Korea gründete. Seitdem ist es seine Hauptaufgabe, durch Publikationen und Fotos die Berge Koreas in der ganzen Welt bekannt zu machen. Sheperds Foschungsdrang richtet sich jetzt auf den in Nordkorea gelegenen Teil des Baekdu-daegan-Massivs. Er treibt gerade ein langfristiges Projekt zur Erforschung der Teile des Baekdu daegan voran, die nach der Teilung Koreas für die Außenwelt so gut wie unbekannt geblieben sind. Im Mai 2011 besuchte er Nordkorea und sprach mit den dortigen zuständigen Beamten über die Probleme
der Veröffentlichung eines Fotoessay-Bandes mit Aufnahmen des nordkoreanischen Abschnittes des Baekdu daegan. Mit Unterstützung der Korea-New Zealand Friendship Association, einer koreanisch-neuseeländischen NGO zur Freundschaftsbeförderung zwischen beiden Ländern, erhielt er schließlich die Erlaubnis, im Oktober 2011 sein Projekt in Nordkorea in Angriff zu nehmen. Im Oktober erforschte Shephard 18 Tage lang 10 Wanderstrecken im Norden und hielt sie mit der Kamera fest. 2012 wird Sheperd erneut nach Nordkorea reisen und die restlichen Abschnitte des Baekdu daegan in den Provinzen Hamgyongnam-do und Yanggang-do fotografieren. Während der auf 40-Tage angesetzten Wanderung wird er auch von den Zwischenstationen Samjiyon, Bucheon und Changjin aus die Plateaus Baekdu und Gaema besuchen. Diese wunderschönen Schätze der Natur können die Südkoreaner seit der Teilung des Landes vor fast 70 Jahren nicht aus der Nähe sehen, geschweige denn, besteigen. Roger Shepherd, der sich in die Berge und Flüsse Koreas verliebt hat, wandert nicht nur im Baekdu daegan, sondern besucht praktisch alle Berge und Inseln Koreas. Er meint: „Die Natur Koreas ist von einem distinktivem, in ihrer Kompaktheit dekorativem Reiz, der sich von dem der Natur Neuseelands mit ihren überdimensionalen Größenordnungen unterscheidet. Die landschaftlichen Schönheiten Koreas brauchen den weltweiten Vergleich nicht zu scheuen.“
1. Shepherd (Mitte) mit seinen Trekking-Freunden am Pass Jochimnyeong. 2. Shepherd erklärt Wanderrouten entlang der Baekdu-Daegan-Bergkette mit Hilfe von Kartenmaterial.
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Unterwegs
Seochon
Ein Streifzug durch die Vergangenheit Das Viertel, das sich von der westlichen Seite des Palasts Gyeongbok-gung bis zum Fuß des Bergs Inwang-san erstreckt, nennt sich Seochon (Westliches Dorf). Dort befindet sich auch der Sajikdan, ein Altar aus der Joseon-Zeit (1392-1910), der zur Verehrung der Gottes der Erde und des Gottes des Getreides errichtet wurde und als religiöses Symbol für die Legitimität der Herrscher von Joseon stand. Wegen der idealen Lage am Fuße eines reizvollen Berges und des klaren Wassers war Seochon schon immer beliebt bei allen Reichen und Mächtigen, die hier ihre Residenzen oder Ferienhäuser bauten. Zudem blühte hier schon früh das Kunstschaffen und die geschmackvolle Unterhaltung. Kim Yoo-kyung Journalistin | Fotos: Suh Heun-gang, Ahn Hong-beom, Lee Sun-hee
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Eine Szene aus dem Opferritual für den Gott des Landes und den Gott des Getreides am Altar Sajikdan (2011). Das Ritual wird jedes Jahr am dritten Sonntag im September abgehalten. Im Jahre 2000 wurde es in die Liste der Wichtigen Immateriellen Kulturgüter Koreas aufgenommen.
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eochon besteht aus 15 Vierteln, darunter Hyoja-dong, Sajikdong und Ogin-dong. Alleine die Wohnviertel weisen eine Gesamtfläche von rund 580.000m² auf. Früher wurde dieser Stadtteil auch „Utdae (Oberdorf)“ genannt. Diese Bezeichnung bringt den Stolz und den bürgerlich-progressiven Geist der Mittelschicht, die im Korea der Vormoderne hier ihren Wohnsitz hatte, gut zum Ausdruck. Die Bewohner von Seochon waren nämlich so genannte „mittlere Menschen (Jungjin)“, d.h. es waren niederrangige Hofbeamte wie Eunuchen, Schreiber oder Unteroffiziere, die im JoseonReich der Zeit einer sozialen Schicht angehörten, die unterhalb des Adels, aber oberhalb des gemeinen Volkes angesiedelt war. Der Hauch längst vergangener Zeiten, der Seochon immer noch anhaftet, weckt heute wieder die Sehnsucht nach der Vergangenheit. Zusammen mit Bukchon, einem Viertel aus traditionellen Hanok-Häusern, ist Seochon der letzte Stolz der alteingesessenen Seouler und ein wichtiger Teil der Stadt, ohne den das Seoul von heute nicht im historischen Kontext verstanden werden kann.
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Hyoja-ro: die Hauptstraße vor Cheong Wa Dae Seit den 1980er Jahren, als die drei in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Hauptstraßen Hyoja-ro, Jahamun-ro und Pirun-daero ständig erweitert und zwischen den dicht an dicht stehenden Häusern Feuerschneisen gelegt wurden, hat Seochon viel von seiner ursprünglichen Gestalt verloren. Doch in den sich eng windenden Gassen finden sich noch Spuren von einst. Die einzelnen Viertel sind so klein, dass man sich nach nur ein paar Schritten quasi gleich in einem Viertel mit anderem Namen befindet. Die Wohnhäuser mit dem Berg Inwang-san als harmonischem Hintergrund und die kommerziellen Ecken mit den traditionellen Märkten und Tante-Emma-Läden mitten in den Vierteln wirken vertraut. Beginnen wir den Rundgang von der Straße Hyoja-ro, die am Westtor des Palastes Gyeongbok-gung vorbeiführt. An beiden Straßenseiten reihen sich dicht an dicht moderne Gebäude, deren Höhe gesetzlichen Beschränkungen unterliegt. Auch bei den noch erhaltenen traditionellen Hanok-Häusern handelt es sich meist um
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relativ moderne Gebäude aus der Zeit der Jahrhundertwende. Die Gebiete, die durch die drei Hauptstraßen begrenzt werden, haben einen jeweils völlig unterschiedlichen Charakter, so, als hätte jede Straßen ihre eigene Lebenskraft. An der Straße Hyoja-ro, die vor Cheong Wa Dae (Blaues Haus), Residenz und Büro des koreanischen Staatspräsidenten, vorbeiführt, liegen verschiedene Nebengebäude der Regierung, weshalb hier viele Männer im Anzug zu sehen sind, die wie Beamte aussehen, und insgesamt eine bürokratische Atmosphäre herrscht. Hyoja-ro ist sozusagen die moderne Version der Gegend, die zur Blütezeit des Gyeongbok-gung während der Joseon-Zeit traditionell von Hofbeamten und Adligen bewohnt war. Der Architekt Hwang Doo-jin, der in diesem Viertel wohnt, erklärt, dass die alten Häuser der einstigen Eunuchen, die eine eigentüm-
gibt es auch Wohnhäuser, die selbst am helllichten Tag zugesperrt sind und so ohne Spur jeden Lebens, dass ihnen etwas Geheimnisvolles anhaftet. Sind es die Häuser von Eunuchen aus der JoseonZeit? Es ist leicht nachzuvollziehen, warum dieses Gebiet bei vielen Verlagsbüros, die eine ruhige Umgebung bevorzugen, beliebt ist. Es gibt auch viele hochklassige und diskret wirkende Restaurants, bei denen vom Aussehen her schwer zu entscheiden ist, ob es sich um ein privates Wohnhaus oder ein Restaurant handelt. Mitten in Tongui-dong, wie dieses Wohnviertel heißt, stand eine große Weißtanne, die mit rund 600 Jahren fast so alt war wie Seoul als Hauptstadt ist. Leider starb sie vor rund zehn Jahren ab. Inmitten der Häuser steht nur noch der Stumpf der alten Tanne mit Resten ihrer weißen Borke, umgeben von Jungtannen. An der Einfassungsmauer eines Hauses in der Nähe hängt ein Foto, das die alte Weißtanne in ihrer früheren Pracht zeigt. Doch der Ort ist heute vollgestellt mit Haushaltsgegenständen aller Art In den letzten Jahrzehnten ging in Seoul ein Großteil des bedeutenden wie großen Vorratskrügen, die wahrscheinlich von den Restaurants in der architektonischen Erbes verloren. Doch in den Haarnadelgassen hinter Nachbarschaft stammen, und die den den modernen Gebäuden der Straßen von Seochon atmet noch immer Blick auf den Stumpf der Weißtanne, der immer noch Würde ausstrahlt, verdie Jahrhunderte alte Geschichte. sperren. In den Gassen der Gegend herrscht eine entspannte Atmosphäre. Der unerwartete Anblick einer Gitarre, die als Dekoration an einer halb abgerissenen Mauer hängt, trägt liche Struktur mit Labyrinth-ähnlichen Passagen vom Haupttor zu diesem bilderbuchartigen Flair bei. Der wahre Wert dieses alten bis zu den inneren Gemächern besaßen, im Zuge der StadtentStadtviertels liegt in seiner materiellen und immateriellen Schönwicklungsprojekte alle abgerissen wurden. Heutzutage, wo nur heit des Lebens, die sich hier und da in den engen Gassen auf noch einige Hanok-Häuser von gleichartigem Baustil übrig geblienatürliche Weise offenbart. ben sind, möchte man Häuser mit solch besonderen GrundrisJeder, der den Weg zum Weißtannenplatz ohne Probleme findet, sen gerne einmal sehen. In den letzten Jahrzehnten ging in Seoul ist ein guter Seochon-Kenner. An den großen Straßen reihen sich ein Großteil des bedeutenden architektonischen Erbes verloren. viele Kunstgalerien und Cafés aneinander. Die Künstler, die aus Doch in den Haarnadelgassen hinter den modernen Gebäuden verschiedenen Regionen hier zusammenkommen, stellen Kunstder Straßen von Seochon atmet noch immer die Jahrhunderte alte werke veschiedenartiger Stile aus. An einem alten Gästehaus Geschichte. hängt heute ein Schild mit der Aufschrift „Ecklädchen, das Kunst Baeksong: eine 600 Jahre alte Weißtanne Ich gehe in die versteckten Gassen, die hinter den mit der zunehmenden Popularität von Seochon immer prächtiger werdenden Restaurants und Galerien liegen. Die Gassen winden sich scharf und bilden mit bis zu sechs Abbiegungen auf weniger als hundert Metern ein regelrechtes Labyrinth, in dem sich große und kleine Hanok-Häuser, zum Teil im westlichen Stil renoviert, drängen. Hier
1. Eine Gasse in Tongui-dong führt zu Ryugaheon, einer kleinen Fotogalerie in einem traditionellen, schindelgedeckten Hanok-Haus, an dessen Eingangstor ein Poster über eine aktuelle Ausstellung informiert. 2. Gingko-Blätter tauchen Hyoja-ro in Gelb. 3. Die Galerie ZeinXeno in Changseong-dong, eine der vielen kleinen Galerien in einer der unzähligen Gassen von Seochon. K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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1 © Leeum, Samsung Museum of Art
1, 2. Das Gemälde Der Berg Inwang-san nach dem Regen von Jeong Seon (links) und die heutige Ansicht desselben Ortes (rechts). 3. Der Granitstein auf der Altarbühne für den Gott der Erde am Altar Sajikdan.
