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Bonn Park Das Deutschland

Regie Bonn Park

Das Deutschland

von Bonn Park

Uraufführung 17. Januar 2020 ETA Hoffmann Theater Bamberg

Bühne und Kostüme Julia Nussbaumer Dramaturgie Victoria Weich

Es gibt diese Momente, in denen man sich als Kritiker verwundert die Augen reibt: Wie bitte, dieses hier ist tatsächlich die erste Einladung für Bonn Park zum Festival Radikal jung? Das Festival entdeckt und präsentiert ja Künstler*innen, die unsere Theaterszene in den kommenden Jahren entscheidend prägen werden. Meist noch zu Beginn ihrer Karriere. Aber Bonn Park? Der ist beileibe kein unbeschriebenes Blatt. Er machte schon vor Jahren bei den Stückewettbewerben in Heidelberg und beim Berliner Theatertreffen als Autor auf sich aufmerksam. Im letzten Jahr legte er als Autor und Regisseur mit der ko(s)mischen Oper „Drei Milliarden Schwestern“ an der Volksbühne den Hit der Berliner Theatersaison hin, gewann den renommierten Friedrich-Luft-Preis und wurde zum Nachwuchskünstler des Jahres beim Fachblatt Theater heute gekürt. Eine Einladung nach München ist seinerzeit aus technischen Gründen gescheitert. Mit seiner Bamberger Stückentwicklung „Das Deutschland“ ist er in diesem Jahr erstmals zum wichtigsten deutschen Autorenwettbewerb bei den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Und eben auch zu Radikal jung.

„Das Deutschland“ ist eines der Stücke, wie es sie auf deutschen Bühnen viel zu selten gibt: politisch, aber ohne sauertöpfische Miene, ungezwungen popkulturell grundiert, von einem lässigen Grundgestus getragen und im Ganzen ein Heidenspaß. Als „Horror-Stück“ gibt es sich zu verstehen, aber es ist ein Horror der skurrilen Art: Die kleine, zehnjährige Emulie ist übers Wochenende bei der Familie ihres Freundes Lonnart zu Gast. Aber etwas stimmt nicht, die Eltern verströmen eine morbide, steife Freundlichkeit. Emulies Handy hat keinen Empfang, und die Tür nach draußen ist leider „gerade beim Handwerker“. Also gibt es kein Entrinnen.

Während Emulies Unbehagen in dem hübschen, betont makellosen Ferienhaus stetig wächst, ergehen sich die Eltern in seltsamen Einübungen der Etikette: „Wie sollst du mich nennen?“, bezirzt die Mutter ihren Sohn, als der sie „Mama“ ruft. „Sondra“, sagt Lonni. Darauf der Vater: „Und mich?“ Der kleine Lonnart pariert erneut aufs Wort: „Thumas“. Und dann geht es minutenlang hin und her: „Wie sollst du mich nennen?“ Ein Exzess aus dem Geiste der liberalen Erziehung. Das vormals antiautoritäre Beim-Vornamen-Nennen wird zum Dressurakt. Bis beim Sohn das Blut fließt. Oder in der Regieanweisung von Bonn Park: „Blut läuft aus seiner Nase über seinen freundlichen Mund.“

Freundlichkeit, bis das Blut kommt. Das ist das Grundmotiv dieser Deutschlandansicht. Und es beschreibt auch die erzählerische Haltung bzw. die Temperatur, mit der Bonn Park die Dinge vorführt. Mit kühler Souveränität platziert er Widerhaken in seiner Prosa, spielt er lakonischen Witz ein; das Bizarre und Abgründige wirkt bei ihm wie beiläufig schraffiert.

Bonn Park hat Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste studiert, die als eine der zentralen Ausbildungsstätten für neue Dramatik gilt. Thomas Köck, Nis-Momme Stockmann, Darja Stocker, Katja Brunner, Konstantin Küspert und Michel Decar zählen zu den Absolventen. Um nur einige zu nennen. Bonn Park begann sein Studium 2010. Wobei er das Schreiben von Anbeginn lediglich als Bestandteil eines Rüstzeugs fürs Regieführen ansah. Heute schreibt Bonn Park in der Regel keine Stücke für andere, sondern konzentriert sich auf die Arbeit mit eigenen Texten. Er sieht sich immer mehr als Stückentwickler, der im Probenprozess den Text gestaltet und ausformuliert.

