Theaterjournal #1

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THEATER

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#1

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Als Partner des Ballett Basel freuen wir uns auf ausgezeichnete Inszenierungen.

Partner des Ballett Basel.


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FÄLLT HERAB EIN TRÄUMELEIN

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ICH BIN DABEI

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VON KLEINBASEL NACH GROSSBASEL

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ZUSCHAUEN UND ZUHÖREN!

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BRIEF AUS KOREA

WILLKOMMEN! Liebe Leserinnen und Leser

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THEATERRADAR

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HINTER DEN KULISSEN

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MIT DEM VIRUS LEBEN

20 AUSSICHTSPUNKTE: DIE SCHÖNSTEN SEHENSWÜRDIGKEITEN RUSSLANDS DAS REZEPT: BORSCHTSCH

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AUSSICHTSPUNKTE: VERZELL DU DAS EM FÄHRIMAA

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JUNGES HAUS

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KOLUMNE: BEEINFLUSSBARE ZUSCHAUER

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

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Wir freuen uns, dass Sie in die erste Ausgabe des Theaterjournals des Theater Basel hineinblättern. Das Journal erscheint in dieser Spielzeit dreimal. Die nächste Ausgabe wird kurz vor Weihnachten herauskommen, und im März 2016 lesen Sie dann Nummer 3. In unserem Journal erfahren Sie mehr über die Themen, mit ­denen wir uns im Theater beschäftigen, und lernen Menschen (und sogar Tiere) kennen, die auf und hinter der Bühne arbeiten. Was hat die russische Eröffnungsoper «Chowanschtschina» mit unserer Situation heute in der Schweiz zu tun? Ist Aids – darum geht es unter anderem in der Schauspiel­ produktion «Engel in Amerika» – überhaupt noch ein Thema, über das wir uns Gedanken machen müssen? Wir trafen uns mit vielen ­interessanten Personen zu Gesprächen und Spaziergängen, sassen auf der Rheinfähre, im Café, im Krankenhaus, in den Theater­ werkstätten und im Hörakustiker-Studio. Das E ­ rgebnis: Reportagen, Interviews, Fotos, Zeichnungen, Briefe und sogar ein Rezept. Und einige Theaterbillette gibt es auch zu ­gewinnen! Wir würden uns freuen, Sie bald im Theater Basel begrüssen zu dürfen. Damit auch Sie sagen können: Ich befinde mich hier. Im Theater Basel. Ihre Redaktion

Schon vor der grossen Eröffnung des sanierten Hauses am 22. Oktober haben sich die Künstler_innen des Theater Basel ihrem Publikum in der Stadt ­vorgestellt. Impressionen von den «Aussichtspunkten» finden Sie in dieser Ausgabe und unter www.theater-basel.ch.

NEU! AB SOFORT SIND BILLETTE FÜR ALLE VORSTELLUNGEN DER SAISON 2015 / 2016 AUF DER GROSSEN BÜHNE IM VORVERKAUF ERHÄLTLICH!

ADRESSEN UND KONTAKTE INTENDANT Andreas Beck VERWALTUNGSDIREKTORIN Danièle Gross REDAKTION Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit, Junges Haus und Betriebsdirektion GESTALTUNG Raffinerie AG für Gestaltung, Zürich FOTONACHWEISE Andy Tobler (S. 3), Jürgen Beck (S. 7), Kathrin Windhorst (S. 7), Lucia Moreno (S. 7), SBT – Kyung Tae Jang (S. 11), Darius Studer (S. 13), Sandra Then (S. 19), Derek Li Wan Po (S. 19), Sylvia Lutz (S. 21), Elena Brotschi (S. 26), Raffinerie AG für Gestaltung (S. 10, S. 12, S. 21)

BILLETTKASSE Mo bis Sa, 11 – 19 Uhr Abendkasse: Jeweils 1 Std. vor Vorstellungsbeginn billettkasse@theater-basel.ch +41 (0)61 295 11 33

BILLETTKASSE Telefon +41 (0)61-295 11 33; www.theater-basel.ch ÖFFNUNGSZEITEN DER BILLETTKASSE Theaterplatz: Mo – Sa: 11.00–19.00 Uhr DIE ABENDKASSE öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. VORVERKAUF AUCH ÜBER Kulturbüro Riehen, Baselstrasse 43, Kantonsbibliothek Baselland Liestal, Emma Herwegh-Platz 4

THEATER BASEL, Postfach, CH-4010 Basel Grosse Bühne, Kleine Bühne, Nachtcafé / Box: Theaterstrasse 7, 4051 Basel SCHAUSPIELHAUS: Steinentorstrasse 7, 4051 Basel

AKTUELLE SPIELPLANINFORMATIONEN www.theater-basel.ch – Änderungen vorbehalten

Eine Beilage der bz Basel.

Partner des Ballett Theater Basel: Medienpartner:

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S O T Ö NT S L Ä B E


EIN TRAUM

FALLT HERAB

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Autorin Dorothee Elmiger im Gespr채ch 체ber Macht, Ohnmacht und die Politik des Schreibens


MELEIN THEATERJOURNAL 15/16 # 1

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FÄLLT HERAB EIN TRÄUMELEIN Am 22. Oktober 2015 eröffnet das Theater Basel die neue Saison mit «Chowanschtschina» von Modest Mussorgski. Diese Oper ist eine schonungslose Analyse der Mechanismen von Macht. Im Mittelpunkt: das Volk, das zum Spielball der Mächtigen gerät und zwischen Tradition und Fortschritt zerrieben wird. Anlass für Operndramaturg Pavel B. Jiracek für ein Gespräch über Macht und Ohnmacht mit der Auto­rin Dorothee Elmiger, deren poetisch-politischer Roman «Schlaf­ gänger» am 24. Oktober in einer Bühnenadaption am Theater Basel Premiere feiert. Wieviel Macht hat ein Individuum, den politischen Prozess zu beeinflussen? Mir hat sich diese Frage in diesem Sommer sehr deutlich gestellt, im Zusammenhang mit den Menschen, die nach Europa gekommen sind, um hier Zuflucht zu finden. Während die meisten europäischen Staaten in dieser akuten Notsituation keine Hilfe geleistet haben, versammelten sich Bürgerinnen und Bürger auf Bahnhöfen, um die ankommenden Flüchtlinge zu unterstützen und Lebensmittel zu verteilen. Sie haben so Aufgaben übernommen, die eigentlich den Staaten obliegen. Diese Staaten haben diese freiwillige Hilfe in manchen Fällen aber nicht einmal gestattet, ­sondern versucht, sie zu unterbinden. Ich habe in diesem Moment eine grosse Ohnmacht verspürt, weil ich bislang doch das vielleicht naive Vertrauen hatte, dass die europäischen Staaten zumindest in Notfällen ein Minimum an humani­ tärer Hilfe leisten und zumindest die medizinische Grundversorgung garantieren würden. Dieses Vertrauen ist in diesem Sommer erschüttert worden, und ich habe mich als Bürgerin machtlos gefühlt. Ein Gefühl der Lähmung? Ich habe kürzlich ein Interview mit der Autorin Susan ­S ontag gelesen, in dem sie das gesellschaftliche Klima während des Vietnamkrieges schilderte und über die dama­lige Protestbewegung in den USA sprach. Mit der ­Erfahrung dieses Sommers habe ich die damalige Wut und die Unzufriedenheit darüber, wie der eigene Staat handelt, noch einmal anders verstanden, auch wenn sich die Situationen natürlich unterscheiden: Die Ohnmacht, Teil eines Staates zu sein und nichts an dessen Handeln ändern zu können, hat sich mir noch einmal in einer anderen Schärfe präsentiert, weil ich selbst bislang so ein Gefühl nicht in ­diesem Ausmass gekannt hatte.

Bild: Jason Evans

Das politische System in der Schweiz gilt allenthalben als Musterbeispiel für die politische Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Zu Recht? In der Schweiz geht man häufig zur Urne, und die Themen, die zur Abstimmung kommen, sind in der Gesellschaft im Gespräch. Auf dieser Ebene findet Partizipation in meinen Augen durchaus statt. Im öffentlichen Diskurs hierzulande fehlen aber oftmals die kritischen Stimmen, die sich zu Wort melden. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Schweiz in gewisser Weise durch das 20. Jahrhundert gesegelt ist und sich viele Fragen nicht stellen musste oder nicht gestellt hat. In meiner Wahrnehmung existiert zum Beispiel in Deutschland eine sehr viel kritischere ­Gegenöffentlichkeit.


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FÄLLT HERAB EIN TRÄUMELEIN

Rechte Positionen werden hier wie dort vertreten, aber wie sich am Beispiel der Pegida-Demonstrationen gezeigt hat, gibt es viele Stimmen, viele Menschen, die sich den Positionen und Märschen der Pegida vehement entgegensetzen – während in der Schweiz die SVP die gleichen ­Inhalte seit Jahren vertritt, in der Regierung ist und mit ­Initiativen den Spielraum nach rechts immer weiter auszuweiten versucht. Dabei wurden und werden Grenzen überschritten. Zu meinem Verständnis von Demokratie gehört, dass Macht begrenzt wird – etwa dadurch, dass Minder­ heiten geschützt werden und Menschenrechte gelten. Das Volk ist ein höchst unberechenbarer Souverän – die öffentliche Meinung kann schnell in die eine oder andere Richtung kippen ... Während dieses Sommers ist die allgemeine Stimmung in Bezug auf Flüchtende in der Tat umgeschlagen – ins Positive. Selbst die meisten Boulevardblätter, die jahrelang gegen Ausländerinnen und Ausländer angeschrieben und Ängste vor einer vermeintlichen Überfremdung geschürt hatten, wechselten ihren Kurs, zumindest kurzfristig. Ich glaube aber, dass es darum geht, diese unmittelbare Betroffenheit in ein politisches Bewusstsein umzuwandeln. Die jahrelange Stimmungsmache gegen Asylsuchende und Migrant_innen hinterlässt Spuren, auch in der Sprache. Erst kürzlich las ich in einer Zeitung einen guten und wohlgemeinten Kommentar zur Lage der Flüchtenden in der Schweiz und in Europa in diesem Sommer. Im letzten Absatz schrieb der Autor dann davon, dass kein Grund zur Panikmache bestehe, die Schweiz sei im Gegensatz zu ihren Nachbarländern von den Flüchtlingsströmen ja bislang weitestgehend «verschont» geblieben. Das Wort «verschont», das dem Autor mit Sicher­ heit unterlaufen ist, impliziert eine Gefahr: Der Autor hat damit im Grunde seinen gesamten Artikel widerrufen. Was sagt es über uns als Gesellschaft aus, dass ­Güter freie Fahrt haben, Menschen aber nicht? Es ist wichtig, die Verflechtungen des Kapitalismus mit unserem politischen System zu sehen und zu erkennen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Gütern, die ­Grenzen frei passieren und Menschen, die aufgrund von Krieg oder aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimatländer verlassen und Grenzen nicht überqueren dürfen. Die Komplexität ­dieser Verflechtungen macht das Handeln nicht leichter, so empfinde ich es zumindest. Dein Roman «Schlafgänger» beginnt mit einem Bild vom Zusammensturz der Alpen. Spiegelt dieses Bild die Angst davor, dass etwa unser politisches System zusammenstürzen könnte? Oder könnte es auch als eine Chance gelesen werden? Im Text bleibt es offen, ob dieses Bild als Bedrohung oder als etwas Positives wahrgenommen wird. Berge stellen ja eine Art natürliche Grenze dar, vielleicht hat es dann auch etwas Gutes, wenn so ein Berg in Zeiten wie diesen zusammenkracht ... Ich glaube daran, dass sich Dinge ändern müssen, aber ich würde das nicht allein auf das politische System beziehen. Kann Literatur Veränderung bewirken? Literatur birgt das Potenzial, in der Leser_in etwas auszulösen: vielleicht erinnern Geschichten die Leser_in an sich selbst oder im Gegenteil an ein ganz anderes Leben. ­Vielleicht vermag es Literatur auch, Ideen zu vermitteln, ein Gespräch anzufangen. Wichtig an Kunst ist es doch, dass sie uns die Möglichkeit bietet, eine andere Welt zu sehen und diese abzugleichen mit der eigenen. Oder sie erlaubt es uns, ganz neue und unerwartete Empfindungen kennenzulernen. Und darum geht es doch im Leben permanent, wenn wir Menschen einander begegnen. Kunst lehrt uns, das Andere zu sehen. Siehst du dich als Autorin in einer Position von Macht?