verkauft“ und in den einstigen Gästezimmern sind surrealistische Kunstwerke zu sehen. Die Passanten schauen durch das Fenster, das wie ein abstraktes Bild in fließender Schrift mit einem schwer verständlichen Gedicht des modernistischen Dichters Yi Sang beschrieben ist. Die Spätnachmittagssonne scheint hell auf das Tor Yeongchu-mun. Gegenüber dem Tor sitzt ein junger Mann auf einem Stuhl im Freien und isst Brot, während er langsam in einem Buch blättert. Die Mauer eines Hauses, dessen Verputz abgeblättert ist, ist mit einem Wandgemälde in Form eines Baumes mit lilafarbenen Blüten geschmückt. Es sieht so aus, als ob der abbröckelnde Verputz das Gemälde darunter freigelegt hätte. Ich als Kunstlaiin frage mich, ob das nicht von einem Künstler gemacht wurde. Da geht ein Mann mit ausdruckslosem Gesicht und irgenwelchem Werkzeug in der Hand durch das Eisentor des Hauses. War das vielleicht der Künstler? Auf den Fußwegen strömen die Menschen ohne Ende vorbei. Gruppen von jungen Leuten auf Besichtigungstour mischen sich mit den Bewohnern des Viertels, die nur einen flüchtigen Blick auf die Fenster der Kunstläden oder das Mauerbild werfen.
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Sajikdan: Stätte für staatliche Opferrituale Vor rund 200 Jahren wohnte der bekannte koreanische Kalligraph Kim Jeong-hui (1786-1856) in der Nähe des Weißtannenplatzes und besuchte öfters seine Freunde, die am Rande von Seochon wohnten. Von der Straße Hyoja-ro über Jahamun-ro bis zum Viertel Sajik-dong dauert es nur eine Viertelstunde zu Fuß. Es ist in Sajik-dong, wo sich der Sajikdan, ein Altar aus der JoseonZeit, befindet. Nach der herrschenden Philosophie von Joseon errichtete man im Westen des Hauptpalastes, genau gegenüber dem im Osten des Palastes gelegenen Königsschrein Jongmyo, einen staatlichen Altar zur Verehrung des Gottes der Erde und des Gottes des Getreides. Am 18. September 2011 wurde dort, wie in jedem Jahr einmal, das alte Verehrungsritual wieder aufgeführt. Sajikdan besteht aus zwei Altarbühnen aus Lößerde: einer für den Gott der Erde und einer für den Gott des Getreides. Der Altarplatz ist von acht roten Gittertoren in doppelter Struktur umschlossen. Die rechteckige Form der Altarbühnen weist darauf hin, dass hier eher primitive, vorzeitliche Religionsformen zum Tragen kommen als der Konfuzianismus, die herrschende Ideologie der JoseonZeit. Die Altartafeln für die beiden Götter sind in einem Gebäude eingeschreint, doch auf der Altarbühne für den Gott der Erde steckt im Löß noch ein Stein. Nach alten philosophischen Vorstellungen symbolisiert der untere Teil des Steins mit seiner viereckigen Form die Erde und der runde, obere Teil den Himmel. Es scheint ein Granitstein zu sein, der auch leicht glänzt. Solch ein Ritualobjekt, das Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
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das traditionelle philosophische Prinzip des runden Himmelsgewölbes und der viereckigen Erde direkt darstellt, wirkt, wenn man es zum ersten Mal sieht, durchaus geheimnisvoll. König Jeongjo (reg. 1776-1800) besuchte eines Tages den Altar und fragte den zuständigen Beamten, was für ein Stein das denn da auf dem Altar sei. Der Beamte antwortete: „Nach Gukjo oryeui (Handbuch der fünf Staatsriutale) soll man für den Gott der Erde einen Steinpfeiler errichten. Der Stein steht für den Steinpfeiler.“ Der Stein macht die Besucher also neugierig, selbst einen König!
Die Spuren des Lebens der Künstler Wenn man von der alten Geschichte von Seochon erzählt, dann
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dürfen die Aktivitäten der Künstler, die der Berg Inwang-san hervorbrachte, nicht unerwähnt bleiben. Der landschaftliche Reiz des Berges mit seinen Flüssen, die sich durch malerische Täler mit prächtigen Felsformationen ins Tal winden, zog zahlreiche Künstler an, die auf dem Berg ihre Zeit verbrachten, die Szenerie auf Bildern festhielten oder in Gedichten besangen und manchmal auch an ihren Lieblingsstellen wie im Tal Cheongpunggye Häuser bauten. Inwangjesaek-do (Der Berg Inwang-san nach dem Regen) von dem berühmten Landschaftsmaler Jeong Seon (1676-1759) stellt in Frontalperspektive einen der mächtigen Felsen des Inwang-san dar, der nach dem Regen in Nebelschwaden gehüllt ist. Auf dem Bild ist inmitten der vielen Bäume auch ein Häuschen zu sehen, von dem heißt, dass es das Haus des Schriftstellers Yi Byeongyeon, eines lebenslangen Freunds von Jeong Seon, gewesen sei. Das Bild steht für den verfeinerten Geschmack der damaligen Seochon-Bewohner und für das Leben der Künstler, die sich von ihrer Umgebung inspieren ließen. Der gewaltige Fels auf dem Bild ist auch heute noch zu sehen, wenn man die Straße Jahamun-ro entlanggeht. Nur das einsame alte Häuschen musste modernen Häusern und kommerziell genutzten Gebäuden Platz machen. Die Bewohner des mittleren Standes, die in Seochon wohnten, verlangten Ende des 18. Jahrhunderts, dass die Regierung ihre bis dahin beschränkten Aufstiegsmöglichkeiten als Beamte erweitern sollte. Ihre Leistungen in Medizin, Astronomie, Dolmetschen und Übersetzen, Malerei usw. spielten eine große Rolle bei der Moder-
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1. Ein Spazierweg im Cheongun Park am Berg Inwang-san. 2. Ein vom Berg Inwang-san heruntergerollter Stein; ein Installations-Kunstwerk im Cheongun Park.
nisierung der Gesellschaft und ihre Berufe entsprechen den heutigen Expertenberufen. Sie veranstalteten auch regelmäßige Poesieabende und hinterließen Aufzeichnungen darüber. Betrachtet man die schöne Landschaft mit dem ins Tal plätschernden Wasser unter der Steinbrücke Girin-gyo im Viertel Suseong-dong am obersten Rande von Ogin-dong, dann kann man ihre geschmackvolle Unterhaltung und poetische Inspiration nachvollziehen. Dort soll auch Prinz Anpyeong (1418-1453), der als versierter Schriftsteller und Kalligraph bekannt ist, gewohnt haben. In Jeong Seons Landschaftsbild Suseongdong erscheint die Brücke Girin-gyo ebenfalls. Viele andere prominente Persönlichkeiten wohnten noch in der Gegend, so z.B. die Familie der Kaiserin Yun oder Prinzregent Heungseon (1820~1898). Heute ist nur noch das Gelände, auf denen einst ihre Anwesen standen, erhalten. Auch das hochklassige, traditionelle koreanische Restaurant Seonungak, das in den 1960er Jahren als Schauplatz wichtiger politischer und historischer Ereignisse bekannt war, befand sich in dieser Gegend. Die Spuren einflussreicher Persönlichkeiten aus Koreas noch nicht ganz so fernen Vergangenheit sind ebenfalls noch präsent. 1920 errichtete der Politiker Yi Beom-seung (1887-1976) die erste Privatbibliothek im Bezirk Jongno-gu, aus der die heutige JongnoBibliothek hervorging. Zur Würdigung seiner Leistungen wurde eine Büste von Yi Beom-seung aufgestellt, die ein großer Stolz der Jongno-Bibliothek ist. Die Jongno-Bezirksverwaltung nannte einen Hügel im CheongunPark auf dem Berg Inwang-san „Hügel des Dichters Yun Dongju“ und stellte ein Schild mit folgender Erklärung auf: „Ort, zu dem der Dichter Yun Dong-ju während seines Aufenthalts in Nusangdong hinspazierte, wenn er seinen poetischen Gedanken Form und Schliff verlieh.“ Daneben steht ein Kunstwerk mit dem Titel Ein vom Berg Inwang-san heruntergerollter Stein. Das Stahlgerüst in Form eines bekannten Felsbrockens auf Inwang-san stellten 2007 drei Architekten her. Besucher sind gebeten, das Gehäuse mit kleinen Steinen vom Inwang-san zu füllen.
Traditionelle Märkte In der Gegend der Straße Pirun-daero, die dem Inwang-san am nächsten gelegen ist, sind eine ganze Reihe entzückender Lädchen entstanden. Bis zum Bergfuß reihen sich Wohnhäuser die engen Gassen entlang. Inmitten des Geschäftsviertels zwischen Metzgerei, Eisenwarengeschäft, Agrarprodukt-Discounter, Supermarkt, Schreibwarenladen und Bierschenke liegt die nur 7m² große Werkstatt von Ju Eui-mi. Die 30 Jahre alte Frau verkauft im früheren Frauengemach eines traditionellen Hanok-Hauses selbst genähte Textilprodukte. „Es macht mir großen Spaß, in dem kleinen Laden K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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hier meine eigenen Sachen zu fertigen und zu verkaufen.“ Daneben gibt es eine alte Buchhandlung. Ein kleiner Junge geht mit stolzen Schritten, einen blumengeschmückten Geburtstagshut aus Papier auf dem Kopf, vorbei. Der Hut sieht nach Handarbeit aus. Der junge Mann aus der Metzgerei, die Ohren mit an die zehn Ohrringen geschmückt, kommt heraus, um frische Luft zu schnappen. In Seochon gibt es zwei belebte traditionelle Märkte. Auf dem Tongin-Markt der mit seinen auf asphaltierten Wegen errichteten Ständen recht modern wirkt, haben sich Kunststudierende versucht: Sie haben im Rahmen eines Installationskunstprojektes die einzelnen Läden mit Dekos geschmückt, die mit den jeweils verkauften Produkten in Zusammenhang stehen. Nach langer Zeit habe ich mitten im Markt mal wieder einen alten Mann gesehen, der dem Handwerk des Messerschleifens nachgeht. Auf dem benachbarten Ogin-Markt stehen die Verkaufsstände wie seit eh und je auf gestampftem Erdboden. Für das Großmütterchen, das im Freien Tteokbokki (Reiskuchenwürste in scharfer Soße) verkauft, sind der Gaskocher und ein Paar Kartons ihr Laden. Schon seit ihrer Jugend ist hier ihr Arbeitsplatz. Ein Professor, der gegenüber in Changseong-dong wohnt, ist ihr Stammkunde und kommt öfters mit seinen Töchtern hierher, um ihre Spezialität, Tteokbokki in Sojasoße, zu essen. Mit Anbruch der Abenddämmerung drängen Scharen von Männern in die Kneipen und verbringen einen feuchtfröhlichen Abend. Die im Viertel verkehrenden Shuttlebusse fahren durch die Straßen und lassen Passagiere ein- und aussteigen. Anders als in anderen Geschäftsvierteln, die nachts leer sind, herrscht in Seochon auch zu später Stunde noch geschäftiges Treiben. Die Bewohner von Seochon hängen besonders an ihrem Viertel. Die meisten von ihnen wohnen hier mehr als 20 Jahre. In Chebu-dong, inmitten einer Ansammlung von traditionellen Hanok-Häusern, steht ein Haus im westlichen Stil, das das Werk eines Architekten sein dürfte. Dort ist nur noch ein altes Ehepaar übrig geblieben, das lediglich das Erdgeschoss des großen Hauses bewohnt. Die schön gepflegten Topfblumen draußen vor der Tür erzählen vom Alltag dieses stillen Hauses an einer Ecke von Socheon.
