Plastikpacker

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F端r meinen Sohn Linus.

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Tim Reckmann

PLASTIKPACKER Drei Jahre als m채nnliche Tupperware-Beraterin

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© Tim Reckmann, 2009, 2. korrigierte Auflage Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt Coverbild: Malte Hebestreit Korrekturen: Anna-Christin Kunz Korrekturen der Korrekturen: Philip-Malte Stallmeister Dank an: Michael Schlösser ISBN: 9783839106037

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Inhalt Inhalt..........................................................6 Vorwort.......................................................7 Rund und eckig..............................................9 Girls only ................................................... 20 Let’s Party ................................................. 24 Nochmal … darf ich jetzt ?.............................. 38 Kunststoff ist kein Plastik ............................... 44 Jetzt geht’s los – frohes Fest! .......................... 55 Die größte Tupperparty der Welt...................... 61 Das ist übrigens Tim...................................... 71 Die Frau, die sie Paul nannten ......................... 89 Dick & Doof oder Tim & Tuppi ......................... 94 Leute, Leute..............................................100 Hells Angels vs. Himmlische Schwestern ............103 Gästetag - bis das Wasser gar ist .....................108 Wenn man sich traut, … ................................111 Klatschen 2.0 - Sektentempel Fulda .................115 Vom Privileg der Frauen................................120 Des Pudels Kern..........................................125 Rauswurf – Maulkorb – Auferstehung .................127 Sat.1 in meinem Wohnzimmer ........................131 Ich kann auch anders....................................137 Wir fahren nach Berlin..................................149 Ebay ist böse..............................................152 Das Ende nach drei Jahren.............................156

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Vorwort Ein Buch über Tupperware? Ist es auch ein Buch gegen Tupperware? Nein! Es ist ein Ausschnitt aus meinem Leben mit Tupperware. Man kann schließlich als Mann in einer Frauenwelt einiges erleben … oft war es lustig, manchmal aber auch verwunderlich, ärgerlich oder irgendwie unverständlich. Ob ich dazu beitragen kann, dass jede Frau und vor allem jeder Mann die Welt von Tupperware versteht weiß ich nicht. Worum es hier am wenigsten geht, sind die von Earl Silas Tupper entwickelten „Wunderschüsseln“. Auch Brownie Wise, die erste Tupperware-Beraterin bleibt bis auf diesen Eintrag im Vorwort in diesem Buch ohne weitere Erwähnung. Das ist immerhin schon mehr, als ich in der großen Brockhaus Enzyklopädie, 20. Auflage, gefunden habe. Dort steht … nix! Eigentlich schade, denn Tupperware ist heute ein Weltkonzern. Ein Konzern, der fast ausschließlich auf den Schultern von Frauen lastet. Das würde heute vermutlich niemand machen, aber der gute Earl hat einfach nur praktisch gedacht. Wer kennt sich denn im Haushalt am besten aus? Wohl kaum der Besitzer eines EisenwarenLadens. Er begann damit Frauen ins Land hinaus zu schicken, um seine Schüsseln unter das Volk zu bringen. Aus den ersten Beraterinnen wurde bis heute eine Armee aus vielen Tausend Frauen, die ständig aufs neue den Marschbefehl erhalten, die raffinierten und bunten Produkte vorzuführen. Wohlweislich, dass sich sie auch noch nach mehreren Jahrzehnten größter Beliebtheit erfreuen. An den Erfolg hatte vor 50 Jahren sicher niemand gedacht; im Internet gibt es sogar die Geschichte, das