Die jahrelange Stimmungsmache gegen Asylsuchende und Migrant_innen hinterlässt Spuren, auch in der Sprache. Als Autorin habe ich die Möglichkeit, mit Worten etwas auszudrücken und zur Diskussion zu stellen. Darin sehe ich eine gewisse Macht: eine Stimme zu haben. Ich werde zu Lesungen oder sonstigen Veranstaltungen eingeladen und kann mich äussern – wobei natürlich die Frage offenbleibt, was das Publikum damit macht. Es gibt darüber hinaus aber auch eine Form von Macht gegenüber der Materie: Wenn man schreibt, trifft man ständig Entscheidungen. Es gibt nie eine einzige Möglichkeit, einen Umstand, ein Ab 24. Oktober steht das Schauspiel Ereignis, eine Person zu beschreiben. «Schlafgänger» nach dem Roman Als Schreibende interpretiere ich, ­eigne von Dorothee Elmiger auf dem Spielplan mir Geschichten an und entscheide des Theater Basel. Realexistierende mich für ein bestimmtes Vokabular. Bei Flüchtlinge, Geister aus Literatur, der Arbeit an «Schlafgänger» hat sich Kunst und Geschichte ebenso wie die mir diese Frage sehr häufig gestellt. Untiefen des Alltags rauben Dorothee In diesem Buch gibt es die Figur einer Elmigers Figuren den Schlaf. Ein Schriftstellerin, die damit hadert, dass poetisches Stimmengeflecht über sie sich Geschichten von Menschen Begegnungen mit Fremden und Fremd­aneignet, die diese Geschichten eigentheit. Der Roman wurde für die lich selbst hätten erzählen sollen. Bühne adaptiert von Julia Hölscher Ist es nur dann legitim, über ein und Katrin Michaels. Thema zu schreiben, wenn man selbst «betroffen» ist?

SCHLAFGÄNGER

CHOWANSCHTSCHINA

Ich glaube nicht, dass es eine eigene Betroffenheit oder die eigene Erfahrung braucht, um sich mit einem Thema auseinanderzusetzen. Aber ich denke, Im politischen Vakuum nach einem dass man thematisieren muss, aus Putschversuch wird Russland durch welcher Perspekdie Machtspiele unterschiedlicher tive man schreibt. Lager zerrieben. Leidtragende Was ich grund­dieses Machtstrebens der starken sätzlich probleMänner sind die einfachen Bürger. matisch finde, ist Mussorgskis «opus magnum» mit der Versuch, sich seinem Grossaufgebot an Chor und eine Geschichte Orchester wird von dem so anzueignen, Regie-­Shootingstar aus dass man sich anRussland ­Vasily Barkhatov masst, mit der in Szene gesetzt. Die Stimme der AutoMusikalische Leitung hat rität zu sprechen. Kirill Karabits, es spielt das Deshalb habe ich Sinfonieorchester Basel. in «Schlafgäger» so viel mit indirekter Rede g ­ earbeitet und CHOWANSCHTSCHINA: so versucht, zu signalisiePREMIERE 22.10., 19.30 UHR  ren, dass hier eben nur kolNÄCHSTE VORSTELLUNGEN: portiert wird. Aber für mich 25.10., 18.30 UHR  blieb das bis zum Schluss 31.10., 19.30 UHR  eine schwierige Frage. 2.11., 19.30 UHR  Von Jean-Luc G ­ odard gibt SCHLAFGÄNGER: 4.11., 19.30 UHR  es den Spielfilm «Tout va PREMIERE 8.11., 18.30 UHR  bien», in dem eine Reporte24.10., 20 UHR 14.11., 19.30 UHR  rin die Arbeiterinnen einer NÄCHSTE 22.11., 16 UHR  Fabrik interviewt. Wir als VORSTELLUNGEN: 24.11., 19.30 UHR  Zuschauende sehen zwar 26.10., 20 UHR  26.11., 19.30 UHR  das Interview, hören aber 31.10., 17 UHR  3.12., 19.30 UHR  den inneren Monolog ei8.11., 19 UHR  6.12., 18.30 UHR   ner Arbeiterin, die schwei14.11., 20 UHR  12.12., 19.30 UHR gend daneben sitzt. Natür23.11., 20 UHR  ZUM LETZTEN MAL! lich sind auch das wieder27.11., 20 UHR GROSSE BÜHNE um nicht ihre Gedanken, KLEINE BÜHNE


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ICH BIN DABEI

sondern die von ­Godard ihr zugeschriebenen – ein kompliziertes Geflecht an Stimmen. Es gibt ja die Wendung, jemandem «eine Stimme zu geben». Darin liegt etwas Wohltätiges: die Autorin, die Journalistin ist in einer Machtposition. Ich glaube, diese Tatsache muss stets thematisiert und problematisiert werden. Und trotzdem erscheint es mir als etwas, das vorläufig immer wieder passieren muss. Kann das Schreiben den politischen Aktivismus ­ersetzen?

VIERBEINIGE AKTEURE IM THEATER BASEL

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

Für mich ist das Schreiben tatsächlich eine Art, politisch aktiv zu sein, eine Handlung – aber es ist sicher kein Ersatz. Wenn ich darüber nachdenke, wie ich politisch handeln kann, werde ich oft an den Schreibtisch zurückgeworfen. Es scheint mir, dass ich dort am besten etwas tun kann, auch wenn es vielleicht sehr wenig ist. Ich glaube daran, dass wir dem Schicksal nicht ausgeliefert sind, sondern Dinge in die Hand nehmen und unser Zusammenleben gerechter gestalten können.

DOROTHEE ELMIGER Dorothee Elmiger wurde 1985 in ­Wetzikon geboren. Sie nahm das Studium der Philosophie und Politikwissenschaft in Zürich auf. Danach studierte sie am Schweizerischen Literatur­ institut in Biel. Sie lebt und arbeitet ­zurzeit in der Schweiz. Ihr Debütroman «Einladung an die Waghalsigen» ­(DuMont 2010) wurde mit dem KelagPreis 2010, dem Aspekte-­ Literaturpreis 2010 und dem ­Rauriser Literaturpreis 2011 ausgezeichnet. Ihr Roman «Schlafgänger» (DuMont 2014) wurde wie bereits ihr Debüt für den Schweizer Buchpreis 2014 nominiert und mit dem Hermann-Hesse ­Förderpreis 2014 ausgezeichnet. 2015 erhielt sie den Schweizer Literaturpreis und den Erich Fried Preis.

PAVEL B. JIRACEK Pavel B. Jiracek ist am Theater Basel Dramaturg für Musiktheater. Nach seinem Abitur am englischen Eton College studierte er Musikwissenschaft in ­Oxford und lebte anschliessend für mehrere Jahre in einer ­zwanzigköpfigen Kommune in Berlin-Kreuzberg, wo er gegen das Patriarchat und für längere Duschzeiten im gemeinsamen Badezimmer kämpfte. Zuletzt war er ­Dramaturg an der Komischen Oper Berlin.

Elfi und Zoom bei den Proben im Bühnenbild von «Chowanschtschina»

In den Inszenierungen des Theater Basel wirken nicht nur Sänger_innen, Schauspieler_innen und Tänzer_innen mit, sondern immer wieder auch mal vierbeinige Darsteller. Pferde, Ziegen, Schafe, eine Kuh, ein Rabe und natürlich Hunde kamen schon zum Einsatz. Zurzeit proben die beiden Schweisshund-Dackel-Mischlinge Elfi und Zoom für ihren grossen Auftritt in der Oper «Chowanschtschina» und beweisen dabei viel Geduld und Nervenstärke. Die beiden schnuppern das erste Mal Theaterluft und sind dennoch Vollprofis. Als Jagdhunde sind sie bestens ausgebildet und gehorchen aufs Wort. Das ist Voraussetzung, um bei einer Vorstellung mitmachen zu können. Kerstin Anders aus der Abteilung Requisite koordiniert die Anfragen aus den Produktionen. Vor allem mit Sozialhunden hat sie schon gute Erfahrungen gesammelt. Sie sucht die Tiere und castet die Besitzer, denn diese sind mindestens genauso wichtig. Bei «Chowanschtschina» steht Jägerin Lucia Moreno neben ihren beiden Hunden mit auf der Bühne – in vollem Kostüm selbstverständlich! Bereits bei den Proben hat sie ein ­Ritual vor dem gemeinsamen Auftritt eingeführt: Nach dem Toben draussen und der Tramfahrt in die Stadt, legt sie den beiden ein besonderes Halsband an. Dann wissen diese, dass höchste Konzentration gefragt ist. Auf der Grossen Bühne müssen Elfi und Zoom still sitzen bleiben und werden von Tenor Dmitry Golovnin direkt angespielt – und angesungen. Das ist anstrengend, macht ihnen aber auch viel Spass. Und nach getaner Arbeit gibt es ein tolles Leckerli sowie Ruhe zum Ausgleich. Kerstin Anders und das Team der Requisite

kümmern sich darum, dass die beiden im Theater bestens versorgt sind. Das heisst manchmal auch, zu vermitteln, dass leider nicht alle 200 Mitwirkenden bei «Chowanschtschina» das süsse Geschwisterpaar streicheln können.

