10 Berliner Thesen zur Zukunft von Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung

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10 Thesen zur Zukunft von Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung Entwurf / September 2018

Found and lost? – 10 Thesen zur Zukunft von Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung. Die folgenden Aussagen zum Status Quo der Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin stammen von Jacob Bilabel (THEMA1), Andreas Krüger (Belius), und Dr. Bastian Lange (multiplicities). Sie basieren auf zentralen Beobachtungen der Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin und nehmen markante Veränderungen in den vergangenen Jahren zum Ausgangspunkt einer Standortbestimmung. Das Ziel des gemeinsamen Positionspapiers und der anschließenden Thesen ist es zu klären, welchen Stellenwert die Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin aktuell und zukünftig einnehmen kann. Wir fragen uns, wie sie verstärkt von Politik, Wirtschaft und Bildung verstanden werden kann. Ebenso fragen wir uns, wie sie weiter als ein “guter Partner” für zukünftige Fragen und Optionen auf dem Weg einer qualitätsvoll sich entwickelnden Stadt wahrgenommen werden kann. Perspektivisch möchten wir diese Positionen und die Thesen in unterschiedlichen Öffentlichkeiten Berlins diskutieren und klären, inwiefern das vor 15 Jahren in Berlin gefundene Wachstumsfeld “Kultur- und Kreativwirtschaft” auf dem Weg seiner Reifung und seines Bedeutungsgewinns verloren gegangen und aktuell politisch in der Bedeutungslosigkeit versunken ist. Was muss passieren, dass Kultur- und Kreativwirtschaft unter den aktuell laufenden Wachstumsbedingungen nicht zum Opfer des eigenen Erfolgs wird? Berlin, im September 2018 Jacob Bilabel, Andreas Krüger und Dr. Bastian Lange

Entwurfsfassung / September 2018 Jacob Bilabel bilabel@thema1.de Andreas Krüger krueger@belius.de Dr. Bastian Lange Lange@multiplicities.de

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10 Thesen zur Zukunft von Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung Entwurf / September 2018

Status Quo der Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin im Jahr 2018 Die Berliner Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) hat in den vergangenen Jahren ganz wesentlich zu einer stetigen Attraktivität der Stadt und seiner Wachstumsentwicklung beigetragen. Parallel ist der städtische Gewerbe- und Wohnimmobilienmarkt stark gewachsen, in dessen Folge Preissteigerungen dominierten und Raumverfügbarkeiten abnahmen. Nach wie vor zeigt sich die Berliner Kultur- und Kreativwirtschaft mit unterschiedlichen thematischen und nutzungsbezogenen Schwerpunkten in den jeweiligen Bezirken. Herausragende Einstiegsmöglichkeiten durch eine hohe Anzahl kleiner Kreativlabore und Coworking Spaces haben ein starkes und schnell wachsendes Öko- und Startup-system in der Stadt geschaffen. Berlin ist daher ein stetiger Magnet für nationale und internationale Kultur- und Kreativwirtschaft-Akteure, insbesondere im Bereich räumlich relevanter (inter-) nationaler Festivals, Messen, Ausstellungen und Wettbewerben. Zukünftig kann sich das kultur- und kreativwirtschaftliche Wachstum aber vom Ressourcenverbrauch Raum abkoppeln. Das anhaltende Wachstum verbindet sich aber auch mit einer seit Jahren stagnierenden und nicht-hinlänglich guten Abbildung der Kultur- und Kreativwirtschafts-Themen auf der politischen Ebene. Dies ist umso dringlicher, da sich eine Entkoppelung von Boden-, Immobilien- und Gewerbeimmobilienpreisen und dem Wachstumsvermögen der Kultur- und Kreativwirtschaft und seiner UnternehmerInnen zu erkennen gibt. Die laufenden enormen Raumdynamiken, die mittlerweile nicht nur Kleinstunternehmer, Freelancer und Selbständige hinsichtlich ihrer Raum-, Arbeitsund Präsentationsverfügbarkeiten und Bezahlbarkeiten erfassen, erfasst immer eindringlicher auch KMU der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die raumbezogene Situation wird insbesondere dadurch erschwert, dass kein Masterplan oder ein anderer Gestaltungsplan für die Umsetzung zukünftiger Kultur- und Kreativwirtschaftsbedarfe an Raum in Berlin und Brandenburg vorliegt. Der hohen Dynamik und der eher geringen politischen Widmung der Kultur- und Kreativwirtschaft ist es auch geschuldet, dass aus dem vorhandenen Potential deutlich zu wenig regionale Wertschöpfung generiert wird. Perspektivisch könnte eine engere Vernetzung von Immobilienwirtschaft und Kulturund Kreativwirtschaft für eine höhere qualitätsvolle Quartiers- und Raumentwicklung in Berlin und Brandenburg sorgen. Dies sollte gerade bei der Potentialentwicklung für qualitätsvolle Quartiersentwicklung auch außerhalb des Berliner S-Bahn Rings Beachtung finden.

