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Gender Gaps

Ein Blick in Geschichte und Gegenwart des japanischen Puppentheaters

Auf der Fidena 2020 und dem Festival Skupova in Pilsen in diesem Frühjahr wird auch die japanische Puppenspielerin Miyako Kurotani zu Gast sein. Die japanische Literaturwissenschaftlerin Yoko Yamaguchi, die sowohl die japanische als auch die europäische Puppenspielszene kennt, untersucht das japanische Figurentheater auf Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.

Von Yoko Yamaguchi /// Im Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums aus dem Dezember 2019 lag Japan auf dem 121. Platz von 153 Ländern, zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten auf dem 120. und Kuwait auf dem 122. Platz. Deutschland war auf Rang 10. Die große Kluft bei Bezahlung, politischer Beteiligung, Gesundheit und Zugang zu Bildung in Japan spiegelt sich auch in seinem Puppentheater. Seit Frauen 1629 verboten wurde auf der Bühne zu stehen, folgte das Bunraku-Nationaltheater dieser Tradition und ließ Frauen nie wieder auf die Bühne.

Natürlich gibt es in Japan nicht nur das Bunraku-Nationaltheater, sondern auch zahlreiche und vielfältige Puppentheater. Zu den traditionellen Theatern im Bunraku-ähnlichen Stil oder mit Marionetten gehören das Awaji Puppentheater, Hachioji-kurumaningyo (gespielt von Puppenspielern auf kleinen Wägen), und die Youki-za Marionette Company. Sie arbeiten auch mit Frauen auf der Bühne. Dazu kommen moderne Puppentheater, die seit den 1920er-Jahren unter dem Einfluss europäischer Puppentheater entstanden, wie das PUK, aber auch Solokünstler*innen wie Hoichi Okamoto und Miyako Kurotani. Hier gibt es mehr weibliche als männliche Puppenspieler*innen.

Auch wenn sich Gender Gaps im modernen japanischen Puppentheater nicht so klar beobachten lassen, zeigt die Geschichte auf jeden Fall, dass sie Teil der Kultur dieses Japan mit seinem 121. Platz sind. Die Rolle von Frauen im japanischen Puppentheater wurde noch nicht ausreichend erforscht und es gibt noch nicht genug wissenschaftliche Untersuchungen. Dennoch folgt hier ein Überblick über einige wichtige historische Daten in diesem Zusammenhang.

V o m A u f t r i t t s v e r b o t z u m w i c h t i g e n B e s t a n d t e i l

des modernen Theaters

Genauso wie die Begründerin des traditionellen Kabuki eine Frau war, waren Frauen im ganzen Bereich der darstellenden Künste

im Mittelalter aktiv, auch wenn diese Frauen wohl auch sexuelle Tätigkeiten ausführten. 1 Das Verbot von Frauen auf der Bühne im

Jahr 1629 behinderte jedoch sehr stark die Entwicklung einer weiblichen darstellenden Kunst. Es wurde 1877 aufgehoben, etwa um dieselbe Zeit, als das Bunraku-Theaterhaus in Osaka 1872 eröffnet wurde, das in der Folge seine Blütezeit erleben sollte. In den traditionellen Theaterformen wie Bunraku, Kabuki oder Noh bekamen Frauen dennoch nie wieder die Gelegenheit, auf der Bühne zu erscheinen. Stattdessen spielten Frauen eine aktive Rolle im sogenannten „neuen Theater“, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss des europäischen Schauspiels entstand. 1886 gründeten Politiker, Geschäftsmänner und Wissenschaftler, die vom Studium in Europa zurückkehrten, eine Vereinigung, um die „Onnagata“ (männliche Schauspieler, die Frauenrollen spielen) zu verbieten und Schauspielerinnen zu fördern. 1891 kam es zur ersten Aufführung mit Schauspielern und Schauspielerinnen auf derselben Bühne seit dem Verbot von 1629. 1908 wurde die erste Schule für Schauspielerinnen eröffnet, gelernt wurde aber haupt

Otome-Bunraku. Foto: Hitoshi Furuya THEMA double 41

sächlich nachzuahmen, wie die männlichen Schauspieler Frauen spielten. In der Folge etablierten sich Schauspielerinnen im japanischen Theater. Zeitgleich zur Einführung von Frauen im Schauspiel beteiligten sich auch viele Frauen an der Entwicklung eines modernen Puppentheaters seit den 1920er Jahren.