INFO Jeder Einsatz eines lebenden Tieres auf einer Bühne des ­Theater Basel wird beim Tierschutz angemeldet und von ­diesem bewilligt. Dazu muss nachgewiesen werden, dass das Tier gesund ist und bei seiner Tätigkeit auf der Bühne keinen besonderen Gefahren ausgesetzt wird.

KERSTIN ANDERS Zunächst wollte die gebürtige Berlinerin nur drei Monate am Theater bleiben, mittlerweile ist Kerstin Anders seit 26 Jahren am ­Theater Basel in der Requisite beschäftigt. Seit drei Jahren ist sie zudem die Ansprechpartnerin bei lebenden Tieren auf der Bühne. Sie hat einen Grundkurs für Hundebesitzer ab­ solviert und besitzt selbst zwei Pferde, zwei Frettchen und eine Katze.


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Ein Spaziergang mit Alain Claude Sulzer und Andreas Beck

VON KLEINBASEL NACH GROSSBASEL

Beck: Was haben Sie mit mir und Oskar vor? Sulzer: Ich zeige Ihnen ein paar Umwege von Ihrem Wohnort zu Ihrem Arbeitsplatz. Von Kleinbasel nach Grossbasel.

Fotos: Andy Tobler

A Sulzer: Wir befinden uns hier im Klingental, einem der ältesten Stadtteile. Beck: Warum Klingental?

Sulzer: Ich habe den Eindruck, Oskar kennt die Stadt besser als ich.

Sulzer: Die Elsässer Dominikanerinnen, die 1274 aus dem Elsass nach Basel auswan­ derten, hatten in dem Minnesänger Walther von Klingen ihren Gönner gefunden. Beck: Kunst und Mäzenatentum haben eine lange Tradition in Basel!

Beck: Er kennt die stillen Orte.

Sulzer: Ich wollte Ihnen eigentlich das – allerdings recht bescheidene – ­Kleinbasler Rotlichtviertel rund um die Ochsengasse zeigen. Aber morgens schläft das liegende Gewerbe offenbar noch. Beck: Oder aber es ist schon bei der Arbeit, und die verrichtet man nicht auf der Strasse.

Sulzer: Hinter uns das Volkshaus. Beck: Vor uns der Claraplatz. Sulzer: Einer der hässlichsten Plätze Basels. Beck: Ich bin überhaupt nicht Ihrer Meinung. Mir gefällt die Architektur, das Völkergemisch und der italienische Marktwagen! Sulzer: Na gut, auf Letzteres können wir uns einigen.

B

Sulzer: Was mal eine anrüchige Adresse war, ist gerade dabei, sich als gediegener Treffpunkt und gefragte Wohnlage zu etablieren. Wir stehen vor dem Jazzcampus an der Utengasse. Beck: Man hört aber keine Musik. Sulzer: Sie wollen uns offenbar nicht stören.

(Beim Verlassen des Hatstätter-Hofs) Sulzer: Sie blicken zurück? Beck: Nein, vorwärts! Sulzer: Immer? Beck: Immer!

Beck: Ein Ort für Oskar: ­keine Autos, die ihn ärgern, weil sie schneller sind als er. Sulzer: Allerdings auch keine Menschen, seitdem man hier nicht mal mehr parken darf. Verkehrsberuhigung bedeutet leider auch ausgestorbene Strassen. Beck: Ausser uns und dem Hund.


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VON KLEINBASEL NACH GROSSBASEL

Sulzer: Wir sitzen hier wie zwei Wiener Pensionisten. Beck: Schlechte Nachrichten?

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

Sulzer: Baselland will sich aus der Verantwortung schleichen und seinen Kulturbeitrag halbieren. Kommt mir vor wie ein Ehemann, der sich weigert, die Unterhaltskosten für seine Frau und seine Kinder zu bezahlen, weil er sich verschuldet hat.

Beck: Die würden aber nicht so frohgemut in die Welt schauen. Und vor allem würden die nicht im Donaukanal schwimmen. Sulzer: Waren Sie schwimmen? Beck: Im Sommer fast täglich. Sulzer: Auch mal gegen den Strom? Beck: Mehrfach. Aber zur Quelle gelangt man nie zurück.

Oskar (denkt): Mein Gott, warum trödeln die so?

Sulzer: Endlich mal eine Panoramaansicht von Basel, auf der der Roche-Turm nicht zu sehen ist.

Sulzer: Schau an! Nun sieht man ihn ja doch noch, den Roche-Turm. Beck: Passt eigentlich ganz gut zur heilsamen Sprachverwirrung in diesen Bibliotheksräumen. Sulzer: Mal sehen, was länger überdauert, die Architektur oder die Bücher.

BILDERRÄTSEL

Sulzer: Hier in der ­Lesegesellschaft wurden einstmals die Ideen der Französischen Revolution auf ein erträgliches ­bürgerliches Mass zurechtgestutzt.

A: Wo befindet sich die Gedenktafel für die Basler Theater? B: Wie heisst die Künstlerin, die in dieser Strasse ihre ersten Arbeiten fertigte?

Beck: Direkt neben dem Münster! Sulzer: In dem immerhin Erasmus von Rotterdams Gebeine ruhen.

C: Wo hängt dieses Thermometer? D: Woran erinnert der Stein und wo liegt er? Einsendungen bis 16. November 2015 an: kommunikation@theater-basel.ch Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir 3 × 2 Billette für «Kinder der Sonne» am 21. November 2015, 19.30 Uhr, Grosse Bühne.

Sulzer (denkt): Und jetzt auf ein Glas Weisswein in die Kunsthalle! Beck (denkt): Va bene, an die Arbeit! Oskar (denkt): Wann gibts denn endlich was zu ­fressen?

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ALAIN CLAUDE SULZER ANDREAS BECK Alain Claude Sulzer ist Schriftsteller. Er lebt in Basel und Berlin.

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Andreas Beck ist seit dieser Spielzeit Intendant am Theater Basel.


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HÖRHILFEN AM THEATER BASEL

Zuschauen und zuhören! Seit drei Jahren schon ist das Theater Basel mit einer FM-Höranlage (Funk) ausgestattet – es wird Zeit, diese etwas bekannter zu ­machen! Denn bisher wird sie nur selten genutzt, weiss Foyerchefin Caecilia Schaerli zu berichten. Dabei ist es ganz einfach: Besucher mit leichten Hörschwierigkeiten können sich beim Infodesk gegen Pfand (Ausweis) einen Kinnbügelempfänger ausleihen. Für den optimalen Hörgenuss sollte am besten der eigene Kopfhörer mitgebracht werden (3,5mm-Klinke). Das Foyerpersonal hat aber auch Kopfhörer zum Erwerb vor der Vorstellung vorrätig. Für Hörsystemträger hält das Theater Funkuniversalempfänger von der Firma Sennheiser bereit – wenn ein solcher Empfänger auch zu Hause genutzt wird (Sennheiser 840 oder 820), kann dieser gerne ins Theater mitgebracht werden. Der Empfänger findet per Knopfdruck automatisch die entsprechende Frequenz (Kanal) zum Stück, so dass man immer das Passende hört zu dem, was man sieht! Denn dieses Angebot existiert für Vorstellungen auf der Grossen Bühne genauso wie für Auffüh­rungen auf der Kleinen Bühne und im Schauspielhaus. Wenn zu Hause die ana­loge FM-Empfangsanlage von der Firma Humantechnik benützt wird, können auch mit diesem Empfänger die analogen S ­ ignale in allen drei Theatersälen empfangen ­werden. Für Träger eines Hörsystems mit aktivierter Induktionsempfangsspule stehen Induktionshalsschlaufen zur Verfügung. Und sogar per Bluetooth kann das ver­stärk­ te Signal empfangen werden. Allerdings werden alle Ton-Frequenzen gleichermassen verstärkt, so dass hier leider nicht auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden kann. Der Ton wird übrigens über ein Mikrofon von bester Stereo-Qualität aufgenommen. Hierzu hängt es in Richtung Bühne über der ersten Zuschauerreihe – wo es ab und zu leider auch mal einen kleinen Hüstler aus dem Publikum einfangen kann. Das Angebot der Leihempfänger ist selbstverständlich kostenlos. Caecilia Schaerli und ihr Team genauso wie das ­Einlassteam im Schauspielhaus stehen ­Interessierten gerne helfend zur Seite. Man sollte am besten nicht zu knapp vor Vorstellungsbeginn kommen.

INFO Die Installation des FM-Systems von Sennheiser erfolgte in enger Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle des Schwerhörigen-Vereins Nordwestschweiz. Bitte informieren Sie sich bei Ihrem Hörgeräteakustiker über die ­optimale Verbindung zu Ihrem Hörsystem. Weitere Auskunft erhalten Sie auch bei der Beratungsstelle Höranlagen des Schwerhörigen-Vereins ­Nordwestschweiz in Basel: Sachbearbeitung, Ernst Neukomm, Tel. 061 702 22 78.

CAECILIA SCHAERLI Caecilia Schaerli ist seit neun Jahren im Foyerdienst tätig und freut sich ­jeden Abend aufs Neue, für das Publikum da sein zu können. Für eine ­Vorstellung auf der Grossen Bühne sind durchschnittlich zehn Personen im ­Einsatz. Meist sind es Studierende, und im Team der Billettkontrolle tüchtige Gymnasiasten, die sich auf diese Weise etwas dazu verdienen.

ZUSCHAUEN UND ZUHÖREN!


