Masterarbeit - Die nachhaltige Entwicklung urbaner Stadtquartiere

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Bahnstadt Süd - The Urban Link Die nachhaltige Entwicklung urbaner Stadtquartiere im Sinne einer lebenswerten Stadt des 21. Jahrhunderts am Beispiel des Südviertels in Münster

Masterarbeit | Thomas Eltner | Fakultät Raumplanung |TU Dortmund


IMPRESSUM MASTERARBEIT an der Fakultät Raumplanung, Technische Universität Dortmund ABGABETERMIN 05.07.2020

GUTACHER Dr.-Ing. Ilka Mecklenbrauck Fachgebiet Städtebau und Bauleitplanung Fakultät Raumplanung Technische Universität Dortmund

VERFASSER Thomas Eltner Landgrafenstraße 85 4139 Dortmund

Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung Abteilung Bauwissenschaften Fakultät Ingineurwissenschaften Universität Duisburg-Essen

MATRIKELNUMMER 152474

Zeichenzahl 177.183 (Ohne Leerzeichen, Abstract)


DANKSAGUNG Zunächst gilt ein besonderer Dank Frau Dr.-Ing. Ilka Mecklenbrauck und Herrn Dr.-Ing. Dirk Wittowsky für die Betreuung meiner Masterarbeit.

Ein Dank gilt auch den Organisatoren des Hansaforums und insbesondere Sascha Kullak für seinen Input zu dieser Arbeit.

Darüber hinaus möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Michael Roos für das sehr aufschlussreiche Gespräch zur Ökonomie, Mobilität und insbesondere zu Mobilitätsgenossenschaften bedanken. Die Inhalte des Interviews konnten leider nur indirekt in diese Arbeit einfließen, sie haben aber viele Ansätze zur Auseinandersetzung mit Wirtschaftsweisen und Wertschöpfungsketten (u.a.) gegeben.

Abschließend möchte ich mich auch bei meiner Familie, meinen Freunden und Kommilitonen bedanken, welche mich während meines Studiums fortlaufend unterstützt haben, mit denen ich in zahlreichen Diskussionen über die Stadt- und Raumplanung mein Wissen erweitern konnte und mit denen ich im Team viele interessante Entwurfs- und Projektsitzungen bestreiten durfte.

VERFASSERERKLÄRUNG ERKLÄRUNG Ich versichere hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit/ Masterarbeit* mit dem folgenden Titel selbstständig und ohne unzulässige fremde Hilfe erbracht habe. Ich habe keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie wörtliche und sinngemäße Zitate kenntlich gemacht. Die Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegen.

HINWEIS: Aus stilistischen Gründen werden in dieser Arbeit alle möglicherweise als geschlechtsspezifisch interpretierbaren Formulierungen geschlechtsneutral verwendet; gemeint sind immer ausdrücklich Frauen und Männer. Sofern nicht anders gekennzeichnet, sind sämtliche Pläne, Fotos, Grafiken und Abbildungen vom Verfasser er- stellt und unterliegen Urheberrechten. Eine Vervielfältigung ist nur mit Genehmingung des Verfassers zulässig. Dortmund, den 05. Juni 2020

Thomas Eltner

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INHALTSVERZEICHNIS Impressum i Verfassererklärung i Abstract v

1. EINFÜHRUNG 1.1. 1.2. 1.3. 1.4.

2.

2 3 4 8

HINTERGRUND - TRENDS UND HERAUSFORDERUGEN 12

2.1.

Vom BIP zur Lebensqualität

13

2.2.

Soziale Gerechtigkeit

19

2.3.

Ökologische Nachhaltigkeit und Klimawandel

21

2.4.

Abschlussbetrachtungen

25

THEORIE - QUARTIERE UND URBANITÄTEN

28

3.

3.1. Urbantität 3.1.1. Begriffsbestimmung im historischen Kontext 3.1.2. Urbanität als soziales Konstrukt 3.1.3. Urbanität der Dinge 3.1.4. Urbane Qualitäten heute

28 29 32 33 36

3.2. Quartiere

38

3.3. Drei Dimensionen urbaner Quartiere 3.3.1. Dimension 1: Urbane Dichte und Durchmischung 3.3.2. Dimension 2: Urbane Kontakte - Interaktionen 3.3.3. Dimension 3: Teilhabe und Empowerment

44 45 60 66

3.4.

70

4.

Urbane Quartiere - Eine Zwischenbetrachtung

AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM QUARTIER E

ii

Anlass und Problemstellung Ziel der Arbeit Forschungsdesign Methodisches Vorgehen

2

Exkurs: Öffentlich Privat

74 75

4.1. BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN BP Fallbeispiel: Quartiersanalyse Venedig 4.1.1. Wohnst du noch oder lebst du schon? BP Fallbeispiel: "Quartiersentwicklung" in Tübingen

80 88 90 91

4.2.

BAUSTEIN 2: URBANE ACHSEN UND CLUSTER

98

4.3.

BAUSTEIN 3: URBANE LEUCHTTÜRME - MEHR ALS KIRCHEN

102


Inhaltsverzeichnis

BP

Fallbeispiel: Siena - Piazza El Campo

105

4.4. E

BAUSTEIN 4: URBANE RÜCKRÄUME Exkurs: Parks

108 110

4.5.

BAUSTEIN 5: RÄUME ZWISCHEN DEN QUARTIEREN

113

BP

Fallbeispiel: Quartiersanalyse Dortmund

116

4.6. Die Dimensionierung eines Quartiers und mögliche Charaktere 118 4.6.1. Dimensionierung eines Quartiers 118 4.6.2. Quartierscharaktere 119

5.

ENTWURF - STÄDTEBAULICHE QUARTIERSENTWICKLUNG

124

5.1.

Analyse - Quartiersstrukturen und Nutzungen der Bahnstadt Süd

124

5.2.

Die Entwicklung der Bahnstadt Süd

129

5.3.

Abschlussfazit und Ausblick

142

Literaturverzeichnis 146 Abbildungsquellen 155 Abbildungsverzeichnis 156 Abbildungsverzeichnis 158 Abkürzungen 159

iii


iv


Abstract

ABSTRACT Architekten, Stadtplaner und Stadtsoziologen sehen seit Jahrzehnten die Stadt im Gesamten und ihren Einzelteilen aus Quartieren und Nachbarschaften als einen sich stetig verändernden, heterogenen Organismus (Jacobs, 1960: 6). Dieses Gefüge aus Neu und Alt, aus durchgrünt und verbaut, aus belebt und eher ruhig macht unsere Städte aus und einzigartig. Sie lassen Städte und Stadtregionen in verschiedenen Formen wachsen und schrumpfen, sich neu erfinden und sich verändernden gesellschaftlichen und raumpolitischen Gegebenheiten und Herausforderungen anpassen. Die Stadtentwicklung der letzten Jahre ist in Deutschland im Zeichen des Klimawandels, der Nachhaltigkeit und Resilienz immer mehr von Überlegungen zur Innenentwicklung geprägt (BSBK, 2018: 33). Dabei spielt vermehrt einer Rückbesinnung auf kleinere Interventionen im Stadtgefüge, anstelle von großen Projekten am Stadtrand eine Rolle. Stadtreparaturen, also die Schließung von Baulücken und anderen Brüchen im Stadtgefüge sowie intelligente Nachverdichtungsstrategien im Zeichen der Nutzungsdurchmischung entwickeln Städte sinnvoll weiter, verkürzen Wege und erlauben es, Ressourcen und Infrastrukturen effizienter und schonender zu nutzen. In diesem Zusammenhang spielt auch die Entwicklung von Bahnbrachen und das bewusste Heranrücken der Stadt an der Schiene, sowie die Schaffung neuer Verknüpfungen im Stadtgefüge über vermeintliche Barrieren hinweg eine im-

mer größere Rolle in der Stadtentwicklung. Dies belegen verschiedenste städtebauliche Wettbewerbe, Design Labs renommierter Architekturbüros und vor allem die neu aufgelegte Landesinitiative "Bauland an der Schiene" der BEG (Bahnentwicklungsgesellschaft NRW) zur städtebaulichen Revitalisierung von Bahnbrachen (u.a.) in NRW (BEG, 2020) Doch wie können diese Strategien planerisch gesteuert und qualitätvoll realisiert werden? Wie kann die Stadtplanung auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts eingestellt werden? Und welche Ansatzpunkt gibt es aus planerischer, aber auch gesellschaftlicher Sicht Städte zu lebenswerten und nachhaltigen Wohn- und Arbeitswelten weiterzuentwickeln? Hierbei fällt der Blick schnell auf das urbane Quartiere. Sie ordnen Städte auf einer sozial-räumlichen Ebene (Schnur, 2008: 34). Doch was genau macht diese Quartiere im Zeichen von Herausforderungen einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Stadtentwicklung aus? Und wie entstehen funktionierende, differenzierte und lebenswerte Quartiere überhaupt? Welche Bausteine brauchen diese Quartiere um sich erfolgreich zu entwickeln? Es ist klar dass heute, oftmals eher in historischen Quartieren, solche aus stadtplanerischer Sicht als hochwertig empfundenen Strukturen schon vorliegen. Sie ergänzen sich im städtischen Gefüge gegenseitig, in ihnen bestreiten ihre Bewohner den Hauptteil ihres Alltags, in ih-

v


nen wird gewohnt, gearbeitet, sich versorgt, erholt und sich weitergebildet. Doch müssen auf der anderen Seite auch monofunktionale Teile der Stadt wie Gewerbe- und Einfamilienhausgebiete in den Blick genommen werden, um unsere Städte ganzheitlich im Sinne der Herausforderungen des 21. Jahrhun-

gen Verkehrsplanung, ausgerichtet auf eine Stadt die näher zusammenrückt, werden neben Ressourcen auch Flächen gespart. Dies ermöglicht eine qualitätvolle Gestaltung des öffentlichen Raums, ausgerichtet auf Aufenthaltsqualitäten und temporäre Aneignungen (Gehl, 2010: 148) (Skizzen 1, 2) .

Abb. 1: Alternative Straßennutzung | Breestraat, Leiden (Eigene Darstellung)

derts weiterzuentwickeln. Dabei stellen sich zum einen Fragen wie man bestehende Qualitäten und "funktionierende" Quartiere weiterentwickeln, ergänzen oder gar ganz neue Qualitäten schaffen kann und wie auf der anderen Seite wenig attraktive Stadträume im Sinne einer städtebaulichen Quartiersentwicklung zu attraktiven Stadtquartieren entwickelt werden können.

ÖFFENTLICHE RAUM UND PRIVATE FREIRÄUME Ein Schlüssel zum Erfolg scheint hier auch der Umgang und die Gestaltung des öffentlichen Raums und die Anpassung an die Bedürfnisse der Menschen in der Stadt zu sein. Im Sinne einer nachhalti-

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Durch einen Umbau der Verkehrsinfrastruktur können mehr Möglichkeiten für die urbansten Verkehrsformen, nämlich dem Fuß- und Radverkehr, sowie dem ÖPNV gegeben werden, die ergänzt durch Sharing-Formate, wie Car- und Bikesharing-Angeboten, den neuen urbanen Mobilitätsmix ausmachen. Sie ermöglichen neben eingesparten Flächen des (ruhenden) motorisierten Individualverkehr (MIV) auch unter gesundheitlichen und klimatischen Aspekten einen attraktiveren Stadtraum (Randelhoff, 2014).

Diese Möglichkeitsräume werfen jedoch Fragen auf, die es in der weiteren Auseinandersetzung mit der Quartiersentwicklung zu beantworten gilt: Welche Arten von Platz- und Straßenräumen gibt es in den einzelnen Quartieren? Wie lassen sich diese weiterentwickeln und qualifizieren? Welche Rolle spielt eine auf Sharing-Angebote und weniger Raum beanspruchende Mobilitätsangebote ausgerichtete Verkehrsplanung für den öffentlichen Raum und das Quartier und wie können Straßen, Plätze, aber auch Innenhöfe wieder mehr ins Zentrum des städtischen Lebens rücken? Neben den öffentlichen Räumen muss auch der private Freiraum und der Hof


Abstract

in den Blick der Quartiersentwicklung genommen werden (Mäckler, 2013: 64). Hier liegen vor allem im Bestand oftmals verborgene Qualitäten, die es zu aktiveren gilt, aber auch bestehende städtebauliche Typologien, die im Sinne einer vielschichtigen und vielseitigen Stadt wiederentdeckt und neu interpretiert werden können. Dabei haben Höfe unterschiedliche Charaktere. Sie unterscheiden sich in ihrem Grad der Privatheit, in ihrer Ausdehnung, Größe und Parzellierung und letztendlich in erster Linie in ihrer Nutzung. Hierbei soll auch vermehrt das Thema der urbanen Produktion im Zusammenhang einer kleinteiligen und mitunter vertikalen Nutzungsmischung in den Fokus der Entwicklung von Quartieren rücken (Brandt, 2018). Eine Wiederentdeckung und NeuplaStillstand

30km/h 140m²

nung von kleinteiligen Gewerbehöfen wie man sie aus der Gründerzeit kennt, könnte ein Baustein zur Integration von produzierenden Betrieben in die nutzungsdurchmischte Stadt sein.

DER ÜBERBAUTE RAUM

Hiermit verbunden ist jedoch in erster Linie der überbaute Raum der vielerorts eines Umdenkens, beziehungsweise einer Rückbesinnung auf alte Prinzipien und historische Qualitäten im Zeichen einer nachhaltigen Stadtentwicklung bedarf. Hierbei spielen urbane bauliche Dichten, die eine kleinteilige Nutzungsmischung die mehr fußläufige Distanzen erlauben ebenso eine Rolle, wie soziale Dichten mit heterogenen Bewohnerschaften. Dies bedeutet auch die Schaffung eines Angebots an verschiedenen und flexiblen Wohnformen und 50km/h Typologien für unterschiedliche Ansprüche.

MIV

mit 1,5 Pers. besetzt 65m²

30m² 13m²

1m²

ÖPNV

20% besetzt

20% besetzt

40% besetzt

15m² 9m²

8m² 2,5m²

2,5m²

8m² 5m² 1m²

RAD 1m²

FUSS

Abb. 2: Raumansprüche verschiedener Mobilitätsformen (Eigene Darstellung nach Randelhoff 2014)

Neben dieser Rückbesinnung etwa auf Strukturen mit aktiven, gewerblichen Erdgeschosszonen, vielen Adressen und kleinen Blockgrößen sollte bei einer zukunftsorientierten Quartiersentwicklung und Architektur im menschlichen Maßstab aber auch der Blick nach vorne und der Blick auf neue Formen des Wohnens und Arbeitens geworfen werden (Gehl, 2010: 3f.). Projekte wie "Mehr als Wohnen" aus Zürich zeigen neue Formen der Organisation des Alltäglichen auf (Dürr, 2017: 97). Sharing-Ideen schonen zum einen Ressourcen, bringen zum anderen auf sozialer Ebene auch Quartiere, bzw. ihre Bausteine aus kleinteiligen Nachbarschaften näher zusammen und sorgen für eine höhere Lebensqualität in der Stadt.

vii


EINFÜHRUNG


1


Einführung

1. EINFÜHRUNG Die nachhaltige Entwicklung urbaner und lebenswerter Stadtquartiere bringt für die Stadtplanung und Städtebau eine Vielzahl an Herausforderungen mit sich. Diese Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, Ansätze aufzuzeigen diesen zeitgemäß und auf die Zukunft ausgerichtet zu begegnen. Zunächst ein-

mal demnach ein kurzer, dieser Arbeit zugrunde liegender Überblick über deren Anlass und Problemstellungen gegeben werden. Anschließend wird auf die Zielsetzungen und Forschungsfragen abgeleitet, der Aufbau der Arbeit erläutert und die wissenschaftliche Methodik näher gebracht.

1.1. ANLASS UND PROBLEMSTELLUNG Vom Klimawandel, neuen Lebensansprüchen & integrierter Betrachtungsweisen Heute ist die Stadtplanung von zahlreichen Trends und Herausforderungen geprägt. Zum einen setzt der Klimawandel und das damit einhergehende steigende Bewusstsein gegenüber einem nachhaltigen Umgang mit unseren Ökosystemen neue politische

Abb. 3:

(Butzin, 2013: 5ff.) oder der nachhaltigen Ernährung (Antoni-Komar, 2019).

Aus diesen globalen Herausforderungen heraus haben sich schon seit längerem neue Forschungsfelder entwickelt, die weg vom Wachstumsparadigma der freien Marktwirtschaft und vor dem Hintergrund sozialer und ökologischer Themen über Postwachstumsmodelle nachdenken (Paech, 2009b). Hierbei stellen sich im Bezug auf die Raumplanung Fragen zum Umgang mit der begrenzten und unvermehrbaren Ressource des Bodens (Lamker, 2018: 3). Nachdem die soziale Marktwirtschaft schon in den 1950er-Jahren in Deutschland politisch etabliert wurde und Antworten Friday for Future Proteste im März 2019 in Berlin (Leonhard Lenz) auf Fragen sozialer Ungleichheit und der Marktmacht einSchwerpunkte. Dies führte in den letz- zelner (Unternehmen) durch staatliche ten Jahren zu immer ausgiebigeren Umverteilungsmaßnahmen zu geben Protestbewegungen, wie "Fridays for versuchte, setzen diese wissenschaftFuture" und der Gründung von Initia- lichen Auseinandersetzungen neue tiven etwa in Bereichen der Mobilität Schwerpunkte in Bezug auf die exter2


Ziel der Arbeit

nen Effekte unseres Wirtschaftens, auf die globalen Ökosysteme und die Gesundheit unseres Planeten (Jackson, 2009: 17) (Tichy, 2009: 4f.).

Soziologie und Umweltpsychologie im Zusammenhang der "Science of Well Being" (subjektives Wohlbefinden) (Helliwell, 2017; Huppert, 2004).

Auf der anderen Seite bringt der demographische Wandel vor allen in der westlichen Welt und die damit einhergehende Überalterung der Bevölkerung eine Vielzahl von Fragestellungen im Sinne einer alters- und seniorengerechten Stadtentwicklung mit. Diese erfordert einen Blick über Fragestellungen der Barrierefreiheit hinaus (Jessen 2009: 10). Viele dieser Themen lassen sich in einer ganzheitlichen Entwicklung von Lebensumwelten unter anderen auch auf Kinder und Jugendliche übertragen (Fritsche 2011: 18). Momentane gesellschaftliche Entwicklungen tragen auch, in Verbindung mit gesellschaftlichen Singularisierungsprozessen, zu veränderten Ansprüchen und Nachfragen an Wohn- und Arbeitsorte bei (Holtbernd, 2018).

Im engen Zusammenhang hiermit wiederum stehen auch die schon erwähnten Postwachstumsüberlegungen und die Suche, oder eher Wiederentdeckung des menschlichen Maßstabs in der Stadtplanung (Gehl, 2015: 263). Viola Schulze Dieckhoff und Christian Lamker stellen hierzu, an der Schnittstelle zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und subjektiven Wohlbefinden, die Fragen: "Müssen wir immer mehr Boden »verbrauchen« um glücklich zu sein", sowie "welche Ansprüche (Qualität, Ort) an die Bodennutzung und welche Bodenwerte (ökologisch, sozial etc.) sollten stärker fokussiert werden?" (Lamker, 2018: 3) Diese Fragen verbinden Überlegungen aus Nachhaltigkeitsdebatten und den Umgang mit begrenzten Ressourcen, mit Ansätzen zu Themen des gesellschaftlichen Wohlstands, Gemeinwohls und individuellen Wohlbefindens. Sie bereiten den Weg zu neuen Perspektiven in der Stadtplanung, welche in dieser Arbeit auf den Maßstab des Quartiers heruntergebrochen werden sollen.

All dies bringt, trotz steigendem monetären Wohlstand auch Fragen darüber mit sich, wie wir unser Leben weg von rein materiellen Vermögen, hin zu anderen Werten bestreiten wollen. Dies führte zu Forschungsarbeiten in der

1.2. ZIEL DER ARBEIT Die Begriffe des Quartiers und der Urbanität scheinen für viele Stadtplaner und Architekten ein Allheilmittel darzustellen und Antworten auf viele der zuvor gestellten Fragestellungen zu liefern. Sie geben mit ihrer Fülle an durchweg positiven Konnotationen Zielrichtungen für die Zukunft unserer Städte vor. Vor diesem Hintergrund sollen in einer Auseinandersetzung mit historischen Qualitäten von Städten und ih-

ren Stadtteilen, sowie mit modernen Ideen, Entwürfen und Experimenten Prinzipien für lebenswerte, urbane Quartiere von Morgen aufgezeigt werden. Anhand einer theoretischen Auseinandersetzung wissenschaftlicher Beiträge (Hintergrund, Theorie) und anhand gebauter Beispiele (Empirie) werden Handlungsfelder erschlossen, welche städtebauliche Bausteine zu einer erfolgreichen Entwicklung von ur3


Einführung

banen Quartieren ableiten. Hierdurch soll eruiert werden, welche Rolle Quartiersstrukturen gerade zu heutiger Zeit, vor dem Hintergrund aktueller Trends und Herausforderungen in der Stadtentwicklung spielen. Dabei werden zum einen Alleinstellungsmerkmale und die Diversität unterschiedlicher Quartiere herausgestellt und zum anderen städtebauliche Elemente ausgemacht, die alle Quartiere im Sinne von attraktiven und lebenswerten, sowie nachhaltigen Stadtstrukturen ausmachen sollten. Dazu bedarf es neben einer Beleuchtung von neuen Strategien der Innenentwicklung, welche schon heute (zumindest experimentell) ihre Anwendung finden, auch einer Auseinandersetzung mit Themen des Städtebaus und darüber wie das Leben in der Stadt nachhaltig und zukunftsfähig gestaltet werden kann (BSBK, 2018b). Außerdem müssen mit Blick auf das, was urbane Qualitäten ausmachen, auch monofunktionale Teile der Stadt

weiterentwickelt und mitunter neu erfunden werden (Kretz, 2016: 43). Dabei fällt schnell der Blick auf monofunktionale Einfamilienhausgebiete, aber auch das Gewerbe- und Industriegebiet. Hier geben neue städtebauliche Ansätze, Forschungsfelder und Leitbilder mögliche Antworten auf die Problemlagen unserer Städte. Der Fokus dieser Arbeit soll somit auf dem Quartier und der städtebaulichen Quartiersentwicklung liegen. Dabei fällt der Schwerpunkt nicht, wie in der Literatur oftmals üblich (Dieckbreder, 2015; Drilling, 2012; Fritsche, 2011), auf einer Auseinandersetzung mit Akteursstrukturen und sozialen Komponenten des Quartiers, oder dem Quartiersmanagement, sondern, ohne diese gänzlich auszuklammern, auf städtebaulichen Elementen, Strukturen oder Bausteinen, die lebenswerte Quartiere ausmachen und eine zukunftsorientierte, nachhaltige Stadtentwicklung ermöglichen.

1.3. FORSCHUNGSDESIGN Hierzu soll zunächst einmal der Hintergrund dieser Arbeit aus raumplanerischer Sicht näher beleuchtet und aktuelle Themenfelder, sowohl in der Forschung, als auch in der Praxis ergründet werden. Dazu werden im Hintergrund gesellschaftliche Trends und Herausforderungen erläutert, und im Hinblick auf aktuelle Problemstellungen in der Stadtplanung untersucht: Welche gesellschaftlichen Herausforderungen stellen sich der Stadt- und Raumplanung heute? Dieser Teil der Arbeit beschäftigt sich 4

mit den Themensträngen der nachhaltigen, lebenswerten und sozial gerechten Stadt und gibt den Rahmen der weiteren Ausführungen vor. Sie schließen an die folgende Theorie an, in der die Begriffe der Urbanität und des Quartiers beleuchtet und abschließend drei Dimensionen urbaner Quartiere abgeleitet werden. Was macht urbane Qualitäten heute aus und welche sozialräumlichen Dimensionen lassen sich für das Quartier vor dem Hintergrund aktueller stadtplanerischer Herausforderungen ableiten?


Forschungsdesign

FORSCHUNGSDESIGN HINTERGRUND Aktuelle Herausforderungen in der Stadtplanung !

?

?!

Welche gesellschaftlichen Herausforderungen und Trends stellen sich der Stadt- und Raumplanung heute?

Soziales Wohlbefinden

Soziale Gerechtigkeit

ökologische Nachhaltigkeit

THEORIE Neue Anforderungen an Stadtquartiere Die Urbanität

Das Quartier

3 Dimensionen I

II

III

Urbane Durchmischung und Urbane Dichte

Urbane Kontakte

Teilhabe und Empowerment

EMPIRIE UND SYNTHESE Bausteine urbaner Quartiere + I

Baustein 3: Urbane Leuchttürme

Baustein 1: Heterogene Bebaungsstruktren

II

Baustein 2: Urbane Achsen und Cluster

Blick zurück und nach Vorne

Baustein 4 Zwischenräume Baustein 4 Urbane Rückräume

Räumliche Dimensionierung von Quartieren

KONZEPTION Städtebauliche Quartiersentwicklung am Beispiel des Südviertels in Münster Abb. 4: Forschungsdesign (Eigene Darstellung)

5


Einführung

Warum stellen Quartiere vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen einen entscheidenden räumlichen Bezugsrahmen dieser Qualitäten dar? Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen werden in einer tiefergehenden theoretisch-empirischen Auseinandersetzung mit dem Quartier anschließend unterschiedliche sozialräumliche Themen* der Stadtplanung behandelt und in Einbeziehung von Fallbeispielen, Bausteine für die Entwicklung urbaner Quartiere abgeleitet. Was macht historisch qualitätvolle und heutzutage wertgeschätzte urbane Quartiere aus welche neuen Ideen und Konzepte werden in der Stadtplanung auf der Quartiersebene heute verfolgt? Welche konzeptionellen Bausteine können für das Quartier auf räumlicher Ebene in den Bereichen der Architektur und Stadtplanung mit sich? Diese Bausteine ergeben sich zum einem aus einer Analyse bestehender urbaner Strukturen in unterschiedlichen Städten. Die Auswahl dieser Städte stellt ein breites Spektrum aus unterschiedlichen zeitlich-kulturellen und räumlich-geografischen Entstehungsund Entwicklungshintergründen dar. In der Untersuchung dieser historischen Quartiersstrukturen werden städtebauliche Kriterien abgeleitet, die als Grundlage für die hieraus entwickel-

ten Quartiersbausteine dienen. Neben dieser Analyse bestehender Quartiere werden auch aktuelle städtebauliche Projekte untersucht und daraufhin überprüft, in welchem Zusammenhang sie mit den zuvor entwickelten Kriterien, bzw. Dimensionen urbaner Quartiere stehen.

DIE STÄDTEBAULICHE QUARTIERSENTWICKLUNG Diese aus der Theorie abgeleiteten Anforderungen geben zusammen mit den empirischen Untersuchungen der Arbeit Aufschlüsse darüber, was eine zukunftsorientierte Quartiersentwicklung aus städtebaulicher Sicht ausmacht. In dieser Synthese soll herausgestellt werden, was urbane Quartiere für die Stadtentwicklung heute bedeuten, welche urbanen Qualitäten eine städtebauliche Betrachtung auf der Maßstabsebene des Quartiers mit sich bringt und wie Quartiere sich bei gleichbleibenden Qualitätsstandards in ihrer Diversität im gesamtstädtischen Kontext ergänzen können. Die hierin entwickelten Quartiersbausteine dienen als Grundlage für die folgende Konzeption, welche in Form eines städtebaulichen Entwurf die Quartiere im Süden Münsters ergänzt: Wie lassen sich im Rahmen der erschlossenen theoretischen Erkenntnisse lebenswerte und nachhaltige Quartiere von Morgen entwickeln?

*Der auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu zurückgehende Begriff des sozialen Raums betrachtet nach einer Definition von Herbert Schubert die "Verteilung sozialer Strukturen und Lebenspraktiken (cultural area) in einem geographischen Raum (natural area) im Zusammenhang". (Schubert, 2018: 2225). Der Terminus "sozialräumlicher" Zusammenhänge betrifft dementsprechend, ähnlich wie dem Begriff der Urbanität zu Grunde liegend, sowohl die gesellschaftliche als auch die räumliche Lebensumwelt.

6


Forschungsdesign

KONZEPTIONELLER BETRACHTUNGSRAUM MÜNSTER SÜD Kuhviertel

Schlossgarten

Martiniviertel

Altstadt

Überwasser

Schlossbezirk

Schlachthof

Mauritzviertel

Domviertel

Erphoviertel

Sentruper Höhe Aegidii

Zentralfriedhof

Bahnhof

Ludgeri Kreisel

Herz-Jesu-Viertel

Bremer Platz

Hansaplatz

Hansaviertel Aasee

Sportpark Sentruper Höhe

Pluggendorf

Josefsviertel Stadth

hm

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Südpark

Park Sentmaring

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Südviertel Geistmarkt

Schützenhof

Aaseestadt Grüner Grund

Geistviertel h

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Bet Ronneberg

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Loddenheide

Südhöhe

Friedenspark

Düesberg Preußenstadion

Düesbergpark

Sternbusch

Berg Fidel Vennheide

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Am Lechtenberg

Abb. 5: Lage des Plangebiets im Süden Münsters (Eigene Darstellung)

7


Einführung

Am Beispiel des Südviertels in Münster sollen dazu bestehende Quartiersstrukturen weiterentwickelt und auf den zukünftig stillgelegten Bahnflächen, im Rahmen einer großflächen Konversion neue Teile der Stadt realisiert werden: Wie können bestehende urbane Strukturen zu funktionierenden, in sich geschlossenen und gleichzeitig zusammenhängenden urbanen Quartieren (weiter-)entwickelt werden? Das Plangebiet der Bahnstadt Süd in Münster stellt dazu durch seine Form und Lage ein gutes Beispiel zur Überprüfung dieser Fragestellungen und der zuvor entwickelten Quartiersbausteine

dar. Zum einen kann die städtebauliche Entwicklung dieser Flächen die bestehenden Quartiere des westlich gelegenen Südviertels sinnvoll ergänzen und städtebaulich abschließen. Zum anderen kann ein bewusstes Herantreten an die Bahnschienen das Südviertel mit den östlich gelegenen Stadtteilen um den Hafen qualitativ verbinden und so die Barriere der Bahn überwinden. Außerdem entfaltet eine solche großflächige Maßnahme der Innenentwicklung eine Impulswirkung auf die bestehenden Strukturen im Süden Münsters und kann in einem kooperativen, integrierten Prozess zu einer Aufwertung dieser Quartiere führen.

1.4. METHODISCHES VORGEHEN "Test ideas by experiment and observation. Build on those ideas that pass the test, reject the ones that fail, follow the evidence wherever it leads and question everything." (Neil deGrasse Tyson 2014) Räumliche Planung ist immer mit der Gestaltung von Zukunft verbunden. So lässt sich die sicherlich etwas zugespitzte These aufstellen, dass die Arbeit von Architekten und Stadtplanern häufig zwischen Kaffeesatzleserei und wirklicher, oftmals weitgehend impliziter, wissenschaftlich abgeleiteter Ergebnisüberprüfung schwingt. Sicher ist in jedem Fall, dass eine solche auf die Zukunft ausgerichtete Arbeit immer mit einem großen Anteil an Ungewissheit verbunden ist. Diese in einem Entwurf endende Thesis sieht somit folgerichtig den methodischen Ansatz des "Research by Design" vor, in dem sie die zuvor gewonnenen theoretisch-empirischen Erkenntnisse in einem Entwurfsprozess im Raumzusammenhang überprüft und weiterentwickelt (Hauberg, 2011: 54). Neben einer theoretisch-literarischen Auseinandersetzung 8

mit verschiedenen Themen der Stadtplanung, dienen vor allem Raumbeobachtungen während des Besuchs verschiedener Städte als Ausgangspunkt für Ideen, die es gilt stetig in Entwurfsprozessen und einem fachlichen Austausch zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Die Analyse des Plangebiets in Münster begleiteten dementsprechend zahlreiche Gespräche und Telefonate mit Akteuren vor Ort und Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Schon die Theorie muss hierbei in einer, auf die Zukunft ausgerichteten räumlichen Arbeit naturgemäß verschiedene Themenfelder umfassen, um ein möglichst breites Spektrum aus sozialnatur-, und raumwissenschaftlichen Betrachtungsweisen zusammenzubringen. Dieser integrierte, oder wie es


Methodisches Vorgehen

der dänische Architekturwissenschafler Jørgen Hauberg beschreibt, ganzheitliche Ansatz entspricht dem, was der Zukunftsforschung und in diesem Sinne auch der Planung in ihrem Kern zu Grunde liegt und verbindet (Popp, 2009: 4; Hauberg, 2011: 56). Der Physiker Armin Grundwald schreibt dazu in “Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung - Beiträge aus Wissenschaft und Praxis”: „Die Geltung von Zukunftsaussagen bemisst sich an ihrer „argumentativen Härte“ in der Immanenz des Gegenwartsdiskurses" (Popp, 2009: 32). Dies soll ein grundlegendes Qualitätsmerkmal der weiteren Auseinandersetzung darstellen und begründet die Gliederung dieser Arbeit in Hintergrund, Theorie und Synthese/ Empirie als Grundlage der anschließenden Konzeption. Der empirische Teil sieht folglich, wie im architektonischen und städtebaulichen Arbeitsprozess üblich, das Heranziehen von Referenzen, bzw. Fallbeispielen vor. Dieser analytische Ausgangspunkt des Designprozesses stellt gewissermaßen das Quellenverzeichnis der abschließenden räumlichen Planung dar, in der Beispiele und Referenzen aus anderen Raumzusammenhängen bei den Ortsbegehungen und Analysen des Plangebiets in Münster, als Inspiration dienen. Den ausgewählten Referenzen liegen dabei bestimmte implizite (Qualitäts-)Kriterien zugrunde. Diese Bausteine für zukunftsfähige Quartiere werden im theoretisch-empirischen Teil der Arbeit herausgestellt. Die Fallbeispiele sind dabei anhand von in der Theorie herausgestellten Kriterien und Leitzielen auszuwählen. Die hierin unternommenen Analysen unterschiedlicher Städte, ihrer Quartiere und Quartiersbausteine dienen anschließend zur Überprüfung

der aufgestellten Theorien und binden diese in einer abschließenden Synthese zusammen. Die so zuvor in den Kapiteln 2-4 gewonnenen und in der Synthese überprüften Erkenntnisse werden folglich im konzeptionellen Teil der Arbeit (Kap. 5) im konkreten räumlichen Zusammenhang in Form eines Entwurfs zusammengebunden und überprüft. Dabei kann nicht der Anspruch einer vollumfänglichen Betrachtung erhoben werden. Vielmehr sollen in einem explorativen Prozess die aus Theorie und Empirie gewonnenen allgemeinen Erkenntnisse argumentativ auf den speziellen Raumzusammenhang abgeleitet werden, oder wie es Markus Nollert zusammenfasst: "In diesem Sinne verstehe ich das Entwerfen (in der Raumplanung) als explorative Tätigkeit, welche durch das Hervorbringen, Auswählen und Formulieren von Gestalt und Beschaffenheit eines Elements versucht, für eine bestimmte Fragestellung eine zufriedenstellende Antwort zu liefern. Das Ergebnis dieser Tätigkeit ist als Diskussionsgrundlage und als Basis für das weitere Vorgehen zu verstehen." (Nollert, 2013: 19). Die Konzeption lässt sich also als eine Art Experiment sehen, wie es auch in den Naturwissenschaften alltägliche wissenschaftliche Praxis ist (Hauberg 2011: 47). Nollert unterstreicht hierbei in seiner Promotionsschrift "Raumplanerisches Entwerfen - Entwerfen als Schlüsselelement von Klärungsprozessen der aktionsorientierten Planung" den Forschergeist des Planers und schreibt folgerichtig "Forschen bedeutet, zu suchen, Fragen zu stellen und nach Erkenntnis zu streben" (Nollert, 2013: 20). 9


HINTERGRUND


2


Aktuelle Trends und Herausforderugen

2. AKTUELLE TRENDS UND HERAUSFORDERUGEN GESELLSCHAFT UND STADTPLANUNG im Rahmen des Ministertreffens zur Stadtentwicklung im Jahr 2007 EU-weit Ziele zur "nachhaltigen euSoziales Soziale ökologische ropäischen Stadt" festgeWohlbefinden Gerechtigkeit Nachhaltigkeit legt (BBSR, 2010: 315f.). Sie setzt den Fokus der StadAbb. 6: Herausforderungen der Stadtplanung (Eigene Darstellung) tentwicklungspolitik auf eine integrierte HerangeSchon der Club of Rome hat im Jahr hensweise und stellt Themen heraus, 1972 die Grenzen des Wachstums aufgezeigt. Eine der zentralen Schlussfol- die im Folgenden im Sinne der ersten gerungen war: „Wenn die gegenwär- Forschungsfrage erläutern werden soltige Zunahme der Weltbevölkerung, len. HERAUSFORDERUNGEN

der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ (Meadows, 1972: 17). Auf stadtplanerischer Ebene hat die Leipzig Charta

Welche gesellschaftlichen Herausforderungen stellen sich der Stadt- und Raumplanung heute? Mit einem Blick auf das Abschlussplädoyer, den Titel und eine wiederkehrende Kernaussage der Charta lassen sich die Kernthemen dieses Kapitels ableiten:

"Europa braucht starke und lebenswerte Städte und Regio­nen" (BBSR, 2010: 319) "(...) eine besondere Aufmerksamkeit (gebührt) den benachteiligten Stadtquartieren" (BBSR, 2010: 317) "Die Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt" (BBSR, 2010: 315) In drei Teilen soll also zunächst auf die Herausforderungen eines neuen Wohlstandsverständnisses, Überlegungen des subjektiven Wohlbefindens und damit verbunden auf Fragen sozialer Gerechtigkeit eingegangen werden, bevor abschließend im Bezug auf die Stadtplanung, Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit betrachtet werden. Insgesamt ist diese Arbeit im Rahmen der integrierten Stadtentwick12

lung zu verstehen, welche die Leipzig Charta als ein zentrales Instrument ausmacht. Außerdem ist das Forschungsfeld der Postwachstumsplanung herauszustellen, dessen Ansätze für diese Arbeit richtungsweisend waren und einen grundlegenden theoretischen Rahmen für alle folgenden Überlegungen darstellt (Lamker, 2019; Schlutz,


Vom BIP zur Lebensqualität

2017). In diesem Sinne soll in den anschließenden Kapiteln allgemein aufgezeigt werden, dass beispielsweise Einsparungen von Treibhausgasen nicht unbedingt mit Restriktionen und Einschränkungen in der Lebensweise

verbunden, oder als Kostenfaktor zu verstehen sind, sondern vielmehr mit einem Zugewinn an Lebensqualität und sozialer Gerechtigkeit einhergehen können.

2.1. VOM BIP ZUR LEBENSQUALITÄT

UND EINEM NEUEN WOHLSTANDSVERSTÄNDNIS

Lange wurde Wohlstand im Zeiten ka- chen des Klimawandels sind jedoch pitalistischer Gesellschaftsordnungen mittlerweile einige Wissenschaftler geausschließlich am Wirtschaftswachs- danklich schon über die Zeit des wirttum und an Indikatoren wie dem BIP schaftlichen Wachstums, verbunden (Bruttoinlandsprodukt) gemessen. etwa mit einer Vervierfachung der Wirtschaftliches Wachstum ist in den Lebensstandard innerhalb von zwei letzten Jahrhunderten aber keinesfalls Generationen, hinweg. Sie kritisieren eine Selbstverständlichkeit, sondern das Modell des qualitativen Wachswurde erst mit Beginn der Industriali- tums und forschen im Bereich des Postsierung zu dem zentralen Indikator für wachstums (Paech, 2009a: 84f.) Dabei Entwicklung, Wohlstand und steigende geht es vor allem um die Frage inwieLebensqualität (Plickert, o.J.). Vor diesen nie da UNGEBREMSTES WACHSTUM SEIT BEGINN DER INDUSTRIALISIERUNG Deutsches GDP pro Kopf von 1500 bis 2016 gewesenen Wachstums(Inflationsbereinigt und nach internationelen $-Preis in 2011) zahlen, begründet durch technologische Innova$40.000 tionen, neue Formen der Arbeitsteilung und sicher$30.000 lich auch durch schnell voranschreitende Ver$20.000 flechtungen internationaler Märkte, schwankte das $10.000 Wachstum der Volkswirtschaften auf einem ähn$0 lich niedrigen Niveau über 1500 1600 1700 1800 1900 2000 mehrere Jahrhunderte (s. Abb. 7: Wachstumsboom seit 1900 (Eigene Darstellung nach Roser 2020) Abb. 7). Mit dem "qualitativen Wachstum" wurden seit den 1970er-Jahren verschiedene Faktoren eingebracht, die versuchen neben Zuwächsen im materiellen Wohlstand, auch den Anstieg an Lebensqualität zu messen (Hinterberger, 2009: 64). Mit Blick auf die Grenzen des Wachstums und im Zei-

fern heute wirtschaftliches Wachstums überhaupt noch notwendig ist und welche anderen Indikatoren für den Zugewinn an Wohlstand Betrachtung finden können (Paech, 2009b). Im Sammelband "Nachhaltiges Wachstum?" fragen sich hierzu verschiedene Ökonomen welche Folgen eine “Wirt-

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Aktuelle Trends und Herausforderugen

schaft ohne Wachstum” hat, ob die “Gesellschaft auf Wachstum verzichten kann” und ob es “gangbare Wege zu einer nachhaltigen Wirtschaft gibt” (Tichy, 2009). Sie kommen dabei zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, auf die in dieser Arbeit nicht im Detail eingegangen werden kann, zeigen jedoch insgesamt die Brisanz dieser Themenstränge aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht. Im Sinne dieser Arbeit sei aus Perspektive der Stadtplanung jedoch auf folgendes Zitat verwiesen, welches den Zusammenhang zwischen Postwachstum und Raumplanung darstellt: "Postwachstumsplanung ist nicht ein Zustand, in dem es kein Wachstum nach bisherigen Kriterien geben darf. Vielmehr wird eine Perspektive in den Vordergrund gestellt, die sich an neuen Kriterien orientiert, neue Räume schafft und Mut - von Planerinnen und Planern, Politikerinnen und Politikern und allen Menschen - erfordert. Es geht um den fortwährenden Prozess, kritisch auf die Vergangenheit und Gegenwart zu schauen, um daraus gemeinsam und mit allen individuellen Handlungen eine positive Zukunft zu denken, zu inspirieren und, zu erschaffen." (Lamker, 2018: 4).

hy · gge [hue-gah] noun

A calm, comfortable time with people you love, A complete absence of frustrations, or anything emotionally overwhelming, often enjoyed with good food and drinks, warm blankets and candlelight Abb. 8: "Hyyge" (Eigene Darstellung, Weiking, 2016)

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Es kommt den Autoren also aus planerischer Sicht nicht darauf an, ob und wie viel Wachstum durch ökonomisches Handeln generiert wird, sondern vielmehr wie Räume so gestaltet werden können, dass bessere Grundlagen für eine nachhaltige Lebensweise geschaffen werden. Dies schließt sicherlich auch das wirtschaftliche Handeln einzelner Individuen und Unternehmen ein, welches neben den ökonomischen Ansprüchen gegenüber Entwicklung und Innovation weitere Wohlstandsindikatoren in den Mittelpunkt rückt.

