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Die eigene Dringlichkeit
Die Dramatikerin Elisabeth Pape über Schreiben als Freiheit, Geduld in der Überarbeitung und die Auszeichnung mit dem Kleist-Förderpreis im Gespräch mit Nathalie Eckstein
Du schreibst Theaterstücke. Warum hast du dich für diese Form entschieden?
EP: Ich bin mit zwanzig Jahren mit dem Stück „Crave“ („Gier) von Sarah Kanes in Berührung gekommen und habe mir anschließend die Rowohlt-Taschenbuchausgabe mit sämtlichen Stücken von ihr gekauft. Mit solchen Texten bin ich zuvor einfach nicht in Berührung gekommen. Da hat mich wirklich etwas berührt. Und dann wollte ich genau das: eine Form finden, die das Leid erfahrbar und vor allem aushaltbar im Text, in der Sprache macht und dabei den Humor nicht außen vor lässt.
Für mich war der Theatertext anfangs eine Möglichkeit, nicht zwangsläufig eine korrekte Satzstruktur einzuhalten. Wenn wir Menschen sprechen, sind die Sätze, die Sachen, die wir sagen, einfach von Gedanken getrieben. Da fragen wir uns ja im Sprechen nicht: „Oh, stand jetzt das Objekt an der richtigen Stelle?“ Außerdem verzeiht der Theatertext, wenn jemand anders spricht, oder vielleicht will das ja auch der Theatertext, da kann jemand einfach sagen: „Und neben den Ferrero Küsschen, Happy Hippos, Kinder Joys und Chupa Chups packte ich meine STABILOFilzstifte und STABILO-Buntstifte aus, drei Schreibblöcke von Diddl, einen atemberaubend unglaublichen Akrakadiddlabra-Block, einen Reibeduftblock, einen Magic-3D-Block und ein Federmäppchen von Scout.“ (Zitat aus meinem brandneuen Stück mit dem Arbeitstitel „KLASSE RUCKSACK“)
Das ist jetzt erst mal ein Satz, der sowohl wierd ist und explizite Wörter beinhaltet, die man in der Anreihung nicht im Alltag hören würde, und der auch mit einem „und“ beginnt. In der Schule habe ich ja gelernt, dass das ein No-Go ist. Der Theatertext gab mir die Freiheit zu schreiben, mich aus meiner gefühlten Unzulänglichkeit rauszuholen. In meiner Abiturprüfung im Deutsch-Leistungskurs habe ich eine Szenenanalyse von Lessings „Nathan der Weise“ geschrieben und ungelogen drei Punkte kassiert. Ich bin durchgefallen, mit einer 5+. Damals dachte ich: Okay, ich verstehe anscheinend nichts vom Theater, nichts von Dialogen und von Sprache verstehe ich anscheinend auch nichts. Da sieht man mal wieder, wie traumatisch Schule sein kann.
Dem Text auf der Bühne kann man nicht entkommen. Sitzt man einmal im Publikum, bleibt man ja meistens sitzen. Das mochte ich! Außerdem das Zusammenspiel aus allen Faktoren einer Inszenierung: die leibliche Kopräsenz, das Sehen, das Hören, alles vereint. Und natürlich ist es eine Freude, wenn die Menschen sprechen, was ich da schreibe.
Es erscheint gerade eine neue Generation junger Dramatiker:innen auf den Bühnen der deutschsprachigen Theater. Es geht um Themen, die neu verhandelt werden, für die neue Formen gefunden werden. Klimawandel, globale Gerechtigkeit, psychische Erkrankungen. Oft stehen neue Materialismen und Philosophinnen wie Rosi Braidotti, Donna Haraway oder Autor:innen wie Ursula K. LeGuin im Hintergrund. Dein Text weist intertextuelle Referenzen zu Kirchenliedern auf. Wo würdest du dich schriftstellerisch verorten?
EP: Die Kirchenlieder repräsentieren zunächst eine weitere absurde Beschäftigung, die da im Klinikalltag stattfindet. Die Kirchenlieder haben also was mit dem Ort zu tun, an dem sich die Figuren in dem Stück befinden. Und der Ort bleibt konstant, löst sich nicht auf, wird vielleicht nur zwischenzeitlich blurry, wenn Strong & Beautiful spricht. Der Ort ist ein katholisches Krankenhaus, eine Station, eine Einrichtung, in der junge Menschen wieder gesund werden müssen, wollen, sollen, und zum Programm gehört es nun mal, da diese Lieder zu singen – so, als ob es zur Genesung beitragen würde, „Der Himmel erfüllt mein Herz“ zu singen. Das gemeinschaftliche Singen ist ja natürlich erst mal eine Tätigkeit, bei der man zusammenkommt und die einem das Gefühl geben kann, da nicht alleine zu sein. Das bringt ja auch ein Chor mit. Aber warum nutzt man nicht das gemeinschaftliche Event und singt „I Am Beautiful“ von Christina Aguilera oder „Born This Way“ von Lady Gaga?!