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Richard Wherlock über das Schweizerisch / Koreanische Kulturaustausch-Projekt des Balletts

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

« WO IMMER GETANZT WIRD, LOHNT ES SICH, DEN BLICK UND DAS HERZ ZU ÖFFNEN »

Im August 2014 reiste ich nach Seoul, um dort mit sechs Tänzerinnen und Tänzern des Seoul Ballet Theatre SBT ein Stück zu choreografieren. Etwas später fand dieser Austausch auch in der Gegenrichtung statt: James Jeon, Leiter des SBT, kreierte mit Ensemblemitgliedern des B ­ allett Theater Basel seinerseits ein Tanzstück. Mein Stück «Snip Shot» und «Voice in the Wind» von James Jeon waren im September und Oktober in Gwacheon und Seoul zum 20-jährigen Jubiläum des Seoul Ballet ­Theatres zu sehen. Für diesen Anlass reiste ich mit den sechs beteiligten Tänzerinnen und Tänzern nach Korea. Die Kollegen von dort werden im April 2016 in der Schweiz an der Jubiläumsgala «15 Jahre Ballett Theater Basel unter Richard Wherlock» unsere Gäste sein. Ein Kulturaustausch, so habe ich im Duden nachgelesen, ist ein «vertraglich geregelter, kultureller Austausch zwischen zwei Staaten, der die Verständigung zwischen den Völkern fördert und für beide Seiten wertvolle kulturelle Anregungen mit sich bringt». Diese klare Definition beschreibt allerdings nicht annähernd die wunderbaren Momente, wie wir sie in den letzten Wochen in Korea erleben durften. Wie «wertvoll» die Anregungen unseres Austausches mit James Jeon und den Tänzerinnen und Tänzern des Seoul Ballet Theatre tatsächlich sind, muss ich hier nicht in Worte fassen, das spricht für sich, wenn man die ent­standenen Choreografien auf der Bühne sieht. Für mich persönlich haben solch kulturelle Prozesse, die mit wechselseitiger Bereicherung aller Beteiligten und über Distanzen hinweg ihre Wirkung tun, in unserer globalisierten Welt eine wachsende Bedeutung. Wir leben in Zeiten grosser gesellschaftlicher Umwälzungen, wobei es vor allem um ökonomische Krisen und politische Verän­derungen geht. Dabei bekommen Kunst und Kultur eine besondere Bedeutung: Sie können sowohl die Identität des Einzelnen als auch die Autonomie ganzer Völker und Staaten stärken; sie haben das Potenzial, der Wirtschaft kreative Impulse zu geben und dadurch neues Wachstum zu fördern, und zudem bereichern und befruchten Kunst und Kultur die Bildung innerhalb und auch ausserhalb von Schulen und Universitäten. Bei unserem Austausch beobachtete ich besonders, wie hervorragend sich Tanz dazu eignet, über Grenzen und Kontinente hinweg auf einer ganz selbstverständlichen Kommunikationsgrund­lage zu agieren. Es war schön, mitzuerleben, wie selbstverständlich unsere Tänzerinnen und Tänzer, weit weg von ihrem gewohnten Arbeitsumfeld, die Trainings- und Proberäume in Seoul betraten und sich sofort auf einer Verständigungsebene mit ihren koreanischen Kolleginnen und Kollegen befanden. Hautfarb, Nationalität, Muttersprache – das alles rückte in den Hintergrund, und es fanden einfach nur Begegnungen von jungen Künstler_innen statt, die sich in ihrer Professionalität und Leidenschaft für ihren Beruf gefunden haben und gemeinsam nach konzentrierten Probenstunden, entspannt, hungrig und lachend die Kantine ansteuerten. Das Ergebnis dieses Austausches und seine wirkungsvolle Entfaltung in den erarbeiteten Choreografien erfüllt mich mit grosser Freude, so dass ich von meiner Seite aus von einer wirklich ­gegenseitig befruchtenden und zugleich freudvollen Kooperation und einem durchweg gelungenen Austausch sprechen kann. Unsere beiden Kompanien haben 2015 und 2016 jeweils ein Jubiläum zu feiern: 20 Jahre Seoul Ballet Theatre und 15 Jahre Ballett Theater Basel unter meiner Direktion. Das war der Anlass für diese ­kreativen Begegnungen, von denen es in Zukunft hoffentlich noch viele geben wird. Sei es zwischen Seoul und Basel oder sonst auf der Welt. Wo immer getanzt wird, lohnt es sich, den Blick und das Herz zu öffnen. Denn: Für einen Austausch in Kunst und Kultur, für eine Begegnung mit ­Fremden und Fremdem sollten wir nicht danach suchen, was einem ähnlich ist, sondern immer wieder wagen, neugierig auf das Andere zu sein. In diesem Sinne wünsche ich uns allen jetzt und in Zukunft noch viel Kultur­ austausch und natürlich viel Tanz in all seinen vielfältigen Erscheinungsformen und ­kulturellen Ausprägungen. Es grüsst Sie herzlich Richard Wherlock, Ballettdirektor Theater Basel

Tänzer_innen des Ballett Theater Basel in James Jeons «Voice in the Wind»

TEWJE Am 20. November 2015 findet die erste Ballettpremiere in dieser Saison statt. Mit «Tewje» greift Richard Wherlock den Stoff um Scholem Alejchems Klassiker der jiddischen Literatur, «Tewje, der Milchmann», auf. Er beleuchtet darin besonders das Thema der traditionellen Heiratsvermittlung im Kontrast zu den aus Liebe gewählten Beziehungen, mit denen der Protagonist von­ seiten seiner Töchter konfrontiert wird. Wherlock lässt die untergegangene Welt des Stetls ohne nostalgische Verklärung wiederauferstehen. Keine ­geschönte Idylle verstellt den Blick auf die bittere Lebensrealität des Ostjudentums und die Katastrophen, die zu ­Beginn des 20. Jahrhunderts drohend am Horizont heraufziehen. Die Geschichte wurde durch den Musicalerfolg «The Fiddler on the Roof» («Anatevka») populär und wird von Wherlock zu einer Auftrags­ komposition von Olivier Truan choreografiert. Partner des Ballett Theater Basel:

NÄCHSTE VORSTELLUNGEN: 23.11., 19.30 UHR  / 25.11., 19.30 UHR, GROSSE BÜHNE


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Ab sofort können alle Billette für das Theater Basel mit NetzBon bezahlt werden!

MITWIRKEN IM KLEINEN UND GROSSES BEWIRKEN Einer, der sich darüber schon länger Gedanken macht, ist der Sozialwissenschaftler und Ökonom Isidor Wallimann. Als Präsident des Vereins Soziale Ökonomie Basel und Mitbegründer der alternativen Währung «NetzBon» setzt er sich für ein lokal, sozial und ökologisch nachhaltiges Basel ein. Der Regisseur Kevin Rittberger hat ihn zum Gespräch getroffen. Was war der Ausgangspunkt für den Start des Projekts «Alternative Währung NetzBon»? Der Ausgangspunkt war Anfang der Neunzigerjahre, als zwischen verschiedenen Akteuren eine Diskussion entstand, wie man nachhaltiger werden kann und was für ein Instrument dafür hilfreich sei. Darauf wurde der Verein «Soziale Ökonomie» gegründet. Zur Gründungszeit gab es eine bewegte Diskussion über die Globalisierung und die beträchtlich erhöhte Arbeitslosigkeit. Diese Umstände waren dann der Anstoss zur Gründung einer Plattform, welche sich für eine lokal-ökologisch und sozial-nachhaltige Zukunft einsetzt.

«NETZBON – DEINE ENTSCHEIDUNG, DEINE WÄHRUNG, DEINE STADT» NetzBon ist die Alternativwährung im Raum Basel. Er kann an verschiedenen Orten oder online gekauft werden. 1 NetzBon = 1 Franken. Wer den NetzBon als Zahlungsmittel verwendet, unterstützt ein Netz von über 120 lokalen, sozialen und ökologischen Betrieben und Organisationen. Zahlen mit dem NetzBon – für Nachhaltigkeit in der Region Basel. www.netzbon.ch

KEVIN RITTBERGER

Will man die ganze Welt ändern oder nur lokal tätig sein? Wir denken global, aber handeln auf regionaler Ebene. Die Nachhaltigkeitsproblematik erscheint uns so immens, dass nicht nur auf der Makroebene ein Beitrag geleistet werden muss, sondern auch auf der Mikroebene. Es braucht alle Ebenen, um diese Problematik des nicht-nachhaltigen Daseins zu verändern und in ein nachhaltiges zu transformieren. Ende des Jahres findet die UN-Klimakonferenz 2015 in Paris statt, und man erwartet, dass keine grundlegenden Reformen durchgesetzt werden. Weiter bestehen im Moment diverse apokalyptische Szenarien, dass die sogenannten «tipping points» erreicht werden, die die globale Erwärmung noch mal exponentiell steigern. Dagegen wäre die Soziale Ökonomie ja auch die Idee einer selbstverwalteten Veränderung unserer Lebensform, bevor es in 30 Jahren nur noch die Ökodiktatur gibt, welche uns von oben durchregulieren muss. Genau. Zu diesem Zweck bestehen innerhalb der Sozialen Ökonomie bereits Organisationen, die einen Beitrag dazu leisten. Es gibt zum Beispiel Solaranlagen im Quartier und Lebensmittelproduktionen von und für die Stadt. Das sind Wege, die im kleinen Umfang zu einer gewissen Autonomie und Abkoppelung von der heutigen Konsumgesellschaft verhelfen sollen. Auch der Verbrauch von Energie und Lebensmitteln wird damit reduziert. Was wünschen Sie sich persönlich, wie eine bessere Welt aussehen sollte? Wenn Nachhaltigkeit erreicht werden soll, ist eine bessere Welt ganz sicher eine, die weniger konsumiert, ohne dabei an Wohlbefinden, Wohlfahrt und Wohlergehen Abstriche zu machen. Wenn wir weitermachen wie bisher, handeln wir uns verschiedene Probleme ein, die uns böse einholen könnten. In diesem Sinne kann die Soziale Ökonomie auch als präventive Massnahme verstanden werden, wie gewisse Probleme besser angegangen werden können. So bietet die Soziale Ökonomie für die Klimaerwärmung und Umweltbelastungen insgesamt eine Plattform zur Transformation. Mit der neuen Methode soll ein Pfad in eine vernünftigere Welt, die unser Überleben besser garantiert als bisher, eingeschlagen werden.

Der Kurator, Autor und Regisseur Kevin Rittberger setzt sich in seiner vierteiligen Lecture- und Performance-Reihe mit Fragen zu gesellschaftlichen Transformationsprozessen rund um Selbstorganisation und Empowerment auseinander. «Community in Progress» beleuchtet verschiedene lokale und globale Formen der Partizipation in Gegenwart und Geschichte und macht das Gemeinsame zum künstlerischen Ansatz.

COMMUNITY IN PROGRESS

Lecture- und Performance-Reihe In der ersten Folge «There is such thing as society» am 13. November treffen Schauspieler_innen des Ensembles auf den Unternehmensberater Martin Pfiffner, die Politikwissenschaftlerin Isabell Lorey, die Soziologin und Aktivistin Sarah Schilliger sowie ein Performancekollektiv. Nicht zuletzt wird der Komponist Jonathan Bepler mit den beteiligten Künstler_innen und vielen Basler Freiwilligen ein eigens komponiertes Werk in Szene setzen.

