PGH _ Idomeneo

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theater-vorpommern.de
IDOMENEO Oper von Wolfgang Amadeus Mozart

Dramma per musica in drei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart Text von Giambattista Varesco

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Uraufführung am 29. Januar 1781 im Münchner Residenztheater

Idomeneo, König von Kreta Bassem Alkhouri

Idamante, Idomeneos Sohn Pihla Terttunen

Ilia, Prinzessin von Troja, Tochter des Königs Priamos Franziska Ringe

Elettra, Tochter des Agamemnon, des Königs von Argos

Antje Bornemeier

Arbace, Vertrauter Idomeneos Semjon Bulinsky

Oberpriester

Bernd Roth*

Die Stimme Jovan Koščica

Opernchor des Theaters Vorpommern Philharmonisches Orchester Vorpommern

*Mitglied des Opernchores des Theaters Vorpommern

Premiere in Stralsund am 16. März 2024

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden, Pause nach dem 2. Akt

Aufführungsrechte: Neue Mozart-Ausgabe

© Bärenreiter-Verlag Kassel · Basel · London · New York · Praha

Ausstattungsleiterin: Eva Humburg / Technischer Direktor: Christof Schaaf / Beleuchtungseinrichtung: Kirsten Heitmann Bühnentechnische Einrichtung: Andreas Flemming / Toneinrichtung: Hagen Währ / Leitung Bühnentechnik: Michael Schmidt / Leitung Beleuchtung: Kirsten Heitmann / Leitung Ton: Daniel Kelm / Leitung Requisite: Alexander Baki-Jewitsch, Christian Porm / Bühne & Werkstätten: Produktionsleiterin: Eva Humburg / Tischlerei: Stefan Schaldach, Bernd Dahlmann, Kristin Loleit / Schlosserei: Michael Treichel, Ingolf Burmeister / Malsaal: Anja Miranowitsch, Fernando Casas Garcia, Sven Greiner / Dekoration: Frank Metzner / Kostüm & Werkstätten: Leiter der Kostümabteilung: Peter Plaschek

Gewandmeisterinnen: Ramona Jahl, Annegret Päßler, Carola Bartsch / Modisterei: Elke Kricheldorf / Ankleiderinnen: Ute Schröder, Petra Westphal / Maske: Tali Rabea Breuer, Jill Dahm, Antje Kwiatkowski, Kateryna Maliarchuk, Ilka Stelter

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Idomeneo

Musikalische Leitung

Inszenierung

Bühne & Kostüme

Licht

Chor

Dramaturgie

Musikalische Assistenz

Regieassistenz & Abendspielleitung

Inspizienz

Übertitel & Übertitelinspizienz

Regiehospitanz

GMD Florian Csizmadia

Wolfgang Berthold

Stefan Rieckhoff

Kirsten Heitmann

Csaba Grünfelder, Jörg Pitschmann

Stephanie Langenberg

David Behnke, David Grant, David Wishart

Paula Brune

Lisa Henningsohn

Luisa Grimmecke, Stephanie Langenberg, Katja Pfeifer

Tom Liebschner

Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.

Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen.

Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

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„Ehre und Macht verhärten das Herz und in ihren Höhen leben in der Regel die unglücklichsten und unzufriedensten Menschen, weil das Herz nie ruheloser und ungesättigter ist, als wenn es alles hat.“
Heinrich

Hansjakob, Schriftsteller, Historiker und Politiker (1837 – 1916)

HANDLUNG

1. AKT

Die trojanische Königstochter Ilia wird als Kriegsgefangene auf der Insel Kreta festgehalten. Sie befindet sich in einem hoffnungslosen Zwiespalt: Zum einen beklagt sie das Schicksal ihres besiegten Volkes, zum anderen hat sie sich ausgerechnet in Idamante verliebt, den Sohn des kretischen Königs Idomeneo, der ihren Vater im Krieg tötete und bisher noch nicht heimgekehrt ist. Sie kann und will ihm ihre Liebe nicht gestehen. Idamante hält seine Gefühle für Ilia nicht zurück. Um sie für sich zu gewinnen, lässt er die trojanischen Kriegsgefangenen frei. Das Volk bejubelt den Frieden.