Ich glaube, dass ich auf die Frage, wo ich mich schriftstellerisch verorten würde, gar keine richtige Antwort habe. Der Schreibprozess funktioniert wie eine Dominokette. Zunächst bin ich ja nicht nur ein Medium, das da wiedergibt, was in der Welt vor sich geht. Ich frage mich: Was geht mich was an? Was macht mich gerade besonders wütend und lässt mich gedanklich nicht los? Und dann: Will ich das Thema auf einer Bühne sehen, und wenn ja, in welcher Form? Gibt es diese Form schon? Nö? Okay, dann werde ich jetzt probieren, dieses Stück zu schreiben und eine Form dafür zu finden, die mich selbst interessieren würde zu sehen! Diesen Gedanken empfinde ich immer noch als ziemlich wertvoll. Und dann lese ich mich kreuz und quer durch, um am Ende einen Theatertext schreiben zu können, der bestenfalls einem breiten Publikum zugänglich werden kann, der über das Einzelschicksal hinausgeht und das Potenzial beinhaltet, an einigen Stellen laut aufzulachen.
John von Düffel hat das mal gesagt, dass diese Form, die ich in „Extra Zero“ aufmache, weder Postdramatik ist noch klassisches Figurentheater. Da würde ich mich verorten, irgendwo dazwischen.
Du wurdest kürzlich in das Verlagsprogramm von Rowohlt aufgenommen. Was bedeutet das für dich?
EP: Also erst einmal habe ich eine tolle Lektorin, die sich noch mal über die Texte beugt, die ich da fabriziere und die mir sagt: „Elisabeth, mach doch vielleicht lieber noch mal so oder schau dir das doch noch mal an.“ Der Verlag hilft mir, mich selbst ernst zu nehmen, gibt mir die Legitimation, nach dem Studium weiterzuschreiben und als Theaterautorin/Autorin ernst genommen zu werden. Das ist ja im
Endeffekt das Ziel nach dem Studium: einen Verlag zu finden, der einen will, und im besten Falle einen Nachwuchspreis gewinnen. Check.
Natürlich nicht zu vergessen, dass der Verlag versucht, meine Texte an Häusern unterzubringen. Wenn ich von meiner privaten E-Mail-Adresse einem Theater einen Text von mir schicken würde, kann ich mir vorstellen, dass zu 97 Prozent da niemand Interesse dran hätte.
Funfact: Wenn man mich fragt, was ich so im Leben mache, antworte ich, dass ich größtenteils fürs Theater schreibe. Dann werde ich oft (nicht immer) schräg angeschaut. Um mich selber und die Tätigkeit zu rechtfertigen, behaupte ich dann, dass ich beim Verlag bin, und zwar bei Rowohlt. Dort, wo auch Sibylle Berg und Elfriede Jelinek sind. Amen. (Natürlich sind noch viele andere tolle Autor:innen bei Rowohlt!) Dann nicken die Menschen langsam und ich hoffe inständig, dass sie es verstehen. Egal. Ich verstehe es ja.
Du studierst an der Universität der Künste Berlin Szenisches Schreiben. Kann man Schreiben lernen? Wie kann künstlerische Ausbildung gut institutionalisiert gelingen?
EP: Also rückblickend würde ich sagen, dass sich mein Schreiben verändert hat. Wenn ich frühe Texte von mir anschaue, würde ich aber aus meiner jetzigen Perspektive sagen, dass die vor dem Studium nicht grottig waren. Also sollte man ein bisschen Talent mitbringen, vor allem aber auch Lust, Geduld und eine realistische Einschätzung vom eigenen Können. Gut, wie man diese realistische Einschätzung findet, weiß ich bis heute nicht. Aber vielleicht schwankt man eh das ganze Leben als Autor:in zwischen Größenwahn und Erniedrigung. Ich glaube nicht, dass man Schreiben lernen kann, aber besser werden kann man allemal!
Im Studium des Szenischen Schreibens wurde ich darin geschult, Ausdauer zu haben, Zugang zu Texten zu bekommen, zu lesen und über Texte zu sprechen. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um Texte zu überarbeiten. Das ist anstrengend, macht keinen Spaß, weil man wirklich geduldig sein muss. (Ich kann es nicht oft genug betonen, aber auch, weil es mir anfangs gar nicht klar war.) Im Studium hatte man die Möglichkeit, Texte in Werkstätten auszuprobieren, die von Schauspielstudierenden anspielen zu lassen. Außerdem wurden uns schon sehr viele Kooperationen mit Häusern, anderen Universitäten ermöglicht. In dieser Branche geht es schließlich auch darum, Kontakte zu knüpfen.