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Tupperware 1956 in Orlando, Florida eine DamenMannschaft im Wasserski (genannt Tupper-ette) unterstützte, die als Helm die Wunderschüsseln trug. Das hätte ich ja zu gerne einmal gesehen, aber bei Tupperware erlebt man auch so eine Menge. Schon nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass es nicht nur ein gewöhnlichen Nebenjob handelte. Aus Spaß habe ich mal für drei Monate bei einer großen Fastfood-Kette gearbeitet, weil ich hinter die Kulissen blicken wollte. Bei Tupperware handelte es sich Anfangs auch nur um Neugier doch dann … Ich will ja hier noch nicht alles vorwegnehmen, aber es sei erwähnt, dass ich nach drei Monaten nicht wieder damit aufgehört habe. Auf den folgenden Seiten gibt es einige Episoden aus dem Leben einer Tupperware-Beraterin, den Weg, wie es überhaupt so weit kommen konnte und wie es ein Mann in einem Haufen von Frauen aushalten konnte, die teilweise sogar eine eigene Sprache sprechen. Hamm, den 2. August 2009

Tim Reckmann

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Rund und eckig Es kann wohl niemand behaupten, noch nie etwas von Tupperware gehört zu haben. In nahezu jedem deutschen Haushalt ist darüber hinaus die ein oder andere Dose, Schüssel oder irgendein Behälter mit der Aufschrift TUPPERWARE zu finden. Auch ich bin damit groß geworden und so hatte ich mich schon in meiner Kindheit an die teilweise merkwürdigen Behältnisse gewöhnt. Mama ist früher schon oft auf eine Tupperparty gegangen und auch Oma kennt die „Wunderschüsseln“. Schön und gut, aber was steckt eigentlich dahinter? Warum gehen in der Regel nur Frauen auf diese Partys? Warum kauft man auf diesen Werbeveranstaltungen ein, was man vielleicht gar nicht braucht? Meine Mutter hatte immer viele Schüsseln, und wir Kinder wussten, dass sie teurer sind, weil sie von Tupperware kamen. Warum? Keine Ahnung! Ich machte meinen Schulabschluss und zog von zu Hause aus. Natürlich bekam ich viele nützliche Dinge mit, die ich ja unbedingt brauchen würde in meiner eigenen Wohnung. Und da waren sie wieder: bunte Dosen von verschiedenen Herstellern - und unter anderem auch von Tupperware. Ich stellte fest, dass es für mich als Mann da kaum oder besser gesagt gar keinen Unterschied gab. Wie dem auch sei; ich füllte meine Schränke und besonders den Kühlschrank mit allerlei Nahrungsmitteln in der Hoffnung, in den nächsten Wochen davon leben zu können und nicht allzu oft einkaufen gehen zu müssen.

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Jetzt machte ich auch noch die unglaubliche Erfahrung, dass Hausputz und Kochen auch Arbeit sein können. Ich suchte einen Ausweg, denn nach der Schulzeit wollte ich mich doch erst einmal etwas erholen. Essen sollte schnell gehen, es sollte warm sein und Arbeit sollte es auf keinen Fall machen – blieb nur eine Alternative: ein Fastfood-Restaurant. Gute Idee! Schon bald wurde ich Stammgast in der Fritten-Schmiede mit den zwei goldenen Bögen. Ich aß die Karte rauf und runter und kannte jedes Produkt in- und auswendig, bis es mir aus den Ohren herauskam. Irgendwie verspürte ich mal wieder Lust auf etwas Selbstgemachtes, so wie ich es „von früher“ kannte. Da erinnerte ich mich, dass ich ja noch etwas im Kühlschrank hatte. Als ich nachschaute, was ich vor Ewigkeiten dort hineingelegt hatte, wurde mir schlagartig bewusst, dass die Idee, den Kühlschrank jemals wieder zu öffnen, eine fatale Entscheidung gewesen war. Der Geruch, der mir entgegen kam, war eine Mischung aus getragenen Socken und einem undefinierbaren, süß-sauer-beißenden Gestank, der durch meine Nase kroch. Fast hätte ich mein Fastfood-Essen vom Vortag wieder hochgewürgt. Kein schöner Anblick in den Plastikdosen, die mir den Blick freigaben auf eine Masse, bei der ich überlegte, ob es sich um ganz alten Käse oder schon um ganz junge Wurst handelte. Der Kühlschrank wurde desinfiziert und ich beschloss, einen zweiten Versuch zu starten. Die Mülltonne war voll und ich ging wieder einkaufen. Wenn man als Mann so durch ein Lebensmittelgeschäft geht, ist man im Grunde seines Herzens doch noch ein kleines Kind. Alles sieht irgendwie lecker aus und das ganze gekaufte Zeugs