Elettra, Tochter des ermordeten Königs Agamemnon, ist aus Argos geflohen und hat auf Kreta Zuflucht gefunden. Sie liebt ebenfalls Idamante, der ihr sogar als Ehemann versprochen ist. Über dessen Entscheidung, die trojanischen Gefangenen freizulassen, ist sie empört. Idomeneos Vertrauter Arbace überbringt die Nachricht, dass Idomeneo in einem Seesturm umgekommen sei. Der kretische Thronfolger ist schockiert, während Elettra befürchtet, dass Idamante als neuer König Ilia zu seiner Gemahlin wählen könnte.

In der Zwischenzeit erreicht der totgesagte Idomeneo Kreta. Um sicher an Land zu gelangen, hatte er, im Seesturm Todesängsten ausgesetzt, einen folgenschweren Schwur geleistet: Er werde den ersten Menschen opfern, dem er am Strand begegne.

Als er am Ufer auf einen jungen Mann trifft, ahnt er nicht, dass es sein eigener, inzwischen erwachsen gewordener Sohn ist. Erst im Verlauf des Gesprächs erkennt er ihn. Idomeneos Schock darüber äußert sich in schroffer Zurückweisung. Idamante, in seiner Freude, kann die Ablehnung des Vaters nicht verstehen.

Das Volk feiert die glückliche Heimkehr des Königs.

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2. AKT

Idomeneo wendet sich an Arbace und erzählt ihm von seinem Schwur und der verhängnisvollen Begegnung mit Idamante. Arbace rät ihm, den Sohn außer Landes zu bringen. Idamante solle sich gemeinsam mit Elettra nach Argos begeben, um diese auf den Thron ihres Vaters zu führen.

Ilia, die Kreta als neue Heimat angenommen hat, dankt dem König für seine Gastfreundschaft. Als Ursache der Freude Ilias vermutet Idomeneo jedoch einen anderen Grund: die Liebe seines Sohnes zur trojanischen Prinzessin. Eine weitere Facette seines grausamen Versprechens wird ihm schlagartig bewusst; Idomeneo erkennt, dass er durch diesen Eid nur Unheil beschwört und niemals inneren Frieden finden wird. Angst und schwere Schuldgefühle plagen ihn.

Elettra sieht sich der Erfüllung ihrer Träume nahe, als die Reisevorbereitungen getroffen sind und die beiden vom Volk verabschiedet werden. Da verhindert ein schweres, nicht enden wollendes Unwetter den Aufbruch. Dem besorgten Volk gesteht Idomeneo, dass er für alles verantwortlich sei und nur mit einem Menschenopfer den Fluch beenden zu können glaube. Das Volk ergreift die Flucht.

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3. AKT

Idamante, der aufgrund seiner unerfüllten Liebe zu Ilia und der Abweisung seines Vaters den Lebensmut verloren hat, verabschiedet sich von der trojanischen Prinzessin. Gebrochen ist er bereit sich als Opfer zur Beendigung des Fluchs anzubieten. Angesichts der dramatischen Entwicklung gesteht Ilia Idamante ihre Liebe. Für einen Moment erliegen sie einer trügerischen Illusion des gemeinsamen Glücks, als das Paar von Idomeneo und Elettra überrascht und in die Realität zurückgeholt wird. Allen wird ihr Schicksal bewusst und sie blicken schmerzvoll in die Zukunft.

Arbace informiert Idomeneo, dass sich das Volk versammelt habe und eine Unterredung mit dem König verlange. Der Oberpriester drängt den König, endlich das geforderte Opfer zu benennen. Die Menge reagiert entsetzt, als Idomeneo offenbart, dass sein Sohn der Auserwählte sei. Während die Vorbereitungen für die Zeremonie getroffen werden, erscheint Idamante, der sich bereitwillig seinem Schicksal fügt. Im letzten Augenblick stellt sich Ilia schützend vor ihn und bietet sich selbst als Opfer an. Idomeneo erkennt den Irrsinn seines selbstauferlegten Schwurs.

Als Elettra sieht, dass niemand geopfert wurde und sie Idamante nun endgültig an Ilia verloren hat, erkennt sie, wütend und entehrt, dass sie vor dem Nichts steht, und schwört Rache.

Idomeneo verkündet seine Abdankung. Idamante soll König werden, Ilia seine Frau. Von allen allein gelassen, blickt das neue Königspaar einer ungewissen Zukunft entgegen.