Typische Theaterbetriebsfragen, ob er Autor oder Regisseur sei, oder ob sein Werk als Uraufführung firmieren könne, hält er für kunstfern, so merkt man beim Gespräch in einem Kreuzberger Café. „Man hat einen Stoff und macht daraus ein Theaterstück“, sagt er. Diesen Akzent auf dem „Machen“, das sich nicht um Label kümmert, habe er aus der Berliner Volksbühne mitgenommen. Das sei die Grundhaltung dort gewesen. Und dass Theater ein „sinnliches Medium“ ist, kein „akademisches oder essayistisches“.

Bonn Park kam schon als Jugendlicher an die Volksbühne, schnupperte als Hospitant auch bei den stilbildenden Künstlern des Hauses, Frank Castorf und René Pollesch, rein. Der Sohn koreanischer Einwanderer, der 1987 in Berlin geboren wurde und in Lankwitz im Südwesten Berlins aufwuchs, durchlief den legendären Volksbühnen-Jugendclub P14 bei Leiterin Vanessa Unzalu Troya. Zahllose Originale gingen aus dieser Schule hervor: Spieler*innen wie Lilith Stangenberg, Maximilian Brauer, Lisa Hrdina oder die jung verstorbene Maria Kwiatkowsky sowie jüngere Theatermacher*innen wie Nele Stuhler oder Jan Koslowski. Bei P14 war man zugleich Spielender und Inszenierender, Autor, Bastler, was auch immer. Talente bildeten sich im gemeinsamen Arbeitsprozess heraus. Als Heimkehrer schuf Bonn Park 2018 für P14 „Drei Milliarden Schwestern“ und rückte mit der Produktion in den unebenen Volksbühnen-Zeiten im Wechsel von Intendant Frank Castorf zu Chris Dercon hin zu Klaus Dörr unversehens auf die Große Bühne. Ein Teufelsritt: Bonn Park, der zuvor noch nie ein Libretto geschrie-

ben oder eine Oper inszeniert hatte, verband sich mit dem Komponisten Ben Roessler, der noch nie im Musiktheater aktiv gewesen war und sich für seine Orchesterpartitur unverfroren bei Verdi, Mozart und Konsorten bediente, ebenso wie bei Jazz und Pop. Das Ganze wurde eingesungen und gespielt von P14-Spielerinnen (tatsächlich war es bis auf eine Ausnahme eine rein weibliche Besetzung) und begleitet vom Jugendsinfonieorchester des Berliner Georg-Friedrich-Händel-Gymnasiums unter Leitung von Knut Andreas. Und dieser kollektive Salto mortale ins kühle Wasser schlug hohe Wellen, wurde zum Ereignis.

„Drei Milliarden Schwestern“ erzählt mit schrägem Humor von der existenziellen Bedrohung der Menschheit: Ein Komet rast auf den blauen Planeten zu, aber niemand mag sich aufraffen, um irgendwas zu tun oder zumindest den anwehenden Nihilismus zu fliehen. Alle hängen lethargisch rum und lamentieren über die Krankheiten der Jugend (ADHS, Asperger, Borderline-Syndrom, Burnout) und das stagnierende Leben überhaupt. Ein Generationenporträt mit leisen Anklängen an die Klimaapokalypse. Tschechows „Drei Schwestern“ lagerten im Hintergrund des Librettos, ebenso Michael Bays Hollywood-Endzeitschinken „Armageddon“. Wie die Vorgängerarbeit zeigt sich auch „Das Deutschland“, das Bonn Park als Stückentwicklung fürs ETA Hoffmann Theater Bamberg beruhend auf eigenen Recherchen und Gesprächen mit dem Ensemble schuf, vom Kino inspiriert. Aus Jordan Peeles antirassistischer Gruselsatire „Get Out“ (2017) bezieht „Das Deutschland“ sein Familienbesuchs-Setting sowie einige motivische Anleihen. Auch Ari Asters rituellen Nervenkitzel „Midsommar“ (2019) habe das Team zu Inspirationszwecken während der Proben geschaut, erzählt Bonn Park im Gespräch. Für die bedrohliche Tonspur sei vor allem David Robert Mitchells Teen-Schocker „It Follows“ (2015) dienlich gewesen.

