Theaterjournal #13

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Wir sind Baselmehrbieter. Weil wir uns bis in die Zehenspitzen fĂźr Sie engagieren. Die Basellandschaftliche Kantonalbank unterstĂźtzt das Ballett Theater Basel.

blkb.ch


WAS IST WAHR?

N E N N I R E S R E E L S E E B L E I D L UN

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«Ist das wahr?!» – Sicher haben Sie sich auch schon oft gefragt, wie viel Wahrheitsgehalt in Geschichten und Stücken steckt. Natürlich machen wahre Begebenheiten eine Geschichte nicht zwangsläufig besser, aber verdichtet entstehen aus Fakten grosse Fiktionen, sodass wir im Theater in immer neue Wahrheiten eintauchen können. Das Theater Basel startet in die neue Saison mit einer ganzen Reihe von Stücken, die zwischen Dichtung und Wahrheit oszillieren. So basiert Luigi Nonos «Al gran sole carico d’amore» (Unter der grossen Sonne von Liebe beladen) auf den Lebensläufen von realen Frauen, deren Mut und Einsatz für Gerechtigkeit er in seiner grossen Revolutionsoper würdigte und denen er mit dieser Oper ein Denkmal setzen wollte. Im Schauspiel «Das grosse Heft» nach dem gleichnamigen Roman von Ágota Kristóf entfliehen zwei Zwillingsbrüder der sie umgebenden lieblosen Wirklichkeit, indem sie sich mit harten Übungen kasteien und diese in ebenjenem Heft dokumentieren. Und in der Uraufführung der Schauspieloper «Andersens Erzählungen» steht die Figur des dänischen Dichters Hans Christian Andersen im Mittelpunkt, der sich sein wahres Lebensleid regelrecht von der Seele geschrieben hat und damit unsterbliche Figuren wie die kleine Meerjungfrau erschuf. Tauchen Sie mit uns ein in diese fantastischen Wirklichkeiten.

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Vor allen Premieren aber öffnet das Theater Basel bereits am 31. August von 14 bis 20 Uhr seine Türen zum grossen Theaterfest für die ganze Familie. Wir freuen uns auf viele echte und erlebnisreiche Begegnungen in der Saison 2019/2020!

Adressen und Kontakte: INTENDANT Andreas Beck, vertreten durch Pavel B. Jiracek, Almut Wagner, Richard Wherlock | KAUFMÄNNISCHE DIREKTORIN Henriette Götz | REDAKTION Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit und Junges Haus | GESTALTUNG Perndl+Co | ILLUSTRATIONEN Perndl+Co, bis auf S. 14 + 15: Frederik Constantin Schweizer | FOTONACHWEISE Cover: Perndl+Co; Carmen Bach S. 21, Gurgen Baveyan S. 17, Vasilisa Berzhanskaya S. 16, Claudia Brier S. 27, Sabine Egli S. 9, Johanna Mangold S. 10, Lucia Hunziker S. 12 + 13, 20, 26, T. M. Rives S. 25, Maurycy Stankiewicz S. 23 BILLETTKASSE Telefon +41 (0)61 295 11 33; www.theater-basel.ch | ÖFFNUNGSZEITEN DER BILLETTKASSE Theaterplatz: Mo–Sa, 11–19 Uhr

Die Abendkasse öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Vorverkauf auch über Kulturbüro Riehen, Baselstrasse 43 | Kantonsbibliothek Baselland Liestal, Emma Herwegh-Platz 4 | Aktuelle Spielplaninformationen www.theater-basel.ch – Änderungen vorbehalten | Theater Basel, Postfach, CH-4010 Basel | Grosse Bühne, Kleine Bühne, Box: Theaterstrasse 7, 4051 Basel | Schauspielhaus: Steinentorstrasse 7, 4051 Basel Partner des Ballett Theater Basel:

Medienpartner:

Eine Beilage der bz Basel.

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ÜBERSICHT

SEPTEMBER BIS NOVEMBER

Das nächste Theaterjournal erscheint am 27. November 2019! 31. AUGUST 2019

20. SEPTEMBER 2019

Tag der offenen Tür am Theater Basel IM UND RUND UM DAS THEATER BASEL

Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman von Ágota Kristóf Inszenierung Tilmann Köhler PREMIERE S. 8 SCHAUSPIELHAUS

DAS GROSSE HEFT

THEATERFEST 1. SEPTEMBER 2019

MURMELI

21. SEPTEMBER 2019

Musiktheater für Babys bis zu 2 Jahren, ihre Eltern und Grosseltern, Gotten und Göttis Musikalische Leitung Jeannine Hirzel Inszenierung Ania Michaelis WIEDERAUFNAHME BOX 14. SEPTEMBER 2019

AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE (UNTER DER GROSSEN SONNE VON LIEBE BELADEN) Szenische Aktion von Luigi Nono Musikalische Leitung Jonathan Stockhammer Inszenierung Sebastian Baumgarten SCHWEIZER ERSTAUFFÜHRUNG GROSSE BÜHNE 19. SEPTEMBER 2019

DON’T TELL THE KIDS Tanzabend von Richard Wherlock Mit Musik von The Velvet Underground und Max Zachrisson WIEDERAUFNAHME KLEINE BÜHNE

ET TOUT POUR UNE FEMME?

S. 6

Auftakt der Reihe «Grrrls Grrrls Grrrls» Eine Reihe mit Basler Bräuten und ihren Geschwistern PREMIERE MONKEY BAR 21. SEPTEMBER 2019

UNVERGESSLICH! Konzert für Menschen mit und ohne Demenz Musikalische Leitung Nikolaus Reinke FOYER GROSSE BÜHNE 26. SEPTEMBER 2019

DIE ANALPHABETIN Schauspiel nach der gleichnamigen Erzählung von Ágota Kristóf Inszenierung Barbara Luchner PREMIERE BOX 27. SEPTEMBER 2019

ANDERSENS ERZÄHLUNGEN Schauspieloper von Jherek Bischoff und Jan Dvořák Musikalische Leitung Thomas Wise Inszenierung Philipp Stölzl URAUFFÜHRUNG/AUFTRAGSWERK GROSSE BÜHNE

S. 21


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ÜBERSICHT

1. OKTOBER 2019

19. OKTOBER 2019

Musikalische Leitung Stephen Delaney KLEINE BÜHNE

Schauspiel von Pedro Calderón de la Barca Inszenierung Michał Borczuch PREMIERE SCHAUSPIELHAUS

OPERAVENIR: PORTRÄTKONZERT OperAvenir mit freundlicher Unterstützung: HEIVISCH, HIAG, Julius Bär

19. OKTOBER 2019

3. OKTOBER 2019

DURCHEINANDERTAL Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman von Friedrich Dürrenmatt Inszenierung Anne-Kathrine Münnich PREMIERE FOYER SCHAUSPIELHAUS 17. OKTOBER 2019

IL BARBIERE DI SIVIGLIA (DER BARBIER VON SEVILLA)

DER STANDHAFTE PRINZ

CARMEN Ballett von Johan Inger Musikalische Leitung Thomas Herzog WIEDERAUFNAHME GROSSE BÜHNE 22. & 23. OKTOBER 2019

OPERAVENIR: MEISTERKURS Mit Anne Sofie von Otter Am Flügel Stephen Delaney KLEINE BÜHNE

S. 16

Oper von Gioachino Rossini Musikalische Leitung David Parry Inszenierung Kirill Serebrennikov PREMIERE GROSSE BÜHNE 18. OKTOBER 2019

HUNDERT JAHRE WEINEN ODER HUNDERT BOMBEN S. 18 WERFEN Schauspiel von Darja Stocker und Mohamedali Ltaief Inszenierung Franz-Xaver Mayr URAUFFÜHRUNG/AUFTRAGSWERK KLEINE BÜHNE

OperAvenir mit freundlicher Unterstützung: HEIVISCH, HIAG, Julius Bär 8. NOVEMBER 2019

IM HINTERHAUS Ein Projekt über Anne Frank mit Basler Jugendlichen Inszenierung Hanna Müller PREMIERE KLEINE BÜHNE 15. NOVEMBER 2019

COW

Ballett von Alexander Ekman PREMIERE GROSSE BÜHNE 16. NOVEMBER 2019

IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA TEIL 2 Schauspiel von Sibylle Berg nach Aristophanes Inszenierung Miloš Lolić URAUFFÜHRUNG/AUFTRAGSWERK SCHAUSPIELHAUS


AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE

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SCHWESTERN, ZUR SONNE, ZUR FREIHEIT! – LUIGI NONO WÜRDIGT DIE MÜTTER DER REVOLUTION Fast fünfundvierzig Jahre nach ihrer Mailänder Uraufführung ist die monumentale Revolutionsoper «Al gran sole carico d’amore» (Unter der grossen Sonne von Liebe beladen) des italienischen Komponisten Luigi Nono (1924– 1990) erstmals in der Schweiz zu erleben. Im Mittelpunkt der Oper stehen ausgewählte Revolutionen und Aufstände, die allesamt von ihren jeweiligen Gegnern blutig niedergeschlagen wurden: die Pariser Kommune von 1871, die Russische Revolution von 1905, die Arbeiterunruhen in Turin zu Beginn der 1950er-Jahre, der Sturm auf die Moncada-Kaserne auf Kuba 1953, der Guerillakampf in Bolivien 1967 sowie der Vietnamkrieg. Als Textgrundlage verwendet Luigi Nono eine Vielzahl unterschiedlicher literarischer Quellen (darunter dokumentarisches Material ebenso wie Gedichte, Dramen und Romane), mithilfe derer er einzelne revolutionäre Situationen beleuchtet und sie in einer Art Collage miteinander in Beziehung setzt. Eines der Ziele Nonos war es dabei, deutlich zu machen, dass Menschen zu allen Zeiten und an den unterschiedlichsten Orten aufgestanden sind und auch in Zukunft aufstehen werden, um sich gegen Unterdrückung und Unrecht aufzulehnen. Eine Besonderheit: In «Al gran sole carico d’amore» stehen nicht die üblichen männlichen Protagonisten im Vordergrund. Stattdessen würdigt Nono die Rolle, welche Frauen in der Revolution gespielt haben. Denn nicht nur Brüder streben zur grossen Sonne, zur Freiheit – sondern auch ihre Schwestern! Doch wer waren diese Heldinnen der Revolution, die Nono in seiner Oper ins Zentrum rückt? Wir stellen drei Frauen vor, die in der Oper ihre Stimme erheben: Louise Michel Louise Michel (1830–1905) war eine französische Lehrerin und Anarchistin und eine zentrale Gestalt der Pariser Kommune von 1871, die als erstes sozialistisches Regierungsexperiment gelten kann: die spontan entstandene Kommune setzte sich aus Arbeiter_innen zusammen, die gegen den Willen der konservativen Zentralregierung versuchten, Paris nach sozialistischen Vorstellungen zu verwalten. Louise Michel organisiert beim Aufstand der Kommune die medizinische Versorgung der auf den Barrikaden Verwundeten und beteiligt sich in der Uniform der Nationalgarde auch am bewaffneten Kampf. Nachdem die Kommune blutig niedergeschlagen worden ist, macht man Louise Michel und den anderen Revolutionär_innen den Prozess. Louise Michel wird in die Strafkolonie Neukaledonien nordöstlich von Australien deportiert, kommt jedoch 1880 mit anderen Kommunard_innen dank einer Amnestie wieder frei. Nach ihrer Rückkehr nach Paris kämpft sie bis zu ihrem Tod für die Revolution, auch in Form einer regen Vortragstätigkeit, die sie durch ganz Frankreich und andere Teile Europas führt. Zahlreiche literarische Werke, u. a. von Victor Hugo, setzten ihr ein Denkmal. Ihre eigenen Memoiren waren weitverbreitet. An ihrer Beerdigung in Marseille sollen hundertzwanzigtausend Menschen teilgenommen haben. Tamara Bunke Tamara «Tania» Bunke (1937–1967) wuchs als Tochter deutschstämmiger Kommunisten in Argentinien auf und studierte später in der DDR. Dort lernt sie Ernesto «Che» Guevara kennen, für den sie dolmetscht. Sie folgt ihm nach Kuba und schliesst sich der revolutionären Miliz an. 1964 reist sie im Auftrag

Guevaras nach Bolivien, um dort den Guerillakampf gegen die bolivianische Regierung unter Präsident René Barrientos Ortuño vorzubereiten. Tamara Bunke wird zur Kampfgefährtin Guevaras und seiner Guerillatruppen. Bei der Durchquerung des Rio Grande sterben Tamara Bunke und ihre Kameraden in einem feindlichen Hinterhalt. Tamara Bunkes Leiche wird sieben Tage später flussabwärts gefunden. Bunke war Agentin u. a. des kubanischen Geheimdiensts und nahm während ihrer Spionagetätigkeit verschiedene Identitäten an. In ihrem Nachlass finden sich Schriften, die von Traurigkeit und Zweifeln erfüllt sind, so schreibt sie: «Kommen wir vergeblich zum Leben, zum Blühen auf die Erde?» Die Mutter Bei der fiktiven Figur der Mutter handelt es sich um die Titelfigur des gleichnamigen Romans (1906/1907) des russischen Schriftstellers Maxim Gorki (1868– 1936). Der Roman schildert das harte Leben der Arbeiterfrau Pelageja Nilowna, deren Sohn Pawel sich politisch engagiert. Als Pawel wegen einer Flugblattaktion verhaftet wird, führt seine vormals unpolitische Mutter sein Werk weiter, bis auch sie verhaftet wird – nicht ohne zuvor noch Flugblätter an die proletarischen Massen verteilen zu können. Gorkis Roman über die politische Bewusstseinsbildung einer Mutter übte grossen Einfluss aus: Bertolt Brecht etwa nahm Gorkis «Die Mutter» zum Vorbild für sein Theaterstück «Die Mutter. Leben der Revolutionärin Pelagea Wlassowa aus Twer». Auch bei Brecht durchlebt die Mutter die Wandlung von einer unzufriedenen Arbeiterfrau hin zu einer entschiedenen Kommunistin. Text: Pavel B. Jiracek


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AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE

AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE (UNTER DER GROSSEN SONNE VON LIEBE BELADEN) Szenische Aktion von Luigi Nono In italienischer, französischer, spanischer und deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Schweizer Erstaufführung 14. September 2019 Grosse Bühne MUSIKALISCHE LEITUNG Jonathan Stockhammer INSZENIERUNG Sebastian Baumgarten BÜHNE Janina Audick KOSTÜME Christina Schmitt CHOREOGRAFIE Beate Vollack VIDEO Chris Kondek CHOR Michael Clark KLANGREGIE Cornelius Bohn MIT Sara Hershkowitz (Soprano 1), Cathrin Lange (Soprano 2), Sarah Brady (Soprano 3), Kristina Stanek (Soprano 4), Rainelle Krause (Tania), Noa Frenkel (Contralto), Karl-Heinz Brandt (Tenore), Domen Križaj (Baritono), Andrew Murphy Alin Anca (Basso 1), Antoin Herrera-Lopez Kessel /  Paull-Anthony Keightley (Basso 2), Carina Braunschmidt (Voce di Donna) Chor und Kammerchor des Theater Basel Es spielt das Sinfonieorchester Basel. Mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung

AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE

«Al gran sole carico d’amore» wurde 1975 in Mailand unter der Leitung des Dirigenten Claudio Abbado uraufgeführt. Nicht zuletzt aufgrund der anspruchsvollen Partitur folgten seitdem nur wenige Neuinszenierungen des Werks – zuletzt 2009 im Rahmen der Salzburger Festspiele. Nonos glühendes Plädoyer für den Kampf gegen soziale und gesellschaftliche Ungerechtigkeit ist mit seinem gross dimensionierten Orchesterapparat, zwei Chören und elektronischer Sphärenmusik, die rundum im Zuschauerraum erklingt, ein überwältigendes Klang​erlebnis. Die Schweizer Erstaufführung am Theater Basel wird musikalisch geleitet von Jonathan Stockhammer, der weltweit insbesondere für seine Interpretationen zeitgenössischer Musik gefeiert wird und in Basel schon als musikalischer Leiter der Produktion «Satyagraha» zu erleben war. Der Regisseur Sebastian Baumgarten, der am Theater Basel bereits Giuseppe Verdis Oper «La forza del destino» inszeniert hat, wagt eine Neubefragung dieses Schlüsselwerks des Musiktheaters des 20. Jahrhunderts.

FAKTEN FIKTION REVOLUTION


DAS GROSSE HEFT / DIE ANALPHABETIN

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ÁGOTA KRISTÓF – AUF SPURENSUCHE IN DER UHRENFABRIK Zu Beginn der neuen Spielzeit bringt das Schauspiel des Theater Basel mit «Das grosse Heft» und «Die Analphabetin» gleich zwei Werke der in Ungarn geborenen und als junge Erwachsene in die Westschweiz emigrierten Autorin Ágota Kristóf auf die Bühne. Ihre persönliche Entwurzelungserfahrung ist bis tief ins Innerste ihrer Texte eingedrungen. Die biografische Spurensuche im Vorfeld der Proben führte in eine Westschweizer Uhrenfabrik. Die Lebensgeschichte Ágota Kristófs beginnt 1935 im kleinen ungarischen Dorf Csikvánd. Ihre Kindheit verbringt sie gemeinsam mit zwei Brüdern in der nahe der österreichischen Grenze gelegenen Stadt Kőszeg. Das Idyll zerbricht, als der Vater verhaftet wird, und sie fortan fern von ihrer Familie in einem Internat aufwächst. Der zweite Bruch in ihrer Biografie folgt mit einundzwanzig Jahren, als sie ihre Heimat während der Revolutionswirren 1956 gemeinsam mit ihrem vier Monate alten Baby in Richtung französische Schweiz verlässt. Sie, die von klein auf eine Bücher­liebhaberin und leidenschaftliche Geschichtenerzählerin war, fühlt sich dort plötzlich als Analphabetin.

Im neuenburgischen Fontainemelon findet sie zunächst als Arbeiterin in einer Uhrenfabrik eine Anstellung. Kein Traumjob, aber bei der monotonen Tätigkeit am Fliessband bleibt ihr wenigstens viel Zeit zum Nach­denken und Geschichtenerfinden – Geschichten, die sie abends nach der Arbeit zu Papier bringt. Jene Uhrenfabrik, in der Ágota Kristóf tätig war, kann heute leider nicht mehr besichtigt werden, doch gibt es im Juragebiet eine Vielzahl anderer Fabriken und Manufakturen, von denen einige ihre Tore Besuchern öffnen. Barbara Luchner, die Regisseurin der autobiografischen Erzählung


DAS GROSSE HEFT Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman von Ágota Kristóf Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer Premiere 20. September 2019 Schauspielhaus

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INSZENIERUNG Tilmann Köhler BÜHNE Karoly Risz KOSTÜME Susanne Uhl MUSIK Jörg-Martin Wagner MIT Inga Eickemeier, Urs Peter Halter, Anica Happich, Martin Hug, Vincent zur Linden, Friederike Wagner PIANO Marianna Angel/ Laura Chihaia, Amador Buda Fuentes Manzor