NÄCHSTE FOLGEN: 18.12.2015: «SYNTEGRITY» (Theater Basel meets Critical Media Lab) 8.1.2016: «HACKING SOCIAL REALITY» (Theater Basel meets Haus der elektronischen Künste) 8.3.2016: «VERSTREUTE INTERNATIONALE» (Theater Basel meets Musik-Akademie Basel)


THEATERRADAR

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

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# 1 FIGURINE

Den «Schützen» aus der Opernproduktion «Chowanschtschina» möchte man ausserhalb der Opernbühne lieber nicht über den Weg laufen. Die Mitglieder der Armee des Fürsten Chowanski tragen von der Kostümbildnerin Olga Shaishmelashvili entworfene Uniformen. Sie wirken durch die Kombination von alten und neuen Elementen zeitlos: Der in grau-braun gehaltene Tarnanzug ist mit dem Muster der US-Army versehen, darüber tragen die Soldaten Schutzelemente der deutschen Polizeiausrüstung. Der Kosakenhut und der dazugehörige Umhang sollen an das gefürchtete Reitervolk erinnern, das sich seit dem 16. Jahrhundert mit den Zaren verbündete und in deren Armee diente.

# 2 OPERAVENIR

Spass am Musizieren, Neugier und Freude am Singen – das verbindet die vier Mitglieder des Opernstudios OperAvenir, die aus den verschiedensten Ecken der Welt nach Basel gekommen sind (v.l.n.r.): Dazu gehören die Mezzosopranistin Sofia Pavone, die ursprünglich aus Deutschland kommt, der kanadische Tenor Nathan Haller, der italienische Bass Alessio Cacciamani und die in Australien geborene Sopranistin Bryony Dwyer. Mehr über die vielseitigen Begabungen der vier Sänger_innen und was es mit den Instrumenten auf sich hat, erfahren Sie im Portraitkonzert am 28. Oktober 2015 auf der Kleinen Bühne. OperAvenir mit freundlicher Unterstützung von: HIAG Immobilien, inlingua, Julius Bär und Novartis.

# 3 MOOG

Der Minimoog war bei seiner Erfindung im Jahr 1970 durch Bob Moog der erste kompakte analoge Synthesizer der Welt. Das Instrument ruft keine gespeicherten digitalen Sounds ab, sondern verwandelt Strom direkt in Klang, mittels dreier Oszillatoren und einem Filter. Die Kombinationsmöglichkeiten dieser Elemente sind unendlich. Bob Moogs Ziel war nicht, schon bestehende Klänge von klassischen Instrumenten elektrisch zu imitieren, sondern dem Spieler die Möglichkeit zu geben, völlig neue, unerhörte Klänge selber zu erschaffen. Der Prototyp enthielt Bauteile eines Föhns, eines Telefons, acht verschiedener Transistorradios und einer Kirchenorgel. Bei Thom Luz’ Inszenierung «LSD – Mein Sorgenkind» kommt ein solcher Minimoog ab dem 31. Oktober im Schauspielhaus zum Einsatz.


Foto: Darius Studer

14 Aufgegleist


HINTER DEN KULISSEN

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

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Aufgegleist: Während einer Beleuchtungsprobe auf der Grossen Bühne wird der Eisenbahnwagen aus «Chowanschtschina» ins rechte Licht gerückt. Bevor er auf der Bühne zum Zug kommen konnte, wurde der Wagen in den Werkstätten des Theater Basel nach russischem Vorbild detailgetreu nachgebaut – allerdings in einem grösseren Massstab. Denn wie im Leben heisst es auch auf der Bühne manchmal: «Size matters!» So ist der Eisenbahnwagen ein echter Hingucker, der auch noch in der letzten Reihe Eindruck schindet.


VIRUS LE

MIT DEM

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Prof. Dr. med. Manuel Battegay im Gespr채ch 체ber die Krankheit Aids


EBEN 17

MIT DEM VIRUS LEBEN In Tony Kushners «Engel in Amerika» sind zwei der acht Hauptfiguren an Aids erkrankt – in den Achtzigerjahren, die Zeit, in der das Stück spielt, war das noch eine unheilbare Krankheit. Andrea Lassak und Almut Wagner vom Theater Basel trafen sich mit Prof. Dr. med. Manuel Battegay, Chefarzt der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene am Universitätsspital Basel, um mehr zu erfahren. Als Aids in den Achtzigerjahren erstmals ausbrach, arbeiteten Sie als junger Arzt am Universitätsspital in Zürich. Wie haben Sie diese Anfangsjahre erlebt?

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

Die Achtzigerjahre waren wirklich eine Pionierzeit. 1983, bei der Entdeckung des HI-Virus, habe ich ja noch studiert, aber schon im Studium hörte man wilde Theorien davon, warum Aids ausbricht und ob das Virus verantwortlich ist. Die Zeit war eindrücklich, weil die Patienten mit vielfältigsten und schwerbelastenden, zum Tode führenden Krankheiten in die Klinik kamen. Sie müssen sich vorstellen: Aids war damals die führende Todesursache von 20- bis 44-jährigen Männern in Amerika. Als ich 1988 als junger Arzt in Zürich zu arbeiten begann – auch die Zeit, in der pro Tag 10 000 Drogenabhängige den Platzspitz aufsuchten – war das Virus schon identifiziert. 1986 / 87 wurde die erste Therapiestudie durchgeführt, und zwar mit dem Medikament AZT. Man hoffte sehr, dass damit die Krankheit aufgehalten werden könne. Nach dem ersten Hoffnungsschimmer war klar, dass die Wirkung einer AZT-Therapie schon nach sechs Monaten verpufft. Als Ärzte und Pflegende mussten wir Patienten betreuen, die häufig jünger waren als wir selber und an Aids starben. Damals in Zürich starben mehrere von uns betreute Patienten pro Woche. Wie war das für Sie als Arzt, wenn man Patienten keine Aussicht auf Heilung bieten kann? Das war sehr tragisch. Uns schien es damals unvorstellbar, dass man Medikamente finden würde, die den vielen dahinsterbenden Menschen wirklich helfen würden. Dennoch verlief auch damals eine Behandlung nie abstrakt. Es fanden menschliche Begegnungen statt. Wir versuchten, den Patienten das Leben zu verlängern und sie so gut als möglich zu begleiten. Darin lag die primäre Hilfe. Auch die ersten Therapien verhalfen dazu, dass Patienten noch kostbare Zeit lebten und sich verabschieden konnten. Aids-Patienten waren angesichts der schlechten Prognose sehr tapfer, und das betreuende Team und die Patienten waren sich sehr verbunden.

Bild: Jason Evans

Welche Rolle spielte die Pharmaindustrie für die Aidsbekämpfung? Und inwieweit hat die Pharmaindustrie die «Karriere» dieser Krankheit mitgestaltet? Die Pharmaindustrie hat unglaublich gut geforscht. Die molekulare Maschinerie des HI-Virus ist bis ins Detail aufgeschlüsselt worden. An sechs Stellen des Virus kann man Aids heute mit Medikamenten bekämpfen. Das ist einer der grössten Therapieerfolge in der Medizingeschichte. Insofern ist es nicht korrekt, die Ärzte als «good boys» gegen die Pharmaindustrie als «bad boys» auszuspielen. Es fand und findet eine allermeist exzellente Zusammenarbeit statt. Aber es gibt heute die Diskussionen um die Preispolitik und um veraltete Medikamente, die vom Markt genommen werden sollten. Und da muss man sich als Arzt einsetzen für einen möglichst grossen Zugang zu den besten Medikamenten weltweit; z. B. war im Jahr 2002 gesichert, dass sich

1983

Entdeckung des HI-Virus

1986 / 87

Erste Therapiestudie mit dem Medikament AZT

1989 – 1991

Man erkennt, dass zwei Medikamente in Kombination besser wirken als nur eines.

1994

Die Firma Roche Pharma designt ein neues, innovatives Medikament.

1996

Erster Kongress, an dem konstatiert wird, dass eine Kombination dreier Medikamente wirklich längere Zeit, vielleicht sogar anhaltend, hilft. Es wird technisch möglich, das HI-Virus im Blut zu messen.

1997

Mortalitätsreduktion von 70  %

2000

Die ersten Spermien werden von HIV «reingewaschen».

2002

Die Lebenserwartung durch die neuen Medikamente hat sich drastisch verbessert. Heute geht die Mortalitätsreduktion bis auf 95  % zurück.


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MIT DEM VIRUS LEBEN

die Lebenserwartung durch die neuen Medikamente drastisch verbessert hatte. Dennoch starben pro Jahr über zwei Millionen Aids-Erkrankte in Afrika, während sie in Europa und Amerika überlebten, sofern die Therapie rechtzeitig begonnen wurde. Die Pharmaindustrien mussten damals mit Druck dazu gebracht werden, die Medikamente massiv zu vergünstigen. Heute kostet eine einjährige Behandlung in Afrika ca. 80 $. Das ist weniger als 1 $ pro Tag! Und die Medikamente sind im grossen Teil identisch mit den hiesigen – da ist viel geschehen. Auch vonseiten der Politik. So wird bei dieser Finanzierung eine grosse Summe durch den Global Fund getragen, den u. a. Präsident Clinton begründet hat. Welche konkreten Effekte erzielte die pharmakologische und medizinische Forschung für die Patienten? Ganz konkret kam es, festgestellt 1997, zu einer Mortalitätsreduktion von 70 %. Das konnten wir mit der grossen Schweizer Kohorten-Studie zeigen, an der damals über 5000 Patienten teilgenommen haben. Heute geht die Mortalitätsreduktion sogar bis auf 95 % zurück – wenn man HIV früh genug behandelt. Ein Erfolg, der bis dahin in der Medizingeschichte nie gesehen war. Im Übrigen hat die Forschung zu HIV / Aids weltweit dazu beigetragen, andere Medikamente herzustellen, wie jetzt zum Beispiel solche gegen Hepatitis C. Was heisst das für die Lebenserwartung von an Aids erkrankten Patienten? Bei rechtzeitiger Diagnose beträgt die Lebensverlängerung eines 20-jährigen gegenwärtig plus 55 Jahre. Und bei einem nicht-HIV-infizierten 20-jährigen plus 60 Jahre. D. h. bei rechtzeitiger Therapie ist die Lebenserwartung nicht mehr deutlich unterschiedlich. Trotzdem besteht nach wie vor selbst mit optimaler Therapie ein erhöhtes Risiko für bestimmte Tumore. Also hat man heute mit Aids fast eine normale Lebenserwartung. Aber wie sieht das mit den Nebenwirkungen aus? Die Nebenwirkungen bei den ersten Medikamenten waren in der Tat massiv, und Patienten mussten inklusive Begleitmedikamente 20 bis 30 Tabletten pro Tag einnehmen. Häufig traten durch eine doch ungenügende Wirkung nach einigen Jahren auch Resistenzen auf. Die Nebenwirkungen sind auch heute nicht ganz weg, aber die Medikamente sind meist gut verträglich und die Anzahl der Pillen hat sich auf eine bis vier Pillen pro Tag reduziert. Die Lebensqualität hat sehr deutlich zugenommen. Wie schätzen Sie die Lage in Basel heute ein? Wie viele Neuinfizierungen an Aids gibt es pro Jahr in Basel? Und wie viele Tote? Jedes Jahr verzeichnen wir zwischen 50 und 70 Neuinfizierte in der Region Basel und 500 bis 600 in der Schweiz. Fast ein Drittel sind Migranten aus Subsahara-Afrika. Dann gibt es vermehrt Neuinfektionen bei homosexuellen Männern. Wahrscheinlich, weil man sich zu sicher fühlt und denkt, Aids sei keine schlimme Krankheit mehr. Wichtig für die Prävention sind Programme für drogenabhängige Menschen, u. a. die Abgabe sauberer Spritzen. An Aids direkt sterben relativ wenige Leute. Es sind zwischen zwei und sieben Patienten pro Jahr bei 1000 betreuten Patienten. Dies sieht in Osteuropa und Subsahara-Afrika anders aus – weltweit sterben nach wie vor an die 1,5 Millionen Menschen an Aids. Dem an Aids erkrankten Prior in «Engel in Amerika» erscheint ein rätselhafter Engel. Soll er als eine Halluzination Priors infolge der Medikation zu verstehen sein oder steht Gott dahinter? Sind Halluzinationen typische Begleiterscheinungen bei HIV- oder Aids-Erkrankten?