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Cartography in Korea geschrieben von Gari Keith Ledyard; übersetzt von Jang Sang-hoon, Sonamoo Publishing Co., The University of Chicago Press, 406 Seiten, 35.000 KRW
Neuerscheinung
Übersetzung des Korea-Teils von The Cartography of the Traditional East and Southeast Asian Societies
Jemand hat einmal gesagt: „Eine Karte ist wie eine Waage.“ Sie ist nämlich ein Kompass am Scheideweg zwischen Leben und Tod sowie ein ausbalancierendes Gegengewicht
bei den großen Fragen des Lebens. Wenn das stimmt, müssen die Landkarten in Korea früher eine wichtige Rolle als Richtungsweiser und Waage gespielt haben. Gari Ledyard, Prof. em. für Koreanistik an der Columbia University, erklärt, dass die hervorragende
Qualität der alten koreanischen Karten selbst von den Chinesen anerkannt wurde. Er ver-
weist auf eine interessante Begebenehit, bei der die Herrscher der chinesischen QuingDynastie (1636-1912), die an der Herstellung eines Atlasses des Kaiserreichs Huangyu
quanlan tu arbeitete, eine Delegation ins Joseon-Reich (1392-1910) sandten, um geographische und kartographische Informationen zu sammeln.
The Cartography of the Traditional East and Southeast Asian Societies von Ledyard wurde
im Jahr 1994 von der University of Chicago Press veröffentlicht. Es ist Band 2-2 der achtbändigen Kartographie-Geschichte The History of Cartography. Der diesmal ins Koreanische übersetzte und in Korea veröffentlichte Teilband ist der Korea-Teil von Band 2. 2011
ist das 150. Gedenkjahr der Fertigstellung des Joseon-Atlasses Daedongyeojido, der von
dem großen Geographen und Kartographen Kim Jeong-ho auf Basis wissenschaftlich durchgeführter Inspektionen vor Ort hergestellt wurde. Die Veröffentlichung der Übersetzung stand im Kontext der Gedenkfeierlichkeiten.
The Cartography of the Traditional East and Southeast Asian Societies hat einen gro-
ßen Beitrag dazu geleistet, dass die traditionelle koreanische Kartographie international bekannt wurde. Der Autor erläutert die kulturellen und technischen Einflüsse der Kar-
tographie und analysiert die historischen Dokumente über die Entwicklung der koreanischen Kartographie. Im Vorwort schreibt er mit Bezug auf den letzten Punkt: „Auch wenn
die koreanische Kultur bereitwillig viele Besonderheiten und institutionelle Einrichtun-
gen der chinesischen Zivilisation übernommen hat, so hat sie doch immer eine starke, eigenständige Identität bewahrt. Das gilt auch für die frühen koreanischen Kartographen, die die chinesischen kartographischen Normen übernahmen, sie jedoch ihrem eigenen Umfeld anpassten und Karten von hohem praktischen Nutzen und Schönheit herstellten.“
Ledyards Bewertung ist deshalb bemerkenswert, weil sie nicht nur auf der koreani-
schen Kartographie, sondern auch auf einem Überblick über die Geschichte und Kultur
des koreanischen Volkes basiert. Der Autor stellt die Errungenschaften der traditionel-
len koreanischen Kartographie zusammenfassend dar. Zunächst stellt er die älteste Karte der Welt, die auf Basis buddhistischer Philosophie und Weltsicht erstellt wurde, vor: Ocheonchukgukdo (Karte der fünf indischen Königreiche) aus der Goryeo-Zeit (9181392). Er hebt auch den Stellenwert von Honil gangni yeokdae gukdo jido (Karte vereinig-
ter Länder und Regionen historischer Reiche und Städte) hervor, einer Karte, die mit der Gründung des Joseon-Reiches erstellt wurde und die als die erste wirkliche Weltkarte Ostasiens gelten kann. Ledyard verweist darauf, dass man an der Geschichte der Herstellung dieser Karte die kulturellen Unterschiede zwischen China und Korea ablesen kann:
Kim Hak-soon Kolumnist Kim Ho-joung M usik-Journalistin, Kulturabteilung der Tageszeitung Joong Ang Ilbo
Während China auf Basis von Materialien aus der islamischen und westlichen Welt eine Karte der Großen Ming-Dynastie erstellte, ergänzten die koreanischen Kartographen ihre Weltkarte noch mit koreanischen und japanischen Karten.
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Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
Neue CD von Chung Myung-whun und dem Seoul Philharmonic Orchestra
Kompilation alter Schriften über koreanische Tees und Teezeremonien
Claude Debussys La Mer , Maurice Ravels Ma Mère l’Oye und La Valse
Korean Tea Classics
Deutsche Grammophon, 17,25 USD
geschrieben von Hanjae Yi Mok und dem Ehrwürdiger Mönch Choui, übersetzt von Brother Anthony of Taizé / Hong Kyeong-hee / Steven D. Owyoung, Seoul Selection, 196 Seiten, 18.000 KRW
Das Seoul Philharmonic Orchestra , das Chung Myung-whun seit 2005
In einer alten Schrift wird der Geschmack des koreanischen Tees wie folgt
dirigiert, legte in den vergangenen sechs Jahren beachtliche Fortschrit-
beschrieben: „Das Wasser fließt und die Blume erblüht!“. Das soll implizie-
te an den Tag. Der japanische Musikkritiker Satoru Takaku kommentierte
ren, dass die Harmonie der Natur, in der das Wasser fließt und die Blume
dazu: „Vor zehn Jahren noch war meine Bewertung: Reden wir lieber nicht
erblüht, gerade den Geschmack von Tee ausmacht. Das heißt, die Tees
davon. Doch heute zählt das Seoul Philharmonic Orchestra zu den besten
haben einen klaren, eindeutigen Geschmack. Auf Grund dieser Eigenschaf-
Orchestern Asiens.“
ten sind Tees stets auf Gegenliebe und Interesse der Literaten und Gelehr-
Der Aufstieg begann mit einem Austausch der Mitglieder. So wurden
ten der Zeit gestoßen.
nach und nach immer mehr junge, talentierte Musiker aufgenommen.
Ohne Yi Mok (1471-1498) und den Ehrwürdigen Mönch Choui (1786-1866)
Dazu kamen als „Retter“ neue Bläser aus dem Ausland, die Chung selbst
zu erwähnen, kann man unmöglich über die koreanische Teekultur spre-
anwarb. Damit erreichte die Blasabteilung, die seit langem als Schwach-
chen. Vor allem der Mönch Choui gilt als so großer Teekenner und Connois-
punkt der koreanischen Orchester gilt, ein höheres Niveau.
seur des Geschmacks, dass er sogar der „Heilige des koreanischen Tees“
Die erstaunliche Entwicklung, die das Orchester in den vergangenen sechs
genannt wird.
Jahren durchmachte, manifestiert sich auf einer im Juli 2011 veröffent-
Die Bücher Dabu (Rhapasodie zum Tee) von Yi Mok und Dasinjeon (Chronik
lichten CD: Drei französische Meisterwerke, gespielt vom Seoul Philhar-
des Geistes des Tees ) sowie Dongdasong (Hymne zum Lob des koreani-
monic Orchestra unter der Leitung von Chung Myung-whun. Diese CD ist
schen Tees) von Choui gelten als die drei größten koreanischen Tee-Klassi-
die erste, die die renommierte Plattenfirma Deutsche Grammophon in
ker. Korean Tea Classics ist die Übersetzung einer Zusammenfassung die-
Zusammenarbeit mit einem asiatischen Orchester herausbrachte. Sie ent-
ser drei Werke.
hält Claude Debussys La Mer und Maurice Ravels Ma Mère l’Oye (Meine
Dabu ist die älteste Dokumentation über Tee in Korea. Es wurde 300 Jahre
Mutter, die Gans) sowie das Tanzgedicht La Valse (Der Walzer).
früher als Yi Deok-lis Gida und 340 Jahre früher als Chouis Dasinjeon ver-
Herausragendstes Merkmal des Albums ist der hohe, verfeinerte Grad an
fasst. Somit ist es nicht nur in teegeschichtlicher Hinsicht von großer
Harmonie, der durch ständiges Üben und hartes Training erreicht wurde.
Bedeutung, sondern auch für die Literaturgeschichte. Abgesehen von eini-
Der präzis organisierte Zusammenklang - vor allem die lückenlose Har-
gen Bezeichnungen, Gedichtzeilen oder Herkunftserklärungen allgemeinen
monie der Streicher - sind von hoher Perfektion. Daran lässt sich die cha-
Inhalts ist der Text die ausschließliche schriftstellerische Schöpfung von Yi
rakteristische Handschrift des Dirigenten, der mit den Werken der franzö-
Mok. Er schrieb unter den Kapiteln Seven Bowls of Tea (Sieben Tassen Tee),
sischen klassischen Musik bestens vertraut ist, in Training und Werkinter-
Five Merits of Tea (Die fünf Vorzüge des Tees) und Six Virtues of Tea (Die
pretation erkennen.
sechs Heilkräfte des Tees) über seine Motivation zum Schreiben, über Her-
Auf der Europa-Tournee, die das Orchester im Mai und Juni 2011 unter
kunft und Anbaugebiete sowie Zubereitung des Tees. Der Text schließt mit
der Leitung von Chung Myung-whun durch neun europäische Länder
seiner Philosophie über Tee.
machte, wurde dasselbe Repertoire wie auf der CD gespielt. Im Vorfeld
Dasinjeon des Ehrwürdigen Mönches Choui, das die koreanischen Teekultur
der Tournee gab es eine harte Übungszeit, in der das Orchester die Werke
des 19. Jahrhunderts beschreibt, gehört zur Pflichtlektüre für Teeliebhaber.