THEMATISIERUNG DES SUBJEKTIVEN WOHLBEFINDEN Dieses wachsende Bewusstsein demonstrieren unter anderen die Regierungen aus Neuseeland, Island und Schottland, die im Zusammenhang der "Wellbeing Economy Governments" kollaborieren, oder die skandinavischen Staaten, in denen seit Jahren vermehrt andere Werte im Vordergrund stehen (Gov. Scot, 2017). Im Zentrum dieser Schwerpunktsetzungen in der Gesellschaft und Sozialpolitik steht hier allein schon der Begriff "Hygge", der sich momentan auch durch den gleichnamigen Bestseller global zu verbreiten scheint (Wiking, 2016) (s. Abb. 8). Dies führt zum eigentlichen Kern dieses Kapitels. Im Zeichen der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wurden zahlreiche neue Indizes entwickelt und es haben sich neue wissenschaftliche Disziplinen und Unterdisziplinen etabliert. Neben der Zukunftsforschung (Popp, 2009) untersucht etwa die "Science of Well Being" (John Helliwell, Robert Putnam) in Nordamerika, oder eben das Happiness Research Institut (HRI) in Kopenhagen (Meik Wiking) das mensch-


Vom BIP zur Lebensqualität

liche Wohlbefinden, Wohlstand und Gemeinwohl. In Folge dieser Arbeiten sind zahlreiche Veröffentlichungen, wie der "World Happiness Report", der "Job Satisfaction Index", oder der "Gallup World Poll" erschienen (Nørgaard, 2015) (Helliwell, 2019a) (Gallup, 2006). Im räumlichen Kontext wurden beispielsweise das "Global Liveability Ranking" (The Economist) und "Quality of Living Ranking "(Mercer) entwickelt, welche auf globaler Ebene anhand verschiedener Indikatoren die Lebensqualität von Großstädten analysieren (EIU, 2019) (Mercer, 2012). In diesem Zusammenhang soll zunächst einmal der Begriff "Well-Being" oder im deutschen das subjektive Wohlbefinden in Abgrenzung zu “Happiness” oder Glück definiert werden. Hierzu liefern Huppert, Baylis und Keverne, Wissenschaftler verschiedener Disziplinen an der Cambridge University, eine passende Definition, die in großen Teilen auch die Aussagen ihrer amerikanischen Kollegen widerspiegeln: "We defined well-being in broad terms as ‘a positive and sustainable state that allows individuals, groups or nations to thrive and flourish’. This means that at the level of an individual, well-

being refers to psychological, physical and social states that are distinctively positive. Positive psychological states are exemplified by emotions such as happiness and contentment, attitudes such as generosity and empathy, and mental processes such as cognitive capabilities, interest and motivation. Positive physical states are characterized by vitality and physical capabilities, while positive social states include satisfying social bonds and loving relationships. Our definition of well-being also encompasses human resilience— the ability to survive and thrive in the face of the setbacks inherent in the process of living." (Huppert, 2004: 1331) Der kanadische Ökonom John Helliwell verweist zur Herleitung des Begriffs auf die Schriften Aristoteles' und die Arbeit weiterer Philosophen (Helliwell, 2003: 332). Zur Definition des subjektiven Wohlbefinden stellt er die Balance positiver Emotionen heraus und unterscheidet zwischen Glück als temporäres Gefühl und Wohlbefinden, oder "subjective Well-Being" als langfristigen Geisteszustand. Die folgende Grafik stellt dabei die nach Helliwell zentralen Einflussfaktoren auf das menschliche Wohlbefinden aus individueller Sicht und im sozialen Zusammenhang auf (s. Abb. 9).

Indikatoren des Wohlbefindens nach Helliwell Einkommen

Gesundheit Individuelle Faktoren

Möglichkeiten

Vertrauen

Bestimmung

Geben

Soziale Faktoren

Abb. 9: "Faktoren Well Being (Eigene Darstellung, nach Helliwell, 2003)

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Aktuelle Trends und Herausforderugen

Der US-Amerikanische Sozialpsychologe Abraham Maslow stellt in seiner Publikation "A Theory of Human Motivation" eine Hierarchisierung der zentralen menschlichen Bedürfnisse auf. Diese gehen, wie Abbildung 10 zu entnehmen ist, in der Maslowschen Bedürfnishierarchie auf und spiegeln im Kern die von Helliwell genannten Faktoren wieder (Maslow, 2012: 66ff.) MASLOW‘SCHE BEDÜRFNISHIERACHIE

Selbstverwirklichung Individualbedürfnisse (Anerkennung, Status)

Partner, Freunde, Familie Wohnen, Arbeit, Einkommen

Soziale Bedürfnisse

(Kontakte, Zugehörigkeit, Liebe)

Sicherheitsbedürfnisse

(Schutz, Vorsorge, Angstfreiheit)

Grundbedürfnisse (Hunger, Durst, Schlaf)

Abb. 10: Bedürfnishierarchie (Eigene Darstellung nach Maslow, 2012)

Eng verbunden mit menschlichen Bedürfnissen und Wohlbefinden ist das Sozialkapital als Indikator gesellschaftlichen Wohlstands. Der US-Amerikanische Soziologe Robert Putnam, der den Begriff neben dem Franzosen Pierre Bourdieu prägte, stellte die These auf, dass Sozialkapital durch ein ausgeprägtes soziales Zusammenleben, eine Vielfalt sozialer Netzwerke, sowie ausgewogene gesellschaftliche Normen und Vertrauen entsteht (Putnam, 1995: 664 f.). Dabei gestand Putnam 1995 noch ein, dass es sich bei seinen Betrachtungen noch um reine Theorien handele, die er später unter anderem in Zusammenarbeit mit Hel-

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liwell versuchte quantitativ zu validieren (Putnam, 1995: 667). Helliwell stellt hierzu wohl rückblickend fest, dass die Untersuchung von Sozialkapital ein breiteres Verständnis des Wohlstandsbegriff brauche (Helliwell 2019b: 288) In ihrer Arbeit "The Social Context of Well-Being" untersuchten sie folglich die Korrelation zwischen subjektiven Wohlbefinden, Wohlstand und Sozialkapital. Sie schlussfolgern, dass die familiäre Situation, enger Kontakt mit Nachbarn, Freundschaften am Arbeitsplatz, aber auch soziales Engagement eng mit dem individuellen Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit und Gesundheit korrelieren (Helliwell, 2004: 1444). Außerdem sehen sie den weiterhin bestehenden Einfluss von Eigentum und Einkommen auf das Wohlbefinden, bestätigen jedoch auch, dass dieser materielle Wohlstand "Grenzerträge" aufweist, also ab einem bestimmten Level immer weniger zum subjektiven Wohlbefinden beiträgt (ebd.).

FESTSTELLUNG RÄUMLICHER FAKTOREN In einem weiteren Aufsatz stellt Helliwell heraus, dass in seinen Betrachtungen von subjektiven Wohlbefinden geografisch räumliche Faktoren gänzlich ausgeklammert und lediglich Ländergrenzen zur Differenzierung und Vergleichbarkeit der Daten herangezogen wurden (Helliwell, 2003: 357). Hier können die früheren Untersuchungen von Robert Putnam Hinweise zu einer


Vom BIP zur Lebensqualität

tiefergehenden Betrachtung liefern Putnams Ergebnisse bestätigen schon 1995 den Zerfall von Sozialkapital in Amerika seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für diese macht er an verschiedenen Stellen auch räumliche Aspekte fest. Hierbei untersucht er vor allem den Zusammenhang zwischen einem Verlust an Sozialkapital und durch das Auto bestimmte Mobilitäts- und Siedlungsformen, ohne dabei quantifizierbare Ergebnisse zu erlangen (Putnam, 1995: 669). Er argumentiert zwar, dass in suburbanen Räumen zusätzlich verbrachte Zeit im Auto, etwa auf dem Weg zur Arbeit, Zeit für soziale Aktivitäten in der Nachbarschaft und Familie nehme, kann diese These jedoch nicht empirisch validieren. Eine 2010 veröffentlichte Studie der University of New Hampshire, welche sich mir der "Walkability" von Quartieren in Manchester und Portsmouth, NH beschäftige, stellt jedoch genau diesen Zusammenhang her. In ihr schlussfolgern die Wissenschaftler, dass eine fußgängerfreundliche Stadtplanung positive Auswirkungen auf das Sozialkapital der Einwohner eines Stadtteils hat (Rogers, 2010: 212) (Speck, 2013: 49).

WOHLBEFINDEN UND DIE GEBAUTE UMWELT Diese Arbeit kann keine weiteren quantifizierbaren Daten zur Räumung noch bestehender Wissenslücken liefern, sondern wird vielmehr qualitativ räumliche Determinanten für das Wohlbefinden von Menschen in Städten diskutieren. Es muss dabei hinterfragt werden, wie die gebaute Umwelt, also die Gestaltung privater, gemeinschaftlicher und öffentlicher Räume, unterschiedliche (der Planung

nach positive) Einflüsse auf das Wohlbefinden der Stadtbewohner haben kann: Wie können durch gutes Design attraktive, erlaufbare, belebte und vor allem auch demokratische Räume des Zusammenkommens, Austausches und öffentlichen Lebens geschaffen werden? Ein zentraler Gedanke des dänischen Architekten Jan Gehl steht somit im Mittelpunkt: "Zuerst gestalten wir die Städte, dann prägen sie uns" (Gehl, Jan, 2015: 21). Gehl will damit das Zusammenspiel aus Stadtplanung und dem Sozialverhalten der Bewohner einer geplanten Stadt herausstellen und die zentrale Rolle der Stadtplanung betonen: Die Schaffung lebenswerter Stadträume mit Aufenthaltsräumen und Orten spontaner Begegnungen (s. Kap. 3.3.2). Anzeichen dafür, wo diese Städte möglicherweise zu finden sind, können einige der schon zu Beginn dieses Kapitels erwähnten Untersuchungen, bzw. Rankings liefern. Diese Studien unterschiedlicher global agierenden Unternehmen geben nach zuvor definierten und gewichteten Indikatoren aus Datensätzen und Umfragen Rückschlüsse über die Lebensqualität von Großstädten weltweit. Vier dieser "Liveability Rankings" sind: The Economists Global Liveability Ranking Mercer's Quality of Living Ranking Monocle's Quality of Life Survey Deutsche Bank Liveability Survey

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Aktuelle Trends und Herausforderugen

Dabei sind die beiden erstgenannten sicherlich die meist zitierten. Abbildung 11 ist zu entnehmen, welche Faktoren und Indikatoren diesen Rankings zu Grunde liegen. Da lediglich für das Rankings der britischen Zeitung "The Economist" und des US Amerikanischen Consulting Unternehmens Mercer öffentlich einsehbare Information der herangezogenen Daten und Methodik zur Verfügung stehen, soll diese näher betrachtet werden (EIU, 2019) (Mercer, Global Liveability Ranking 2012). Faktoren

Die in Abbildung 10 genannten Indikatoren spiegeln weitgehend die von Helliwell herausgestellten Faktoren für subjektives Wohlbefinden wider, was in Anbetracht der inhaltlichen Nähe der Themenfelder nicht weiter verwundert. Insbesondere das Ranking von Mercer weist dabei zusätzliche Kriterien aus, die nach Maslows Pyramide der Bedürfnishierarchie weiter oben einzuordnen sind (s. Abb. 10). Aus diesem Grund kann insbesondere ein Blick auf The Economist die, in diesem (Quelle: Ranking herausgestellThe Economist, 2019) Teilaspekte/ Daten

The Economist Global Liveability Kriminalitätsdaten, Ranking Stabilität Gefahr durch militärische (Quelle: TheKonflikte,… Economist, 2019) Faktoren Gesundheit

Teilaspekte/ Daten

Gesundheitssystem, Krankenkassen, Zugang, Kosten,…

Stabilität Kultur und Umwelt

Kulturelle Einrichtungen, Korruption, soziale Restriktionen, Zensur

Bildung Gesundheit Infrastruktur Kultur und Umwelt

Zugang, Qualität Gesundheitssystem, Krankenkassen, Zugang, Kosten,… Mobilität, Energie, Wasser, Telekommunikation Kulturelle Einrichtungen, Korruption, soziale Restriktionen, Zensur

Bildung

Zugang, Qualität

Infrastruktur

Mobilität, Energie, Wasser, Telekommunikation

Kriminalitätsdaten, Gefahr durch militärische Konflikte,…

Mercer

Quality of Living Ranking

(Quelle: Mercer, 2012)

Faktoren

Teilaspekte/ Daten

Politisches, soziales Umfeld

Politische Stabilität, Kriminalität, Rechtsdurchsetzung Mercer

Ökonomisches Umfeld Faktoren Soziokulturelles Umfeld Politisches, soziales Umfeld Medizinische, Gesundheitliche Erwägungen Ökonomisches Umfeld

Bankdienstleistungen, Wechselkursregulationen Teilaspekte/ Daten Zensur, Einschränkungen persönlicher Freiheiten Politische Stabilität, Kriminalität, Rechtsdurchsetzung Medizinische Versorgung und Leistungen, Ansteckende Krankheiten, Entsorgungssysteme (Wasser, Abfall), Luftreinheit Bankdienstleistungen, Wechselkursregulationen

Schule und Bildung Soziokulturelles Umfeld

Standards von Schulen, Internationale Schulen Zensur, Einschränkungen persönlicher Freiheiten

Ö entlicher Dienste und Medizinische, Ö entlicher Erwägungen Verkehr Gesundheitliche

Medizinische Versorgung und Leistungen, Ansteckende Krankheiten, Elektrizität, Wasserversorgung, ÖPNV, Verkehrsbelastung Entsorgungssysteme (Wasser, Abfall), Luftreinheit

Erholung Schule und Bildung

Restaurants, Theater, Kinos, Sport-, Freizeiteinrichtungen Standards von Schulen, Internationale Schulen

Ö entlicher Dienste und Konsumgüter Ö entlicher Verkehr Wohnen Erholung

Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs Elektrizität, Wasserversorgung, ÖPNV, Verkehrsbelastung Mietverhältnisse, Einrichtung des Haushalts, handwerkliches Restaurants, Theater, Kinos, Sport-, Freizeiteinrichtungen Dienstleistungsangebot

Natur Konsumgüter

Klima, Natürlicheund Katastrophen Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln Gütern des täglichen Bedarfs

Quality of Living Ranking

(Quelle: Mercer, 2012)

Mietverhältnisse, Einrichtung des Haushalts, handwerkliches Abb. 11: Faktoren Wohnender Liveability Ranking (Eigene Darstellung nach EIU, 2019; Mercer, 2012) Dienstleistungsangebot

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Natur

Klima, Natürliche Katastrophen


Soziale Gerechtigkeit

ten Städte, Aufschlüsse für die später abgeleiteten Erkenntnisse liefern. Insgesamt stellen die Rankings unter Berücksichtigung ihrer Methodik überzeugende quantitative Ansätze zur Bewertung der Lebensqualität von Großstädten dar. Sie sind dabei allein schon aus subjektiver Sicht sehr interessant, werden jedoch der weitaus komplexeren Natur von Städten mit ihrer Vielfalt

an sozialen Beziehungen, räumlich-gebauten Eigenschaften und Verflechtungen nur teilweise gerecht. Es fehlen weitere (qualitative, städtebauliche) Kriterien. Diese sollen in den folgenden Kapiteln auf Grundlage dieses Hintergrunds und in einer tiefergehenden Analyse von Stadtstrukturen ausgearbeitet werden (s. Kap. 3. & 4).

2.2. SOZIALE GERECHTIGKEIT Zuvor soll jedoch auf einen zweiten Faktor eingegangen werden, welcher mitunter auch in den vorherigen Überlegungen hätte aufgehen können. Denn eine lebenswerte Stadt sollte immer auch eine sozial gerechte und damit attraktive Stadt für alle Einkommensschichten, Qualifikationen und Talente darstellen. Nicht umsonst definiert Helliwell subjektives Wohlbefinden unter anderen mit dem Faktor der Möglichkeiten (“Capabilities”), welches im Sinne sozialer Gerechtigkeit in freier Selbstentfaltung und Chancengleichheit aufgehen (Helliwell, 2016). Etwa in den Diskussionen über "Pseudo-Public Spaces" in London, oder den "Poor Doors", einer Reaktion von Entwicklern auf die Vorschrift zur Schaffung sozialen Wohnraums, wird deutlich, welche Relevanz sozial gerechte Planung auch weiterhin haben muss (Michael, 2017) (Osborne, 2014). Dies erstreckt sich über eine Vielzahl von Teilbereichen und verlangt einen tiefergehenden Blick in die aktuelle planerische Praxis, welche über die üblichen Themen von erschwinglichen Mieten im Wohnsegment, oder die barrierefreie Erschließung von privaten und öffentlichen Räumen für Menschen mit Behinderung hinausgehen muss.

Viele dieser Themen stellen schon den Schnittpunkt zu planerisch-räumlichen Themen dar, auf die in den folgenden Kapiteln näher eingegangen werden soll und bleiben hier ausgeklammert. Dieses Kapitel soll jedoch aufzeigen, dass es neben den zwei Hauptfeldern der Betrachtung, der lebenswerten und nachhaltigen Stadt, auch wichtig ist, Planung im Sinne einer sozial gerechten und inklusiven Stadt auszurichten. Es geht darum, dass möglichst alle Teile der Bevölkerung von diesem Ansatz profitieren, Verdrängungsprozesse in Folge einer Gentrifizierung ausbleiben und somit gesellschaftlich und kulturell schwer verträgliche Segregationsprozesse vermieden werden (Häußermann, 2004: 139f.). Dies wurde schon in der Leipzig Charta festgeschrieben. Sie sieht den sozialen Ausgleich als eine zentrale Dimension nachhaltiger Entwicklung und setzt vor dem Hintergrund sozialer Ausgrenzung einen besonderen Fokus auf benachteiligte Quartieren. Dabei geht es etwa mit Instrumenten des sozialen Wohnungsbau und anderen Programmen der sozialen Stadt vor allem um die sozialräumliche Integration dieser Stadtteile (BBSR, 2007: 317). 19


Aktuelle Trends und Herausforderugen

Zentraler Aspekt einer sozial gerechten Stadt ist auch das Thema der Barrierefreiheit. Oftmals wird diese reduziert auf den barrierefreien Zugang für Menschen mit Behinderung und geht in Maßnahmen wie Rampen, Aufzügen und einer besonderer Pflasterung für Sehbehinderte auf. Diese stellen sicherlich einen zentralen Bestandteil in der Herstellung von Barrierefreiheit dar, jedoch muss das Thema weiter und in einer Abwägung der Interessen unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer im Raumzusammenhang gefasst werden. So meint Barrierefreiheit auch den fußläufige Erreichbarkeit - und damit oft verbundene Eigenständigkeit - von Versorgungseinrichtungen des täglichen Bedarfs für Senioren, oder die gefahrlose Mobilität mit dem Fahrrad in der Stadt für Kinder und Jugendliche etwa auf dem Weg zu Schule. Allgemein scheint eine autogerechte Planung mit weiten Distanzen und Abhängigkeiten in der Mobilität einen Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von Teilen des öffentlichen Lebens mit sich zu bringen* (Holzapfel, 2012: 63f.). Weitere Aspekte einer sozialen Stadt und einer sozialen Gesellschaft sind ein freier und gleicher Zugang zur Bildung für alle Bevölkerungsschichten, das Thema der sozialen, wie auch räumlichen Inklusion, der gesellschaftlichen Teilhabe und die damit verbundenen Probleme von räumlicher Segregation,

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sowie Singularisierungs- und Gentrifizierungsprozessen (Häußermann, 2004: 139 ff.) (Frank, 2018) (Eckhardt, 2018) (Schnurr, 2010: 77ff.). Diese können in diesem Rahmen nicht näher erläutert werden, sollen aber in den nachfolgenden Betrachtungen stets eine zentrale Rolle spielen. Dies bezieht sich speziell auf die Rolle von Kindern und Senioren in der Stadt, aber auch die Integration ethnischer Minderheiten und Zuwanderer in einer sozial integrativen Gesellschaft. Diese teilweise auch positiven Prozesse einer Flexibilisierung der Gesellschaft, weg von starren Lebensmodellen früherer Generationen, werden beispielsweise in neuen Wohnformen und Modellen wie dem generationsübergreifenden Wohnen und Co-Housing Projekten deutlich. Sie bringen jedoch auch neue Herausforderungen für die Stadt mit sich, welche es zu adressieren gilt. So müsste bei steigenden Zahlen von Singlehaushalten und mehr Senioren, die weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen, ein größerer Wert auf diese neuen Wohnformen gelegt werden, die neben der privaten Wohnung gemeinschaftliche Bereiche des Zusammenkommens bieten. Daneben muss auch die Attraktivierung des öffentlichen Raums und seine Aufenthaltsqualitäten vermehrt in den Fokus eine sozial integrierten Stadt rücken.


Ökologische Nachhaltigkeit und Klimawandel

2.3. ÖKOLOGISCHE NACHHALTIGKEIT UND KLIMAWANDEL NOTWENDIGKEIT ZUM UMDENKEN IN DER STADTENTWCKLUNG Der Nachhaltigkeitsbegriff, hat spätestens im Jahr 1992, nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio NO HEALTH ZERO POVERTY AND WELL BEING De 1Janeiro, eine2 HUNGER Hochkonjunktur er3 GOOD fahren (BPB, 2008)*. Seither setzten sich Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen mit dem Thema auseinander. Auf Grundlage dessen wurde Anfang der AFFORDABLE DECENT WORK INDUSTRY, 1990er Jahre das Drei Säulen Modell CLEAN ECONOMIC AND 7 AND 8 AND 9 INNOVATION ENERGY GROWTH der Nachhaltigkeit entwickelt,INFRASTRUCTURE welches neben ökologischen auch soziale und ökonomische Aspekte mit einschließt (BT, 1998: 18f.). Diese Aspekte wurden auf Bundesebene Ziele der EnqueLIFE BELOW WATER ON LAND ACTION 9 CLIMATE 10 als 11 LIFE te-Kommission des Deutschen Bundestages unter dem Titel „Schutz des Menschen und der Umwelt - Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung" festgeschrieben (BT, 1998: 105ff.). Viele

UN SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS

1 NO POVERTY

WATER CLEAN AND SANITATION 6 CLEAN 7 AND ENERGY

AFFORDABLE

12 CONSUMPTION, PRODUCATION RESPONSIBLE

9 CLIMATE ACTION

2 ZERO HUNGER

dieser Themen schlagen sich auch in den Sustainable Development Goals der United Nations nieder (s. Abb. 12) WATER EDUCATION 4 QUALITY 5 GENDER EQUALITY AND SANITATION (UN, 2015). 6 CLEAN Aus Abbildung 12 wird deutlich, dass implizit schon im letzten Kapitel zu Themen der sozialen Nachhaltigkeit geRESPONSIBLE SUSTAINABLE REDUCED schrieben wurde (v.a. Ziele 3, 4 und AND INEQUALITIES 10 11 CITIES 12 CONSUMPTION, COMMUNITIES 10). In diesem Kapitel soll esPRODUCATION deshalb in erster Linien um das Thema der ökologischen Nachhaltigkeit und Einflussfaktoren durch die Stadtentwicklung UN SUSTAINABLE PEACE, JUSTICE gehen. Im Mittelpunkt PARTNERSHIPsteht dabei unAND STRONG DEVELOPMENT FOR GOALS 12 13 INSITUTIONS GOALS von eisere Lebensweise, getrieben ner Vielzahl von externen Effekten, die mit einem enormen Wohlstandsgewinn, aber auch einer Zerstörung natürlicher Habitate und für das globale Ökosystem lebenswichtiger Naturräu-

HEALTH 3 GOOD AND WELL BEING

4 QUALITY EDUCATION

EQUALITY 5 GENDER

REDUCED AND ECONOMIC AND 10 INEQUALITIES 8 AND 9 INNOVATION 11 CITIES COMMUNITIES GROWTH INFRASTRUCTURE DECENT WORK

BELOW WATER 10 LIFE

SUSTAINABLE

INDUSTRY,

ON LAND 11 LIFE

STRONG 12 AND INSITUTIONS

PEACE, JUSTICE

FOR GOALS 13 PARTNERSHIP

Abb. 12: UN Sustainability Goals (Eigene Darstellung nach UN, 2015) *Zuvor sicherlich auch schon seit den 1970er Jahren mit den ersten (Studenten-) Protestbewegungen gegen einen uneingeschränkten Kapitalismus, dessen negativen ökologischen Auswirkungen und den Studien des MIT (Massachusetts Institute for Technology) im Auftrag des Club of Rome (Meadows, 1972)

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Aktuelle Trends und Herausforderugen

Ökologie Soziales Ökonomie

Abb. 13: Vorrangmodell der Nachhaltigkeit (Eigene Darstellung nach Vorage, 2018)

me einhergeht. Die ökologische Nachhaltigkeit beschreibt hierbei "den weitsichtigen und rücksichtsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen" (Gabler Wirtschaftslexikon, o.J.). In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff der starken Nachhaltigkeit, bestehend aus dem globalen Naturkapital, und das Vorrangmodell der Nachhaltigkeit zu nennen, welches ökologischen Aspekten einen Vorrang eingesteht und als grundlegend annimmt (s. Abb. 13) (Döring, 2004: 4f.) (Vorage, 2018). Hiermit eng verbunden ist die Planung unserer Städte. Unsere gebaute Um-

welt bestimmt wie wir wohnen, arbeiten, konsumieren und vor allem auch wie wir uns bewegen. Die dabei verursachten Emissionen und verbrauchten Ressourcen bilden einen zentralen Anteil zu unserem ökologischen Fußabdruck (BMU, 2018: 60). Sicherlich bestimmt auch das eigene Verhalten, etwa in Form des persönlichen Mobilitäts- und Konsumverhaltens, die externen ökologischen Effekte. Dennoch werden diese individuellen Entscheidungen vor allem auch durch eine Vielzahl von räumlichen und damit geplanten Faktoren mit beeinflusst. So spielen bei Konsumentscheidungen häufig Kosten, aber auch die Lage und Erreichbarkeit des Geschäfts eine entscheidende Rolle. Im Verkehrsverhalten fließen zudem die Faktoren Zeit und Komfort mit in die Entscheidung für einen Verkehrsmodi ein (Holzapfel, 2012: 5). Hier gilt es gesellschaftlich und damit auch in der Planung unserer Städte anzusetzen. Ein Blick auf die Zahlen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) zeigt den Verlauf von Treibhausgasemissionen in Deutschland über die letzten 30 Jahre für die Sektoren Landwirtschaft, Gebäude, Verkehr, Industrie und Energiewirtschaft (BMU, 2018: 13.) (s. Abb.

NACHHOLBEDARF IM VERKEHRSBEREICH: CO2 EINSPARUNGEN NACH SEKTOREN (in Millionen Tonnen CO2 Äquivalenten)

Verkehr

Proportionale Verteilung

1990: 163 2016: 166 2030: <98

Landwirtschaft

1990: 90 2016: 72 2030: <61

Energie

Industrie

Gebäude

1990: 466 2016: 343 2030: <183

1990: 283 2016: 188 2030: <143

1990: 209 2016: 130 2030: <72

Abb. 14: Verlauf der Treibhausgasemissionen in Deutschland (Eigene Darstellung nach BMU, 2018: 13)

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Ökologische Nachhaltigkeit und Klimawandel

14). Hierbei wird deutlich, dass im Gegensatz zu den anderen Sektoren* vor allem im Verkehrssektor die Einsparungen über diesen Zeitraum gering, beziehungsweise sogar rückläufig sind. So stiegen die Treibhausgasemissionen hier von 1990 bis 2016 von 163 auf 166Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten (Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung unterschiedlicher Treibhausgase). Dies kann man sicherlich auf die wichtige Rolle der Automobilindustrie für die deutsche Wirtschaft und Arbeitsmarkt und die daraus resultierenden zögerlichen, bis fehlenden politischen Maßnahmen zum Klimaschutz in der Mobilität zurückführen (BPB, 2007). Aktuelle Zahlen des Global Carbon Projects,

welche CO2-Emissionen zur Zeiten der Beschränkungen in Folge der Corona Pandemie im März 2020 gemessen haben, scheinen die Einsparungspotentiale dieses Sektors zu bestätigen (s. Abb. 15). Es stellt sich also heraus, dass die Antwort auf die Frage nach einer nachhaltigeren Lebensweise in einer Verbindung aus privat-individuellen Entscheidungen, aber vor allem auch gesellschaftlich-rechtlichen Leitplanken liegt. Die gebaute Umwelt kann dazu die räumlichen Rahmenbedingungen für (ökologisch) "richtige" Verhaltensweisen, vor allem im Mobilitätsverhalten, aber auch indirekt dafür setzen, wie wir wohnen, arbeiten und konsumieren. Die Gestaltungsaufga-

VERÄNDERUNG TÄGLICHER CO2-EMISSIONEN IN % Deutschland 2020 | In Folge der Covid19 Beschränkungen

0%

Wohnen

Fluverkehr Industrie

-10% Energie

-20%

Landverkehr

$0

Jan.

Feb.

Mär.

Apr.

Mai

Abb. 15: Temporäre Einsparung an CO2 Emissionen verschiedener Sektoren (Corinne, 2020) *Vor allem im Gebäudesektor, sowie in der Industrie und Energiewirtschaft sind von 1990 bis 2016 starke Einsparungen von bis zu 50% zu verzeichnen. Diese Einsparungen sind sicherlich auf Rechtsnormen wie der Energieeinsparverordnung von 2001 (ENEV, 2007), den immer stärken werdenden emissionsrechtlichen Regulierungen für Unternehmen (UBA, 2019) und den Bemühungen der Energiewende zurückzuführen. Dabei wird vor allem die ENEV auf Grund ihres singulären, auf gebäudetechnische Einsparungen fokussierten Ansatzes von vielen Architekten hinterfragt(BSBK, 2018a: 101)dem Begriff der Urbanität zu Grunde liegend, sowohl die gesellschaftliche als auch die räumliche Lebensumwelt.

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Aktuelle Trends und Herausforderugen

be unterliegt der Stadtplanung, dem Städtebau und der Architektur, sowie übergeordnet dem Gesetzgeber. In der Raumplanung heißt dies zum einen, dass es auf individueller Ebene für Planer und Architekten das Ziel sein muss, in einer integrierten Herangehensweise, ohne Trugschlüssen und nicht zu Ende gedachten Leitbildern zum Opfer zu fallen, Räume so zu entwerfen, dass sie den Klimazielen gerecht werden, ohne dabei soziale Belange außen vor zu lassen. Auf administrativer Ebene ist es notwendig, dass Rechtsnormen und Instrumente unter eben diesen Gesichtspunkten weiter angepasst werden. Nur in einem Zusammenspiel von Nachhaltigkeitsüberlegungen, welche sich unter der Berücksichtigung von Reboundund Spillover-Effekten als wirklich nachhaltig herausstellen und Überlegungen zur Lebensqualität können Städte zukunftsgerecht aufgestellt und weitergebaut werden. Dabei steht die Stadtplanung scheinbar an einem Scheideweg zwischen von ökonomischen und individueller

Nachfrage getriebenen intrinsischen Entwicklungen und wohl überdachter räumlicher Planung mit integrierten Ansätzen. In sich zeitlich überschneidenden und räumlich divergierenden Wanderungsbewegungen zieht es Menschen in Deutschland dabei seit langen vom Land in die Stadt und umgekehrt, obgleich der Zuzug in die Städte lange überwiegte (Henger, 2019a: 2) (s. Abb. 16). In seinem Artikel "Ist die Renaissance der Stadt am Ende?" überlegt Uli Hellweg dazu, inwieweit es in Zukunft Menschen weiter vermehrt in die deutschen Städte ziehen wird, und fragt unter anderem "wie lebenswert (…) die Großstädte auf Dauer angesichts des täglichen Verkehrskollapses, wachsender sommerlicher Überhitzung, hoher Stickstoffoxyd- und Feinstaubbelastungen” sind (Hellweg, 2019). Diese sicherlich etwas zugespitzte Frage und Zahlen zu Binnenwanderungssaldi in Deutschland in den letzten Jahren zeigen eine mögliche Rückkehr zu Suburbanisierungstendenzen in deutschen Großstädten, wie man sie letztmals aus den 1990er Jahren kannte (Henger, 2019a: 2).

TRENDWENDE BEIM BINNENWANDERUNGSSALDO 100.000 50.000 0 -50.000 -100.000

1995

1997

1999

2001

2003

2005

2007

2009

2011

2013

Binnenwanderungssaldo, deutsche Staatsbürger, kreisfreie Großstädte (n=71)

Abb. 16: Binnenwanderungssali seit 1995 (Eigene Darstellung nach Henger, 2019a: 2)

24

2015

2017


Abschlussbetrachtungen aktuelle

2.4. ABSCHLUSSBETRACHTUNGEN AKTUELLE

HERAUSFORDERUNGEN IN DER STADTPLANUNG

Wie aber können bei solchen vermeintlichen aktuellen Tendenzen, die eine Fortsetzung von Entwicklungen aus dem 20. Jahrhundert zu sein scheinen, politische Ziele im Bereich der Stadtentwicklung, welche schon in der Leipzig Charta aus dem Jahr 2007, im 30 Hektar Ziel der 1990er aber auch heute im neuen Klimaschutzgesetz seine Niederschrift finden, eingehalten werden? (BBSR, 2007: 315ff.) (BBSR, 2015) (BMU, 2019) (BT, 1998: 4).

Segmentierung getriebene gesellschaftliche Exklusionsmentalität, die wohl am besten mit dem Slogan des Planerjargon “NIMBY” (Not-In-My-Backyard) zum Ausdruck kommt (ebd.). Zu diesen Themen und im Zusammenhang der immer weiter voranschreitenden Entdichtung unserer Städte zieht Feldtkeller auch empirische Daten heran, in denen er den Verlust verdichteter, kleinteilig durchmischter Stadtquartiere beschreibt (s. Abb. 17).

Andreas Feldtkeller kommt zu dem Schluss, dass alte Leitbilder ausgedient haben und fragt mit Bezug auf die Soziologen Wirth und Häußermann nach den eigentlichen Zweck der gebauten Stadt “als Integrationsmaschine” und Ort der Toleranz, Offenheit, Heterogenität und Demokratie (Feldtkeller 2001: 11). Im Zeichen der Rationalisierung und Optimierung von Wirtschaftsprozessen sieht er diese Bindungen und das Wesen von Stadtquartieren verloren zu gehen. Feldtkeller beobachtet eine, unter anderen durch planerische

Diesen Fragen und Problemlagen wird - bisher mitunter etwas zögerlich - versucht mit neuen Instrumenten in der Stadtplanung, etwa im Bezug auf die Innenentwicklung zu begegnen (BBSK 2018a, b). Aber reichen solche Instrumente aus, oder bedarf es vielmehr weiteren Überlegungen zu neuen Leitbildern in Stadtplanung und einer tiefergreifenden Umgestaltung des Baurechts, welche etwa über die Einführung des "urbanen Gebiets" in der Baunutzungsverordnung hinausgehen?

Modell - Wandel einer Stadtregion 1850-2010

ANTEILE UNTERSCHEIDLICHER QUARTIERSSTRUKTUREN Prognose

90

Wachstum Stadtregion Wachstum Kernstadt

80 70 60 Sz.1, Sz.2

50

A=

Quartier mit kleinteiliger Nutzungsmischung

B=

Quartiere mit Nutzungstrennung

Mögliche Zukunftsszenarien

Bevölkerung in Mio

40 30 20

Sz. 2

10

Sz. 1

1850 Verhältnis A:B

1900 9:1

1950

1970

1990 1:5

2010 1:9

1:4 1:20

2040

Abb. 17: Abnahme kleinteiliger funktionsgemischter Quartiere (Eigene Darstellung nach Feldtkeller 2015)

25


THEORIE


3


Quartiere und Urbanitäten

3. QUARTIERE UND URBANITÄTEN Um diese Frage zu beantworten bedarf einer gewissenhaften Untersuchung der Stadtplanung, ihrer aktuellen Themen und Trends, wissenschaftlicher Auseinandersetzungen und Debatten. Hierbei soll es auch um die Beantwortung der zuvor gestellten Frage nach attraktiven und belebten Räumen des öffentlichen, aber auch privaten Zusammenlebens gehen (s. Kap. 2.1). Diese Herausforderungen können stadtplanerisch auf die Rolle urbaner Quartiere zugespitzt werden. Funktionierende kleinteilige, durchmischte und urbane Quartiere stellen unter anderem auf Grund verkürzter Wege und geringerer Ressourcenverbräuche einen integralen Bestandteil zu einer nachhaltigeren Stadt bei.

Zugleich bieten sie einen Lebensraum für unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen. Schlussendlich stellen sie einen entscheidenden Baustein für soziale Kontakte unterschiedlicher Intensität und durch eine Vielzahl hochwertiger öffentlicher Räume den Nährboden des urbanen Zusammenkommens dar. Zur Überprüfung dieser Thesen bedarf es einer tiefergehenden theoretischen Betrachtung wissenschaftlicher Arbeiten zu den Begriffen der Urbanität und des Quartiers, auf dessen Grundlage im weiteren Verlauf der Arbeit in einer Synthese theoretischer und empirischer Betrachtungen ein erweitertes Quartiersverständnis entwickelt werden kann.

3.1. URBANTITÄT (MEHR ALS) EIN LEITBILD UNTER DEM VORZEICHEN VON LEBENSWERTEN UND NACHHALTIGEN STADTSTRUKTUREN? vielseitig verwendeter und zumindest gegenwärtig vorwiegend sehr positiv belegter Begriff. Urbanität, oder auch das Adjektiv "urban" wird oftmals in Markennamen genutzt (s. Abb. 18), zu ihm gibt es ein "Urban Dictionary" und er dient unter anderem Architekten und Stadtplanern als universelles Branding ihrer Planung.

Abb. 18: Urban Branding (Eigene Darstellung)

Das Wort Urbanität ist sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch, als auch in der planerisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Stadt ein 28

Zunächst einmal beschreibt das Urbane aber, aus dem lateinischen kommend, lediglich das "Städtische" bzw. das "zur Stadt gehörende" (Siebel, 2018: 2775). Es wird bei Betrachtung des Begriffs aber schnell deutlich, dass seine Bedeutung über diese wertfreie Definition weit hinausgeht. Wolfgang Sonne schreibt hierzu beispielsweise,


Urbantität

dass "wenn von Urbanität gehandelt wird (…) dem Städtischen ein spezifischer Wert beigemessen (wird), der eben dieses Städtische nicht nur von anderen Sphären unterscheidet, sondern es auch über jene hinaushebt" (Sonne, 2016: 1). Es stellt sich also die Frage, was Urbanität ausmacht und wie sich das Städtische vom nicht Städtischen, bzw. nicht urbanen differenziert. In der Stadtplanung wurde der Begriff Urbanität in der Vergangenheit in verschiedenster Weise interpretiert und weiterentwickelt. Er beschreibt etwa in Abgrenzung zur Urbanisierung, welche den Prozess des Stadtwerdens und der Stadtentwicklung meint, oder dem Urbanismus, mit dem jedes

planerisch-gestaltende Handeln der Stadtplanung und Architektur gemeint ist, einen Zustand, ein Charakteristikum, oder vertritt sogar einen Zeitgeist (Kretz, 2016: 16). Sonne führt zu seiner Definition des Begriffs schon zu Beginn ein, dass Urbanität "keine überzeitlich fixierbare Bedeutung" habe, sondern stets "in der Geschichte tradiert und weiterentwickelt" wurde und dass er sich auf ein "kulturelles Phänomen bezieht" (Sonne, 2016: 1). Im Folgenden soll im Rahmen einer kurzen Einordnung, der Versuch angestellt werden, den Begriff zunächst historisch einzuordnen und darauf hin festzustellen, was Urbanität zur heutigen Zeit sowie zukünftig ausmacht.

