Theaterjournal #7

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Spitzenleistungen.

Als Partner des Ballett Theater Basel freuen wir uns auf Spitzeninszenierungen und wĂźnschen Ihnen viel VergnĂźgen. blkb.ch, 061 925 94 94


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GERECHTIGKEIT

Liebe Leserinnen und Leser Was die meisten von uns aufgeklärten Men­ schen eint, ist die Erkenntnis, dass die Welt nicht gerecht ist. Doch während Kinder enga­ giert oder auch nur laut schreiend intuitiv ge­ gen jede vermeintliche Ungerechtigkeit an­ kämpfen, zucken wir oft nur die Achseln, unsi­ cher, wie wir uns verhalten oder einbringen sol­ len. Zum Auftakt dieser Saison lassen sich die Künstler_innen des Theater Basel auf das grosse Thema «Gerechtigkeit» ein und befragen den Wert unseres Miteinanders.

Adressen und Kontakte: INTENDANT Andreas Beck | VERWALTUNGSDIREKTORIN Danièle Gross | REDAKTION Dramaturgie und Öffentlich­ keitsarbeit, Junges Haus und Betriebsdirektion | GESTAL­ TUNG Perndl+Co | ILLUSTRA­ TIONEN Perndl+Co | FOTONACHWEISE Cover: Perndl+Co, Priska Ketterer S. 6 + 7, Simon Hallström S. 9, Monika Ritters­ haus S. 10, Henry Arnold S. 11, Sandra Then S. 15, Werner Tschan S. 18, Ismael Lorenzo S. 18, Sabrina Hofer S. 19 + S. 26, Fay Fox S. 22, Schwanen­ see von Stijn Celis, Bern 2006 © Philipp Zinniker, Katrin Michaels S. 27 | BILLETTKASSE Telefon +41 (0)61 295 11 33; www.theater-basel.ch | ÖFFNUNGSZEITEN DER BILLETTKASSE Theaterplatz: Mo–Sa, 11–19 Uhr | Die Abend­ kasse öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. | Vorver­ kauf auch über Kulturbüro Rie­ hen, Baselstrasse 43 | Kantons­ bibliothek Baselland Liestal, Emma Herwegh-Platz 4 | Aktu­ elle Spielplaninformationen www.theater-basel.ch – Ände­ rungen vorbehalten | Theater Basel, Postfach, CH-4010 Basel | Grosse Bühne, Kleine Bühne, Nachtcafé/Box: Theaterstrasse 7, 4051 Basel | Schauspielhaus: Steinentorstrasse 7, 4051 Basel Partner des Ballett Theater Basel: Medienpartner: Eine Beilage der bz Basel.

In der Mozartoper «Lucio Silla» erkennt ein Dik­ tator, wie ihn blinde Wut und Liebe fehlgeleitet haben und übt an seinem Volk Wiedergutma­ chung. Tragisch hingegen endet die Titelfigur von Büchners «Woyzeck» in seinem sehnsuchts­ vollen Bestreben, akzeptiertes Mitglied einer gerechten Gesellschaft zu werden. Und auch in der zweiten Schauspielpremiere, «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf, muss der ge­ rechte oder zumindest ausgeglichene Zustand der Dorfgesellschaft wiederhergestellt werden. Mit diesem Journal laden wir Sie wieder ein auf eine Reise hinter die Kulissen, auf die Probe­ bühnen und in die Denkräume unserer Künstler_ innen. Live und in Farbe können Sie dies am 9. September von 10 bis 17 Uhr bei unserem Theaterfest erleben. Dort präsentiert sich das gesamte Theater Basel, von den Werkstätten bis zu den Ensembles – ganz gerecht sozusagen. Ich wünsche Ihnen eine erlebnisreiche Saison 2017/2018. Herzlich, Ihre Claudia Brier

BILLETTKASSE@ theater-basel.ch +41 (0)61 295 11 33


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ÜBERSICHT

September bis November

Das nächste Theaterjournal erscheint am 22. November 2017 9. September

THEATERFEST Führungen, Probenbesuche, Kostümverkauf, Balletttraining, Blick in die Werkstätten, Chorproben zum Mitsingen 10–17 Uhr, Eintritt frei

23. September

Die Nacht kurz vor den Wäldern Von Bernard-Marie Koltès Inszenierung Robin Ormond Premiere Startpunkt Monkey Bar, Klosterberg 6

14. September

LUCIO SILLA Oper von Wolfgang Amadeus Mozart Musikalische Leitung Erik Nielsen Inszenierung Hans Neuenfels PREMIERE GROSSE BÜHNE

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15. September

WOYZECK

24. September Operavenir

MURMELI Musiktheater für Babys bis zu 18 Monaten, ihre Eltern und Grosseltern, Gotten und Göttis Inszenierung Ania Michaelis Musikalisches Konzept & Leitung Christian Zehnder Wiederaufnahme Nachtcafé/ Box OperAvenir mit freundlicher Unterstützung: HEIVISCH, HIAG Immobilien, Julius Bär, Novartis

Schauspiel von Georg Büchner Inszenierung Ulrich Rasche Premiere Schauspielhaus

14 16. September

ALCINA

Oper von Georg Friedrich Händel Musikalische Leitung Andrea Marcon Inszenierung Lydia Steier GROSSE BÜHNE

26. September

LASST UNS REDEN! Diskussionsreihe zur Demokratie Moderation: Daniel Binswanger (Journalist und Redaktor «Tages-Anzeiger» und «Das Magazin») Gäste: Anita Fetz (Ständerätin und Unternehmerin), Margrit Osterloh (Ökonomin und Befürworterin der «Aleatorischen Demokratie») u. a. Foyer Grosse Bühne, 19.30–21 Uhr

27. September

22. September

Die schwarze Spinne Schauspiel nach der Novelle von Jeremias Gotthelf Inszenierung Tilmann Köhler Premiere Kleine Bühne

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OPERAVENIR PORTRÄTKONZERT Das neue Ensemble des Opernstudios stellt sich vor Musikalische Leitung Stephen Delaney Moderation Laura Berman, Stephen Delaney KLEINE BÜHNE OperAvenir mit freundlicher Unterstützung: HEIVISCH, HIAG Immobilien, Julius Bär, Novartis


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ÜBERSICHT

28. September

Die Blume von Hawaii

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21. Oktober

LA TRAVIATA 20

Operette von Paul Abraham Musikalische Leitung Jürg Henneberger Inszenierung Frank Hilbrich Premiere Grosse Bühne

Oper von Giuseppe Verdi Musikalische Leitung Titus Engel Inszenierung Daniel Kramer Premiere Grosse Bühne

22 29. September

26. Oktober

SHECHTER/ ARIAS

Leonce und Lena

Tanzabend mit Stücken von Hofesh Shechter und Bryan Arias Premiere/Uraufführung Schauspielhaus

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Schauspiel nach Georg Büchner Inszenierung Thom Luz Uraufführung Schauspielhaus

6. Oktober

WILHELM TELL

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Oktober bis Februar

KLUB ROTER OKTOBER

Schauspiel von Friedrich Schiller Inszenierung Stefan Bachmann WIEDERAUFNAHME GROSSE BÜHNE

Revolutionsreihe Konzept Katrin Michaels, Constanze Kargl Monkey Bar, Klosterberg 6

8. Oktober

IDOMENEUS

3. November

DER REVISOR 19 ODER: DAS SÜNDENBUCH

Schauspiel von Roland Schimmelpfennig Inszenierung Miloš Lolić Wiederaufnahme KLEINE BÜHNE

Ab 16. Oktober

OPERETTENCOUCH

20

Komödie von Lukas Linder nach Nikolai Gogol Inszenierung Cilli Drexel Uraufführung/Auftragswerk Kleine Bühne

Konzept Pavel B. Jiracek Musikalische Leitung Stephen Delaney Monkey Bar, Klosterberg 6

17. November

19. Oktober

Ballett von Stijn Celis Musikalische Leitung Thomas Herzog Premiere Grosse Bühne

DAS ENDE VON EDDY Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman von Édouard Louis Inszenierung Thiemo Strutzenberger Choreografie Javier Rodriguez Cobos Premiere Foyer Schauspielhaus

SCHWANENSEE

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XXX

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XXX Im Zentrum des Bildes und Händels Oper steht die mächtige Zauberin Alcina: Sie lockt Män­ ner als Liebhaber in ihr Inselreich und verwandelt sie in Tiere, so­ bald sie ihrer überdrüssig gewor­ den ist. Bradamante, links vorn im Bild, hat sich als Mann ver­ kleidet und ist schockiert, ihren Verlobten Ruggiero neben Alcina vorzufinden, der anscheinend vollkommen von ihr verzaubert ist. Ob es ihr gelingt, den Zauber zu lösen?