über einen Zeitraum von fünf Monaten neun Mal auf koreanischen Büh-
Es enthält umfangreiche Informationen über Teeernte und Behandlung der
nen spielte. Die Laufzeit der CD ist mir 54 Minuten und 11 Sekunden rela-
Teeblätter, optimale Bodenbedingungen für die Teekultivierung, Methoden
tiv kurz für eine Orchester-CD. Das bedeutet, dass das Orchester für sein
für Zubereitung und Genuss von Tee, korrekte Haltung und Geist der Teege-
erstes kommerzielles Album nur die Stücke auswählte, die es am vortreff-
nießer usw.
lichsten beherrscht.
Dongdasong , ebenfalls vom Ehrwürdigen Mönch Choui verfasst, ist der
Das Seoul Philharmonic Orchestra plant, bis 2016 insgesamt 10 CD-Alben
Kanon der Tee-Gedichte. Der folgende Satz bringt die Essenz der Teephi-
bei der Deutschen Grammophon zu veröffentlichen. Im Oktober erschien
losophie des Autors gut zum Ausdruck: „Die Substanz des wahren Teege-
die zweite CD mit der Sinfonie Nr. 1 von Gustav Mahler. Es ist das erste
schmacks liegt in der Harmonie zwischen dem Geschmack des Wassers
Mal, das ein koreanisches Orchester einen so langfristigen Plan zur CD-
und dem Duft des Tees. Der Tee ist der Geist des Wassers und das Wasser
Veröffentlichung vorlegte.
der Körper des Tees“.
Korea hat bislang zahlreiche hervorragende Solisten, u.a. Pianisten oder Vio-
Die Übersetzer geben als Verständnishilfe eine kleine Einführung in Kultur
linisten, hervorgebracht. Das Album des Seoul Philharmonic Orchestra weist
und Geschichte des koreanischen Tees und Kurzporträts der beiden Ver-
jetzt auf den Anbruch des „Zeitalters der Ensembles“ hin.
fasser.
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Gourmetfreuden
Gukbap
Gesunder und schmackhafter Schnellimbiss Gukbap ist ein Gericht, bei dem Reis in auf unterschiedliche Weise zubereiteten heißen Brühen in einer Schüssel serviert wird. Es gibt viele verschiedene Arten von Gukbap, die je nach Region und den dort üblichen Hauptzutaten benannt werden. Ye Jong-suk Professor für Marketing, Hanyang University | Fotos: Ahn Hong-beom
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uppen finden sich in allen Küchen der Welt, wobei sie v.a. in den westlichen Ländern in der Regel separat auf den Tisch kommen. Auch in China und Japan gibt es verschiedene Suppenarten, sie werden allerdings nicht zusammen mit gekochtem Reis in einer Schüssel serviert. In Japan gilt das sogar als Tabu. Aber die Koreaner mögen es, ihre Portion Reis in die Suppenschüssel zu geben und alles zusammen zu essen. Das geht so weit, dass es sogar Ttaro-Gukbap, „Suppe und Reis getrennt“, als Gericht gibt, um es von der normalen Gukbap-Version, also „Reis in der Suppe“, zu unterscheiden. Doch auch wenn Koreaner Ttaro-Gukbap bestellen, landet in den meisten Fällen der Reis doch in der Suppe.
Schnellimbiss nach koreanischer Art In Korea gibt es landesweit verschiedene Arten von Gukbap, die sich je nach Region und Zutaten unterscheiden. Die Seouler mögen Jang-Gukbap, der auf Sojasoßenbasis zubereitet wird, während man in der Provinz Jeolla-do Gukbap mit reichlich Sojabohnensprossen serviert und in der Provinz Gyeong sang-do Schweinefleischbrühe bevorzugt. In Nordkorea isst man gerne Sundae-Gukbap, eine Reissuppe mit blutwurstartigen Zutaten. In der nordkoreanischen Provinz Pyeongan-do gibt es Onban, eine Jang-Gukbap-Version auf Sojasoßenbasis, und in der Provinz Hamgyeong-do Garit-Gukbap, eine weitere Variante auf Sojasoßenbasis. Nach Haupteinlagen lassen sich z.B. noch GimchiGukbap, Austern-Gukbap, Ochsenkopf-Gukbap u.a. unterscheiden. Auch die Kochfleisch-basierten Suppengerichte Gomtang, Seolleongtang oder Yukgaejang, die die koreanischen Angestellten gerne zu Mittag essen, sind eine Art Gukbap. Der Journalist Yi Gyu-tae erklärt, der Grund, warum die koreanische Küche so viele heiße Reissuppengerichte kenne, sei darauf zurückzuführen, „dass Korea früher ein armes Land war und oft die ganze Familie ein oder zwei geun (ein geun: etwa 600 g) Fleisch teilen musste, so dass nichts anderes übrig blieb, als daraus eine Suppe zu kochen und den Reis hinzuzugeben. Da die Koreaner zudem oft unter Invasionen von außen zu leiden hatten, war ein flüssiges Reissuppengericht genau das Richtige zum Schnell-essen, wenn man plötzlich fliehen musste.“ Yi geht also davon aus, dass Gukbap ein Produkt der tragischen Vergangenheit ist, entwickelt aus dem Überlebensdrang von Bewohnern eines armen Landes, das
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1. Ochsenkopf-Gukbap brodelt in einem Kessel. Die Brühe wird aus lange ausgekochtem Ochsenkopf, Rinderbeinknochen, Rettich und Ginseng gekocht. Nach etwa fünf Stunden wird der Ochsenkopf herausgenommen, während der Rest weiter kocht. Das Fleisch wird in Scheiben geschnitten und kommt beim Servieren auf den Gukbap. Beim Essen kann nach Belieben mit Salz nachgewürzt werden. An Wochentagen werden pro Tag 32 Ochsenköpfe im Restaurant Choe Mija Ox-Head Gukbap in Gwangju, Provinz Gyeonggi-do, gekocht. 2. Sundae-Gukbap wird normalerweise mit gewürztem Schnittlauch, Rettichwürfel-Kimchi und Chinakohl-Kimchi serviert.
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häufig ausländischen Invasionen ausgesetzt war. Es gibt allerdings auch die Erklärung, dass Gukbap im Zuge der Modernisierung Koreas als praktisches Schnellgericht entstand. Der Nahrungsmittelwissenschaftler Yi Seong-u erklärt dazu: „Mit der Öffnung des Landes im späten 19. Jahrhundert und mit der Entwicklung der koreanischen Gesellschaft ergab sich die Notwendigkeit, außerhalb des Hauses zu essen oder ganze Gruppen von Menschen mit Essen zu versorgen. Diesem plötzlichen Bedarf konnte man nicht mit dem komplizierten Aufwand decken, der zu Hause fürs Kochen betrieben wurde.“ Gukbap wäre demnach also ein Gericht, das mit Blick darauf entwickelt wurde, zahlreiche Menschen gleichzeitig z.B. auf dem Schlachtfeld oder am Arbeitsplatz mit einem nahrhaften Essen zu versorgen. In diesem Sinne ist Gukbap also eine Art koreanischer Schnellimbiss.
Auch im Stadtzentrum, auch auf dem Markt Unter den verschiedenen Gukbap-Versionen gilt Jang-Gukbap K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
als die grundlegendste. Zurzeit sind Seolleongtang oder Gomtang zwar beliebter, aber früher hat man hauptsächlich Jang-Gukbap gegessen. Noch bis in die 1950er Jahre war Jang-Gukbap in Seoul am populärsten. Im Gyugon yoram (Grundlegender Ratgeber für Damen), einem 1869 erschienenen Kochbuch, heißt es, dass „JangGukbap wie eine Nudelsuppe zubereitet wird und nur statt Nudeln Reis verwendet wird. Das fettige Fleisch, das so lange gekocht wird, bis die Brühe fast ganz heruntergekocht ist, wird auf den Reis gelegt und mit der Fleischbrühe übergossen.“ Der Name des Gerichts geht auf die traditionelle Sojasoße „Joseon gan j a n g“ zurück mit der Jang-Gukbap zubereitet wird. Im 19. Jahrhundert gab es überall in Seoul Jang-Gukbap-Restaurants. Diese Restaurants stellten eine lange Stange, an der hoch oben eine weiße Papierquaste flatterte, vor den Eingang, um zu signalisieren, dass man Jang-Gukbap verkaufte. Unter den zahlreichen Jang-Gukbap-Restaurants erlangte das Mugyo Tangban (Mugyo Reissuppenküche) in der Nähe des Flus-
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Wenn Koreaner mit einem Kater aufwachen, essen sie am Morgen Kongnamul-Gukbap mit Sojabohnensprossen, wobei sie beim Essen der dampfend-heißen Brühe den typisch koreanischen Kommentar „Ach, ist das herrlich erfrischend!“ von sich geben.
ses Cheonggyecheon eine bis heute legendäre Berühmtheit. Nicht nur einfache Leute, sondern auch die adligen Yangban frequentierten dieses Restaurant in Begleitung ihrer Diener und selbst der König soll es, inkognito und bescheiden gekleidet, besucht haben. Wenn ein hoher Yangban das Restaurant betrat, machten die einfachen Bürger selbst während des Essens sofort ihre Plätze frei und kamen erst wieder herein, um zu Ende zu essen, nachdem der hochwohlgeborene Herr gespeist hatte und gegangen war. Selbst zu diesen Zeiten, zu denen streng zwischen den Schichten unterschieden wurde, war ein GukbapRestaurant ein Ort, der bei hoch und niedrig Geborenen gleichermaßen beliebt war. Der Schriftsteller Bak Jong-hwa erinnert sich folgendermaßen an den Geschmack von Jang-Gukbap im Mugyo Tangban: „Der Jang-Gukbap dieses Hauses schmeckt schon allein mit der gekochten Rinderbrust gut, aber sie geben auch noch Euterfleisch und gewürzte, heiße Sanjeok-Spieße mit Rindfleisch und Gemüse hinzu. Euterstücke und Spieße sind eine so herrliche Geschmackskombination, dass man sich keine bessere Delikatesse als Jang-Gukbap vorstellen kann.“ Aus Aufzeichnungen geht hervor, dass in den 1930ern dieses Gericht im Mugyo Tangban das Dreifache von Seolleongtang (dicke Rindfleischsuppe), Naengmyeon (kalte Buchweizennudeln) oder Bibimbap (Reis mit verschiedenen Gemüsen und Chilipaste gemischt) kostete. Auch trotz des hohen Preises verkaufte sich diese Spezialität ihrem hervorragendem Geschmack entsprechend gut. In Seoul verkaufte man Gukbap in Restaurants in der Stadtmitte, doch außerhalb der Hauptstadt wurde es normalerweise auf dem Markt angeboten. An Markttagen wurden am Straßenrand, wo sich Stand an Stand reihte, riesige Kessel über Holzfeuer gehängt, in denen man die
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Ko re a n Cu l tu re & A rts
dicke Fleischbrühe für den Gukbap kochte. Gukbap war landauf landab eine Spezialität auf allen Märkten. Händler und Kunden, die viele Kilometer Fußweg hinter sich hatten, stärkten Magen und Lebenskraft mit einer Portion Gukbap mit heißer Brühe und einem Becher Makgeolli (fermentierter Reiswein).