3.1.1. BEGRIFFSBESTIMMUNG IM HISTORISCHEN KONTEXT Der Begriff der Urbanität ist seit jeher eng verbunden mit der Diskussion um Stadt und ihren Vor- und Nachzügen in unterschiedlichsten Epochen. In der Literatur vielfach beschrieben sind die Vorzüge des kultivierten Habitus, der Bildung, Lehre und Wissenschaft und des bürgerlichen Rechts. Später wird die Stadt auch als Wiege der Demokratie und seit jeher als Ort des (politischen) Austauschs beschrieben (Sonne 2016: 15 f.). Auf der anderen Seite war die Stadt aber auch oftmals Ort der Verarmung, Unterdrückung, der humanitären und gesundheitlichen Missstände, was in der jüngeren Geschichte vor allem zu Beginn des 20. Jahrhundert deutlich wurde (Benevolo, 2007: 781). Die damit einhergehende Großstadtkritik im Zeichen der Industrialisierung geht unter anderen

Abb. 19: Film Cover Metropolis, 1927 (NZ Archives)

in der Gartenstadtbewegung, auf Grundlage der Arbeiten von Ebenezer Howard auf, wurde aber auch im Filmklassiker "Metropolis" von 1926 deutlich (Howard, 2001) (s. Abb. 19). 29


Quartiere und Urbanitäten

Abb. 20: Das Antike Rom: Theater, Bädern, Thermen, Tempel, Markthallen, Bibliotheken (Woetermann, 2012)

Die Herkunft der "urbanitas" lag jedoch im alten Rom der Antike und war ohne eine großartige (wissenschaftliche) Auseinandersetzung mit der Stadt noch viel einfacher gestrickt. Seine ursprünglicher Wortsinn wurde schon von den alten Griechen geprägt, die die Stadt (asty) im Gegensatz zum Land (chora) als Ort der besseren Lebensmöglichkeiten und Kultiviertheit charakterisierten (Busch, 2017: 3). Hier wird in den ersten Großkulturen Europas deutlich, was Städte im Kontrast zum Land ausmachte. Bei den Römern tauchte der Begriff der "urbanitas" ab dem 3. Jahrhundert vor Christus auf und wurde vor allem von Cicero und später Quintilian geprägt, wobei Cicero in seinen Briefen "die herausstechende kulturelle des römischen Stadtbürgers" schildert (Sonne, 2016: 15). Es ist also zunächst die kulturelle Bedeutung des Urbanen und der Stadt an sich, die deren Urbanität ausmacht. Mit einem Blick auf die römische, aber auch griechische Ge30

sellschaft der Antike, sind es die Städte, welche mit ihren Theatern, Bädern, Foren und nicht zuletzt der Agora, die bauliche Ausprägung einer kultivierten Stadtgesellschaft prägten (s. Abb. 20). Nachdem zur Zeit der römischen Republik und auch im alten Griechenland sicherlich auch in Teilen erste politisch-demokratische und soziale Gesichtspunkte mitspielten, waren es im Mittelalter neben religiösen Zentren und Zentren des Handels, die (Adels-) Höfe, die das städtische Leben und damit ihre Urbanität ausmachten. Hieraus entwickelte sich auch das Bürgertum und die rechtliche Emanzipation des Stadtbürgers im Zeichen des durch die Grundherrschaft, des Lehnswesen und der Leibeigenschaft geprägten Landes (Benevolo, 2007: 327). Ab Beginn der Neuzeit erwähnt Sonne in seiner historischen Einordnung der Urbanität, mit Verweis auf mehrere Au-


Urbantität

Abb. 21: Rue de Paris, temps de pluie; Place de Dublin 1877 (Gustave Caillebotte, 1877)

Unter stadtplanerischen Gesichtspunkten stand der Flaneur außerdem mit Einleuchten der Moderne und Industrialisierung und im Zusammenhang einer ausgiebigen Kritik der Stadt und ihrer Gestalt an einem Wendepunkt (Le Corbusier, E. Howard). Dies spiegeln in, aus heutiger Sicht vorgreifender Weise, die Filme “Natürlich die Autofahrer” (1959) und "Der letzte Fußgänger" (1960) mit Heinz Erhardt in der Hauptrolle treffend wieder (s. Abb. 23). Er erzählt implizit gesellschaftskritisch die Geschichte, wie der Fußgänger in einer immer weiter auf den motorisierten Individualverkehr zentrierten Gesellschaft immer weiter an den Rande der Gesellschaft gerückt wird. Gleichzeitig wird es, wie etwa in den deutschen Innenstädten, in ihrem alltäglichen Treiben zu sehen ist deutlich, dass sich mittlerweile wohl jeder das Flanieren leisten kann.

Abb. 22: Place de Dublin heute (Tangopaso, 2011)

toren den Begriff des Flaneurs, ohne diesen umfangreich zu erläutern (Sonne, 2016: 16, 18) (s. Abb. 21). Sicherlich braucht der Begriff keiner tiefergehenden Definition. Der aus dem französisch kommende Begriff des "Flâneurs" ist im deutschen wortwörtlich einfach der Bummler, oder Spaziergänger. Doch er zeigt seinem Zeitgeist entsprechend zweierlei. Zum einen waren Städte zu dieser Zeit vom Fußgänger dominiert. Zum anderen zeigt es den kulturellen Wert des Urbanen, welcher sicherlich auch aus der höfisch, vornehmen und adeligen Kulturkreisen des Mittelalters hervorging. Das Flanieren nämlich war in erster Linie denen zugestanden, die es sich leisten konnten.

Abb. 23: Deutsche Filme aus den 1960ern (Wikimedia)

31


Quartiere und Urbanitäten

3.1.2. URBANITÄT ALS SOZIALES KONSTRUKT ASPEKTE DER URBANITÄT HEUTE KULTURELL

SOZIAL

POLITISCH

ÖKONOMISCH

Hartmut Häußermann und Walter Siebel unter anderem mit ihrem Buch "Neue Urba- Nachhaltigkeit - Gemeinwesen - Demokratie - Chancengleichheit nität" aus dem Jahr 1987 ge- Coolness - Freie Bildung - Partizipation - Möglichkeiten legt, in der sie Urbanität neu - Integration - Bottom-Up - Diverstität - Witz und dem Zeitgeist entspreZEITLICH RÄUMLICH FUNKTIONAL GESTALTERISCH chend definieren (Häußermann, 1987). In ihr sehen sie eine Überwindung der alten Urbanität und die Rolle heu- Erdgeschosse - Privat-Öffentlich - Bauliches Erbe - Stadt-Land tiger demokratischer Gesell- Erhaltung - Fußläufig - Austausch - Kleinteilig - Zeitgeist - Dichte - Mischung - Detailreich schaftsordnungen in einer Loslösung und im Gegensatz Abb. 24: Urbanität aus heutiger Perspektive (Eigene Darstellung) zur Urbanität unfreier Gesellschaften (Häußermann, 1987: Schon bei Sonne lassen vielfach die Reibungen zwischen Urbanität aus 9f.). Heute stellen sich, wie es Simon sozialwissenschaftlicher und archi- Kretz beschreibt, die gesellschaftlichen tektonisch planerischer Sicht ablesen Zusammenhänge wiederum anders (Sonne, 2016: 32). Zwar teilen nicht nur dar: Eine neue Urbanität heute muss Architekten und Planer die Meinung, demnach vielmehr den "gegenwärdass die gebaute Umwelt als eine tigen Tendenzen - der auf ökonomientscheidende Determinante von Ur- sches Wachstum fokussierten Stadtbanität zu sehen ist, doch wird erst im politik, der Privatisierung öffentlicher Zusammenspiel dieser Vielzahl von As- Dienste und städtischer Räume, der pekten greifbar, was Urbanität eigentlich ausmacht. Sonne fasst diese in acht Aspekte zusammen (Sonne, 2016: 36). Diesen wurden jeweils eigene Assoziationen aus heutiger Sicht hinzugefügt (s. Abb. 24). Auf sozialwissenschaftlicher Ebene tragen verschiedene Autoren zu unterschiedlichen Bedeutungsebenen der Stadt und ihrer Urbanität bei. Einen entscheidenden Beitrag zur Debatte in jüngster Vergangenheit haben

32

Abb. 25: Urbanität unter den Linden (Library of the Congress of the US)


Urbantität

räumlichen und sozialen Isolierung der Menschen - entgegenwirken" (Kretz, 2016: 36). Schon um 1970 kritisierte Henri Lefebvre in "Le droit à la ville" und "La révolution urbaine" den Ausschluss ganzer Gesellschaftsschichten vom städtischen Leben durch den modernistisch, funktionalistischen Städtebau und seine kapitalistische Verwertungsmechanismen und fürchtete eine räumlich bedingte Fragmentierung von Gesellschaft und Raum durch ein anonymisiertes Zusammenleben (Vogelpohl, 2011: 235) (Sonne, 2016: 31). Er sah in ihm ein Bruch mit dem organischen Wachstum von Städten und forderte das mittlerweile vielfach zitierte und weiter interpretierte "Recht auf Stadt" (Vogelpohl, 2011: 242). Hieraus kann man heute im Rahmen von Nachhaltigkeitsüberlegun-

gen und Theorien wie der Postwachstumsplanung neue Tendenzen und Aufgaben für Planung und Politik (u.a.) postulieren. Insgesamt wird also deutlich, dass der Begriff der Urbanität im jeweiligen Zeitkontext und im Zusammenhang gegenwärtiger, gesellschaftlicher Ordnungsrahmen und Zielen interpretiert und weiterentwickelt werden muss (s. Abb. 25). Diese sozialen, sich stets wandelnden Rahmenbedingungen sind im Zusammenhang der gebauten Stadt mit ihren historisch gewachsenen Strukturen zu sehen. Nur in einer gedanklich-planerischen Verzahnung baulicher, sowie sozialer Faktoren lassen sich Städte weiterentwickeln und für die Zukunft aufstellen.

3.1.3. URBANITÄT DER DINGE Es ist somit eindeutig, dass sich Urbanität nur aus einem Zusammenspiel aus gelebter und gebauter Urbanität ergibt (Sieverts, 2008: 32). So kommt Sonne nach einer Analyse der Arbeiten von Häußermann und Siebel zur der Erkenntnis, dass "allein die Einsicht, dass Urbanität kein überzeitlicher Begriff sein könne", noch nicht beweist, "dass er auch historisch erledigt sei" (Sonne, 2016: 32). Die gebaute Urbanität ist immer historisch bedingt. In ihren Gebäuden über verschiedene Nutzungs-, Umbau und Sanierungsphasen und allein schon in ihrer Materialität und Architektur liegt die Geschichte der

Stadt verborgen. Nicht umsonst tituliert der Historiker Karl Schlögel eines seiner Bücher "Im Raume lesen wir die Zeit" und betont dabei die Relevanz des Orts und des Gebauten, neben den üblichen Zeitschienen als zentraler Aspekt zum Verständnis von Geschichte (Schlögel, 2003: 10f.). Hieraus lässt sich ein wesentlicher Charakter des Urbanen ableiten. Der Erhaltung von baulichen Erbe und Baukultur oder wie es Sonne mit Bezug auf die Aussagen von Aldo Rossi fasst: "Das Städtische war damit ganz wesentlich in seiner baulichen Gestalt

33


Quartiere und Urbanitäten

Abb. 26: Wiederbelebung eines italienischen Palazzo in Bergamo als Herberge (AirBnB) (Eigene Darstellung)

begründet, die sich auf zwei Arten tradieren konnte: Als Überleben von Form und Substanz in den Monumenten, als Überleben von Form in den Typen der Wohnhäuser" (Sonne, 2016: 31). Damit spielen sowohl Rossi als auch Sonne auf die Langlebigkeit der gebauten Stadt und ihres Überdauern unterschiedlicher Epochen, Trends und Gesellschaftsordnungen an (s. Abb. 26) In ihrem Artikel "Urbanität der Dinge" legen Simon Kretz und Christian Salweski einen Fokus auf die Beziehungen zwischen dem materiellen Raum und dem Menschen und sehen Beziehungsreichtum und Beziehungspotential als zentrale Faktoren für Urbanität (Kretz, 2014: 170, 172). So können unterschiedlichen Dingen, und damit sind nach Kretz und Salewski nicht nur Gebäude, sondern auch Bänke, urbane Grünräume, oder selbst die 34

asphaltierten Straße gemeint, unterschiedlichste Nutzungen und Bedeutungen zugeschrieben werden (ebd). Zwischen- und Mehrfachnutzungen, Neuinterpretationen und Experimente stehen in ständig wechselnden Relationen zueinander und geben der Stadt eine Vielzahl an Beziehungspotentialen. Die Dinge der Stadt dienen somit als Ressource für ihre Nutzer. Für die Entfaltung von Urbanität ist es also essentiell die Bespielung der Stadt durch ihre Bewohner möglichst frei zur Entfaltung kommen zu lassen und Raum für unterschiedliche Aneignungen und Nutzungen zu ermöglichen. In diesem Sinne "verlangt Urbanität nach Offenheit" (Kretz, 2016: 40). In dessen Experimentierfeld können verschiedene Interpretationen des Raums ausprobiert werden und sich aus diesem Beziehungsreichtum das Gebaute und sein Nutzungen stabilisieren (ebd.). Die Urbanität der Dinge sieht also die Stadt


Urbantität

als Ressource und setzt sie und ihre Bewohner in unterschiedlichste Beziehungen zueinander und untereinander. Dies bringt nach Kretz und Salweski vier entscheidende Effekte mit sich: Erhöhung der Ressourceneffizienz Verbindung unterschiedlichster Menschen Mehrfachnutzungen und Bedeutungen Stabilisierung durch Beziehungsreichtum und Synergien Ein grundlegender Effekt ist dabei die Ressourceneffizienz, welchen die Autoren nicht umsonst an erster Stelle nennen. Hiermit nehmen sie implizit Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Nachhaltigkeitsüberlegungen und stellen vor allem vormoderne urbane Qualitäten im aktuellen Zeitgeist heraus (s. Kap. 2.3). Dieser sicherlich sehr verkürzte Rückblick auf wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Thema Urbanität, im Zusammenhang des sozialen und räumlichen Gebildes Stadt zeigt auf, wie sich der Begriff über die Zeitgeschichte hinweg entwickelt hat und wie verschiedene Gesellschaftsordnungen Städte in ihrer Architektur und Städtebau geprägt haben. Sie diskutieren aber auch die unterschiedlichen Dimensionen des Urbanitätsbegriffs und geben vor aktuellen globalen Herausforderungen Rückschlüsse über ein heutiges Verständnis zu neuen Perspektiven in der Stadtentwicklung. Dabei lohnt es sich neben dem Blick nach vorne auch eben dieser Rückblick auf die "alte Urbanität" und die Qualitäten historischer Städte und Quartiere und ihrer zu Grunde liegenden Stadt-

planung. Nur in einer Verbindung aus Alt und Neu und in ein Verständnis historisch räumlicher und sozial-gesellschaftlicher Zusammenhänge der Stadt lassen sich urbane Qualitäten lesen: “Denn es war der Irrtum der hinter uns liegenden Epochen, daß die Modernität sich vor allem im bewußten Bruch mit dem Gewesenen erweise. In Wirklichkeit kommt man um jenes Gewesene nicht herum, und statt der schlichten Wahrheit des Satzes, daß der Mensch zwischen Vergangenheit und Zukunft stehe, sollte man besser sagen, daß nur der Blick zurück, immer aufs neue, das Bewußtsein für die Zukunft schärft" (Fest, 2007: 315) Kretz stellt folgerichtig heraus, dass "Urbanität (…) letztlich eine Qualität (ist), die sich im Alltag realisieren und bestätigen muss" (Kretz, 2016: 40). Es wird deutlich, dass die Bedeutung von Urbanität immer von historischen Kontexten und der gebauten Stadt abhängt, sich aber auch immer neu erfinden kann und weiterentwickelt werden muss. Sie hängt von aktuellen gesellschaftlichen Trends und Herausforderungen ab und kann als die Grundlage für ein bedachtes, verantwortungsvolles Planen und Weiterbauen unserer Städte bieten. Sonne stellt hierzu fest, dass "Urbanität eine der großen kulturelle Errungenschaften der Menschheit darstellt" und fährt fort, dass er "hoffe und wünsche, dass sich im Ziel der urbanen Stadt ein freies und selbstbestimmtes, ein gesichertes und reichhaltiges, ein gemeinschaftliches und solidarisches - kurz mit Aristoteles: ein glückliches Leben führen lässt" (Sonne, 2016 325). Nachdem 35


Quartiere und Urbanitäten

"Urbanität ist zwar nicht allein durch das Bauliche zu schaffen, aber das Bauliche muss in seiner Beschaffenheit doch die Möglichkeit zu sozialer Urbanität bieten." (Wolfgang Sonne) "Die bewusste Annahme der Herausforderung durch Vor-Bilder und die vorbildliche Wirkung scheint dem Wesen des Urbanen näher zu sein als individuelle Bild-Erfindung. Vielleicht ist darin der Kern des Städtischen verborgen” (Hans Kollhoff) Kretz und Salweski in "Urbanität der Dinge" bereits die Ressourceneffizienz und damit Überlegungen zur ökologischen Nachhaltigkeit in das Begriffsverständnis von Urbanität eingebracht haben, folgt Sonne dem zweiten für diese Arbeit zentralen Ansatzpunkt, welcher unter dem Aspekt des subjektiven Wohlbefinden schon dargestellt wurde. Urbanität liegt also im Zeitgeist und kann heute als Inbegriff für lebenswerte, nachhaltige und soziale gerechte, demokratische Städte gesehen werden. Sie findet immer in einem Zusammenspiel aus dem gebauten Raum und dessen Nutzern statt und wird wechselseitig durch eine soziale und eine räumliche Ebene determiniert. Aus all diesen Erkenntnissen lässt sich also aus der Urbanität sowohl ein sich

ständig wandelndes übergeordnetes Leitbild, als auch ein Gestaltungsauftrag ableiten. Nicht umsonst konstatierten Kretz und Salweski: "In einem relationalen Raumverständnis ist die Vorstellung möglich, dass nicht nur Menschen Dinge strukturieren, sondern Dinge auch menschliche Handlungen" (Kretz, 2014: 175). Hieraus lässt sich weiter interpretieren, dass vor dem Hintergrund der unter der Urbanität der Dinge beschriebenen Qualitäten und Relationen ein Planungsauftrag entsteht, Dinge so anzuordnen und Räume so zu planen, dass sie der Stadt und ihren Bewohnern die Möglichkeit geben sich zu entfalten. Nicht umsonst kam Jan Gehl analog zu seinen Züricher Kollegen zu dem Schluss: "Zuerst gestalten wir die Städte, dann prägen sie uns" (Gehl, 2015: 21).

3.1.4. URBANE QUALITÄTEN HEUTE Unter diesen Vorzeichen stellt eine Forschungsgruppe der ETH Zürich "Urbane Qualitäten" am Beispiel der Metropolregion Zürich heraus und versucht anhand verschiedener Faktoren, beziehungsweise Dimensionen, Urbanität zu messen (s. Abb. 27). Ihnen kommt es dabei darauf an, in einer Annäherung aus verschiedenen Perspektiven "dem Wesen der Urbanität auf die Spur 36

zu kommen" (Kretz, 2016: 43). Diese Perspektiven, oder besser gesagt Dimensionen eines heutigen Urbanitätsverständnisses dienen den Autoren als analytisches Gerüst. Sie berufen sich auf eine Vielzahl an Erkenntnissen von Stadtplanern und Urbanisten der letzten Jahrzehnte und stellen ihre Ergebnisse in klar gefassten und untereinander in Beziehung stehenden Begriffen


Urbantität URBANE QUALITÄTEN ZENTRALITÄT

"Zentralität ist eine grundlegende Eigenschaft jeder Form von Urbanität: Je mehr Menschen einen Ort in ihrem Alltag benötigen und besuchen, desto zentraler ist dieser Ort"

Logistische Zentralitäten -

Erreichbarkeit Mobilitätsnetzwerke Besucherfrequenz Vernetzungen Lagebeziehungen

DIVERSITÄT

Funktionale Zentralitäten - Nutzungsdichte/

Nutzungsüberlagerungen - Versorgungsfunktionen - Überlagerung von Funktionen und Synergien

Nutzungen, Aktivitäten und Programmen

- Sich ergänzende, komplementäre Nutzungen,…

- Private/ öffentliche, kommerzielle/ nicht kommerzielle Aktivitäten

Soziale Diversität - Vielfalt und Durchmischung

unterschiedlicher sozialer Gruppen, Kulturkreise und Menschen - Chance durch unterschiedliche Interessen und Begabungen - Soziale, ökonomische Innovationspotentiale

Soziale Dichte Ort aufhalten (Einwohner, Arbeitende, Besucher) - Voraussetzung einer Vielzahl sozialer Kontakte unterschiedlicher Intensität

- Anzahl, Deutlichkeit und Tiefe der

Austauschbeziehungen - Flüchtige (Blick-)Kontakte/ Begrüßung, kurze Gespräche, tiefergehende Unterhaltungen

- (Räumliche, zeitliche) Zutritts-,

Ausschlusskriterien - Handlungs-, Bewegungsfreiheiten - Nutzungsbeschränkungen, Konsumzwang - Freiheit für unterschiedliche Bedürfnisse, Nutzungsansprüche

- Mögliche Veränderung der Bedeutung

von Räumen, Orten über die Zeit in Bezug auf unterschiedliche Nutzergruppen - Mehrfachbedeutungen und Determinierbarkeit

-

Gesprächen durch Aufenthaltsqualitäten, einladende Nutzungen/ Gestaltung (Cafés, Parks, Plätze)

Kontextualität - Wirkung und Bezugnahme

städtebaulicher Elemente auf ihre bestehenden und potentiellen Nachbarschaften - Nutzungen im Kontext der Umgebung/ Lage (Erreichbarkeit für wen?) - Erlebte Offen-/ Geschlossenheit

Umbaubarkeit - Physische Anpassungsfähigkeit und

Reversibilität städtebaulicher Elemente und Strukturen - Vor allem Offenheit der Erdgeschosse

"Aneignung bedeutet, dass unterschiedliche Nutzerinnen und soziale Milieus eine Situation durch ihre Praktiken aktiv beanspruchen und auf ihre spezifischen Bedürfnisse beziehen können"

Nutzungsoffenheit Ansprüche/ Anforderungen verschiedener Nutzergruppen Mehrfachnutzungen

- Zeitliche Ausdehnung der Interaktion - Möglichkeit zu tiefergehenden

Umdeutbarkeit

ANEIGNUNG

- Offenheit eines Ortes für die

Interaktionsdauer

"Adaptierbarkeit bedeutet, dass sich eine Situation den sich verändernden Anforderungen für unterschiedliche Nutzergruppen und Nutzungen möglichst flexibel an

Umnutzbarkeit städtebaul. Strukturen an wechselnde Funktionen Programme, Bedürfnisse - räumliche (Re-)Konfigurierbarkeit

(Mischung, Größe)

Regulierung

ADAPTIERBARKEIT

- Anpassungsfähigkeit von Gebäuden,

und -profile

- Diversifizierte (Investions-)Einheiten

"Zugänglichkeit bezeichnet die Möglichkeit, einen Ort zu unterschiedlichen Zeiten aufzusuchen und sich darin aufhalten zu können"

Porösität Stadtgewebes (Blockgrößen, Maßstäblichkeit, Zugänge, Schwellen, Durchgänge) - Überwindung räumlicher Barrieren - Fußläufige Erreichbarkeit - Übersichtlichkeit und Orientierung

Investitionsmodellen

- Unterschiedliche Ziele, Nutzungsmodelle

Interaktionsintensität

ZUGÄNGLICHKEIT

- Physische Durchlässigkeit des

Eigentumsdiversität - Vielfalt an Eigentumsstrukturen und

"Interaktion bedeutet, dass unterschiedliche Menschen wechselseitig aufeinander einwirken und sich gegenseitig produktiv beeinflussen"

INTERAKTION

- Anzahl der Menschen die sich an einem

Identifikationsorte Sinnstiftung: Leuchttürme Öffentliche Einrichtungen Publikumsmagneten Historische Orte

"Diversität bedeutet, dass unterschiedlichen Nutzungen, Nutzergruppen, soziale Milieus und räumliche Ausprägungen in einem Raum präsent sind"

Nutzungsdiversität - Vielfalt und Überlagerungen von

Symbolische Zentralität -

Gestaltbarkeit

- Möglichkeit zur materiellen -

Inanspruchnahme von Räumen Möglichkeit zur Mitgestaltung des Stadtraums (Spuren der Stadt)

Symbolische Offenheit

- Möglichkeit einen Raum mit -

verschiedenen (Be-)Deutungen, Imaginationen zu belegen Orte für Identifikationsprozesse

Abb. 27: Tabelle Urbane Qualitäten (Eigene Darstellung nach Kretz, 2016: 43ff.)

37


Quartiere und Urbanitäten

zusammen. Diese sollen auch im Rahmen dieser Arbeit dazu dienen urbane Qualitäten unserer Städte und Quartiere für heute und morgen herauszustellen und werden in einer Auseinandersetzung mit dem Quartier (s. Kap.

Abb. 28: Werk 12: MVRDV (Stadt München: Werksviertel)

4) tiefergehend in ihren wissenschaftlichen Kontexten beleuchtet. Schlussendlich lässt sich aus heutiger Sicht vielleicht sagen, dass Urbanität nachhaltig ist; sie ist cool, sie ist ein Lifestyle, sie ist... (s. Abb. 28). Doch wie können planerisch vor dem Hintergrund gegenwärtiger Herausforderungen die Grundlagen für diese urbanen Qualitäten geschaffen werden? Und wie können Städte nach den teilweise vermeintlich guten Beispielen historischer Stadtstrukturen modern aufgestellt werden? Einen entscheidender räumlicher Bezugsrahmen für die Beantwortung dieser Fragen scheint das Quartier darzustellen.

3.2. QUARTIERE - ALTE, NEUE MASSSTÄBE IN DER STADTPLANUNG "Für die Zukunft der Stadtentwicklung ist es wichtig, zu begreifen, was wir unter einem lebendigen urbanen Quartier verstehen wollen. Es kann dafür natürlich kein starres Konzept geben, aber dennoch ist es wichtig, die wesentlichen Eckwerte zu definieren, damit das Urbane Quartier zu einer Art Prototyp für eine neue zukunftsorientierte städtische Gesellschaft werden kann." (Nina Berding, 2020: 27) Der Begriff des Quartiers wird im deutschen Sprachgebrauch in verschiedenster Weise definiert. In seiner Bedeutung scheinen verschiedene Qualitäten zusammenzukommen, die auch schon in den Überlegungen zur Urbanität eine Rolle gespielt haben (Schnur, 2008) (Berding, 2020). Beide Begriffe sind dabei eng miteinander verbunden, wobei das Quartier ei38

nen mehr oder weniger klar definierten urbanen Raum ausmacht und somit als zentrale Entität der Stadt einen entscheidenden Bestandteil urbaner Qualität darstellt. Die zuvor zusammengestellten urbanen Qualitäten sollen in den folgenden Kapiteln als Grundlage dienen 3 Dimensionen urbaner Quartiere abzuleiten.


Quartiere - Alte, Neue Maßstäbe in der Stadtplanung

Quartiere definieren sich zunächst nach den Aktionsradien ihrer Bewohner, in ihrer baulich-räumlichen Kohärenz und grenzen sich teilweise durch städtebauliche und naturräumliche Einschnitte, oder auch durch das Vorhandensein verschiedener Zentralitäten voneinander ab. Ähnlich wie dem Begriff der Urbanität kommen dem Quartier eine Vielzahl sozialer und räumlicher Bedeutungszusammenhänge zu. Diese stellt Olaf Schnur in seinem Versuch zur Begriffsdefinition sehr anschaulich zusammen: "Ein Quartier ist ein kontextuell eingebetteter, durch externe und interne Handlungen sozial konstruierter, jedoch unscharf konturierter Mittelpunkt-Ort alltäglicher Lebenswelten und individueller sozialer Sphären, deren Schnittmengen sich im räumlichidentifikatorischen Zusammenhang eines überschaubaren Wohnumfeldes abbilden" (Schnur, 2008: 40) Ein zentraler Faktor zur Einordnung des Quartiers ist für Schnur zunächst seine soziale Konstruierbarkeit. Es setzt sich, wie schon unter dem Aspekt der Urbanität beleuchtet, aus einer Vielzahl an Beziehungen und Kontakten zusammen und ihm wird erst durch seine Bewohner eine Bedeutung zugeschrieben (Schnur, 2008: 41). Ein erster Indikator für funktionierende Quartiere könnte somit schon darin liegen, wie ihnen von sich heraus ein Name gegeben wird. Dieser Indikator für die Identifikation der Einwohner mit ihrer Lebensumwelt wird oftmals schon dadurch begründet, dass sie einen Großteil ihres Alltags in ihnen verbringen und mit dem Quartier verschiedene Handlungen und Aktionen verbinden. Aus diesem Grund sind Quartiere auch räumlich überschaubar (Schnur, 2008:

36). Die Aktionsradien ihrer Bewohner konzentrieren sich zum großen Teilen auf fußläufig erreichbare Ziele. Es umfasst also in einer kleinräumigen urbanen Struktur "alltägliche Lebenswelten und soziale Sphären" (Schnur, 2008: 40). Mit diesem Zusammenspiel aus Überschaubarkeit und Identifikation verbindet Schnur den "menschlichen Maßstab", der Quartiere als "soziale Landschaft" konstruierter und reproduzierbar machen (ebd.). Dieser zentrale, durch Jan Gehl geprägte Begriff, lässt sich aus einer Vielzahl städtebaulicher Parameter ableiten und soll als zentraler Bestandteil der folgenden Auseinandersetzung mit dem Quartier dienen. Demgegenüber weist Dieter Frick in 2011 auf die veränderte "nachklassische" Rolle des Quartiers hin und schlussfolgert, dass sich in Zeiten räumlicher Arbeitsteilung und veränderter Wohn- und Arbeitsverhältnisse das Quartier lediglich auf zusätzliche Ansprüche, beziehungsweise Merkmale beziehe, die es als Gebiet besonders qualifizieren (Frick, 2011: 81). Hiermit bezieht er sich auf das "Potential alltäglicher Kommunikationsmöglichkeiten" und "eine bestimmte Kohärenz der baulich-räumlichen Organisation im engeren Einzugsbereich von Wohnung und Arbeitsstätte" (ebd.). Der Quartiersbegriff sollte jedoch besonders heute weitaus mehr als diese "zusätzlich qualifizierbaren Merkmale" (ebd.) umfassen, welche sich eng gefasst als Produkte der Freizeitorganisation interpretieren lassen. Zwar sind dies sicherlich wichtige Faktoren für funktionierende Quartiere, dennoch muss ein Verständnis über das Quartier weiter gefasst werden und es sich nicht allein aus dem definieren, was es heute vermeintlich bieten kann.

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Quartiere und Urbanitäten

Nina Berding sieht in diesem Sinne das Quartier als Kern jeder funktionierenden Stadtgesellschaft und in ihm eine Verknüpfung aus Arbeiten, Wohnen und der Versorgung (Berding, 2020: 2). Ergänzt durch den Faktor der Erholung stellen diesen Alltagsfunktionen den Kern eines sozial integrierten Quartiers dar. Insgesamt lässt sie das Quartier demnach als funktional gemischt, soziokulturell offen, überschaubar und unter anderen durch einen Fokus auf eine Mobilität im Umweltverbund als nachhaltig beschreiben (ebd.). In dieser Stadt der kurzen Wege rückt die Stadt in ihren Quartieren samt ihrer Bewohner näher zusammen. In ihr identifizieren sich eben diese mit ihrer Umgebung, da sie große Teile ihres Alltags in diesem kleinräumigen Umfeld bestreiten. Der Quartiersbegriff scheint in seinem wissenschaftlichen Zusammenhang ein Phänomen der deutschen Sprache zu sein und lässt sich wortwörtlich nicht ins Englische übersetzen. So muss Jane Jacobs auf den Terminus der Nachbarschaft zurückgreifen und stellt die ihrer Meinung nach fehlgeleiteten Haltungen zum Nachbarschaftsbegriff in der Großstadt heraus: „Neighborhood is a word that has come to sound like a Valentine. As a sentimental concept, ‘neighborhood’ is harmful to city planning. It leads to attempts at warping city life into imitations of town or suburban life. Sentimentality plays with sweet intentions in place of good sense” (Jacobs 1992: 112). Jacobs bezieht sich dabei, ähnlich wie auch Simmel und schon zuvor Hans-Paul Bahrdt, auf die der Stadt zu Grunde liegende gesellschaftliche Qualität der unvollständigen Integrati40

on (Simmel, 2006: 122) (Jacobs, 1992: 30) (Bahrdt, 1956: 653). Hiermit spielt sie darauf an, dass sich Großstädte anders als das Dorf darin auszeichnen, dass sie voll von Fremden sind (ebd.). Es geht deshalb darum, die räumlichen Grundlagen zu schaffen - und hier sieht Jacobs die Straße als zentralen öffentlichen Raum im Mittelpunkt -, dass diese Fremden in ihrer Reserviertheit voneinander profitieren und aus dieser Anonymität heraus neue Kontakte entstehen können (Jacobs, 1992: 72). Jacobs sozialräumliche Einschätzung wirkt sich auf ihre Umschreibung des Quartiers als Organ lokaler Selbstbestimmung aus. Auf Grundlage dieser Überlegungen umschreibt sie drei Instanzen der sozialräumlich-politischen Organisation der Stadt: · The City as a whole · The District (bei Städten größer als 100.000 Einwohnern) · The Street Neighborhood Hierbei scheint die “Street Neighborhood” als kleinste gesellschaftliche Instanz in der Stadt dem Charakter des Quartiers am nächsten zu stehen. Jacobs verfolgt demnach einen ähnlichen Ansatz wie Nina Berding, die eine funktionierende Stadtgesellschaft als eine Zusammensetzung und Verflechtung unterschiedlichster in sich funktionierender Quartiere sieht (Berding, 2006: 2). Der Stadtbezirk (District) größerer Städte dient dabei als Mediator der Anliegen ihrer Quartiere gegenüber der Stadt(-verwaltung) (Jacobs, 1992: 114). Jacobs Quartiere sind genauso wie die Schnurs' überschaubar und umfas-


Quartiere - Alte, Neue Maßstäbe in der Stadtplanung

"But a Population of 5.000 to 10.000 residents in a big city has no such a degree natural cross connections within itself, except under the most extraordinary circumstances. Nor can city neighborhood planning, no matter how cozy in intent, change this fact. If it could. the price would be destruction of a city by convening it into parcel of towns" (Jacobs 1992: 115) Hiermit spielt Jacobs auf die Tatsache an, dass sich soziale Kontakte in der Großstadt nicht auf den räumlich-lokal eingeschränkten Kontext der Kleinstadt beschränken, sondern sich durch verschiedenste Beziehungen und (Arbeits-)Verhältnisse über weite Teile der Stadt und ihrer Quartiere hinaus erstrecken. Auf Grundlage dieser sozialräumlichen Zusammenhänge, und vor dem Hintergrund der unvollständigen Integration, wird das Quartier als entscheidendes Element lokaler Selbstorganisation umso wichtiger (Jacobs, 1992: 115) Um diese zu fördern sind zahlreiche sozialräumliche Überlegungen notwendig, zu denen die Dimensionierung des Quartiers, aber auch die eigentliche Begriffsbezeichnung Jacobs grundlegende Faktoren darstellen. Sie benennt Quartiere als “Street Neighborhoods” und spielt dabei bewusst auf die durch eine Vielzahl von Publikumsnutzungen im Erdgeschoss gekennzeichneten, verdichteten und zentralen Achsen an. Diese urbanen

Achsen stellen den Kern jedes Quartiers, oder mitunter sogar die Kerne mehrer Quartiere und damit den den zentralen Bezugspunkt ihrer Bewohner dar. In diesen Straßen und zentralen urbanen Orte, mit ihren bekannten Persönlichkeiten aus Ladenbesitzern und Stammkunden (“Regulars”) sieht Jacobs den Kern sozialer Selbstorganisation im Quartier (Jacobs, 1992: 123). Neben diesen urbanen Achsen ist aber auch die Dimensionierung eines

THEORETISCHE AUSDEHNUNG URBANER QUARTIERE

700m

sen 7.000-10.000 Einwohner, welches interessanterweise der Einwohnerzahlen von Kleinstädten, oder Dörfern entspricht (Jacobs, 1992: 115). Jacobs sieht dennoch einen entscheidenden Unterschied zwischen den Quartieren einer Großstadt und der sozialen Integrität einer Kleinstadt:

700m 10.000 EW 200 EW/ha

= 50 ha

ca. 700m x 700m

Abb. 29: Theoretische Ausdehnung eines Quartiers (Eigene Darstellung)

Quartiers für dessen sozialräumliche Integrität maßgebend. Bei einer angenommen urbanen geschlossenen Bauweise mit einer Einwohnerdichte von 200 Einwohnern pro Hektar würde ein Quartier mit 10.000 Einwohnern räumlich in etwa 700 x 700 Meter umfassen (s. Abb. 29). Solche Distanzen innerhalb des Quartiers kann man als 41


Quartiere und Urbanitäten

fußläufig erschließbar und überschaubar bezeichnen. So sind es vom abgelegensten Punkt in diesem modellhaften Quartier, 350 Meter und somit ca. 6 Gehminuten bis in dessen Mitte. Diese Annahmen sind ohne Frage von einer Vielzahl anderer räumlicher Faktoren abhängig, sollen aber einen ungefähren räumlichen Rahmen für die weiteren Betrachtungen des Quartiers dienen und überprüft werden (s. Kap. 4.5.2). So führen unterschiedliche Bebauungsdichten in Abhängigkeit zu typischen Belegungsdichten bei unterschiedlichen Bautypologien, sowie Anteile für gewerbliche und andere (Freiraum-)Nutzungen sicherlich zu größeren Dimensionen eines Quartiers. Auf der anderen Seite aber macht ein Mindestmaß an dichter und damit urbaner Bebauung mit all ihren Qualitäten einen zentralen Bestandteil des Quartiers aus. Für eine klare Definition des Quartiers bedarf es somit einer tiefergehenden räumlichen Auseinandersetzung mit den Themen unterschiedlicher Dichten und Zentralitäten (s. Kap. 3.3.1) und einer abschließenden empirischen Betrachtung anhand von Analysen unterschiedlicher Quartiere in verschiedenen Städten (s. Kap. 4.5.2). Eine überschaubare Größe scheint aber in jedem Fall ein zentrales Qualitätsmerkmal des Quartiers darzustellen. Denn es kommt gar nicht so sehr darauf an das Städtische vom nicht Städtischen abzugrenzen, sondern vielmehr zu hinterfragen, welche Teile der Stadt urbane Qualitäten vorweisen und welche nicht. So untersuchen Kretz und Kueng im Gegensatz etwa zu Jacobs 42

Überlegungen auch urbane Qualitäten in den Kleinstädten Wollerau und Pfäffikon (mit jeweils ca. 7200 Einwohnern) (Kretz, 2016: 116ff.). Auch hier können, oder sollten sich sogar eine Vielzahl urbaner Qualitäten von der Zentralität, über Diversität und Adaptierbarkeit (u.a.) entfalten. Hier stehen diese Qualitäten nur weniger unter dem Aspekt der unvollständigen Integration, wie sie die Großstadt kennt. Das Leben hier findet vielmehr in einem einzigen "Quartier" statt, welches eben das komplette Dorf, beziehungsweise die komplette Kleinstadt umfasst. Hier geht es sinngemäß auch weniger um Relationen, Abhängigkeiten und Überschneidungen zwischen den Quartieren. In dieser Zugehörigkeit zur Großstadt liegt also ein weiterer Kern des Quartiersbegriff. In der Großstadt muss das Quartier folglich im Sinne aktueller Herausforderungen und gesellschaftlicher Aspekte weiter in den Mittelpunkt des Städtebaus in seiner gebauten Form rücken. Nicht umsonst überlegt Wolf-Dietrich Bukow: "Was früher die Stadt ausmachte, das stellt heute das Quartier dar, das jetzt als kleinster urbaner Raum an die Stelle einer oft genug unübersichtlich gewordenen Stadtgesellschaft tritt." (Berding, 2020: 7) Hiermit spielt er sicherlich auf die immer weiter wachsenden Großstädte und Metropolen an und sieht dabei das Quartier als die zentrale und "kleinste gesellschaftliche Einheit" (Berding, 2020: 10). Dies wirft die Frage auf, ob und wenn ja nach welchen Kriterien sich Quartiere in der Großstadt neben den zuvor genannten Ansätzen zur Dimensionierung, sozialräumlich abgrenzen lassen.