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„Wenn Mozart nicht eine im Gewächshaus getriebene Pflanze ist, so muss er einer der größten Komponisten werden, die jemals gelebt haben.“
Christian Daniel Schubart (1739 – 1791)

DER KOMPONIST

Im Sommer 1780 erhielt der 24-jährige Mozart vom Kurfürsten von Bayern den sehnlichst erwarteten Auftrag, für München eine neue Oper zu schreiben, die der Höhepunkt der Karnevalssaison des darauffolgenden Jahres werden sollte. Schon während der Proben zeigte sich Kurfürst Carl Theodor mehr als beeindruckt. „Ich war ganz suprenirt –noch hat mir keine Musick den Effect gemacht; das ist eine Magnifique Musick“, soll er geschwärmt haben. „Idomeneo“ ist ein Geniestreich. Mozarts dritter Ausflug in die Opera seria. Eine Opera seria, die ihren eigenen Weg geht, die einzigartig ist in Mozarts Schaffen, einzigartig auch in der Geschichte der Oper.

Die Uraufführung fand am 29. Januar 1781 in München statt, zwei Tage nach Mozarts 25. Geburtstag. Erstmals stand Mozart für eine Oper ein Orchester von Weltruf zur Verfügung. Ein großes Instrumentarium sowie hervorragende virtuose Musiker ermöglichten, das Orchester mit einer stärkeren Rolle und größeren Bedeutung in der Oper zu etablieren.

Bis zuletzt soll Mozart „Idomeneo“ als seine beste Oper bezeichnet haben, er hat sich in Wien darum bemüht, die Oper bekannt zu machen, Teile daraus in Konzerten dargeboten, die ganze Oper 1786 im Palais des Grafen Auersperg in konzertanter Form aufgeführt. Und wie gerne hätte er, noch bevor sich der Auftrag zur „Entführung aus dem Serail“ abzeichnete, „Idomeneo“ in deutscher Sprache herausgebracht. Doch leider bekam er keine Gelegenheit, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.

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DAS LIBRETTO

Das Thema fürs Textbuch der Oper war vom Münchner Hof vorgegeben worden; als Librettisten beauftragte Mozart den Salzburger Hofkaplan Giambattista Varesco. 1712 war in Paris die Oper „Idoménée“ von André Campra uraufgeführt worden, die auf dem Text des gleichnamigen französischen Trauerspiels von Antoine Danchet basiert. Varesco übersetzte den Text ins Italienische und passte den Handlungsverlauf dem Zeitgeschmack der Aufklärung an. Während bei Danchet Idomeneo seinen Sohn am Schluss tatsächlich opfert, schrieben Mozart und Varesco – gemäß den Vorgaben, dass eine Opera seria mit einem lieto fine enden musste – den Schluss entsprechend um.

„Ich empfehle dir Bey deiner Arbeit nicht einzig und allein für das musikalische, sondern auch für das ohnmusikalische Publikum zu denken, –du weisst es sind 100 ohnwissende gegen 10 wahre Kenner, – vergiß also das so genannte populare nicht, das auch die langen Ohren Kitzelt.“

Leopold Mozart, am 11.12.1780 an seinen Sohn

„wegen dem sogenannten Popolare sorgen sie nichts, denn, in meiner Oper ist Musick für alle Gattung leute; – ausgenommen für lange ohren nicht.“

Wolfgang Amadeus Mozart, am 16.12.1780 an seinen Vater

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Der Mensch und das Meer

Du freier Mensch, du liebst das Meer voll Kraft, Dein Spiegel istʼs. In seiner Wellen Mauer, Die hoch sich türmt, wogt deiner Seele Schauer, In dir und ihm der gleiche Abgrund klafft.

Du liebst es, zu versinken in dein Bild, Mit Augʼ und Armen willst du es umfassen,

Der eigʼnen Seele Sturm verrinnen lassen

In seinem Klageschrei, unzähmbar wild.

Ihr beide seid von heimlich finstʼrer Art. Wer taucht, o Mensch, in deine letzten Tiefen, Wer kennt die Perlen, die verborgen schliefen, Die Schätze, die das neidʼsche Meer bewahrt?

Und doch bekämpft ihr euch ohnʼ Unterlass Jahrtausende in mitleidlosem Streiten, Denn ihr liebt Blut und Tod und Grausamkeiten, O wilde Ringer, ewʼger Bruderhass!

Charles Baudelaire, aus der Sammlung „Die Blumen des Bösen“

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Worum geht es in dem Stück?