Schmackhaft und wohltuend In Seoul isst man Jang-Gukbap und in Jeonju Kongnamul-Gukbap (Sojabohnensprossen-Gukbap). Kongnamul-Gukbap ist auch ein beliebtes Katergericht, denn die heiße Brühe tut nicht nur gut, sondern die Sojabohnensprossen enthalten auch reichlich Asparagin, das effektiv die Müdigkeit beseitigt und Alkoholreststoffe abbaut. Wenn Koreaner mit einem Kater aufwachen, essen sie am Morgen Kongnamul-Gukbap, wobei sie beim Essen der dampfend-heißen Brühe den typisch koreanischen Kommentar „Ach, ist das herrlich erfrischend!“ von sich geben. Zu Kongnamul-Gukbap passt ein Glas süßlicher Moju, ein Getränk, das aus den Überresten von Reiswein gemacht wird. Der in Busan und Milyang beliebte Schweinefleisch-Gukbap ist, anders als der rustikal klingende Name vermuten lässt, ein Gericht, das selbst feine Gaumen zufrieden stellt und frei von aufdringlichem Schweinefleischgeruch ist. Zum Abschmecken kann man fermentierte Garnelen hinzugeben und wenn man das Ganze dann noch mit gewürztem Schnittlauchsalat garniert, erhält man ein Gericht, das so schmackhaftbekömmlich ist, dass es nicht auf einfacher Schweinefleischbasis zubereitet zu sein scheint. Sundae-Gukbap, zubereitet aus Schweineinnereien, stammt ursprünglich aus Nordkorea, verbreitete sich nach dem Koreakrieg (1950-1953) jedoch auch in Südkorea, so dass es heutzutage überall gerne gegessen wird. Für Sundae wird Schweinedünndarm mit verschiedenen Gemüsen, Getreiden usw. gefüllt und gekocht, es ähnelt also der westlichen Blutwurst. Sundae kann zwar alleine gegessen werden, ist aber auch eine schmackhafte Gukbap-Einlage. Besonders gut schmeckt Sundae-Gukbap in Kombination mit gemahlenen Wildsesamkörnern und fermentiertem Heilbutt. Auch Seonji-Gukbap darf als bei den Koreanern besonders beliebte Gukbap-Variante nicht unerwähnt bleiben. Die Seonji-Einlagen werden aus geronnenem Ochsenblut hergestellt und der Gukbap mit Seonji und getrockneten Rettichblättern gekocht, was eine einzigartige Geschmacksnote ergibt. Seonji enthält viel Eisen und verschiedene Mineralstoffe, Vitamine und Eiweiß, was diese Suppe wirksam gegen Anämie und die Nachwirkungen von überhöhtem Alkoholgenuss macht. In Seoul kann man im Restaurant Pyeongnaeok in Jeo-dong oder im Restaurant Joseonok in Euljiro-3-ga gut schmeckenden Jang-Gukbap probieren. Das Waengyi Haus in Jeonju und das Jeonju Großmutter Yu in Bukchang-dong in Seoul sind gute Adressen für Kongnamul-Gukbap. Für Gukbap mit Schweinefleisch sind Songjeong Samdae Gukbap in Seo-myeon in Busan und Gamasot Schweine-Gukbap in Chungmuro in Seoul bekannt. Hamgyeongdo Chapsal Sundae in Sinsa-dong in Seoul ist berühmt für Sundae-Gukbap und Cheongjinok in Cheongjin-dong in Seoul für Seonji-Gukbap. K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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Entertainment
Koreanische TV-Serien
Flexibilität beim Drehbuchschreiben hat ihre Schattenseiten Abgesehen von dem Bildungssender EBS laufen auf den drei anderen koreanischen terrestrischen Fernsehkanälen pro Woche über 20 TV-Serien, die entweder täglich, nur am Wochenende oder nur an bestimmten Wochentagen (sog. Mini-Serien) gezeigt werden. Die Produktion von solchen Serien, in Korea „Dramen“ genannt, eskaliert oft zu einem Nervenkrieg mit den Zuschauern und deren Erwartungen, was dazu führt, dass die ganze Nacht hindurch gedreht und der Schnitt sogar erst am Sendetag gemacht wird.
Kim Dae-oh Manager, Oh My Star
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n einer Krankenhausserie geht es um die Liebesgeschichten von Ärzten, in einer Anwaltserie um die romantischen Verstrickungen von Anwälten und in Historiendramen um die Romanzen der Menschen am Königshof.“ So die Kritik, die unter koreanischen Serienfans oft zu hören ist. Mit einem Wort: Die koreanischen TV-Serien sind im Unterschied zu den „Mid“ (Mid: Miguk-Drama, TV-Serien aus den USA) nichts weiter als Liebesgeschichten. Manche klagen auch, dass die Handlung der koreanischen Serien im Vergleich zu den amerikanischen nicht realistisch sei.
Geschickt gestrickte Liebesgeschichten Es ist schon bemerkenswert, dass die koreanischen TV-Serien trotz der schwierigen Produktionsbedingungen wie beschränkte Zahl von Schauspielern, ein Medienumfeld, in dem Vorproduzieren kaum möglich ist, und mangelnde Produktionsmittel weltweit auf große Resonanz stoßen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Historienserie Dae Jang Geum (Jewel in the Palace, MBC ), die, mit Lee Young-ae in der Hauptrolle, von der medizinischen Praxis am Königshof handelt und 2007 im Iran sogar auf Platz 1 bei den Einschaltquoten lag. Lieber Jungs als Blumen , eine KBS-Produktion auf Basis der gleichnamigen japanischen Animation, wurde nach Kirgistan in Mittelasien exportiert, wo die Serie eine weitere Koreawelle auslöste. Inspiriert durch den Erfolg dieses TV-Dramas wurde dort auch ein Film über den Protagonisten gedreht. Das Drehbuch wurde von kirgisischen Autoren verfasst, die Mitwirkenden waren kirgisische Schauspielerinnen und Schauspieler. Das koreanische Produktionsteam und die Schauspieler von Lieber Jungs als Blumen wussten bis vor kurzem von diesem Projekt nichts. Der Titel des kirgisischen Films lautete Wie heiratet man Gu Jun-pyo?. „Gu Jun-pyo“ ist der Name des Protagonisten von Lieber Jungs als Blumen. Wie man an diesem Beispiel sehen kann, sind die koreanischen TV-Serien nicht nur in China, Japan oder Südostasien, wo sich ein
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ähnlicher kultureller Hintergrund und damit eine ähnliche Vorstellungs- und Gefühlswelt wie in Korea findet, höchst beliebt, sondern auch in Mittelasien und im Nahen Osten, wo solche Parallelen kaum vorhanden sind. Das beweist, dass die koreanischen TV-Serien „das gewisse Etwas“ besitzen. Die jüngste Ausgabe der Wochenzeitschrift Nikkei Trendy , publiziert von der japanischen Tageszeitung Nihon Geizai Shimbun , berichtete, dass „die Sendezeit von allen koreanischen TV-Serien auf japanischen Fernsehkanälen (vier terrestrischen und sechs Satellitenkanälen) allein im Oktober 93 Stunden und 40 Minuten betrug.“ Das belegt aufs Beste die Popularität koreanischer Serien in Japan. Obwohl die Koreaner darüber klagen, dass die Serien die immer gleiche Liebesleier vor einem anderen Hintergrund abspielen, lassen sie sich doch von ihnen in den Bann ziehen, und auch die Japaner haben ihre Herzen an die gut aussehenden koreanischen Schauspielerinnen und Schauspieler dieser Herz-SchmerzGeschichten verloren.
Änderungen in letzter Sekunde Es ist wahr, dass es koreanischen TV-Serien verglichen mit Werken aus Ländern mit besseren Produktionsbedingungen an Perfektion mangelt. Dafür sind sie hervorragend in puncto Reaktionsgeschwindigkeit. Das heißt, die Serien enden oft nicht so, wie die Zuschauer es erwarten. TV-Dramen müssen die Zuschauer jede Minute und in jeder Folge im wahrsten Sinne des Wortes fesseln. Eine Grundvoraussetzung dafür ist eine flexible Gestaltung des Handlungsablaufs. Natürlich beginnen koreanische Serien mit einer festgelegten Storyline, doch sobald die Serie angelaufen ist, wird die Reaktion der Zuschauer genauestens beobachtet und gegebenfalls Handlungsverlauf oder sogar Schluss geändert. Meist werden die Erwartungen der Zuschauer übertroffen, manchmal gibt es aber auch ein Ende, das allen Erwartungen entgegengesetzt ist. Wenn die Serie sich dem Ende nähert, stellen die Zuschauer „ihren“ Schluss auf die Internetseiten und liefern sich heiße Debatten über den Ausgang des Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
TV-Dramas. Im Internet tauchen auch verschiedene Spoiler dazu auf. Die Produzenten halten daher den Schluss geheim und überraschen die Zuschauer mit einem unerwarteten Ende. Das kann dazu führen, dass die eigentlichen Handlungsstränge im Verlauf der Geschichte in Verwirrung geraten und Thema oder Storyline nicht mehr völlig mit gesundem Menschenverstand nachzuvollziehen sind. Aber in den meisten Fällen geben die koreanischen Zuschauer bessere Noten für ein originelles und überraschendes Ende, unabhängig davon, ob es ein Happy- oder Sad-Ending ist. Ein repräsentatives Beispiel dafür ist die jüngste TV-Serie Der Duft einer Frau. Erzählt wird die Geschichte einer todgeweihten Frau, die nur noch sechs Monate zu leben hat, und die sich auf den Tod vorbereitet, indem sie alle Punkte auf ihrer Wunschliste erfüllt. Die Zuschauer erwarten natürlicherweise im Laufe der Entfaltung des Dramas den Tod der Hauptdarstellerin, hören in der Schlussepisode als letzte Worte jedoch: „Nun, ich bin nach sieben Monaten und zwei Tagen immer noch am Leben.“
Boykott einer Schauspielerin Die Schattenseite dieser Reaktionsschnelle in Bezug auf die Storyline sind jedoch schlechte Produktionsbedingungen: Nachdem man am Morgen das „Jjok-Daebon“ (Tagesskript) vom Drehbuchautor erhalten hat, heißt es bis in die Nacht hinein drehen. Oft muss das Gedrehte auch noch am selben Tag geschnitten werden und ausstrahlungsbereit sein. Eine Handlungsentwicklung, die die Reaktionen der Zuschauer schnell berücksichtigt und einarbeitet, macht es unmöglich, weit im Voraus zu produzieren. Daher ist es längst normal geworden, mit Hilfe des auf den letzten Drücker gelieferten Tagesskripts höchste Flexibilität bei der Produktion an den Tag zu legen. Als Zeichen des Protests gegen solch hektisch-chaotischen Produktionsbedingungen hat vor Kurzem eine koreanische Schauspielerin ihren Boykott der Dreharbeiten erklärt und das Set verlassen. Später ist sie zwar wieder zurückgekehrt, doch dieser Vorfall hat für großes Aufsehen gesorgt. Auf einer Pressekonferenz kurz K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
vor der Wiederaufnahme der Dreharbeiten sagte sie, „dass die Zuschauer wissen sollten, wie schlecht unsere Bedingungen sind. Es tut mir zwar Leid, dass ich dem Produktionsteam Unannehmlichkeiten bereitet habe, doch ich dachte, wenn ich das nicht tue, dann werden sich die Dinge auch nicht ändern.“ Die Schauspielerin erhielt für die Hauptrolle pro Folge 30 Millionen Won (etwa 19.500 Euro), der Hauptdarsteller 20 Millionen (etwa 13.000 Euro), d.h. etwa 20% der gesamten Produktionskosten gingen an die beiden Stars. Wegen der hohen Abhängigkeit von beliebten Stars klettern die Gagen für die Hauptdarsteller in den Himmel, und um den entsprechenden Gegenwert zu erhalten, gibt es kaum Szenen, in denen die großen Stars nicht auftreten. Die durch die inflationierten Gagen verzerrte Budgetverteilung führt dazu, dass man die Personalkosten der Outsourcing-Agenturen kürzen muss, sei es bei Beleuchtung, Synchronaufnahmen, Ausstattung usw. Hierhin liegt auch der Grund, warum jede Szene in kürzester Zeit in den Kasten muss. Auf den Protest der Schauspielerin gegen ihre schweren Arbeitsbedingungen und ihren Boykott gab es denn auch gemischte Reaktionen, nicht zuletzt, weil sie an einer Serie umgerechnet mehrere hunderttausend Euro verdient. Auf jeden Fall hat dieser Vorfall aber eine Diskussion über die Verbesserung der Produktionsbedingungen für TV-Serien ausgelöst. Das Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus gab bekannt, Filmagenturen, die Mini-Serien-Produktionen vor dem Beginn der Ausstrahlung abschließen, durch eine 50%ige Übernahme der Produktionskosten zu unterstützen, um die Vorproduktion zu fördern. Derzeit werden über 90% der von den drei terrestrischen Kanälen KBS, MBC und SBS ausgestrahlten TV-Serien von OutsourcingAgenturen produziert, bei den Mini-Serien sind es 100%. Die Produzenten heißen die Vorproduktion grundsätzlich willkommen. Allerdings hat in der Realität die Vorproduktion ihre Grenzen, da der Antriebsmotor der Hallyu-TV-Serien gerade die Einbeziehung des Zuschauer-Feedbacks ist und auch jetzt viele bereits produzierte Szenen oft noch einmal gedreht werden.