Quartiere - Alte, Neue Maßstäbe in der Stadtplanung

Einen Ansatz dafür bietet Olaf Schnur in seiner abschließenden räumlichen Betrachtung des Quartiers als "Fuzzy Concept" (Schnur, 2008: 41). Sein sozial konstruierter Versuch einer Quartiersabgrenzung stellt die Beziehungen

QUARTIER ALS VERDICHTUNGSEFFEKT LOKALER AKTIONSMUSTER

Strukturen, Einschnitte und Barrieren eine entscheidende Rolle zur Unterscheidung unterschiedlicher Quartiere. Ziel der Planung sollte es sein diese "Border Vacuums", wie sie Jacobs beschreibt, möglichst zu durchbrechen und ein "Atmen" der Stadt und deren Porosität durch ihre unterschiedlichen untereinander verknüpfen Quartiere zu ermöglichen (Jacobs, 1992: 257) (Kretz, 2016: 60).

Die räumliche Ausprägung des Quartiers der Zukunft und die Verknüpfung der Quartiere untereinander sollte unter Einbeziehung von Nachhaltigkeitsgedanken aber auch tiefergehende Qualitäten im Alltag ihrer Bewohner und in ihren Aktionen und Interaktionen mit sich bringen. Um diese Qualitäten wird es im Folgenden gehen. Dabei soll Quartierskern beantwortet werden, warum Aktionsradien möglichst verQuartierssaum kleinert oder spezifischer geAbb. 30: Quartiere als ein Fuzzy Concept staltet werden sollen, und wa(Eigene Darstellung nach Schnur, 2008: 41) rum Quartiere eine Vielzahl an Funktionen erfüllen müssen, und Aktionsradien der Quartiersbe- sich gleichzeitig aber auch in einer hewohner in den Mittelpunkt und grenzt terogenen Stadt voneinander absetQuartiere räumlich nicht klar ab. Sie zen und in ihren Charakteren und zenbilden sich vielmehr in einer Überla- tralen Funktionen, Sonderbausteinen, gerung aller alltäglichen Aktionsmus- Wohn- und Arbeitsformen unterscheitern der Stadtbewohner, aus denen den und untereinander ergänzen. sich modellhaft ein Quartierskern und ein Quartierssaum ergibt, welcher sich Schnurs Modell zeigt aus stadtsoziolomit anderen Quartierssäumen, oder gischer Sicht die nur unscharfe Mög"Quartiers-Grenzräumen" überschnei- lichkeit zur Definition und Abgrenzung von Quartieren. Es stellt sich jedoch det (ebd.) (s. Abb. 30). aus planerischer Sicht die Frage, welNeben diesen Aspekten spielen auch chen Mehrwert ein Verständnis über geografische Merkmale und bauliche solche scheinbar wenig vorhersehba43


Quartiere und Urbanitäten

ren, komplexen, sozialen Zusammenhänge des Quartiers mit sich bringen. Nach Gehls Leitsatz "zuerst gestalten wir die Städte, dann prägen sie uns" (Gehl, Jan, 2015: 21) lässt sich aus einer solchen Sichtweise konstatieren, dass ein Verständnis über die sozialen Funktionsweisen von Quartieren, sowie die Analyse solcher Strukturen essentiell für die planerische Weiterentwicklung von urbanen Stadtstrukturen ist. Eine analytische Abgrenzung und Fassung von Quartieren mit all ihren Dimensionen und Bausteinen - um die es in Kapitel 4. gehen soll - bereichert die anschließende Konzeption und kann in einer modellhaften Vereinfachung tatsächlicher sozialer Zusammenhänge die Planung begleiten. Jede Planung wird dabei daran scheitern, das soziale Geflecht von Quartieren und ihrer Verknüpfungen untereinander gänz-

lich zu verstehen, oder gar zu planen. Darum soll es auch gar nicht gehen. Die Stadt entwickelt sich auch von sich heraus intrinsisch weiter und bildet unterschiedlichste, oft überraschende Strukturen, soziale Verflechtungen und Initiativen aus. Planung kann hierbei vielmehr mit all seinen Instrumenten die räumlichen Strukturen und Rahmenbedingungen für die Entstehung und Weiterentwicklung lebhafter, lebenswerter, nachhaltiger und nicht zuletzt urbaner Stadtstrukturen schaffen. Dabei stellt das Quartier, vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen, zu Fragen von Mobilität und Lebensweise und mit Blick auf die vorherigen Überlegungen zu urbanen Qualitäten, einen entscheidenen räumlichen Bezugsrahmen der Stadtplanung dar (s. Kap. 3.1.3).

3.3. DREI DIMENSIONEN URBANER QUARTIERE

I

II

III

URBANE DURCHMISCHUNG UND URBANE DICHTE

URBANE KONTAKTE

TEILHABE UND EMPOWERMENT

Abb. 31: 3 Dimensionen Urbaner Quartiere (Eigene Darstellung)

Aus diesen urbanen Qualitäten lassen sich im Kern drei Dimensionen ableiten und auf das Quartier anwenden (s. Abb 31). Diese sind zum einen die urbane Mischung und urbane Dichte (" Zentralität, Diversität), zum anderen urbane Kontakte (" Interaktion), sowie letztendlich Themen der Teilhabe und Empowerment ("Zugänglichkeit, Adaptierbarkeit, Aneignung). Zwar über44

schneiden sich diese Themenbereiche an vielen Stellen. Sie leiten sich jedoch direkt aus den Urbanen Qualitäten ab, ergänzen diese und sollen somit im Kern als Ausgangspunkt für eine tiefergehende Annäherung an die Funktionsweise der Stadt und des Quartiers als hochkomplexe sich stetig verändernde räumlich-soziale Organismen dienen.


Drei Dimensionen urbaner Quartiere

3.3.1. DIMENSION1: URBANE DICHTE UND DURCHMISCHUNG Zwei grundlegende Elemente zur Ausformulierung unterschiedlicher Zentralitäten und als Ausgangspunkt jeglicher Diversität in der Stadt seien zunächst einmal herausgestellt. Diese umfassen zum einen die urbane Dichte, zum anderen die urbane Durchmischung. Sie sind die zentralen baulich-räumlichen Dimensionen der urbanen Stadt und haben Auswirkungen auf die weiteren, vornehmlich sozial determinierten Dimensionen urbaner Quartiere.

URBANE DICHTE Urbane Dichten setzen sich durch hohe bauliche Dichten, sowie hohe soziale Dichten und gestalterische Dichten zusammen. Nachdem zum Ende des 19. Jahrhunderts städtebauliche Missstände, vor allem infolge gesundheitlicher Aspekte, durch steigende Emissionen von Industrieanlagen und auf Grund (zu) hoher Belegungsdichten von Wohnhäusern in vielen Städten ausgemacht wurden und als Konsequenz in Leitbildern der aufgelockerten Stadt, oder Gartenstadt aufgingen, stellen sich heutzutage gänzlich andere gesellschaftliche Fragen (s. Kap. 2). So scheinen auf Grund klimatischer, aber auch sozialer Überlegungen monofunktionale und aufgelockerte Bauformen in ihrem momentan realisierten Umfang immer weniger tragbar. "Dichte heißt zusammenrücken" "Suburbia ist ökologisch untragbar" (Lampugnani, 2019) Der italienische Architekt und Architekturhistoriker der ETH Zürich Vittorio Magnago Lampugnani argumentiert in einen Artikel der Zürcher Zeitung mit Bezug auf suburbane Siedlungsstrukturen, dass der Energieverbrauch und

damit CO2-Ausstoß wenig verdichteter Bebauungsstrukturen in offener Bauweise enorm sei (Lampugnani, 2019). Diese logische Erkenntnis belegen auch Zahlen des IWU (Institut für Wohnen und Arbeiten) zum Energieverbrauch verschiedener Bauformen (Born, 2015: 66) (s. Abb. 33). Mit Rückbezug auf das 30-Hektar-Ziel fordert Lampugnani weiterhin die Notwendigkeit eines klaren Kontrasts zwischen Stadt und Land (s. Kap. 2.1) (BBSR, 2015; Lampugnani, 2019). Er sieht die Landschaft als die wichtigste Ressource und erkennt dabei nicht nur ihre ökologischen Funktionen, sondern auch ihre Rolle als Erholungsraum, sowie als Teil unserer Geschichte, Kultur und Identität (ebd.). Diese Argumentation, die heute vor allem im Zusammenhang des Themas der Innenentwicklung diskutiert wird, würde sicherlich auch Jane Jacobs unterstützen. Sie sprach schon in den 1960er Jahren die Nachteile ausgiebiger halböffentlicher

URBANE DICHTE BAULICHE DICHTE

GESTALTERISCHE DICHTE

SOZIALE DICHTE

Abb. 32: Aspekte Urbaner Dichte (Eigene Darstellung)

45


Quartiere und Urbanitäten

PRIMÄRENERGIEBEDARF NACH BAUFORMEN (bezogen auf die Wohnfläche)

Berechnungsverfahren: TABULA, bezogen auf beheizte Wohnfläche

Variante 1 EnEV 2016

250

Variante 2 KfW Effizienhaus 55

Variante 3 Niedrigstenergiehaus

200 150 100 50

Selbstkontrolle und Anonymität dieser Strukturen führen oftmals zu sozialen Problemen und der Ausbildung von Angsträumen in und um die Gebäude (Jacobs, 1992: 44)

In Folge dieser Überlegungen hat sich in Einfamilienhaus Reihenhaus Mehrfamilienhaus Nordamerika im Zuge Abb. 33: Primärenergiebedarf nach Gebäudetypologie des New Urbanism die (Eigene Darstellung nach IWU, 2015: 56) Forderung nach einer Grünflächen von Hochhaussolitären "Gentle Density" und der Begriff der und Siedlungen in der Zeilenbauwei- "Missing Middle" etabliert (Baca, 2019). se, an (Jacobs, 1992: 71, 105). Solche Diese beziehen sich auf die dort zuDichten, die sich vor allem in hohen meist unterrepräsentierten verdichteten und geschlossenen BlockrandstrukGeschossigkeiten widerspiegelten, turen in 3-5 geschossiger Bauweise, sind schon aus sozialen Aspekten weniaber auch verdichteten Reihen- und ger erstrebenswert. So spricht Jan Gehl Townhaustypologien mit 2-3 Geschosvon menschlichen Sinneswahrnehsen. Sie stellen sowohl aus sozialräummungen, dem menschlichen Maßstab lichen Erwägungen, als auch ökolound der Entkopplung von Gebäudehö- gischen und verkehrlichen Aspekten hen jenseits von 6 Geschossen mit der sinnvolle urbane Strukturen mit ausreiStadt (Gehl, 2015: 55f.). Jacobs sieht chenden baulichen Dichten dar und die damals üblichen Großstrukturen als spiegeln auch baulich den von Gehl eigene Stadt in der Stadt, mit eigenen geforderten menschlichen Maßstab ausgiebigen Erschließungssystemen, wieder (s. Abb. 34-37). welche sie als Straßen, oder aufgrund ihrer Anonymität als öffentliche Räume Als einen weiteren Aspekt der urbanen im Gebäude sehr kritisch sieht (Jacobs, Dichte ist die gestalterische Dichte zu 1992: 41f.). Auch die fehlende soziale nennen. Hiermit ist sowohl eine gestal0

Erdgas

Biomasse

Strom

Erdgas

Biomasse

Strom

Erdgas

Biomasse

Strom

Abb. 34: Missing Middle Housing (Opticos Design)

46


Urbane Dichte

terische Vielfalt, als auch das architektonische Eingehen auf umgebende städtebaulichen Strukturen, also die “guten Manieren” der Architektur im Stadtkontext gemeint (Edwards, 1924) (s. Kap 4.1). So sieht eine gestalterische Dichte Architekturen vor, die auf die Ansprüche der Stadt Antworten gibt. Sie legt etwa in zentralen Lagen und wichtigen Achsen hohe Maßstäbe an die Ausgestaltung der Fassaden, aber lässt auch in den Rückräumen der Stadt eine Flexibilität für unterschiedliche Raumansprüche und Nutzungszusammenhänge zu. Mit diesen Rückräumen sind vor allem Innenhöfe, weniger frequentierte Straßen und Randlagen gemeint. Dies lässt sich auf der einen Seite auch auf die fußläufig attraktiven “langsamen” Bereiche der Stadt übertragen, in denen detailreiche Architekturen im menschlichen Maßstab umso wichtiger sind. Auf der anderen Seite können in den “schnelleren” Bereichen der Stadt - den Hauptverkehrsachsen vor allem Gebäude mit größeren Raumansprüchen geplant werden. Auf der Maßstabsebene des Quartiers stellt Andreas Feldtkeller fest, dass es „ohne Dichte (…) keine soziale und ökonomische Vielfalt (gibt), die die notwendige Vorbedingung für lebendige Stadtquartiere ist“ (Feldtkeller 2001: 10). Hiermit spricht er neben der baulichen Dichte auf die soziale Dichte, oder auch Belegungsdichte an. Diese synonym verwendeten Begriffe zeigen die Abhängigkeit von Bebauungsdichte und ihrer tatsächlich immer geringer werdenden Ausnutzungsgrade auf. Diesen Trend belegen Zahlen des Statischen Landesamts von Baden Württemberg (s. Abb. 38). Ein weiteres flächenmäßiges Wachs-

Abb. 35: Gentle Density: Geschosswohnungsbau mit aktiven Erdgeschoss in Venlo (Eigene Darstellung)

Abb. 36: Gentle Density: Einfamilienhäuser als Townhouses auf Java Island, Amsterdam (Eigene Darstellung)

Abb. 37: Gentle Density: Einfamilienhäuser als Townhouses in Boddenkamp, Enschede (Eigene Darstellung)

47


Quartiere und Urbanitäten

tum von Städten und vor allem auch ländlichen Regionen, bei gleichzeitig nahezu stagnierenden Bevölkerungszahlen in Deutschland scheint immer weniger vertretbar. Dies spiegelt je-

Person je Wohnung

Einwohner/ Wohnungen in Millionen

sonst fordert der Stadtplaner Daniel Fuhrhop etwas provokant das Bauen zu verbieten (Fuhrhop, 2015). Neben dieser rechtlich wenig realistischen Forderung zeigen aber auch Ansätze des bedachten Bauens im Bestand die Möglichkeiten eines Umdenkens in der ENTWICKLUNG DER BELEGUNGSDICHTEN NACH WOHNUNGSBESTAND Stadtplanung auf (BBSK, in Baden Württemberg von 1950-2015 2018a). Die Bundesstif5 12 Mio tung Baukultur fasst dabei eine Reihe an Instrumen9,6 Mio 4 ten der Innenentwicklung zusammen, welche bald3 7,2 Mio möglichst etabliert, weiterentwickelt und recht2 4,8 Mio lich verankert eine planerische und rechtli2,4 Mio 1 che Ausgestaltung des Grundsatzes zum Vorrang 0 0 der Innenentwicklung des 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 (2020) Baugesetzbuches darstelEinwohner Wohnungsbestand Person je Wohnung len können (ebd.) (BBSK, 2018b)(§ 1a Abs.2 BauGB) Abb. 38: Entwicklung von Belegungsdichten in Baden Württemberg (Eigene Darstellung nach Statistik-BW 2019) (s. Abb. 39). doch, wie ein Blick auf übererfüllte Baubedarfe aufgrund hoher Bauaktivität in ländlichen Räumen, bei gleichzeitigen hohen Baubedarfen in vielen Großstädten zeigt, die Praxis eher weniger wieder (BSBK, 2018a: 31). Es wohnen also immer mehr Menschen in immer größeren Wohnungen, beziehungsweise immer weniger Menschen in jeweils einer Wohnung. Dies hat neben möglichen negativen sozialen Auswirkungen der Singularisierung (s. Kap. 2.2), welche sich nur theoretisch ableiten lassen, durch zunehmende Flächen- und Ressourcenverbräuche, vor allem auch negative Auswirkungen auf Belange der ökologischen Nachhaltigkeit (s. Kap. 2.3). Nicht um48

Auch Überlegungen zu Mehrfachnutzungen gewerblicher Flächen sind als nachhaltige Konzepte einer effektiveren Ausnutzung der Stadt zu sehen (s. Kap. 3.1.1). So beleben etwa Ladenlokale welche tagsüber als Cafe und Botique genutzt werden und sich in den Abendstunden in eine Bar verwandeln die Stadt. Solche Konzepte gilt es in einer gewissenhaften Abwägung unterschiedlicher Interessen und in Stärkung von Synergien zwischen unterschiedlichen Nutzungen weiterzuentwickeln und zu fördern (s. Abb. 40) Hohe urbane Dichten, bestehend aus baulichen und sozialen Dichten bringen außerdem Vorteile in der Mobilität mit sich. Durch ein “Zusammenrücken”


Urbane Dichte

INSTRUMENTE INSTRUMENTE DER DER INNENENTWICKLUNG INNENENTWICKLUNG BAULICH BAULICH Restflächen Restflächen mit Mut, Instrumenten

mit Mut, Instrumenten zur Aktivierung verborgener, zur Aktivierung verborgener, vermeintl. blockierter Potentiale vermeintl. blockierter Potentiale

INSTITUTIONELL INSTITUTIONELL Kommunaler Grundsatzbeschluss Kommunaler zum Vorrang undGrundsatzbeschluss als Bekenntnis zur

Umbau Umbau bei wechselnden

zum Vorrang und als Bekenntnis zur Innenentwicklung Innenentwicklung

bei wechselnden Nutzungsansprüchen Nutzungsansprüchen

Flächenkataster Flächenkataster als kontinuierlich erweiterte

Aufstockung Aufstockung zur besseren Ausnutzung Lückenschluss Lückenschluss in einer gelungen Mischung

in einer gelungen Mischung aus Alt und Neu, zur Ergänzung aus und Neu,des zur Ergänzung von Alt Funktionen, Ortsbilds von Funktionen, des Ortsbilds

zur besseren Ausnutzung v.a.a. Integration von v.a.a. Integration von Einzelhandelssolitären Einzelhandelssolitären

als kontinuierlich erweiterte Datengrundlage zu bestehenden Datengrundlage zu bestehenden Potentialen unterschiedlichster Art Potentialen unterschiedlichster Art

Standortmanagement Standortmanagement als Instrument und Antwort auf den

als Instrument Antwort auf den Grundsatz derund Innenentwicklung. Grundsatz Innenentwicklung. Kontakt mitder Eigentümern, Hindernisse Kontakt mit Eigentümern, Hindernisse ausfindig machen, Potentiale aktivieren ausfindig machen, Potentiale aktivieren

Förderprogramme Förderprogramme als Grundlage einer aktiven

Konversion Konversion großer Industrienflächen Weiternutzung Weiternutzung zur Bestandssicherung,

großer Industrienflächen zu modernen gemischten zu modernen gemischten Quartieren Quartieren

zur Bestandssicherung, durch neue Ideen, Konzepte durch neue Ideen, Konzepte

Ersatzneubau Ersatzneubau bei maroder BauErweitung | Anbau Erweitung Anbau durch Weiter-,|Umnutzung

durch Weiter-, Kombinationen Umnutzung mit spannden mit Kombinationen aus spannden Neu und Alt aus Neu und Alt

bei maroder Bausubstanz substanz

Folgekostenrechner Folgekostenrechner zur Ermittlung des Baubedarfs,

als GrundlageFlächenpolitik einer aktiven kommunalen kommunalen Flächenpolitik

zur Ermittlung des Baubedarfs, etwa zu entstehenden Erschließungsetwa Erschließungskostenzuimentstehenden Außenbereich, u.a. kosten im Außenbereich, u.a.

Bauberatung Bauberatung mit Hinweisen zu Möglichkeiten mit Hinweisen für das Bauen zu im Möglichkeiten Bestand für das Bauen im Bestand

Interkommunale Zusammenarbeit Interkommunale Zusammenarbeit zur Koordination kommunalen Handelns und

zur Koordination Handelns und Vermeidung sichkommunalen wiedersprechender Maßnahmen Vermeidung sich wiedersprechender Maßnahmen

Abb. 39: Instrumente der Innenentwicklung (Eigene Darstellung, nach BSBK, 2018b)

Abb. 40: Mehrfachnutzung im Bunk Hotel (Eigene Darstellung)

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Quartiere und Urbanitäten

werden alltägliche Wege verkürzt und nachhaltige Mobilitätsformen des Umweltverbunds gestärkt. Wie aber Christian Holz-Rau in seiner Studie zu Verkehr und Siedlungsstruktur feststellt, schaffen "kompakte und gemischte Siedlungsstrukturen (…) nur die Möglichkeit zu einem verkehrssparenden Verhalten" (Holz-Rau, 2001: 271). Es kommen zahlreiche weitere maßgebliche Pushund Pull-Faktoren, wie City-Mauts, die Beschränkung des Parkplatzangebots für den motorisierten Individualverkehr (MIV), Geschwindigkeitsbegrenzungen, oder auf der anderen Seite der Ausbau von Mobilitätsinfrastrukturen des Umweltverbunds hinzu. Dennoch ist eine höhere Affinität zum MIV auf Grund schlechterer Abdeckungen durch den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und größerer Distanzen in aufgelockerten Siedlungsstrukturen offensichtlich. Monofunktionale, monotone und aufgelockerte Siedlungsformen, sind neben ökologischen auch aus demographischen Gründen nicht erstrebenswert. So haben schon heute vor allem Einfamilienhausquartiere der 1960er bis 1980er Jahre mit Überalte-

rung zu kämpfen (Zakrzewski, 2011: 47) (Schnur, 2008: 340). Eine Studie im Raum Köln stellt zudem fest, dass im untersuchten suburbanen Gebiet für knapp 52% der Bewohner eine Diskrepanz zwischen tatsächlichen Wohnstandort und ihrer Wohnstandortpräferenz besteht (Jarass, 2012: 104)* . Es stellt sich also die Frage, wie diese Bestände weiterhin in Zukunft erhalten und genutzt werden können. Auf der einen Seite realisieren vor allem junge Familien weiterhin ihren Traum vom Eigenheim als Neubau, auf der anderen Seite sind 30-40 Jahre alte Einfamilienhäuser Jahren untergenutzt* , oder stehen sogar leer (Henger, 2019b: 23). Die Entwicklung von Quartiersstrukturen in denen ihre Bewohner über verschiedene Lebensphasen hinweg im gleichen sozialen Umfeld in unterschiedlichen, ihren Bedürfnissen angepassten Wohntypologien wohnen können, muss ein Ansatz sein, solchen Fragen zu begegnen. 1

2

1

* Beispiel hierfür sind in etwa das zu Groß gewordene und im Grundriss unflexible Einfamilienhaus nach Auszug der Kinder, und das geringe Angebot an altersgerechten, barrierefreien Wohnungen im gewünschten, oftmal bestehenden, aber auch eigenständtig erlaufbaren Wohnumfeldern. 2

* Der Begriff der Unternutzung beschreibt in der Planung - oftmals im Zusammenhang der Innenentwicklung - Grundstücke, welche in ihrem Raumzusammenhang und ihrer Lage nach einer unverhältnismäßigen Nutzung zukommen, oder brach liegen. Auch Grundstücke die in ihrer Größe/ Erschließungssituation eine weitere Bebauung/ Nutzung ermöglichen können vor dem Hintergrund bestehender gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Leitbilder als untergenutzt klassifiziert werden. (UBA, 2017)

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Best Practice

HAUSAUFGABEN MÜNSTERLAND Die Werkstattreihe "Hausaufgaben" der Regionale 2016 bietet eine Plattform zu einem Dialog über Potentiale, Chancen und Perspektiven für die Weiterentwicklung älterer Einfamilienhausgebiete. Es steht der Slogan "Innen Leben - Neue Qualitäten entwickeln" im Mittelpunkt, wobei sich sowohl mit den Qualitäten, aber auch Problemen von Einfamilienhausgebieten im suburbanen Raum auseinandergesetzt wird. Da in diesen Bereichen der Stadt der Privatbesitz im Mittelpunkt steht und hiermit oftmals emotiona-

Abb. 42: Screenshot www.hausaufgaben.ms

Abb. 41: Screenshot www.hausaufgaben.ms

le Beziehungen und Lebenswerke Workshops und andere neue entwickelte Beteiligungsformate (s. Kap. 3.3.3), Veränderungen gemeinsam mit den Eigentümern anzustoßen. Hierbei wird auf sich verändernde Ansprüche an ein zeitgemäßes Wohnen und neue Lebens- und Familienmodelle angesetzt. In einer Denkweise über den Gartenzaun hinaus und in neuen, über das Quartier gedachten Modellen können so nachhaltige Lebensumwelten für die Bewohner und neu Zuziehende geschaffen werden.

Abb. 43: Screenshot www.hausaufgaben.ms

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NT NG TS

Theorie

UNTERSCHIEDLICHSTE WOHNTYPOLOGIEN FÜR WECHSELNE LEBENSPHASEN SINGLE APARTMENT STUDENTENWOHNUNG MIKROAPARTMENTS SINGLE APARTMENT STUDENTENWOHNUNG MIKROAPARTMENTS

WG & WOHNUNG CO HOUSING ZU ZWEIT

WG & WOHNUNG CO HOUSING ZU ZWEIT

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CO HOUSING SCHAFTSWOHNUNG ENERATIONENHAUS Abb. 44: Stadthäuser in Amsterdam (Eigene Darstellung)

Abb. 45: Studentenwohnungen München Olympiapark (Eigene Darstellung)

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SINGLE APARTMENT WG & WOHNUNG DIVERSER WOHNFORMEN WOHNUNG SINGLE STUDENTENWOHNUNG Abb. 47: Stadthäuser Berlin (Eigene CO HOUSING ZU Darstellung) ZWEIT FÜR FAMILIEN Abb. 50: Heterogene ZU ZWEIT WohnforAPARTMENT MIKROAPARTMENTS men (Stadt Tübingen)

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Abb. 46: Stadthäuser Enschede (Eigene Darstellung)

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Abb. 49: Co-Housing Kalkbreite Zürich (Eigene Darstellung)

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Abb. 48: Wohnungsbaugenossenschaft Spreefled, Berlin (Eigene Darstellung)

SIN APA


Urbane Mischung

URBANE MISCHUNG Diese These unterstützt auch Jacobs, die auf den Wert heterogener Stadtteile, bestehend aus unterschiedlichen Gebäudetypologien eingeht (Jacobs, 1992: 139). Hiermit bezieht sie sich auf unterschiedliche Wohnformen für unterschiedliche Lebenslagen, bei gleichzeitigem Erhalt des sozialräumlichen Umfelds und der Nachbarschaft (ebd.) (s. Abb. 44-48) Hiermit spielt sie auf den ersten Aspekt der urbanen Mischung, nämlich der typologischen Durchmischung verschiedener Gebäudeformen, vom Townhouse, über den Geschosswohnungsbau bis hin zu anderen (experimentellen) Wohnformen an (u.a.). Neben dieser Form der urbanen Mischung, sollten sozial und ökologisch tragfähige urbane Strukturen auch Gebäude unterschiedlichen Alters aufweisen und die gebaute Umwelt möglichst erhalten und gepflegt werden. Die Altersdurchmischung von Neubauten, über ältere Bestände, bis hin zu historisch wertvollen Denkmälern ist somit ein weiterer zentraler Bestandteil der urbanen Mischung und ein zentraler Beitrag zur Nachhaltigkeit der gebauten Stadt mit ihren Häuser. So argumentiert Lampugnani, dass es einer radikalen Aktualisierung braurechtlicher und steuerlicher Mechanismen und einer neuen Baukultur in der Stadtplanung bedarf (Lampugnani, 2019). Im Zusammenhang ökologischer Nachhaltigkeit in Architektur und Stadtplanung fordert er: "Nur dauerhafte, dichte und notwendige Architektur kann in der Klimakrise bestehen. Mit langlebigen Häusern

URBANE MISCHUNG TYPOLOGISCHE MISCHUNG

ALTERSDURCHMISCHUNG

SOZIALE MISCHUNG

NUTZUNGSMISCHUNG

Abb. 51: Aspekte Urbaner Mischung (Eigene Darstellung)

würdigen Städtebauer nicht nur die Traditionen der Vergangenheit. Vielmehr zeigen sie mit solchen Bauten Respekt für die kommenden Generationen" (Lampugnani, 2019). Zunächst kritisiert Lampugnani hierzu im ersten Teil seines Artikels die, auf Grund ökonomischer Gesichtspunkte und durch Einsparungen getriebene Kurzlebigkeit heutiger Architekturen: "Einwandfrei erhaltene, ganz und gar brauchbare und oft auch schöne Häuser werden abgerissen, um mit Ersatzneubauten, wie sie verschämt genannt werden, ein paar Quadratmeter mehr auf dem gleichen Grundstück zu realisieren – und damit mehr Rendite." (Lampugnani, 2019)

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Quartiere und Urbanitäten

als auch auf Objektebene einen Grundstein für die Denkmale von Morgen legen” kann (BSBK, 2018a: 87) (s. Abb. 52). In diesem Sinne beschreibt Sonne die schon zuvor unter Aspekten urbaner Dichten untersuchten Typologien der Moderne, bestehend aus Punkthochhäuser und anderen Großstrukturen, als Dinosaurier, da es ihnen aufgrund ihrer Größe an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für sich verändernde geAbb. 52: New York City: Manhattan - Zusammenspiel sellschaftliche Bedürfnisse fehlt aus Alt und Neu (Eigene Darstellung) (Sonne, 2020: 64). Heute sucht Der Baukulturbericht 2018/2019 bestäman nach neuen Ideen diese tigt diesen Bezug auf die Wirtschaft- zu revitalisieren. Denn auch hier gilt es lichkeit und somit Schnelllebigkeit ver- das kulturelle Erbe seiner Zeit zu beschiedener Gebäudetypologien, von wahren und die Stärken dieser TypoloWohn- und Geschäftsgebäuden (BSBK, gien, wie auch ihre Schwächen zu er2018a: 41). Im Spannungsfeld zwischen kennen und weiterzuentwickeln. Bodenpreisen und dem Spekulationsgegenstand Boden auf der einen Sei- Den Grundsatz einer Baukultur der Erte und baukulturellen Überlegungen haltung und Neuinterpretation untermit Instrumenten des Denkmal- und stützt auch Jacobs, in dem sie arguBestandsschutz auf der anderen, ste- mentiert, dass eine Stadt immer aus hen sich verschiedene Interessen und einem heterogenen Mix an alten und Akteure in der Stadt gegenüber. Der neuen Gebäuden bestehen muss (JaLebenszyklus eines Gebäudes ist dabei cobs, 1992:187f.). Dabei betont sie immer im Kreislauf von Planung, über die Rolle von alten Gebäuden unterden Bau, bis zur Nutzung, Umnutzung schiedlichsten Sanierungszustands und und dem endgültigen Abriss zu sehen hebt heraus, dass neue Ideen alte Ge(ebd.). Lampugnani fordert hierzu die bäude brauchen, während alte Ideen Lebensdauer von Gebäuden durch teilweise auf neue Gebäude zurückAnpassungen an neue Bedürfnisse greifen können und müssen (Jacobs, und durch Reparatur, Umbau und 1992: 187f.). Diese fundierte Erkenntnis Weiterbau zu verlängern (Lampugna- lässt sich in erster Linie auf gewerbliche ni, 2019). Dabei wird das baukulturel- Nutzungen und die Bedeutung gerinle Erbe erhalten und weitergeführt. So ger Mieten für Start-ups, Entrepreneuwird auch im Baukulturbericht argu- re und Kreative beziehen, kann aber mentiert, dass "das Weiterbauen von in gewisser Weise für alle Nutzungen Bestandsgebäuden sowie das erkenn- - auch des Wohnens - als Gedankenbare Zusammenführen verschiedener ansatz der Planung dienen. Vor allem Zeitschichten (…) sowohl im Quartier die Rolle von Kreativen in sozial schwa54


Best Practice

UMGANG MIT DEN DINOSAURIERN Auch heute entwerfen Architekturbüros wie BIG, oder MVRDV Großstrukturen des Wohnens - häufig unter Einbringung geringer Gewerbeanteile. Sie gehen dabei in bewusster Art und Weise mit den Erschließungen ihrer Wohnungen um und sehen die Treppenhäuser und Erschließungskorridore als öffentlichen Raum. So wird die Erschließung der einzelnen Wohnungen des von Bjarke Ingels

entworfenen "8 House" (8 Tallet) in Kopenhagen durch Treppen und Rampen an der Fassade realisiert. Diese öffentlich begehbaren Teile des Hauses selbst lassen sich ohne weiteres als vertikale Straßen bezeichnen und machen einen Zugang über "Vorgärten", bzw Terrassen auch für die oberen Geschosse möglich.

Abb. 53: 8 House Kopenhagen (Marie Menne)

Auch das von MVRDV entworfene Mirador Haus verlegt die Erschließungskerne in den Freiraum (rot). Das Konzept dieses Hauses sieht die Rotation des städtischen Blocks in die Vertikale vor. Dieser formuliert einen Innenhof im 14 Stockwerk aus und verbindet hier unterschiedliche Erschließungskerne. Beide Konzepte zeigen schlüssige Ideen zur Behebung der von Jacobs geschilderten Probleme auf (s. Kap. 3.3.2, obwohl das Projekt von Big über die Ausformulierung weiter gedachter Laubengänge mit halbprivaten Vorzonen eine bessere Lösung zur Gestaltung der Schnittstellen zwischen öffentlichen und privaten Räumen liefert. Dennoch ist fraglich ob diese Form des Bauens die Antworten auf Fragen des Städtebaus liefern kann, oder ob sie nicht vielmehr Einzelbausteine in einer weiterhin vornehmlich horizontalen Stadt im menschlichen Maßstab darstellen.

Abb. 54: 8 House Kopenhagen (Marie Menne)

Abb. 55: Mirador (Alexander Stübner)

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Quartiere und Urbanitäten

chen Gebieten mit Sanierungsstaus und anderen Problemen wurde in den letzten Jahren durch viele Städte und Planer aufgegriffen (Florida, 2002: 67 ). So wurden diese Gruppen als zentrale

Akteure für die Revitalisierung solcher Quartiere ausgemacht, obwohl dies als singulärer Ansatz sicherlich zu hinterfragen ist (Wainwright, 2017).

"Bei der Weiterentwicklung gebauter Strukturen sind bestehende Qualitäten zu erkennen, wertzuschätzen und zu pflegen. Umbaukultur geht über die rein ökonomische Bewertung hinaus und beinhaltet gesamtgesellschaftliche und ökologische Interessen. Qualifizierte Handwerkstechniken, nachhaltige Baustoffe und flexible Lösungen sichern baukulturelle Werte, von kleinen Umbaumaßnahmen über energetische Sanierungen bis hin zu stadtverträglichen Neubauten." (BSBK, 2018a: 140) "Gleichermassen revisionsbedürftig ist die Haltung der Gesellschaft und des Berufsstands gegenüber der Wiederverwendung von alter Bausubstanz: Sie gilt gemeinhin als zweitbeste Lösung gegenüber einem Neubau und als unliebsame Pflichtübung. Dabei hat der Umgang mit bestehendem in Architektur und Städtebau brillante historische Vorbilder." (Lampugnani, 2019) Allgemein ist es also in einer integrierten Abwägung unterschiedlichster sozialer, ökologischer und ökonomischer Belange von zentraler Bedeutung, eine Umbaukultur zu etablieren und dabei den Ressourcenverbrauch in der Baubranche zu verringern. In einer gewachsenen Stadt ist es essentiell in ihren Quartieren einen Mix aus alten, mittelalten und jungen Gebäuden für unterschiedlichste Nutzergruppen und Einkommen zu integrieren und damit die Grundlage für eine heterogene Bewohnerschaft zu schaffen (BSBK, 2018a: 140). So spielt auch die soziale Mischung eine wichtige Rolle in der Stadt. Diese steht im engen Zusammenhang mit den gebauten Strukturen, ihren Typologien und Altersklassen. So können sich in durchmischten Quartieren mit Gebäuden unterschiedlichen Alters und den sich daraus ergebenden un56

terschiedlichen Sanierungs- und Gebäudestandards, in kleinräumigen Beziehungen differenzierte Mietpreise ergeben. Ein solcher Mechanismus und Instrumente zur Erhaltung von Gebäuden kann sich somit nicht nur positiv auf ökologische Belange auswirken, sondern führt auch implizit zu sozial integrierten Quartieren (Jacobs, 1992: 194, 199) In diesem Zusammenhang können auch Gentrifizierungsprozesse, welche neue Ideen und Nutzungen in die Quartiere bringen - je nach Definition des Begriffs - zunächst einmal Stadtteile aufwerten. Hier ist es aber essentiell Verdrängungs- und allgemeiner Segregationsprozesse und die damit einhergehenden möglichen sozialen Zerwürfnisse zwischen verschiedenen Quartieren und ihren Bewohnern zu vermeiden, ohne sich dabei jeglichen planerischen Ideen und Aufwertungs-


Urbane Mischung

prozessen zu verwehren (Eckhardt, 2018: 21f.) (Wainwright, 2017) (s. Kap. 2.2). Dazu bedarf es mitunter, je nach Lage des Quartiers, einer Abwägung (hoheitlicher) Eingriffe und deren Instrumente. Vor allem bei städtebaulichen Großprojekten und der Neuentwicklung ganzer Stadtteile, welche im Kern aus neuen Gebäuden bestehen ist schon in der Entwicklung zentral darauf zu achten, Bestände möglichst lange zu erhalten, mitunter zwischen zu nutzen und mitunter andere Instrumente zur Schaffung sozial verträglichen Wohnraums zu etablieren. Einer weiterer wesentlicher, wenn nicht sogar der wesentlichste Bestandteil der lebenswerten und nachhaltigen Stadt ist die Nutzungsmischung. Sie stellt vor dem Hintergrund integrierter Stadträume einen zentralen Aspekt heutiger wissenschaftlicher Auseinandersetzung dar und wird von vielen Seiten gefordert (Feldtkeller, 2001: 10) (Roskamm, 2013: 11f.). So setzt Andreas Feldtkeller den Terminus der funktionellen Durchmischung mit dem Urbanen gleich (Berding, 2020: 28). In der Praxis stellt sich dies jedoch, wie schon aus den vorherigen Kapitel deutlich wurde, häufig anders dar (s. Abb. 17). Der hohe Bestand an monofunktionalen und meist aufgelockertere Stadtteilen der letzten Jahrzehnte lässt sich neben den damaligen stadtplanerischen Leitbildern und Instrumenten auch unter gesellschaftlichen Aspekten fassen, auf die diese fußten. So stehen bis

heute häufig wirtschaftliche Aspekte und Gewinnmaximierung im Rahmen von Skalenerträgen im Fokus, welche serielles Bauen und monostrukturelle, wenig nachhaltige und unbeständige Architekturen attraktiv machte und immer noch macht. Zum anderen spiegelte auch eine hohe Nachfrage nach dem "Eigenheim im Grünen", gefördert durch Subventionen wie die Pendlerpauschale, ohne Erwägungen der ökologischen Auswirkungen dieser Lebensweise diesen Trend wider (Hellweg, 2019). Dies verlangt ein neues Stadt-Land-Verhältnis, auf das die Stärkung des urbanen Quartiers mit seinen unterschiedlichen Bausteinen auch im suburbanen Kontext Antworten geben kann*. Gleichzeitig fasst der amerikanische Urbanist Jeff Speck den Zeitgeist dieser Jahre treffend mit einem Vergleich im TV-Konsum zusammen. Während in den 1970er-1990er Jahren Serien, die einen Fokus auf die Familie und suburbane Lebensweise legte, im Fokus standen, sind es heute Sitcoms wie "Friends", "Seinfeld", oder "How I met your mother" die den urbanen Lebensstil widerspiegeln (Speck, 2013: 21). Dies gibt einen Hinweis auf neue Denkweisen und Lebensmodelle, die es gilt aus stadtplanerischer Sicht und Expertise aufzunehmen, weiter zu etablieren und in ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis für Stadt und die Qualitäten ihrer urbanen Quartiere einzubringen. Hierbei muss es trotz parallel verlaufender Urbanisierungs-,

*In diesem Zusammenhang arbeit das Forschungsprojekt um eine "Neue Suburbanität" der Universität Kassel an Strategien zur nachhaltigen Umgestaltung und Weiterentwicklung suburbaner Räume im Zuge dessen von vielen Stadtplaner die Urbanisierung dieser Stadträume durch Maßnahmen der Innenentwicklung gefordert wird. Auch der Ansatz der städtebaulichen Quartiersentwicklung kann hier in den Mittelpunkt rücken.

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Quartiere und Urbanitäten

planer wie Feldtkeller von kleinteiliger Nutzungsmischung auf Quartiersebene (Feldtkeller 2001: 10). Nur diese verspricht die zuvor genannten Vorteile. Dabei kommt es neben der horizontalen Durchmischung von Gebäude zu Gebäude im Block auch auf die vertikale Durchmischung von Wohnen und Gewerbe innerhalb eines Gebäudes an. Hier steht das aktive Erdgeschoss im Zentrum der Diskussion.