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würde sicher für mehr als nur ein gutes Essen reichen; außerdem war alles so schön abgepackt und ordentlich in die Regale einsortiert. Deshalb habe ich mir rasch noch einige billige Plastikdosen mitgenommen, denn irgendwie sieht Wurst darin doch schöner aus als in einer aufgerissenen Verpackung. Mit drei mitgebrachten Textilbeuteln und zwei zugekauften Plastiktüten war mein Kofferraum randvoll. Ich überlegte, wie ich damit zu Hause den Kühlschrank füllen und wohin ich den Rest packen könnte. Zurück in meiner Wohnung habe ich mir umgehend etwas zu Essen gemacht, damit in der Zwischenzeit nichts schlecht werden könnte. Super! Das Essen war frisch und lecker, und ich freute mich schon, dass es auch so bleiben würde. Am nächsten Tag war ich auch noch sehr entspannt, da ich ja meinen Kühlschrank bis zum Platzen gefüllt hatte und er dennoch sehr aufgeräumt aussah. Es begrüßten mich auch keine angegammelten Brocken, als ich die Tür öffnete. So wird Essen Spaß machen. Aber schon am dritten Tag schwitzte der Käse in der Dose. Vielleicht war es zu warm, aber da bei Stufe sieben im Kühlschrank gelegentlich auch Getränkeflaschen platzen, konnte das eigentlich nicht sein. Was war falsch? Ich kann doch nicht jeden Tag einkaufen gehen. Entweder war der Käse schuld oder die Dose. Laut Aufdruck auf der Käsepackung, die ich noch aus dem Hausmüll fischen konnte, sollte er noch mindestens zwei Wochen halten. Von zwischenzeitlichen Schweißausbrüchen oder sonstigen Veränderungen der Käsescheiben stand auf der Verpackung nichts. Klarer Fall: Die Dose war schuld. Hat ja auch nur 1,95 € gekostet. Und was billig ist, taugt ja meistens auch nichts. Also brauchte ich eine teurere Dose. An dieser Stelle

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musste ich unweigerlich an den Gesichtsausdruck denken, den mein Vater immer hatte, wenn Mama von einer Tupperparty kam. Ihm nach zu urteilen waren die Dosen genau in der Preisklasse, die ich suchte. Als ich auf der Firma erzählte, dass ich demnächst mal eine Tupperparty besuchen wollte – ohne zu wissen, wie ich es anstellen würde – wurde ich von den meist männlichen Kollegen belächelt. Nur unsere Praktikantin meinte: „Da musst du nächste Woche zu uns kommen – meine Mutter macht ’ne Tupperparty.“ „Warum eigentlich nicht?!’ Ich wollte so eine Dose haben und irgendjemand hatte mir mal erzählt, dass man dazu auch immer ein Geschenk bekommt. Tatsächlich. Schon am nächsten Tag bekam ich von der Praktikantin einen kleinen Prospekt mit lauter Tupperware-Artikeln. Es gab ganz schön viele, bunte, teure, komische Dinge in diesem Heftchen von denen ich bei vielen nicht einmal wusste, was man damit anfangen sollte. Aber das würde sich ja herausfinden lassen. Der Abend der Tupperparty war gekommen, und ich besuchte die Mutter der Praktikantin schon zehn Minuten vor der vereinbarten Uhrzeit. Ich wollte auf alle Fälle pünktlich sein, um nichts zu verpassen. Dort angekommen hatte ich irgendwie das Gefühl, hier würden sich alle Vorurteile bewahrheiten, die ich jahrelang über Hausfrauen gesammelt hatte. Davon waren hier nämlich schon jetzt eine ganze Menge. In Anwesenheit von etwa 20 Frauen, die ihre Erfahrungen austauschten und gespannt auf den Beginn der Party warteten, bekam ich den nächsten Schock. Ungläubig ließ ich meine Blicke so durch die Wohnung der Gastgeberin schweifen. Überall –