Heute geht die Mortalitätsreduktion sogar bis auf 95  % zurück – wenn man HIV früh genug behandelt. Halluzinationen gehören durchaus zum Krankheitsbild von an Aids-Erkrankten. Hirn- und Hirnhautentzündungen sowie Hirnabszesse, die alle vorkommen, können Halluzinationen auslösen. Auch bei der Ansteckung selbst zirkuliert das Virus in grosser Menge im Gehirn. Dabei kommt es häufig zu einer Hirnentzündung, bei der nicht nur die Hirnhaut, sondern das Innere des Hirns infiziert wird. Da können Halluzinationen und Psychosen auftreten, überlagert von Angstzuständen. Sind Ihnen bei der Behandlung von Aids-Erkrankten spezifisch religiöse Fragen aufgefallen? Zum Beispiel die Frage nach Schuld, nach Gerechtigkeit oder nach Gott? Ja, diese Themen sind vorhanden. Insbesondere die Schuldfrage ist am Anfang vorhanden, einerseits Selbstvorwürfe wegen einer sexuell übertragenen Krankheit, dann auch die Angst, jemand anderen angesteckt zu haben. Die heutigen so effizienten Therapiemöglichkeiten sind hilfreich, weil sie die Ansteckung auf Zweite praktisch völlig unterbinden. Dennoch äussern Betroffene gerade zu Beginn der Krankheit Fragen der Schuld und des schlechten Gewissens. Wenn sich Patienten selbst Vorwürfe machen und sich schämen, ist es wichtig zuzuhören, ihnen wieder Halt und Zuspruch zu geben. Kann man eine Entwicklung in der Thematisierung dieser existenziellen und religiösen Fragen ausmachen? Tatsächlich ist die Schuldfrage bis heute ein grosses Thema: Wo darf ich über die Krankheit sprechen und wo nicht, während die Thematisierung von Religion und Gott, wenigstens in der Sprechstunde, abgenommen hat. Ich denke, das hat mit dem Umstand zu tun, dass Aids heute meist, vor allem in westlichen Ländern, keine tödliche Krankheit mehr ist. Früher waren Patienten mit der ganz existenziellen Frage konfrontiert, wie das Leben in den verbleibenden drei bis sechs Monaten gestaltet werden soll. Sie haben das Stigma der Gesellschaft angesprochen. Worin zeigt sich das?

ENGEL IN AMERIKA

Im Schauspielhaus zeigt das Theater Basel ab 23. Oktober 2015 «Engel in Amerika» von Tony Kushner, ein grossangelegtes Theaterepos, das Mitte der Achtzigerjahre in New Yorks multikultureller, multireligiöser Gesellschaft während der zweiten Regierungsperiode von Präsident Reagan spielt. Die Wirtschaft boomt, trotzdem blicken viele sorgenvoll ins 21. Jahrhundert. Als es Mitte der Neunzigerjahre auf die Bühnen kam, wurde Kushners Stück hauptsächlich als Aidsoder Schwulenstück gelesen. Dass Teil I «Die Jahrhundertwende naht» und Teil II «Perestroika» hintereinander gespielt werden, ist eine grosse Besonderheit.

Einerseits ist das Stigma etwa am Arbeitsplatz immer noch hoch. Deshalb raten wir häufig davon ab, die Erkrankung bei der Arbeit zu erwähnen. Je nach Umgang mit der Krankheit und einem verständnisvollen Arbeitgeber gibt es aber auch hier positive Rückmeldungen HIV-infizierter Menschen. Ebenfalls eindrücklich ist, dass ich von HIV-infizierten Menschen eigentlich noch nie gehört habe, dass die Familie schlecht reagierte. Die Partnerbeziehung ist in besonderer Weise herausfordernd. Dass auch Partner –

PREMIERE TEIL I + II: 23.10., 18 UHR TEIL I: 25.10., 19 UHR TEIL II: 26.10., 20 UHR TEIL I + II: 1.11., 16 UHR TEIL I: 6.11., 20 UHR TEIL II: 8.11., 19 UHR TEIL I + II: 14.11., 17 UHR TEIL I: 16.11., 20 UHR TEIL II: 22.11., 19 UHR TEIL I: 1.12., 20 UHR TEIL II: 4.12., 20 UHR SCHAUSPIELHAUS


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MIT DEM VIRUS LEBEN

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

Männer wie Frauen – trotz einer HIV-Diagnose langfristig bei ihrem Partner bleiben, wird dadurch erleichtert, dass die Übertragung durch die Therapie praktisch unterbunden wird und HIV-positive-Menschen gesunde Kinder bekommen können. Zusammen mit Milano und St. Gallen waren wir mit Prof. Christian De Geyter und seinem Team, anfangs der Zweitausenderjahre hier in Basel die ersten, die Spermien von HIV «reingewaschen» und in vitro Fertilisationen durchgeführt haben. Darum herum gab es schwierige ethische Fragen, die sehr kontrovers – um nicht zu sagen: heiss – diskutiert wurden. Die Leute kamen von weit her, um auf diese Weise gesunde Kinder zeugen zu können. Heute aber sind diese gesunden Kinder bald erwachsen und ich freue mich für diese Familien, denn wie wir annahmen, kam es glücklicherweise nicht zu Übertragungen. Heutzutage kann, ausser es sei sonst medizinisch angezeigt, auf eine in vitro Fertilisation verzichtet werden, da eine Ansteckung bei Geschlechtsverkehr unter gut ansprechender Therapie nicht erfolgt. Ebenso unterbindet die Therapie die Übertragung einer HIV-infizierten schwangeren Frau auf das Neugeborene. In den Achtzigerjahren wurde Aids mit Seuche gleichgesetzt. Gibt es heute denn eine andere vergleichbare Krankheit, die so eine Wucht hat? Nein. Tuberkulose und Malaria sind zwar immer noch schwere, Millionen Menschen betreffende und – wenn zu spät behandelt – zum Tode führende Krankheiten. Aber sie können vielfach geheilt werden, was derzeit für HIV in weiter, weiter Ferne liegt. Zudem sind beide genannten Infektionskrankheiten nicht sexuell übertragbar. Zuallererst hatte es den Anschein, als würde HIV «nur» bei Homosexuellen und Drogenabhängigen auftreten. Heute wissen wir sehr viel besser, dass das Virus dann übertragen werden kann, wenn ein Risiko, insbesondere ungeschützter Geschlechtsverkehr oder keine Möglichkeit sauberer Nadeln bei Drogenkonsum, vorhanden ist. Das grösste Problem ist dabei, wenn Menschen nicht wissen, dass sie HIV-infiziert sind und so das Virus weitergeben. In Afrika ist HIV/Aids vor allem eine heterosexuell übertragene Krankheit. Es sind in Afrika auch mehr Frauen betroffen. Als Präsident der European AIDS Clinical Society können Sie die Lage von Aids weltweit sicherlich gut einschätzen. Weltweit sterben heute pro Jahr noch immer 1,5 Millionen Menschen an HIV. Vor allem in Subsahara-Afrika, in Russland und in der Ukraine. In Afrika sind Ausmass und Neuansteckungsrate dieser Krankheit nach wie vor immens. Wir schätzen in Subsahara-Afrika, dass sich weit über eine Million Menschen pro Jahr anstecken. Das UN-Ziel, 15 Millionen Aids-Patienten in Afrika zu behandeln, ist erreicht, und dies ist ein riesiger Erfolg; dennoch treten viele Menschen wieder aus den Therapieprogrammen aus, weil die Strukturen ungenügend sind. Die Dramatik ist auch in Russland gross, wo etwa 100 000 Neuinfektionen pro Jahr zu verzeichnen sind. Woran liegt das? Das liegt an der gesellschaftlichen Stigmatisierung, die teilweise sogar in eine Kriminalisierung übergeht. Menschen wagen es nicht, sich testen zu lassen oder Zentren aufzusuchen. So entsteht ein Teufelskreis, weil die HIV-Diagnose essenziell ist, um eine Therapie rechtzeitig zu beginnen, aber auch, um weitere Übertragungen mit der Therapie zu unterbinden. Wir sprechen heute von einer Betreuungskaskade – wo die Schweiz die beste weltweit aufweist. In einer Betreuungskaskade wird registriert, bei wie vielen aller HIV-infizierten die HIV-Diagnose auch gestellt wurde. Es wird notiert, wie viele der Diagnostizierten in einer Betreuung sind. Dann wird festgehalten, wie viele der Betreuten behandelt werden und wie viele davon eine unterdrückte Viruslast aufweisen. In der Schweiz liegt der letzte Wert bei