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blick aus der ferne
Wohnen und Leben in Korea: Eine neue Vielfalt in der Stadtentwicklung? Christoph Pohlmann Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Korea
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ines der ersten Dinge, die europäischen Besuchern auffallen, wenn sie in Korea ankommen, sind die vielen, dicht an dicht gebauten Appartementblöcke. Eine Wohnanlage reiht sich an die andere an den Ufern des Flusses Han-gang auf der Fahrt vom Flughafen Incheon nach Seoul – für Europäer ein erstaunlicher Anblick. Schließlich ist es in den meisten europäischen Ländern ein Ideal, entweder ein eigenes Haus – möglichst außerhalb der Stadt – zu haben oder in einer historischen Altbauwohnung in der Stadt zu wohnen. In Korea ist es anders. Hier bevorzugen die meisten Menschen in den urbanen Ballungsgebieten das Wohnen in Hochhäusern, so dass der Großraum Seoul zu den am dichtesten besiedelten Metropolregionen der Welt gehört. Auf Nachfrage erklären Koreaner, dass es viel praktischer sei, in solchen Appartementanlagen zu wohnen. Die Wohnungen werden zentral verwaltet und beheizt, es gibt einen Hausmeisterservice, Supermärkte und U-Bahnstation sind häufig in der Nähe, und die Verkehrsanbindung ist generell besser als in den verwinkelten Gassen der noch nicht „New Town“-artig entwickelten Stadtteile. Die zweite Überraschung, die westliche Besucher in Seoul erleben, ist das historische Viertel Bukchon. Mitten in der Stadt, hinter bzw. zwischen den beiden großen Königspalästen, liegt eines der letzten noch existierenden Hanok-Viertel. Einfache und prächtige Hanok-Häuser schmiegen sich in engen, verwinkelten Gassen an den Hang, und an jeder zweiten Ecke erwartet den neugierigen Spaziergänger ein altes oder neu gebautes Zeugnis herausragender traditioneller Architektur. Viel größer könnte der Kontrast zur modernen koreanischen Art zu wohnen und zu leben kaum sein. Es gibt kaum Autoverkehr, man befindet sich in einer Oase der Ruhe – abgesehen von den Touristenströmen, die vor allem am Wochenende durch Bukchon und Samcheong-dong spazieren. Und noch eines ist auffällig: Es sind vor allem junge Koreanerinnen und Koreaner, häufig junge Paare, die sich voller Neugier, ausgestattet mit neuesten High-Tech-Spiegelreflex-Kameras, durch Bukchon bewegen. Stehen nun der nach wie vor anhaltende Trend zur New Town und der Boom des historischen Stadtviertels Bukchon im Widerspruch zueinander? Oder steht Korea eine Trendwende hinsichtlich der Wohnstile und Stadtentwicklung bevor? Eher scheinen die genannten Entwicklungen ein Spiegelbild der unglaublichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung Koreas seit den 1960er Jahren zu sein. Das moderne Appartement als Zielvorstellung komfortablen Wohnens im Vergleich zur einfacheren Lebensweise in der Zeit vor dem wirtschaftlichen Entwicklungsschub. Gleichzeitig nimmt das Bewusstsein zu, dass die Entwicklung vielleicht zu schnell verläuft, so dass kulturelle Traditionen – auch Wohntraditionen – und Baustile unwiederbringlich verloren zu gehen drohen. Das Altstadtviertel Bukchon hat sich damit zum neuen „Sehnsuchtsort“ entwickelt, auch wenn es häufig den Anschein hat, dass viele Besucher hindurchgehen wie durch ein Museumsdorf. Aber nicht nur: Wer es sich leisten kann – leider nur sehr wohlhabende Menschen –, baut sich ein neues, häufig sehr prächtiges
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Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
Hanok in Bukchon, z.T. mit allen Annehmlichkeiten modernen Wohnens, Tiefgarage inklusive. Dies verärgert wiederum Hanok-Puristen, die das Viertel in seiner ursprünglichen Form bewahrt wissen wollen. Ich würde mir aus deutscher oder europäischer Sicht eine vielfältigere Stadtentwicklung in Korea wünschen, die stärker auf die historische Struktur der Städte und ihre Lage in der Natur Rücksicht nimmt. Viele Entwicklungen koreanischer Stadtentwicklung wie die extreme Verdichtung des Wohnraums, die autogerechte bzw. verkehrszentrierte Stadtplanung sowie die weiträumige Versiegelung des Bodens kennen wir auch aus Deutschland und anderen europäischen Ländern. Gerade durch die Zerstörungen in Deutschland im Zweiten Weltkrieg und den Modernisierungsglauben in den 1950er und 1960er Jahren wurden viele deutsche Großstädte in dieser Richtung geprägt. Aber in den letzten 20 bis 30 Jahren hat ein Mentalitätswandel stattgefunden: Viele historische Gebäude wurden und werden aufwändig saniert, neuartige Wohnanlagen unter Berücksichtigung der natürlichen Umgebung entstehen, Appartement-Hochhäuser werden abgerissen, auch mangels Nachfrage, und der Autoverkehr wird, zumindest teilweise, zurückgedrängt. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht mir nicht darum, dass Korea sich in der Stadtplanung an Deutschland oder anderen Ländern orientieren soll. Korea wird seinen eigenen Weg finden, wie es ihn in bewundernswerter Form in so vielen Dimensionen in den letzten Jahrzehnten auf immer wieder neuartige Weise gefunden hat. Auch ist es so, dass die Herausforderung des Klimawandels und der damit verbundenen Notwendigkeit der Energieeinsparung (vor allem bei Klimatisierung und Heizung) tendenziell verdichtete Wohnformen als sinnvoller erscheinen lassen (auch wenn in Korea wie in Deutschland die Wärmedämmung noch längst nicht hinreichend ist). Dennoch scheint es so zu sein, dass zumindest in der Leitregion Seoul teilweise ein neues Verständnis von Urbanität sichtbar wird. Grünanlagen werden geschaffen und erweitert, der Chonggyecheon wird sehr gut von der Bevölkerung angenommen (trotz aller Kritik mancher Umweltschützer) und die Uferanlagen des Han-Flusses werden zu Freizeit- und Erholungszwecken ausgebaut. Nur im Wohnbereich dominiert nach wie vor das verdichtete Wohnen, und immer noch werden ganze Viertel mit kleinteiliger Häuserstruktur planiert, um einer neuen New Town Platz zu machen. Aber vielleicht deutet der Boom des Viertels Bukchon auch hier einen gewissen Bewusstseinswandel an. „Mehr Vielfalt“ könnte das Schlagwort sein. Gesellschaftliche Modernisierung bedeutet auch Ausdifferenzierung, eine neue Vielfalt der Wohn- und Lebensformen. Bisher konzentrieren sich die gesellschaftlichen Debatten in Korea über die Frage „Wie wollen wir leben?“ stark auf das Thema soziale Sicherung. Über kurz oder lang, da bin ich mir sicher, wird es auch eine gesellschaftliche Diskussion über die Neugestaltung des Wohn- und Lebensraums geben, gerade in der Großstadt. Insofern dürfen wir gespannt sein, welche neuen städtebaulichen Entwicklungen europäischen Besuchern auffallen, wenn sie in 10 bis 15 Jahren nach Seoul oder in andere koreanische Ballungsräume kommen. K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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Lifestyle
Fans singen bei K-PopKonzerten mit
Wenn ausländische Musiker ihr erstes Konzert in Korea veranstalten, sind sie oft vom Enthusiasmus der koreanischen Fans überrascht und tief bewegt. Kern dieser Erscheinung ist die typisch koreanische Vorliebe des „Ttechang“: aus vollem Herzen mitsingen. Natürlich gibt es das auch in anderen Ländern, doch findet man auf der Welt nicht leicht ein Publikum, das sich dermaßen enthusiastisch dem Ddechang hingibt. Surh Jung-min Journalist der Zeitung Hankyoreh Daily Newspaper
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ls das Gitarrenvorspiel des Hitsongs Chau Chau der koreanischen Rockband Deli Spice ertönte, brach ein Geschrei aus, das in seiner Gewalt sogar das Kuppeldach des Veranstaltungsplatzes hätte wegpusten können. Trotz des regnerischen Wetters hatten sich selbst draußen, außerhalb des überdachten Bereichs, zahlreiche Fans versammelt, die im strömenden Regen herumhüpften. „Ich höre deine Stimme“, begann das Lied. Und schon setzten die Fans alle einstimmig mit ein. Das eigentlich dunkle Lied mit seiner gesetzten Stimmung verwandelte sich im Nu in eine fröhlich-festliche Hymne. Die Besucher, die weit von der Bühne entfernt waren, konnten Musik oder Stimmen der Deli Spice kaum hören, denn sie wurden von den Ttechang-Wellen überrannt. Trotzdem waren sie nicht enttäuscht. Denn sie tauchten mit dem ganzen Körper in diese kraftvollen Wellen ein und schmeckten elektrifizierende Ekstase. So ging die letzte Nacht des Jisan Valley Rock Festival, das vom 29. bis 31. Juli in Icheon in der Provinz Gyeonggi-do stattfand, weiter.