«Die Analphabetin», ist gemeinsam mit ihrem Bühnenbildner Frederik Schweizer nach La Chaux-deFonds gereist, um einen leib­haftigen Eindruck der Uhrmacherkunst zu erhalten. Fliessbänder wie zu Zeiten Ágota Kristófs bekommt man beim Rundgang in der Manufaktur «Corum» nicht zu Gesicht, stattdessen eine Art Grossraumbüro, in dem man den hochkonzentrierten Uhrmacher_innen bei perfekter Beleuchtung beim Schrauben, Putzen und Ölen der Uhrwerke über die Schulter blicken kann. Mit der Arbeit von Kristóf vor sechzig Jahren scheint das nicht viel zu tun zu haben. Einige Schwarz-Weiss-Fotos an den Wänden erinnern jedoch an die Zeit, in der die Autorin am Förderband stehend Tag für Tag «das gleiche Loch in das gleiche Werkstück» stanzte. Der Besuch hat sich also allemal gelohnt, zumal auch das eine oder andere interessante Geräusch oder Ticken mit dem Handy der Regisseurin ein­gefangen werden konnte, und so steigen die beiden mit vielen inspirierenden Eindrücken in den Zug zurück nach Basel. Ágota Kristóf jedoch blieb der Westschweiz bis zu ihrem Tod 2011 treu. Dreissig Jahre nach ihrer Flucht aus Ungarn veröffentlicht sie 1986 mit «Das grosse Heft» in französischer Sprache ihren Debütroman – ein Text, der seinen Ursprung vielleicht schon in der Uhrenfabrik hatte. Sie protokolliert darin die Geschichte zweier Zwillingsbrüder, die sich gegen die Unmenschlichkeit des Krieges mit Abhärtungsübungen wappnen. Mit unvergleichlich schlichter, aber umso eindringlicherer Sprache erzählt sie von Entwurzelung und Einsamkeit und entwirft ein Panorama menschlicher Abgründe – Erfahrungen, die sie selbst nur zu gut kannte. Und so antwortete Kristóf in einem Interview auf die Frage, wie ihre Romane und ihr Leben zusammenhingen: «Das ist beides dasselbe.» Regisseur Tilmann Köhler, der am Theater Basel bereits Jeremias Gotthelfs «Die Schwarze Spinne» inszenierte, feiert am 20. September 2019 mit der Bühnenadaption von «Das grosse Heft» im Schauspielhaus Premiere. Gemeinsam mit Mitgliedern des Schauspielensembles begibt er sich auf die Spuren der Zwillinge und lädt dazu ein, in den einzigartigen Kosmos Ágota Kristófs einzutauchen.

DIE ANALPHABETIN Schauspiel nach der gleichnamigen Erzählung von Ágota Kristóf Aus dem Französischen von Andrea Spingler Premiere 26. September 2019 Box

FAKTEN FIKTION GRENZERFAHRUNG

Text: Sabine Egli

INSZENIERUNG Barbara Luchner BÜHNE Frederik Constantin Schweizer KOSTÜME Miriam Balli MUSIK Leonhard Luchner MIT Germaine Sollberger


ANDERSENS ERZÄHLUNGEN

DIE STILLE SCHÖNHEIT DES MEERES Mit ihrer umjubelten Version von Mary Shelleys «Frankenstein» sorgten sie in Basel vor einigen Jahren für Aufsehen. Nun kehrt das Erfolgsduo Jan Dvořák (Autor) und Philipp Stölzl (Regisseur) ans Theater Basel zurück und taucht mit der Schauspieloper «Andersens Erzählungen» ein in die zauberhafte Märchenwelt des dänischen Dichters Hans Christian Andersen. Die Musik dieser Uraufführung komponiert Jherek Bischoff, der für das Theater Basel bereits «Das fliegende Klassenzimmer» vertonte. Im Interview erzählt er der Dramaturgin Johanna Mangold von seiner eigenen Lebensgeschichte – und offenbart dabei erstaunliche Parallelen zu Andersens wohl berühmtestem Märchen «Die kleine Meerjungfrau». FAKTEN FIKTION LIEBE

ANDERSENS ERZÄHLUNGEN Schauspieloper von Jherek Bischoff (Musik) und Jan Dvořák (Text) In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Uraufführung/Auftragswerk 27. September 2019 Grosse Bühne MUSIKALISCHE LEITUNG Thomas Wise INSZENIERUNG Philipp Stölzl BÜHNE Philipp Stölzl, Heike Vollmer KOSTÜME Kathi Maurer CHOREOGRAFIE Sol Bilbao Lucuix

MIT Linda Blümchen, Pauline Briguet, Klaus Brömmelmeier, Claudio Costantino, Jasmin Etezadzadeh, Mario Fuchs, Stefanie Knorr, Laetitia Aurélie Kohler, Hyunjai Marco Lee, Kihako Narisawa, Ena Pongrac, Rolf Romei, Bruno de Sá, Katharina Schmidt, Daniel Staaf, Moritz von Treuenfels; Statisterie des Theater Basel Es spielt die Basel Sinfonietta. Eine spartenübergreifende Produktion von Oper, Schauspiel und Ballett Eine Koproduktion des Theater Basel mit dem Residenztheater München

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ANDERSENS ERZÄHLUNGEN

Jherek, du hast den Grossteil deines Lebens auf dem Meer verbracht. Wie kam es dazu? Kurz bevor ich geboren wurde, entdeckten meine Eltern ihre Leidenschaft für das Segeln. Das Interesse wurde so stark, dass sie sich entschieden, alles zu verkaufen, um auf einem Boot zu leben. Ich war damals fünf Jahre alt. Wie kann man sich das Leben auf dem Boot vorstellen? Wir sind zuerst umhergesegelt und haben dann in der Nähe von Seattle fest angelegt. Ich musste schliesslich zur Schule gehen. So betrachtet war es ein ganz normales Leben – bloss, dass wir auf einem kleinen Boot gelebt haben. Zur Highschoolzeit haben wir dann einen Dreijahrestrip gemacht, sind über Mexiko bis nach Hawaii, dann nach Zentralamerika, Panama, in die Karibik und am Schluss nach New Orleans gesegelt. Das Meer ist ein Hauptprotagonist in Andersens Märchen. Was ist dein Verhältnis zum Meer? Das Meer ist ein Teil von mir. Viele kennen das Meer nur aus dem Urlaub, haben Spass am Baden, aber meine Beziehung zum Meer geht viel tiefer. Mein Verhältnis ist persönlich, essenziell.

Debussy hat das Meer in seinem Orchesterwerk «La Mer» verewigt, in Brittens Oper «Peter Grimes» wird das Meer ebenfalls vertont – wie komponierst du das Meer? Ich möchte die stille Schönheit der Unterwasserwelt in Musik aufnehmen. Das ist eine Welt, die nur wenige zu Gesicht bekommen. Meine Erfahrung mit dem Wassertank hat mir dabei geholfen, umzusetzen, was mir klanglich vorschwebt. Ich sehe das ganze Orchester vor mir, das durch langsame Bewegungen, wie Wellen, satte Klangfarben hervorbringt. Du bist mit dem Meer aufgewachsen – sind dir Andersens Märchen ebenfalls seit der Kindheit vertraut? Ja. Und ich bin sehr dankbar, dass Philipp diese Märchen, die von Freude und Hoffnung über Schmerz, Trauer und Wut alles in sich tragen, in seine Produktion aufnimmt. Gibt es eine Essenz für dich aus der «Meerjungfrau»? Nein, das Märchen ist zu komplex. Es gibt keine einzelne Emotion, es ist alles in einem.

Was lehrt einen das Meer? Geduld und Langsamkeit. Auf unseren Segeltörns haben wir lange Strecken ohne Motor zurückgelegt. Manchmal kamen wir nur sehr langsam voran. Da­durch habe ich gelernt, nicht einfach nur ankommen zu wollen, sondern die Reise an sich zu schätzen. Welche Verbindung besteht zwischen dem Meer und deiner Musik? Seltsamerweise habe ich beides erst vor Kurzem in Einklang bringen können. Ich habe lange nicht erkennen wollen, dass die Erfahrung auf dem Boot etwas Einzigartiges ist. Für mich war das normal, nichts Besonderes. Aber jetzt denke ich anders, merke, wie mich diese Erfahrung beeinflusst hat und meine Identität prägt. Inwiefern? Das Meer ist Bewegung, langsame Bewegung. Ich sitze heute noch am Ufer und fühle, wie alles in mir in Bewegung ist und mein Körper zu schaukeln beginnt. Die Art und Weise, wie ich diese Wurzeln mit meiner Musik in Verbindung gebracht habe, war ein Zufall. In der Nähe von Washington gibt es einen unterirdischen Zwei-Millionen-Liter-Wassertank, der ein Echo von fünfundvierzig Sekunden hat – das heisst, du schnippst einmal und hörst es danach fünfundvierzig Sekunden lang. Ich dachte: Das ist der perfekte Ort, um mit Musik zu experimentieren. Ich habe verschiedene Instrumente mitgebracht und dort unten drei Tage verbracht. Ich habe dadurch eine Form gefunden, meine ganze magische Erfahrung mit dem Meer in Musik umzusetzen.

Der Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl ist auf den internationalen Opernund Theaterbühnen ebenso zu Hause wie im Kino. Ob mit spektakulären Operninszenierungen wie zuletzt «Rigoletto» auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele oder mit «Ich war noch niemals in New York», seiner Verfilmung des gleichnamigen Udo-JürgensMusicals, die im Herbst in die Kinos kommt: seine Produktionen begeistern ein grosses Publikum. Am Theater Basel hat Philipp Stölzl bereits die Opern «Faust» und «Der fliegende Holländer» sowie die Schauspielproduktion «Frankenstein» inszeniert. Nun kehrt er mit der Uraufführung der Schauspieloper «Andersens Erzählungen» nach Basel zurück.


ANDERSENS ERZÄHLUNGEN

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n  onstellatio K e r u e r ih t  Wie würde gen»  ns Erzählun e s r e d n A «  in n?  beschreibe

Moritz von Treuenfels stellt sich dem Basler Publikum als Hans Christian Andersen in der Schauspieloper «Andersens Erzählungen» vor. Mario Fuchs spielt darin seinen langjährigen Freund Edvard Collin, Linda Blümchen dessen Verlobte Henriette Thyberg. Wir hatten ein paar Fragen an die Schauspieler_innen.

en  nisch ä d m e mit d en?  et ihr an Anders d n i b ver hristi  Was ans C H r e t  Dich

sch zu   Die Meerjungfrau zahlt als Preis, um ein Men eure  ndem  werden, ihre Stimme. Wie würdet ihr jema t?   Liebe zeigen, wenn ihr keine Stimme hätte


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te.   Zeigt bitte eure exzentrische Sei

Wie würdet ihr einen Prinzen   zum Tanz auffordern?

sein   Hans Christian Andersen hat sich le  See der von  Lebensleid regelrecht st?  Tro h  geschrieben. Was spendet euc

euch für die   Wie würdet ihr ilipp Stölzls   Hauptrolle in Ph war noch   neuem Film «Ich   York» bewerben?  niemals in New

Und eine Meerjung frau?