Weltweit sterben heute pro Jahr noch immer 1,5 Millionen Menschen an HIV. Vor allem in Subsahara-Afrika, in Russland und in der Ukraine. 96 %, d. h. 96 % der in der Schweiz therapierten HIV-infizierten Menschen haben eine nicht messbare Viruslast, allerdings gibt es auch in der Schweiz Patienten, welche nicht diagnostiziert sind, womit sich der Prozentsatz auf immer noch sehr hohe 70% senkt, d. h. von allen angenommenen in der Schweiz lebenden HIV-Patienten haben letztendlich 70 % eine optimale Therapieantwort. In afrikanischen Ländern liegt dieser Prozentsatz bei 20 % bis 50 %. Daran ist ja ganz klar zu sehen, wie ausschlaggebend der gesellschaftliche Umgang mit der Krankheit ist! Ja, der ist tatsächlich ausschlaggebend. Es braucht ganz klar einen politischen Willen. Beziehungsweise es braucht eigentlich mehrere Faktoren, die dazu beitragen, dass eine Gesellschaft eine Krankheit wie Aids gut verarbeiten kann: Es braucht die unterstützende Politik; es braucht die Pharmaindustrie; es braucht gerade in Afrika religiöse Institutionen; es braucht ein gutes Betreuungssystem – d. h. Ärzte, Pflegende und die ganze Community – und es braucht in erster Linie die Haltung, dass PatienIm Gespräch mit Almut ten bei dieser lebenslangen Wagner und Andrea Lassak Therapie sehr miteinbezogen verriet Manuel Battegay, werden. Tatsächlich ist heute dass er als Schüler davon ein Patient in manchen Längeträumt hatte, Schauspieler dern Afrikas besser betreut zu werden und u. a. als als in Russland. Und sogar Möbius in den «Physikern» das Stigma kann in Afrika Erfolge im Schultheater weniger ausgeprägt sein als gefeiert hat und dass einer in der Schweiz. Dies erleben seiner damaligen Regisseure wir in Ifakara, Tansania, wo Dani Levy war. Manuel wir, das Universitätsspital Battegay wird sich im Basel mit dem SchweizeriNovember eine Doppelvorschen Public Health und stellung von «Engel in Tropeninstitut, eine HIV-Klinik mitaufAmerika» ansehen. gebaut haben und seit gut zehn Jahren mitorganisieren. Verallgemeinerungen sind jedoch nicht möglich, auch in Russland gibt es nun Bestrebungen, die Situation nachhaltig zu verbessern.

MANUEL BATTEGAY

ALMUT WAGNER ANDREA LASSAK

Almut Wagner ist seit dieser Spielzeit Geschäftsführende Dramaturgin des Schauspiels am Theater Basel. Andrea Lassak ist promovierte Theologin und absolviert derzeit im Rahmen ihres Vikariats eine Hospitanz am Theater Basel.


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AUSSICHTSPUNKTE

DIE SCHÖNSTEN SEHENSWÜRDIGKEITEN RUSSLANDS Fotos: Claude Gasser

ДАВА́Й! Mit Mussorgskis «Chowanschtschina», Gorkis «Kinder der Sonne» und «Tewje» nach Scholem Alejchem stammen die Stoffe der Eröffnungs­ produktionen aller Sparten aus dem russischen Kultur­raum. Im Rahmen der Aussichtspunkte vor dem Saisonstart unternahm der Schauspieler Florian von Manteuffel als Stadtführer Vladimir in den Strassen Basels eine erste Exkursion und begab sich auf die Suche nach der russischen Seele in Basel. Er wurde dabei von seinen Kolleg_­innen aus Oper und Schauspiel tatkräftig unterstützt. Der gebürtige Münchner kommt nach Stationen in Bielefeld, Stuttgart und Wien nach Basel und wird auf der Bühne u. a. in «Schlafgänger», «Kinder der Sonne» und «Edward II. Die Liebe bin ich» zu sehen sein.

«Ein wahres Paradies unter der Erde» ist die von Stalin in den Dreissigerjahren erbaute Metro Moskaus. Der Verkehrsknotenpunkt am Ufer der Moskva ist Startpunkt des Rundgangs.

Hinter der Isaaks-­Kathe­ drale hat man einen wunderbaren Ausblick über die Neva und die historischen Brücken: die Dreifaltigkeitsbrücke (1897), die Blagoveschenskibrücke (1936) und die Peter-der-­ Grosse-Brücke (1911).

In der Peter-und-Paul-Kathedrale liegen die russischen Zaren begraben. Sänger und Musiker (v.l.n.r. Dmitry Golovnin, Jürg Luchsinger, Ansi Verwey) besingen die alten Zeiten im Kreuzgang.

Zahlreiche Touristen (hier Florian Jahr) besuchen die russischen Metro­polen. Der Kontakt mit der einheimischen ­Bevölkerung ist nicht immer einfach, das ­Nationalgetränk erleichtert die Annäherung.

Im «Literaturcafé» am Nevskij-Prospekt verkehren seit dem 19. Jahrhundert die Dichter und Denker. Schon Puschkin brach von hier zu dem Duell auf, bei dem er tödlich verletzt wurde. Wenn man Glück hat, begegnet man noch heute Schrift­stellern wie Anton Tschechow (Marion Fuchs) und Nadezda Teffi (Cathrin Störmer). Die Russen sind begeisterte Theatergänger. Vor einem Besuch im Bolschoi-­Theater trifft man sich in ausge­las­sener Stimmung auf dem Roten Platz.


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DAS REZEPT: BORSCHTSCH

ESSEN IM THEATER Im Foyer Grosse Bühne bieten wir Ihnen ab sofort eine Stunde vor der Vorstellung auch warme Speisen an: zum Beispiel Borschtsch bei «Chowanschtschina»! Im Anschluss an die Vorstellung ist das Theaterrestaurant für Sie geöffnet. Das original Borschtschrezept von Küchenchef Emmanuel Guillaume können Sie jetzt auch nachkochen!

EMMANUEL GUILLAUME THEATERJOURNAL 15/16 # 1

Emmanuel Guillaume ist gebürtiger ­Franzose und lebt seit 1988 in Basel und der Region. Er ist seit drei Jahren ­Küchenchef vom Theaterrestaurant.

ZUBEREITUNG

ZUTATEN FÜR 4 PORTIONEN 400 g Suppenfleisch vom Rind 100 g Lauch 100 g Knollensellerie 100 g Karotten 100 g Zwiebeln 200 g Randen (Rote Bete) 100 g Weisskohl 200 g Kartoffeln

5 g Knoblauch 50 g Tomatenmark 50 g Kochbutter 10 cl Rotweinessig 1 Lorbeerblatt genügend Salz und Pfeffer Sauerrahm je nach Geschmack

1. Lauch und Sellerie putzen, abspülen, würfeln. Das Rindfleisch am Stück belassen und zusammen mit dem Gemüse und dem Lorbeerblatt in 3 Liter gesal­zenem Wasser kochen. 2. Randen schälen und in ca. 1 cm grosse Würfel schneiden. Die Würfel mit dem Rotweinessig beträu­feln und mit der Hälfte der Butter in einer Pfanne 10 Minuten schmoren lassen. Dann das ­Tomatenmark dazugeben und das Ganze weitere 15 Minuten schmoren lassen. 3. Zwiebeln und Karotten schälen und zusammen mit dem Weisskohl in ca. 1 cm grosse Würfel schneiden. Die Zwiebeln mit der restlichen Butter in einem Topf rösten, die Karotten und den Weisskohl dazu geben und mit etwas Wasser bei geschlossenem Deckel ca. 10 Minuten schmoren lassen. 4. Wenn das Fleisch gar ist, aus der Brühe nehmen und klein schneiden. Dann zurück in den Topf geben. 5. Nun die Kartoffeln schälen und in ca. 1 cm grosse Würfel schneiden. Diese zusammen mit den Randen in den Topf zum Fleisch geben und ca. 15 Minuten kochen lassen. 6. Wenn die Kartoffeln fast fertig sind, Kohl, Zwiebeln und Karotten in die Suppe geben. Dann mit Salz und Pfeffer abschmecken. Borschtsch in die Suppenteller schöpfen und mit einem Klecks Sauerrahm servieren. Guten Appetit!

BORSCHTSCH


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AUSSICHTSPUNKTE

VERZELL DU DAS EM FÄHRIMAA

Fotos: Andy Tobler

In Basel haben bekanntlich besonders die Fährimänner ein Ohr für Geschichten. Ganz egal wie unglaub­ würdig oder verrückt sie auch klingen mögen, wichtig dabei ist vor allem, dass es sich um unterhaltsame und zuweilen auch lehr­reiche Anekdoten aus dem Alltag der Stadt handelt. Der Schauspieler Martin Hug hat es bei den «Aus­sichtspunkten» im September ausprobiert und erzählte auf der St. Alban Fähre «Wild Maa» aus ­seinem reichen Geschichtenfundus. Er gehört nämlich ­bereits seit 14 Spielzeiten zum Ensemble des Theater Basel. In all diesen Jahren hat er so manche unwahrscheinliche und verblüffende Epi­sode auf der Bühne und hinter den Kulissen erlebt. Dazu kommt, dass Martin Hug ein wunder­ barer Erzähler ist und über eine blühende Fantasie verfügt. Allerdings weiss man bei den folgenden Geschichten nie ganz genau, welche davon sich tatsächlich ereignet haben und welche er selbst erfunden hat.

GESCHICHTE # 1 WOHER KOMMT DER KRONLEUCHTER? Auf dem Theaterplatz, dort wo heute der ­Tinguely-Brunnen die Baslerinnen und Basler erfreut, befand sich einst die Bühne des alten Stadttheaters. Im Jahre 1974 wurde das von ­Johann Jakob entwor­fene neobarocke ­Gebäude durch eine spektakuläre Sprengung dem Erdboden gleich gemacht. Allerdings sind einige wenige Teile dieses prunkvollen ­Theaterbaus heute

noch in leicht abge­ wandelter Funktion von ­aufmerksamen Passantinnen und Passanten an unterschiedlichen Orten in der Stadt zu entdecken. Zum Beispiel verwen­dete der Künstler Jean Tinguely für die Wasserspiele ­seines Fasnachts-­ brunnens ­bewegliche Teile der Bühnen­ maschinerie sowie ­einen der insgesamt sechs Theaterköpfe, welche die Fassade des zerstörten Theaters über dem Eingang schmückten.

GESCHICHTE # 2 SCHIFFBRUCH Das Theater ist kein ­ungefährlicher Arbeitsort. Ich selber hatte meistens Glück im ­Unglück, so dass ich nie ernsthaft zu Schaden kam. Einmal allerdings kippte ich in der Rolle

Zwei ­weitere dieser Stein­gesichter sowie ein Überbleibsel aus dem Foyer können auf dem Weg vom Aeschen­ platz zum Denkmal vor einem Wohnhaus auf ­einer Wiese bewundert werden. Über einem verschnörkelten Balkongeländer hängt dort an einem Baum ein Kronleuchter und zieht so manche irritierten Blicke auf sich. Wahr oder erfunden?

von Captain Hook mit meinem Piratenschiff von der Bühne. Vergeb­lich versuchte ich mich während des Sturzes heldenhaft wie ein Pirat an der fünf Meter ­langen Bugseite fest­zu­klammern, bevor ich schliesslich von ­ungefähr zwei Meter Höhe vor den Augen der Z ­ uschauer_innen in die Büh­nenversenkung fiel. Erst schepperte es laut, dann herrschte ­Totenstille, da alle den Atem anhielten. Nach einer Weile rief plötzlich der Regisseur: «Hug! Läbsch no?» Das ­Publikum brach in lautes Gelächter aus. Wahr oder erfunden?