Aber auf blanken Horror muss man sich bei „Das Deutschland“, anders als in den Filmreferenzen, nicht einstellen. Eher wird es komisch, seltsam, herrlich merkwürdig. Das Komische siedelt ja bekanntlich in der Nähe des Horriblen: In der Verfremdung des Alltäglichen, in der leichten Verrückung, im Mechanisch-Werden des Lebendigen finden sich die Momente, in denen der Schrecken ins wundervoll Schrullige kippt und wieder zurück. Und mechanische Ticks gibt es hier zuhauf. Mit gezwungenem Dauergrinsen schleicht Daniel Dietrich als Sohnemann Lonnart durch das traute Heim, das Ausstatterin Julia Nussbaumer in erlesener Volllaminatoptik in die Bamberger Studiobühne gezirkelt hat. Seine Eltern

wirken fast schon plastiniert in ihrer bürgerlichen Selbstgewissheit: Sondra (Ewa Rataj) stets jovial mit hohen Wangenknochen; eine braune Retrolederbluse gibt ihr eine herrische Note. Und Thumas (Paul Maximilian Pira) als kumpeliger Pilzkopfträger, der im Look noch einen Hauch Brit-Pop abbekommen hat, im Gemüt aber einen Kälteschock. Gern hantieren sie mit einem übergroßen Holzmesser, wie überhaupt alles auf Nussbaumers Bühne nach Holz ausschaut und hölzern wirken soll. Einmal sortiert Lonnart minutenlang den Discounter-Einkauf der Familie: Cervelatwurst, Leberwurst, Speckwürfel. „So billig und so viel!“ Das ist das gute Leben am Tropf von „LÖDL, ÖLDI und PANNÜ“ (eine schräge Vorliebe für Vokalverballhornungen durchzieht den Text).

Immer wieder schickt Bonn Park das Personal in aberwitzige Routinen und Wiederholungsschleifen. Und gibt uns die volle Breitseite deutschen Bullshits: Man lamentiert über E-Tretroller auf Bürgersteigen, über Leute, die zu Unrecht BahnComfort-Plätze besetzen, mokiert sich über Obdachlose, Ausländer, Frauen, die eigentlich „viel schöner“ seien, wenn sie „öfter lächeln“, aber sie tun’s halt nicht. „Ich hoffe, du hast einen scharfen, passiv aggressiven Ton gewählt!“, sagt Thumas, wenn es gilt, störende Nachbarn, die „zu viel Dezibel zu einer falschen Zeit in die Welt gesetzt“ haben, in die Schranken zu weisen. Anerkennung findet in diesem Hause vor allem der größte Humorist des Landes „Göntah Jauch“ oder der neueste „Tatort“, der dankenswerterweise wieder einmal „mittel“ gewesen sei. Und „mittel“ ist das Beste, das man sein kann. Sagen sie und verstrahlen wieder ihr Wachsfigurenlächeln von Madame Tussauds’ Gnaden.