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IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA TEIL 2

«WIR DÜRFEN HERUMLAUFEN, OHNE ERSCHOSSEN ZU WERDEN»

Das antike Stück «Lysistrata» von Aristophanes erzählt von einem Streik: die Frauen wollen durch sexuelle Verweigerung den Frieden erzwingen. Nun hat Sibylle Berg die antike Komödie zur Grundlage ihres neuen Stücks gemacht und im Auftrag des Theater Basel eine zeitgemässe Fortsetzung geschrieben: «In den Gärten oder Lysistrata Teil 2.» Von einem Frauen- und Männerchor begleitet, lässt sie darin als Einzelstimmen DIE Frau Lysistrata und DEN Mann Bernd sprechen und führt so Geschlechterstereotypen ad absurdum. Rollenbilder zu hinterfragen und «revolutionäre» Frauen von heute und gestern sprechen zu lassen, das ist auch ein Ziel der diesjährigen Reihe «grrrls grrrls grrrls – Basler Bräute und ihre Geschwister» in der Monkey Bar. Den Auftakt bildet die Auseinandersetzung mit einer der bedeutendsten Frauenrechtlerinnen der Schweiz: Iris von Roten, die mit ihrem Buch «Frauen im Laufgitter» ein detailliertes Gesellschaftsbild der Schweiz der 1950er-Jahre zeichnete und massgeblich an der Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz beteiligt war. Das war ein wichtiger Schritt im Kampf um die Rechte der Frau, und es wurde seither noch vieles erreicht. Doch wie steht es um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau heute tatsächlich? Wir haben Sibylle Berg gefragt: «Das Gute zuerst: Feminismus als Überbegriff für den Kampf um Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung aller Menschen jeglichen Geschlechts hat seinen Schrecken ein wenig verloren. Fast vorbei die Zeiten, in denen Frauen, die sich zaghaft vor Angst, etwas von ihrer Attraktivität einzubüssen, zu einem feministischen Thema immer mit der Anmerkung «Ja, aber ich bin keine Feministin» äusserten. Also: «Ich find es wirklich nicht in Ordnung, dass ich, nur weil es seit Jahrtausenden üblich ist, den Körper von Frauen zu kaufen, auf der Strasse nach meinem Preis gefragt werde. Aber ich bin keine Feministin.» Fast vorbei die Zeit, in der konsequente Unerschrockenheit von Frauen nur zu erwarten war, wenn diese sexuell nicht an Männern interessiert sind. Feminismus als Begriff ist Mainstream geworden. Gleichbehandlung noch nicht. Und schon gar nicht bei uns, in einem der besten Länder der Welt. In einem Paradies für alle, ausser – für Frauen und sonstige Randgruppen, die zusammen mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. In unserem friedlichen Land, in dem alles, was nicht weiss und männlich ist, immer noch als Normverletzung scheint.

Die Schweiz wurde einer UNICEFStudie zufolge zum kinder- und familienunfreundlichsten Land gewählt, was an den patriarchalen Strukturen und dem gelebten Motto «Kinderbetreuung ist Frauensache» liegt. Die Schweiz liegt in Sachen politischer und wirtschaftlicher Teilhabe von Frauen konstant auf einem der hinteren Plätze in internationalen Untersuchungen. Jede zweite Frau in der Schweiz erlebte in unterschiedlichen Formen sexuelle Gewalt. Es gibt kaum ein westliches Land mit einer so rückständigen Gesetzgebung zum Schutz der Frauen vor Vergewaltigung. Das Schweizer Strafrecht erkennt Vergewaltigung nur als erzwungenen vaginalen Geschlechtsverkehr mit einer weiblichen Person an. Männer haben Pech gehabt. Dito Frauen, die mit Gegenständen penetriert, oral genötigt oder sonst wie gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen werden. Na ja, sonst geht es uns grossartig. Wir dürfen herumlaufen, ohne erschossen zu werden. Wir müssen zufrieden sein. Das Höchstmass an weiblichem Aufbegehren fand im Juni dieses Jahres statt. Hunderttausende


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GRRRLS GRRRLS GRRRLS

FAKTEN FIKTION SEX

Schweizer Frauen streikten einen Tag lang. Ein grossartiger Erfolg. In dessen Schwung eine Liste von Forderungen entstand wie Lohngleichheit sowie politische und wirtschaftliche gerechte Teilhabe. Drollige Ideen. Als ob Hunde plötzlich das Recht auf Mahlzeiten mit Besteck einklagen wollten. «Und wenn es nicht anders geht, will Frau zumindest heiter von Fehlschlag zu Fehlschlag wandeln», beenden die beiden Journalisten im Tages-Anzeiger vom 19. Juni ihren Bericht über den Nachgang des Frauenstreiks. Sie schreiben so, wie viele Männer im Land denken. Ja, die Frauen, denken sie, irgendwie – süss. Sie betrachten die Wut der Frauen, die kleinen Frauenfäustchen, und wenden sich mit dem guten Gefühl, dass es den Damen doch ganz gut geht, wieder ihren fraternisierenden Männerbünden zu. Frauen können fordern, sich beschweren, aufzeigen, anklagen, es hat immer den absurden Abgang von Bitten. Doch wen sollten sie warum um was bitten, eigentlich? Eine Gruppe Menschen, die kraft Gewohnheit in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens meinungsbildend und bestimmend ist? Veränderung hin zu einer vollkommenen Gleichbehandlung aller Menschen wird so nie erfolgen.

Keiner, der sie besitzt, wird Macht freiwillig abgeben. Es war so einfach, über tausend Jahre allein zu herrschen, zu verwalten, Frauen zu unterdrücken, heisst: fünfzig Prozent Konkurrenz auszuschalten. Es bedeutet, sich nicht mit der Geschichte auseinanderzusetzen und dumpf weiter vom Armeedienst von Frauen zu murmeln, von ihrer längeren Lebenszeit. Immer noch basiert das Selbstwertgefühl vieler Männer auf Abgrenzung und Erniedrigung von Frauen, und solange die nicht über die gleiche materielle Macht wie Männer verfügen, wird sich das System der Unterdrückung, der Verächtlichmachung, der Abwertung des Missbrauchs, des legitimierten Femizids nicht beenden lassen. Ausser durch einen Streik, der mindestens ein Jahr dauert. Ausser durch eine komplette Verweigerung, die für Frauen vorgesehene Rolle als Mensch zweiter Klasse einzunehmen. Ausser durch eine Revolution.» Sibylle Berg schrieb diesen Originalbeitrag für das Theaterjournal.

IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA TEIL 2 Schauspiel von Sibylle Berg nach Aristophanes Uraufführung/Auftragswerk 16. November 2019 Schauspielhaus INSZENIERUNG Miloš Lolić BÜHNE Wolfgang Menardi KOSTÜME Jelena Miletić MUSIK Nevena Glušica

ET TOUT POUR UNE FEMME? Auftakt der Reihe «grrrls grrrls grrrls» Premiere 21. September 2019, 21 Uhr Monkey Bar, Klosterberg 6 SZENISCHE EINRICHTUNG UND TEXTFASSUNG Katrin Hammerl

PROJEKT SCHOORIIL KLIMAWANDEL 25. Oktober 2019, 21 Uhr Monkey Bar, Klosterberg 6 MIT Anne Haug, Melanie Schmidli


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IL BARBIERE DI SIVIGLIA

OFFEN-BART EUCH!!! Am 17. Oktober feiert Kirill Serebrennikovs Inszenierung von Gioachino Rossinis Opernschlager «Il barbiere di Siviglia» Premiere am Theater Basel. Seine Inszenierung ist geprägt von der Bildsprache der Social Media und den damit verbundenen Möglichkeiten der Selbstdarstellung, sprich: Alle wollen sich von ihrer besten Seite zeigen! Und wie sieht es mit den Stars der Produktion aus? Wie stellen sie sich in den sozialen Medien dar? Um dies herauszufinden, haben wir Vasilisa Berzhanskaya, die in der Oper die Partie der Rosina singt und dem Basler Publikum seit ihrem fulminanten Debüt am Theater Basel in der Titelpartie von Rossinis «La Cenerentola» bestens bekannt sein dürfte, gebeten, uns einen Einblick in ihren eigenen Instagram-Account zu gewähren.

vasilisa_ber zhanskaya

Deutsche Op er Berlin

#olga #eug enonegin #t chaikovsky #whiteinwh #debut ite #berlin

7. März 201 9

vasilisa_ber zhanskaya Teatro dell’O pera di Roma

aya erzhansk vasilisa_b Opera ra – Dutch National De Nationale Ope

IL BARBIERE DI SIVIGLIA (DER BARBIER VON SEVILLA) Commedia in zwei Akten von Gioachino Rossini Libretto von Cesare Sterbini nach der Komödie von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Premiere 17. Oktober 2019 Grosse Bühne

#angelina #la cenerentola #rossini

9. Juni 201 9

#roma

vasilisa_ber zhanskaya St. Petersbur g

Mikhailovsky Theatre

#lacetra #amsterumphans #vivaldi #vagaus #judithatri toi #backstage #ifiwereaboy itoi #to iere em #pr dam 26. Januar 2019

MIT Alasdair Kent (Il Conte Almaviva), Andrew Murphy (Bartolo), Vasilisa Berzhanskaya / Kristina Stanek (Rosina), Gurgen Baveyan (Figaro), Antoin Herrera-Lopez Kessel (Basilio), Kali Hardwick (Berta), Dmytro Kalmuchyn (Fiorello), Vivian Zatta (Un Ufficiale)

erzhanskaya vasilisa_b w Amsterdam Het Concertgebou

#rosina #bar bie #summer #c redisiviglia #rossini #s t.petersburg ocktails_sch lürfen_im_b ühnenbild

1. Juli 2019

ra #amsterdam de #vivaldi #lacet #aristea #l’olimpia #glamour e _m age #st e #backstag 19. Februar 2019