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Die hohe Anzahl von kreativen Laboratorien und kulturellen Inkubatoren sollten Anlass geben, eine neue Gebietskategorie (“Neue urbane Kreativgebiete”) zu schaffen, aus denen Innovations-Hot Spots für urbane Nachhaltigkeit, Breitbandnutzung, Transformation der Logistik und ressourcenschonende Mobilität erwachsen könnten. Die Kultur- und Kreativwirtschaft als Vorreiter für “New WorkProzesse” und deren Wirksamkeit für Zivilgesellschaft, Gemeinwohl und Integration zu nutzen, könnte viele aktuelle Fragen der nutzerzentrierten Stadtentwicklung adäquater rahmen. Gleichwohl besteht die Sorge, dass zentrale Institutionen und Schlüsselakteure die Stadt verlassen, die Karawane weiterzieht und viele Berlin verlassen. Zudem stellen wir fest, dass die stetig wachsenden freien Marktkräfte die Kultur- und Kreativwirtschaft schwächen, da globale Finanzströme mit großer Macht auf ein fragiles Branchenfeld treffen. Ebenso steht Berlin vor der Herausforderung, die Lebensadern der Stadt, also die digitalen, öffentlichen und verkehrlichen Infrastrukturen, weiter zu sicher und auszubauen und sie nicht dem schleichenden Zusammenbruch auszusetzen. Dies wäre auch eine Basisinvestition, welche die bis dato zu wenig gehobenen regionalen Wertschöpfungen aus den aktuellen Leuchttürmen, wie z. B. der Art Week, der Fashion Week oder der Berlinale, weiter ausbauen und für die Stadt fruchtbar machen könnte. Ein behutsamer und mit der Stadtbevölkerung rückgebundener Diskurs zur immer kulissenartigeren Rolle der Stadt Berlin und seinen zukünftigen geminschten städtischen Räume ist dringend geboten. Dazu wäre es auch hilfreich, neben den quantitativen Indikatoren zur Erfassung der Kultur- und Kreativwirtschaft anderen qualitative, städtische und urbane Bemessungsparameter einzuführen.

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10 Thesen und/ Forderungen zur Zukunft der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie der Stadtentwicklung in Berlin 1. Mindestens 10% Fläche für Kultur- und Kreativwirtschaft bei Neubau Wir fordern, dass bei jedem gewerblichen Neubau 10 % des gebauten Bauvolumens für verschiedene Raumgrößen, Raumtypen und Nutzertypen baurechtlich der Kulturund Kreativwirtschaft zur Verfügung steht. 2. Ausweisung / Definition “Urbanes Kreatives Gebiet” mit Sonderregelungen und Beweislastumkehr bei Neubau in ausgewiesenen UKG (UCA - Urban Creative Area) Mit der Planungsrechtsnovelle 2017 wurde das urbane Gebiet als § 6a in die Baunutzungsverordnung aufgenommen. Die neue Baugebietskategorie soll nicht nur das Planen und Bauen in innerstädtischen Gebieten vereinfachen, sondern auch die Umsetzung einer nutzungsgemischten Stadt der kurzen Wege ermöglichen. Wir fordern, dass diese Baugebietskategorie um die Komponente “Urbanes Kreatives Gebiet” (UKG) erweitert wird. 3. Einsetzung eines Staatssekretärs für “besondere Aufgaben der Kultur- und Kreativwirtschaft” samt eigenem Haushalt in der Senatskanzlei und eine unabhängige Koordinierungsstelle Wir fordern eine sichtbare politische Ansprech- und Verantwortungsstruktur für die Kultur- und Kreativwirtschaft und ihre Belange. Dazu gehört ein eigener Apparat mit verlässlichem eigenen Jahresbudget. 4. Entwicklung und Umsetzung von “Sonderwirtschaftszonen” in Urbanen Kreativen Gebieten in enger Kooperation mit Brandenburg Wir fordern, dass bei Waren- und Dienstleistungsaustausch zwischen Kultur- und Kreativwirtschaft-Akteuren in ausgewiesenen UKGs ein verminderter Mehrwertsteuersatz erhoben wird. Dieser sollte sich zwischen 0% (Dienstleistungen) und 7% (Waren) bewegen. 5. Planung und Umsetzung eines Global Creative Summits in Berlin Wir fordern die Durchführung eines branchenverbindenden jährlichen oder zweijährlichen Gipfeltreffens der globalen Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin.

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6. Klare und finanziell geförderte Einbindung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Creative District Tempelhof (T-Hof), Planung & Partizipationsprozesse Wir fordern, dass Tempelhof als “Zentrum mit Anschluss” mit und auch für die Kulturund Kreativwirtschaft entwickelt und genutzt wird. 7. Mindestens 150 Mbit Breitband in “Urbanen kreativen Gebieten” sowie potentieller Ausbau bis 500 Mbit und Gratis-WLAN überall in der Stadt Wir fordern, dass Berlin die Stadt mit dem besten Breitbandnetz in Europa wird. 8. Neue Ansätze für Mobilität und Logistik in Urbanen Kreativen Gebieten planen und umsetzen. Wir fordern, dass cross-sektorale Kooperationen als Treiber für eine qualitätsvolle, integrative und zukunftsgerichtete Quartiersentwicklung in den Mittelpunkt der Stadtentwicklung gestellt werden. 9. Entwicklung eines neuen Narrativs für Berlin und das Urbanes Kreatives Gebiet Wir fordern, dass nach der Ära des “arm aber sexy”, “Berlin - the place to be” sowie “Be Berlin”, ein anderes Narrative entwickelt wird. Wir fordern zudem, dass die aktuellen Key Performance Indikatoren (absolute Besucherzahlen) aufgrund falscher Impulse durch andere ersetzt werden, da das Wachstum im Tourismus zu Lasten der Stadtbewohner und auch der Kultur- und Kreativwirtschaft geht. Wir fordern eine Überprüfung von Strategie und Zielen von Visit Berlin. 10. Revision der Wachstumseuphorie und Hinwendung zu qualitätsvollen Entwicklung der Stadt Berlin für alle Berlinerinnen und Berliner Wir fordern, dass die Hauptverursachung des aktuellen Gewerbe- und (Wohn-) Immobilienwachstums sowie seiner nachteiligen Effekte auf alle Bürgerinnen und Bürger durch eine behutsame, bestandssichernde und integrative kreative Stadtplanung revidiert und Berlin-Brandenburg modernisiert wird.

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