ALCINA Gerechtigkeit Revolution Exotik


STÜCK LABOR BASEL HAUSAUTOR 2017/2018 Joël László Die diesjährige Haus­ autorenstelle am Theater Basel wurde an Joël László vergeben. Der in Basel lebende Dramatiker und Prosa­ autor Joël László wur­ de 1982 in Zürich gebo­ ren. Er studierte Islam­ wissenschaft und Ge­ schichte und lebte län­ gere Zeit in Kairo. Für das Theater Basel hat er bereits letzte Spiel­ zeit unter dem Titel «Islam. Fantasien» für die Reihe «Paradise Lost» Szenen über das Miteinander der Religi­ onen geschrieben.

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KOLUMNE

Kopf auf dem Schwert Würde mich Voltaires Micromégas oder sonst ein aufgeklärter Ausserir­ discher heute Morgen fragen, ob die Welt gerecht sei, ich würde den Kopf schief legen und antworten: Nein, lei­ der ist sie es nicht. Eher als an Ge­ rechtigkeit, sagte ich weiter, glaube ich an kontinuierlich produzierte Un­ gerechtigkeit. Wenn der aufgeklärte Ausserirdische nun seinerseits den Kopf schief legt und wissen will, wie er sich das vor­ zustellen hat, dann könnte ich einer­ seits sagen: Lieber Freund vom fremden Stern: Fahr in den Kanton Zug. Schau dir alle dort ansässigen internationalen Un­ ternehmen an. Verfolge deren Güterund Warentransporte. Schau dir die Arbeitsbedingungen der Angestellten in nichteuropäischen Ländern an. Prü­ fe ihre juristischen Möglichkeiten. Re­ gistriere Ausbeutung an Mensch und Umwelt. Dann folge dem Geld und wäge Profit und Profiteure, Verlust und Verlierer gegeneinander auf. Oder ich könnte sagen: Kauf dir für Franken 3.50 das Drama «Woyzeck». Georg Büchner schaut dort auf dreissig Seiten in uns Men­ schen hinein. Er will wissen, was es ist, das in uns lügt, mordet, stiehlt. Er erfasst aber auch die Gesellschaft und zeichnet nach, wie diese die Un­ gerechtigkeit in den Menschkörper, in die Seele und den Geist hineinar­ beitet. Dabei ist über Woyzeck zweimal ge­ richtet worden. Das erste Mal 1824, und zwar über die historische Figur, den Menschen mit Vornamen Johann Christoph, geboren zu Leipzig 1780. Er wurde zum Tode verurteilt, weil er seine Geliebte erstochen hatte und starb durch das Schwert. Ein Leipzi­

ger Zeitgenosse hat die Szene in sei­ nem Tagebuch festgehalten: Es ist ein warmer und heiterer Tag im August. Der Delinquent Woyzeck schreitet ru­ hig zum Schafott. Das Halstuch bin­ det er sich selbst ab. Er setzt sich, rückt noch den Stuhl zurecht. Dann schlägt ihm der Scharfrichter so rasch und mit derartiger Kunstfertig­ keit den Kopf ab, dass dieser auf dem breiten Schwert liegen bleibt. Da ist er jetzt also, Woyzecks Kopf. Auf dem zweischneidigen Schwert des Scharfrichters. Mit der einen Sei­ te hat die Gesellschaft dem Mörder den Kopf vom Rumpf abgetrennt und damit Recht und Ordnung wieder her­ gestellt. Büchner aber packt Woyzeck bei den Haaren, setzt Kopf auf Körper und schmeisst ihn zurück ins Leben. Indem er das Drama des niederen preussischen Soldaten erzählt, wen­ det er das Schwert und richtet es ge­ gen die gesellschaftliche Realität, die hinter dem Richtspruch steht. Durch Woyzeck hindurch schreibt Büchner eine Anklageschrift gegen das urteil­ sprechende System. Genau das, sage ich zu Micromégas, gefällt mir an Büchner. Das System gehört auf die Anklagebank. Es mag komplex sein. Aber es ist anklagbar. Es kann erzählt und schuldig gespro­ chen, und damit auch: verändert, grundlegend modifiziert werden. An meinem Küchentisch sitzend, fra­ ge ich mich, wie mich der aufgeklärte Ausserirdische nach diesem Exkurs wohl anblicken würde. Bestimmt setz­ te ich alles daran, ihn bis zur Premiere hierzubehalten. Und organisierte die eine oder andere Exkursion nach Zug und in weitere Ortschaften mit at­ traktivem Steuersatz. Wer weiss: Viel­ leicht, dass er investieren mag? In un­ seren Wirtschafts- und Gerechtig­ keitsstandort Schweiz.


Wilhelm Tell Alpiner Western und Verschwörungs­drama in einem: «Wilhelm Tell» ist die Geschich­ te der Schwörenden auf dem Rütli, die den moralischen und recht­mässigen Unter­ bau für den Umsturz schaffen, um den Weg zur Freiheit der Eid­ genossen zu ebnen. «Wilhelm Tell» mit Bruno Cathomas in der Titelrolle zum vor­ erst einzigen Mal in dieser Spielzeit am 6. Oktober auf der Grossen Bühne

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Lucio Silla

Hans Neuenfels gilt als einer der bedeutends­ ten und zugleich provo­ kantesten Opern- und Theaterregisseure überhaupt. Geboren 1941 in Krefeld, erhielt er seine Schauspielund Regieausbildung am Max Reinhardt Se­ minar in Wien. In Frank­ furt begann er unter der Intendanz von Peter Palitzsch als Schau­ spielregisseur, bevor er sich ab 1974 verstärkt dem Musiktheater zu­ wandte. 2005, 2008 und 2015 wurde er von der Zeit­ schrift «Opernwelt» zum Regisseur des Jah­ res gewählt. Nach 10 Jahren insze­ niert er in dieser Spiel­ zeit wieder am Theater Basel.

Lucio Silla 7. August 2017 Tag 1 Vorspiel Wolkenloser Himmel, Sonne und ein lauer Wind. Ideale Bedingungen. Viel­ leicht auch, um sich in die Arbeit an einer frühen Mozartoper zu stürzen. Nach intensiver Vorbereitung, die ein Jahr zuvor begonnen hat. Erster Tag, nicht nur für uns. Das gan­ ze Haus fällt sich um den Hals und er­ kundigt sich nach zurückliegenden Urlaubserlebnissen. Grosse Staubsau­ ger arbeiten sich geräuschvoll durch die Flure. Das System fährt langsam hoch, im Eingangsbereich hängt noch der Probenplan vom letzten Tag der vergangenen Spielzeit. Auch die Kühl­ schränke in der Kantine wollen noch nicht so recht. Die Studienleiterin ver­ schafft mir Zugang zu den geheimen und abgedunkelten Bereichen der Bi­ bliothek, und ich gelange an die heiss ersehnten neuen Klavierauszüge. Wie­ der im Freien, da trifft Hans Neuenfels mit seinem Mitarbeiter ein. Wir betre­ ten das Theater zu ebener Erde, gehen eine Treppe nach unten und befinden uns im 6. Stock. Auch so eine Beson­ derheit dieses Hauses. In der Kantine erreicht uns die Nachricht, dass der Bühnenbildner Herbert Murauer an ei­ ner Treppe gestürzt ist und erst in ein oder zwei Tagen nach Basel reisen kann. Wir wünschen gute Besserung und nehmen den Fahrstuhl zur Probe­ bühne, hinab in den 2. Stock. Um den Flügel versammelt steht die gesamte musikalische Abteilung. Wir begrüs­ sen Erik Nielsen, den Dirigenten. Introduktion Es ist kurz nach 11 Uhr. Andreas Beck drückt seine grosse Freude darüber aus, Hans Neuenfels nach 10 Jahren und zum ersten Mal in seiner Inten­ danz als Regisseur in Basel begrüssen zu können. Die Wahl war nach intensi­

ver Diskussion auf «Lucio Silla», die frühe Mozartoper gefallen, und man war nur zu gern dem Wunsch von Neuenfels gefolgt. Kern der Oper ist ein Diktator, der nach harter Ausein­ andersetzung auf alle Macht verzich­ tet. Beck betont, wie wichtig es ihm ist, mit diesem Thema angesichts des Zustands unserer Welt gleich zu Be­ ginn der Spielzeit ein Zeichen zu set­ zen. Dann entschuldigt er den Chor, dem noch eine weitere Woche Urlaub vergönnt ist, wünscht uns eine «gute Reise» und verabschiedet sich in das «Menschen Feind»-Gastspiel nach Ve­ nedig. Operndirektorin Laura Berman übernimmt. Sie stellt das gesamte En­ semble vor, beginnend mit den sechs Solist_innen des Abends, die allesamt zum ersten Mal in Basel auftreten werden. Exposition Hans Neuenfels entwickelt seine Sicht auf das Stück und auf Mozart. Sein siebter Mozart, flicht er ein, begonnen hat es vor 20 Jahren mit der «Entfüh­ rung» in Stuttgart. Er greift den Ge­ danken von Andreas Beck auf. Auch sein Interesse hat sich an dem radika­ len Umschwung des Diktators entzün­ det. Was aber für ihn nicht heissen kann, Silla mit den Machthabern un­ serer Zeit gleichzusetzen. So sehr wir uns auch wünschen würden, die Erdo­ gans, Trumps und wie sie alle heissen würden gleich dem Diktator unserer Oper auf die Macht verzichten – was sie nach menschlichem Ermessen aber nicht tun werden. Diese schein­ baren Aktualisierungen sind seine Sa­ che nicht, lebendige Auseinanderset­ zung sucht er nicht im blossen Aus­ tausch. Eine Kutsche durch einen Por­ sche zu ersetzen: Damit ist man noch lange nicht in der modernen Oper, sagt er. Überhaupt das Politische: Das Gesellschaftliche hat Mozart nicht