MUSIKALISCHE LEITUNG David Parry INSZENIERUNG, BÜHNE UND KOSTÜME Kirill Serebrennikov SZENISCHE NEUEINSTUDIERUNG Julia Huebner MITARBEIT BÜHNE Alexej Tregubov VIDEO Ilya Shagalov LICHT Diego Leetz CHOR Michael Clark

Chor des Theater Basel Es spielt das Sinfonieorchester Basel. Eine Produktion der Komischen Oper Berlin, Neueinstudierung für das Theater Basel


n veya enba g r u g

Um Rosinas Herz zu gewinnen, will sich Graf Almaviva alias Lindoro von seiner Schokoladenseite zeigen – Bart, aber herzlich, sozusagen! Der Bariton Gurgen Baveyan, neues Ensemblemitglied seit dieser Spielzeit und unser hauseigener Figaro, zeigt dem Grafen Möglichkeiten, seiner Persönlichkeit durch verschiedene Gesichtsbehaarungsformen Ausdruck zu verleihen.

gurg enba veya n

t du:  rt bis ant,  a B iesem harm  Mit d ewusst, c tb  selbs erisch.  hr  verfü n veya enba g r u n: g ort a Antw

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Mit diesem Bart bist du:   zeitlos, witzig, schlau.

t du:  art bis immt,  B m e ies stbest  Mit d ll, selb e u d i  indiv h.  enklic d h c a  n

Antwort an: gurgenbaveyan

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HUNDERT JAHRE WEINEN ODER HUNDERT BOMBEN WERFEN

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DIE FAKTEN SIND REAL – DIE FIGUREN FIKTIV Im Auftrag des Theater Basel hat Darja Stocker gemeinsam mit Mohamedali Ltaief das Stück «Hundert Jahre weinen oder hundert Bomben werfen» geschrieben, das inspiriert ist von Gesprächen der Autorin mit einem ehemaligen Basler Verdingbub und Fremdenlegionär. Dramaturgin Carmen Bach hat sie zu der Entstehungsgeschichte des Dramas befragt. Das Stück beruht auf der realen Biografie eines Verdingbuben, der später zur Fremdenlegion ging. Wie viel ist tatsächlich biografisches, wie viel fiktives Material? Am Anfang der Stückidee stand erst einmal die Thematik. Ich hatte das Buch «Postkoloniale Schweiz» gelesen und stiess dort auf ein Kapitel über Fremdenlegionäre. Bisher kannte ich das Thema nur durch den Schriftsteller Friedrich Glauser, der in den Zwanzigerjahren in der Legion war, sowie aus einer Erzählung aus dem französischen Teil meiner Familie. Diese hatte in den Sechzigerjahren einen deutschen Fremdenlegionär bei sich aufgenommen, der desertiert war. Das Kapitel im Buch eröffnete mir einen neuen Blickwinkel: Die Kriegsfreiwilligkeit wurde ausgehend von der sozialen Situation in der Schweiz in den Fünfzigerjahren beschrieben. In einer dazugehörigen Radiosendung wurden Biografien junger Legionäre vorgestellt. Als ich hörte, dass viele der jungen Männer, die im Algerienkrieg kämpften, in der Schweiz Verdingbuben gewesen waren, wusste ich, dass ich dazu etwas schreiben wollte. Als Erstes beschäftigte mich vor allem der grosse Anteil der deutschsprachigen Legionäre: die Schweizer, Deutschen und Österreicher machten zusammen die grösste Gruppe innerhalb der Legion aus. Das Thema ist also kein rein schweizerisches, so wenig wie der Algerienkrieg ein französisches ist, sondern ein europäisches. Der letzte Kolonialkrieg Europas erinnert uns daran, welche zentralen Teile der europäischen Geschichte und welche Zusammenhänge in der allgemeinen Geschichtswahrnehmung fehlen. Die Verknüpfung der Schweizer Geschichte mit der Geschichte der Fremdenlegion in Algerien war der Grund, Mohamedali Ltaief als Co-Autor hinzuzuziehen. Auf René Schüpbachs Biografie stiess ich im Buch von Peter Huber, der soziologisch zu den Beweggründen der Kriegsfreiwilligkeit geforscht hat. Den Ausschlag, Herrn Schüpbach zu treffen, gab dann

Daniel Künzis Dokumentarfilm «C’était la guerre». Dort sticht Schüpbach als ein Ex-Legionär heraus, der sein eigenes Handeln kritisch betrachtet, der Gewalttaten bereut, der die Rolle der Legion analysiert. In den Gesprächen mit ihm habe ich bemerkt, dass viele entscheidende Momente in seiner Geschichte mit Schlüsselerlebnissen in der Kindheit verbunden sind, die immer mit Gewalt zu tun hatten. Ausgehend von seinen realen Erlebnissen habe ich als Autorin versucht, die Mechanismen deutlich zu machen, denen Legionsanwärter als Kind ausgeliefert waren – privat und sozial. Dazu habe ich streckenweise seine spezifische Biografie verlassen und Aspekte von anderen «Freiwilligen» eingefügt – denn die soziale Realität und die frühe Erfahrung von struktureller und familiärer Gewalt teilten fast alle. Im zweiten Teil, der in Algerien spielt, geht es dann stärker in die Fiktion. Diesen Teil habe ich mit Mohamedali Ltaief gemeinsam geschrieben. Wir wollten Konstellationen sichtbar machen, die damals durchaus real waren: dass sich gleichaltrige junge Männer gegenüberstanden, die zum Teil eine ähnliche Unterdrückung erlebt hatten. Und nun kämpften sie für ganz unterschiedliche Dinge: die einen für die Freiheit des eigenen Volkes und Landes, die anderen für die Ideologie einer Kolonialarmee und ein imaginiertes Grossfrankreich. Die historischen Fakten und Vorgänge sind real – die Figuren sind fiktiv. Was war der Anlass, sich der beiden Tabuthemen Verdingung und administrative Versorgung anzunehmen? Wurde schon zu viel oder noch zu wenig über diese Themen gesprochen? Die Verdingung und die administrative Versorgung sind Thematiken, die zur Schweizer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte gehören. In einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs wurde einer gewissen Bevölkerungsschicht vermittelt, dass sie die


FAKTEN FIKTION FREUNDSCHAFT

vorgegebenen Bahnen nicht zu verlassen und sich in ihr Schicksal als dienender Teil der Bevölkerung zu fügen hätte, als funktionierende, nicht aufbegehrende Arbeitskräfte. Die damalige Entrechtung der weiblichen Bevölkerung in puncto Wahlrecht hängt ebenfalls damit zusammen. Die Schweiz hatte die Menschenrechtserklärung von 1948 nicht ratifiziert. Sie wurde erst 1971 von aussen dazu ermahnt und unterschrieb sie gar erst 1983 in allen Punkten. Die Auswirkungen, die Familien mit einer Verdingungsund/oder administrativen Versorgungsgeschichte bis heute davon verspüren, sind immens. Dazu muss gesagt werden, dass es vor allem die jahrelange Beharrlichkeit der Betroffenen selbst ist, die diese Diskussion dahin gebracht hat, dass es eine unabhängige Expertenkommission dazu gibt und das Thema nun gerade sehr präsent ist. Man kann nicht genug über diese Forschungsergebnisse sprechen, Zeugenaussagen wiederholen und zuhören, da rechte Kräfte aktuell versuchen, dieselben Mechanismen mittels Aushebelung von Rechten bestimmter Bevölkerungsgruppen wieder zu aktivieren. Die französische Fremdenlegion spielt eine grosse Rolle in der Schweizer Geschichte. Was hat dich als Autorin dazu bewogen, dich so intensiv mit diesem Männerthema zu befassen? Ein Teil der Antwort liegt gerade darin, dass die Thematik des Kolonialismus nicht national betrachtet werden kann, denn Handelsbeziehungen und Ideologien der Unterdrückung spielten und spielen sich nicht innerhalb von Landesgrenzen ab. Diese sowie frühere Verwicklung in koloniale Kämpfe werden bei aktuellen rechtspopulistischen Kämpfen ausgeblendet – und somit auch die Verantwortung, Geschichte in ihrer Komplexität ins Bewusstsein zu holen. Den Blick auf die «eigenen Männer» zu richten, die Vorfahren im weiteren Sinne, auf die eigene Verstrickung, ist daher von meiner Seite als Autorin mit schweizerisch-französischem Hintergrund, die oft in Deutschland lebt, ein Gegenfokus. Mich hat zudem auch ein philosophischer, soziologischer Blick auf das «Mannsein» interessiert. Bei der Legion und generell in der Armee hiess Mannsein, einer Ideologie zu folgen. Einer Ideologie, die Menschen unterschiedliche Wertigkeiten erteilt, Eroberung legitimiert und das Töten feiert. Während deiner Recherche ist Mohamedali dazugestossen. Inwiefern bereichert seine Perspektive als Tunesier deine Arbeit an diesem schweizerischen Stoff? Mohamedali und ich tauschen uns seit vielen Jahren über Fragen aus, die uns beide beschäftigen – und dies aus unterschiedlichen Perspektiven. Er sieht den Algerienkrieg zwar auch von aussen – sein Blick ist aber erst mal ein nichteuropäischer, wie er selbst formuliert, er hat eine andere Erzählung «gelernt», ein anderes Wissen über die