NUTZUNGSMISCHUNG - Eine Frage des Maßstabs

In diesem Zusammenhang zeigt eine Studie der Universität Kassel die Anwesenheit von Personen im öffentlichen Räumen (Passanten, Flanierende, Arbeitende,…) in Abhängigkeit von der Vielzahl von Wirtschaftssektoren in unterschiedlichen Siedlungskategorien und unterstreicht die Relevanz der Nutzungsmischung für die Belebtheit der Stadt (Brandt, 2004: 218f.) (s. Abb. 57). Insbesondere die Anwesenheit von kleinen Ladenlokalen und Nutzungen des Erdgeschoss mit Publikumswirkung haben durchweg positive Auswirkun-

Abb. 56: Maßstäblichkeiten der Durchmischung (Eigene Darstellung)

Suburbanisierungs- und Reurbanisierungstendenzen darum gehen, Stadtteile mit Blick auf die Qualitäten des Quartiers so weiterzuplanen, dass sie den Ansprüchen an eine sozial und ökologisch nachhaltige Stadtentwicklung, aber auch den Ansprüchen und Lebensmodellen ihrer Bewohner gerecht werden. Neben diesen gesellschaftlichen Trends, die sich aus verschiedenen Faktoren ergeben, ist die Nutzungsmischung vor allem aus Nachhaltigkeitsüberlegungen sinnvoll. Allein in der Mobilität führt sie zu diversifizierten Verkehrsströmen mit mehr Chancen für den Umweltverband und entspricht dem Leitbild der Stadt der kurzen Wege (Holzapfel, 2012: 80). Nutzungsmischung ist jedoch auch immer eine Frage des Maßstabs (s. Abb. 56). Nicht ohne Grund sprechen Stadt-

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KURZE WEGE - VIELFALT DER WIRTSCHAFTSSEKTOREN UND ANWESENHEIT VON MENSCHEN IN VIER SIEDLUNGSKATEGORIEN (Studie im Rahmen des EVALO Endberichts)

118 4

88 3

80

2

1

24

Innerstädt. Mischgebiet

(überwiegend geschlossene Bauweise)

Mischgebiet

(überwiegend Geschossbau)

Zeilenbau-Siedlung

Einfamilienhaus-Siedlung

Einzelhandel

Dienstleistungen

Dienstleistungen

Kleinflächiges Gewerbe

Gastgewerbe

Öffentl. Einrichtungen

Bürgerschaftl. Einrichtung

Kultureinrichtungen

(viel Kundenverkehr)

(wenig Kundenverkehr)

(Handwerk, Manufaktur,...)

Anwesenheit (von Personen)

Abb. 57: Anwesenheit von Menschen nach Durchmischungsgrad (Eigene Darstellung nach Brandt, 2014: 219)


Urbane Mischung

gen auf die sozialräumlichen Qualitäten der Stadt (s.a. Kap. 3.3.2) (" Diversität, Interaktionen) Die Urbane Mischung in seinen verschiedenen Ausprägungen, sowie angemessene urbane Dichten auf Quartiersebene, führen in einer sorgsamen Abwägung und Ausbildung unterschiedlicher kleinräumiger Zentralitäten, zu unterschiedlichen Ausprägungen urbaner Qualität und Diversität. So bringen ausreichend diverse Wohnnutzungen, in sonst oft auf den Konsum ausgerichteten Innenstädten, neue Qualitäten und eine Belebung dieser auch an Sonntagen oder nach

Ladenschluss mit sich. Auf der anderen Seite führen räumlich-gestalterische Abwägungen urbaner Mischung auch zu einer Vielzahl an heterogenen, kommerziell-gewerblichen (Publikums-) nutzungen und fußläufig erreichbaren Versorgungsfunktionen in sonst monofunktional, auf das Wohnen ausgerichteten Teilen der Stadt. Dies sind jedoch nicht die einzigen Elemente, die urbane Quartiere und dessen Qualitäten ausmachen. Weitere sollen später in einer Erschließung unterschiedlicher Handlungsfelder diskutiert werden (s. Kap. 4).

DAS AKTIVE ERDGESCHOSS ALS ZENTRALER BAUSTEIN URBANER QUALITÄT

Abb. 58: Haarlem (Chris Bruntlett)

Abb. 60: Tübingen (Stadt Tübingen)

Abb. 59: Hengelo (Eigene Darstellung)

Abb. 61: Delden (Eigene Darstellung)

59


Quartiere und Urbanitäten

3.3.2. DIMENSION 2: URBANE KONTAKTE - INTERAKTIONEN Schon in den Betrachtungen der letzten Kapitel hat sich herausgestellt, dass sich soziale Kontakte und Interaktionen in verschiedener Weise positiv auf das subjektive Wohlbefinden auswirken (s. Kap. 2.1). Die zuvor gewonnen Erkenntnisse haben auch viel mit gesellschaftlichen Ansprüchen, oder auch allgemeiner mit Wohlstand zu tun. Helliwell stellt hierzu die These auf, dass das subjektive Wohlbefinden immer in einem Vergleich mit den Mitmenschen in der Nachbarschaft, Freundeskreis oder im gesellschaftlichen Umfeld stattfindet (Helliwell, 2003: 333). Auch die Einordnung des Begriffs als eine subjektive Entität stellt den Charakter des in vielerlei Hinsicht sozial-, und umweltpsychologischen Forschungsfeldes dar. Zwar sind die Form, wie und wo man wohnt, wie viel Zeit man im öffentlichen Raum verbringt, wie man mobil ist und auch welche Formen des Kontakts man wertschätzt individuell. Allgemein sind die Faktoren, die zum subjektiven Wohlbefinden beitragen individuell. Dennoch ist es wissenschaftlich anerkannt und durch Studien belegt, dass Menschen verschiedenste Formen des Kontakts suchen und soziale Wesen sind (Palmore, 1972: 70, 74) (Helliwell, 2004). Es kann auch nicht abgestritten werden, dass eine Vielzahl der Faktoren des Sozialkapitals durchweg objektiv und quantifizierbar sind (s. Kap. 2.1). Aus ihnen lassen sich räumlich-architektonische Schlüsse zur Planung unserer Städte und Quartiere ableiten. Hierzu ist ein Verständnis der Arbeiten von Jan Gehl und Jane Jacobs hilfreich. In ihren Untersuchungen erkennen sie die Bedeutung unterschiedlicher Formen des Kontakts im sozialen

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Geflecht der Stadt und kommen zu sehr ähnlichen Ergebnissen.

JANE JACOBS - TOGETHERNESS OR NOTHING Die Ausführungen Jacobs zur sozialen Kontakten in der Stadt gehen mit ihren Analysen zu den monofunktionalen "Projects" aus Großwohn- und Einfamilienhaussiedlungen des frühen 20. Jahrhunderts in den USA einher. Unter dem Aspekt "togetherness-or-nothing" kritisiert sie an anhand verschiedenster Beispiele und zu einer Vielzahl stadtplanerischer Themen die sozialen Folgen des modernistischen Städtebaus ihrer Zeit (Jacobs, 1992: 4, 23, 42). Mit "togetherness-or-nothing" meint Jacobs, dass solche Stadtteile nur eine Form des Kontakts zulassen, die des freundschaftlich-familiären. So kritisiert sie "Projects", wie Stuyvesant Town in Manhattan (s. Abb. 62), welche zwar als sozialer Wohnungsbau den Wohnbedarf für breite Bevölkerungsschichten decken sollten, auf Grundlage einer Vielzahl sozialräumlicher, aber auch funktionell-baulicher Faktoren ihren gesteckten Ansprüchen nicht gerecht wurden (Jacobs, 1992: 63, 73).

Abb. 62: Stuyvesants Town New York (Alec Jordan)


Urbane Kontakte

Diese Projekte haben es aufgrund ih- Fremden, in einer sozial unvollständig rer Bauform, ihrer Maßstäblichkeit und integrierten Stadt, in der der Fußgänihres Umgangs mit dem öffentlichen ger im Mittelpunkt steht (s. Kap. 3.2.1) Raum als Schnittstelle zum Haus nicht verstanden, ihre Bewohner durch un- Eine Stadt muss also in der Lage sein terschwellige Kontakte zusammen- Fremde aufzunehmen. In diesem Zuzubringen (Jacobs, 1992: 4) (s. Kap. sammenhang hebt Jacobs die Rolle 3.1.5). Hierzu sei auch auf die Rolle gefühlter Sicherheit in der Stadt herdes Bürgersteigs als Schnittstelle zum aus und konsterniert: "This is something Gebäude und den heute viel zitier- everyone already knows: A well-used ten aktiven Erdgeschossen verwiesen, city street is apt to be a safe street. A welche Jacobs unter dem Motto "Eyes deserted city street is apt to be unsaon the street" als zentralen Baustein fe" (Jacobs, 1992: 34). Die Fremden einer sozial integrierten Stadt versteht werden also zu dem was die Stadt und (Jacobs, 1992: 54, 35). Die Togetherihre Straßen sicher und damit lebensness-Or-Nothing-Rhetorik meint in diewert macht. Gut geplante, dichte und sem Sinne also, dass solche Formen der modernen Stadt keine Sonntag, 9. Juli 2013 spontanen Kontakte und vor NUTZERDIAGRAMM KANZLEIAREAL - ZÜRICH ZU UNTERSCHIEDLICHEN TAGESZEITEN allem auch keine unterschwelligen soziale Kontrolle erlauben, welche jedoch das Wesen der sozial unvollständig integrierten Sonnenbadene Großstadt ausmacht (ebd.). 1 0 1

Neben diesen mikroräumlichen Aspekten erkennt Jacobs auch, dass planerische Maßnahmen der autogerechten Stadt, in Form von Stadtautobahnen, die soziale Integrität der Stadt zerstörten. Auch die damals üblichen großräumigen Abriss ganzer Quartiere im Zuge der "Slum-Clearings" standen im Widerspruch zur ihren gesteckten Zielen, welche eine Aufwertung dieser benachteiligten Stadtteile vorsahen (Jacobs, 1992: 4). Dies steht auch im Zusammenhang von Fragen urbaner Dichte und urbaner Durchmischung. Sie sind in einer Abwägung städtebaulicher Aspekte die Grundlage für eben solche Kontakte mit

Sportler

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Durchquerende

1 0 1

Familien

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Hundehalter

1 0 1

Spaziergänger

1 0 1

Picknickende

1 0 1

7

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18 Uhr

„Das Areal versammelt unterschiedliche Menschen, Nutzungen und Rythmen“

Abb. 63: Aktivitäten zu unterschiedlichen Tageszeiten (Eigene Darstellung nach Kretz, 2016: 77)

61


Quartiere und Urbanitäten

INTENSITÄT UNTERSCHIEDLICHER KONTAKTE

Kein Kontakt

Passiver Kontakt

Zufälliger Kontakt

Bekannter Unbekannter

Familie, Freunde

Abb. 64: Intensitäten an Kontakten im öffentlichen Raum (Eigene Darstellung nach Gehl, 2015: 11)

nutzungsdurchmischte Städte bilden so, unter dem Leitbild der Stadt der kurzen Wege, die Grundlage viel genutzter, belebter und sicherer Straßen. Hierzu geht Jacobs auch auf die Nutzung dieser aktiven öffentlichen Räumen zu unterschiedlichen Tageszeiten ein und stellt eine Beziehung zur unterschiedlichen Formen der urbanen Durchmischung und Dichte her (s. Abb. 63) (Jacobs, 1992: 96). So kann beispielsweise in einer kleinteiligen Durchmischung verschiedener Wohnformen, etwa durch die Planung städtischer Einfamilienhäuser im Gründerzeitquartier, die Belebung des öffentlichen Raums in den Morgenstunden durch Eltern mit ihren Kleinkindern eher gewährleistet werden, als in einem ausschließlich auf dem Geschosswohnungsbau ausgerichteten Quartier (ebd.). Auch bringen Nutzungen wie Kneipen, und Restaurants nicht nur Lärm mit sich, sondern beleben die Straßen auch in den Abendstunden und sorgen für ein erhöhtes Sicherheitsgefühl zu dieser Zeit.

JAN GEHL - DIVERSITÄT AN KONTAKTEN Neben dem Thema Sicherheit hat sich Jan Gehl, sicherlich inspiriert durch die Erkenntnisse Jacobs, tiefergehend mit 62

unterschiedlichen Formen von Kontakten und Begegnungen in der Stadt beschäftigt. Gehl ging es dabei in seiner frühen Beobachtungen in Zusammenarbeit mit seiner Frau, einer Psychologin, darum den Menschen und seine Sinneswahrnehmungen im Umfeld der Stadt zu verstehen. In "Leben zwischen Häusern" stellt er seine Ergebnisse dar, welche sich auf Raumbeobachtungen historisch gewachsener europäischer Städte, vor allem in Norditalien stützen (Gehl, 2015). Hier erkennt er, im Gegensatz zu Jacobs Befunden zu Stadtteilen der Moderne, eine Vielzahl unterschiedlichster Formen des Kontakts im öffentlichen Raum zwischen hoher und niedriger Intensität von Freundschaften, über Bekanntschaften und zufälligen Kontakten bis hin zu flüchtigen, passiven (Seh- und Hör-) Kontakten (Gehl, 2015:11) (s. Abb. 64). Dabei erhöhen diese unterschiedlichsten Formen des Kontakts in möglichst diversen räumlichen Settings nicht nur das Sicherheitsgefühl sondern eröffnen auch Gelegenheiten bestehende Kontakte aufrecht zu halten, diese auf ein höheres Niveau zu bringen, oder auch ganze neue Freundschaften außerhalb der gewohnten Kreise zu schließen (Gehl, 2015: 12). Daneben geht Gehl auf unterschiedliche Aktivitäten im Freien ein und


Urbane Kontakte

macht notwendige Aktivitäten, wie den Weg zur Arbeit, Schule oder zum Supermarkt, aber auch freiwillige Aktivitäten aus (Gehl, 2015, 5). Diese freiwilligen Aktivitäten, die unterschiedlichste Formen der Erholung, Freizeitgestaltung und des Sporttreibens ausmachen, finden nur in ansprechend gestalteten baulich-räumlichen Umgebungen statt (ebd.). Auf diese räumlichen Aspekte und zur Qualität des öffentlichen Raums, welche Gehl im Rahmen des menschlichen Maßstabs beschreibt, soll im konzeptionellen Teil tiefergehend eingegangen werden. Sie umfassen in jedem Fall Aufenthaltsqualitäten aller Art, Außengastronomien, aber auch attraktive Grünräume. Gehl versteht diese Aktivitäten als zentrale Indikatoren für das Verständnis des städtischen Raums und als Grundlage dessen Gestaltung. Nur notwendige Aktivitäten werden in jedem Fall wahrgenommen. Ergänzende freiwillige Aktivitäten führen jedoch zu einer Zunahme an sozialen Handeln, sowie sozialen Kontakten unterschiedlichster Art und bringen somit eine Belebung des öffentlichen Raums mit sich.

sind also die Orte freiwilliger Aktivitäten die in der Stadt häufig öffentlich, aber auch halböffentlich ihren urbanen Charakter ausmachen. Hier kann man ein Feierabendbier genießen (Kiosk, Kneipe), sich bei einem Haarschnitt und Tee unterhalten (Friseur), oder einfach nur mit Freunden die Sonne genießen (der Stadtpark oder im Stadthafen). Diese dritten Orte sind immer individuell und können vielfältige Charaktere und Nutzungen mit sich bringen. Sie machen neben dem ersten Ort des Wohnens und den zweiten Orten der Arbeit, Räume der Freizeitgestaltung in der Stadt aus (s. Abb. 66). Lebenswerte Städte müssen eine Vielzahl solcher qualitativ hochwertigen und einladenden Orte aufweisen, an denen man gerne seine Zeit verbringt, Gespräche mit Freunden führt, oder sich einfach nur entspannt (u.a.).

THIRD PLACES Zu diesem Aspekt sei auch die Relevanz dritter Orte herausgehoben. Diese Orte freiwilliger Aktivitäten in öffentlichen, aber auch gemeinschaftlichen Räumen beschreibt der Soziologe Ray Oldenburg in "The Great Good Place". Er beschreibt die "raison d'etre" (Daseinsberechtigung) dieser Orte im Kontrast zum Setting des alltäglichen Lebens, oder wie es Gehl ortsungebunden fasst, zu den notwendigen Aktivitäten (Oldenburg, 1989: 22). Es

Abb. 65: Discussing the War in Paris Cafe (Fred

Barnard |Illustrated London News: Sept 1870)

FIRST PLACE SECOND PLACE

Home

Work

THIRD PLACE

Community

Abb. 66: Erster bis Dritter Ort (Eigene Darstellung)

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Quartiere und Urbanitäten

DRITTE ORTE - COMMUNITY PLACES

Abb. 67: Dritter Ort im Café (Owiso Makuku)

Abb. 68: Café de Flore, Paris (Arnaud)

Abb. 70: Am Limmat, Zürich (Eigene Darstellung)

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Abb. 69: Café de Flore, Dublin (Eigene Darstellung)

Abb. 71: Baulücke, Zürich (Eigene Darstellung)


Urbane Kontakte

Je länger sich Menschen an jenen Orten, in Straßen, Plätzen, Parks (u.a.) aufhalten, Zeitung lesen, sich unterhalten, oder nur den Trubel des städtischen Lebens beobachten, desto eher besteht die Möglichkeit jemanden Bekannten zu treffen und ins Gespräch zu kommen. Dies führt dazu, dass sich andere - auch Fremde - am gleichen Ort dazu gesellen oder auch länger bleiben. So stellt Gehl fest, dass schön gestaltete und angenehme Orte im menschlichen Maßstab Menschen anziehen. Hierdurch belebte Orte bringen weitere Nutzer mit sich und dort wo sich Erwachsene aufhalten spielen auch Kinder. An diesen Orten verstärken sich positive soziale Prozesse gegenseitig (Gehl, 2015: 83). Dies spiegeln auch Lampugnanis Erkenntnisse wider. Er argumentiert, dass in suburbanen Räumen und aufgelockerten Teilen der Stadt "soziale Beziehungen in die Privatsphäre verbannt" werden und "das Gemeinschaftliche vernachlässigen" (Lampugnani, 2019). Hier könnte man hinterfragen, warum dies problematisch ist. Auch hier können sich Menschen treffen, im privaten Garten oder über den Gartenzaun hinweg unterhalten. Diese Formen des Kontakts können und sollen sicherlich auch in der Großstadt stattfinden, scheinen jedoch eher das Wesen der Kleinstadt widerzuspiegeln und widersprechen singulär den grundlegenden Tugenden der Großstadt und dem Wesen der Urbanität über alle ihre Epochen. In der Großstadt finden soziale Kontakte somit vor allem in öffentlichen Räumen statt. Hierzu hat Donald Appleyard in seinen Studien zu lebens-

Abb. 72: Appleyard Kontakte im öffentlichen Raum

werten Straßen festgestellt, dass diese Kontakte und Aufenthaltsorte mit der Intensität des MIV kontinuierlich abnehmen. Seine Studien zeigen den Zusammenhang zwischen den dominanten Mobilitätsformen in der Stadt und den Aneignungs- und Kontaktmöglichkeiten im öffentlichen Raum. Sie bringen ein weiteres Argument für eine Verkehrswende, mit einem Fokus auf Mobilitätsformen des Umweltverbunds, mit sich(Appleyard, 1981) (s. Abb. 72). 65


Quartiere und Urbanitäten

3.3.3. DIMENSION 3: TEILHABE UND EMPOWERMENT Dies geht auch auf die dritte Dimension urbaner Quartiere zurück, welche sich auf das zuvor schon zitierte Recht auf Stadt zurückführen lässt (s. Kap. 3.1.2). Im Zusammenhang der offenen Stadt beschreibt der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett in seinem gleichnamigen Buch, dass die Entwicklung von Städten eine enge Zusammenarbeit von Planern und Architekten mit Bewohnern der Stadt einschließt und voraussetzt (Sennett, 2018: 213f.). Eine solche Planung voller Widersprüche und Sackgassen bereichert die Stadt in ihrem demokratischen Kern und damit auch in ihrer Urbanität. Eine wirklich offene Stadt

muss dabei über aktuelle Beteiligungsformate hinausgehen und Bottom-up Bewegungen, Initiativen und neue Ideen unterstützen und fördern. Nicht umsonst sieht Jacobs schon das Quartier und seine urbanen Achsen, mit einer Vielzahl an dritten Orten als integralen Bestandteil kleinräumiger Selbstorganisation (Jacobs, 1992: 114). Funktionierende heterogene Stadtstrukturen mit unterschiedlichen, sich ergänzenden Interessen sowie ein Reichtum an informellem Austausch und Konsensbildung unterschiedlicher Akteure, sind der Nährboden für eine erfolgreiche Stadtgesellschaft. Solche

Abb. 73: Initiative "Dortmund2040" - Aktionen, Austellungen, Workshops (Eigene Darstellung, Tanja Schnittfinke)

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Teilhabe und Empowerment

Quartiere als Räume politischer Selbstorganisation benötigen jedoch kommunale Unterstützung auf Stadtbezirks und gesamtstädtischer Ebene (s. Kap. 3.2) (Berding, 2020: 10). Dafür braucht es, wie zuvor erläutert, die räumlichen Grundlagen, aber auch den städtischen Willen für diese Kultur der Selbstorganisation, begründet durch Eigenverantwortung und Identifikation mit dem eigenen Quartier, der eigenen Straße, oder dem individuellen Wohnumfeld. Eine gute Zusammenarbeit aus Bürgerschaft und Stadtverwaltung scheint essentiell für die Auseinandersetzung und Identifikation möglichst vieler mit ihrem Quartier. Dabei schaffen Planer Anreize zur Beteiligung und Mitarbeit, ohne ihre eigene Expertise außer Acht zu lassen. Vielmehr kann diese in experimentellen und kooperativen Verfahren mit institutionellen Akteuren der Stadt und ihren Bewohnern, deren Eigenverantwortung und Willen zur Mitgestaltung stärken. Es muss darum gehen engagierte Bürger, sogenannte Multiplikatoren, im Quartier zu finden und fachlich zu unterstützen. Dieses Engagement gilt es zu fördern, unterschwellige Anlaufstellen für gemeinwohlorientierte Ideen aus dem Quartier heraus zu entwickeln und dabei Aneignungsunsicherheiten aus dem Weg zu räumen. Auch Experten und Planer vor Ort können mit ihren

Orts- und Fachkenntnissen, im sozialen Gefüge der Stadt Prozesse unterstützen und die Planung bereichern. Dasselbe gilt für gemeinwohlorientierte Initiativen und auch StartUps, welche urbane Projekte in der Stadt voranbringen. Beispiele hierfür sind, institutionell auf Bundesebene die Stadtmacher Akademie des VHW (Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung), die bundesweit Initiativen anleitet und vernetzt, oder die Stadtlücken e.V. in Stuttgart, welche sich als Bottom-Up-

Abb. 74: Stillleben im Kreuzviertel, Dortmund (Eigene Darstellung)

Bewegung aus der Belebung eines ehemaligen Parkplatzes, dem jetzigen Österreicher Platz, heraus lokal entwickelt hat. Solche Projekte bringen Menschen im öffentlichen Raum zusammen, fördern soziale Kontakte und den Austausch untereinander. Sie hel-

*Im "Temporary Urbanism", oder "Tactical Urbanism" geht es um Fragen, wie Städte durch temporäre Interventionen zukunftsorientiert weitergestaltet werden können. Hier sind im Moment im Sinne der Förderung des Radverkehrs "Pop-Up Bike Lanes" in vielen Städten in der Disukussion und Umsetzung. Solche häufig durch Initiativen angestoßene Projekte spiegeln eine aktive Stadtgesellschaft wieder und bringen die Entwicklung öffentlicher aber auch privater Räume voran (Sawhney, 2015; Silva, 2016) .

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Quartiere und Urbanitäten

fen dabei, ein Bewusstsein für die eigene Lebensumwelt und die Möglichkeit zur Gestaltung eben dieser zu fördern. Planungsbüros wie Modulorbeat in Münster, aber auch Urban Catalyst in Berlin machen schon heute vor, wie man Partizipation in Planungsprozessen weiter denken und hiermit möglichst breite Bevölkerungsgruppen im Quartier aktiveren und Prozesse integrieren kann. Sie gehen in die Stadt, beteiligen unterschwellig vor Ort und bereichern öffentliche Räume durch ihre Aktionen, temporären Installationen und Workshops*. Solche Arbeiten im Zusammenspiel einer engagierten und vernetzten Bewohnerschaft im Quartier sorgen für neue temporäre Orte der Innovation und Problembewältigung und schaffen Raum zum ausprobieren neuer Ideen und Konzepte. Dabei geht es auch darum “schwächere”, oder eher schwerer erreichbare Bevölkerungsteile zu erreichen und

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deren gesellschaftliche Teilhabe mit zu bedenken (Alisch, 2007: 310). Diese können durch ein aktives Auftreten in der Stadt durch Aktionen, Aktivitäten und temporäre Installation viel eher erreicht werden, als durch konventionelle Beteiligungsformate. Es muss darum gehen, Stadt greifbar zu machen. So ist es auch fraglich, ob autoorientierte monofunktionale Stadtteile zur Mobilität breiter Bevölkerungsschichten beitragen. Eine solche Stadt macht bspw. Jugendliche abhängig von den Eltern, oder Senioren von anderen Helfenden. Die Teilhabe am öffentlichen Leben ist häufig eng verbunden mit der räumlichen Mobilität. Urbanität bedeutet die Integration dieser Gruppen. Hierzu geben die zuvor genannten Aspekte vor dem Hintergrund der Stadt der kurzen Wege und die folgenden Bausteine urbaner Quartiere die räumlichen Grundlagen (s. Kap. 3.3.1; s. Kap. 4).


Best Practice

HANSAFORUM MÜNSTER

Abb. 75: Screenshot www.hansaforum-muenster.de (B-Side)

Das aus der Initiative "B-Side", im Rahmen der Entwicklung des Münsteraner Hafens, hervorgehende "Hansaforum" stellt ein beispielhaftes Projekt zur Aktivierung bürgerschaftlicher Initiative und fakultativer Projektentwicklung dar. Diese auf Quartiersebene agierende und gemeinwohlorientierte Initiative gibt Ideen von Bürger eine Plattform, vermittelt zwischen ähnlichen Ansätzen und bildet damit die Grundlage für eine wachsende Identifikation mit dem eigenen Quartier. Dazu versammeln sich in der Initiative aktive, und 200 zufällig ausgewählte Bewohner des Hansaviertels beim alljährlichen Hansa-Konvent, formulieren gemeinsame Ziele und definieren über das eigens entwickelte Instrument des Quartiersgemeinwohlindex (QGI) Leitplanken zur Bewertung der Gemeinnützigkeit von Einzelprojekten. Diese Projekte müssen zur Gewährung von Förderungmitteln und zur Unterstützung des Hansaforum räumlich im Quartier verankert sein (s. Abb. 77) und den QGI-Zielen entsprechen. Die durch solche Projekte stimulierte Quartierskultur ist als ein wesentliches Instrument der städtebaulichen Quartiersentwicklung zu sehen. Sie stellen neben städtebaulichen und architektonischen Maßnahmen zur Stärkung eines Quartiersgefüges entscheidende soziale Faktoren von Teilhabe und Empowerment in der Stadt dar.

Abb. 77: Gemeinwohlziele des Hansaforum (B-Side)

Solche Bottom-Up Projekte und bürgerliche Engagement müssen in jeder Stadt in ihren Quartieren gefördert und von städtischer Seite mitunter auch selbst initiiert werden. So könnten Formate wie das Hansaforum mit ihren grundlegenden Instrumenten und Ideen zu einem Modell für andere Quartiere avancieren. Sie setzen, je nach ihren jeweiligen Charakteren und Interessen ihrer Bewohnerschaften unterschiedliche Schwerpunkte in der Entwicklung des eigenen Lebensumfelds und entwickeln eigene Leitziele, Quartiersindizes, Projekte und Formate.

Abb. 76: Quartierskern, Quartierssaum (Eigene

Darstellung nach Hansaforum)

Abb. 78: Quartiersgemeinwohlindex (B-Side)

69


Quartiere und Urbanitäten

3.4. URBANE QUARTIERE - EINE ZWISCHENBETRACHTUNG “Automobiles are often conveniently tagged as the villains responsible for the ills of cities and the disappointments and futilities of city planning. But the destructive effect of automobiles are much less a cause than a symptom of our incompetence at city building.” (Jacobs, 1992: 7) Es hat sich also herausgestellt, dass sich Urbanität sowohl räumlich, also in der Form und Art der Bebauung, der Ausbildung öffentlicher Räume, in den Nutzungen und Aktivitäten und in ihren Maßstäblichkeiten geprägt ist, aber auch sozial, in ihrer Bespielung, Adaptierung, sowie durch die entstehenden Interaktionen und Kontakte definiert wird. Der Begriff des Quartiers bietet zu diesen Qualitäten einen übersichtlichen räumlichen, aber auch gesellschaftlichen Bezug. Urbane Quartiere bieten den Ausgangspunkt einer nachhaltigen Stadt der kurzen Wege, stellen den Fußgänger in den Mittelpunkt urbaner Mobilität und sorgen für zahlreiche Kontaktpunkte und dritte Orte des spontanen Verweilens. Hierbei stehen die drei zuvor erläuterten Dimensionen im Mittelpunkt. Auf räumlicher Ebene sind es die Urbane Mischung und Dichte (Dimension 1), welche die Grundlage für unterschiedlichste soziale Kontakte (Dimension 2), sowie eine unterschwellige Teilhabe 70

und Mitgestaltungsfähigkeit breiter Bevölkerungsgruppen und Talente im Quartier (Dimension 3) liefern. Sie können als Ausgangspunkt für die weiteren Betrachtungen stehen sollen. Dabei ist das Quartier als eine Einheit zu verstehen, welche in Groß- und Mittelstädten vorzufinden ist. Es gliedert als kleinster politisch-gesellschaftlicher Bezugsrahmen die Stadt auf einer sozialräumlichen, aber auch stadtplanerisch, strukturellen Ebene. Sozial-gesellschaftliche Gesichtspunkte auf der einen, und baulich-räumliche Aspekte auf der anderen Seite sind das, was Quartiere ausmachen. Dennoch bedarf es zur Ableitung verschiedener planerischer Bausteine einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Quartier. Diese Bausteine sollen einen Ansatz dafür bieten, wie sich das hochkomplexe Konstrukt der Stadt lesen lässt und auf welche Strukturen es bei einer planerischen Entwicklung lebenswerter und nachhaltiger Stadtund Quartiersstrukturen ankommt.



AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM QUARTIER


4


Städtebauliche Quartiersentwicklung

4. STÄDTEBAULICHE QUARTIERSENTWICKLUNG BAUSTEINE URBANER QUARTIERE Das zuvor dargestellte sozialwissenschaftliche Modell der Quartiersabgrenzung als "Fuzzy Concept" soll neben den Erkenntnissen zu den Urbaner Qualitäten als Grundlage der folgenden tiefergehenden theoretisch-empirischen Betrachtungen dienen. Vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 herausgestellten Herausforderungen werden zentrale planerische Bausteine für urbane Quartiere erläutert und das Quartier als zentraler Bezugsrahmen für planerisches Handeln herausgestellt. Diese Bausteine umfassen räumlich zum einen die Gebäude in denen gewohnt, gearbeitet und einen Teil der Freizeit verbracht wird (Bausteine 1 und 3). Zum anderen sind es die Freiräume, bestehend aus öffentlichen Straßen, Plätzen und Parks, sowie halböffentlichen, bzw. gemeinschaftlichen Bereichen (Bausteine 2, 4 und 5). Darüber hinaus sollen auch private Freiräume, welche zumeist den privaten Garten ausmachen, aber auch zur Arbeit als Gewerbehof genutzt werden, sowie die räumlichen Schnittstellen zwischen privaten, gemeinschaftlichen und öffentlichen Sphären betrachtet werden. In einer zweiteiligen Betrachtung sollen diese Bausteine erläutert werden.

Dabei sind zum einen in einer analytischen Untersuchung von Fallbeispielen bestehende urbane Quartiersstrukturen verschiedener Städte zu untersuchen (Best Practice). Zum anderen werden in Einbindung vorheriger Erkenntnisse planerische Prinzipien für urbane Quartiere abgeleitet (Bausteine 1-5). Es wird herausgestellt, wie sich durch eine gewissenhafte Planung und Anordnung städtebaulicher Elemente und durch die Entwicklung unterschiedlicher kleinräumiger Zentralitäten und urbaner Mischungen, lebenswerte und nachhaltige Quartiersstrukturen entfalten können. Was macht historisch qualitätvolle und heutzutage wertgeschätzte urbane Stadt- und Quartierstrukturen aus? Welche neuen Ideen gibt es in der Architektur und Stadtplanung und welche konzeptionellen Bausteine bringt der Quartiersbegriff auf räumlicher Ebene mit sich? Abschließend werden, auf Grundlage der hier ausgearbeiteten Fallbeispiele Ergebnisse zur räumlichen Dimensionierung von Quartieren abgeleitet und unterschiedliche Quartierscharaktere herausgestellt.

Baustein 1: Heterogene Bebauungsstrukturen Baustein 2: Urbane Achsen und Cluster Baustein 3: Urbane Leuchttürme Baustein 4: Urbane Rückräume im Quartier Baustein 5: Räume zwischen den Quartieren

74


Exkurs

EXKURS - ÖFFENTLICH PRIVAT DIE ENTWICKLUNG URBANER LEBENSUMWELTEN Zunächst einmal ist hierzu ein Verständnis über die zentrale Rolle von öffentlichen und privaten Räumen in funktionierenden urbanen Stadtquartieren notwendig. Nicht nur Jacobs definierte die Stadt als einen sozialen Raum voller Fremder (Jacobs, 1992: 30). Dies ist vielmehr unter Stadtplanern und Soziologen allgemein anerkannt und bedingt die Ordnung unserer Städte in öffentliche und private Sphären, in Orte des Rückzugs in das Private und Orte des vermeintlich chaotischen öffentlichen Stadtlebens (Bahrdt, 2006: 98f.) (Mäckler, 2018) (s. Kap. 3.3.2).

de und ein intrinsisches Bewusstsein über den Charakter des jeweiligen Ortes. Wohl durchdachte und städtebaulich geplante Hierarchien erstrecken sich vom vielleicht privatesten Raum, dem Schlafzimmer, bis hin zu öffentlichen Räumen, wie dem Rathausplatz, formulieren jedoch auch zahlreiche andere halböffentliche, gemeinschaftliche und halbprivate Raumzusammenhänge aus (s. Abb. 79). Entscheidend für ein Funktionieren dieser sozialen Räume sind in jedem Fall die Offensichtlichkeit ihres Charakters, ihrer Nutzergruppen, Verantwortlichkeiten und vor allem auch ihre klare Hierarchisierung. Dies ist auch unter einer offensichtlichen räumlich-architektonischen Definition und Unterteilung dieser Orte zu verstehen. Solche

Diese Raumbildung, schließt nicht aus, dass sich keine Räume halböffentlichen, gemeinschaftlichen oder halbprivaten Charakters, bestehend etwa aus introvertierten gemeinschaftlichen Innenhöfen, ausbilden können (Gehl, 2015a: 55). Vielmehr ist diese klare Trennung öffentlicher und privater Sphären zentral für die OfHIERACHISCH ORGANISIERTE STADTRÄUME fensichtlichkeit ihres Charakters, sowie für ihre Belebung durch unterschiedlichste Bedürfnisse und PRIVAT damit verbundene Nutzungen HALBPRIVAT und Nutzergruppen. Gehl sieht diese Räume und die fließenden, sanften, aber auch klaren Übergänge zwischen ihnen, als essentiell für das soziale Miteinander in der Stadt und stellt das Zusammenspiel zwischen Stadtgestalt und den aus ihr entstehenden sozialen Verhaltensweisen heraus (ebd.). So entfalten sich - Im Gegensatz zum rechtlich konstituierten Raum - eine Vielzahl sozial determinierter Öffentlichkeitsgra-

PRIVAT

PRIVAT

HALBPRIVAT

HALBÖFFENTLICH

HALBPRIVAT

ÖFFENTLICH „Die klare Struktur begünstigt die natürliche Kontrolle, hilft Bewohnern zu erkennen wer „dazugehört“ und erleichert Gruppenentscheidungen, die gemeinsame Probleme betreffen.“ (Jan Gehl)

Abb. 79: Hierarchisch organisierte Stadträume (Eigene Darstellung nach Gehl, 2015a: 55)

75 „Hierachische Organisation von Wohngebieten mit deutlich markierten


Städtebauliche Quartiersentwicklung

INNEN-AUSSEN: ÖFFENTLICH-PRIVAT

„Hierachische Organisation von Wohngebieten mit deutlich markierten Übergängen zwischen privaten und gemeinschaftlichen Räumen, eindeutig definierte Grenzen haben große Bedeutung für die innere Organisation.“

Abb. 80: Trennung öffentlicher und privater Sphären (Eigene

Darstellung nach Gehl, 2015a: 56)

Übergänge machen in Form von Balkonen, Vorgärten, durchquerbaren Innenhofbereichen, aktiven Erdgeschosszonen und Außengastronomien den belebten Charakter eines Quartiers aus und verbinden wie selbstverständlich öffentliche und private Sphären (s. Abb. 80). Sie fördern eine unterschwellige soziale Kontrolle, stärken soziale Kontakte und zufällige Gespräche (s. Kap. 3.3.2). Sie ordnen aber auch die Stadt und stärken in einer stadträumlich bedingten Quartierskultur das subjektive Wohlbefinden, durch entstehende Verantwortlichkeiten für, gefühlte Zugehörigkeiten zu und durch ein Identifikation mit dem Raum (→ Aneignung). Auf Quartiersebene bedeutet dies die räumlich-planerische Unterteilung öffentlicher Räume 76

in soziale Landschaften unterschiedlichen Charakters. Dies verlangt beispielsweise eine Hierarchisierung von Straßen und Plätzen in ruhige Wohnstraßen mit diversen Nutzungsund Aneignungsmöglichkeiten, sowie die Ausformulierung von Innenhöfen unterschiedlichen Privatheitsgrades und Platzsituationen unterschiedlichen Charakters, vom ruhigen Quartiersplatz, bis hin zum belebten Marktplatz. Dabei ist zu unterstreichen, dass schon die Bebauung, ihre Dichte und Geschossigkeit den privaten Charakter eines Innenhofs bedingen und selbst direkt anliegende private Gärten der Erdgeschosse, bei einer Vielzahl von Wohnparteien im Obergeschoss, den Charakter dieses Raums von Einfamilienhaustypologien absetzt (Bahrdt, 2006: 118). Das urbane Quartier kann jedoch auch andere gemeinschaftliche, öffentliche und selbst private Freiraumqualitäten aufweisen, die es gilt zu verstehen und zu fördern (s. Abb. 81, 82). So sind es oftmals in zentralen Lagen die Dachterrassen, Rooftops und mitunter auch Balkone, welche

Abb. 81: Halböffentlicher Innenhof: Bathurst Mews in London (Eigene Darstellung)


Exkurs

die wirklich privaten Freiräume der Stadt ausmachen. Diese potentiell grünen Freiraumqualitäten auf dem Dach der Stadt gilt es weiter zu stärken und architektonisch zu fokussieren. Hier spielt auch die Morphologie der Stadt im Allgemeinen, die Frage wie Blöcke ausgebildet werden und welche Durchgänge gebaute Strukturen gewähren eine zentrale Rolle (s. Abb. 83). Eine hohe Porosität durch kleine Blöcke und Durchgänge in Form von Tordurchfahrten, macht es möglich, in unterschiedliche urbane Sphären einzudringen, den Trubel der Stadt für erholsame grüne Wohnstraßen zu verlassen, oder von einen Ort der Bewegung in einen Raum zum Verweilen zu wechseln (Jacobs, 1992: 178) (Sonne, 2014: 33). Sie verkürzen Wege und machen alltägliche Ziele zu Fuß durch ein Durchqueren unterschiedlichster urbaner Umfelder, mit einer Vielzahl möglicher urbaner Kontakte in belebten Räumen, attraktiver. Neben diesen klar definierten und genutzten Räumen bilden Städte auch weniger definierte Rest- und Zwischenräume aus. Sie stellen sich vor allem als wenig qualitätvolle Abstandsflächen, oder in Form von Brachflächen, untergenutzten Baulücken, oder leer stehenden Gebäuden dar. Im öffentlichen Raum sind es verkehrlich weniger relevante Straßen, welche im Sinne der Verkehrswende durch neue Nutzungen und Ideen belebt werden können (s. Abb. 84). Diese Räume können in einer aktiven Stadtgesellschaft für das Ausprobieren von neuen Ideen und für Zwischennutzungen aktiviert werden (s. Kap. 3.3.3).