An satirischer Schärfe lässt „Das Deutschland“ nichts zu wünschen übrig. Der Diskurs der „Mitte“, der sich gerade in jüngeren Debatten wieder verstärkt Gehör verschafft und mit Leitkulturfolklore gegen alles Abweichende und Fremde auftrumpft, wird hier selbst als Brutstätte von Gewalt vorgeführt. Ähnlich wie die Filmvorlage „Get Out“ (in der das Bewusstsein von weißen Mittelschichtsamerikanern via Gehirntransplantation in die „vitalen“ Körper schwarzer Opfer eingepflanzt wird) ist Bonn Parks Horrormärchen eine eminent politische Parabel. „Alles könnte schief gehen, aber wenn man alles so lässt, wie es ist, alles so macht, wie man es kennt, dann wird wahrscheinlich alles in Ordnung sein. Sie nennen es die deutsche Mittelmäßigkeit. Aber wenn man die deutsche Mittelmäßigkeit verlässt und etwas ausprobiert, dann kann alles enden“, beschreibt Lonnart einmal den Ungeist in seinem elterlichen Hause. Ein Geist, der Gespenster gebiert: Mitunter erschei-

nen im Garten vor dem Theater oder in den Fenstern oberhalb der Bühne finstere Horrorclowns mit Bommelmützen, bieten Parolen („Angst! Angst! Angst!“) oder singen die Nationalhymne. Das sind die Ausgeburten der kleinbürgerlichen Besorgnis, Wiedergänger von Pegida und Konsorten.

In diese Welt der bürgerlichen Zwangsvorstellungen und Zwangsregime schickt Bonn Park das Mädchen Emulie. Als Integrationsopfer. Clara Kroneck stellt sie mit gebremster kindlicher Staunensbereitschaft vor (wie die herrliche Gebremstheit des Ensembles dem Abend ohnehin eine ganz eigentümliche Schwerkraft verleiht). In pinkem Kleid, mit pinker Gesichtsfarbe steht Emulie vor den Gastgebern. Eingangs rattert sie in schier endloser Plapperei herunter, wie ihr Tag in der Schule so war (Clara Kroneck fungiert in dieser Passage als Ko-Autorin, die den extemporierenden Monolog selbst zum Skript beigesteuert hat). Ein Quasselexzess von höheren Gnaden, der zugleich das Sperrige und schlecht Integrierbare dieses Kindes markiert. „Emulie! Du arme, neugierige, risikofreundliche, stürmische, außergewöhnliche Ideenmaschine“, spricht Sondra sie einmal an. Als „Ideenmaschine“ hat man es selbstredend nicht leicht in einem Milieu, das dem behaglichen Stillstand huldigt.

Es macht den Charme dieser Komposition aus, dass Bonn Park nicht auf schlichte Gegenüberstellungen setzt. Clara Kroneks

Auftritt mit ihrer Emulie als Verkörperung der „Fremden“ wirkt keinen Deut vitaler oder lebensfreudiger als die mumifizierte Leutseligkeit der anderen drei. Ein robuster Filter liegt über der gesamten Szenerie, eine umfassende Aura des Absonderlichen. Ob dieses Stück auch vor zehn Jahren so entstanden wäre, vor dem Erstarken der neuen Rechten und der wachsenden Xenophobie, die sich bis in die Mitte (!) der Feuilletons hinein artikuliert, frage ich Bonn Park bei unserem Treffen. „Ja“, sagt er, „aber es wäre wohl lustiger, ironischer geworden.“ Er ist mit dem Thema ernster geworden. Die Abneigung gegen „alles, was fremd und neu ist“, sei heute schon sehr stark.

Ob der Entstehungsort Bamberg sich auf das Stück ausgewirkt habe, frage ich noch. Bamberg sei schon ein sehr „hermetischer“, auch wohlständiger Ort. Bambergs Altstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe, eine „deutsche Version von Disneyland, so wie Deutschland sich gern sehen möchte“, wie Bonn Park sagt. Man kommt an einem solchen Ort auf Anekdoten und Erzählungen von der „deutschen Seele“, von der Sehnsucht nach Normalität, die schnell ins Gewaltförmige umschlagen kann. Und sei es nur bei Rentnern, die Radler vom Rad stoßen, wenn sie ihnen auf dem Bürgersteig begegnen. Aus solchen Erlebnissen bezog das Team in seinem Brainstorming das Material. Das Material für eine düstere Groteske, die viel über „Das Deutschland“ erzählt, wie es sich in unseren Tagen darstellt.

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