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Ein Vorwort
Ein Vorwort
Vieles ergibt sich während der Arbeit, die beim Theatermachen vor allem darin besteht, all das wegzulassen, was mich langweilt. Dazu gehören die üblichen illustrativen Verstärkungen und die im Theater wie im Film so selbstverständlichen Verdopplungen von Sichtbarem und Hörbarem. Wenn vom Baum schon die Rede ist, muss man ihn nicht mehr zeigen. Das heißt, es geht mir um das Weglassen dessen, was bereits in einem anderen Medium enthalten ist. Und um das Vertrauen in die beteiligten Künste und Techniken und vor allem in diejenigen, die dort in ihrem Element sind: Bühnenbildner, Toningenieure, Musiker, Darsteller, Techniker und viele andere. Mich interessiert, was kontrapunktische Spannungen erzeugt zwischen oben und unten, zwischen rechts und links, zwischen vorher und nachher; zwischen dem, was zu sehen, und dem, was zu hören ist; zwischen dem, was man zuvor erwartet hat und dem, was dann tatsächlich geschieht; zwischen dem, was man erlebt und dem, was man dazu denken mag; dem, was verstanden werden kann, und dem, was sich diesem Verstehen konstruktiv verweigert.
Nach dem Abschluss einer künstlerischen Arbeit ist man vielleicht ein bisschen schlauer. Dann weiß man, was man gemacht hat. Oder man glaubt es zu wissen.
So war es zum Beispiel vor gut zehn Jahren keine bewusste Entscheidung, dem Publikum in der ersten halben Stunde von Eraritjaritjaka (2004) alle Elemente – schön nacheinander – quasi vorzustellen, bevor sie gegen Ende des Stücks übereinander herfallen. Alle haben sie zunächst einzeln ihren Auftritt: Zu Beginn mit dem Konzert eines Streichquartetts die Musik; dann der Auftritt des Körpers des Schauspielers; die von diesem Körper getrennte Sprache mit den Worten Canettis; die Spielfläche, die sich – ganz in weiß – selbst entfaltet; das Licht, das macht, was es will; ein erstes Requisit, ein kleines Haus, als Protagonist einer eigenen Szene; dann erst das Bühnenbild – die Fassade eines großen Hauses; schließlich das Medium Theater selbst – in einem langen Monolog; und endlich der Film, der den Schauspieler aus
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dem Theater hinausbegleitet und mit ihm die Farbe ins Spiel bringt –denn zuvor war alles nur schwarzweiß. Auf diese Weise durchbuchstabiert, wird der Zuschauer ermächtigt, die Elemente im weiteren Verlauf der Aufführung zusammenzudenken, selbst wenn sie ihre Unabhängigkeit dabei nicht verlieren.
Auch hätte ich vor gut zwanzig Jahren bei den ersten Proben zu Ou bien le débarquement désastreux (1993) nicht sagen können, dass es mir bei dieser Musiktheaterarbeit um die ‚Aufspaltung theatraler Präsenz auf alle Elemente‘ geht.
Mittlerweile klärt sich einiges und ich versuche, daraus kein Geheimnis zu machen, sondern – in Vorträgen und Gesprächen, Preperformance-talks und Aufführungsgesprächen danach – so gut ich kann Auskunft zu geben. Auch deshalb, um noch mehr über die Arbeit und über mich zu erfahren: von den Zuschauern, von dem Team, mit dem ich das Glück habe arbeiten zu dürfen, von meinen theaterwissenschaftlichen Kollegen oder von Ihnen, den Lesern.
Dieses Buch soll keine Ästhetik der Abwesenheit liefern, sondern mein szenisches Interesse an ihr erläutern. Es handelt sich hier nicht um einen kontinuierlich verfassten Text, sondern um eine Sammlung von Aufsätzen, Vorträgen und Mitschriften, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind. Damit schließt der vorliegende Band an die erste Anthologie Komposition als Inszenierung (Hg. Wolfgang Sandner) an, in der eigene Texte vor 2002 zusammen mit Beiträgen anderer Autoren versammelt sind.