Lucio Silla

«Lucio Silla» Dramma per musica von Wolfgang Amadeus Mozart Libretto von Giovanni de Gamerra In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Premiere 14. September, Grosse Bühne MUSIKALISCHE LEITUNG Erik Nielsen INSZENIERUNG Hans Neuenfels BÜHNE Herbert Murauer KOSTÜME Andrea Schmidt-Futterer LICHT Stefan Bolliger DRAMATURGIE Henry Arnold CHOR Michael Clark MIT Jussi Myllys (Lucio Silla), Hila Fahima (Giunia), Kristina Stanek (Cecilio), Hailey Clark (Lucio Cinna), Sarah Brady (Celia), Matthew Swensen (Aufidio) Chor des Theater Basel Es spielt das Sinfonie­ orchester Basel. Presenting Sponsor: Stiftung zur Förderung der Basler Theater

interessiert, auch nicht Religion oder Kirche. Die zwei alles beherrschenden Themen bei Mozart sind: Liebe und Tod. Der Mensch in seiner grundsätz­ lich sinnlosen Existenz. Und so ist Mo­ zart auch nie moralisch. Die Frage von Gut und Böse: Eine Daseinsfrage, kei­ ne gesellschaftliche. Zwischen diesen Polen der Existenz – Liebe und Tod – ist Mozart verdammt schnell. Alles ist immer mehr, als es im ersten Moment erscheint. Nichts ist (nur) eins. Seine Figuren sind jäh, sprunghaft, voller Brüche und Widersprüche. Unmittel­ bar und voller Energie, durch nichts Gesellschaftliches verwässert. Ein we­ nig so, wie Kinder noch sind. So hat er seine Figuren komponiert. Auch dies in höchster Geschwindigkeit: Allein, wie er Noten schrieb, ist kaum nach­ vollziehbar. Nicht in der Erfindung, und auch nicht in der blossen physika­ lischen Zeit. Diesen Grundgedanken folgend, für die Mozart erst später die ihm gemäs­ se Form gefunden hat, haben wir für «Lucio Silla» eine eigene Fassung er­ arbeitet. Die Opera seria verlangt zu strenge formale Vorgaben und er­ zwungene Wiederholungen. Der 16-jährige Mozart konnte sich hier nur vereinzelte Grenzüberschreitungen erlauben. An Mozarts spätem Rück­ griff auf diese Form der Oper, der 1791 entstandenen «La clemenza di Tito», konnten wir uns dabei teilweise orien­ tieren, wie Erik Nielsen ergänzt. Das Bühnenbild, das Hans Neuenfels anschliessend erläutert, zeigt unter­ schiedliche Orte, die aber nie voll­

ständig ausgeführt sind, sondern im Skizzenhaften verbleiben und so die schnellen Wechsel der Zustände er­ möglichen. Das Gleiche gilt auch für die Erfindungen der Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer. Pause Cola in der Sonne. Ein kurzes Ge­ spräch mit den beiden Darstellern un­ serer zusätzlich in die Oper eingeführ­ ten surrealen Figuren, die durch das Stück schiessen und die Ebenen mitei­ nander verknüpfen. Durchführung: Die erste Probe Rezitativ und Arie: Der Diktator, seine Schwester Celia und sein Adlatus Aufidio. Erste Gehversuche, alle tas­ ten sich vorsichtig heran. Hans Neu­ enfels schafft sofort ein Klima höchs­ ter emotionaler Dichte, und allen wird klar: Hier gibt es kein Geplänkel, hier geht es unmittelbar zur Sache. Die Reise beginnt. Text: Henry Arnold

LUCIO SILLA Gerechtigkeit Revolution Theaterblut


Klub Roter Oktober

100 Jahre Oktoberrevolution

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Im Namen der Gerechtigkeit stürzten die kommunistischen Bolschewiki den Zaren und wollten nichts weniger als ein neues Leben und einen neuen Menschen erfinden: Gleichheit und Freiheit für alle! Und zwar weltweit! Während die Bewegung damals europaweit für Furore sorgte und selbst die Schweiz 1918 für kurze Zeit am Rande des Bürgerkriegs stand, erscheinen ihre Utopien heute als blutiger Irrtum der Geschichte. Oder etwa doch nicht? Wir nehmen den 100. Jahrestag zum Anlass für eine Neubesichtigung: Die Monkey Bar am Klosterberg 6 wird zum KLUB ROTER OKTOBER. In Theaterstücken, Lesungen und Konzerten fragen Künstler_innen, was uns in einer Gegenwart, in der nicht nur in Russland Extremismen wieder erstarken, von den Idealen und Irrtümern der Oktoberrevolution bleibt.

Klub Roter Oktober Gerechtigkeit Revolution Wodka


Klub Roter Oktober

HIER SPRICHT LENIN von Iwan Wyrypajew FR 13. Oktober, 21 Uhr Im Auftrag des Theater Basel denkt der russische Drama­ tiker Iwan Wyrypajew über Lenins Erbe nach: Ein Kellner und eine Kellnerin werden von dem Revolutionär und Mastermind der Bolschewiki in die Gegenwart gesandt, um seine Botschaften aus dem Jenseits zu übermitteln. Szenische Einrichtung: Nora Schlocker MIT Urs Peter Halter, Nicola Kirsch

Konzert: Bajanski Bal SA 14. Oktober, 21 Uhr Die Basler Band Bajanski Bal bringt mit ihrer Mischung aus Ethnopop, Folkrock und Gipsy-Jazz, Russki-Romance, Ukrainski-Speedfolk, Polski-Punk, Klezmerski-Groove und Filmmusik Sowjetsound in den Klub Roter Oktober.

Völker, hört den Tango! MI 25. Oktober, 21 Uhr Sinnlich, leidenschaftlich und immer ein wenig zweideu­ tig – das ist Tango Argentino. Auch in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution war er einer der beliebtes­ ten Tänze, der anders als der Kommunismus die Interna­ tionale verwirklicht hat und heute auf der ganzen Welt zuhause ist. Durch die Welten und Zeiten des Tangos führt dieser Abend mit Musik, Gesang und … Tanz. MIT Iryna Krasnovska (Klavier, Tanz), Svetlana Korneeva (Gesang), Daniel Golossov (Gesang, Tanz)

LESEZIMMER: GORKI UND BUNIN 27. Oktober, 21 Uhr Gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Grob vom Slavischen Seminar der Uni Basel gehen wir im Lesezimmer mit den Werken literarischer Zeitzeugen den verwirrten Revolutionsjahren auf die Spur: In der ersten Folge dem Lenin-Vertrauten Maxim Gorki und dem späteren Nobelpreisträger Iwan Bunin, deren langjährige Freundschaft über die Politik zerbrach.

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Woyzeck

An einem lauen Abend nach der ersten Probenwoche trafen sich die Regisseure Thom Luz und Ulrich Rasche am Rheinufer und sprachen mit Dramaturgin Katrin Michaels über den Autor, mit dem sie sich gerade beide beschäftigen: Georg Büchner. «Woyzeck» am 15. September und «Leonce und Lena» am 26. Oktober sind die ersten beiden Premieren im Schauspielhaus.