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besonders natürlich in der Küche – standen diese bunten Schüsseln, Geräte, Becher und noch viel anderes, merkwürdiges Zeug. Der kleine Katalog hatte also nicht zu viel versprochen. An dieser Stelle fragte ich mich, ob die Farben einiger älterer Produkte früher so hässlich waren, weil man nach dem Krieg einfach keinen Wert auf Farben legte – schließlich war das Fernsehen auch schwarz-weiß. Noch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, warum eine Art gelbe Brotdose einen lila Deckel hatte, hetzte eine kleine Frau, versteckt hinter zwei riesigen Taschen, durch das Wohnzimmer der Gastgeberin. Sie entschuldigte sich für die Verspätung und packte einen Berg bunter Teilchen auf einen großen Tisch, der scheinbar nur darauf gewartet hatte, mit einer gemischten Tüte Tupperware gefüllt zu werden. Schon nach kurzer Zeit war nichts mehr von der Tischdecke zu sehen. Die Frau hatte unter aufgeregtem Tuscheln aller Anwesenden die größere der Taschen geleert und die kleinere unter dem Tisch versteckt. „Soll ich mal anfangen?“, fragte sie in die Runde. Zu gerne hätte ich geantwortet: „Och nö, lassen Sie mal, wir wollten eh gerade alle gehen.“ Natürlich sollte Sie anfangen, denn schließlich hielten es die anwesenden Frauen schon kaum noch aus! Es hatte einen Hauch von Weihnachten im Hochsommer: Der Gabentisch war mit lauter bunten Schüsseln gedeckt und Geschenke sollte es ja auch noch geben. Jetzt ging es los: Ich konnte mein Glück kaum fassen. Schließlich war ich auserwählt, eine Vorführung bei einer der besten Tupperware-Beraterinnen zu sehen, die es gab. Sie kam aus der besten Bezirkshandlung der Welt – was eine Bezirkshandlung ist, wusste ich

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noch nicht, aber das war auch ganz egal. Sie kam aus Münster. Das war mir auch alles herzlich egal, denn schließlich interessierte mich weniger wo die gute Frau herkam, als was sie dabei hatte – schließlich stellt sich die Frau im Supermarkt an der Wursttheke auch nicht jedes Mal mit den Worten vor, dass die Wursttheke, an der sie arbeitet, die beste der Welt ist. Da sie mit der Vorstellung schon reichlich Zeit vertrödelt hatte, musste die Beraterin beim nächsten Programmpunkt aufholen und meinte „den Unterschied zwischen rund und eckig wird jeder kennen, denn schließlich bin ich ja hier bei einer Tupper-Expertin zu Gast“. Hä? Ich kannte wohl den Unterschied, aber ich vermutete, dass das nicht das war, was sie meinte. Um herauszufinden, ob ich aufgrund genetischer Beeinträchtigungen den Zusammenhang nicht verstehen würde, oder ob es sich um eine Logik handelte, dir mir generell zu hoch ist, fragte ich nach und bat um eine kurze Erklärung. Es war nicht meine Absicht, damit jemanden aus dem Konzept zu bringen. Trotzdem hatte ich das dumme Gefühl, dass unsere liebe Beraterin das so empfand, denn sie rasselte schnell einen Spruch herunter, den ich als Mann vermutlich niemals verstehe, aber sie meinte wohl, dass eckige Behälter dicht, runde aber noch viel dichter und auch noch auslaufsicher sein. Ich nickte hektisch, als hätte ich alles verstanden, bevor sie ohne Luft zu holen fortsetzte und fragte, ob es denn irgendetwas gäbe, das uns im Vorfeld brennend interessieren würde. Ich fühlte mich sofort angesprochen: „Heißt es eigentlich eingedeutscht ‚Tupper-Ware’ oder englisch ‚Tapper-Wer’“, wollte ich wissen. Wenn Blicke töten könnten, hätte ich das Ende der Party vermutlich nie erlebt. Ich wartete schon drauf nach Hause geschickt zu werden, aber da hätte ich ja