F r a u e n a l s „ G i d a y u “ –

subkulturelle Rebellion?

Auch heute noch sind Frauen vom Bunraku

Nationaltheater ausgeschlossen. Sogar heute

dürfen sie die Kunst des Bunraku-Puppen

spiels nicht erlernen. Frauen dürfen zwar

„Gidayu“ werden – der traditionelle Erzähler

im Bunraku –, aber nicht eine Bunraku-Auf

führung begleiten. Sie können Gidayu nur in

Form eines Konzerts, ohne Puppen und au

ßerhalb des Bunraku-Theaters aufführen.

Die Gender-Forscherin Mia Nakamura 2

führte 1998-1999 ein Interview mit der professionellen weiblichen Gidayu-Erzählerin Akiko Takemoto, um herauszufinden, wie sie die existierenden Gender Gaps wahrnahm. Takemoto akzeptiert die Situation und sagt einfach: „Theater ist für Männer.“ Im Wissen, dass nur Männer auf der Bühne stehen dürfen, versuchten die weiblichen Gidayu-Erzählerinnen nicht, ihren eigenen Stil außerhalb des Bunraku zu entwickeln, sondern nahmen den Stil der männlichen Gidayu-Erzähler vom Bunraku auf, um eine gewisse „Authentizität“ zu erreichen. Nakamura schließt daraus, dass es keinen anderen Weg gab, im System der traditionellen japanischen darstellenden Kunstformen zu überleben, als sich auf die Autorität des Bunraku zu verlassen.

Die Gender-Lücke im japanischen Puppentheater scheint dauerhaft und nicht auflösbar zu sein, aber es gibt Anlass zur Hoffnung. Laut Nakamura sagte Takemoto auch, dass der weibliche Gidayu-Erzähler als „eine Parodie des männlichen Erzählers“ gesehen würde. Frauen performten männliche Rollen in Männerkostümen und zogen viele begeisterte männliche Fans an. Nakamura gab an, dass das Publikum bei den Konzerten der weiblichen Erzähler eine außergewöhnliche Transgender-Erfahrung erlebte, die über das traditionelle Gender-Schema hinausging und damit „subkulturelle Rebellion verkörperte“.

O t o m e B u n r a k u – Bunraku von Frauen Otome-Bunraku (Mädchen-Bunraku) 3 ist ein ähnlicher Fall. Otome-Bunraku ist Puppentheater, gespielt nur von Frauen. Es wurde 1926 von einem männlichen Amateur-Gidayu-Erzähler gegründet. Er versammelte junge Mädchen, um Puppentheater als Unterhaltung bei einigen heißen Quellen aufzuführen. Später wurde es mit technischer und künstlerischer Unterstützung eines Bunraku-Puppenspielers weiterentwickelt. Sie gründen auf der Autorität des Bunraku: Um Authentizität zu erreichen, bitten sie Bunraku-Puppenspieler um temporären Unterricht, genau wie die Gidayu-Erzählerinnen. Aber die Otome-Bunraku-Spielerinnen, auch sie in Männerkleidung, zeigen unglaubliche Stärke, die die Kraft hat, die Voreingenommenheit in Bezug auf Gender, die das traditionelle japanische Theater reproduziert, zu überwinden.