Abb. 82: Freiraumqualitäten Den Haag (Eigene Darstellung)

Abb. 83: Tordurchfahrt in Düsseldorf Pempelfort (Eigene Darstellung)

Abb. 84: Skatepark | Hohlstraße, Zürich (Eigene Darstellung)

77


Städtebauliche Quartiersentwicklung

ÖFFENTLICH

(Alles Abbildungen eigene Darstellung)

Abb. 89: Leiden, Grillen an der Gracht

Abb. 87: Zürich West, Viadukt

ÖFFENTLICH?

Abb. 88: München Blockinnenbereich

78

GEMEINSCHAFTLICH

Abb. 86: Düsseldorf, Oberkassel

Abb. 90: Zürich, Alstadt

HALBÖFFENTLICH...

Abb. 85: München, Viktualienmark

Abb. 91: Zürich West, Viadukt

Abb. 92: Zürich, Frau Gerolds Garten


Urbane Quartiere - Eine Zwischenbetrachtung

PRIVAT

(Alles Abbildungen eigene Darstellung)

PRIVAT?

Abb. 94: Dortmund, Union Gewerbehof

Abb. 95: Niederlande, Funen Park

Abb. 93: Zürich, Alstadt

GEMEINSCHAFTLICH

HALBPRIVAT....

Abb. 96: Dortmund, überbauter Innenhof

Abb. 97: München, Innenhof, Bürogebäude

Abb. 98: München, Cafe im Hinterhaus

Abb. 99: Niederlande, Funen Park

79


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Zentral hierfür sind Instrumente, die eine dem Gemeinwohl dienende Nutzung von ungenutzten, oder untergenutzten Eigentum in den Vordergrund stellt. Zwar bedarf es hierzu einer rechtlichen Definition von ungenutzten, oder untergenutzten Eigentum und auch einer Abwägung privater und öffentlicher Belange, die hier nicht näher diskutiert und rechtlich analysiert wer-

den können . Dennoch sorgen solche informellen Maßnahmen und Projekte (s. “Hausaufgaben Münsterland”) für eine Belebung von Quartieren, eröffnen Chancen für engagierte Bürger und aktivieren Flächen bis hin zur ihrer letztendlichen Nutzung, beziehungsweise bieten Raum zur Verstetigung von Flächennutzungen.

4.1. BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN DAS HAUS IM MITTELPUNKT HETEROGENE BEBAUNG

Abb. 100: Leitbild Baustein 1 (Eigene Darstellung)

Öffentliche und private Räume bilden sich im Quartier grundsätzlich durch Häuser, Blöcke, Straßen, Plätze, Parks und weitere städtebauliche Elemente heraus. Dabei ist das Haus auf der Parzelle die kleinste städtebauliche Einheit des Quartiers. Schon in den vorherigen Kapiteln wurden vor allem unter den Aspekten der Urbanen Mischung und Dichte die Rolle unterschiedlicher Gebäudetypologien, Gebäudealter und angemessener Bebauungsdichten, wie 80

auch der Einfluss der gebauten Umwelt auf das soziale Miteinander im Quartier beleuchtet. Demnach ist auch die Anordnung, Unterteilung und Nutzungen von Gebäuden auf ihren Parzellen entscheidend für sozialräumliche Funktionen im Quartier. Sie gestalten, umrahmt von öffentlichen Straßen in offener, oder geschlossener Bauweise, Blöcke aus und grenzen den öffentlichen vom privaten Raum ab (s. Abb. 101) (Mäckler, 2018: 38f.). Diese Blöcke formulieren Eckhäuser und Reihenhäuser, sowie andere städtebauliche Formen wie Torhäuser oder Solitäre aus. Dies hat Auswirkungen auf die Architektur und damit verbunden auf die Begegnung des Hauses zum öffentlichen und privaten Raum: "Private Stadthäuser bilden eine öffentliche Fassaden aus (…) Eine Stadthausfassade muss derart reichhaltig und schön sein, dass sie die Straße oder den Platz adressieren und die Betrachter ansprechen. (…)


BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN

Abb. 101: Beispiele urbaner Haustypen in geschlossener und offener Bauweise (Mäckler, 2019: 46)

Wenn das Stadthaus vorne Krawatte trägt, so darf es hinten in der Jogginghose daherkommen. Aus der Orientierung der Wohnhäuser zum Blockrand ergibt sich logischerweise ein privater Hofbereich im Inneren. Dieser Hof, beziehungsweise diese Höfe müssen nicht wie im Siedlungs-

bau durchgrünt und durchwegt sein, sondern den Bewohnern für die unterschiedlichsten Dinge, vom Gärtnern bis zum werkeln, vom Wäschetrocknen bis zum Abstellen, vom Sonnen bis zum Feiern zur Verfügung stehen" (Wolfgang Sonne, in Mäckler, 2019: 62).

81


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 102: Entwicklung vom Block zur Zeile: Das Neue Berlin (Walter Gropius,1929)

burg (E.A. Gutkind,1927)

Abb. 104: Unterschiedlich verdichtete Blöcke

Abb. 105: Parzellierung urbaner Blöcke

(Stübben, 1907: 14))

(Stübben, 1907: 61))

Wie Wolfgang Sonne deutlich macht, stellen sich private Freiräume in der Stadt vielseitig dar und können unterschiedlichsten Nutzungen zukommen. So bringen vielfältige Bebauungsstrukturen, Nutzungen und Typologien auch vielfältige Ansprüche an die privaten Freiräume mit sich. Zunächst wird mit einen Blick auf unterschiedliche Zeitschichten der Stadt deutlich, welche Vielzahl an Nutzungen hier möglich sind. Dabei geht aus Analysen von Stadtbereichen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ein Trend zu immer grüneren Strukturen hervor, wie die Form des Reformblocks, aber auch die Zeilenbauweise deutlich macht (Sonne, 2014: 50, 63) (s. Abb 102-105). Diese mal qualitätvollen, häufig aber auch wenig genutzten, unattraktiveren Freiräume machen jedoch nicht die Vielfalt der urban durchmischten Stadt aus und sollten in einen ausgewogeneren Art auf Quartiersebene in 82

Abb. 103: Reformblock, Sonnenhof - Berlin Linen-

verschiedenen Lagen in Einbeziehung anliegender Nutzungen gedacht werden. Qualtitätvolle private und grüne Freiräume im Quartier können auch die Dachterrasse, oder den eigenen Balkon darstellen. Diese räumlichen Zusammenhänge auf der Rückseite der Gebäude mit ihren Anbauten, Dachausbauten, Ecken und Kanten können je nach sich mitunter schnell verändernden Nutzungsansprüchen umgestaltet werden. Sie machen so den gestalterisch ungebundenen Teil der Fassaden aus. Die öffentliche Seite stellt hingegen die Konstante der Stadt und ordnungsgemäß deren Adresse dar. So formen Eckhäuser zwei öffentliche Seiten zur Straße aus (s. Abb. 106, 107). Die wird in der Fassadengestaltung deutlich und der beidseitigen architektonischen Zuwendung des Gebäudes zum öffentlichen Raum deutlich. Sie bilden mitunter durch Versprünge der nächsten


BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN

HISTORISCHE KÖRNUNGSANALYSE 1940

1980

2010

Abb. 106: Eckhaus RICHTIG, Saarlandstraße

Dortmund (Eigene Darstellung)

Analyse „zeigt stete Anwachsen

Abb. 107: Eckhaus FALSCH, Saarlandstraße

von Bauolumina“ in Zürich Abb. 108: Körnungsanalyse Altersklassen der Gebäude (Kretz, 2016: 79)

Blöcke Sichtachsen aus, welche, wie der Begriff des Eckcafes unterstreicht, prädestiniert für gewerbliche Nutzungen im Erdgeschoss sind.

len. Auch § 34 des BauGB sieht eine Einfügung der Bauweise (u.a.) in die nähere Umgebung vor. Jedoch zeigen sich in der Stadt einige vor allem aktuellere Beispiele, die solchen Ansprüche an städtebaulicher Qualität eher weniger gerecht werden. Hier scheinen oftmals, vor allem in gewerblichen Strukturen, ökonomische Belange und Skalenerträge auf Grund größerer zusammenhängender Strukturen und vermeintlicher betriebswirtschaftlicher Vorteile im Vordergrund zu stehen (Sonne, 2014: 172f.). So stellt sich allgemein in der Praxis ein Trend zu immer größeren baulichen Strukturen dar, welche sich nicht ausschließlich auf Leitbilder des 20. Jahrhunderts berufen. Dies zeigen Kretz und Kuengs Stadtstruktur- und Körnungsanalysen in Zürich, welche allgemein größer werdende Maßstäblichkeiten feststellen (Kretz, 2018: 79) (s. Abb. 108).

Dortmund (Eigene Darstellung)

Insgesamt sorgen kleinteilige Strukturen mit detaillierten Architekturen im menschlichen Maßstab für interessante Orte die das zu Fuß gehen attraktiver und kurzweiliger gestalten (Gehl, 2015b: 95f.). Dies macht auch A.T. Edwards in "Good and Bad Manners in Architecture" deutlich, in dem er unterstreicht, wie Gebäude, deren Architekturen und ihr Zusammenspiel in der Stadt zur Attraktivität und dem solidarischen und demokratischen Charakter ihrer Stadt beitragen (Edwards, 1924: 1, 277). Gestaltungshandbücher und Festsetzungen im Bebauungsplan bieten mitunter geeignete Ansätze zur städtebaulich-architektonisch abgestimmten Diversität in neuen Stadttei-

83


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 109: Eckhauss in Dortmund (Eigene Darstellung)

Abb. 110: Detaillierte Fassadengestaltung, kleinteilige Parzellierung (Eigene Darstellung)

Auch in der Parzellierung der Stadt, welche mitunter auf Blockebene vorgenommen wird, ist dies zu erkennen. Dabei werden neben den Gebäuden auch Blöcke immer größer und passen sich vermeintlich steigenden räumlich-ökonomischen Bedarfen an. Urbane Qualitäten machen dahingegen eine Porosität der Stadt mit kleinen Blöcken, erlaufbaren und heterogenen baulichen Strukturen aus (→ Zugänglichkeit) (Jacobs, 1992: 178ff.). Auf Gebäudeebene ermöglicht eine kleinteilige Parzellierung von Blöcken, eine Vielzahl von Adressen, unterschiedlichste Architekturen und Nutzungen. 1

Abb. 111: Die Vielfalt des Eckhausgrundrisses (Mäckler, 2013: 320)

Dies unterstreicht auch Jan Gehl in seiner Forderung zum menschlichen Maßstab und muss als wesentliches städtisches Instrument bei der Entwicklung von heterogenen Bebauungstrukturen gesehen werden, welche Einzeleigentümer, kleine Gewerbebetriebe und Ladenlokale wieder vermehrt in den Fokus der Stadt rückt (Gehl, 2015b: 95). Nicht umsonst sind es oft historische Quartiere und deren kleinteiligen Strukturen mit ihren interessanten Ecken, aktiven Erdgeschossen und schönen*1, detaillierten Architekturen, welche heute vielfach zur Touristenmagneten

* In der Konferenz zu "Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt" beschäftigten sich zahlreiche Stadtplaner und Architekten mit der Zukunft der Stadt. In diesem Zusammenhang stellt das Institut für Stadtbaukunst 10 Grundsätze zur Stadtbaukunst und dem was Stadt "schön" macht heraus: „Gestalt zu geben“ (1), städtische Bauwerke bewusst anzuordnen und zu gestalten (2), „Ensembles mit ausdrucksreichen Fassaden und ein gegliedertes Ganzes“ zu bilden (3), „auf historische Erfahrung und Bildung“ zu setzen (4), durch Pflege der Denkmäler die Identität der Stadt zu achten (5), keine „monofunktionalen Siedlungen sowie Einkaufs- und Gewerbeparks“ zu errichten (6), die Bürger selbst, nicht Fonds, Bauträger oder Baugesellschaften bauen zu lassen (7), Einzelhandel und nicht Kettenläden anzusiedeln (8), Straßen als Aufenthaltsorte und nicht als Autoschneisen anzulegen (9) und nachhaltig zu bauen (10). (ISBK, 2010)

84


BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN

Abb. 112: Analyse architektonischer Elemente: Erker, Gauben, Eingänge (Tania Puyn)

avancieren und zu den gefragtesten städtischen Wohnlagen gehören. Dies soll in einer heterogenen Stadt mit unterschiedlichen Typologien, Bauformen und Nutzungen nicht heißen, größere Strukturen gänzlich aufzugeben, sondern vielmehr die Qualitäten historischer, kleinteiliger Bauformen wieder zu entdecken, neu zu bauen und zeitgemäßen Nutzungen und Architekturen zukommen zu lassen. Die Gassen, Winkel und kleinteiligen Strukturen scheinbar weniger geplanter Städte des Mittelalters*2 können als Inspiration für die nachhaltige Stadt-

planung von Morgen dienen. Auch spätere Epochen mit ihren Arkaden, Hof- und Kaufmannshäusern bringen städtebauliche Elemente, aber auch architektonische Charaktere mit sich, die aus ihrer Zeit sprechen. Hier gilt es anzuknüpfen und im Sinne aktueller gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in einer Renaissance städtebaulicher Prinzipien kleinteilige, lebhafte, dichte und urban durchmischte städtische Strukturen wieder aufleben zu lassen.

2

* Der Stadtplaner Klaus Humpert erforscht seit Jahrzehnten mittelalterliche Städte und kommt nach Untersuchung ihrer geografischen Formationen und der dieser Zeit zur Verfügung stehender Instrumente zu dem Schluss, dass diesen, wissenschaftlicher Erkenntnisse zum trotz, großräumige städtebauliche Prinzipien und planerische Herangehensweisen zu Grunde gelegen haben (Humpert, 2001). Auch Barhdt unterstützt diese Sichtweise und kommt zu dem Schluss, dass "die geometrisch exakten Planungen der Neuzeit, deren Grundrisse so rational anmuten, (…) in Wahrheit oft einen geringeren Grad von städtebaulichen Bewusstsein" zeigen (Bahrdt, 2006: 114). In jedem Fall können - wenn auch unbewusste - Prinzipien des Städtebaus dieser Zeit, durch Ausbildung unterschiedlicher Platzsituationen, Öffnungen im urban verdichteten Stadtgefüge durch Gassen, Torhäusern und Ausweitungen in das städtebauliche Repertoire des Städtebaus heute eingehen. .

85


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 113: Läden: Anlage - Bau - Ausstattung: 1950 (Konrad Gatz, Firtz Hierl)

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BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN

Abb. 114: Läden: Anlage - Bau - Ausstattung: 1950 (Konrad Gatz, Firtz Hierl)

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Best Practice

QUARTIERSANALYSE VENEDIG QUARTIERSDIMENSIONEN

Abb. 115: Venedigs sechs Sestiere & ihre Dimensionen (Eigene Darstellung)

URBANE ACHSEN

Abb. 116: Venedigs Netz Urbaner Achsen (Eigene Darstellung)

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Best Practice

URBANE LEUCHTÜRME

Abb. 120: Urbane Achsen (Eigene Darstellung)

Abb. 117: Leuchtürme: Kirchen, Paläste und mehr (Eigene Darstellung)

URBANE RÜCKRÄUME

Abb. 123: Casino (Eigene Darstellung)

Abb. 118: Grüne Rückräume im urbanen Kontext (Eigene Darstellung)

ZWISCHENRÄUME Abb. 121: Urbane Rückräume (Eigene Darstellung)

Abb. 119: Mobilitätsnetze aus Grachten und Kanälen (Eigene Darstellung)

Abb. 122: Zwischenräume: Canal Grande (Eigene Darstellung)

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Städtebauliche Quartiersentwicklung

4.1.1. WOHNST DU NOCH ODER LEBST DU SCHON? NEUE ANSPRÜCHE AN WOHN UND ARBEITSWELTEN

Abb. 124: Wagnis 3 (Wagnis e.G.)

Abb. 125: Wagnis Art (Wagnis e.G.)

Wie schon in den vorherigen Kapiteln erläutert, haben sich durch gesellschaftliche Entwicklungen und wachsende Wohnansprüche auch in urbanen Lagen, Nachfragen an den Wohnraum, aber auch an gewerblichen Nutzungen, in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. In der Folge sind neben genossenschaftlichen Wohnprojekten auch weitere Formen gemeinschaftlicher Wohnraumentwicklung in Form von Co-Housing-Projekten und Baugemeinschaften entstanden (Dürr, 2017: 13)

der Projektentwicklung zum trotz, dennoch vielfältige kleinteilige Baustrukturen entwickeln kann (Feldtkeller, 2001: 64). Sie ergänzen ein teilweise gemeinschaftliches Programm mit unterschiedlichen Architekturen von Einzelgebäuden auf zumeist blockgroßen Parzellen und kombinieren damit die Vorzüge einer kleinteilig parzellierten Stadt mit den Qualitäten gemeinschaftsbildender Projektentwicklung. Sie geben den einzelnen Eigentümern der Baugruppe die Wahl zur Ausgestaltung der Freiräume des Blockinnenbereichs und unterstreichen auch durch das Einbringen von gewerblichen Strukturen in den unteren Geschossen das Thema der Nutzungsdurchmischung.

Nachdem lange Zeit, bedingt durch hohe Belegungsdichten, in der Stadt sehr eng zusammen gewohnt wurde, ergeben sich heute vielmehr gegensätzliche Probleme sozialer Isolierung und Singularisierung (Glatzer, 2001: 217). Diese neuen Formen des gemeinschaftlichen Zusammenwohnens weisen jedoch oftmals größere Strukturen auf, die häufig den menschlichen Maßstab mit einer Vielzahl an Adressen und heterogenen, kleinteiligen Bebauungsstrukturen widersprechen (s. Abb. 124, 125). Beispiele aus Tübingen zeigen jedoch, wie man, unterschiedlichsten Formen 90

Die Stadt erlangt in dieser städtischen Entwicklungsmaßnahme schon durch den kommunalen Grundstückserwerb. Die anschließende Parzellierung eröffnet die Möglichkeit zur Steuerung der (Nutzungs-)Vielfalt im Quartier, erlaubt aber auch Spielräume in der Verwirklichung eigener Vorstellungen zu individuellen Architekturen, Wohnformen und gewünschten Raumansprüchen (Feldtkeller, 2001: 33)


Best Practice

"QUARTIERSENTWICKLUNG" IN TÜBINGEN Abb. 126: Quartiersanalyse (Eigene Darstellung)

Abb. 127: Kleinteile, heterogene Strukturen: Mühlenviertel (Manfred Grohe)

Abb. 129: Gemeinschaftliche Innenhöfe: Franz. Viertel (Anne Faden)

Abb. 128: Bestand erhalten & weiterbauen: Franz. Viertel (Manfred Grohe)

Abb. 130: Urbane Nachbarschaft: Lorettoviertel (Stadt Tübingen)

91


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 131: Café Saint Henri, Montreal (Eigene Darstellung)

Abb. 132: Café et Boutique Graine Brûlée, Montreal (Eigene Darstellung)

Abb. 133: Geschäft "Von Pommern": Kaffeemaschinen und Reparatur, Utrecht (Alle eigene Darstellung)

Auch im Gewerbe sind eine Vielzahl von Veränderungsprozessen zu erkennen. Zum einen verändern sich durch die weiterhin voranschreitende Tertiärisierung und neue Produktionsverfahren und Technologien die Ansprüche an Gewerbestandorte, zum anderen bringen Skalenerträge und die Fokussierung des Logistikverkehrs auf die Straße Standortpräferenzen in der Peripherie mit sich (Jahns, 2008: 106). Forschungsfelder der urbanen Produktion und deren zu Grunde liegenden Ziele, zeigen jedoch die gesellschaftliche Relevanz und den planerischen Willen für die Reintegration gewerblich 92

produzierender Betriebe in das urbane Quartier (Brandt, 2017) (Läpple, 2016: 23f.). Auch eine durch digitale Medien bedingte räumliche Flexibilisierung macht das Arbeiten im Home-Office, oder, wie das Aufkommen "digitaler Nomaden" zeigt, an vielen anderen (dritten) Orten möglich. Im Quartier zeigt sich dies in vielen Städten durch die Entstehung von “Co-Working-Spaces”, aber auch unterschwelliger durch die Arbeit in Kaffees, anderen Gastronomiebetrieben und neuen Hybridformen der digitalen Arbeit (s. Abb 132, 132). Solche flexiblen Arbeitsformen


BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN

GEWERBELÄRM UND STRASSENLÄRM IM VERGLEICH MÜNSTER

DORTMUND

Gewerbe

Gewerbe

Straße

Straße

Abb. 134: Lärmkartierung Münster, Dortmund (Gewerbelärm, Verkehrslärm) (Eigene Darstel-

lung nach umgebungslaerm.nrw.de)

sind ein wichtiger Faktor für die Belebung urbaner Achsen und können als neue zweite und dritte Orte der flexiblen Arbeit in der Nähe des Wohnortes gesehen werden. Sie beleben urbanen Publikumsnutzungen während des Tages, fördern die lokale, ins Quartier eingebettete Wirtschaft und bringen Menschen und ihre Ideen im Quartier zusammen. Auf der anderen Seite sind es aber auch die produzierenden und handwerklichen Betriebe in Form von Manufakturen, Werkstätten aber auch in Gestalt der urbanen Industrie und Landwirtschaft, die neue Möglichkei-

ten für das urbane Quartier eröffnen (Brandt, 2017: 6). Technologien der additiven Fertigung und Emissionsreduktionen lassen diese Gewerbeformen immer einfacher in kleinräumigen Synergien mit Wohnnutzungen koexistieren. Sie fördern dabei die Möglichkeit des lokalen Absatz und verkürzen somit Lieferwege aber auch Wege zur Arbeit. Diese kleineren Unternehmen sind weniger auf eine Gewinnmaximierung ausgerichtet, sondern wirtschaften vielmehr in einer neuen Unternehmenskultur nachhaltig, reparieren und setzen ihre Produkte zu großen Teile lokal ab (s. Abb 133). 93


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 135: E-Lastenrad, Dortmund (Eigene Darstellung)

Schon heute wird, wie beispielsweise die Lärmkartierung von Münster und Dortmund zeigt, deutlich, dass gewerblicher Lärm, weg von den Schwerindustrien des 20. Jahrhunderts, eine immer geringere Rolle in der Stadt spielt (s. Abb. 134). Es sind vielmehr die Logistikverkehre und individuellen Personenverkehre, welche die größten Anteile der Lärmbelastung in der Stadt ausmachen. Eine Lösung hierfür ist in der urbanen Logistik zu sehen. Im Zuge dieser wird im urbanen Kontext und auf der "letzten Meile" auf urbane Verkehrsmittel des Umweltverbunds gesetzt. Im Quartier selbst können kleinteilig Verteilerzentren, in Form von Urbanen Logistikhubs und Mikrodepots verteilt werden (Cardenas, 2017: 23f.) (s. Abb. 135, 136). Durch digitale Technologien und Konzepte im Rahmen der Smart City können auch Wege vermieden, oder auch Logistikverkehre mit Personenverkehren kombiniert werden (Bernsmann, 2018: 68). Es sei jedoch auch ein Blick in die 1960er-Jahre und eine Aussage Jacobs geworfen, in der sie Bezug auf die Verlagerung des MIV auf stadtverträgliche Mobilitätsformen nimmt: "Trucks are vital for cities. They mean

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Abb. 136: Cargohopper, Utrecht (Cargohopper)

service. They mean jobs" (Jacobs, 1992: 367). Hier geht Jacobs auf die zentrale Rolle von Logistikverkehren, aber auch Wege von Handwerkern und anderen Servicedienstleistungen in der Stadt ein. Diese Verkehre, unter denen auch zentrale Dienste wie der Krankentransport, oder die Müllabfuhr zählen, werden weiterhin in ihrer Form bestehen bleiben. Sie untermauern die Rolle des Umweltverbunds für den alltäglichen Personenverkehr. Hierbei steht städtebaulich unter dem Aspekt der Verkehrsvermeidung, sowie der Verkürzung und Dispersion von Wegen das nutzungsdurchmischte urbane Quartier mit den hier aufgeführten Bausteinen im Mittelpunkt. Dieses kann zusammen mit einer attraktiven Gestaltung des öffentlichen Raums die städtebauliche Antwort auf viele Verkehrsprobleme geben und diesen so wichtigen gewerblichen Verkehren mehr Raum einräumen. Mit Blick auf die Logistikverkehre erfordert dies ein komplettes Umdenken bewährter Abläufe. Es räumt aber auch Chancen für eine emissionsärmere und stadtverträglichere Bewältigung ein. Erst dieser Ansatz bringt eine Vielzahl an Möglichkeitsräumen


BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN

Abb. 137: Manner Werk (Andreas Poetschek)

zur Integration unterschiedlicher Gewerbeformen in das Urbane Quartier mit sich. So ist auch zu hinterfragen, welcher Anteil des Gewerbelärms tatsächlich auf die Produktion und den Betrieb entfällt und welchen Anteil vielmehr die Lieferverkehre und anderen logistischen Verkehre auf dem Betriebsgelände ausmachen. Nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz werden diese bisher zum Gewerbelärm zugerechnet (§3 BImSchG) (BMU, 2017). In diesem Zusammenhang sind, neben den zuvor erläuterten Ansätzen zu Emissionsreduktionen im Gewerbeverkehr und der Produktion selbst, Änderungen der Rechtslage und der zu Grunde liegenden baurechtlichen Instrumente zu eruieren. Arbeiten wie das Fachkonzept "Produktive Stadt" der Stadt Wien erörtern Ansätze zur Integration, Erhaltung und Reetablierung gewerblich (produzierender) Betriebe in das Quartier (Wien, 2017: 30). Sie können in gewerblichen Innenhöfen ausformuliert werden, oder wie der Betrieb Manner in Ottakring zeigt, als eigenständige gewerbliche Blöcke vertikal produzieren (s. Abb. 138).

Abb. 138: Konzeption eines Gewerbehofs (Eigene Darstellung)

Vor dem Hintergrund der urbanen Durchmischung können somit lediglich wirklich störende Betriebe, oder Gewerbeformen mit größeren Raumund Logistik-Ansprüchen in eigene Industrie- und Gewerbegebiete verortet werden. Alle weiteren Gewerbenutzungen, welche durch technologische Innovationen mit immer geringeren Emissionen auskommen, können in die Quartiere integriert werden. Hierzu können, in einer sinnvollen Abwägung wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Interessen Emissionsrichtlinien verschärft werden. Es ist jedoch auch der Schutz integrierter Gewerbestandorte vor einer “destruktiven Durchmischung” (Wien, 2017: 29), oder eher einer Entmischung durch dominante Wohnnutzungen, hohe Bodenkosten und übermäßige Regularien essentiell (ebd.). Auf Grundlage dessen sieht das Fachkonzept in einer Abwägung stadtplanerischer Ziele und gewerblicher Interessen drei Zonentypen vor (Wien, 2017: 63). Diese setzen bei den baurechtlichen Voraussetzungen in Österreich an, legen jedoch auch unter dem Leitbild der urban durchmischten Stadt neue Schwerpunkte .

95


Städtebauliche Quartiersentwicklung

DREI ZONENTYPEN BETRIEBSZONEN Industriell Gewerbliches Gebiet

- Mindestgröße von 5ha: - Ausschl. industriell gewerblich - Uneingeschränkter Betrieb (24h) - Geeignete infrastrukturelle Ausstattung - Verfügbarkeit - Angemessenes Bodenpreisniveau - Flexible Räumliche Strukturen - Gute Erreichbarkeit

Integration einzelner Standorte für Büros (an Produktion angebunden, Charakter entsprechend)

- Kein Wohnungsbau (auch Rand) - Einzelhandel mit Kurzfirstbedarf

nur zur Versorgung des Gebiets (max 1.000qm) - Integration von Fuß-, Radund ÖV-Netzen (Bahnhaltepunkt)

Gewerbliches Mischgebiet

- Mehrgeschossige, kompakte Entwicklung - Vielfältige durchmischte Nutzungen - Städtebauliche, organisatorische Maßnahmen zur Sicherung der Nutzungsmischung (insb. Produktion) - Gute Erreichbarkeit (insbes. ÖV) - Bauplätze mit mehr als 50% Wohnen nur im Rahmen eines übergreifenden Gesamtkonzepts - Integration und Erhalt bestehender Gebäude - keine Beeinträchtigung der Produktion - Keine Trennung von Wohn- und Betriebsgebieten

Integrierte Einzelstandorte

- Sicherung von Bestandsflächen (Beitrag zur Integration von Betriebsnutzungen im Bestand) - Strörungsfreien Betrieb unterstützen (Bestandsgarantie) - Keine Absiedlung bestehender Betriebe - Integration, Modernisierung, betriebliche Nachnutzungen

Abb. 139: Zonentypen "Produktive Stadt Wien" (Eigene Darstellung nach Wien, 2017)

Im Zentrum dieser urban durchmischten Quartiere stehen spezielle gewerbliche Nutzungen, welche im Laufe dieser Arbeit schon als “Publikumsnutzungen” und im Zusammenhang “aktiver Erdgeschosse” behandelt wurden. Diese Geschäfte, Gastronomien und andere öffentlichkeitswirksame Betriebe machen in ihrer Vielzahl geclustert die Adresse ihrer Quartiere aus. Die Förderung dieser oftmals kleinen, inhabergeführten Nutzungen ist elementar für die Qualität des Quartiers. 96

Projekte wie die, durch die Stadt Paris geförderte "Semaest", im Zuge derer Ladenlokale aufgekauft und temporär Einzelhändlern und Startups zum Ausprobieren ihrer Geschäftskonzepte zur Verfügung gestellt werden, sind somit als ein zentrales Instrument für die Belebung und Vielfalt von Quartieren anzusehen. Dies alles steht im Zusammenhang des öffentlichen Raums und den zentralen urbanen Achsen und Cluster im Quartier.


Best Practice

Abb. 140: Screenshots semaest.fr

SEMAEST | GEWERBE IM QUARTIER Die Semaest ist ein halböffentliches Unternehmen der Stadt Paris und auf die Wiederbelebung des lokalen Handels und Handwerks spezialisiert. Im Zentrum ihrer Philosophie steht die lokale Entwicklung kleinteiliger Wirtschaftsstrukturen. Unter dem Slogan "Neue lokale Wirtschaft" ist die Semaest im Großraum Paris tätig und unterstützt Start-Ups und Kleingewerbetreibende etwa durch eine temporäre Zurverfügungstellung von Ladenlokalen mit geringen Mieten. Hierdurch lassen sich neue Ideen und Konzepte, ohne langfristige (finanzielle) Bindungen ausprobieren. Dies führt zu einer Diversifizierung des Handels in dem kleine lokale Betriebe neben größeren Ketten Einstiegschancen auf dem Markt vereinfacht werden. Dabei steht für die Semaest auch neben der Bewahrung bestehender kleingewerblicher Strukturen im Zentrum von Paris die Förderung von innovativen und nachhaltigen Initiativen im Mittelpunkt. Abb. 141: Screenshot instagram.com/semaest

97


Städtebauliche Quartiersentwicklung

4.2. BAUSTEIN 2: URBANE ACHSEN UND CLUSTER URBANE ACHSE "In spite of much experiment, planned and unplanned, there exists no substitute for lively streets" (Jacobs, 1992: 120)

Quartier

"Wenn eine Stadt voller Leben sein soll, braucht sie vor allem kurze, direkte und logisch angelegte Wege, maßvolle Dimensionen und eine klare Hierarchie von kleinen und großen öffentlichen Räumen" (Gehl, 2015b: 85)

Abb. 142: Leitbild Baustein 2 (Eigene Darstellung)

Der öffentliche Raum war seit jeher Ort der Mobilität, aber auch des Austauschs und der Demokratie. Letzteres scheint in den letzten Jahrzehnten durch eine autozentrierte Politik und einen Fokus der Planung auf Belange des Verkehrs untergegangen zu sein (Holzapfel, 2012: 32, 57, 75) (Vogelpohl, 2011: 238). Doch zahlreiche Stadtplaner und Stadtmacher haben die vielfältigen Bedeutungszuweisungen und Rollen des öffentlichen Raums für eine funktionierende Stadtgesellschaft wieder in den Fokus der Diskussion gerückt. Auch ein neues Bewusstsein für eine urbane und nachhaltige Mobilität mit dem Umweltverbund im Mittelpunkt, eröffnet Räume für andere Nutzungen. Im Zentrum des Quartiers stehen zunächst einmal die zentralen belebten urbanen Achsen, mit einer Vielzahl an Publikumsnutzungen, Versorgungseinrichtungen in den Erdgeschosszonen und einem auf das zu Fuß gehen aus98

gerichteten öffentlichen Raum (s. Kap. 4.3.) Auf Quartiersebene können sich so durch die Ausbildung unterschiedlicher Nutzungsschwerpunkte und urbaner Dichten in einem kleinteiligen Gefüge verschiedene Zentralitäten ausbilden (→ Urbane Dichte). Hier bedingt die Ausrichtung mehrerer städtischer Blöcke Bewegungsmuster im Quartier und macht bestimmte Straßen nur schon durch ihre Lage in der Stadtstruktur attraktiver für Publikumsnutzungen im Erdgeschoss. Dies hat Auswirkungen auf die Planung gebauter Strukturen entlang dieser Straßen und kann als zentrales städtebauliches Prinzip zur Entwicklung urbaner Achsen in die Quartiers- und Stadtplanung einfließen (Jacobs, 1992: 179) (s. Abb. 143) Diese zentralen Orte des Quartiers machen, mit einer Vielzahl an dritten Orten, Treffpunkten und Räumen des


Baustein 2: Urbane Achsen und ClusteR

Die Ausrichtung von Blockstrukturen und ihre Auswirkung auf die Entstehnung urbaner Achsen

I

II Abb. 144: Urbane Achse, Haarlem (Chris Brunlett)

III

Abb. 143: Ausrichtung der Blöcke (Eigene Darstellung

Abb. 145: Urbane Achse, Delft (Chris Brunlett)

Verweilens das Herz eines jeden Quartiers aus. Sie sind die von Jacobs beschriebenen "Street Neighborhoods". Diese zentralen Bezugspunkte im Quartier stellen die entscheidenden räumlichen Determinanten unterschwelliger und "natürlicher" sozialer Selbstorganisation und Kontrolle in der Stadt dar (Jacobs, 1992: 119).

Nutzungen und zentralen bedeutungsreichen Gebäuden (s. Kap. 4.3). Diese Plätze sind die zentralen quartiersinternen Treffpunkte und Orte des Verweilens, der Versorgung auf dem Wochenmarkt, oder des Zusammenkommens, z.B. beim alljährlichen Quartierfest. Vor dem Hintergrund der unvollständigen Integration sind es diese Orte, die zentralen Quartiersplätze, urbanen Achsen und urbanen Cluster, welche die zentralen Orte des Kontakts, der Interaktion und des Zusammenkommens ausmachen. Sie können je nach Charakter und der Zentralität des Quartiers im Bezug auf die Gesamtstadt nach ausgestaltet werden und sind essentiell für die Funktionsweise eines jeden Quartiers.

nach Jacobs, 1992: 179)

Zentrale städtebauliche Elemente sind hier die belebten Straßen mit breiten Bürgersteigen, bzw. Randbereichen mit sanften Übergängen zwischen aktiven Erdgeschosszonen in Form von Außengastronomien und offenen, "tiefen" Fassaden (Speck, 2013: 240). Daneben sind es auch die zentralen Platzräume mit einer Vielzahl unterschiedlicher

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Best Practice

QUARTIERSANALYSE MONTREAL QUARTIERSDIMENSIONEN

Abb. 146: Montreals Quartiere (Eigene Darstellung)

100


Best Practice

STREET NEIGHBORHOODS | URBANE ACHSEN

URBANE ACHSEN Abb. 147: Montreals Urbane Achsen (Eigene Darstellung)

Abb. 149: Urbane Achse, Old Montreal (Eigene Darstellung)

Abb. 151: Urbane Achse, Mile End (Eigene Darstellung)

URBANE RÜCKRÄUME Abb. 148: Montreals Urbanen Rückräume (Eigene Darstellung)

Abb. 150: Triplex Häuser, Le Plateau (Eigene Darstellung)

Abb. 152: Triplex Häuser, Le Plateau: Wohnstraßen im Grünen (wikimedia)

101


Städtebauliche Quartiersentwicklung

4.3. BAUSTEIN 3: URBANE LEUCHTTÜRME - MEHR ALS KIRCHEN URBANE LEUCHTTÜRME

Abb. 153: Leitbild Baustein 3 (Eigene Darstellung)

Als ein weiterer Faktor für die Diversität und Ausstrahlungskraft von Quartieren sind die Leuchttürme, oder Magnetnutzungen der Stadt hervorzuheben. Diese Sondergebäude bestehend aus Theatern, Museen, Bibliotheken und Konzerthäusern (u.a.) bringen auch “Externe” in die Quartiere, und beleben diese zu unterschiedlichen Tageszeiten. Sie bringen mitunter auch Touristen mit sich und sorgen für Laufkundschaft in Restaurants und Bars (→ Soziale Kontakte). Diese Nutzungen, welche sich vor allem auch in historisch bedeutenden Gebäuden wiederfinden können, bereichern den Charakter ihrer Quartiere, sowie die Diversität der Gesamtstadt über ihren Kern hinaus. Urbane Leuchttürme prägen heute in einem hohen Maße unsere Innenstädte. Kombiniert mit einer starken Fokussierung auf gewerbliche Nutzungen des Einzelhandels und auf Grund fehlender Wohnnutzungen, stellt sich hier häufig eher einen Qualitätsverlust, 102

als eine qualitätvolle urbane Diversität dar. Dies stellt sich unter anderen durch eine Verwahrlosung der Stadtkerne nach Ladenschluss dar. In ihnen werden verbliebene Wohnnutzungen oftmals verdrängt und auch gastronomische Nutzungen, oder kleinere Inhaber betriebene Ladenlokale fallen häufig renditeträchtigeren Gewerbeformen großer Ketten zum Opfer (s. Abb. 154) Diese Prozesse beschreibt Jacobs als "Self Destruction of Diversity" (Jacobs, 1992: 241). Hiermit geht sie auf ihre Beobachtungen ein, dass sich selbst in einer heterogenen Stadt, mit einer kleinteiligen Nutzungsvielfalt über die Zeit hinweg, in bestimmten Lagen, bevorteilte Nutzungen durchsetzen und der Erfolg vieler urbaner Achsen sich in gewisser Weise selbst zum Opfer fällt (ebd.). Es ist also umso wichtiger Stadtentwicklung über alle Quartiere hinweg zu sehen, um solchen selbstzerstörenden Prozessen des vermeintlichen Erfolgs, welche sich auf verschiedensten Maßstabsebenen finden lassen und auch sozialräumliche Divergenzen bedingen, zu begegnen.

Abb. 154: Ponte Vecchio, Florenz: Brücke der Juveliere (Eigene Darstellung)


BAUSTEIN 3: URBANE LEUCHTTÜRME - Mehr als Kirchen

Abb. 155: Dortmunder U (Eigene Darstellung)

Abb. 157: Holzmarkt, Berlin (Eigene Darstellung)

Ein planerisch oftmals direkt in städtischer Verantwortung liegendes Instrument muss es daher sein, öffentliche Nutzungen mit Publikumswirkung vielmehr auf die zentralen Orte unterschiedlicher Quartieren zu verteilen, oder Standorte in solchen Lagen zu erhalten. Dies soll nicht heißen zentrale Nutzungen an den Stadtrand zu verlegen und der Innenstadt an Attraktivität zu nehmen, sondern vielmehr in einer gewissenhaften Abwägung zu analysieren, ob weitere Urbane Leuchttürme die Diversität eines spezifischen Ortes bereichern, oder sie zu einem Übermaß an zu ähnlichen Nutzungen in direkter Proximität zueinander führen

Abb. 156: Frau Gerold Garten, Zürich (Eigene Darstellung)

Abb. 158: Holzmarkt, Berlin (Eigene Darstellung)

und somit die Diversität dieses Raumes schwächen. In einer Baukulturwerkstatt zum Thema "Identität bauen" befassten sich im Jahr 2010 verschiedene Stadtplaner und Architekten mit dem Thema der Identität von Gebäuden (BMVBS, 2010). Sie suchen sehen Baukultur als Instrument städtischer Identität und kommen zum Schluss, dass man Identität nicht im klassischen Sinne bauen kann (ebd.). Sie entsteht vielmehr dadurch, dass die gelebte Stadt Gebäuden einen Wert gibt, man sie etwa von weitem aus sieht, sie mit einem Quartier assoziiert, oder sie durch beson103


Städtebauliche Quartiersentwicklung

dere Nutzungen und historische Momente mit etwas verbunden werden. Bestenfalls überlagern sich mehrere Faktoren, wodurch sich ein Gebäude zu einem besonderen Leuchtturm der Stadt avancieren kann. Identität kann man also nur in der Geschichte der Stadt und im Zusammenspiel von Gebäuden über unterschiedliche Nutzungen und Bedeutungszuweisungen sehen (s. Kap. 3.4). Hier liegt neben den klassischen Nutzungen mit einer Strahlkraft über die Gesamtstadt, oder sogar über diese hinaus, der eigentliche Kern urbaner Leuchttürme verborgen. Leuchttürme der Stadt können somit auch vermeintlich immaterieller, oder temporärer Art sein und die Identität in der Stadt etwa durch lang bestehende Feste, Festivals und andere Veranstaltungen mit Bekanntheitsgrad ausmachen. Sie sind mitunter regional bekannt und als Wahrzeichen der Stadt zu sehen. Das "Palio di Siena", ein Pferderennen auf der berühmten Piazza del Campo bringt so alljährlich die einzelnen Quartiere Sienas zusammen und kürt einen Gewinner unter ihnen. Dieses Rennen, begleitet von Festen in jeder

104

der 17 "Conraden" Sienas stärkt die Rivalität zwischen den einzelnen Teilen der Stadt und damit auch die Identität der einzelnen Quartiere. So hat jedes Quartier seine eigene Flaggen, Uniformen und Insignia. Dieses Beispiel zeigt das Zusammenkommen historischer Entwicklungen, Traditionen und gesellschaftlicher Entwicklungen und die Verbindung zwischen gelebtem und gebauten Raum: Dem Palio di Siena, auf der Piazza del Campo, und gefeiert in den einzelnen Quartieren. Dies alles zeigt, dass die Stadt, neben ihren Kirchen und Gotteshäusern, die seit jeher ihre Anzugs- und Mittelpunkte darstellen, eine Vielzahl weiterer gebauter Umwelten der Identifikation und Ausstrahlungswirkung in sich vereint. Diese gilt es zu erkennen, zu bewahren und häufig auch von Grund auf neu zu entwickeln. Die zuvor in Kapitel 3.3.3 erläuterten Dimension zur Teilhabe und Empowerment im Quartier legen die Grundlagen solcher Quartierskulturen und den Ausgangspunkt dafür, Gebäuden und Räumen einen Wert beizumessen und sie zu Leuchttürmen der Stadt zu entwickeln.