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nichts mehr kaufen können – für den Fall, dass ich etwas bestellen würde, durfte ich natürlich bleiben – so lange ich wollte. „In Deutschland spricht man den Firmennamen natürlich deutsch aus“ bekam ich als flüchtige Antwort und viele der anwesenden Frauen bemerkten, dass sie sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht hatten – aber dafür kannten alle außer mir den Unterschied zwischen rund und eckig. Eigenartigerweise wollte mir das auch nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich würde gleich ganz genau auf die Unterschiede bei der Präsentation achten. Nahezu unbemerkt wurden Schreibunterlagen mit Preislisten durchgereicht, auf der alle plötzlich eilig herumkritzelten. Was mich beruhigte, als ich nach links und rechts linste war, dass das Gekritzel lediglich dem Adressfeld galt und nicht der Liste aus bestimmt 150 Artikeln. Alles sah so fürchterlich bürokratisch aus – so gar nicht nach dem, was Frauen abends machen, wenn sie sagen sie gingen zu einer „Tupperparty“. Da ging es auch schon los. Obwohl ich mich doch so auf grandios bunte, praktische und stylische Dosen und Schüsseln gefreut hatte, griff die Beraterin ausgerechnet zu einer seltsamen eierschalenfarbenen Schüssel mit orangerotem Einsatz. Spontan dachte ich daran, dass ich diese Schüssel allein wegen des Aussehens nicht kaufen würde. Doch jetzt erfuhr ich, dass es sich dabei um eine „sagenhafte neue Entwicklung“, die so genannten Thermo-Duos aus dem Hause Tupperware, handelte. Zwei ineinander gestellte Schüsseln mit einem Zwischenraum. Die darin befindliche Luft diene als natürliche Isolierung. Wem das nicht ausreichte, könne auch kaltes oder warmes Wasser

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dazwischen füllen … grandios! Die Schüsseln gäbe es in verschiedenen Größen und man könne die beiden ineinander gesetzten Näpfe auch einzeln benutzen. Eine Sauciere gab es auch. Die sah nicht besser aus, aber funktionierte genauso – allerdings sollte man hier wohl kein Wasser in den Zwischenraum füllen, da man ansonsten beim Schütten seine Sauce leicht verwässern würde. Jetzt kam der Hammer: Es gab Deckel zu all diesen Produkten, die man einerseits so aufsetzen konnte, dass der dazugehörige Löffel hineinpasste ohne, dass Hitze entweichen konnte. Oder andersherum, dass der Deckel ohne Zwischenraum schließt. Soweit war ich echt begeistert. Ein Produkt, das in jeden Haushalt gehört – und auch der Preis von nur wenigen Euros war ganz akzeptabel für jemanden, der seinen eigenen Hausstand aufbauen wollte. Ääah! Ooops! Das war der Preis der Löffel – die gab es nämlich einzeln. Die eigentlichen Schüsseln – so toll sie auch waren – sind … äääh … teuer! So ein Mist – ich wollte doch richtig shoppen heute Abend; sollte ich mich nun freuen, das mich der Preis abgeschreckt hatte und so mehr Geld für andere Dinge blieb? Oder sollte ich mich ärgern, dass ich diese grandiosen Schüsseln nicht kaufen konnte. Bevor ich dazu kam weiter zu überlegen, wurde feierlich das „Tupper-UFO“ enthüllt. Unter verzücktem „Aaah“ und „Oooh“ zauberte die Tupperware-Beraterin aus dem vermeintlichen Modell einer fliegenden Untertasse eine Küchen-Waage, die sie dann in allen Einzelheiten erklärte. Zuwiegen, abwiegen, abdecken, abstauben – was man alles damit machen konnte war schon toll – genau wie der Preis, aber okay, es kamen ja noch weitere Produkte.