Der Band besteht aus drei Teilen. Der erste Teil versammelt Texte zu meinen Musiktheaterarbeiten seit 2002. Aber auf die Frage, was mich zu den Arbeiten angeregt hat, geben weder diese Aufsätze noch das richtige Leben eine allgemeingültige Antwort: mal sind es Gemälde (Landschaft mit entfernten Verwandten), manchmal Texte (Eraritjaritjaka), ein andermal vielleicht das zyklische Geschichtsverständnis von Gertrude Stein (Songs of Wars I have seen) oder ein Klang – der Vokalklang des Hilliard Ensembles (I went to the house but did not enter). Erst bei Stifters Dinge schließlich war es tatsächlich die Idee der Abwesenheit.
Unter anderem bin ich auf der Suche nach dem Inhalt der Formen. Nach dem, was die Formen mit uns machen. Die Formen, mit denen wir uns allenthalben arrangiert haben, die nicht an unser Bewusstsein dringen und deswegen so viel Macht über unsere Wahrnehmung haben. Auch wenn meine Arbeiten nicht aus Visionen entstehen, son-
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dern immer aus den vorliegenden Gegebenheiten und Möglichkeiten, geht es zugleich darum, sich nicht mit der Welt zufriedenzugeben, so wie sie ist. Sondern darum, etwas zu entwerfen, was wir noch nicht kennen; was potentiell alle angehen, berühren, beschäftigen, inspirieren und zur Imagination anregen könnte.
Der zweite Teil des Buches versammelt Reden und Aufsätze zu Künstlern, die auf die eine oder andere Weise für meine Arbeit Bedeutung haben: Robert Wilson, Erich Wonder, Jean-Luc Godard, Rimini Protokoll und das Ensemble Modern.
Der dritte Teil hat schließlich die Theaterausbildung im Blick: Texte zur Schauspielausbildung, zur Regieausbildung, zum Studium am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen (ATW) und an der Hessischen Theaterakademie.
Vielleicht ist man auch nach dem Schreiben ein bisschen schlauer. Offensichtlich kann Vieles, worüber diese Texte Auskunft geben, ebenso gut anders gesehen werden. Vielleicht ist es nicht einmal die „Abwesenheit“, die mir auf der Bühne zum Wichtigsten geworden ist, sondern eher die Verschiebung der Präsenz vom Visuellen zum Akustischen. Denn auf der akustischen Bühne (der Musiktheaterarbeiten wie der Kompositionen und Hörstücke) mag es Unterbrechungen, Kontrapunkte und Leerstellen geben, aber so richtig „abwesend“ ist da nichts. Wenn vom Baum schon die Rede ist, muss man ihn ja nicht mehr zeigen.
Ich danke Klaus Grünberg, Florence von Gerkan, Willi Bopp, Hubert Machnik, Stephan Buchberger, Matthias Mohr, André Wilms und vielen, vielen anderen, mit denen mich eine überaus lange und glückliche künstlerische Zusammenarbeit verbindet. Ich danke meinen Kollegen der ATW, insbesondere Helga Finter und Gerald Siegmund, für die inspirierend reflektierte Atmosphäre in diesem Institut, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und vor allem den Studierenden, mit denen ich gemeinsam künstlerisch forschen kann. Und ich danke der Lektorin Nicole Gronemeyer und meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Eva Holling für aufmerksames und kritisches Lesen.
Ich danke den Produzenten, die mir die Chance geben, so zu arbeiten, wie ich es gar nicht anders kann. Umso mehr stimmt es mich traurig, dass René Gonzalez, der Intendant des Théâtre Vidy in Lausanne, uns in diesem Jahr verlassen hat. Mit ihm und seinem wunderbaren Team konnte ich fast alle Stücke der letzten fünfzehn Jahre realisieren.
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Ich danke den vielen Kuratoren und Festivalmachern weltweit, die die Stücke eingeladen und gezeigt haben, für ihr Vertrauen in meine Arbeit. Und insbesondere den Zuschauern, die mir nachträglich neue Perspektiven auf die Stücke, über die ich hier zu schreiben versuche, er öffnet haben. Ob sie in einem Moment von Stifters Dinge einen „Sonnenuntergang am Meer erlebt“ oder sogar „Gott gesehen“ haben – es ist mir (fast) alles recht. Für mich bleibt es die Szene, in der zu den historischen Aufnahmen von Anrufungen der Seefahrer in PapuaNeuguinea in starkem Gegenlicht hinter schwebenden Vorhängen über drei Wasserbecken die Reflexionen der Wellen sichtbar werden. Sie ist nicht symbolisch gemeint.
Heiner Goebbels, im August 2012
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