Kolonial-geschichte Nordafrikas erhalten. Wir haben gemeinsam Archivmaterial gesichtet, Filme geschaut sowie philosophische und literarische Texte aus der damaligen Zeit diskutiert. Dabei passiert etwas, was die Kolonisatoren damals zu verhindern versucht haben: ein Hybridisierungsprozess. Wir denken und sprechen zwar aus verschiedenen Perspektiven, schrieben dann aber auf einmal an allen Rollen gemeinsam. Während des Kreationsprozesses sind wir von gemeinsamen Fragen ausgegangen. Von der Frage nach einer internationalen mörderischen Armee damals und möglichen Parallelen zur Gegenwart. Oder der Frage nach der Revolution als transformativer Kraft beziehungsweise der Enttäuschung über ihr Scheitern. Was verbindet denn diesen historischen Stoff mit unserer Gegenwart? Die Frage, die sich heute ebenso wie damals stellt, ist: Wie kommt es, dass Individuen in einer tödlichen Variante von Männlichkeit Sicherheit suchen? Was ist der Nährboden der Bereitschaft, freiwillig in den Krieg zu ziehen oder sich einer tötungswilligen Gruppe anzuschliessen? Warum glaubt jemand einer menschenverachtenden Ideologie? Die Unterschiede unter den gewaltbereiten, radikalisierten jungen Menschen heute mögen komplex sein, die Vergleichbarkeit mit damals ebenfalls begrenzt. Der Kern der Problematik ist aber ein gemeinsamer: Wie kommt man zu einem Vorurteil, dass einen in letzter Konsequenz zum Töten auffordert? Was uns in diesem Stück interessiert, ist die Frage der Zukunft, einer postkolonialen Zukunft vor allen Dingen, und wir möchten es gerne dem Publikum überlassen, sich mit den Fragen zu beschäftigen, die wir mit dem Stück stellen. HUNDERT JAHRE WEINEN ODER HUNDERT BOMBEN WERFEN Schauspiel von Darja Stocker und Mohamedali Ltaief

INSZENIERUNG Franz-Xaver Mayr BÜHNE Michela Flück KOSTÜME Korbinian Schmidt MUSIK Matija Schellander

Uraufführung/ Auftragswerk 18. Oktober 2019 Kleine Bühne

MIT Jeanne Devos, Jonas Götzinger, Pascal Goffin, Malte Homfeldt, Maximilian Kraus, Matthias Luckey, Julius Schröder, David Michael Werner


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DON’T TELL THE KIDS

«IF YOU CLOSE THE DOOR, THE NIGHT COULD LAST FOREVER» – ABER VERRATEN SIE ES NICHT DEN KINDERN! Eine tänzerische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Familie bietet dieser kurzweilige und unterhaltsame Tanzabend auf der Kleinen Bühne. Richard Wherlock lässt zwei Kleinfamilien zwischen den Polen Autorität und Aufbegehren, zwischen Kontrolle und Abgrenzung die verschiedensten Szenarien und Konstellationen durchdeklinieren und macht deutlich: es gibt bei ihm weder die perfekte Beziehung noch die perfekte

FAKTEN FIKTION FAMILIENBLUES

DON’T TELL THE KIDS Tanzstück von Richard Wherlock Musik von The Velvet Underground und Max Zachrisson Wiederaufnahme 19. September 2019 Kleine Bühne CHOREOGRAFIE UND BÜHNE Richard Wherlock KOSTÜME Carlijn Petermeijer Es tanzt das Ballett Theater Basel. Partner des Ballett Theater Basel: Basellandschaftliche Kantonalbank

Familie. Unverkrampft dekonstruiert er die gängigen Familienkonstellationen in einem tänzerischen Kammerspiel zur Musik von «The Velvet Underground», einer experimentellen Rockband aus den frühen Sechzigerjahren, ergänzt durch Kompositionen und Arrangements von Max Zachrisson, einem Ensemblemitglied des Ballett Theater Basel.


HAUSBESUCH

HAUSBESUCH BEI KLAUS BRÖMMELMEIER UND SEINEN HÜHNERN Geboren in Franken, aufgewachsen in der Nähe von Bielefeld, Medizinstudium abgebrochen, danach Schauspielschule in Zürich, hat er sein Zuhause in Basel gefunden: Klaus Brömmelmeier lebt seit fast zwanzig Jahren mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in einer Altbauwohnung im Kleinbasel. Vor Kurzem hat die Familie sogar noch mal Zuwachs bekommen: Hühner, vier an der Zahl, ein jedes in einer anderen Farbe – Winnie, Henni, Fanny und Trixi. Es gibt Cappuccino auf dem Balkon, auf dem ein kleiner Wasserlauf plätschert, unten im Garten glucksen die Hühner. Seine Kindersommer hat er in den Bergen verbracht, deswegen hat er sich in der Schweiz gleich heimisch gefühlt. Seine Frau kommt aus Luzern, seit einigen Jahren ist Klaus eingebürgerter Krienser mit doppelter Staatsbürgerschaft. Bereits von 2000 bis 2006 war er am Theater Basel engagiert, bevor er 2009 bis 2019 Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich wurde. Er freut sich sehr, dass ab August nicht nur sein Lebensmittelpunkt, sondern auch seine Arbeit wieder in Basel stattfinden wird. Was auch bedeutet, dass er endlich wieder mehr Zeit für Freunde hat. Er ist sich bewusst, dass seine Sesshaftigkeit ein Luxus im Schauspielberuf ist, er hat sich immer gewünscht, dass seine «Homebase», seine Familie und seine privaten vier Wände, erste Priorität hat: «Das hat zur Folge, dass man natürlich nicht so rumjetten kann. Aber das ist es mir wert, das habe ich nie bereut, im Gegenteil. Im Moment merke ich vor allem, wie heikel das Thema Mobilität eigentlich generell ist.» Unterwegssein begeistert ihn, eigentlich ist er ein Rastloser, der aber immer wieder gerne in den Heimathafen Basel zurückkehrt. Klaus macht sich Gedanken über E-Mobilität, den Ausbau des Nachtzugnetzes, zu billige Flüge,

die Autonation Deutschland. Seine Tochter ist vierzehn, sein Sohn siebzehn, sie sind die «Fridays for Future»-Generation: «Sie beschäftigen sich gerade mit Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit. Es kann nicht immer alles grösser werden, wir müssen eigentlich wieder kleiner werden. Das ist schmerzhaft, aber auch eine Chance. Dass man lernt, ein bisschen bescheidener zu werden, zu verzichten, zum Beispiel beim Fleischkonsum. Seit wir die Hühner haben, ist meine Tochter Vegetarierin.» Aufs Stichwort besuchen wir die Hühner in ihrem Zuhause im Garten. Der Stall gleicht einer kleinen Villa Kunterbunt mit Dachterrasse für die Familie, Klaus hat den neuen Mitbewohnerinnen ein gemütliches Wohnzimmer im Erdgeschoss gezimmert. Die brütenden Hennen im Stroh geniessen die Aussicht auf Barockgemälde und Wandleuchten, und wenn ihnen das zu langweilig wird, können sie zum Auslauf auch ins angrenzende geschützte Gehege oder zum Flanieren auf den Rasen. Schon in seiner Kindheit hatte er Hühner, jetzt hat er gemeinsam mit Nachbarn seinen Traum von einem Hühnerstall mitten in der Stadt verwirklicht. «Wir sind eine sehr nachbarschaftliche Hausgemeinschaft. Aber man will ja auch nicht die Nerven der umliegenden Hausbewohner strapazieren: wegen möglichem Nachwuchs und zu viel Kikeriki haben wir auf einen Hahn verzichtet und eine reine Frauentruppe engagiert.» Ab 27. September ist Klaus Brömmelmeier in «Andersens Erzählungen» auf der Grossen Bühne des Theater Basel zu erleben. Text: Carmen Bach

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DER STANDHAFTE PRINZ

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CALDERÓN, GROTOWSKI, BORCZUCH UND «DER STANDHAFTE PRINZ» Als am Pfingstsonntag des Jahres 1681 Pedro Calderón de la Barca im Alter von einundachtzig Jahren stirbt, folgen mehr als dreitausend Menschen seinem Leichenzug durch Madrid. Mit Calderón, so heisst es, starb auch das «Siglo de Oro», das Goldene Zeitalter Spaniens. Wie kein anderer Autor repräsentierte und prägte Calderón mit seinem Werk diese Epoche, die gleichzeitig Blüte und Höhepunkt von Spaniens politischer und kultureller Macht und Einfluss im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts bildete. Die Verehrung für Calderón, den Schöpfer von mehr als zweihundert Stücken(!), wirkte in Spanien bis weit über seinen Tod hinaus nach. Bis ins 18. Jahrhundert bleibt er der meistgespielte und beliebteste Autor seines Heimatlandes. Auch in Deutschland, besonders in der Zeit der Romantik, begeistert man sich früh für Calderón – und vor allem für sein Stück «Der standhafte Prinz». Von Goethe heisst es beispielsweise, dass er die Lektüre des Stücks im Hause Johanna Schopenhauers vor Rührung plötzlich unterbrochen habe: «Wenn die Poesie von der ganzen Welt verloren ginge», sagte er, «so könnte man sie aus diesem Stück wiederherstellen.» Und Eichendorff nannte es «eines der herrlichsten Trauerspiele, die jemals gedichtet wurden». «Der standhafte Prinz» wurde 1629 erstmalig in Madrid aufgeführt. Den realen politischen Hintergrund des Stücks bilden historisch belegte Ereignisse: der 1437 begonnene Feldzug der Portugiesen gegen die Mauren, die Gefangenschaft des portugiesischen Fürsten Fernando und sein Tod in Fès im Jahr 1443. Kern und Auslöser des Konflikts war der Kampf um die nordafrikanische Stadt Ceuta – bis heute spanische Enklave und immer wieder Auslöser von Spannungen zwischen Marokko und Spanien. Die Erstürmung Ceutas im Jahr 1415 durch die Portugiesen markierte den Übergang weg vom blossen Erforschen der Grenzen der damals bekannten Welt hin zum Kolonialismus. Mit dieser Eroberung wurde ein beispielloser Prozess von Aneignung, Unterdrückung und Ausbeutung in Gang gesetzt. Calderón nimmt mit «Der standhafte Prinz» den Beginn dieses Prozesses ins Visier, vor allem die