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Silikon – wieder etwas „ganz Neues für die Küche“. Ich musste mir jegliche Bemerkungen verkneifen, die ja auch so gar nichts mit dem Thema zu tun hatten. Stattdessen lauschte ich einem 15-minütigen Vortrag über die rote, wabbelige Kuchenform, in der man ganz toll backen konnte. Ob andere auch so skeptisch waren, wie ich? Damals war das halt etwas völlig Neuartiges. Ich war schon begeistert, als die Gastgeberin den vorbereiteten Kuchen aus dem Backofen holte. Sah aus wie Kuchen und schmeckte auch so. Es schien zu funktionieren. Tupperware war so faszinierend, dass ich am liebsten den ganzen Katalog leerkaufen wollte. Aber – Stopp – da steht ja hinter jedem Produkt auch noch ein Preis, der das verhinderte. Fast hätte ich aus den Augen verloren, was ich eigentlich kaufen wollte. Denn es gab noch einige aktuelle Sonderangebote, die ich nicht so toll fand, aber zu denen es einiges zu erzählen gab. Nach vier Minuten war abrupt Schluss. Der Redefluss stoppte. Die Anwesenden waren sich offensichtlich nicht ganz sicher, ob sie klatschen oder sich direkt auf den bunten Gabentisch stürzen sollten. Wortlos einigten sich die Frauen auf letztere Variante, denn sie hatten schließlich lange genug still gesessen. Ich fühlte mich schon etwas wie ein Außenseiter, als ich in der Sofaecke sitzen blieb und meinen Bestellzettel ausfüllte. Ich hatte meine drei Töpfchen und Schüsselchen bestellt, die die Ehre haben sollten, meine ersten Produkte aus dem Hause Tupperware zu werden. Der Preis? Nach all dem, was ich heute Abend gehört hatte, ein Schnäppchen! So, damit hatte ich das getan, was ich tun wollte. Anschließend sah ich mir auch noch die anderen Kostbarkeiten an. Irgendwann wurde mir klar, dass

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die drei bestellten, eher praktischen Behälter, sicher nicht das letzte waren, das ich in einer solch illusteren Runde bestellen würde. Nach und nach gaben die anwesenden Damen eine mehr oder minder ausgefüllte Preisliste bei der Beraterin ab. Das Geschenk in den Händen überkam sie ein seeliges Grinsen von Ohr zu Ohr. Sie streichelten es liebevoll. Ab hier schien den Damen alles egal zu sein. Schließlich hatten sie etwas geschenkt bekommen – völlig gratis, umsonst. Einige hatten nicht einmal etwas gekauft. Nachdem ich einigen neugierigen Gästen verriet, was ich bestellt hatte und welchen Anteil ich am Umsatz hatte, nickte man mir anerkennend zu. Ich stellte fest, dass viele sich damit begnügten, einen Kochlöffel oder einen Gewürzbehälter zu bestellen – und das auch nur, um ihr schlechtes Gewissen, nichts zu kaufen zu beruhigen. An diesem Abend lernte ich noch etwas: Auch bei Tupperware kann man bargeldlos einkaufen kann. Doch hier blieb die EC-Karte im Portemonnaie. Die Beraterin erwähnte flüchtig eine Papiertüte, die sie liebevoll „Tupper-Börse“ nannte. Damit sollte die Gastgeberin in den folgenden Tagen das Geld einsammeln. In weniger als zwei Wochen sollte es soweit sein: Die Artikel konnten endlich abgeholt werden. Bis dahin haben dann alle Damen vergessen, dass sie überhaupt etwas bezahlt haben. Es war schon später geworden. Jeder hatte seine hellgrüne Plastikschüssel – rund und ohne besondere Merkmale, aber mit Deckel – auf dem Schoß. Die Tupperware-Beraterin verkündete zu einem gedachten Trommelwirbel und mit leuchtenden