Bei uns im Jahrgang herrschte aber auch ein ziemlich hoher Produktionsdruck. Sehr wenige Studierende haben Texte öfter in die Textwerkstatt mitgebracht. Ich habe Unmengen geschrieben und teilweise auch wirklich Schrott. Das war ja auch wichtig, um erst mal Formen und Themen auszuprobieren. Dafür braucht man auch einfach Zeit. Das ist auch das, was ich allen Menschen raten würde: Seid nicht gestresst und lasst euch Zeit! Ansonsten bekommt ihr bestimmt irgendwann Tinnitus. Und was auch nicht hilft, ist betriebsorientiert zu schreiben. Besser ist, da auf sich selbst und auf die Themen zu vertrauen, die einen was angehen und interessieren. Da war ich auch nicht gut drin. Im Unterricht habe ich oft nebenbei nach Ausbildungsplätzen gegoogelt, für den Fall der Fälle, dass ich keinen Erfolg haben werde mit dem Schreiben, oder nach irgendwelchen Ausschreibungen, um doch weiter zu probieren, Erfolg zu haben.
Vielleicht sollte auch einfach die Altersgrenze bei den Nachwuchspreisen verschoben werden. Auf das Alter 25 bis 35. Was für ein Meisterwerk kann denn ein:e 19-Jährige:r fabrizieren? Zum Schreiben gehört ja auch Lebenserfahrung.
In deinem Text „Extra Zero“ widmest du dich Essstörungen in einer Klinik. Es geht um Körperbilder, um Krankheiten, um
Klinikalltag. Wie war die Auseinandersetzung mit dem Thema?
EP: Den Text zu schreiben hat mich enorm viel Anstrengung und Kraft gekostet. Neben meiner subjektiv gemachten Erfahrung habe ich mich grundsätzlich einfach sehr viel mit Essstörungen beschäftigt. Ich habe Stunden auf Instagram verbracht, unter den Hashtags, die im Stück aufgegriffen werden, etliche Posts und individuelle Krankheitsgeschichten gelesen, habe mit betroffenen Menschen Kontakt aufgenommen.
Natürlich brauchte ich zwischendurch auch Pausen, ich bin ja immer noch leider nur ein Mensch, der Energie braucht, also bin ich zu Rewe gegangen, da stand dann direkt am Eingang das neue Mahlzeitersatzgetränk YFood. WTF, dachte ich mir. Soll ich keine Zeit haben, um mir was zu kochen und stattdessen ein Getränk in den Körper kippen, das eine Mahlzeit ersetzt? Was will denn die Lebensmittelindustrie von mir, und wie hoch ist eigentlich der prozentuale Ansatz in unserer Gesellschaft derer, die sich nicht mit Essen, der Nahrungszufuhr und dem eigenen Körper beschäftigen? Essen ist ja etwas, was uns Menschen vereint. Also: Wo beginnt die die psychische Erkrankung?
Zudem spürte ich im gesamten Schreibprozess eine ziemliche Dringlichkeit. Angefangen habe ich irgendwann in der Pandemie und mich gefragt: Wie geht es denn eigentlich gerade Kindern und Jugendlichen? Naja, und jetzt sieht man ja langsam, aber sicher, wie es denen ging und geht: schlecht.
Der Text „Extra Zero“ ist keine Therapiemaßnahme, soll dennoch Menschen sensibilisieren, Jugendliche, Erwachsene, aber auch Mitarbeiter:innen in der Jugendpsychiatrie und Psychosomatik. Ein Anliegen ist es, mit „Extra Zero“ dysfunktionale Klinikkonzepte aufzuzeigen. Kliniken und Krankenhäuser, die eigentlich junge Menschen in Krisen unterstützen sollten, haben das Potenztial, traumatische Spuren zu hinterlassen. Wie und wo also gesund werden?
Dein Text „Extra Zero“ arbeitet stark chorisch. Welche Funktion erfüllt dieses formale Element?
EP: In meinem Stück spiegelt der Chor eine Community, eine Gemeinschaft wider. Das ist der Chor der Essgestörten, der zusammensteht, sich Halt gibt und für Orientierung sorgt. Alle Formen der Essstörungen werden ja im Geheimen ausgelegt, und der Chor macht genau das Gegenteil, solidarisiert sich und zeigt sich gegenseitig: Man ist nicht allein. Außerdem finde ich Chöre auf der Bühne immer toll. Der Chor bringt an sich schon eine Dynamik mit, die ich gerne viel öfter sehen würde.
Du hast gerade den KleistFörderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramaziker gewonnen. Wie siehst du der Uraufführung entgegen?
EP: Wie schön, dass endlich der Text in Körper kommt, in Münder kommt, auf einer Bühne sich entwickeln kann. Ich freue mich auf die Wundertüte und hoffe sehr, dass ganz viele Menschen den Text und die Inszenierung toll finden werden. T
Elisabeth Pape, geboren 1995, wuchs zwischen Berlin und Černivci/Ukraine auf, studierte Theater- und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und anschließend Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Ihre Stücke liefen als Werkstattinszenierungen sowohl an der Volksbühne am Rosa-LuxemburgPlatz, Berlin, am Theaterdiscounter, der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin sowie auf Kampnagel in Hamburg. Für das Theater Koblenz hat sie Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ neu bearbeitet und ergänzt. Premiere war am 21. Mai 2022 in der Regie von Markus Dietze. Ihr Stück „Extra Zero“ wurde mit dem KleistFörderpreis 2023 ausgezeichnet. Die Stücktexte und Aufführungsrechte liegen beim Rowohlt Theater Verlag.