Das seltsame Geschenk des Daseins Warum soll man Büchners Stücke inszenieren? Thom Luz → Büchner stellt die gleiche Frage in seinen Stücken: Warum soll man irgendetwas tun? Und er liefert, glaube ich, auch die Antwort darauf selbst. Es ist schön, sich in diesem Kosmos aufzuhalten, weil es eine ad­ äquate Antwort auf das seltsame Ge­ schenk des Daseins ist … Ulrich Rasche → … überhaupt etwas zu tun. Aber Büchner sagt auch, dass es sich überhaupt nicht lohnt, etwas zu tun, weil sich alles in einem ewigen Kreislauf aufhält: Dass wir unter ei­ nem Schicksalsbegriff leben müssen, dem wir nicht entkommen. Das mag ich an Büchner: Dass er eine traurige Einsicht in das Weltgeschehen, in das Leben an sich, ausspricht, die mir ganz nah ist. Wie er beschreibt, dass der Mensch nicht die Möglichkeit hat, etwas zu verändern. Wie in einem Ma­ rionettentheater werden wir an Fäden von unsichtbaren Händen auf die Erde herabgelassen und wieder genom­ men. Man lässt uns auf die Erde nie­ der, die sich unter unseren Füssen

bewegt, deren Lauf wir aber nicht be­ einflussen können. Ich baue immer grosse Maschinen, sich bewegende Walzen und Räder auf die Bühne, de­ nen die Schauspieler_innen ausge­ setzt sind. Büchner ist dafür der ad­ äquate Partner, er versteht, warum diese Menschen auf diesen Laufrädern marschieren müssen und niemals vor­ wärtskommen. Luz → Ich hätte dasselbe auch nicht schöner sagen können. Rasche → Ich hätte mir gewünscht, dass du genau das Gegenteil sagst. Du inszenierst nämlich «Leonce und Lena» und ich inszeniere «Woyzeck», und das sind genau die beiden Stücke desselben Autors, die uns voneinan­ der unterscheiden und uns vielleicht auch zusammenbringen. Leonce und Lena haben viel mehr Humor, haben viel mehr Leichtigkeit, mit dieser Schicksalshaftigkeit umzugehen, während Woyzeck daran zugrunde geht. In deinen Inszenierungen sehe ich bei aller Melancholie und Exis­ tenzangst, dass du viel poetischer, optimistischer auf die Welt blickst als


Leonce und Lena

ich, der ich mich an schwerer Mecha­ nik abarbeiten muss, damit ich ir­ gendetwas spüre. Thom, kannst du diesen Optimismus teilen? Luz → Ich glaube, es ist immer leicht verfänglich, von Trost zu sprechen, aber ich lese bei Büchner auch den Vorschlag eines seltsamen, untragba­ ren Auswegs aus dem Räderwerk un­ serer Existenz. Darin sehe ich auch eine Aufgabe der Theaterkunst: Neben dem Auftrag, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und den Finger in die Wunde zu legen, geht es auch da­ rum, Trost zu erzeugen durch die Her­ stellung seltsamer Pracht auf der Büh­ ne. Das suche ich in vielen bis allen meinen Stücken, und auch dafür ist Büchner ein starker Partner. Man wird nicht nur mit dem Kopf darauf gestos­ sen, was alles schrecklich ist, sondern es gibt auch einen seltsamen Ausweg. In «Leonce und Lena» wird dann oft vom «Narrenhaus», also dem Irren­ haus gesprochen und der Freiheit, die dort irgendwie herrscht – im Absur­ den. Büchner ist ein Autor, der uns wieder einmal darauf aufmerksam macht, dass es hinter der sichtbaren Welt zweite, dritte, vierte, fünfte, sechste, siebte, achte usw. Welten gibt, die diese erste nicht nur in Gang halten, sondern überhaupt erst erzeu­ gen. Ich glaube, dass man mit seinen Texten anders umgehen, sie mit ande­ ren Techniken greifen muss als viele andere Theatertexte.

«Leonce und Lena» Schauspiel nach Georg Büchner Uraufführung Musikalische Leitung Mathias Weibel Inszenierung und Bühne Thom Luz Kostüme und Licht Tina Bleuler Mit Carina Braunschmidt, Annalisa Derossi, Elias Eilinghoff, Martin Hug, Daniele Pintaudi, Lisa Stiegler

Rasche → Bei Büchner entdecke ich, dass die Sprache eine andere Dauer braucht im Aussprechen. Luz → Das meine ich. Im Theater geht es immer darum, was hinter dem steht, was gesprochen wird, aber bei Büchner ist das extrem. Es geht um die unsichtbare Welt. Mich ziehen sol­ che Autoren an – ich finde das auch bei Robert Walser. Wenn ich diese Tex­ te lese, tun sich Löcher auf, durch die ich in eine andere Welt blicken kann, die mit meiner verwandt ist, aber wei­ ter führt.

Leonce und Lena Gerechtigkeit Revolution Pianist_innen

Viele von Büchners Figuren misstrau­ en ihrer Wahrnehmung der Welt. In «Dantons Tod» fürchtet eine Figur, in Pfützen durch die Erdkruste zu brechen, Woyzeck hört Stimmen unter

15 dem Boden. Die Königsfamilie in «Le­ once und Lena» kann es sich leisten, über diese Verwirrung zu staunen – wie gehen die Figuren in «Woyzeck» mit dem Zweifel um? Rasche → Manchmal denke ich, dass man «Woyzeck» durch die Brille von «Leonce und Lena» anschauen muss. Dann entdeckt man, dass die Figur Woyzeck gar nicht so traurig ist, wie man das vielleicht schon oft gesehen hat, sondern dass in ihm eine unglaub­ liche Hingabe an seine Frau Marie und an sein Kind besteht. Diese Sicherheit gibt ihm Grund zu leben, und er leidet unter den Umständen seines Lebens nicht, solange ihm diese beiden Para­ meter nicht abhandenkommen. Er ist ein ganz zufriedener Mensch, der sieht, in welchen Verhältnissen er lebt und damit glücklich sein kann, obwohl alle sozialen Faktoren eigentlich das Gegenteil sagen. Er wird erst unglück­ lich, als ihm das Fundament seines Le­ bens entzogen wird. Die Prozesse, durch die das passiert, versuche ich in meiner Inszenierung zu zeigen, aber es ist schön, Woyzeck erst einmal in einem hellen Licht zu sehen, in seiner Stärke, seiner Grösse und seiner Lie­ besfähigkeit. Und ich habe mit dem Schauspieler Nicola Mastroberardino jemanden, der genau diesen Ansatz in dieser scheinbar traurig determinier­ ten Umwelt fabelhaft darstellen kann. Woyzeck stellt keine Forderungen. Rasche → Das Problem ist, dass seine Frau Marie anders ist als Woyzeck: Sie ist eine starke Frau, weil sie sich ihre Bedürfnisse nicht abbindet, nicht be­ schneidet, sondern trotz ihrer Situati­ on als armer Mensch sagt, dass sie genauso viel wert ist wie die anderen, die privilegiert sind und die denken, dass sie etwas bestimmen können, das sie selbst nicht kann. Ich glaube, Büchner würde sagen, dass die Revo­ lution nur über den armen Menschen – später würde man sagen über den Proletarier – noch passieren kann. Und ich glaube, dass Marie, weil sie die Verhältnisse, in denen sie lebt, nicht akzeptiert und bestimmte Bezie­ hungen auflöst – vielleicht auch die zu Woyzeck – revolutionäres Kapital in sich trägt: Die Frau, die einfach nur le­ ben will! Und sie rückt immer mehr in den Fokus, wenn ich «Woyzeck» lese. Jemand hat mal gesagt, dass das


«Woyzeck» Schauspiel von Georg Büchner INSZENIERUNG & BÜHNE Ulrich Rasche BÜHNENBILDMIT­ ARBEIT Sabine Mäder KOSTÜME Sara Schwartz MUSIK Monika Roscher SOUNDDESIGN Alexander Maschke LICHT Cornelius Hunziker CHORLEITUNG Toni Jessen MIT Franziska Hackl, Barbara Horvath, Toni Jessen, Florian von Manteuffel, Nicola Mastroberardino, Justus Pfankuch, Max Rothbart, Thiemo Strutzenberger, Michael Wächter MUSIKER Alexander Maschke, Sebastian Hirsig, Katelyn King/ Nicolas Wolf, Lucas Rössner/ Gordon Fantini, Theo Evers Mit freundlicher Unterstützung des Theaterverein Basel

WOYZECK/LEONCE UND LENA

Stück eigentlich «Woyzeck und Ma­ rie» heissen müsste, und das finde ich auch.

ner Sprache, aber auch an ihren Kör­ pern, an der Physis ab, wenn ich das richtig verstehe?

Luz → Wir misstrauen bei den Proben gerade auch sehr stark dem, was der Mann sagt, und wir verschieben die Texte dahingehend. Ich weiss nicht, ob wir von der Gesellschaft gerade so er­ zogen werden, dass man der männli­ chen Perspektive misstraut, aber mir ist das ein Anliegen.

Rasche → Die arbeiten sich nicht an den Körpern ab, sondern an der Bewe­ gung. Sie sind auf eine Scheibe ge­ setzt – die Welt ist eine Scheibe und keine Kugel – und dort sind sie ge­ zwungen, sich zu bewegen. Wenn sie sich nicht bewegen, fallen sie von der Scheibe herunter. Den Rhythmus und die Musikalität bei Büchner würde ich auch immer unterstreichen, und das ist für meine Art zu inszenieren auch ganz wichtig. Wenn man sich diese Bewegung einverleibt, dann kann man aus ihr eine grosse Kraft gewinnen, dann kann man mit ihr leben und zu grosser Lust und Freiheit gelangen. Wenn man sich dieser Vorgabe nicht fügen will, dann macht es Mühe, dann tun die Füsse weh und schmerzen die Muskeln. Das finde ich an diesem Sys­ tem des Laufens auf Apparaten oder Maschinen schön: Sie erzählen mir et­ was darüber, wie ich mich heute und wie ich mich morgen fühle. Weil wir vielleicht doch in eine Systematik ein­ gesponnen sind, die wir nicht kennen, und wir manchmal glücklicher sind, wenn wir uns ihr überlassen, als wenn wir ihr mit Widerstand begegnen oder wenn wir Dinge nicht akzeptieren, die in unserem Leben auf uns zugekom­ men sind – und die sich uns scheinbar als Unglück erweisen, wo sich dann aber vielleicht im Nachhinein heraus­ stellt, dass sie uns etwas gezeigt ha­ ben, was uns später befähigt hat, an­ ders mit dem Leben umgehen zu kön­ nen als vorher.