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Augen den Umsatz von mehreren hundert Euro. Scheinbar hatten einige doch mehr als nur einen Löffel gekauft. Der Gastgeberin kullerte beinahe eine Träne herunter, als sie erfuhr, für welchen Wert sie sich nun ein Produkt aus dem Katalog aussuchen durfte. Dafür wurde kein Betrag, sondern eine ominöse „Sterne-Währung“ genannt – etwas, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht verstand und auch nicht verstehen wollte. Die Gastgeberin entschied sich für zwei bunte Schüsseln, bekam als Geschenk eine Kuchenform und einen Kuchenbehälter. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Bevor alle Gäste mehr oder weniger fluchtartig das Wohnzimmer verließen, wollte die Beraterin wissen, wer vielleicht auch mal eine Tupperparty bei sich zu Hause veranstalten würde. Natürlich nicht nur aus Interesse, sondern vermutlich auch, weil sie mit einer solchen Vorführung Geld verdient. Weil sie nach eigenen Angaben „so ein großes Herz hat“ und jedem die Chance geben wolle, mit Tupperware Geld zu verdienen, fragte sie auch noch, wer denn bald ihre neue Kollegin werden wolle. Jetzt war der Punkt erreicht, an dem sich die Gäste lieber auf den Weg nach Hause machten. Auch ich verabschiedete mich zügig. Denn ich musste das ganze Geschwaller erstmal verarbeiten. Nein, bleibende Schäden hat es nicht verursacht, aber diese beharrliche Überzeugungsarbeit zwischen den Zeilen gab mir zu denken. Allerdings nur für fünf Minuten. Dann war auch das vergessen – fast. Denn irgendwo hatte sich schon da der Tupper-Virus in mir eingenistet.

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Girls only Es war schon mehr als ein Jahr vergangen, seitdem ich Tupperware live kennen gelernt habe. Jetzt wollte ich stressfrei ein paar Geschwisterchen für meine drei Dosen. Ich hatte zwar einiges an Geld ausgegeben, doch meine Schränke waren trotz der damaligen Investition nicht gerade überfüllt. Da ich DVDs und alles andere problemlos im Internet bestelle, packte ich auch jetzt mein Notebook aus und tippte „www.tupperware.de“ ein. Scheinbar war ich auch sofort an der richtigen Adresse. Neben bunten Bildchen sah ich auch das bekannte Tupperware-Firmenlogo – Bingo! Doch wie ging es nun weiter? „Party“ – „Team“ – „Company“ – „Service“ – „Aktuell“: Das waren die Menüpunkte, die sich zusammen mit den Bildchen im Kreis drehten. Ich hatte so etwas wie „Shop“, „Einkaufen“ oder „Produkte“ erwartet. Doch wie schon zuvor bei der „Rund-und-eckig-Theorie“ musste ich hier wohl denken, wie eine Frau. Da die Kundinnen ja immer „up-to-date“ bleiben wollen und stets das Neueste brauchen – so kannte ich es jedenfalls von meiner Freundin, wenn es um Schuhe ging – klickte ich auf „Aktuelles“ – Bingo! An zweiter Stelle fand ich im Untermenü die Kategorie „Produkte“. Ein weiterer Klick führte mich zu einer Übersicht, die in zwölf Kategorien sämtliche Artikel zeigte. Da waren sie wieder: Die bunten Schüsselchen, Töpfchen und all die Dinge, die ich von damals kannte und ich die ich für Haushaltsartikel auch als Mann recht faszinierend fand. Behälter für den Kühlschrank, Silikon-Formen, Kochbücher, Löffel, Rührgeräte, Messer und noch vieles mehr. Mehrere Minuten klickte ich mich von