In anderen traditionellen darstellenden Formen in Japan findet man Künstler*innen, die interessante Versuche mit größerem Gender-Bewusstsein machen. Ein Beispiel dafür ist die Performance von Tanigawa Hankyu „Tea Ceremony in Kitchenette“. 4 Die Teezeremonie erlebte ihre Blüte unter Kriegern und war Teil der „männlichen“ Kultur. Dennoch war es die Aufgabe der Frauen, den Tee in der Küchenzeile zuzubereiten und den Männern im Büro zu servieren (in einigen konservativen Unternehmen bis heute). Im 16. Jahrhundert erschuf der berühmte Teemeister Sen Rikyu ein 3,6 m² großes Teehaus, das als Ideal gilt. Und zufälligerweise haben die Küchenzeilen in modernen Bürogebäuden oft ungefähr diese Größe. Eine Teezeremonie in einer solchen Küchenzeile! Das ist ein sehr rebellischer, moderner und humorvoller Versuch, der neue Möglichkeiten aufzeigt und den traditionellen darstellenden Künsten neue Perspektiven eröffnet. Ich hoffe, dass so eine brillante Idee sich auch auf dem Feld des japanischen Puppentheaters entwickelt.

Abschließend möchte ich auf ein Beispiel des zeitgenössischen japanischen Figurentheaters blicken. Miyako Kurotani, die Bunraku schon als kleines Mädchen liebte, aber an der Bunraku-Schule abgelehnt wurde, entwickelte einen ganz eigenen Stil des weiblichen Puppentheaters. Nach einer Ausbildung im Butoh-Tanz war Kurotani 45 Jahre lang im Figurentheater aktiv. Hoichi Okamoto sah in ihr „die einzige Rivalin“, als er noch lebte. Im Kontrast zu Okamotos Inszenierungen, in denen er zarte weibliche Figuren mit seinem eigenen männlichen Körper führte, versuchte Kurotani einen Weg zu finden, die zerbrechlichen weiblichen Körper mit ihrem eigenen genauso weiblichen und zarten Körper zu verbinden. Anders als beim Bunraku oder bei Okamoto, ist bei Kurotani die Verbindung zwischen Spielerin und Puppe stärker spürbar als die trennenden Elemente. Indem sie die Verbindung mit der Puppe zwischen Macht und Intimität auf der Bühne erforscht, geht Kurotanis Arbeit auch über die Geschlechter-Normen hinaus, die das japanische Puppentheater bewahrt hat. Solange die gesellschaftliche und politische Situation in Japan sich nicht drastisch geändert hat, sollte das japanische Puppentheater weiter solche rebellischen Stücke für die Bühne erschaffen.

1 Die Wissenschaftlerin Haruko Wakita (2014), die sich mit der Rolle von Frauen im Theater seit dem Mittelalter beschäftigte, sagt über das älteste erhaltene Dokument über die Vorgänger des japanische Puppentheaters Yujo-no-ki (Prostituierte) und Kugutsu-ki (Puppenspieler), „Ich finde keinen Unterschied zwischen Prostituierten und Puppenspieler-Frauen.“ Seit dem Mittelalter gab es sogenannte „Kugutsu-mé“ (Puppenspieler-Frauen), aber diese Bezeichnung bezog sich auf Frauen, die sich hauptsächlich prostituierten, während sie mit den männlichen Puppenspielern lebten und herumzogen. Siehe: Wakita, Haruko. Josei geino no genryu. [The Origin of Performing Arts of Women] Tokyo: Kadokawa publishing, 2014. S. 74-106. 2 Nakamura, Mia: Authenticating the Female Gidayu: Gender, Modernization, and Nationalism in Japanese Performing Arts. In: ONGAKUGAKU: Journal of the Musicological Society of Japan. Volume 52, issue 2 (2005). S. 94-110. 3 Otome-Bunraku: Otome bedeutet auf Japanisch junge Frau, Mädchen oder Jungfrau. Die moderne Puppentheater-Company Hitomi-za hat diese Bezeichnung und diesen Stil übernommen. Zur Geschichte von Otome-Bunraku: Uno, Koshiro: Otome-bunraku-no-rekishi-to-soho. [The History and Technique of Otome Bunraku]. In: Hiratsuka City Cultural Properties Survey Report Vol. 31. Hiratsuka City Cultural Properties Edited by the Protection Committee. Hiratsuka Board of Education (1996). S. 119-130. 4 Siehe auf der offiziellen Website: http://www.910ryu.com/

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