Gibt es für dich grosse Diskrepanzen zwischen unserer heutigen Welt und der Büchners? Luz → Wenn ich die Texte lese, liegt da null Staub drüber, den man irgend­ wie wegblasen muss. Es braucht nur sehr wenige Kunstgriffe, um sie in die Gegenwart oder in unser heutiges Empfinden zu transportieren. Es geht für mich um andere Dinge als die Situ­ ationen, die man im Theater so oft lö­ sen muss: Jetzt ist eine Figur traurig, jetzt lösen zwei ein Problem, jetzt wird eine Geschichte verhandelt, oder jemand hat eine Waffe mitgebracht. Die Sprache greift auf andere Be­ wusstseinsebenen zu, es ist eine Sphärenerweiterungssprache. Büch­ ner ist wie ein Zeitreisender, der zu mir spricht. Er könnte auch in der Zu­ kunft gelebt haben, glaube ich. Rasche → Welche deiner vielen Sphä­ renerweiterungstechniken benutzt du da?

Woyzeck Gerechtigkeit Revolution Fatalismus

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Luz → Erstmal verstehe ich die Texte musikalisch, es geht um Spiegelun­ gen, um Reihen. Die Fuge, Rhythmus, Harmonie, Akkord, Kontrapunkt: Das sind – nicht unbedingt offensichtliche – musikalische Parameter, die ich be­ nutze, wenn die Dinge oder ein Text ihre wahre Natur offenbaren sollen. Man soll das nicht mit dem Kopf ver­ stehen, sondern mit dem ganzen Kör­ per. Das gilt im Theater immer, aber für mich ist es eine neue Erfahrung, dass man einen Autor mit an Bord hat, dem man diese Verbindlichkeit und Zuwendung entgegenbringt, und ich mir nicht herausnehme, dem ins Hand­ werk zu pfuschen, sondern mit ihm partnerschaftlich umgehe – harmonie­ süchtig wie ich bin. Ich streite noch nicht einmal mit toten Autoren … Und bei dir sind die Leute eingespannt in eine Maschine und arbeiten sich an ei­

Luz → Es ist dann am Schluss die Er­ kenntnis, dass alles doch Sinn macht, eben weil es keinen Sinn macht. Das nehme ich bei Büchner mit. Aber das, was du über die Bewegung gesagt hast, stimmt auch. Aber das Absurde ist eben doch irgendwie das Erhabe­ ne. Ich finde, die erhabensten Momen­ te, die es gibt auf der Welt – in meiner bescheidenen Erfahrung – sind die ab­ surden Momente. Rasche → Deswegen musst du auch nach Büchner Beckett inszenieren. Das ist jetzt leider mein Auftrag, und daran gibt es auch nichts zu rütteln. Luz → Ich nehme das dankend entge­ gen. Ich hab das auf der Liste.


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Junges Haus

Theaterfest – Finde den richtigen Weg Gewinne eine private Schnitzeljagd nur für dich, deine Familie, Freunde oder Schulklasse durch das ganze Theater! Es ist Theaterfest und Noah möchte so einiges entdecken, bevor er wieder nach Hause geht: Einen Pinsel, ein Klavier, ein Ballett-Tutu, die Perücken in der Maske und eine Säge. Fahre die Linien entlang und suche mit Noah den Weg durch das Theater. Sammle die Gegenstände auf dem Weg ein. Wenn ihr in der richtigen Reihenfolge gelaufen seid, erhaltet ihr das Lösungswort. Gib den ausgefüllten Coupon mit dem Lösungswort, deinem Namen und einer Telefonnummer bis 24. September an der Billettkasse des Theater Basel ab. Viel Glück!

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Lösungswort: Name: Telefon:

Kinderrätsel


«Shechter/Arias» Tanzabend mit Stücken von Hofesh Shechter und Bryan Arias Premiere 29. September Schauspielhaus «The Fools» Uraufführung Bern 2008, Überarbeitung New York 2010 CHOREOGRAFIE, BÜHNE & KOSTÜME Hofesh Shechter MUSIK Hofesh Shechter, Giuseppe Domenico Scarlatti, Sergio Mendes LICHT Jim French, Hofesh Shechter EINSTUDIERUNG Chieng-Ming Chang, Bruno Guillore

DER KÖRPER ALS PROJEKTIONSFLÄCHE

Hofesh Shechter und Bryan Arias – zwei zeitgenössische Tanzpositionen, die unterschiedlicher nicht sein könnten «This is everything» Uraufführung CHOREOGRAFIE & BÜHNE Bryan Arias MUSIK Bryan Arias, Tim Hecker, Nicholas Britell, Oren Ambarchi, The Gentlemen Losers, DJ Shadow KOSTÜME Carlijn Petermeijer LICHT Jordan Tuinman Es tanzt das Ballett Theater Basel. Partner des Ballett Theater Basel:

Shechter / Arias Gerechtigkeit Revolution Energie

Bereits zum zweiten Mal tanzt das Ballett Theater Basel ein Stück von Hofesh Shechter. Energisch, kraftvoll und laut ist uns «Violet Kid» im Ge­ dächtnis haften geblieben. Das Stück wurde im Rahmen des Abends mit dem Titel «Object Present» im Schau­ spielhaus im Mai 2016 gezeigt. Auch sein Stück «The Fools», das er nun mit dem Basler Ballettensemble einstu­ diert hat, weist diese Qualitäten auf. Selten wie nie geht es leise zu in sei­ nen Stücken. Und wenn die Musik, die oftmals laut bis an die Schmerzgrenze ertönt, endet, dann abrupt und plötz­ lich – als wäre der Moment im Schock eingefroren. Shechters Stücke zeigen uns Menschen in persönlicher Ver­ zweiflung und mit einem tief sitzen­ den unbestimmten Schmerz, der in fast schon rituell anmutender Bewe­

gung seinen Ausdruck sucht. Der Choreograf zeigt uns die Körper als Projektionsflächen kultureller Befind­ lichkeiten. Dabei scheut er nicht zu­ rück, den Finger tief in die Wunden unserer Gesellschaft zu legen. Der energetische Gegenpol zu Hofesh Shechters Choreografie ist «this is everything» von Bryan Arias. Der jun­ ge Amerikaner hat für das Ballett The­ ater Basel ein Stück choreografiert, das aufrichtige Intimität transpor­ tiert. Der Choreograf sucht darin die raren Momente, in denen wir ganz wir selbst sind. Plastisch und spielerisch lotet Arias darin Ängste und Wün­ sche, Vergangenheit und Zukunft auf poetisch-tänzerische Art aus. Text: Bettina Fischer


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Der Revisor oder: Das Sündenbuch

Mit Lukas Linder durch Basel

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Um die Wartezeit bis zur Uraufführung von «Der Revisor oder: Das Sündenbuch» am 3. November 2017 zu verkür­ zen, nimmt uns der Dramatiker Lukas Linder auf einen ungewöhnlichen Spaziergang mit. Der Wahlbasler zeigt zwei Orte, die ihn beim Schreiben seines neuen Stückes – einer Neubearbeitung des Komödienklassikers «Der Revisor» des russischen Schriftstellers Nikolai Gogol – inspiriert haben. Orte in Basel, an denen Sie womöglich noch nie gewesen sind... 1. Nein, Lukas Linder befindet sich hier nicht am Bühnenein­ gang des Theater Basel, sondern hinter dem Einkaufszent­ rum Stücki auf der Neuhauserstrasse nahe der deutschen Grenze. Am äussersten Zipfel der Stadt in Kleinhüningen liegt das wohl ruhigste Naherholungsgebiet, das vom Mas­ sentourismus bis jetzt noch verschont geblieben ist. 2. Der reizüberflutete Grossstadtmensch kann hier seinen Blick über fünf gedeckte Speicherbecken bis zum Hori­ zont schweifen lassen und sich von der Gemächlichkeit der vorbeiziehenden Wolken inspirieren lassen. Als beson­ ders wirksame Entspannungsübung empfiehlt der Autor: «Beide Augen zukneifen, damit verengt sich die Perspekti­ ve und die Welt wirkt auf einmal sehr viel kleiner und übersichtlicher.»