folgenschwere Entscheidung der Portugiesen, den ersten Brückenkopf, Ceuta, um keinen Preis wieder aufzugeben. Damit war die Grundlage geschaffen für die Eroberung der afrikanischen Westküste, der Azoren und der Kapverden, womit das Terrain für das Jahr 1492 bereitet war, für jenes Ereignis, das aus historischer Sicht den Epochenbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit markiert. Bei Calderón ist der erbitterte Kampf um die christianisierte Stadt Ceuta ein Märtyrerdrama. Im Zentrum steht der portugiesische Prinz Fernando, der nach siegreichem Kampf über die Mauren bei Tanger seinem feindlichen Gegenüber Muley das Leben schenkt. Aber in der nachfolgenden Schlacht wird Fernando selbst gefangen und soll im Tausch gegen die Stadt Ceuta freigelassen werden. Doch Fernando widersetzt sich diesem Handel. Lieber will er sterben, als eine bereits christianisierte Stadt den Mauren kampflos preiszugeben. In keinem anderen Stück hat Calderón die ethischen Grundbegriffe seines Weltbildes, Ehre und Glaube, so untrennbar und schicksalhaft miteinander verwoben. Er umkreist damit konsequent die Frage: Wie weit bin ich für meine Überzeugungen, meinen Glauben und für mein Leben bereit zu gehen? Der polnische Theaterguru Jerzy Grotowski hat genau diese Frage ins Zentrum seiner legendären Inszenierung aus dem Jahr 1966 gestellt. Er wollte darin die existenzielle Grenzsituation des Prinzen für das Publikum sicht- und erlebbar machen. Das Spiel wird bei Grotowski zu einem Ritual, und von seinen Schauspieler_innen verlangte er nichts weniger als den «totalen Akt»: «Ich verlange vom Schauspieler eine bestimmte Tat. In einer einzigen Reaktion soll der Schauspieler der Reihe nach die verschiedenen Schichten seiner Persönlichkeit entblössen, von den Instinkten über die Gedanken und das Bewusstsein bis zu einem schwer zu definierenden Gipfel, auf dem alles zu einer Einheit verschmilzt. Darin gibt es den Akt der völligen Enthüllung des eigenen Ich, eine Ergebenheit, eine Aufrichtigkeit, die alle üblichen Barrieren überwindet. Ich nenne das ‹totaler Akt›.»


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DER STANDHAFTE PRINZ

DER STANDHAFTE PRINZ

In Ryszard Cieślak als Prinz Fernando fand Grotowski einen Protagonisten, der seine Forderungen wie kein anderer zu verkörpern in der Lage war. Mit dieser Aufführung hat Grotowski die Grundlagen geschaffen für ein Theater jenseits der Illusionsmaschinerie, sein, wie er es nannte, «Armes Theater»: eine Kombination aus Performance, Körpertheater, Improvisation und absoluter Hingabe und Entäusserung. Mit Grotowski verbindet den polnischen Theaterregisseur Michał Borczuch die Suche nach dem Persönlichen, Direkten und Authentischen auf der Bühne wie in der Arbeit mit den Schauspieler_innen. Der 1979 in Krakau geborene Borczuch zählt in seiner Heimat zu den herausragenden Regiehandschriften der jüngeren Generation. In seinen frühen Arbeiten adaptierte er literarische Klassiker von Goethe, Büchner oder Wedekind. Schon bald begann er, weniger im Theaterraum selbst, sondern stattdessen mit Menschen zu arbeiten, die autistisch oder blind sind, sowie mit Kindern aus einem Waisenhaus. Aus dieser Zusammenarbeit entstand 2018 auch sein erster, vielfach ausgezeichneter Spielfilm «Komodo Dragons». Doch auch nach seinem erfolgreichen Ausflug zum Film bleibt seine Basis weiterhin das Theater, wo es ihm immer wieder gelingt, mit seinem ausserordentlichen Gespür und einfachsten Mitteln erstaunliche neue Welten zu kreieren, die ungewöhnlich, überraschend, immer aber sehr persönlich sind. Mit «Der standhafte Prinz» gibt Michał Borczuch sein Debüt in der Schweiz und am Theater Basel, in Koproduktion mit CULTURESCAPES, dem Basler Kulturfestival, das dieses Jahr den Fokus auf Polen legt. Gemeinsam mit dem Autor und Dramaturgen Tomasz Śpiewak adaptiert er den nach wie vor politisch brisanten und hochaktuellen Stoff für das Theater Basel und nimmt darin auch Bezug auf Grotowskis Theaterarbeit und seine legendäre Inszenierung. Text: Michael Billenkamp

Der portugiesische Prinz Fernando schenkt nach siegreichem Kampf seinem feindlichen Gegenüber Muley das Leben, weil ihn dessen Liebe zur Prinzessin Phönix rührt. In der darauffolgenden Schlacht wird Fernando selbst gefangen und soll im Tausch gegen die von Christen eroberte Stadt Ceuta freigelassen werden. Doch Fernando widersetzt sich diesem Handel. Lieber will er sterben, als eine christianisierte Stadt kampflos den Muslimen zu überlassen. Muleys Versuch, seinen Lebensretter heimlich zu befreien, scheitert ebenso wie alle Bemühungen, Fernando vor seinem freiwilligen Märtyrertod zu bewahren.

DER STANDHAFTE PRINZ Schauspiel von Pedro Calderón de la Barca Neuübersetzt für das Theater Basel von Susanne Lange Premiere 19. Oktober 2019 Schauspielhaus INSZENIERUNG Michał Borczuch TEXTADAPTATION Tomasz Śpiewak BÜHNE UND KOSTÜME Dorota Nawrot

MUSIK Bartosz Dziadosz VIDEO Wojciech Sobolewski LICHT Jacqueline Sobiszewski MIT Jonas Anders, Dominika Biernat, Holger Bülow, Jan Dravnel, Simon Kirsch, Maik Solbach, Leonie Merlin Young Eine Koproduktion des Theater Basel mit CULTURESCAPES

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FAKTEN FIKTION ÜBERZEUGUNG


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IM HINTERHAUS

«ANNE FRANK IST DEFINITIV EIN HALT UND EIN GUTES VORBILD» Anne Frank war ein Teenager, als sie ihr Tagebuch verfasste, während sie über zwei Jahre mit ihrer Familie im Versteck im Hinterhaus eingesperrt war. Gemeinsam mit der Regisseurin Hanna Müller erzählen Jugendliche aus Basel, die so alt sind wie Anne Frank damals, die Geschichte Anne Franks und anderer Stimmen. Dramaturg Rouven Genz hat mit Antonia (13) und Emma (14) aus dem Ensemble über Anne Frank, ihre Aktualität und den Widerstand gesprochen. FAKTEN

Wann sind euch Anne Frank und ihr Tagebuch das erste Mal begegnet? Antonia: Ich habe von meinem Grossvater die Comicversion des Tagebuchs geschenkt bekommen, als ich zwölf Jahre alt war, und habe es gelesen – und mich auch für das Stück jetzt mit ihr beschäftigt. Emma: Meine älteste Schwester hat damals, als sie etwa dreizehn Jahre alt war, in ihrer Schule im Unterricht darüber gesprochen. Zu Hause hatten wir auch Bücher über den Nationalsozialismus, aber da war ich noch sehr jung und habe mich nicht wirklich damit beschäftigt. Das kam dann erst später. Wie wirkte ihr Tagebuch auf euch? Antonia: Für mich war es erst eher etwas Historisches. Ich kannte ihren Namen auch schon, bevor ich den Comic gelesen habe. Sie war irgendwie immer schon da und war für mich das Symbol der Judenverfolgung, was mich auch sehr beschäftigt hat. Aber direkt mit ihr habe ich mich zunächst nicht identifiziert. Emma: Erst war es für mich reines Schulmaterial, aber als ich mich dann damit beschäftigt habe, habe ich mich auch mit ihr verglichen. Das macht man ja auch automatisch. Ich habe dann wirklich Gemeinsamkeiten für mich herausgefunden und wollte ihr sofort einen Charakter geben. Dadurch konnte ich mich mit ihr irgendwie identifizieren. Was waren das für Gemeinsamkeiten? Emma: Ihre Art, so wie sie ist. Sie ist zwar schwierig, aber auch ehrlich. Ihre positiven, aber auch negativen Seiten, die habe ich auch bei mir entdeckt. Das war am Anfang echt komisch, aber auch irgendwie cool.

IM HINTERHAUS Ein Projekt über Anne Frank mit Basler Jugendlichen Premiere 8. November 2019 Kleine Bühne

MIT Muriel Becher, Hélène Dupont, Ladina Gisler, Fiona Keller, Itamar Mangold, Emma Madita Moesch, Uma Rukat, Antonia Spoerri, Leni Staeger, Sinan Zeugin

Eine Kooperation des Theater INSZENIERUNG Hanna Müller Basel mit dem Anne Frank AUSSTATTUNG Anna Sörensen Fonds, Basel und mit UnterMUSIK Anna Hirsch stützung der SULGER-STIFTUNG

FIKTION POWER

Würdet ihr sagen, dass ihre Stimme heute noch eine Aktualität hat, nehmt ihr was daraus mit? Emma: Sie ist definitiv ein Halt und ein gutes Vorbild für eigentlich alle Menschen. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass es auch andere Stimmen gab und auch heute gibt, die man nicht hört. Antonia: Genau, da haben wir ja auch in den Proben schon drüber gesprochen. Es gibt eben auch ganz viele andere, die auch sehr leiden oder gelitten haben, die vielleicht sogar ein Tagebuch geschrieben haben, das wir heute aber einfach nicht lesen können, weil es nie veröffentlicht wurde. Könnt ihr beschreiben, was für euch «Widerstand» bedeutet? Antonia: Dass man sich zum Beispiel auflehnt gegen Dinge, die schon immer so waren. Wenn jemand eine Regel aufstellt, zum Beispiel die Eltern, und man sich ihr widersetzt, weil man sie nicht gut findet. Emma: Ja, genau. Man kämpft eigentlich für etwas, das man will in diesem Moment, was es aber eben noch nicht gibt. Das kann positiv, aber auch negativ sein. Der Frauenstreik zum Beispiel ist ein positiver Widerstand, weil da für eine Gerechtigkeit gekämpft wird, die es einfach noch nicht gibt. Könnt ihr zum Abschluss noch einmal beschreiben, was eure Hoffnungen für diese Produktion sind? Antonia: Ich erhoffe mir eigentlich, dass ich mich in Anne hineinversetzen und sie und ihre Lage verstehen kann – und dass das am Ende auch verstanden wird. Dass ich zeigen kann, wie Anne war, nicht nur die guten Seiten, nicht nur das Symbol «Anne Frank», sondern auch die Probleme, die sie mit ihren Eltern hatte, oder wie sie sich mit ihrer Sexualität beschäftigt hat. Emma: Ich erhoffe mir, dass die Zuschauer_innen, wenn sie uns sehen, sich ihre eigenen Gedanken machen. Dass da etwas hängen bleibt. Abgesehen davon mache ich dieses Projekt auch für mich selbst, weil ich für mich eine neue Tür öffnen möchte.