BAUSTEIN 3: URBANE LEUCHTTÜRME - Mehr als Kirchen

SIENA - PIAZZA DEL CAMPO

Abb. 159: 3 Leuttürme: Basilica di San Domenico, Palazzo Publico, Duome De Siena (v.l.n.r) (Eigene Darstellung)

Abb. 160: Fahnen in den einzelnen Quartieren (Eigene Darstellung)

Abb. 161: Piazza del Campo (Eigene Darstellung)

Abb. 162: Feierlichkeiten zum Palio in Siena (Eigene Darstellung)

Abb. 163: Piazza del Campo: Tiefe Fassaden (Eigene Darstellung)

Abb. 164: Feierlichkeiten zum Palio in Siena (Eigene Darstellung)

Abb. 165: Nutzung der Piazza del Campo (Eigene Darstellung)

105


Best Practice

LONDONS STADIEN: URBANE LEUCHTTÜRME INTEGRIERT INS QUARTIER London ist mit 12 Profifussballvereinen wohl die Stadt mit der höchsten Dichte an Fussballstadien der Welt. Diese Stadien sind über große Teile Londons verteilt und in das Stadgefüge integriert. Sie stellen zentrale urbane Leuchttürme in ihren Quartieren dar. Diese Lage prägt eine mit der Stadt verknüpfte Fan-, Kneipein- und Spieltagskultur. So avancieren die Spieltstätten mit ihrer

Architektur und Historie zu entscheidenen lokalen Identifikationspunkten in der Stadt. Ins Stadtgefüge integrierte Stadien und Arenen tragen allgemein zur Diverstiät Urbaner Quartiere bei. London zeigt wie diese Nutzungen nicht als Störfaktoren zu sehen sind, sondern vielmehr Qualitäten für ihren Standort, sein Umfeld und lokal eingettete Ökonomien mitbringen.

Tottenham Hotspurs Leyton Orient Arsenal FC

Queens Park Rangers

West Ham Utd.

Brentford

Chelsea FC

Millwal FC Chartlon Athlethic

Fulham FC

Wimbledon AFC

Crystal Palace

Abb. 166: Londons Stadien (Eigene Darstellung)

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Best Practice

QUARTIERSANALYSE LONDON

Abb. 167: Londons Quartiere (Eigene Darstellung)

Abb. 168: Urbane Achse: Camden Passage, The Angel (Eigene Darstellung)

Abb. 170: Zwischenräume: Paddington Bassin, Islington (Eigene Darstellung)

Abb. 169: Urbaner Leuchtturm: Spitalfield Market (Eigene Darstellung)

Abb. 171: Zwischenräume: Paddington Bassin, Islington (Eigene Darstellung)

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Städtebauliche Quartiersentwicklung

4.4. BAUSTEIN 4: URBANE RÜCKRÄUME "Wir werden in der Stadt weiterhin Parks und Gärten haben, baumbestandene Boulevards und Rasenrabatten, bepflanzte Terrassen und Nischen für Urban Farming und Mikrobiotope und Schrebergärten. Aber sie werden das Grün in der Stadt sein, nicht die Stadt im Grünen. Die Stadt wird in der Landschaft liegen. Und beide werden, wie seit je, voneinander profitieren und einander bereichern." (Lampugnani, 2019)

URBANE RÜCKRÄUME

Urbane Nachbarschaften Abb. 172: Leitbild Baustein 4 (Eigene Darstellung)

Die Aussagen Lampugnanis spiegeln sein Plädoyer zur urbanen Dichte und einer klaren Trennung von Stadt und Land wider. Sie zeigt aber auch, wie wichtig Grünräume auch in Zukunft für die Stadt sein werden. Ein Plädoyer für Dichte bringt nicht unbedingt einen Verlust an Freiraumqualitäten und ein Rückschritt zu den negativen (gesundheitlichen) Effekten der Dichte des Städtebaus des 19. Jahrhunderts mit sich. Vielmehr bringt eine Neuausrichtung der Mobilität in der Stadt, mit einem Fokus auf den Umweltverbund und auch intelligenten (Sharing-)Modellen, durch Flächeneinsparungen, ein höheres Sicherheitsgefühl und ver108

miedene lokale Emissionen, enorme Chancen mit sich (s. Abb. 173). Das hierdurch entstehenden Möglichkeitsräume lassen sich vor allem auf den 4. Baustein urbaner Quartiere übertragen. Neben den zentralen urbanen Achsen lassen sich im Quartier auch ruhigere Quartiersräume ausmachen, in denen neben dem Café oder Bäcker im Eckhaus, das Wohnen und grüne Funktionen im Vordergrund stehen. Hier können auch Kindertagesstätten und Grundschulen im Quartier verankert sein und den sicheren, selbständigen (Fuß-)Weg für Kinder zu ihnen gewährleisten. Kombiniert mit einer auf Sicherheits- und Gesundheitsaspekte ausgerichtete Mobilität der kurzen Wege machen solche Standorte Barrieren zwischen der Schule und dem öffentlichen Raum in Form von Zäunen und anderen Pufferzonen ob-

Abb. 173: Autoraum - Grünraum (Wren Mc Donald)


Baustein 4: Urbane Rückräume

Abb. 174: Roombeekschool Enschede

Abb. 175: Hauthhavens Kwatier, Amsterdam

Abb. 176: Roombeekschool Enschede

Abb. 177: Woonerf in Delft (Lior Steinberg)

(Eigene Darstellung)

(Eigene Darstellung)

(Thomas Schlijper)

solet. Sie integrieren Bildungs- und Betreuungseinrichtungen in das Quartier und können und aktivieren den Schulhof als öffentlichen Raum auch für andere Nutzungen (s. Abb. 174, 176).

ßen in den Niederlanden, welche sich durch die Reduktion von Parkplätzen und die Beruhigung des Verkehrs zu grünen Oasen entwickelt haben (s. Abb. 175, 177).

Diese Quartiersrückräume, bestehend aus einem Netz ruhiger Wohnstraßen, bilden das Herz des Quartiers aus und schließen direkt an dessen zentrale urbane Achsen an. Während diese öffentlichen Räume - neben privaten Freiräumen im Innenhof - bis heute zumeist als Parkraum des MIV genutzt werden, können sie in einer nachhaltigen und lebenswerten Stadt zu zentralen grünen Aufenthaltsorten avancieren, in denen Kinder auf der Straße spielen, der lange vernachlässigte Vorgarten zum Leben erweckt wird und die urbane Nachbarschaft zum tragen kommt. Hier lernen sich Nachbarn in der Stadt kennen, gestalten die Räume vor ihrem Haus und interpretieren diese durch unterschiedlichste Nutzungen selbst. Ein gutes Beispiel hierfür sind die “Woonerfs” und andere Wohnstra-

Woonerfs sind in ihrem Charakter als klare urbane Wohnstraßen zu sehen, welche häufig wenig Platz, jedoch eine Vielzahl an Freiraumqualitäten mit sich bringen. In ihnen steht nicht die Mobilität im Mittelpunkt sondern das Ankommen, Verweilen und Zusammenkommen (Gehl, 2015b: 91). Wie solche Funktionen den für lebendige Quartiere essentiellen Übergang zwischen dem öffentlichen Raum und den privaten Wohnnutzungen im Erdgeschoss gestaltet, hängt vom Charakter des Quartiers ab. Hier sind das Hochparterre und eine Abschottung der Erdgeschosszonen vom öffentlichen Raum weniger zu empfehlen. Vielmehr ist es essentiell, sanfte aber klare Übergänge in Form von Vorgärten, einer Veranda, oder anderen Vorzonen zu entwickeln (Gehl, 2015b: 101). Jacobs

109


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 178: Stoops in Harlem, NY (Abe Hammer, Brooklyn Public Library)

spricht hier vielfach über die Rolle der für New York City typischen und zu dieser Zeit viel genutzten "Stoops", welche den Übergang vom öffentlichen zum privaten Raum mit tiefen Fassaden auch bei Wohnnutzungen im Erdgeschoss betonen (Jacobs, 1992: 123, 52, u.a.) (s. Abb 178). Auch architektonische Lösungen in der Grundrissgestaltung und selbst eine Anhebung des Erdgeschosses in Form einer Hochparterre mit halbprivaten Vorzonen können, unter Berücksichtigung der zuvor erläuterten Prinzipien mögliche Lösungen für eine qualitätvolle Gestaltung dieser Übergangsbe-

reiche darstellen. Diese "halbprivaten Randzonen" (ebd.) sind somit der Garant für spontane Kontakte und Gespräche über den Gartenzaun. Dies alles kann die baulichen Grundlagen für ein Entstehen anderer, dem Wesen der Stadt zu Grunde liegenden urbanen Nachbarschaften darstellen (Gans, 1982). Diese urbanen Nachbarschaften machen die ruhigen und grünen Rückräume der Quartiere aus. Diese formulieren sich in verschiedenen Quartieren in unterschiedlichsten Formen aus und sind als kleinere Einheiten des Quartiers, bestehend aus einem, oder mehreren Blöcken zu verstehen (s. Abb. 172).

Die neu entwickelten Quartiere in Tübingen sind in ihrer Dimensionierung, aber auch in ihrem Programm und Charakter als solche urbanen Nachbarschaften zu verstehen. Sie sind Teil und mit Blick auf das Lorettoviertel auch Kernihrer Quartiere in der Südtstadt Tübingens. Solche heterogenen urbanen Nachbarschaften gilt es als Teil eines jeden Quartiers zu verstehen und weiter zu entwickeln (s. Abb. 126130).

EXKURS - PARKS "Parks are volatile places. They tend to run to extremes of popu­larity and unpopularity. Their behavior is far from simple. They can be delightful features of city districts and economic assets to their surroundings as well, but pitifully few are. (…) Parks are not automatically anything and least of all are these volatile elements stabilizers of values or of their neighborhoods and districts." (Jacobs, 1992: 89, 92) Jacobs sah schon um 1960, sicherlich vor dem Hintergrund damals aktueller städtebaulicher Leitbilder, die Anlage von Grünflächen und Parks als delikate Gestaltungsaufgabe (Jacobs, 1992: 110

89). Sie stellte heraus, dass ausgiebiges Grün und eine gute Durchlüftung der Stadt unter Umständen weniger Qualitäten und vielmehr Defizite im Bezug der sozialen Kontrolle und des


Baustein 4: Urbane Rückräume

Abb. 179: Washington Square Park im Winter, New York City (Eigene Darstellung)

Abb. 180: Mittagespause im Washington Square Park, New York City (Eigene Darstellung)

Abb. 181: Washington Square Park im Winter, New York City (Eigene Darstellung)

Abb. 182: Washington Square Park im Sommer, New York City (Ludovic Bertron)

Sicherheitsgefühls in der Stadt mit sich bringen (ebd.). Für die sozial prekäre Stellung vieler Stadtparks stellt sie fest, dass so attraktive urbane Grünflächen in der Stadt immer von der Dichte und Funktion der umliegenden Quartiere, beziehungsweise von ihrem "Hinterland" abhängt (Jacobs, 1992: 97). Die Belebung und Attraktivität von Stadtparks ist somit in hohem Maße von den urbanen Qualitäten der ihnen umgebenden Quartiere abhängig. Dies lässt sich auch für andere Grünflächen feststellen. Grünzüge, welche die Stadt aufgrund topographischer Begebenheiten, planerischen Willens, oder der Stilllegung alter Bahntrassen durchziehen, sind umso attraktiver, je mehr Menschen diese nicht nur in der Freizeit, sonder auch im Alltag mit dem Rad, oder zu Fuß zu unterschiedlichsten

Tageszeiten durchqueren. Daneben kommen auch gestalterische Aspekte, wie die Ausrichtung und Adressbildung der umliegenden Bebauung zum Park, und die Programmierung dieser Flächen durch verschiedenste Nutzungen zum tragen. Allgemein lässt sich jedoch festellen, dass diese Grünräume urban sind und sie, wie es Lampugnani beschreibt, das Grün in der Stadt darstellen und nicht umgekehrt (Lampugnani, 2019) (s. Kap. 4.4). Die bis heute vielfach großzügig geplanten, aber oft wenig bespielten Grünräume in neuen Stadtteilen spiegeln häufig nicht das wieder, was sie versprechen. Auch dem Argument, dass Grünräume die Lungen der Stadt wären widerspricht Jacobs und stellt schon 1960 heraus, dass die111


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 183: Verschiedene Aktivitäten im Westpark (Eigene Darstellung)

se ausgiebigen Grünflächen und eine aufgelockerte Bebauung vielmehr kontraproduktiv für die CO2 Bilanz einer Stadt sind: "Los Angeles, which needs lung help more than any other American city, also happens to have more open space than any other large city; its smog is partly owing to local eccentricities of circulation in the ocean of air, but also partly to the city's very scatter and amplitude of open space itself. The scatter requires tremendous automobile travel and this in turn contributes almost two-thirds of the chemicals to the city's smog stew." (Jacobs, 1992: 91) Grünflächen sollten also auf Grund von Sicherheitsaspekten, der hier schnell entstehenden Angstträume, sowie auch aus Nachhaltigkeitsüberlegungen wohl überdacht und dimensioniert geplant werden. Auch ihre Lage im Stadtgefüge ist entscheidend für ihre Funktion und ihren Charakter. So lässt sich anhand von vielen Beispielen erkennen, dass die Verortung von Parks 112

Abb. 184: Cricket im Westpark, Dortmund (Eigene Darstellung)

in der Nähe von Mobilitätsknotenpunkte, wie Bahnhöfen und U-Bahnstationen häufig mit einer Vielzahl sozialer Probleme und der Entstehung von Angsträumen verbunden ist. Auch Spielplätze an Hauptverkehrsachsen sind aus Sicherheitsaspekten weniger sinnvoll und sollten, wie auch Schulen und Kindergärten in den Rückräumen der Quartiere geplant werden. Zwar bringt die Verkehrswende viele Vorteile mit sich, jedoch sollten "schnellere" und "langsamere" Teile der Stadt auch bei einer Stärkung des ÖPNV planerisch weiter auseinander gehalten werden. Gleichzeitig bietet die Stärkung des Umweltverbunds aber eine Vielzahl an Möglichkeitsräumen, die in einer Abwägung mit häufig sicherlich notwendigen Nachverdichtungsmaßnahmen, mehr Grünflächen und Aufenthaltsqualitäten in der bestehenden Stadt erlauben, ohne dabei an urbanen Qualitäten einzubüßen. Hierbei stehen vor allem auch die Räume zwischen den Quartieren, die Hauptachsen, bedeutenden Verkehrsräume, aber auch Grünzüge im Mittelpunkt.


Baustein 5: Räume zwischen den Quartieren

4.5. BAUSTEIN 5: RÄUME ZWISCHEN DEN QUARTIEREN

Abb. 185: Rotterdam Centraal (Jurriaan Snikkers)

Diese Räume zwischen den Quartieren stellen den abschließenden Baustein urbaner Quartiere dar. Sie verlaufen häufig nur in Teilen durch das Quartier und machen vielmehr die Schnittstelle zwischen ihnen aus. Im Sinne einer Stadt der kurzen Wege, im Zusammenhang von Nachhaltigkeitüberlegungen und auch mit einem Blick auf Städte vor Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich hinterfragen, ob diese Achsen überhaupt notwendig sind. Planwerke wie Haussmanns Fluchtlinienplanung in Paris machen jedoch, im Zusammenhang der zuvor bestehenden Missstände schnell deutlich, dass auch nach der Verkehrswende und in Erhaltung alltäglicher, gewohnter Aktionsradien, auch Räume der Mobilität für Straßenbahnen, Bus- und Radverkehre, erhalten bleiben müssen. Grundsätzlich können diese sicherlich auch unterirdisch in Form von U-Bahnen verlegt werden. Dies sollte aber den Grün- und Freiraumqualitäten des Straßenraums und der Urbanen Quali-

tät des Quartiers zu Gute kommen und nicht wie im 20. Jahrhundert oft üblich den weiteren Ausbaus der MIV-Infrastruktur. Sollten solche verkehrlich wichtigen Arterien oberflächlich durch zentrale urbane Achsen eines Quartiers verlaufen - was in der Realität der Stadt sehr häufig der Fall ist - ist über eine Abstimmung der Planung zwischen den Mobilitätsfunktion in der Mitte des öffentlichen Raums und den Funktionen der urbanen Achse als Ort des Einkaufens, Verweilens, und Flanieren in den Randzonen zu bedenken. Eine auf den Radverkehr und ÖPNV ausgerichtete Stadt bietet hierfür den Raum solche Nutzungskonflikte miteinander in Einklang zu bringen und Übergänge zwischen den unterschiedlichen Verkehrsmodi und Geschwindigkeiten herzustellen. Hierbei ist auch darauf zu achten, dass Trassen des ÖPNV besonders in diesen langsameren Bereichen der Stadt - in ihren urbanen Achsen - keine Barrieren 113


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 186: Tram in die Urbane Achse integriert, Amsterdam (Chris Brunlett)

Abb. 188: Straßenbahn im Rückraum des Quartiers, München (Eigene Darstellung)

Abb. 187: Begrünte schnelle Straßenbahntrasse, Amsterdam (Chris Brunlett)

Abb. 189: Tram Vitoria Gasteiz, Spanien

darstellen, sondern überall für den Fußgänger überquerbar bleiben (Antonelli, 2017: 56).

Auf der anderen Seite können Landschaftsparks, grüne Finger, Landschaftszungen und Grünzüge der Stadt durch eine auf das urbane Quartier und die Innenentwicklung fokussierte Stadtplanung erhalten und weiter qualifiziert werden (s. Abb. 193). Diese grünen Zwischenräume der Stadt gilt es in Anlehnung an den Finger Plan Kopenhagens zu schützen und entlang bestehender ÖPNV Korridore Quartiere weiter und neu zu entwickeln (MFVM, 2015)*. Eine weitere Verdichtung und programmatische Aufwertung der bestehenden Stadt kann zu einer Attraktivierung dieser Zwischenräume führen, neue Radtrassen Städte untereinander verbinden, Natur- und Erholungsräume besser anbinden und die Stadt in der Landschaft weiter stärken.

Eine Vielzahl an gebauten Beispielen zeigen schon heute wie diese Hauptachsen zwischen den Quartieren zukunftsfähig gestaltet werden können. Sie geben dem Fuß- und Radverkehr mehr Raum, bilden eigene Korridore für den ÖPNV aus und schaffen gleichzeitig Grünräume und Aufenthaltsqualitäten. Dies ist vor allem in der Renaissance der Straßenbahn (Tram) zu erkennen (Köstlin, 1987) (s. Abb 186192). Sie dient als Beschleuniger des Fußverkehrs, als komfortable Alternative zum Bus und als kostengünstige, feinmaschigere und ebenerdige Ergänzung bestehender U-Bahnnetze. 114

(Stadt Vitoria Gasteiz)


Baustein 5: Räume zwischen den Quartieren

Abb. 190: Tramway de Bordeaux, Place de la Bourse (Peter Grugerell)

Abb. 191: Tram in Zürich, Versorgung an der Haltestelle (Eigene Darstellung)

Abb. 192: Zwischen Bahntrassen, Schrebergärten und Grünzügen (Eigene Darstellung)

Abb. 193: Grünzüge mit qualitätvoller Radverkehrsinfrastruktur (Eigene Darstellung)

Abb. 194: Europäische Erfolgsmodelle - Zukunft des ÖPNV (Antonelli, 2017: 34l)

115


Best Practice

QUARTIERSANALYSE DORTMUND QUARTIERSDIMENSIONEN

Abb. 195: Dortmunds Innenstadtquartiere (Eigene Darstellung)

URBANE ACHSEN

Abb. 196: Einkaufsstraßen | Urbane Achsen (Eigene Darstellung)

116


Best Practice

URBANE LEUCHTÜRME

Abb. 200: Zukunftsbild Saarlandstraße (Eigene Darstellung)

Abb. 197: Leuchtürme: Konzerhaus, Bibliothek, Museen und mehr (Eigene Darstellung)

URBANE RÜCKRÄUME

Abb. 201: Zukunftsbild Dortmunder U + Wallring (Eigene Darstellung)

Abb. 198: Grüne Rückräume im urbanen Kontext (Eigene Darstellung)

ZWISCHENRÄUME Abb. 202: Zukunftsbild Neuer Graben (Eigene Darstellung)

Abb. 199: Zwischenräume aus grünen Achsen und Hauptverkehrsachsen (Eigene Darstellung)

Abb. 203: Zukunftsbild B1 (Eigene Darstellung)

117


4.6. DIE DIMENSIONIERUNG EINES QUARTIERS UND MÖGLICHE CHARAKTERE Zum Abschluss der Auseinandersetzung mit dem Urbanen Quartier soll noch ein Blick auf zwei zentrale Aspekte des Quartiers eingegangen werden. Dies sind zum einen ihre unterschiedlichen Charaktere, zum anderen ihre Ausdehnung, bzw. Dimensionierung. Über diese scheint es in der Praxis oftmals eine Vielzahl unterschiedlicher Haltungsweisen zu geben. Auch kann angenom-

men werden, dass dem Aspekt der Dimensionierung des Quartiers in der Planungspraxis des Städtebaus oftmals - mitunter unterbewusst - eher weniger Aufmerksamkeit zukommt. So versteht die Stadt Tübingen bspw. ihre Projekte der letzten Jahrzehnte als Quartiere obwohl diese, den Dimensionen und der Rolle eines Quartiers eher weniger gerecht wird (s. Kap. 4.4: Rückräume)

4.6.1. DIMENSIONIERUNG EINES QUARTIERS Schon in den ersten theoretischen Betrachtungen in Kapitel 3.2 hat sich herausgestellt, dass der übersichtliche räumliche Charakter des Quartiers zentral für dessen Qualität ist. Auch die sozialräumliche Stellung, an der Schnittstelle zwischen der Bewohnerschaft und in Vermittlung zu Instanzen von Verwaltung und Politik sind entscheidende Faktoren für die Dimensionierung eines Quartiers im Kontext der Gesamtstadt. Die Betrachtung der Fallbeispiele zeigt, dass Quartiere mitunter recht unterschiedliche Ausdehnungen vorweisen. Die Zugehörigkeit zu einem Quartier, dessen Abgrenzungen und Bezugspunkte scheinen dabei zu größten Teilen in deren zentralen urbanen Achsen zu liegen. Dies unterstreicht oft schon deren Namensgebung, wie bspw. die Saarlandstraße in Dortmund zeigt. So sind es nicht unbedingt die zuvor angenommen Dimensionen von 700x700 Metern, sondern oftmals die entlang einer urbanen Achse aufgezogenen Strukturen, die ein Quartier ausmachen. Wie in Montreal deutlich wird 118

können diese Achsen auch mehrere Quartiere ausmachen. Für innerstädtische Quartiere lassen sich somit abschließend nach der Betrachtung unterschiedlicher Städte Dimensionen von ca. 700-1000 Metern ableiten, auch wenn sich vielfach auch größere Ausdehnungen entlang urbaner Achsen ausmachen lassen (alle Achsen in Montreal; Covent Garten und London Bridge in London; Cannaregio, Dorsoduro, Castello in Venedig). Diese, von der geplanten Dichte und Lage des Quartiers im Stadtgefüge abhängigen, Größen sollen lediglich als planerische Leitlinie dienen, bringen jedoch vor dem Hintergrund der zuvor geschilderten stadtplanerisch-gesellschaftlichen Herausforderungen und daraus abgeleiteten Qualitäten zentrale räumliche, aber auch soziale Vorzüge für die Stadt mit sich. In den Fallbeispielen hat sich gezeigt, dass die Größe der innerstädtischen Quartiere nach außen hin - mit ihrer baulichen Dichte - abnimmt. So kommen Ausdehnungen von mehr als 1000 Metern in weniger zentralen La-


Dimensionierung und Quartierscharaktere

gen zustande. Auch hier sind jedoch häufig weniger Abhängigkeiten zu unterschiedlichen urbanen Achsen, oder zentrale Clustern festzustellen. Sie setzen die Quartiere in unterschiedlichste räumliche Gefüge, bestimmen Aktionsmuster ihrer Bewohner und bedingen deren Kerne und Randzonen. Andere Teile der Stadt mit weniger ausgeprägten urbanen Achsen weisen dagegen

auf weniger beständige und auf den MIV ausgerichtete Versorgungsstrukturen hin. Sie machen die Teile der Stadt aus, welche als städtische Strukturen zu sehen sind, die sich häufig auch nicht zu einem Quartier zuordnen lassen und den Charakter eines solchen weniger widerspiegeln.

4.6.2. QUARTIERSCHARAKTERE Aus ihrer Lage im Stadtgefüge ergeben sich somit - sicherlich neben anderen (historisch bedingten) Faktoren - unterschiedliche Quartierscharaktere und auch Stadtteil die weniger die Qualitäten eines Quartiers mit sich bringen. Diese gilt es, vor dem Hintergrund der zuvor genannten Aspekte weiterzuentwickeln, neuen Qualitäten zukommen zu lassen, bzw. gänzlich neu zu erfinden. Hier können je nach gewünschten Charakter des Quartiers, in abgestimmter Form unterschiedliche Formen des Wohnen und Arbeitens in Synergien miteinander treten. Sie gehen mit unterschiedlichsten Wohnansprüchen einher und bedienen verschiedene Nachfragen und Lebensentwürfe. So stehen beispielsweise in ruhigeren Quartieren am Stadtrand eher die Funktionen des Wohnens mit Familie und eigenen Garten im Vordergrund, wobei in produktiven urbanen Quartieren Entrepreneure und andere Unternehmer in direkten Anschluss an ihren Betrieb wohnen können. Die im Folgenden Entwurf entwickelten Quartiersstrukturen stellen hinge-

gen den Charakter eines innenstadtnahen, urban verdichteten Quartiers dar, in denen verschiedenste Formen des Wohnens, aber auch der Arbeit zusammenkommen. Der hier entwickelte Typus kann nur modellhaft für die Mannigfaltigkeit bestehender und weiterzuentwickelnder Quartiere stehen. Neue Rahmenplanungen wie die Entwicklung Oberbillwerders in Hamburg, oder die Projekte um das Stadtentwicklungskonzept der Stadt Wien mit dem Fachkonzept produktive Stadt zeigen weitere Möglichkeiten zur städtebaulichen Quartiersentwicklung in einer heterogenen Stadt. Dieser Entwurf soll jedoch soll jedoch als Ansatz für Überlegungen zur Umgestaltung der Stadt und ihren oftmals - auch weiterhin geplanten - monofunktionalen, homogenen Strukturen dienen. So können und sollen Quartiere in ihren einzelnen Teilbereichen in sich unterschiedliche Charaktere, Nutzungsschwerpunkte und Typologien ausprägen. Dabei stehen fragen im Mittelpunkt, wie sich hierdurch nicht so sehr Konfliktpunkte, sondern vielmehr 119


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Synergien zwischen unterschiedlichen Nutzungen und Typologien ergeben können. Verschiedene Wohn und Arbeitsformen müssen so, gut aufeinander abgestimmt, Lösungen für eine lebenswerte und heterogene Stadt bieten. In einer Analyse unterschiedlicher Typologien und Zeitschichten der Stadt können Konzepte für eine qualitätvolle, auf dem Bild des urbanen Quartiers basierende, Maßnahmen der In-

120

nenentwicklung ausgearbeitet und so Stadt weitergebaut werden. Der folgende Entwurf stellt den Versuch einer solchen Integration neuer Teile der Stadt in das bestehende Stadtgefüge dar. Er ist als die Weiterentwicklung bestehender urbaner Innenstadtquartiere auf einer Konversionsfläche zu sehen, welche alte Strukturen integriert und durch städtebauliche Maßnahmen neue Räume und Übergänge schafft.


Dimensionierung und Quartierscharaktere

121


KONZEPTION

STÄDTEBAULICHER ENTWURF


5


Städtebauliche Quartiersentwicklung

5. STÄDTEBAULICHE QUARTIERSENTWICKLUNG AM BEISPIEL DER BAHNSTADT SÜD IN MÜNSTER Im abschließenden Teil dieser Arbeit geht es darum, die zuvor gewonnen Erkenntnisse auf den Raumzusammenhang der Stadt Münster anzuwenden. Im Rahmen des Schlaun Wettbewerbs 2020 zeigt hierzu ein städtebaulicher Entwurf der Flächen entlang der Bahnlinie südlich des Hauptbahnhofs, vor dem Hintergrund der zuvor gewonnen Erkenntnisse, Perspektiven für den Süden Münsters auf. Durch die Entwicklung der “Bahnstadt Süd” werden die Quartiere in Münsters Südviertel nach innen qualitativ ergänzt und durch

städtebauliche Maßnahmen nach außen neu verknüpft. Neben dem Südviertel, welches östlich direkt an die Planflächen anschließt, steht auch das östlich der Bahngleise gelegene Hansaviertel und der Stadthafen im Fokus der Betrachtung. Diese attraktiven und durch städtische Planungen und Initiativen (B-Side, Hansaforum) weiterentwickelten Strukturen im Osten Münsters gilt es, neben dem südlich gelegenen Messezentrum und der Halle Münsterland besser an das Südviertel anzubinden.

5.1. ANALYSE - QUARTIERSSTRUKTUREN UND NUTZUNGEN MÜNSTER

Stadtbezirke:

Statistische Bezirke | Quartiere:

SCHLOSS

NORD

ALTSTADT

BF.

WEST

MITTE

OST

PLUGGENDORG

HANSA

HERZ JESU

JOSEFSVIERTEL HAFEN

SÜDOST

HILTRUP

ASEESTADT

SCHÜTZENHOF

GEISTVIERTEL

Abb. 204: Administrative Strukturen in Münster (Eigene Darstellung)

Wie schon in den vorherigen Kapiteln in den Fallbeispielen aufgezeigt wurde, bilden Städte administrative Ebenen in Form von Stadtbezirken, oder Districts aus. Diese häufig weniger sozialräumlich bedingten und zumeist auch nicht stadtgeographisch abgeleiteten Be124

zirke setzen sich (zumindest historisch) aus einer Vielzahl von Quartieren zusammensetzen. Administrativ sieht die Stadt Münster hier im Betrachtungsrahmen lediglich den Stadtteil Mitte vor. Allein auf der Ebene der statistischen Bezirke lassen


Analyse - Quartiersstrukturen und Nutzungen

ANALYSE QUARTIERSSTRUKTUREN

Abb. 205: Quartiersstrukturen im Süden Münsters (Eigene Darstellung)

sich indirekt die Quartiere in Münster ablesen (s. Abb 204). Diese verorten auf der westlichen Seite der Bahnlinie das Josefsviertel sowie den Schützenhof. In zahlreichen Gesprächen mit ortskundigen Münsteranern hat sich jedoch herausgestellt, dass diese in verschiedenen Quellen bestätigten historischen Quartiere, beziehungsweise Viertel, nur eine kleine bis gar keine Rolle im alltäglichen Sprachgebrauch spielen (Hänsel, 2008; Stoffers, 2020). Sie sehen sich vielmehr als Bewohner des Südviertels, welches sich aus den historischen Josefsviertel im Norden, dem Schützenhof im Südosten und dem Geistviertel im Südwesten zusammensetzt (s. Abb 205). Diese Sichtweise lässt sich räumlich sicherlich in Teilen auf die Funktion der Hammer Straße als Rückgrat des Südviertels zurückfüh-

ren. Sie stellt als zentrale urbane Achse und auch wichtige Verkehrsachse des ÖPNV den klaren Bezugspunkt im Süden Münsters dar und trägt zur Identifikation mit dem Südviertel bei. Einzig das Geistviertel im Südwesten ist weniger mit der Hammer Straße verflochten, weist aber auch, als größtenteils monofunktionale, auf das Wohnen ausgerichtete Stadterweiterung der 1920er-Jahre, kein eigenes urbanes Zentrum und keine klaren räumliche Quartiersstrukturen aus (Hänsel, 2008: 201f.) (s. Kap. 4). Der Fokus dieser Arbeit liegt jedoch im Osten des Südviertels. Somit ist eine Auseinandersetzung mit dem historischen Josefsviertels sowie dem Schützenhof notwendig. Diese im Zentrum des Südviertels gelegenen Quartiere machen dessen ur125


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 206: Blick entlang der nördl. Nahrlage auf das Gleisbett in Richtung Süden (Eigene Darstellung)

Abb. 207: Blick auf die Planlächen zwischen den Gleistrassen Richtung Süden (Eigene Darstellung)

banen Kern aus. Vor allem im Zentrum des Josefsviertels ist eine hohe Diversität in den Nutzungen der nördlichen Hammer Straße, mit einer Vielfalt an kleinen inhabergeführten Ladenlokalen und einer aktiven Szene aus jungen Kaffees, Restaurants, und Unverpacktsowie Bioläden zu erkennen. Ergänzend schließt nördlich an das Südviertel und direkt an den Hauptbahnhofs das Bahnhofsquartier an. Dieses durch mehrere Verkehrsachsen durchzogene und eher als Übergang zur Altstadt wahrgenommene Quartier stellt, neben dem Hauptbahnhof selbst einen wichtigen Anschluss für die Bahnstadt Süd in Richtung Norden in Richtung Altstadt dar.

vermehrt gewerbliche Strukturen auf. An diese gilt es bei der Entwicklung der Bahnstadt Süd anzuknüpfen.

Bautypologisch sind sowohl das Bahnhofsquartier, als auch das Josefsviertel und der Schützenhof geprägt von zumeist geschlossenen Blockrandstukturen aus der Gründerzeit und der Zeit des Wiederaufbaus (Hänsel, 2008: 195f.). Hierbei sind neben gewerblich genutzten Innenhöfen auch vielfach grüne, in Form von privaten Gärten parzellierte Strukturen zu erkennen. Neben diesen in Teilen nutzungsgemischten urbanen Blöcken weist das Quartier Schützenhof im Süden auch 126

DAS PLANGEBIET Bei der Analyse der Nahtlagen des eigentlichen Plangebiets sind eine Vielzahl an Gemengelagen zu erkennen. Hierbei lassen sich die Entwurfsflächen der Bahnstadt Süd in Anlehnung an die bestehenden Quartiersstrukturen in drei Teilbereiche unterteilen. Im Norden stellen die zu entwickelnden Flächen auf dem jetzigen Bahn-Plateau des Bahndamms, nördlich der Hafenstraße eine Erweiterung des Bahnhofsquartiers dar. Südlich davon schließen die zu entwickelnden Flächen direkt an das Josefsviertel an. Der südliche Teil ist abschließend als Erweiterung und Abschluss des Schützenhof zu sehen. Hier gilt es die gewerblichen Nutzungen im Süden aufzunehmen und einen attraktiven Übergang zu den nördlichen Blockrandstrukturen zu entwicklen. Insgesamt bringen die Übergänge zu der sehr schmalen Entwurfsfläche eine Vielzahl an Anschlusspunkten, aber auch Herausforderungen mit sich, welche in Abbildung 208 dargestellt werden.


Analyse - Quartiersstrukturen und Nutzungen

Hauptbahnhof

DAS PLANGEBIET

Bahnplateau

Postbankgebäude

- erhöhter Bahndamm mit westl. Wohnnutzungen

Unterführung Neuer Anschluss Fernbusbahnhof Nördliche Nahtlage - Urbaner Mix aus Wohnen und Gewerbe - Wenig integrierter Discounter

KVB Gebäude DB Mittlere Nahtlage - kleinteilige Gewerbestrukturen im inneren Blockbereich - Nicht abgeschlossener Blockrand

Südpark

Clubschiene

Halle Münsterland

weitere Hallenstrukturen

Nahversorungszentrum - Agglomeration an nicht ins Stadgefüge integrierten Supermärkten und Ketten

Südliche Nahtlage - Riegeldbebauung als Lärmschutz (Wohnen) - Vornehml. Bürogebäude entlang der Fr. Ebert Str.

Abb. 208: Das Plangebiet: Entwicklungsflächen der Bahnstadt Süd (Eigene Darstellung)

127


RAHMENPLAN

2 Enwicklung: Ausformulierung der

als

3 Verstetigung: Eine urbane Mitte

neuen Quartiersmitten

n als

2

M

für den Schützenhof

Enwicklung: Ausformulierung der neuen Quartiersmitten

3

Verstetigung: Eine urbane Mitte für den Schützenhof

4 Perspektive: Optionale Bausteine

4 Perspektive: Optionale Bausteine

Leitbild

Leitbild

Realisierung ZOB am Hbf und neues Fahrradparkhaus

M

Realisierung ZOB am Hbf und neues Fahrradparkhaus

Urbane Kreativschiene

Urbane Kreativschiene

Ankerplatz Bahnstadt Süd

Ankerplatz Bahnstadt Süd

Anschluss zum Bahnhaltepunkt Halle Münsterland

Anschluss zum Bahnhaltepunkt Halle Münsterland

Städtebaulicher Abschluss zur Bahn

Städtebaulicher Abschluss zur Bahn

Produktives Zentrum Schützenhof

Produktives Zentrum Schützenhof

Abb. 209: Rahmenplan (Ohne Maßstab)


Die Entwicklung der Bahnstadt Süd

5.2. DIE ENTWICKLUNG DER BAHNSTADT SÜD SCHNITTSTELLE, MITTELPUNKT UND ÜBERGANG - DIFFUSE QUARTIERSSTRUKTUREN MIT EIGENSTÄNDIGEN CHARAKTER. Im Entwurf gilt es diese räumlichen Strukturen zu berücksichtigen und sie dabei vor dem Hintergrund der Bausteine Urbaner Quartiere zu erhalten und weiterzuentwickeln. Der städtebauliche Entwurf der Bahnstadt-Süd hat das Ziel die westlichen Quartiere sinnvoll zu ergänzen, jedoch auch eigene Qualitäten der Bahnstadt Süd als einen zukunftsfähigen und lebenswerten Stadtteil im Zentrum Münsters herauszuarbeiten.