Wolfgang Berthold: Es gibt zuerst eine äußere Handlung, die noch sehr in der Tradition der Opera seria verhaftet ist, und das in einer Zeit, in der die mit ihrem Deus-ex-machina-Prinzip eigentlich schon passé ist. Das Spannende ist nun zu beobachten, wo in dieser überholten Form Themen verhandelt werden, die viel moderner sind, konkret Ideen der Aufklärung, der dieses Werk ganz stark verpflichtet ist. Die Figuren arbeiten sich an einer behaupteten Göttlichkeit (und auch an einem archaisch-monarchischen System) ab, aus der es sich am Ende zu befreien gilt. Das Auffällige ist, dass alle Figuren in diesem Stück – selbst die Könige – Gefangene sind. Bei Ilia ist das erst einmal klarer, denn sie steht auf der Verliererseite, ist ganz konkret Gefangene. Aber auch Idamante, der auf der Siegerseite steht, ist nicht frei, ist ein Gefangener seiner Rolle, seines übermächtigen Vaters. Dieser wiederum ist ein Gefangener eines Schwurs, den er sich selbst auferlegt hat, letztlich auch wieder ein Gefangener eines Systems und seiner eigenen Prinzipientreue. Auch sind alle Figuren Gefangene ihrer Gefühle, die sie meistens nicht bekennen dürfen.

Stefan Rieckhoff: „Idomeneo“ spielt auf Kreta, einer Insel. Ein Ort also, der Schutz und Geborgenheit bietet, aber auch ausliefert und gefangen hält. Wenn man so will, ein hermetisch abgeschlossener Raum, dem man nur schwer entkommen kann. Wir übersetzen diesen Ort auf die Theaterbühne mit einem großen, fast monumental anmutenden Holzkasten mit übergroßer Maserung, mittig ein großer Tisch und machtvolle Leuchten an den Wänden. Ein politisches Machtzentrum, Konferenzraum, aber auch übergroße Wohnstube, Ausstellungsraum etc. Natur gibt es nur als Gemälde an der Wand, hier ist kein Platz für Emotionen und zwischenmenschliche Konflikte. In diesem Raum also sehen wir beschädigte, traumatisierte Charaktere auf ihrer Seelenreise zwischen Macht und Ohnmacht, Liebe und Hass, Hoffnung und Verzweiflung, Zorn und Güte. Bis auf Idamante, dem diese Mauern eine heile Welt vorgaukeln, die im Laufe der Oper ebenso ins Wanken gerät. Hinzu kommt das eigene, „innere“ Gefängnis aller Figuren, die an diesem Ort gestrandet sind. Und obwohl es ein antiker Stoff ist, handelt es sich bei „Idomeneo“ um ein zeitloses Familiendrama.

„Das Kunstwerk ist eine imaginäre Insel, die rings von Wirklichkeit umbrandet ist.“

José Ortega y Gasset, Philosoph, Soziologe und Essayist (1883 – 1955)

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MIT GMD FLORIAN CSIZMADIA, REGISSEUR WOLFGANG
INTERVIEW
BERTHOLD UND BÜHNEN- UND KOSTÜMBILDNER STEFAN RIECKHOFF

Wolfgang Berthold: Auf der anderen Seite gibt es das Thema des Generationenkonflikts: Die Gefangenschaft hat mit Traditionen, mit Familie, mit Pflichtgefühlen zu tun. Das betrifft Ilia, die sich ihrem toten Vater verpflichtet fühlt, und es betrifft ganz stark die Linie Idomeneo-Idamante – der Vater glaubt, den eigenen Sohn umbringen zu müssen, hat sich wahnhaft dieser Idee verschrieben, und der Sohn versteht die Zurückweisung und Distanzierung des Vaters nicht. Wir überhöhen das noch einmal, indem wir einen hamlethaften Geist von Idomeneos Vater erscheinen lassen, der zeigt, dass hier etwas von Generation zu Generation immer weitergegeben wird in diesem archaischen System. Und die Lösung kann am Ende nur über den aufklärerischen Schritt hinaus aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit im Kant’schen Sinne kommen.

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In welche Partie ist vonseiten Mozarts besonders viel Herzblut eingeflossen? Oder anders gefragt: Welche Figur ist besonders spannend?

Florian Csizmadia: Das kann man bei einem Opernkomponisten, der stets das Ganze im Blick hatte, aus meiner Sicht unmöglich sagen. Ich denke, dass Mozart alle Hauptpartien gleichermaßen wichtig waren und er bestrebt war, jeweils ein möglichst vielseitiges Charakterportrait zu zeichnen. Das verbindet ihn mit Monteverdi, Händel in seinen besten Opern und natürlich Verdi.