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COW

EIN MOTIV: DIE KUH ODER: AUCH KÜHE HABEN GEFÜHLE

Grund genug, einen Ballettabend daraus zu machen Nutztiere haben ein komplexes Seelenleben. Sie sind, das zeigen Forschungsergebnisse ganz deutlich, viel feinfühliger, klüger, sozialer und empfindsamer, als wir gemeinhin glauben. In den Ställen und auf den Weiden findet man die erstaunlichsten Dinge: Schweine, die Musik lieben, todesmutige Ziegen, Hühner mit Sinn für Humor – und Kühe, die ihren besten Freundinnen ein Leben lang treu zugewandt bleiben. Es war also längst an der Zeit, dass ein Tanzstück über das Hornvieh auf die Bühne gebracht wird, nicht zuletzt deshalb, weil Tierverhaltensbiologen überzeugt davon sind, dass Kühe Gefühle haben und persönliche Beziehungen eingehen. Mehr noch: sie sprechen miteinander, geben ihre Weisheit weiter, kümmern sich um den Nachwuchs, spielen Verstecken, sind beleidigt, verärgert, traurig oder aufgekratzt. Zudem drückt die Kuh einen Grossteil ihrer Kommunikation keineswegs über das Muhen, sondern über ihre Haltung aus. Besonders die Stellung des Kopfs ist für sie ein zentrales Mittel zur Kommunikation. Die Bewegungen der Kuh geben Auskunft über ihre Befindlichkeit. Ähnlich wie beim Tanz also: Kommunikation durch Bewegung in Raum und Zeit. Grund genug für Alexander Ekman, schwedisches Enfant terrible der zeitgenössischen Ballettwelt, eine abendfüllende Choreografie zum Thema zu kreieren. «So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in das Himmelreich», sagte der Philosoph Friedrich Nietzsche. Das fand der Tänzer und Choreograf Ekman zugleich lustig und denkwürdig – und hat sich daraufhin ein Ballett ausgedacht, welches

als Motiv einfach nur die Kuh hat: COW. Das Ergebnis ist ein abstrakter und ein klein wenig verrückter Tanzabend in elf Szenen, in denen es weisse Kühe aus Plastik, eine bewegte Bühne, ein streitendes Pärchen, das aus dem Bühnenhimmel hinab- und wieder hinauffährt, und natürlich jede Menge dynamischer Tänzerinnen und Tänzer in zum Teil eigenwilligen Kostümen gibt, die, das liegt auf der Hand, auch mal auf allen vieren über die Bühne wandern. Ein abendfüllendes Stück ohne Handlung und ohne erzählte Geschichte, aber mit viel Freude an der Bewegung. Wer nun glaubt, das Thema Kuh war für den humorvollen Künstler nur ein Vorwand, fetzigen Tanz und Lust an der Choreografie samt zahlreichen Zitaten aus der neueren Ballettgeschichte vor absurdem Hintergrund zu schaffen – der hat irgendwie recht. Es ist aber auch ein Stück, das von der ironischen Übersteigerung lebt. Witzig-hintergründig und satirisch-absurd feiert Ekman wieder einmal ausgelassen eine Satire auf den gesamten Kunstbetrieb. «Ist es ausdrucksstark genug?», «Werden Sie sich daran erinnern?» – dies sind Fragen, die während der Vorstellung auf die Bühne projiziert werden und damit mit dem für Alexander Ekman typischen Augenzwinkern die grosse Frage in den Raum stellen: Was kann Kunst? Eine Möglichkeit, dieser Frage auf den Grund zu gehen und vielleicht sogar so manch unerwartete Antwort zu entdecken, bietet das Ensemble des Ballett Theater Basel ab dem 15. November 2019 auf der Grossen Bühne. Text: Bettina Fischer

FAKTEN FIKTION FUN

COW Ballett von Alexander Ekman Musik von Mikael Karlsson Premiere 15. November 2019 Grosse Bühne Uraufführung 12. März 2016 Semperoper Dresden CHOREOGRAFIE, BÜHNE UND LICHTDESIGN Alexander Ekman LICHTSUPERVISOR Fabio Antoci KOSTÜME Henrik Vibskov VIDEO T. M. Rives CHOREOGRAFISCHE ASSISTENZ UND EINSTUDIERUNG Ana-Maria Lucaciu, Rebecca Gladstone Es tanzt das Ballett Theater Basel. Partner des Ballett Theater Basel: Basellandschaftliche Kantonalbank


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CARMEN

«NIMM DICH IN ACHT, WENN MAN MIR VERBIETET, ETWAS ZU TUN, IST ES BALD GETAN» CARMEN Ballett von Johan Inger Musik von Rodion Schtschedrin, Georges Bizet, Marc Álvarez Wiederaufnahme 19. Oktober 2019 Grosse Bühne

Furchtlos und freiheitsliebend gestaltet Carmen ihr Leben und ihre Beziehungen; und muss am Ende sterben, weil andere ihre Freiheit nicht ertragen können. Im Vordergrund von Johan Ingers abendfüllenden Handlungsballett steht das altbekannte Drama von Liebe und Eifersucht. Doch das «Carmen»-Ballett des Schweden basiert nicht nur auf der Geschichte seiner weiblichen

Protagonistin, sondern konzentriert sich, ähnlich wie Prosper Mérimées literarische Vorlage des Stoffes, auf Don José. Unfähig, den freiheitlichen Geist seiner Geliebten zu akzeptieren, führt ihn diese Liebe auf einen Weg in eine emotionale Hölle: Eifersucht, Leidenschaft und Rache bestimmen sein Denken und sein Handeln. Dies kann man wieder ab 19. Oktober 2019 auf der Grossen Bühne erleben.

Uraufführung 9. April 2015 Compañía Nacional de Danza, Madrid CHOREOGRAFIE Johan Inger MUSIKALISCHE LEITUNG Thomas Herzog BÜHNE Curt Allen Wilmer KOSTÜME David Delfín LICHT Tom Visser Es spielt das Sinfonieorchester Basel. Es tanzt das Ballett Theater Basel. Partner des Ballett Theater Basel: Basellandschaftliche Kantonalbank

FAKTEN FIKTION FREIHEITSDRANG


27 KONZERT FÜR MENSCHEN MIT UND OHNE DEMENZ

SA 21. September 2019, 14 Uhr Foyer Grosse Bühne Dauer des Konzerts ca. 60 Minuten, anschliessend Kaffee und Kuchen. MUSIKALISCHE LEITUNG Nikolaus Reinke MODERATION Anja Adam SOPRAN Kali Hardwick BARITON Gurgen Baveyan, Dmytro Kalmuchyn VIOLINE Annemarie Kappus, Akiko Hasegawa VIOLA Yun Wu VIOLONCELLO Benjamin GregorSmith

Die Liebe zur Musik und der Wunsch und Wille zur kulturellen Teilhabe enden nicht plötzlich mit dem Einsetzen einer demenziellen Veränderung. Wohl aber ändern sich die Rahmen- und Zugangsbedingungen, die auch in dieser neuen Situation Vorfreude und ein entspanntes Konzerterlebnis garantieren. Diesen neuen Voraussetzungen passen wir uns einfach an und laden am Samstag, den 21. September 2019, dem Weltalzheimertag, ein zu einem Opernkonzert mit bekannten Melodien, in dem sich

alle – Menschen mit und ohne Demenz, ihre Angehörigen und Wegbegleiter_innen – von Anfang bis Ende ohne Ängste und Bedenken wohlfühlen können. Das Konzert klingt bei anschliessendem gemeinsamem Kaffee und Kuchen gemütlich aus. Sollten Sie sich am Tag selbst doch nicht in der richtigen Verfassung fühlen, können Sie Ihr erworbenes Ticket bis 30 Minuten vor Konzertbeginn zurückgeben; die Ticketkosten werden erstattet.

In Kooperation mit dem Sinfonieorchester Basel und in Zusammenarbeit mit Alzheimer beider Basel Mit freundlicher Unterstützung von CURAdomizil

Spätestens seit den 1960er- und 1970er-Jahren, als das Foto des Revolutionärs Che Guevara aus vielen Jugendzimmern kaum wegzudenken war, ist das Guerillaoutfit ein modischer Hingucker für (Salon-)Sozialist_innen aller Altersgruppen. Wichtiges Merkmal: die Baskenmütze. Diese gern schief getragene Kopfbedeckung hat ihren Ursprung in den Pyrenäen, wo sie überwiegend von Schäfern getragen wurde. Während der Französischen Revolution fand die Baskenmütze schliesslich ihren Weg nach Paris. In den 1940er-Jahren galt die «Franzosenmütze» während der deutschen Besatzung in Elsass-Lothringen als Zeichen des Widerstands und wurde verboten. Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs erfreute sich die Baskenmütze grosser Beliebtheit, nicht nur bei zahlreichen Intellektuellen und Künstler_innen, sondern auch bei Anhänger_innen verschiedenster Revolutionen. Wie Kostümbildnerin Christina Schmitt die Baskenmütze für die Bühne neu definiert, sehen Sie ab 14. September in der Oper «Al gran sole carico d’amore» auf der Grossen Bühne. Text: Pavel B. Jiracek

Paweł Pawlikowski «Ida» © Frenetic Films Marta Górnicka «Hymne an die Liebe» © Magda Hueckel

MODETIPP: DAS GUERILLAOUTFIT


SAISON

19 20 ABO bereits ab CHF 130

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Abos und Infos: 061 272 25 25 www.sinfonieorchesterbasel.ch oder bei Bider & Tanner: 061 206 99 96


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