BAUSTEIN 1: HETEROGENE BEBAUUNGSSTRUKTUREN Die drei Teilbereiche der Bahnstadt bringen unterschiedliche Zentralitäten aber auch verschiedene Ansprüche an den Schnittstellen zur Bestandsbebauung und Bahnlinie mit sich. So sieht der Entwurf in Abwägung verschiedener räumlicher Situationen und Ansprüche vier unterschiedliche städtebauliche Typologien vor. Zum einen machen die "Digitalen Arbeitswelten" vor allem die zentralen Lagen und hauptsächlich die nördlichen Bereiche der Bahnstadt und den südöstlichen Abschluss des Bahnhofsquartiers (s. Abb 210) aus. In ihnen stehen Büro- und verschiedene (öffentliche) Sondernutzungen - also auch urbane Leuchttürme - im Vordergrund. In ihnen können aber auch Nutzungen wie Fab-Labs, Einrichtungen der Universität oder andere vor allem gewerbliche Nutzungen, aber auch Wohnnutzungen in den Obergeschossen geplant werden. Die Erdgeschosse

Abb. 210: Digitale Arbeitswelten (Eigene Darstellung)

sollen dabei vor allem Publikumsnutzungen in Form Gastronomiebetrieben und Einrichtungen des Einzelhandels vorbehalten sein. Typologisch werden sie zum einen von kleinteiligen, verdichteten und geschlossenen Blockrandstrukturen gebildet. Zum anderen sind es aber auch vor allem Solitärgebäude, welche in Form von Hochpunkten städtebaulich markante Situationen im Plangebiet markieren. Dies sind zum einem die städtebauliche qualifizierten und durch eine neue Unterführung ergänzten Übergänge der Bahnstadt in Richtung Hansaviertel und Hafen im Norden, sowie das neu geschaffene östliche Zentrum des Josefsviertels mit einer neuen Überführung zur Halle Münsterland und zum neuen Bahnhaltepunkt des Messezentrums im zentralen Bereich der Bahnstadt. 129


STÄDTEBAULICHES DETAIL

Abb. 211: Städtebauliches Detail (Ohne Maßstab)


Die Entwicklung der Bahnstadt Süd

Abb. 212: Produktive Blockrandstrukturen (Eigene Darstellung)

Den zweiten typologischen Baustein der Bahnstadt Süd machen, vor allem im Anschluss an die bestehenden Gemengelagen, die "Produktiven Blockrandstrukturen" aus. Sie vereinen kleinteilig parzellierte Gewebestrukturen in Bereichen der Produktion, Manufaktur und des Handwerks im Erdgeschoss und Innenhof, mit Wohnnutzungen und weiteren gewerblichen Funktionen in den Obergeschossen. Diese, dem Charakter eines Mischgebiets entsprechenden, Strukturen schließen die bestehenden Blockrandstrukturen im Westen des Plangebiets ab und stellen einen sinnvollen Übergang zu den gewerblichen Nutzungen im Süden des Schützenhof dar. Der dritte Baustein der Bahnstadt bildet durch eine geschlossene Riegelbebauung mit einer vertikal gestaffelten Bebauung deren Abschluss zur

Abb. 213: Wohnen und Arbeiten an der Bahn (Eigene Darstellung)

Bahnlinie aus. Diese, dem Schallschutz dienenden Strukturen orientieren die Wohnnutzungen in Richtung Innenhof und gestalten somit auch deren gemeinschaftlichen Charakter. In ihnen stehen gleichermaßen das Wohnen aber auch gewerbliche Nutzungen im Vordergrund, welche vor allem in den unteren Geschossen und zur Bahnlinie hin vorgesehen sind. Die östlichen Teile dieser Blockrandstrukturen werden dabei anders als die sonstigen Teile des Plangebiets nicht durch kleinteilig parzellierten Strukturen in Form von Einzelhäusern gebildet, sondern können in größeren zusammenhängen Einheiten durch einen Bauträger getragen werden. Dies gibt in diesen weniger fußläufig frequentierten Bereichen weitere Möglichkeitsräume für Baugemeinschaften, aber auch für andere, auf das Wohnen und Arbeiten ausgerichtete Investoren auf. 131


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abschließend werden durch die letzte Typologie vor allem die verbliebenen Wohnansprüche in der Bahnstadt bedient. Diese Blöcke werden durch grüne, sowohl privat als auch gemeinschaftlich genutzte Innenhöfe und unterschiedlichste Wohnformen charakterisiert. Diese Typologie kommt am ehesten den in Tübingen realisierten “Quartieren” am Nächsten und soll auch in ihrer Entwicklung und Eigentümerstruktur eine ähnliche Diversität ausweisen. Hier werden sowohl Familien in Townhouse-Typologien, als auch andere Zielgruppen mit einer spezifischen Nachfrage nach zentralen, urbanen Wohnlagen mit Grünqualitäten unterschiedlichster Art bedient.

Abb. 214: Wohnen im Grünen (Eigene Darstellung)

BAUSTEIN 2: URBANE ACHSEN Neben den einzelnen, über das Plangebiet verteilten Blocktypologien, welche lediglich als planerische Prinzipien, Ideen für eine anschließende kooperative Entwicklung darstellen, wird die Bahnstadt durch ein klares urbanes Rückgrat ausgebildet. Nach den Prinzipien der längs ausgerichteten Street Neighborhoods, wie sie am Beispiel von Montreal zu erkennen sind, soll eine zweite von Nord nach Süd verlaufende Urbane Achse einen weiteren Anlaufpunkt für die Bewohner des Josefsviertels und Schützenhof darstellen. Diese, die Hammer Straße ergänzende urbane Achse im Osten, welche verkehrlich als Fahrradstraße einen direkten Anschluss an den Hauptbahnhof darstellt, soll sowohl alltägliche Bedarfe der Bahnstadt bedienen, aber auch als attraktiver öffentlicher Raum die Bahnstadt und das Südviertel im Ganzen beleben. Sie soll auch als Anziehungspunkt der Besucher der Halle 132

Münsterland und des Messezentrums dienen. Hierzu stehen drei zentrale Bereiche im Mittelpunkt. Im Norden macht ein zentraler überdachter Bereich das Entreé zur Bahnstadt aus, welcher in Anlehnung an den neu gestalteten Bahnhofsvorplatz in Utrecht entworfen wurde. Dieser südlich an den Hauptbahnhof anschließende Bahnhofsplatz vereint unterschiedliche (Versorgungs-)nutzungen und Außengastronomien in dessen Randbereichen mit den Mobilitätsfunktion dieser Lage. So ist unterhalb des neuen Bahnhofsentreés ein ergänzendes Fahrradparkhaus vorgesehen, welches flexibel zu Lasten der südlich anschließenden PKW-Tiefgarage erweitert werden kann. All diese Funktionen schließen sowohl für den Fuß- als auch den Radverkehr direkt über Rampen und Treppenanlagen an den Hauptbahnhof an und ermög-


Die Entwicklung der Bahnstadt Süd

Abb. 215: Utrecht Centraal, Stationsplein (Eigene Darstellung)

Abb. 216: Utrecht Stationsplein Fietsenstalling (Eigene Darstellung)

Abb. 217: Grundriss UG: Fahrradparkhaus, PKWGarage, Fernbusbahnhof, Zugang zum Hbf (Eigene Darstellung)

lichen Übergänge sowohl durch die bestehenden südlichen Bahnhofstunnel in Richtung Osten, als auch in Richtung Altstadt. Die Freitreppe im Anschluss an die Tordurchfahrt des jetzigen Postgebäudes bietet dabei in unterschiedlicher Weise Aufenthaltsqualitäten, kann aber auch als Tribüne für Filmvorführungen genutzt werden (s. Städtebauliches Detail). Der Bahnhofsvorplatz verbindet zudem den Hauptbahnhof direkt mit dem neu verorteten, unterirdisch verlegten ZOB (Fernbusbahnhof).

Der zweite zentrale Platz stellt im Herzen des Plangebiets das Zentrum der Bahnstadt und den durch eine neue Überführung geschaffenen Übergang zum Messegelände dar. Dieser Platz ist als östliches Zentrum des Josefsviertels zu verstehen. Er schließt außerdem an die jetzigen Nutzungen der Clubschiene an, welche erhalten und weiter ausgebaut werden sollen. Er ist neben der neu gestalteten Bahnhofstraße mit ihrer zweiten Unterführung, als zweites zentrales städtebauliches Gelenk der Bahnstadt zu sehen. 133


AXONOMETRIE

HO

F

Radachse

EN

FT

PR

AU

OD

E

A M S C H ÜTZ

ER

K

T IV

E SZ

UM N TR

URBAN

U

UND FOKUSBEREICHE

A

K

T

A

M

HA

U PT

BAH N

HO F

SCHNITT A-B | OHNE MASSSTAB

Vorplatz Hbf.

Fahrrad Parkhaus

Auto Parkhaus

ZOB | Fernbus Bahnhof


A

S U N D V ER K N Ü

PF E

NS

IM

RU

OR

NT

TD

S

O NK

EN MM

ZE

E

Abb. 218: Axonometrie (Ohne Maßstab)

MD ER BA

H N ST A DT

Abb. 219: Schnitt (Ohne Maßstab) A

Alte Unterführung

Neue Unterführung

Clubschiene | Urbanes Experimentierfeld

B


Städtebauliche Quartiersentwicklung

URBANE ACHSEN | QUARTIERE

Abb. 222: Quartierskonzeption | Urbane Achsen (ohne Maßstab) (Eigene Darstellung)

Abb. 220: Eingangssituation im Bahnhofsviertel (Blick Richtung Norden) (Eigene Darstellung)

Im Süden des Plangebiets macht eine weitere Platzsituation das neue urbane Zentrum des Schützenhofs aus. Dieser Platz ersetzt die jetzige Einzelhandelsagglomeration mit einem urbanen Ort des Zusammenkommens, welcher die Einzelhandelsnutzungen städtebaulich integriert, sie aber auch allgemein, dem fußläufigen Charakter der Bahnstadt entsprechend dezentral organisiert. Allgemein ist die zentrale Urbane Achse der Bahnstadt durch 136

Abb. 221: Eingangssituation im Bahnhofsviertel

(Blick Richtung Norden) (Eigene Darstellung)

unterschiedliche Zentralitäten und Nutzungsschwerpunkte geprägt. Von Nord nach Süd wird, weg vom Bahnhof sicherlich eine Abnahme der Nutzungsdiversität festzustellen sein. Hier können unterschiedliche Nutzungsschwerpunkte und Charaktere der jeweiligen Quartiere jedoch, etwa durch urbane Leuchttürme, verschiedene Einflüsse einbringen und sie so auf unterschiedliche Art und Weise beleben.


Die Entwicklung der Bahnstadt Süd

1

2 Enwicklung: Ausformulierung der

Auftakt: Zwischennutzungen als Inkubator der Entwicklung

neuen Quartiersmitten

3 Verstetigung: Eine urbane Mitte für den Schützenhof

4 Perspektive: Optionale Bausteine

M Realisierung ZOB am Hbf und neues Fahrradparkhaus

Produktive Inseln

Urbane Kreativschiene

Ankerplatz Bahnstadt Süd

Grüne Experimentier Felder

Anschluss zum Bahnhaltepunkt Halle Münsterland

Städtebaulicher Abschluss zur Bahn

Produktives Zentrum Schützenhof

Abb. 223: Entwicklungsperspektiven für die Bahnstadt Süd (Eigene Darstellung)

BAUSTEIN 3: URBANE LEUCHTTÜRME Für den dritten Baustein Urbaner Quartiere sind vor allem die Solitärstrukturen der Bahnstadt hervorzuheben. Diese stellen zentrale städtebauliche Dominanten dar, werden als Hochpunkte ausgebildet und sind prädestiniert für besondere öffentlichkeitswirksame Nutzungen. Für eine mögliche Verortung solcher Leuchtturmnutzungen ist im weiteren Verlauf der Entwicklung eine genauere Analyse der gesamtstädtischen (Raum-)bedarfe solcher Nutzungen, nach den zuvor aufgestellten Kriterien zur Verortung urbaner Leuchttürme, zu eruieren. Hier kann

auch die dezentral organisierte Westfälische Universität in den Blick genommen werden und mitunter neue Nachfragen in der Bahnstadt gedeckt werden. Auf der anderen Seite sieht der Entwurf der Bahnstadt im Nordosten eine Erweiterung der bisherigen Charakter gebenden Nutzungen zwischen den Gleisanlagen vor. Die hier vorzufinden (Zwischen-)Nutzungen um die Clubschiene und den Sozialpalast gilt es weiter zu fördern und in die Entwicklung aufzunehmen. So sieht der Ent137


Städtebauliche Quartiersentwicklung

wurf in Anlehnung an den "Holzmarkt" in Berlin, oder "Frau Gerolds Garten" in Zürich (s. Abb 156-158) Raum für eine offene, durch aktive, interessierte Münsteraner gestaltete Entwicklungen entlang der Bahnanlagen vor. Hier können sich Zwischennutzungen etablieren und in urbanen Grünräumen und Schiffscontainern (u.a.) neue Ideen ausprobiert werden. Dieser Ort soll, auf schon jetzt stillgelegten Bahngleisen, als zentraler Ausgangspunkt für der Entwicklung der Bahnstadt dienen. In einem kooperativen Prozess können vor dem Hintergrund des städtebaulichen Rahmenplans, Entwicklungsperspektiven aufgezeigt und eine schrittweise Realisierung nach Stilllegung des westlichen Gleisbettes, mit unterschiedlichen Zwischennutzungen eruiert werden. Hierzu ist es vorgesehen Teile der Gleisanlagen zunächst für gewerbliche und gemeinwohlorientierte

Abb. 224: Urbane Expermimentrierfelder (Eigene Darstellung)

Zwischennutzungen, andere Bereiche für urbane Gärten und Grünanlagen freizuhalten und die restliche Planfläche schon frühzeitig städtebaulich zu entwickeln. Hierbei ist ein Austausch mit der Bürgerschaft und lokal verankerten Initiativen (u.a) essentiell, um Möglichkeitsräume für Zwischennutzungen flexibel, je nach vorhandenen Ideen und Konzepten anzupassen.

BAUSTEIN 4: URBANE RÜCKRÄUME Bedingt durch seinen räumlichen Charakter sind urbane Rückräume in der Bahnstadt eher weniger und wenn überhaupt in den seitlich der urbanen Achse verlaufenden Nebenstraßen vorzufinden. Insgesamt ist die Bahnstadt vielmehr als Ergänzung der zentralen urbanen Funktionen der Hammer Straße zu sehen. Die ruhigen und in einer Umgestaltung des öffentlichen Raums grüner werdenden Rückräume des Josefsviertels und Schützenhofs sind somit eher zwischen der Hammer Straße und der Bahnstadt zu verorten. 138

In ihrem Zentrum steht der Südpark, welcher als zentraler Stadtpark im Süden Münsters auch ein entscheidender Anlaufpunkt für die Bewohner der Bahnstadt sein wird. Durch diese neuen Nutzergruppen erweitert der Südpark sein Hinterland und gewinnt weiter an Attraktivität. In Folge einer landschaftsarchitektonische Neugestaltung kann er zu einem attraktiven Anlaufpunkt für unterschiedliche Nutzergruppen zu unterschiedlichen Tageszeiten avancieren (s. Exkurs Stadtpark).


Die Entwicklung der Bahnstadt Süd

STÄDTEBAULICHES KONZEPT Hauptbahnhof

Der Entwurf sieht vor einen durch Versprünge und Sichtachsen differenzierten und interessanten Stadtraum zu entwickeln. An zentralen P Gelenken im Stadtgefüge werden durch diese Versprünge und Platzräume, welche zumeist mit Hochpunkten gekennzeichnet sind, neue Richtungen vorgegeben. Diese Strukturen sollen zum einem eine gute Orientierung im Quartier ermöglichen, zum anderen für kleinteilige und ansprechendende urbane Räume im menschlichen Maßstab sorgen. P

ZOB

Herz Jesu Kirche

Fernsehturm

P

P

P

Bahnhaltepunkt

Fahrradstraße

P

Flexibel anpassbare, multimodale Quartiersgaragen

Abb. 225: Städtebauliches Konzept (Eigene Darstellung)

URBANE RÜCKRÄUME

Abb. 226: Urbane Rückräume (ohne Maßstab) (Eigene Darstellung)

139


Städtebauliche Quartiersentwicklung

Abb. 227: Radverkerkehrsknoten Ecke

Hafen- & Von-Steuben Str. (Eigene Darstellung)

Abb. 228: Vorrang Radverkerkehr in Delft Übergang zu Wohnstraßen (Eigene Darstellung)

BAUSTEIN 5: URBANE ZWISCHENRÄUME Neben den zentralen urbanen Achsen durch die Bahnstadt stellt die Friedrich-Ebert-Straße auch weiterhin eine entscheidende Verkehrsachse im Süden Münsters dar. Sie schließt direkt an den Hauptbahnhof an und dient schon heute als eine wichtige Achse des ÖPNV. In einer auf den Umweltverbund ausgerichteten Umgestaltung der öffentlichen Raums und einer eventuellen Reaktivierung der Straßenbahn in Münster kann diese Straße als zentrale ÖPNV Achse zusammen mit dem neuen Bahnhaltepunkt Messezentrum Münster die Bedarfe in der Bahnstadt für den kleinteiligen ÖV bedienen. Hier steht außerdem die Bewältigung des Verkehrs im Trennprinzip im Mittelpunkt. Hier werden anders als in der Praxis häufig üblich dem Radverkehr eigene, ausgiebig breite und sowohl vom MIV, als auch vom Fußverkehr baulich klar getrennte Spuren, mit einer Mindestbreite von 2,60m zur Verfügung gestellt. Nur eine solches Design nach dem Vorbild niederländischer Gestaltungsgrundsätze, bietet ausrei140

chend Sicherheit, bedient aber auchdie Ansprüche an eine robuste und schnelle Radverkehrsinfrastruktur. Von der Friedrich-Ebert Straße aus wird das Plangebiet demnach auch für den MIV angeschlossen. Dabei soll im Plangebiet das Parken des MIV im öffentlichen Raum auf ein Minimum reduziert werden und die Parkraumbedarf zentral in flexibel veränderbaren Quartiersgaragen bedient werden, welche auch als Standort für Carsharing- und andere Mobilitätsangebote dienen können. Daneben wird die Hafensräumetraße, welche als Hauptverkehrsachse die zentralen Quartiere Münsters and das östliche Hansaviertel anbindet, neu gestaltet und durch eine zweite Unterführung ergänzt. Auch sie wird als multimodale Straße im Trennprinzip geplant und bildet ergänzend zur bestehenden Unterführung, welche als reine Fuß- und Radachse an die zentrale urbane Achse des Hansaviertels anschließt, einen neuen direkten Zugang zum Hafen aus.


Die Entwicklung der Bahnstadt Süd

ERSCHLIESSUNGSKONZEPT

Hauptbahnhof

Bei der Erschließung des Plangebiets stehen die Mobilitätsformen des Umweltverbunds im Mittelpunkt. Aus dieserm Grund richtet sich der Städtebau auf die Ansprüche von ÖPNV Haltepunkten aus und formuliert zentrale Lagen im Quartier zum einen in direkten Anschluss an den Hauptbahnhof, zum anderem am neuen Bahnhaltepunkt "Messezentrum Halle Münsterland" aus. Die Stellplatzbedarfe des MIV werden über zentrale und bedarfsgerecht flexibel umgestaltbare Quartiersgaragen geregelt, welche als Mobilitätshubs in erster Linie auch Angeboten des Car- und Bikesharing dienen.

P

P ZOB

P

P

P

Bahnhaltepunkt

Fahrradstraße

P

Flexibel anpassbare, multimodale Quartiersgaragen

Abb. 229: Erschließungskonzept (Eigene Darstellung)

STRASSENBAHN FÜR MÜNSTER?

Abb. 230: Zwischenräume(ohne Maßstab) (Eigene Darstellung)

141


Städtebauliche Quartiersentwicklung

5.3. ABSCHLUSSFAZIT UND AUSBLICK Abschließend lässt sich feststellen, dass sich die zuvor aufgestellten Prinzipien und Bausteine zur städtebaulichen Quartiersentwicklung in großen Teilen auf die Entwicklung der Bahnstadt Süd ableiten lassen. Sie machen aber auch deutlich, dass sich eine städtebauliche Entwicklung mit einem mehr oder weniger vorgegeben Plangebiet nur in Betrachtung der umgebenen urbanen Strukturen realisieren lässt und diese mitunter komplett unterschiedliche Ansprüche an die Entwicklung mit sich bringen. So standen beim Entwurf zur Bahnstadt Süd weniger Ansprüche an die Planung von Grünfunktionen, oder die ruhiger Quartiersrückräume im Mittelpunkt. Vielmehr war es der Anspruch des Entwurfs durch die Gestaltung eines attraktiven urbanen Raums die bestehenden westlichen Quartiere abzuschließen sowie einen attraktiven urbanen Übergang zum Hansaviertel und Stadthafen im Osten zu schaffen. Allgemein lässt sich außerdem festhalten, dass es zu einer sozialwissenschaftlich stichfesten Ableitung der hier entwickelten Bausteine weiterer qualitativer, wie auch quantitativer sozialräumlicher Untersuchungen be-

darf. So wurden in etwa aus eigenen Raumbeobachtungen und informellen Gesprächen heraus Annahmen zur Relevanz der Hammer Straße und urbaner Achsen im Allgemeinen getroffen, die es gilt in weiteren qualitativen Befragungen zu bestätigen. Hier können auch allgemein die von Schnur aufgestellten Thesen zur Abgrenzung von Quartieren unter der Ausbildung eines Quartierskerns und Quartierssaums näher analysiert werden. Die Gespräche mit Akteuren aus Münster, vor allem im Rahmen des Hansaforums haben diese Unterscheidung jedoch zumindest aus der Praxis heraus bestätigt. Auch die theoretische Ableitung zur Größe von Quartieren bringt in der Analyse unterschiedlicher Städte sehr ähnliche Dimensionierungen mit sich. Hier ließe sich weiterhin überprüfen, inwiefern die Relevanz des Quartiers und die Identifikation mit ihm, mit der Größe und im Bezug zu ihren zentralen urbanen Achsen abnimmt. Weiterhin ließe sich überprüfen, inwiefern städtische Strukturen ohne solche kleinräumigen Quartiersstrukturen (Bausteine, Dimensionierung) vielmehr vom MIV abhängig sind. Diese Annahmen las-

Abb. 231: Fahrradstrape in Delft: Mischprinzip mit baulichen Details zur Geschwindigkeitsreduktion (Eigene Darstellung)

142

Abb. 232: Hauptverkehrsachse in Delft: Trennprinzip (Eigene Darstellung)


Abschlussfazit und Ausblick

sen sich in einer Überlagerung von Bebauungstypologien, dem Charakter von Einzelhandelseinrichtungen und anderen Faktoren sicherlich in großen Teilen schon implizit ableiten, jedoch können tiefergehende befragende Analysen genauere Erkenntnisse etwa darüber liefern, ab welchen Distanzen Beziehungen zu urbanen Achsen abnehmen und welche Anforderungen an den öffentlichen Raum zur Bewältigung von Mobilitätsanprüchen im Umweltverbund erhoben werden. Der Blueprint mit einer Vielzahl zukunftsorientierter Planungen und Konzepte sowie schon gebauten Projekten scheint vorhanden zu sein. Auch ein Blick in historische Städte gibt eine Vielzahl an Referenzen dazu, wie sich die gebaute Umwelt im Hinblick auf die Herausforderungen dieser Zeit weiterentwickelt lässt. Es scheint allein weiterhin vielfach der gesellschaftliche und damit auch politische Wille zu fehlen, diesen Fragen zu begegnen.

Dieser Zögerlichkeit gilt es durch Argumentation, Darstellung und Sachverständnis aus planerischer Sicht entgegenzuwirken. Dazu müssen Instrumente auf den Prüfstand gestellt und nach wissenschaftlichen Grundsätzen weiter Antworten auf die aktuellen Herausforderungen der Stadtplanung gesucht werden. Die Leitgedanken des urbanen Quartiers und das Wissen über attraktive und mitunter historische Stadtstrukturen stellt eine Grundlage dafür dar, Geschichten von lebenswerten und gleichzeitig nachhaltigen Städten zu erzählen, die ihre Bewohner zusammenbringen und nicht isolieren, die Meinungsdifferenzen eine produktive Diskussionsplattform bieten, in denen wir nicht weiter in digitalen Welten auseinander driften, die nachhaltige Denk- und Lebensweisen wie selbstverständlich in den Lebensalltag integrieren und die Nachhaltigkeit nicht als eine Einschränkung erscheinen lassen, sondern als einen Zugewinn.

Abb. 233: Ausblick über die Gracht - Urbane Freiraumqualitäten (Twitter: @mokums)

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VERZEICHNISSE

QUELLEN UND ABBILDUNGEN


Q


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154


Abbildungsquellen (Ergänzung)

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155


ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1: Alternative Straßennutzung | Breestraat, Leiden

vi

Abb. 2: Raumansprüche verschiedener Mobilitätsformen (nach Randelhoff 2014)

vii

Abb. 3: Friday for Future Proteste im März 2019 in Berlin (Leonhard Lenz)

2

Abb. 4: Forschungsdesign

5

Abb. 5: Lage des Plangebiets im Süden Münsters

7

Abb. 6: Herausforderungen der Stadtplanung

12

Abb. 7: Wachstumsboom seit 1900 (nach Roser 2020)

13

Abb. 8: "Hyyge" (Weiking, 2016)

14

Abb. 9: "Faktoren Well Being (nach Helliwell, 2003)

15

Abb. 10: Bedürfnishierarchie (nach Maslow, 2012)

16

Abb. 11: Faktoren der Liveability Ranking (nach EIU, 2019; Mercer, 2012)

18

Abb. 12: UN Sustainability Goals (nach UN, 2015)

21

Abb. 13: Vorrangmodell der Nachhaltigkeit (nach Vorage, 2018)

22

Abb. 14: Verlauf der Treibhausgasemissionen in Deutschland (nach BMU, 2018: 13) 22 Abb. 15: Temporäre Einsparung an CO2 Emissionen (nach Corinne, 2020)

23

Abb. 16: Binnenwanderungssali seit 1995 (nach Henger, 2019a: 2)

24

Abb. 17: Abnahme funktionsgemischter Quartiere (nach Feldtkeller, 2015)

25

Abb. 18: Urban Branding

28

Abb. 19: Film Cover Metropolis, 1927 (NZ Archives)

29

Abb. 20: Das Antike Rom (Woetermann, 2012)

30

Abb. 21: Rue de Paris, temps de pluie; Place de Dublin (Gustave Caillebotte, 1877) 31 Abb. 22: Place de Dublin heute (Tangopaso, 2011)

31

Abb. 23: Deutsche Filme aus den 1960ern (Wikimedia)

31

Abb. 24: Urbanität aus heutiger Perspektive

32

Abb. 25: Urbanität unter den Linden (Library of the Congress of the US)

32

Abb. 26: Wiederbelebung eines italienischen Palazzo in Bergamo als AirBnB

34

Abb. 27: Tabelle Urbane Qualitäten (nach Kretz, 2016: 43ff.)

37

Abb. 28: Werk 12: MVRDV (Stadt München: Werksviertel)

38

Abb. 29: Theoretische Ausdehnung eines Quartiers

41

Abb. 30: Quartiere als ein Fuzzy Concept (nach Schnur, 2008: 41)

43

Abb. 31: 3 Dimensionen Urbaner Quartiere

44

Abb. 32: Aspekte Urbaner Dichte

45

156


Abbildungsverzeichnis

Abb. 33: Primärenergiebedarf nach Gebäudetypologie (nach IWU, 2015: 56)

46

Abb. 34: Missing Middle Housing: www.opticosdesign.com/missing-middle-housing/ 46 Abb. 35: Gentle Density: Geschosswohnungsbau mit aktiven Erdgeschoss in Venlo 47 Abb. 36: Gentle Density: Townhouses auf Java Island, Amsterdam

47

Abb. 37: Gentle Density: Townhouses in Boddenkamp, Enschede

47

Abb. 38: Entwicklung von Belegungsdichten in BW (nach Statistik-BW 2019)

48

Abb. 39: Instrumente der Innenentwicklung (nach BSBK, 2018b)

49

Abb. 40: Mehrfachnutzung im Bunk Hotel

49

Abb. 42: Screenshot www.hausaufgaben.ms

51

Abb. 43: Screenshot www.hausaufgaben.ms

51

Abb. 41: Screenshot www.hausaufgaben.ms

51

Abb. 44: Stadthäuser in Amsterdam

52

Abb. 47: Stadthäuser Berlin

52

Abb. 49: Co-Housing Kalkbreite Zürich (Eigene Darstellung)

52

Abb. 45: Studentenwohnungen München Olympiapark (Eigene Darstellung)

52

Abb. 50: Heterogene Wohnformen (Stadt Tübingen)

52

Abb. 48: Wohnungsbaugenossenschaft Spreefled, Berlin

52

Abb. 46: Stadthäuser Enschede

52

Abb. 51: Aspekte Urbaner Mischung

53

Abb. 52: New York City: Manhattan - Zusammenspiel aus Alt und Neu

54

Abb. 53: 8 House Kopenhagen (Marie Menne)

55

Abb. 54: 8 House Kopenhagen (Marie Menne)

55

Abb. 55: Mirador (Alexander Stübner)

55

Abb. 56: Maßstäblichkeiten der Durchmischung

58

Abb. 57: Anwesenheit nach Durchmischungsgrad (nach Brandt, 2014: 219)

58

Abb. 58: Haarlem (Chris Bruntlett)

59

Abb. 60: Tübingen (Stadt Tübingen)

59

Abb. 59: Hengelo

59

Abb. 61: Delden

59

Abb. 62: Stuyvesants Town New York (Alec Jordan)

60

Abb. 63: Aktivitäten zu unterschiedlichen Tageszeiten (nach Kretz, 2016: 77)

61

Abb. 64: Intensitäten an Kontakten im öffentlichen Raum (nach Gehl, 2015: 11)

62

157


Abb. 66: Erster bis Dritter Ort

63

Abb. 65: Discussing the War in Paris, 1877 (Fred Barnard |Illustrated London News)

63

Abb. 67: Dritter Ort im Café (Owiso Makuku)

64

Abb. 68: Café de Flore, Paris (Arnaud, wikimedia CC)

64

Abb. 70: Am Limmat, Zürich

64

Abb. 69: Café de Flore, Dublin

64

Abb. 71: Baulücke, Zürich

64

Abb. 72: Appleyard Kontakte im öffentlichen Raum

65

Abb. 73: Initiative "Dortmund2040" (Tanja Schnittfinke)

66

Abb. 74: Stillleben im Kreuzviertel, Dortmund

67

Abb. 77: Gemeinwohlziele des Hansaforum (B-Side)

69

Abb. 75: Screenshot www.hansaforum-muenster.de (B-Side)

69

Abb. 78: Quartiersgemeinwohlindex (B-Side)

69

Abb. 76: Quartierskern, Quartierssaum (nach Hansaforum)

69

Abb. 79: Hierarchisch organisierte Stadträume (nach Gehl, 2015a: 55)

75

Abb. 80: Trennung öffentlicher und privater Sphären (nach Gehl, 2015a: 56)

76

Abb. 81: Halböffentlicher Innenhof: Bathurst Mews in London

76

Abb. 82: Freiraumqualitäten Den Haag

77

Abb. 84: Skatepark | Hohlstraße, Zürich

77

Abb. 83: Tordurchfahrt in Düsseldorf Pempelfort

77

Abb. 85: München, Viktualienmark

78

Abb. 86: Düsseldorf, Oberkassel

78

Abb. 87: Zürich West, Viadukt

78

Abb. 88: München Blockinnenbereich

78

Abb. 89: Leiden, Grillen an der Gracht

78

Abb. 90: Zürich, Alstadt

78

Abb. 91: Zürich West, Viadukt

78

Abb. 92: Zürich, Frau Gerolds Garten

78

Abb. 93: Zürich, Alstadt

79

Abb. 94: Dortmund, Union Gewerbehof

79

Abb. 95: Niederlande, Funen Park

79

Abb. 97: München, Innenhof, Bürogebäude

79

158


Abbildungsverzeichnis

Abb. 96: Dortmund, überbauter Innenhof

79

Abb. 98: München, Cafe im Hinterhaus

79

Abb. 99: Niederlande, Funen Park

79

Abb. 100: Leitbild Baustein 1

80

Abb. 101: Beispiele urbaner Haustypen (Mäckler, 2019: 46)

81

Abb. 104: Unterschiedlich verdichtete Blöcke (Stübben, 1907: 14))

82

Abb. 102: Entwicklung vom Block zur Zeile: Das Neue Berlin (Walter Gropius,1929)

82

Abb. 103: Reformblock, Sonnenhof - Berlin Linenburg (E.A. Gutkind,1927)

82

Abb. 105: Parzellierung urbaner Blöcke (Stübben, 1907: 61))

82

Abb. 106: Eckhaus RICHTIG, Saarlandstraße Dortmund

83

Abb. 107: Eckhaus FALSCH, Saarlandstraße Dortmund

83

Abb. 108: Körnungsanalyse Altersklassen der Gebäude (Kretz, 2016: 79)

83

Abb. 109: Eckhauss in Dortmund

84

Abb. 110: Detaillierte Fassadengestaltung, kleinteilige Parzellierung

84

Abb. 111: Die Vielfalt des Eckhausgrundrisses (Mäckler, 2013: 320)

84

Abb. 112: Analyse architektonischer Elemente(Tania Puyn in Ebbing, 2018: 223)

85

Abb. 113: Läden: Anlage - Bau - Ausstattung: 1950 (Konrad Gatz, Firtz Hierl)

86

Abb. 114: Läden: Anlage - Bau - Ausstattung: 1950 (Konrad Gatz, Firtz Hierl)

87

Abb. 115: Venedigs sechs Sestiere & ihre Dimensionen

88

Abb. 116: Venedigs Netz Urbaner Achsen

88

Abb. 117: Leuchtürme: Kirchen, Paläste und mehr

89

Abb. 118: Grüne Rückräume im urbanen Kontext

89

Abb. 119: Mobilitätsnetze aus Grachten und Kanälen

89

Abb. 120: Urbane Achsen

89

Abb. 123: Casino

89

Abb. 121: Urbane Rückräume

89

Abb. 122: Zwischenräume: Canal Grande

89

Abb. 124: Wagnis 3 (Wagnis e.G.)

90

Abb. 125: Wagnis Art (Wagnis e.G.)

90

Abb. 126: Quartiersanalyse

91

Abb. 127: Kleinteile, heterogene Strukturen: Mühlenviertel (Manfred Grohe)

91

Abb. 129: Gemeinschaftliche Innenhöfe: Franz. Viertel (Anne Faden)

91

159


Abb. 128: Bestand erhalten & weiterbauen: Franz. Viertel (Manfred Grohe)

91

Abb. 130: Urbane Nachbarschaft: Lorettoviertel (Stadt Tübingen)

91

Abb. 131: Café Saint Henri, Montreal

92

Abb. 133: Geschäft "Von Pommern": Kaffeemaschinen und Reparatur, Utrecht

92

Abb. 132: Café et Boutique Graine Brûlée, Montreal

92

Abb. 134: Lärmkartierung Münster, Dortmund (nach umgebungslaerm.nrw.de)

93

Abb. 135: E-Lastenrad, Dortmund

94

Abb. 136: Cargohopper, Utrecht (Cargohopper)

94

Abb. 137: Manner Werk (Andreas Poetschek)

95

Abb. 138: Konzeption eines Gewerbehofs

95

Abb. 139: Zonentypen "Produktive Stadt Wien" (nach Wien, 2017)

96

Abb. 140: Screenshots www.semaest.fr

97

Abb. 141: Screenshot: www.instagram.com/semaest

97

Abb. 142: Leitbild Baustein 2

98

Abb. 143: Ausrichtung der Blöcke (nach Jacobs, 1992: 179)

99

Abb. 144: Urbane Achse, Haarlem (Chris Brunlett)

99

Abb. 145: Urbane Achse, Delft (Chris Brunlett)

99

Abb. 146: Montreals Quartiere

100

Abb. 147: Montreals Urbane Achsen

101

Abb. 149: Urbane Achse, Old Montreal

101

Abb. 151: Urbane Achse, Mile End

101

Abb. 148: Montreals Urbanen Rückräume

101

Abb. 150: Triplex Häuser, Le Plateau

101

Abb. 152: Triplex Häuser, Le Plateau: Wohnstraßen im Grünen (wikimedia CC)

101

Abb. 153: Leitbild Baustein 3

102

Abb. 154: Ponte Vecchio, Florenz: Brücke der Juveliere

102

Abb. 155: Dortmunder U

103

Abb. 157: Holzmarkt, Berlin

103

Abb. 158: Holzmarkt, Berlin

103

Abb. 156: Frau Gerold Garten, Zürich

103

Abb. 159: 3 Leuttürme in Siena

105

Abb. 160: Fahnen in den einzelnen Quartieren

105

160


Abbildungsverzeichnis

Abb. 162: Feierlichkeiten zum Palio die Siena

105

Abb. 164: Feierlichkeiten zum Palio die Siena

105

Abb. 161: Piazza del Campo

105

Abb. 163: Piazza del Campo: Tiefe Fassaden

105

Abb. 165: Nutzung der Piazza del Campo

105

Abb. 166: Londons Stadien

106

Abb. 168: Urbane Achse: Camden Passage, The Angel

107

Abb. 170: Zwischenräume

107

Abb. 167: Londons Quartiere

107

Abb. 169: Urbaner Leuchtturm: Spitalfield Market

107

Abb. 171: Zwischenräume: Paddington Bassin, Islington

107

Abb. 172: Leitbild Baustein 4

108

Abb. 173: Autoraum - Grünraum (Wren McDonald)

108

Abb. 174: Roombeekschool Enschede

109

Abb. 175: Hauthhavens Kwatier, Amsterdam (Thomas Schlijper)

109

Abb. 176: Roombeekschool Enschede

109

Abb. 177: Woonerf in Delf (Lior Steinberg)

109

Abb. 178: Stoops in Harlem, NY (Abe Hammer, Brooklyn Public Library)

110

Abb. 179: Washington Square Park im Winter, New York City

111

Abb. 181: Washington Square Park im Winter, New York City

111

Abb. 180: Mittagespause im Washington Square Park, New York City

111

Abb. 182: Washington Square Park im Sommer, New York City (Ludovic Bertron)

111

Abb. 183: Verschiedene Aktivitäten im Westpark

112

Abb. 184: Cricket im Westpark, Dortmund

112

Abb. 185: Rotterdam Centraal (Jurriaan Snikkers)

113

Abb. 186: Tram in die Urbane Achse integriert, Amsterdam (Chris Brunlett)

114

Abb. 187: Begrünte schnelle Straßenbahntrasse, Amsterdam (Chris Brunlett)

114

Abb. 188: Straßenbahn im Rückraum des Quartiers, München

114

Abb. 189: Tram Vitoria Gasteiz, Spanien (Stadt Vitoria Gasteiz)

114

Abb. 190: Tramway de Bordeaux, Place de la Bourse (Peter Grugerell)

115

Abb. 191: Tram in Zürich, Versorgung an der Haltestelle

115

Abb. 194: Europäische Erfolgsmodelle - Zukunft des ÖPNV (Antonelli, 2017: 34l)

115

161


Abb. 192: Zwischen Bahntrassen, Schrebergärten und Grünzügen

115

Abb. 193: Grünzüge mit qualitätvoller Radverkehrsinfrastruktur

115

Abb. 195: Dortmunds Innenstadtquartiere

116

Abb. 196: Einkaufsstraßen | Urbane Achsen

116

Abb. 197: Leuchtürme: Konzerhaus, Bibliothek, Museen und mehr

117

Abb. 198: Grüne Rückräume im urbanen Kontext

117

Abb. 199: Zwischenräume aus grünen Achsen und Hauptverkehrsachsen

117

Abb. 200: Zukunftsbild Saarlandstraße

117

Abb. 201: Zukunftsbild Dortmunder U

117

Abb. 202: Zukunftsbild Neuer Graben

117

Abb. 203: Zukunftsbild B1

117

Abb. 204: Administrative Strukturen in Münster

124

Abb. 205: Quartiersstrukturen im Süden Münsters

125

Abb. 206: Blick entlang der nördl. Nahrlage auf das Gleisbett in Richtung Süden

126

Abb. 207: Blick auf die Planlächen zwischen den Gleistrassen Richtung Süden

126

Abb. 208: Das Plangebiet: Entwicklungsflächen der Bahnstadt Süd

127

Abb. 209: Rahmenplan (Ohne Maßstab)

128

Abb. 210: Digitale Arbeitswelten

129

Abb. 211: Städtebauliches Detail (Ohne Maßstab)

130

Abb. 212: Produktive Blockrandstrukturen

131

Abb. 213: Wohnen und Arbeiten an der Bahn

131

Abb. 214: Wohnen im Grünen

132

Abb. 215: Utrecht Centraal, Stationsplein

133

Abb. 216: Utrecht Stationsplein Fietsenstalling

133

Abb. 217: Grundriss UG: Bahnhofsplatz

133

Abb. 219: Schnitt (Ohne Maßstab)

135

Abb. 218: Axonometrie (Ohne Maßstab)

135

Abb. 220: Eingangssituation im Bahnhofsviertel (Blick Richtung Norden)

136

Abb. 222: Quartierskonzeption | Urbane Achsen (ohne Maßstab)

136

Abb. 221: Eingangssituation im Bahnhofsviertel (Blick Richtung Norden)

136

Abb. 223: Entwicklungsperspektiven für die Bahnstadt Süd

137

Abb. 224: Urbane Expermimentrierfelder

138

162


Abkürzungen

Abb. 225: Städtebauliches Konzept

139

Abb. 226: Urbane Rückräume (ohne Maßstab)

139

Abb. 227: Radverkerkehrsknoten Ecke Hafen- und Von-Steuben Str.

140

Abb. 228: Vorrang Radverkerkehr in Delft Übergang zu Wohnstraßen

140

Abb. 230: Zwischenräume(ohne Maßstab)

141

Abb. 229: Erschließungskonzept

141

Abb. 231: Radverkerkehrsknoten in Delft. Übergang zu Wohnstraßen

142

Abb. 232: Hauptverkehrsachse in Delft. Trennprinzip

142

Abb. 233: Ausblick über die Gracht - Urbane Freiraumqualitäten (Twitter @mokums) 143

ABKÜRZUNGEN Abb: Abbildung Bzw: Beziehungsweise BIP:

Bruttoinlandsprodukt

MIV:

Motorisierter Individualverkehr

NRW: Nordrhein-Westalen ÖPNV:

Öffentlicher Personennahverkehr

S.: Siehe U.a.:

Unter anderem

UN:

United Nations

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