Wolfgang Berthold: Wir versuchen auch eine Figur wie Elettra, die in der Anlage des Stücks erst einmal die eher wirkungsdramaturgische Funktion hat, effektvolle Furienarien unterzubringen, psychologisch glaubhaft darzustellen. Ihr wird ja übel mitgespielt, also sind ihre Wut, ihre Verzweiflung, ihre Trauer eigentlich nachvollziehbar. Die Oper weist hier, wie an vielen anderen Stellen, über die Opera seria hinaus, weil die Figurenzeichnung, vor allem auch durch die Musik, ebenso psychologisch ist und die Charaktere vor allem menschlich handeln.

Stefan Rieckhoff: Die Psychologie ist sicher die größte Herausforderung dieser Oper. Es gibt kaum äußere Handlung, gesungen und gerungen wird um innere Konflikte. Das verlangt von uns, Bilder und Vorgänge zu erfinden, die die Seelenreisen auf der Bühne sichtbar machen. Alle Figuren haben großartige Momente, für die es Übersetzungen und Allegorien zu finden gilt. Mozart macht es einem mit seiner Musik leicht.

„In einem Meer von Schmerz ertrinken die einen, die anderen lernen darin schwimmen.“

Kyrilla Spiecker, Künstlerin und Autorin (1916 – 2008)

Wolfgang Berthold: Mozarts Musik ist sehr plastisch in ihren Zäsuren, in ihren Bögen, in ihren Phrasierungen. Ich habe in den Proben immer wieder gestaunt, wie reich und vielfältig die Musik ist, wie wirklich jeder inhaltliche Gedanke musikalisch übersetzt und umgesetzt ist.

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Wie hat sich im Laufe der Zeit deine Sicht auf das Werk verändert?

Florian Csizmadia: Ich habe mich in den vergangenen Jahren verstärkt mit Barockmusik beschäftigt, und das Wissen um die Tradition der barocken Opera seria, rhetorische Figuren, Klangrede, Tonartencharakterisik usw. – Dinge, die bei Mozart ja noch sehr präsent sind – hat sicher meinen Blick auf Mozarts Werke generell sehr verändert.

Worauf liegt dein Fokus im Prozess des Umgangs mit dem musikalischen Material und bei der Einstudierung mit den Sänger*innen sowie mit dem Orchester?

Florian Csizmadia: Mit den Solist*innen muss man genau an musikalischen Verzierungen arbeiten. Dass „Idomeneo“ an der Schwelle vom Spätbarock zur Klassik steht, macht das nicht einfacher, und leider enthält selbst die moderne UrtextAusgabe eine Fülle nicht von Mozart stammender Eintragungen, die stilfremd sind. Auch gibt es das Problem, die Rezitative nicht vom Gesang, sondern von der Textdeklamation zu begreifen – etwas, das für das ganze 18. Jahrhundert sehr wichtig ist, aber heutigen Sänger*innen nicht mehr so sehr liegt.

In der Arbeit mit dem Orchester ist es wichtig, den Charakter jeder einzelnen Nummer klar herauszuarbeiten. Bei einem langen Stück wie „Idomeneo“ ist das eine Menge Arbeit. Zudem ist das Werk einem Orchester nicht so gut bekannt wie „Figaro“ oder „Zauberflöte“. Das hat Vor-, aber auch Nachteile. Der Vorteil ist, dass man mit weniger Vorbelastung zu tun hat und den Satz „Das haben wir schon immer so gespielt“ seltener hört. Der Nachteil ist aber natürlich, dass man auf weniger Hör- und Spielerfahrung bauen kann und viele Dinge von Grund auf erarbeiten muss.

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Hast du eine Lieblingsarie bzw. gibt es eine Stelle in der Oper, die dich besonders berührt/begeistert/fasziniert? Und wenn ja, warum?

Florian Csizmadia: Ich bin mir sicher: Egal, welchen Dirigenten man fragt, wird er das Quartett im 3. Akt nennen. Die Atmosphäre, die Mozart hier mit relativ einfachen musikalischen Mitteln schafft, ist schlichtweg überirdisch. So etwas haben nur die größten Komponisten der Musikgeschichte erreicht.

Stefan Rieckhoff: Die ganze Oper fasziniert mich. Allein Mozarts musikalische Dichtung für Natur – in diesem Falle Wasser – ist eine wundervolle Herausforderung. Wasser als verbindendes Element in allen Bildern. Uns war es wichtig, diese Naturgewalt nie aus den Augen zu verlieren und in unterschiedlichsten Formen im Stück sichtbar zu machen. Sei es als profaner Wasserspender an der Wand, übergroßes Seegemälde, ein Aquarium oder in Kostümteilen, die eindeutig die Nähe zum Wasser aufzeigen. Schließlich ist es Idomeneos Gelübde an Neptun, das ihn zwischen Pflichterfüllung und Vaterliebe wanken lässt.