GESCHICHTE # 4 ENDPROBEN IM DIREKTIONSBÜRO Die Endproben für die Eröffnungspremiere im neu gebauten Schauspielhaus im ­Januar 2002 waren für alle Beteiligten eine ­Herausforderung.

GESCHICHTE # 3 WENN DAS LICHT AUSGEHT Ein theatraler Rundgang durch den Luftschutzkeller des Theaters ­wurde für mich zum Albtraum! Der Kom­po­nist und Regisseur des Abends, Ruedi Häuser­ mann, wies mir die stumme Rolle eines Schlafenden zu. In einer winzigen Zelle lag ich auf einem F ­ eldbett und sollte so tun, als ob ich unruhig träumen würde. Damit dieser Vorgang auch für das Publikum ­sicht­bar ­wur­de, musste ich dabei seltsame Ge­räu­sche von mir ­geben. Dass ich dies nur zu ­Beginn der Vorstellung machte, weil ich bereits nach kurzer Zeit tatsächlich eingeschlafen war, blieb zu meinem Leidwesen unbemerkt. Als nämlich der Schliess­dienst das Gebäude kontrollierte, wurde ich einfach ­vergessen. Ohne Licht und ohne Wasser m ­ usste ich zwei Nächte und einen ganzen Tag in diesem finsteren K ­ eller aus­ harren, weil die nächste Vorstellung erst wieder am übernächsten Tag gegeben wurde. Wahr oder erfunden?

Die Bauarbeiten waren erst knapp vor dem ­Premierenabend abgeschlossen, so dass viele der Proben entweder draussen unter freiem Himmel oder aber im Büro des Intendanten stattgefunden haben. Wahr oder erfunden?

WAHR ODER ERFUNDEN? Raten Sie mit und gewinnen Sie 3 × 2 Billette für «Kinder der Sonne» am 21. November 2015, 19.30 Uhr, um u. a. den Schauspieler Martin Hug auf der Grossen Bühne zu sehen. Einsendungen bis 16. November 2015 an: kommunikation@theater-basel.ch


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JUNGES HAUS

Pantoffelhelden: Welche könnten Jacob (Fischerssohn aus «Gold!») gehören und welche dem Kater (Multitalent aus «Der gestiefelte Kater»)?

GOLD! Musiktheater für alle ab 5 Jahren nach dem Grimmschen Märchen «Vom Fischer und seiner Frau». Mit tat­ kräftiger Unterstützung der Zuschau­ er_innen reist die Mezzosopranistin Sofia Pavone durch die Geschichte von Jacob und dem Wünsche erfüllenden Fisch – erfahrbar gemacht durch die Klangwelt verschiedenster Schlag­ instrumente. Eine Zusammenarbeit von OperAvenir mit der Hochschule für Musik FHNW / Musik-Akademie Basel.

DER GESTIEFELTE KATER In Anlehnung an das Märchen der ­Brüder Grimm erzählt Thomas Freyer die Geschichte vom Kater, der seinem Herrn einen besseren Platz in der Welt verschaffen will, als Familienstück im besten Sinne. Eine Koproduktion des Theater Basel mit dem Vor­ stadttheater Basel für Gross und Klein ab 7 Jahren.

Illustrationen: Andreas Spörri

THEATERJOURNAL 15/16 # 1

MALE ALLE STIEFEL AUS

WENN STIEFEL HINTER STIEFELN STIEFELN STIEFELN STIEFEL STIEFELN NACH

DER GESTIEFELTE KATER: PREMIERE 27.11., 18 UHR NÄCHSTE VORSTELLUNGEN 29.11., 16 UHR / 6.12., 16 UHR  / 7.12., 10 UHR SCHAUSPIEL­HAUS

GOLD!: PREMIERE 1.11., 15 UHR NÄCHSTE VORSTELLUNGEN 15.11., 15 UHR / 28.11., 15 UHR FOYER GROSSE BÜHNE


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MELODYMAKER

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Zu gewinnen gibt es 3 × 2 Billette für die Kinderoper «Gold!» am 28. November, 15 Uhr im Foyer Grosse Bühne.

Findest du jeweils das richtige Wort zu den kleinen Bildern? Fülle das Kreuzworträtsel aus und du erhältst als Lösung eine Melodie. Versuche diese Melodie auf deinem Instrument zu spielen und beantworte folgende Frage: Aus welcher sehr bekannten Oper stammt diese Melodie?

Schicke deine Lösung bis zum 16. November 2015 an: junges-haus@theater-basel.ch

Tipp: Ab 19. Dezember 2015 steht die gesuchte Oper auch auf dem Spielplan des Theater Basel!

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Hinweis: ä wird zu ae; ö wird zu oe

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AktuellGeradeJetzt! Selber Theater machen als Schauspieler, Tänzer, Sänger oder Musiker in unseren Jugendclubs? Komm für Infos am Mittwoch, 28. Oktober 2015 um 18 Uhr in die Nacht­café / Box zum NEUSCHNEETREFFEN!

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Illustrationen: Andreas Spörri Ausgedacht von: Anja Schödl und Martin Frank

Ab sofort! Mit der Schulklasse ins Theater für nur 10.– (Schauspiel) bzw. 20.– (Musiktheater). Begleitende Lehrer kostenlos.

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KOLUMNE VOM HAUSAUTOR

BEEINFLUSSBARE ZUSCHAUER Auf meiner To-do-Liste steht: Sich verorten in einer Welt, die aus den Fugen gerät * * Dieses Gefühl, dass die Welt «aus den Fugen gerät», ist natürlich nichts Neues, sondern eher ein Dauerzustand der Orientierungslosigkeit, in dem sich eben die Fugen, also die gewollten Spalten zwischen den einzelnen «Teilen», so weit aufgetan haben und diese «Teile» so weit auseinandergedriftet sind, dass der ersehnte Überblick nicht mehr zustande kommt. Ich stecke also in einer gewissen Krise. Wenn eine ­Krise sich verschlechtert, dann ist das eine Katastrophe, und wie viele andere gehe ich ständig vom Schlimmsten aus. Deshalb ist das Drama wohl auch mein Zuhause oder zumindest mein ­Arbeitsplatz. Da befinde ich mich also in diesem Theater, diesem Haus, und versuche, das Drama vor der Türe hier drinnen zu veranschaulichen. Diese Veranschaulichung ist folglich recht kompliziert, da im Theater versucht wird, etwas zu rahmen, das jeden Rahmen sprengt. Im Theater ist die Realität auf der Bühne eine Inszenierung. Und das Lustige ist: Die Realität da draussen ist das auch. Vorhang auf! Hier, in diesem scharf umgrenzten Land, sind wir zwar Teil der um sich greifenden Krisen, und auch wir bekommen hier ein, zwei Schrammen ab, aber weitgehend bleiben wir doch nur die Zuschauer der Katastrophen, die woanders statt­finden. Als Zuschauer sind wir leicht zu beeinflussen. Wir sitzen in den Rängen, suchen nach einer angenehmen H ­ altung und haben schrecklich viel zu ­verlieren. Der Wohlstand ist ein angst­besetztes Häuschen, ist eine Welt aus Polstern, in der jede Unbequemlichkeit Hysterie auslöst. Da sind all diese verstörenden Bilder, die in uns hinein­strömen, all die bösen Zahlen und b ­ rutalen Statistiken, all die Diagramme mit ihren grässlichen Kurven und panischen Kommentaren. Das

verursacht mehr als nur Kopfschmerzen, da herrschen kriegerische Zustände in einem drin, und eine fixe Idee macht sich bei manchen breit: Gar nicht erst rein­lassen, diese Realität, sonst werden wir die nie mehr los, und vielleicht sollten wir alle leer stehenden Gebäude niederreissen, damit die Mensch gewordenen Widersprüche, die da plötzlich durch unsere Strassen laufen, bloss kein Zuhause finden. Das Drama mit den Flüchtlingen ist eine Ver­wechslungstragödie, denn Flüchtlinge sind keine Katastrophe und auch keine ­Terroristen. Dennoch – scheint es – sind diese Worte in der Aufregung schwierig auseinanderzuhalten. Ängste sind – und seien sie noch so unbegründet – furchtbar anstrengend. Ich lag daher neulich völlig lahmgelegt an einem aufgeräumten Strand am Meer. Die tosende Brandung lehrte mich Demut. Alles ist miteinander verbunden, und sei der Spalt auch noch so breit. Auf dem Weg zurück ins Inland hörte ich eine äl­tere Dame neben mir sagen: «Ai äm ä ­Ter­rorist! Wär kän ai faind se Infor­mäischen?» Sie hatte sich ­offenbar ­verlaufen und lag doch irgendwie gold­richtig. Wie finde ich nun aber eine Haltung in PHILIPPE HEULE einer haltlosen Welt? Im Woll­knäuel der Ohnmacht ­ver­heddert, sind es meist Philippe Heule ist Autor und Regisseur. Er wurde 1986 in Widnau in der Ost­simple Sätze und grosse schweiz geboren und wuchs im St. Galler Plakate, die einen AusRheintal auf. Nach einem Schauspiel­ weg versprechen. Diese studium in Hamburg studierte er Theater-­ regie an der Zürcher Hochschule der aggressive Verdrängung Künste und war Gast an der Universität von Widersprüchen kann der Künste Berlin im Studiengang Szenisches Schreiben. aber keine Lösung Er ist Begründer der Gruppe sein. Der Versuch «helium x», die im Rahmen der der Ver­einfachung Treibstoff Theatertage 2015 in Basel «Die grosse Schlacht» sollte immer wieder realisierte. In der Spielzeit gesprengt werden, 2015 / 16 ist Philippe Heule im Rahmen des Stipendienpround am besten nicht gramms «Stücklabor Basel» nur im Theater. Hausautor am Theater Basel und arbeitet im Zuge dessen an einem neuen Stück.


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Simon Zagermann, Thiemo Strutzenberger; Foto: Alexi Pelekanos

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SNEAK PEEK

«Edward II. Die Liebe bin ich» nach Christopher Marlowe von Ewald Palmetshofer ab 12. November 2015 am Theater Basel


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