Die Kraft des Ttechang Yoon Jun-ho, der Bassist der Deli Spice, erinnert sich an diesen Augenblick folgendermaßen: „In dem Moment war das Lied Chau Chau nicht unser Lied, sondern das Lied des Publikums. Wie ich mich damals gefühlt habe? Es war so überwältigend, dass ich es gar nicht mit Worten beschreiben kann. In dem Moment, als sich mein Blick mit dem eines Fans traf, der weinend mitsang, wurde mir ganz warm ums Herz.” Das ist die intensive Kraft des Ttechang, die den Künstler auf der Bühne mit dem Publikum unter der Bühne eins werden lässt. Das Wort „Ttechang“ setzt sich zusammen aus dem koreanischen „Tte“, was soviel wie „Herde“ bedeutet, und dem sinokoreanischen „chang“, was „singen“ meint. „Ttechang“ steht nicht im Wörterbuch, es ist Jargon. Anders als der Chorgesang „Hapchang“, bei dem das gemeinsame Singen an gewisse äußere Formen gebunden ist, ergibt sich „Ttechang“ völlig spontan ohne jegliche vorherige Absprachen. Wenn der Sänger auf der Bühne mit seinem Lied beginnt, setzen die Fans alle einstimmig ein. Ttechang mag vielleicht weniger harmonisch klingen als Chorgesang, doch der weniger geschliffene Gesang ist mit seiner enormen Resonanzkraft mindestens genau so bewegend wie Chorgesang, wenn nicht gar bewegender. Auch unter den ausländischen Musikern, die einmal in Korea aufgetreten sind, ist Ttechang bereits ein weit bekanntes Phänomen. Mika, ein aufgehender britischer Stern am Musikerhimmel, trat im Oktober 2009 zum ersten Mal in Seoul auf. Er hatte damals bereits zwei reguläre Alben veröffentlicht und sang bei seinem Konzert sämtliche Titel beider Alben. Überraschend war, dass das Publikum jedes einzelne Lied mitsang. Auch für mich, einen Journalisten, der bereits viele Konzerte besucht hat, war das etwas völlig Neues.
Das Publikum agiert mit bei einem Konzert von Deli Spice auf dem Jisan Valley Rock Festival 2011 . (Fotos: CJ E&M) K o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
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Eine regendurchtränkte, begeisterte Fanmenge beim Pentaport Rock Festival 2010 .
Mika war so sehr von seinem ersten Korea-Besuch angetan, dass er auch 2010 und 2011 für weitere Konzerte nach Korea kam. Kurz vor seinem dritten Korea-Konzert am 20. September 2011 schrieb er in einem Email-Interview: „Das Konzert in Korea war von Anfang bis Ende die reinste Party. Das Publikum, das alle Lieder mitgesungen hat, wurde mit mir und meiner Band zusammen zum Bestandteil des Konzertes. Ein Künstler möchte Fans, die seiner Musik dermaßen begeistert zujubeln, noch mehr zeigen. Ich denke, dass ich im Gegenzug das Beste aus mir rausholen muss.“ Im Juli 2000 waren die Fans, die fanatisch hüpfend mitsangen, heißer als Feuer. Billy Corgan, der damals auf der Bühne auftrat, sagte: „Ich bin ein Dummkopf, dass ich erst jetzt Korea besuche.“ So endete das erste Korea-Konzert der in den 1990er Jahren berühmten Rockgruppe Smashing Pumpkins. Nach diesem Konzert ging die Gruppe, wie angekündigt, auseinander und verschwand bis zur Neuformierung 2005 aus der Szene ins Reich der Legenden. Genau zehn Jahre später, im August 2010, besuchten die Smashing Pumpkins Korea erneut. Nachdem die Mitglieder sich wieder gefunden hatten, wollten sie ein zweites Konzert in Korea veranstalten. BandLeader Billy Corgan sagte: „Ich konnte die Fans von vor zehn Jahren nicht vergessen, daher haben wir alles stehen und liegen lassen und sind nach Korea gekommen.“
Das Publikum erscheint vorbereitet Ein „weltbestes Publikum” kommt nicht aus dem Nichts. Die Fans suchen die „Setliste“ mit dem Repertoire des Konzerts und üben vorher alle Lieder durch. Die koreanischen Fans recherchieren, welche Lieder die Sänger kurz vor ihrem Korea-Auftritt in anderen Ländern gesungen haben und lernen vor allem diese Liedtexte auswendig. Selbst wenn es sich um eine Welttournee handelt, ist das Repertoire in vielen Fällen je nach Land etwas anders, daher studieren die Koreaner für alle Fälle auch die Lieder ein, die vielleicht vorgetragen werden könnten. Als die Fans sich auf das Lied Starlight der britischen Rockband Muse vorbereiteten, übten sie zudem einen 1-2-1-3-Klatschrhythmus ein. Aber natürlich werden nicht alle Lieder mitgesungen. Wenn melancholische Lieder vorgetragen werden, dann hört das Publikum aufmerksam zu und erfreut sich an der Musik. Ttechang bedeutet, eins zu werden mit den anderen. Daher gehört es zur Ttechang-Grundetikette, genau zu wissen, wann man mitsingen darf und wann nicht. Diese typisch koreanische Ttechang-Kultur ist auch nach Japan übergeschwappt. Das japanische Publikum ist für seine guten Manieren bekannt. Wenn das Konzert beginnt, steht das Publikum wie ein Mann auf und winkt mit Leuchtstäben, und das ist auch schon alles. Geklatscht wird zudem nur in den kurzen Pausen zwischen den Liedern. Es scheint zur Publikumsetikette zu gehören, die Künstler auf der
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„Das Konzert in Korea war von Anfang bis Ende die reinste Party. Das Publikum, das alle Lieder mitgesungen hat, wurde mit mir und meiner Band zusammen zum Bestandteil des Konzertes.“, erinnert sich der britische Sänger Mika an seinen Korea-Auftritt.
Bühne und die anderen Besucher nicht zu stören und Rücksicht auf sie zu nehmen. Aber die Stimmung beim Debütkonzert der koreanischen Girlband 2NE1 am 20. September 2011 in der Arena-Konzerthalle in Yokohama war ganz anders. Zwar wedelten die Zuschauer immer noch stehend mit ihren Leuchtstäben, doch sie schrien und klatschten auch mitten in den Liedern. Am Schluss, als Ugly vorgetragen wurde, sprangen alle Besucher herum und sangen den Refrain mit. Mit dem K-Pop-Fieber, das sich in den letzten Jahren in Japan breit gemacht hat, scheint auf ganz natürliche Weise auch die Ttechang-Kultur Einzug in Japan gehalten zu haben.
Konzertsaal wird zum Mega-Noraebang Experten erklären, dass die Ttechang-Kultur darauf zurückzuführen sei, dass das koreanische Volk seit jeher besonders sanges- und tanzfreudig ist. Die Koreaner singen lieber mit, als nur zuzuhören, was sich dann bei Konzerten entsprechend bemerkbar macht, wenn das ganze Publikum einstimmt. Das „Noraebang“, die koreanische Version des Karaoke, stammt eigentlich aus Japan. Nach der Einführung des Karaoke in Korea Anfang der 1990er Jahre verbreitete sich diese Gesangskultur jedoch weit stärker in der allgemeinen Bevölkerung als in Japan. Die Koreaner – ob Frau oder Mann, ob alt oder jung – singen und tanzen leidenschaftlich gern in den „Lieder-Räumen“, den „Norae-bang“. In diesem Sinne sind Konzerthallen eine Art Mega-Noraebang und Klub zugleich. Beim Ttechang, dem gemeinsamen Mitsingen, spürt man ein Gefühl der Wesensgleichheit und Verbundenheit und wird eins mit allen Menschen im Raum. Allein schon die Tatsache, dass alle Besucher zum Konzert ihrer Lieblingssänger gekommen sind, vermittelt ein Gefühl der Brüder- und Schwesterlichkeit. Wenn sie dann noch aus voller Brust ihre Lieblingslieder gemeinsam mitsingen, verschmelzen sie endgültig zu einem Herzen und einer Seele. Diese ansteckende Freude überträgt sich auch auf den Musiker auf der Bühne. Der Künstler öffnet den Fans, die mit einer Stimme sein Lied mitsingen, sein Herz. Die Sänger, die die koreanische Ttechang-Kultur einmal erlebt haben, kommen vielleicht deshalb immer wieder nach Korea, weil sie diese zauberhaften Momente nicht vergessen können. K o r e a n a ı A u t u mm 2 0 1 1
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Reisen in die koreanische Literatur
Joun Gyoung-rin Jemand hat einmal Joun Gyoung-rin (geb. 1962) als „die koreanische Schriftstellerin, die am gekonntesten Liebesgeschichten schreibt“ bezeichnet. Dementsprechend behandelt sie die Liebe, die „Jeongnyeom“ (Leidenschaft, Passion) und das Unheimliche mit eindrucksstarken Bildern und brillierenden Sätzen.