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Mozart schrieb, dem Zeitgeschmack der Aufklärung geschuldet, ein „lieto fine“, ein Happy End. Wie geht die Geschichte in unserer Inszenierung aus?

Wolfgang Berthold: Wir zeigen am Ende eine scheinbar versöhnliche Lösung, die wir aber mit einem Fragezeichen versehen. Die Überwindung von Tradition, um die es ja geht, ist auch ein zerstörerischer Akt. Was bedeutet es, wenn ich quasi meine Geschichte abschneide? Dann stehe ich eigentlich mit nichts mehr da. Im letzten Bild bleibt das Königspaar allein zurück, das Volk ist weg, das Boot, das einstmals Idomeneo rettend an Land gebracht hat und das wir als einen Teil der Staatsmythologie behaupten, wird am Ende brennen: Es ist nichts mehr wert und hinterlässt die Frage: Was bleibt dann noch? Worauf gründet sich ein Staat, eine Regentschaft, eine Gesellschaft? Erneuerung ist ein permanenter Konflikt mit der Tradition, und das wird in diesem Stück auch auf der formalen Ebene deutlich: Eine alte Form und ein alter Stoff treffen auf einen jungen wilden Komponisten, der kompositorisch wie ideengeschichtlich schon für eine andere Epoche steht, und aus dieser Reibung entsteht dann etwas sehr Spannendes.

Das Interview führte die Dramaturgin Stephanie Langenberg.

„Die Erkenntnis, dass der Konflikt zwischen Vater und Sohn ein archaisches und in jeder Generation neu entstehendes Motiv sei, bedarf nicht der Stützung durch einen Ödipuskomplex. Es handelt sich ganz einfach um einen Machtkampf, der ausbricht, wenn die junge Generation zu Selbstständigkeit herangereift ist, die alte aber die Herrschaft noch in Händen hält und auch noch die Fähigkeit besitzt, sie auszuüben ... Ob die zwangsläufigen Reibungen zum offenen Konflikt führen, hängt von dem Temperament der Beteiligten, dem Sittengesetz und den sozialen Gegebenheiten ab.“

Elisabeth Frenzel, Autorin (1915 – 2014)

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Termine Theater Vorpommern Jetzt Tickets sichern! PREMIERE IN STRALSUND am 16. März 2024
Außerdem im Programm www.theater-vorpommern.de LICHT!: Das (interaktive) Spielzeitheft 2023/24
HERZERLFRESSER EIN GROSSER AUFBRUCH
LEUCHTENDE PUNKT –FREISTIL I
DER
DER
„Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.“

Albert Schweitzer (1875 – 1965)

Herausgeber:

Theater Vorpommern GmbH, Stralsund – Greifswald – Putbus, Spielzeit 2023/24

Geschäftsführung:

André Kretzschmar

Redaktion:

Stephanie Langenberg Gestaltung: giraffentoast Impressum

Literaturnachweise: Die Inhaltsangabe und der Mozart-Text sind Beiträge für dieses Programmheft von Stephanie Langenberg unter der Verwendung u. a. folgender Quellen: Küster, Konrad: Mozart. Eine musikalische Biographie, Stuttgart 1991; Schubart, Christian Daniel: „Deutsche Chronik“, 34. Stück, 27. April 1775, S. 267; Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg (Hg.): Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe. Bd. 3, Kassel etc. S. 10: Gedicht „Der Mensch und das Meer“ (Original „L’homme et la mer“) von Charles Baudelaire, aus der Sammlung „Die Blumen des Bösen“, deutsche Übersetzung von Terese Robinson, 1925. Das Zitat auf S. 16 stammt von Elisabeth Frenzel, aus „Motive der Weltliteratur“, Stuttgart 2008. Das Interview mit GMD Florian Csizmadia, Regisseur Wolfgang Berthold und Bühnen- und Kostümbildner Stefan Rieckhoff führte Stephanie Langenberg und ist ebenfalls ein Beitrag für dieses Heft.

Bildnachweise: Die Inszenierungsfotos in diesem Heft entstanden auf der Klavierhauptprobe am 7.3.24 sowie auf der Orchesterhauptprobe am 13.3.24. © Peter van Heesen.

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