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3. Der eigentliche Höhepunkt dieses Spaziergangs ist die Kläranlage ARA an der Grenzstasse 15. Hier wird pro Tag die beeindruckende Abwassermenge von rund 82 000 Ku­ bikmetern gereinigt. Man stelle sich das einmal vor: Das entspricht rund 30 Millionen Kubikmetern pro Jahr und ei­ nem Volumen, als wäre die ganze Fläche des Kantons Ba­ sel-Stadt von 0.85 Metern Wasser bedeckt. In der «Schlamm­halle» wird der letzte Dreck aus dem Wasser ge­ waschen, bis alles wieder tipptopp sauber ist. So hat es unser Autor gern! Führungen durch die gesamte Anlage (Dauer 1,5 Stunden) können auf der ARA-Website gebucht werden.

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4. Im Restaurant «Safran Zunft» (Gerbergasse 11) kehrt der Dramatiker nur an ganz speziellen Tagen ein, dann näm­ lich, wenn als Mittagsmenü «Häxe Spiessli mit Kartoffel Salat» angeboten wird. Ein kräftiger Espresso rundet das bodenständige Mahl ab. Am liebsten setzt er sich an den hintersten Tisch, allerdings mit dem Rücken zum Eingang. Auf diese Weise kann er den Gesprächen der anderen Gäs­ te lauschen – möglichst unauffällig, versteht sich! Gemäss Feng-Shui-Lehre ist das allerdings keine günstige Position, denn man kann seine Feinde, die sich von hinten anschlei­ chen, nicht erkennen. Dies scheint den Dramatiker nicht weiter zu beunruhigen, kühn meint er: «Als Dramatiker hat man doch keine Feinde, oder?» 5. Das Herzstück der «Safran Zunft» ist der prachtvolle Zunftsaal im ersten Stock des Restaurants. Dieser Ort ist jenem Gasthaussaal, an dem sich die Figuren in seiner Ko­ mödie die Bäuche vollschlagen, verblüffend ähnlich. «Viel­ leicht hat meine Komödie doch mehr mit dieser Stadt zu tun, als ich es ursprünglich geplant habe», stellt er nach­ denklich fest. Wir werden es bald wissen, denn ab Novem­ ber ist sein neuster Streich am Theater Basel in der Regie von Cilli Drexel zu sehen. Text: Sabrina Hofer

Der Revisor oder: Das Sündenbuch Gerechtigkeit Revolution Humor

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Operettentradition in Basel

Die Operette in Basel

Neu: Die Operettencouch

Die Operette blickt in Basel auf eine lange Tradition zurück. Mitten in der Steinenvorstadt – dort, wo heute ein Kino mit mehreren Sälen sein Publi­ kum lockt – befand sich einst ein le­ gendäres Varietétheater, in dem ab 1912 Varietéaufführungen, Revuen und vor allen Dingen glanzvolle Ope­ retten dargeboten wurden. Erbauen lassen hatte das Theater Karl Küch­ lin, damals in Basel liebevoll auch «Papa Küchlin» genannt – ein aus Lörrach stammender Unternehmer und Theaterdirektor. Namhafte Stars gastierten im «Küchlin», wie etwa Maurice Chevalier oder Josephine Baker, die später schrieb: «J’ai deux amours en Suisse, c’est Bâle et son Küchlintheater.»

Am Theater Basel steht die Ope­ rette in dieser Spielzeit gleich mehrfach auf dem Programm – mit «Die Blume von Hawaii» von Paul Abraham sowie der «Operet­ tencouch», einer Veranstaltungs­ reihe, bei der jeden Monat eine in Vergessenheit geratene Operette in lockerer Baratmosphäre vorge­ stellt wird. Die Reihe wird eröffnet mit «Ball im Savoy» von Paul Abraham am 16.10. um 20 Uhr in der Monkey Bar, Klosterberg 6. Operette sich, wer kann!

Zwar waren und blieben die bedeu­ tendsten Zentren der Operette Paris, Wien, Budapest und Berlin, aber auch in der Schweiz erlebte die Gattung eine Blütezeit, insbesondere ab den 1930er-Jahren. Dafür waren nicht nur die zahlreichen aus Nazideutschland in die Schweiz geflüchteten Operet­ tenschaffenden verantwortlich, son­ dern auch Schweizer Komponisten wie Paul Burkhard, der mit Werken wie «Hopsa» oder «Der Schwarze Hecht» grosse Erfolge feierte. Ab den 1950er-Jahren erlebte die Gattung Operette einen schleichen­ den Niedergang. Auch wenn die Operette einige Jahrzehnte lang oft als nicht zeitgemäss galt, ging die Beschäftigung mit der Gattung wei­ ter – auch am Theater Basel. Regis­ seure wie Herbert Wernicke oder Christoph Marthaler schufen hier ex­ emplarische Inszenierungen, die das Subversive in der Operette suchten und die Gattung liebevoll aufs Korn nahmen. Text: Pavel B. Jiracek

Die ersten Termine der OperettenCouch: Mo 16. Oktober «Ball im Savoy» (1932) von Paul Abraham Mo 13. November «Die Herzogin von Chicago» (1928) von Emmerich Kálmán


«Die Blume von Hawaii» Operette in drei Akten von Paul Abraham Libretto von Emmerich Földes, Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda Premiere 28. September Grosse Bühne MUSIKALISCHE LEITUNG Jürg Henneberger INSZENIERUNG Frank Hilbrich MUSIKALISCHE ASSISTENZ, LEITUNG CHOR Oliver Rudin BÜHNE Volker Thiele KOSTÜME Gabriele Rupprecht CHOREOGRAFIE Kinsun Chan MIT Andrea Bettini, EIias Eilinghoff, Mario Fuchs, Vincent Glander, Pia Händler, Florian Jahr, Katja Jung, Thomas Reisinger, Leonie Merlin Young und Jürg Henneberger / Oliver Rudin sowie Alejandro Benavides Ureña, Tarik Benchek­ moumou, Adrian Borter, Diana Chavarro, Thomas Hardegger, Sebastian Knüsli, Francisca Näf, Alexandra Mira Puertas, Daniel Rafflaub, Julia Schild, Anne Maria Rafflaub, Donovan Elliot Smith, Sylvia «Sylphe» Heckendorn, Aya Tsujimoto, Angelika Wied Es spielt das Ensemble Phoenix Basel.

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Die Blume von Hawaii

DIE SEHNSUCHT NACH DEM EWIGEN FRÜHLING Der nicht enden wollende Frühling, Tonnen von Kokosnüssen, Blüten wo­ hin man sieht und dazu immerzu süs­ se bis schmissige Melodien im Ohr – in dieses «Paradies am Meeres­ strand» träumen sich die Figuren von Paul Abrahams Revueoperette «Die Blume von Hawaii», die anlässlich ih­ rer Premiere 1931 in Leipzig frenetisch gefeiert wurde. Der Komponist dieses Werks, bekannt als der «Operettenkönig von Berlin», und seine Librettisten waren Ende der 1920er-Jahre sicherlich nicht zur Fak­ tenforschung in die Ferne gereist, um realistische Bilder einzufangen, son­ dern schufen in ihrem Meisterwerk erst einmal eine Fantasiewelt, die vor allem dem Verlangen ihres vergnü­ gungssüchtigen Publikums nach En­ tertainment diente. Historisch verbrieft ist hingegen der Spielanlass für ihr gesungenes, ge­ tanztes und gespieltes Liebeskarus­ sell: die Absetzung der letzten hawaii­ anischen Königin durch die Amerika­ ner bzw. die Konflikte zwischen ha­ waiianischen Nationalisten und der Besatzungsmacht USA – lange bevor Hawaii der 50. Bundesstaat der Verei­ nigten Staaten wurde. Vor diesem geschichtlichen Hinter­ grund geht es aber vor allem um die unerfüllten Sehnsüchte des Einzelnen nach so etwas wie Nähe oder gar Lie­ be. Der grosse Wunsch, etwas zu sein, für die Welt oder einfach für das Gegenüber, scheint sich für alle nicht zu erfüllen, egal ob es die hawaiiani­ schen Adligen sind, die sich zwischen der Heimat oder der westlichen Mo­ derne entscheiden müssen, oder die Amerikaner, die ständig nur ihren Marktwert befragen.