Rezension
Liebesgeschichte oder Schichten von abgelagertem Eis
Uh Soo-woong Journalist für Literatur, Tageszeitung The Chosun Ilbo
Der Begriff „Jeongnyeom“ (hier mit „Leidenschaft“ übersetzt) wird im Wörterbuch wie folgt definiert: „Schwer zu unterdrückende Gedanken, die je nach Gefühlslage aufkommen“. Oft wird das literarische Schaffen von Joun Gyoung-rin mit der „Leidenschaft“ und dem „Unheimlichen“ gleichgesetzt. Wie groß die Intensität dieser „Leidenschaft“ sein kann, mag folgende kleine, persönliche Episode demonstrieren: Damals war ich noch Single, lebte in Myeongnyun-dong, Seoul, und hatte die Zwangsneurose, dass man selbst für seinen Körper verantwortlich ist. Auch an jenem Tag duschte ich wie immer nach dem morgendlichen Sporttraining. Da sah ich mich plötzlich mit einem Problem konfrontiert: Die Tür des Badezimmers ließ sich unerklärlicherweise von innen nicht aufmachen, als hätte jemand sie von außen abgeschlossen. Ich konnte machen, was ich wollte, es half alles nichts. Da fiel mir die junge Frau, die über mir wohnte, ein. Ich erinnerte mich an das Post-it-Memo, das einige Tage zuvor an meiner Wohnungstür geklebt hatte: „Bitte die nötigen Regeln der Rücksichtnahme für das Zusammenleben in einem Apartmentgebäude beachten.“ Ich gebe zu, dass ich den Audioalarm einzustellen pflegte, wenn ich ins Bett ging, aber ich schwöre: auf die unterste Lautstärke. Wenn sie solch empfindliche Ohren hatte, dann könnte sie mir sicher aus der Klemme helfen. Jeglichen Anstand vergessend, hämmerte ich unter lautem Rufen an die Decke. Und – welch ein Wunder! – sie kam tatsächlich. Sie rief die Nummer des Schlüsseldienstes auf dem Aufkleber an der Wohnungstür an und nach einer halben Stunde öffnete mir ein gutmütig aussehender Mann die Tür. Sie stand neben ihm. Leider hatte ich meine frische Unterwäsche vor dem Badezimmer gelassen. „Ich schulde Ihnen tausend Dank,
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aber leider bin ich im Moment nicht hinreichend bekleidet. Wenn Sie bitte nach oben gehen würden, ich komme dann gleich zu Ihnen hinauf.“ Ich wollte ihr gerne etwas schenken, hatte aber nur Bücher. Da ich es nicht über mich bringen konnte, ein Buch wegzugeben, von dem ich nur ein Exemplar besaß, griff ich nach einem, von dem ausnahmsweise zwei im Regal standen. Das war der Roman Die Gewohnheit der Leidenschaft von Joun Gyoung-rin. „Das ist aber doch nicht nötig,“ bedankte sie sich. „Ich arbeite in dem Bereich. Sie können es unbesorgt annehmen,“ versicherte ich ihr. Am nächsten Tag wich sie mir jedoch im Treppenhaus aus. Sie hatte wohl das Buch zu Ende gelesen. Ob sie mich jetzt für die Verkörperung der Leidenschaft hielt? Joun Gyoung-rin arbeitete nach ihrem Studium als Gast-Produzentin und Radioskript-Autorin bei der Zweigstelle Masan der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt KBS in der Provinz Gyeong sangnam-do. Nach der Heirat mit einem Mann, der sich in der Zeit der Studentenbewegung für politische Ziele engagiert hatte, lebte sie als Hausfrau. Mit dem Schreiben begann sie erst nach der Geburt ihres zweiten Kindes. 1993 zog die Familie in die abgelegene Ortschaft Jinjeon-myeon bei Masan. Dort habe sie das Gefühl bekommen, „als würde etwas in mir nach äußerlichem Ausdruck drängen“. Sie verbrachte ihre Zeit immer nur zu Hause und widmete sich ganz dem Schreiben. 1995 wurde ihre Erzählung Der Wüstenmond beim jährlichen Frühjahrs-Literaturwettbewerb der Tageszeitung Dong-a Ilbo mit einem Preis ausgezeichnet, was ihre schriftstellerische Karriere auf den Weg brachte. Ihr literarisches Interesse kann wie folgt zusammengefasst werden: die Frau, die unter den Spannungen und Forderungen, die Korean i s ch e Ku l tu r u n d Ku n s t
durch die Wechselwirkung des dem eigenen Verlangen gehorchenden Innenlebens und der geordneten und systematisierten Außenwelt entstehen, in Konflikt gerät, und das weibliche Leben. Sie bekam für ihre kurze Erzählung Die Frau, die Ziegen hütet den Hankook Ilbo Literaturpreis (1977), den Munhak Dongne Erzählliteraturpreis für Der Mann, der nirgendwo ist (1977), den 21. Jahrhundert Literaturpreis für Die Frau vom Merry-go-round Zirkus (1988), den Korea Erzählliteraturpreis für die kurze Erzählung Sommerurlaub (2004) und den 31. Yi Sang Literaturpreis für die kurze Erzählung Der Engel hält sich hier auf (2007). Sie veröffentlichte zudem Romane wie Der besondere Tag, der der einzige besondere in meinem Leben sein wird; Ich drifte auf einem gläsernen Schiff auf fremder See; Die Gewohnheit der Leidenschaft und mehrere Erzählsammelbände. Diese Werke erzählen ohne Ausnahme von Frauen, die den eigenen Begierden gehorchen, und beschreiben scharf analysierend und in eindrucksvoller Prosa die Konflikte zwischen diesen Begierden und den gesellschaftlichen Institutionen. Die Autorin nannte einmal „Eisberg“ und „Löwe“ als Bilder der Selbstbeschreibung. Der Eisberg schmilzt unaufhaltsam in der Sonne. Der gestrenge Löwe umkreist den Eisberg, um die Sonnenstrahlen einzufangen. Sie sei der Löwe, der den Eisberg hütet, und gleichzeitig der schmelzende Eisberg. Zwischen der Sonne und dem Löwen wiederhole sie das Schmelzen und wieder Gefrieren. Mit dem Interagieren von Löwe, Sonne und Eisberg, das abwechselnd Spannung, Leiden und Frieden erzeugt, nehmen die Eisschichten langsam Gestalt an. Diese treffende Metapher könnte auch die Metapher für das Wesen des Lebens sein. Jeder, der bis zum Äußersten gegangen ist, sei es im Leben, in der Liebe oder in der Literatur, der wird notwendigerweise vor dem undeutbaren, unmöglichen Abgrund des Lebens gestanden haben. Jouns Leben und Werk haben solche Eisschichten produziert. Wenn ich ein einziges, für die Autorin stehendes Wort wählen müsste, dann wäre das „Mong (Traum)“. „Das TraumK o r e a n a ı W i n t e r 2 0 11
hafte“ könnte für ihr ganzes Werk als repräsentativ gelten. Vor mehreren Monaten hatte ich die Gelegenheit, gemeinsam mit der Autorin eine Reise nach Uljin in die Provinz Gyeong sangbuk-do zu machen. Das war eine Reise von mehreren Schriftstellerkollegen. Sie fuhr von Haman in der Provinz Gyeongsangnam-do nordwärts, während die anderen von Seoul südwärts fuhren. Gestartet war sie von der Kyungnam Universität, an der sie Kreatives Schreiben lehrt. Man würde denken, dass die Anreise für sie kürzer gewesen wäre, weil sie sich ja schon in der Gyeongsang-Provinz befand, aber das war falsch gerechnet. Sie hatte vier Stunden gebraucht, genau so viel Zeit, als wäre sie aus Seoul gekommen. Und sie sprach wie im Traum: „Es ist zu heiß.“ Sie sagte das in einer Sprache des süßen Überdrusses! Die Autorin in ihrem dünnen, sanft fließenden, geblümten Kleid hatte den Ausdruck einer Frau, die in die Hitze verliebt ist. Der Schriftsteller Kim Hoon, der sich selbst als unter „Erb-Machotum“ leidend bezeichnet, sprach einmal wie folgt über diese seine jüngere Kollegin: „Die Sprache und die Körperhaltung dieser Frau war schüchternbescheiden und fein gemustert mit weiblicher Delikatheit. Auf der Rückseite dieser Delikatheit lauerte das gefährliche, instabile Aufrührerische. Manchmal sah sie wie eine Bombe mit verstecktem Zeitzünder aus. Sie hat sich nirgendwo niedergelassen. Sie zog um, wann immer es ihr beliebte, ohne Spuren zu hinterlassen, und ich weiß nicht, wo sie jetzt wohnt. In Joun Gyoung-rins Erzählungen ist die Narbe der Name des Platzes in der Welt, an dem das Leben nistet. Das Leben kann sich selbst wohl nicht erhalten, da es an sich Mangel und Verlust ist. Jouns Werke scheinen zu sagen, dass Mangel und Verlust natürliche Phänomene des Lebens sind. Daher ist die Herausforderung des Lebens, sich gegen diesen Mangel und Verlust zu wehren, wohl auch ein Lebensphänomen. Wenn die beiden Seiten aufeinander prallen und explodieren, sind Jouns Texte bestechend schön. Wird sie jetzt wieder ihre sieben Sachen packen, bereit zum Umzug nach ‚Ziel unbekannt‘?“
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enn es Frühling wird, bricht das Licht, das in allen lebenden Dingen wie Wiesen, Bäumen und Tieren wohnt, nach außen. Die Bäume vermögen das kitzelige Kribbeln ihrer Borke nicht mehr zu ertragen und treiben junge grüne Triebe hervor. Die Blütenknospen brechen in blendenden Farben aus. Die Luft wird vom Blumenduft bewegt. Die Blätter an den Bäumen werden breiter, ihr Grün gewinnt an Tiefe. Der Duft des Grases verdichtet sich. Alle atmenden Wesen zittern vor sprudelndem Lebensfieber. Durstige Bäume bohren ihre Wurzeln tief in die Erde und saugen Wasser auf. Es blitzt und donnert, ein Regenschauer bricht herab. Die Menschen hasten. Die ganze Welt gerät in geschäftiges Treiben und wird kompliziert. Schließlich beginnen im Wald, der des Grüns überdrüssig geworden ist, die Blätter zu fallen. Zwischen den Ästen öffnen sich leere Räume, kalter Wind weht hindurch. Der Himmel neigt sich. Die Blicke der Menschen heften sich auf immer fernere Weiten. Die Wege werden in den dunklen Wald gesaugt. Die Schritte der Menschen, deren Rücken man sieht, werden immer schleppender. Auch die letzten Blättchen, die wie ein Postskriptum des Sommers an den Enden der Äste baumelten, sind heruntergefallen. Wind und Tage häufen sich gleichgültig auf den zur Erde gefallenen Blättern und werden zu Zeit. Dann, eines Tages, fällt Schnee. Der Schnee überdeckt Frühling, Sommer und Herbst und löscht alle Erinnerungen an das vergangene Leben. Alles, was kompliziert war, wird wieder einfach. Vier wird zu Zwei und Zwei zu Eins. Doch alles in der säkularen Welt Lebende ist kompliziert und unrein. Die wahre Reinheit gibt es nicht. Jedes Wesen ist nur ein Komma in der Leere und stellt Bewegung eines Fleckchens dar. Einzig das Nichts, der Tod, ist rein. Reinheit ist ein vorübergehender Zustand vor der Annäherung an das Heilige. Die Könige und Königinnen der Dynastien herrschten Jahrhunderte lang über die Untertanen, bevor sie für immer gingen. Das große Haus, in das ihre Seelen eingeschreint wurden, liegt stumm in der zu einem Strich vereinfachten Form da. Das Haus, in dem niemand wohnt, sieht in seiner Einfachheit noch einsamer aus. Auf dieser Einfachheit liegt der weiße Schnee wie ein Leichentuch. Doch diese weiße Reinheit und Einfachheit währt nur vorrübergehend. Dahinter steht, den abenddämmernden Himmel auf sich tragend, ein Wald kahler Bäume, als würde er die Abstraktheit, Symmetrie und einfache Reinheit des Todes ablehnen. Bis dass der Frühling wieder kommt.
Über die Reinheit Kim Hwa-young Prof. em. für französische Literatur Fotos: Suh Heun-gang
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1 Königlicher Ahnenschrein des Joseon-Reiches (Jongmyo) in Seoul