TdZ 3/2023 – Neue Dramatik. Mit Kim de l'Horizon u.a.

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Die eigene Dringlichkeit Die Dramatikerin Elisabeth Pape über Schreiben als Freiheit, Geduld in der Überarbeitung und die Auszeichnung mit dem Kleist-Förderpreis im Gespräch mit Nathalie Eckstein

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Du schreibst Theaterstücke. Warum hast du dich für diese Form entschieden? EP: Ich bin mit zwanzig Jahren mit dem Stück „Crave“ („Gier) von Sarah ­Kanes in Berührung gekommen und habe mir anschließend die Rowohlt-Taschenbuchausgabe mit sämtlichen Stücken von ihr gekauft. Mit solchen Texten bin ich zuvor einfach nicht in Berührung gekommen. Da hat mich wirklich etwas berührt. Und dann wollte ich genau das: eine Form finden, die das Leid erfahrbar und vor allem aushaltbar im Text, in der Sprache macht und dabei den Humor nicht außen vor lässt. Für mich war der Theatertext anfangs eine Möglichkeit, nicht zwangsläufig eine korrekte Satzstruktur einzuhalten. Wenn wir Menschen sprechen, sind die Sätze, die Sachen, die wir sagen, einfach von Gedanken getrieben. Da fragen wir uns ja im Sprechen nicht: „Oh, stand jetzt das Objekt an der richtigen Stelle?“ Außerdem verzeiht der Theatertext, wenn jemand anders spricht, oder vielleicht will das ja auch der Theatertext, da kann jemand einfach sagen: „Und neben den Ferrero Küsschen, Happy Hippos, Kinder Joys und Chupa Chups packte ich meine STABILOFilzstifte und STABILO-Buntstifte aus, drei Schreibblöcke von Diddl, einen atemberaubend unglaublichen Akrakadiddlabra-Block, einen Reibeduftblock, einen Magic-3D-Block und ein Federmäppchen von Scout.“ (Zitat aus meinem brandneuen Stück mit dem Arbeitstitel „KLASSE RUCKSACK“) Das ist jetzt erst mal ein Satz, der sowohl wierd ist und explizite Wörter beinhaltet, die man in der Anreihung nicht im Alltag hören würde, und der auch mit einem „und“ beginnt. In der Schule habe ich ja gelernt, dass das ein No-Go ist. Der Theatertext gab mir die Freiheit zu schreiben, mich aus meiner gefühlten Unzulänglichkeit rauszuholen. In meiner Abiturprüfung im Deutsch-Leistungskurs habe ich eine Szenenanalyse von Lessings „Nathan der Weise“ geschrieben und ungelogen drei Punkte kassiert. Ich bin durchgefallen, mit einer 5+. Damals dachte ich: Okay, ich verstehe anscheinend nichts vom Theater, nichts von Dialogen und von Sprache verstehe ich anscheinend auch

Theater der Zeit 3 / 2023

Foto Daniel Nartschick

Thema Neue Dramatik


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