Abraham und seine Mitstreiter neh­ men hier sicherlich die Schwingungen des Lebensgefühls der ausgehenden Weimarer Republik auf. Die Parallelen zwischen dieser Zeit und unserem Heute werden immer häufiger formu­ liert, z.B. aktuell durch den Historiker Philippe Blom, der uns in einem «Schnellzug nach Weimar» sitzen sieht: in der Ausbreitung eines eth­ nisch-rassistischen Nationalismus, in einem akuten Klassenkonflikt und in der Krise des Kapitalismus erkennt er in der Vergangenheit unsere Gegen­ wart. Für Regisseur Frank Hilbrich und das singende Schauspielensemble sowie Jürg Henneberger mit seinem Ensem­ ble Phönix und einem hochengagier­ ten Vokalensemble, das von Oliver Rudin geleitet wird, ist es ein dringli­ ches Anliegen, unter der schillernden Oberfläche der Operette Elementares freizulegen: das Gefühl des Jazz, des Schmerzes, aber auch des «Tanzes auf dem Vulkan» – ab 28. September, Grosse Bühne. Text: Almut Wagner

Die Blume von Hawaii Gerechtigkeit Revolution Vitamine


«La traviata» Oper in drei Akten von Giuseppe Verdi Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Drama «La Dame aux camélias» von Alexandre Dumas d. J. In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Premiere 21. Oktober Grosse Bühne MUSIKALISCHE LEITUNG Titus Engel INSZENIERUNG Daniel Kramer CHOREOGRAFIE Teresa Rotemberg BÜHNE Lizzie Clachan KOSTÜME Esther Bialas LICHT Charles Balfour CHOR Michael Clark MIT Corinne Winters / Kristina Mkhitaryan (Violetta Valéry), Kristina Stanek (Flora Bervoix), Anastasia Bickel (Annina), Pavel Valuzhin/Zach Borichevsky (Alfredo Germont), Ivan Inverardi (Giorgio Germont), Karl-Heinz Brandt (Gastone), Domen Križaj (Barone Douphol), José Coca Loza (Marchese d'Obigny), Andrew Murphy (Dottore Grenvil), Matthew Swensen (Giuseppe) Chor des Theater Basel Sinfonieorchester Basel Eine Koproduktion des Theater Basel mit der English National Opera Presenting Sponsor:

La traviata

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EINE FRAU MIT ZWEI GESICHTERN ... so beschreibt die Sopranistin Corinne Winters Violetta Valéry, die Titelheldin in Verdis Oper «La traviata», die sie ab dem 21. Oktober im Theater Basel zum Leben erwecken wird

Das Singen lag Corinne Winters von klein auf, so habe sie schon gesun­ gen, bevor sie sprechen konnte, er­ zählt die in Frederick, Maryland USA aufgewachsene Sopranistin. Trotz­ dem war es noch ein weiter Weg bis auf die Opernbühne: «Ich wusste, dass ich eine Stimme hatte, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie auch für Oper geeignet sein würde.» Um das herauszufinden, nimmt sie mit 18 Jah­ ren Gesangsunterricht und studiert klassische Musik. Schon bald stellt sie mit grosser Freude fest, dass Oper viel mehr ist als das blosse Singen, denn auch Schauspiel, Tanz, Musikund Kulturgeschichte, Orchester, Büh­ nen- und Kostümdesign sind Themen­ felder, mit denen sich die junge Sän­ gerin auseinandersetzt. «Ich habe mich in die Oper verliebt, weil es eine so komplexe und umfassende Kunst­ form ist, die immer zwei Seiten mit sich bringt: Herausforderung und pure Emotion.» Am Theater Basel wird Corinne Win­ ters nun die Titelheldin in Giuseppe Verdis Oper «La traviata» auf der Bühne verkörpern. Darin erzählt er die tragische Geschichte der letzten und vielleicht auch einzigen wahren Liebe der schwer kranken Edelkurti­ sane Violetta Valéry. Gekonnt setzt Verdi die beiden Extreme des Rauschs und der Überdrehtheit der nächtli­ chen Feste gegen das Innerliche und Tiefgehende der Liebe zwischen Alfre­ do und Violetta, und nicht zuletzt auch gegen den Tod, der unaufhalt­ sam auf Violetta, zusteuert. «Violetta

ist intelligent, schön, hat eine gerade­ zu magnetische Ausstrahlung und sie benutzt ihren Humor und ihre Flirts, um zu verstecken, was sich unter die­ ser schillernden Oberfläche versteckt: Schmerz und eine schier unstillbare Sehnsucht», beschreibt Corinne Win­ ters Verdis Titelheldin – und weiter: «Sie ist eine Frau mit zwei Gesichtern: Es gibt das öffentliche und das priva­ te Gesicht. Ihre Haushälterin Annina ist die einzige Person, die Violettas private Seite kennt, bis zu dem Mo­ ment, als Alfredo in ihr Leben tritt.» Die Liebe zwischen den beiden wird keine Zukunft haben, die Gegenwart ist kaum mehr als ein Augenblick, und die Vergangenheit hängt wie eine schwarze, alles zersetzende Wolke über diesem Liebesglück. Nicht nur die Krankheit und der Tod setzen die­ ser Liebe zu, sondern auch die morali­ schen Vorbehalte der Gesellschaft, für die eine solche Liebe ausserhalb der nächtlichen Freudenetablisse­ ments nicht sein darf. Personifiziert werden sie in Alfredos Vater, Giorgio Germont, der von Violetta verlangt, diese Liebe zu beenden, um den Ruf seiner Familie nicht weiter zu beschä­ digen. «Das ist ungerecht!», möchte man da rufen, und das ist es auch, aber für Corinne Winters gibt es durchaus auch Funken der Gerechtig­ keit für Violetta: «Es gibt Momente der Gerechtigkeit, z. B. wenn Giorgio Germont, Alfredos Vater, sein selbst­ gerechtes Verhalten bereut, oder wenn Violetta Alfredo noch ein letz­ tes Mal sieht, bevor sie stirbt.


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La traviata

Am Ende wird sie von Giorgio Ger­ mont und auch von Alfredo als die selbstlose und edle Frau erkannt, die sie tatsächlich ist, und so kann sie schliesslich in Frieden sterben.» Die Neuinszenierung am Theater Ba­ sel wird Corinne Winters’ neunte Pro­ duktion von «La traviata» sein und sie wird nicht müde, sich diesem ausser­ gewöhnlichen Operncharakter zu stellen: «Violetta ist für mich einer der komplexesten Charaktere der Opern­ geschichte, sodass es für mich bei je­ der Produktion etwas Neues zu ent­ decken gibt, denn jede Inszenierung ist einzigartig und offenbart ganz un­ terschiedliche Seiten dieser Figur.»

Diese Vielseitigkeit Violettas macht sie zu einer der Traumrollen auf der Opernbühne schlechthin und sie ist es auch für Corinne Winters. Doch da gibt es noch zwei weitere tragische Opernheldinnen, die die Sopranistin gern einmal auf der Bühne verkör­ pern möchte: Giacomo Puccinis Ma­ non Lescaut und Madama Butterfly. Und noch einen bisher unerfüllten Traum hat Corinne Winters: «Mein Traum war es immer, Schriftstellerin zu sein, und ich hoffe immer noch, dass ich eines Tages ein Buch schrei­ ben werde.» Text: Juliane Luster

La traviata Gerechtigkeit Revolution Liebe


SCHWANENSEE

«Schwanensee» EIN QUICKLEBENDIGER KLASSIKER Stijn Celis fokussiert auf die Faszination und Sprengkraft zwischen Mutterliebe und Sohnesschicksal

«Musik ist keine Illusion, sie ist Offenbarung. Und darin besteht ihre sieghafte Kraft, dass sie eine Schönheit offenbart, die uns in keiner anderen Sphäre zugänglich ist und uns mit dem Leben versöhnt.» Pjotr I. Tschaikowsky

SCHWANENSEE Gerechtigkeit Revolution Tierschutz

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«Schwanensee» Ballett von Stijn Celis Musik von Pjotr I. Tschaikowsky Premiere 17. November, Grosse Bühne (Uraufführung Bern 2006) Choreografie Stijn Celis Musikalische Leitung Thomas Herzog Bühne Jann Messerli Kostüme Catherine Voeffray Licht Fred Pommerehn Video Philipp Contag-Lada Es tanzt das Ballett Theater Basel. Es spielt das Sinfonieorchester Basel. Partner des Ballett Theater Basel:

SCHWANENSEE von Stijn Celis, Bern 2006. Foto: ©Philipp Zinniker

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SCHWANENSEE

«Schwanensee», das klingt nach Spit­ zentanz, grossen Gefühlen und wah­ rer Liebe bis in den Tod. Also nach ei­ nem der ganz grossen Meisterwerke der europäischen Kultur – wie «La tra­ viata», «Romeo und Julia» oder «Dok­ tor Schiwago». Ein Märchenballett zu Pjotr I. Tschaikowskys zauberhafter Musik, das getränkt mit dem Geist des 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhun­ dert dann zum Klassiker wurde. Der belgische Choreograf Stijn Celis fragt in seiner humorvollen Version nach der Rolle der Mütter – nicht im Geiste der vergangenen Jahrhunder­ te, als in vielen Fabeln böse Hexen mit ihren verführerischen Töchtern ihr Un­ wesen trieben. Sondern im Wissen um die Faszination und Sprengkraft, die zwischen Mutterliebe und Soh­ nesschicksal besteht. In vielen «Schwanensee» -Aufführungen bleibt die namenlose Königinmutter eine zu­ rückgenommene Figur, die gemein­ sam mit Wolfgang, dem Hofphiloso­ phen und Erzieher Siegfrieds, die hö­ fischen Rituale lenkt und es als ihre Mutterpflicht betrachtet, ihren Sohn unter die Haube und damit auf den Thron zu hieven. Celis sieht sich in seiner «Schwanen­ see»-Interpretation diesen Vorgang wie durch die Hintertür an und ent­ deckt hinter der tragischen Irrfahrt Siegfrieds durch das Labyrinth der

Liebe eine komische, ja groteske Sei­ te. Natürlich ist die Mutter besorgt um das Glück ihres Sohnes. Aber kann sie ihn tatsächlich einfach los­ lassen und ihn einer dieser karriere­ geilen Hochzeitskandidatinnen über­ lassen, die Siegfried anbaggern wie in einer Bachelor-Show? Und kann sie sich sicher sein, dass ihr Sohn tat­ sächlich auf dem Thron den richtigen Platz in seinem Leben gefunden hat? Wäre sie selbst vielleicht nicht doch eine bessere Herrscherin über das Reich als ihr Sohn, dessen Schwächen ja bekanntlich niemand besser kennt als die eigene Mutter? Und ist diese plötzliche Liebe zu einem Schwan nichts anderes als die Flucht eines überforderten Prinzen, der in letzter Sekunde merkt, dass die Rolle eines Prinz Charles ihm vielleicht doch bes­ ser steht als die eines juvenilen Staa­ tenlenkers? Fragen über Fragen, die man heute mit dem Wissen von J. W. von Goethe bis Woody Allen, von Alice Schwarzer bis Heidi Klum an die Rolle der Mutter stellen kann. Das Schöne dabei ist, dass nichts von der Kraft, Schönheit und Magie dieses Meisterwerkes ver­ loren geht. Im Gegenteil. Stijn Celis’ «Schwanensee» zeigt, wie quickle­ bendig seine Unsterblichkeit auch im 21. Jahrhundert erstrahlen kann. Text: Armin Kerber


EXKLUSIV FÜR ALLE! Nicht nur für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, nicht nur für Gymnasialschüler_innen, nicht nur für ältere Men­ schen, nicht nur für Theatergänger_innen oder Menschen mit Handicap – sondern ein wirklich inklusives Projekt: eines, das eben für alle ist, und das ganz exklusiv und ausschliesslich. Über drei Jahre lang wird bei «Exklusiv für alle» in unter­ schiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen von Videokunst bis Tanz, Songwriting, Kostümbild und Beatbox entdeckt, ge­ forscht und bewahrt, verbunden und verworfen; über unser Ba­ sel, das sich fortwährend ändert und entwickelt und genauso wenig wie jede_r seiner Bewohner_innen in der Statik verharrt. Unter der Leitung des Regisseurs Tom Ryser und mit einem Stab an Mitarbeiter_innen des Theater Basel aller technischen und künstlerischen Abteilungen spielt Basel für Basel am Ende des ersten Projektjahres am 24. Juni 2018 im Theater den ers­ ten Akt von «Exklusiv für alle». Wer noch teilnehmen möchte (ab Oktober!) meldet sich für weitere Informationen bei Anja Schödl (a.schoedl@theater-basel.ch).

Basel spielt mit!

26 MODETIPP: Stoff für gute Laune Für besonders mutige Trendsetter ist das Hawaiihemd (ursprünglich Aloha Shirt) schon längst ein Mode-Ever­ green. Spätestens seit 2013 aber, nachdem in Mailand die Modegöttin Miuccia Prada in ihrer Frühlingskol­ lektion Kurzarmhemden mit schrillen Aufdrucken präsentierte, gehört das Hawaiihemd zur Grundausstattung jedes modebewussten Mannes. In Kombination mit einem einfarbigen Schal oder Halstuch eignet sich das farbenprächtige Hemd auch für die kühlere Saison. Eine Wunderwaffe ge­ gen das grau-nasse Herbstwetter und ein Garant für gute Laune! Alles begann, als Kapitän James Cook und seine Mannschaft 1778 als erste «Weisse» die hawaiianischen In­ seln betraten. Die Ureinwohner dach­ ten, die Uniformen der Fremden seien ein Teil ihrer Körper. Den Hawaiianern war die Idee von vollständiger Beklei­ dung fremd. Von der Freizügigkeit be­ geistert, entledigten sich die engli­ schen Soldaten ebenso ihrer Kleider. Die Missionare allerdings empfanden die Nacktheit als lasterhaft. Schleu­ nigst wurden Stoffe und Nähmaschi­ nen importiert. In den folgenden Jahrzehnten brachten Händler aus Asien bunte Stoffe auf die Inseln, wo­ raus die ersten Hemden nach dem Schnitt heutiger Hawaiihemden mit Knöpfen aus Kokosnussschalen ange­ fertigt wurden. Der chinesische Öko­ nom Ellery Chun kam um 1932 auf die Idee, die bunt gemusterten Hemden für 1,95 Dollar zu verkaufen. Mit der ersten Passagiermaschine der Pan Am, die ab 1935 von Kalifornien nach Honolulu flog, begann der Massen­ tourismus auf Hawaii. Chun liess den Markennamen «Aloha Shirt» schüt­ zen und schickte den hawaiianischen Gruss mit seinen Hemden in die Welt hinaus. Was sich die Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht für die Operette von Paul Abraham «Die Blume von Hawaii» einfallen liess, sehen Sie ab 28. September auf der Grossen Bühne. Text: Sabrina Hofer


«Die Schwarze Spinne» INSZENIERUNG Tilmann Köhler BÜHNE Karoly Risz KOSTÜME Susanne Uhl MUSIK Jörg-Martin Wagner LICHT Roland Heid MIT Liliane Amuat, Urs Peter Halter, Steffen Höld, Martin Hug, Myriam Schröder, Cathrin Störmer, Simon Zagermann LIVEMUSIK/ SCHLAGZEUG Camille Émaille

Anreise: Lützelflüh ist ab Basel SBB über Olten, Burgdorf und Hasle-Rüegsau erreichbar. Das Stück zur Reise: «Die Schwarze Spinne», ab 22. September auf der Kleinen Bühne. Hier lohnt sich ein Besuch: Gotthelf Zentrum Emmental, Lützelflüh. Die Sonder­ ausstellung zur «Schwarzen Spinne» ist noch bis Ende 2018 zu sehen. Essen: Landgasthof «Bären» in Sumiswald

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Die schwarze Spinne

Eine Reise nach Lützelflüh Das Emmental hat seine Weltbe­ rühmtheit zwar dem gleichnamigen Käse zu verdanken, ein Besuch im Berner Mittelland lohnt sich aber auch, um auf den Spuren des Schrift­ stellers Jeremias Gotthelf zu wan­ deln. Diese Gelegenheit liess sich auch das Ensemble der «Schwarzen Spinne» nicht entgehen und schnup­ perte im Emmental einen Tag lang Gotthelf’sche Luft. Das von maleri­ schen Hügeln umgebene 4000-Seelen­ dorf Lützelflüh im unteren Emmental bildete ab 1831 bis zu seinem Tod im Jahre 1854 den Lebensmittelpunkt des Schriftstellers. In Lützelflüh, wo Gotthelf das Amt des Pfarrers ausüb­ te und seine berühmtesten Werke ver­ fasste, ist sein Geist auch heute noch zu spüren. So ziert beispielsweise der sogenannte Gotthelf-Brunnen mit der literarischen Figur «Uli der Knecht» den Pausenhof des Schulhauses. Auch seine Grabstätte unmittelbar neben der Kirche kann bis heute besichtigt werden. Allerdings findet das Grab leichter, wer nach dem Namen Albert Bitzius, Gotthelfs bürgerlichem Na­ men, Ausschau hält. Im Jahre 2012 öffnete zudem das Gotthelf Zentrum seine Pforten. Hier wird sein Leben und Schaffen am Originalschauplatz, dem ehemaligen Pfarrhaus, erlebbar gemacht. Zurzeit widmet sich das

Museum mit einer Sonderausstellung der 1842 veröffentlichten Novelle «Die schwarze Spinne». Wie in der Erzäh­ lung, bildet der «Bystal», ein alter Fensterpfosten mit der darin einge­ sperrten schwarzen Spinne, auch das Zentrum der Ausstellung. Nach altem Brauch wurden so Pestepidemien und Tierseuchen symbolisch eingesperrt und verbannt. An verschiedenen Hör­ stationen kann man u. a. der Novelle lauschen, auf Texttafeln werden Hin­ tergrundinformationen vermittelt, und eine Bildergalerie zeigt Illustrati­ onen unterschiedlicher Künstler. Wenn nach dem Ausstellungsbesuch der Magen knurrt, empfiehlt es sich, einen Abstecher nach Sumiswald in den Landgasthof «Bären» zu machen. Dort kann heute noch an dem be­ rühmten, von Gotthelf erwähnten Scheibentisch gespiesen werden. Dem Eintauchen in die Welt der «Schwarzen Spinne» steht somit nichts mehr im Wege. Text: Sabine Egli

Die schwarze Spinne Gerechtigkeit Revolution Gramseln


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