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Kategorie zu Kategorie und fühlte mich wieder in die Stimmung einer Tupperparty versetzt. Die Farben, die Funktionen – kein Wunder, dass kaum eine Frau neidisch auf Computer und Elektrogeräte ist. Schließlich haben sie in der Küche mindestens ebenso tolles Spielzeug. Und wir Männer haben auch etwas davon, wenn wir uns bekochen lassen. Stopp! Ich wollte doch selbst etwas einkaufen. Deswegen war ich ja auch auf der Internetseite – und das nun schon seit einiger Zeit. Dabei hatte ich einige scheinbar ganz neue Produkte gesehen, ab und zu auch einen Preis, an den ich mich aber relativ schnell gewöhnte. Dummerweise gab es keine Möglichkeit, einen Artikel in den Warenkorb zu legen und zu bestellen. Irgendetwas machte ich falsch. Hatte ich etwas übersehen? Was würde eine Frau tun? Ganz einfach: Mehr oder weniger ziellos weiterklicken. „Specials“ klang ganz gut, fand ich. Wieder tolle Produkte und – wow – sogar gratis für Gäste und für Gastgeberinnen. Dabei hatte mich doch gerade daran gewöhnt, Geld auszugeben. Ich suchte doch bloß eine Möglichkeit, das hier und jetzt zu tun. Fehlanzeige. Nach weiteren 20 Minuten, in denen ich die komplette Tupperware-Webseite abgegrast hatte, kam ich langsam zu der Erkenntnis, dass es einen Grund haben musste, warum so viele Frauen auf eine Tupperparty gingen und eben nicht über das Internet bestellten. Da hätte ich auch eher drauf kommen können: Die Party! Ich wollte weitere Tupperdosen haben und wie, das war ganz egal. Also klickte ich auf „Party“. Ich las ihr den Text in bonbonfarbenden Lettern durch und erfuhr dabei, dass es ganz einfach sei, selbst Gastgeberin zu werden; ich müsse nur ein paar Freundinnen oder Arbeitskolleginnen einladen. Hmmm. Was war hier

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falsch? Vielleicht, dass ich bei mir zu Hause eine Tupperparty veranstalten sollte. Nö – warum eigentlich nicht? Aber warum zum Geier wurde hier ständig von Gastgeberin gesprochen – ist es wirklich so unwahrscheinlich, dass sich ein Mann hierher verirrt? Scheinbar handelte es sich hier um eine geschlossene Gesellschaft: Girls only! Pah! Jetzt erst recht! Ich wurde kribbelig und beschloss, eine Tupperparty in meinem kleinen Wohnzimmer zu veranstalten. Ich würde Gastgeberin sein; selbstbewusst, unrasiert, mit tiefer Stimme und in Adiletten. Gastgeberin – jawohl! Jetzt musste ich nur noch wissen, wie. Sollte ich wirklich versuchen die Beraterin von damals zu erreichen? Aus irgendeinem Grund konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie sich bei mir wohlfühlen würde. Außerdem glaube ich auch nicht, dass es mir gefiel, wenn sie ihr scheinbar auswendig gelerntes Programm von damals noch einmal abspulen würde. Aber auf der Internetseite war ich ja bereits in besten Händen. Ich wusste jedenfalls haargenau, was mich bei der Party erwarten würde. Denn hier erfährt man alles, was die moderne Frau von heute wissen sollte. „Gastgeberin“, „Beraterin“ – hier wurde wirklich nur von Frauen gesprochen. Komisch, dass ich mich als Mann mal diskriminiert fühlte. Doch dann entdeckte ich plötzlich und voller Staunen den folgenden Hinweis ganz klein auf der Seite: „Für unsere männlichen Kunden“. Da stand doch tatsächlich geschrieben: „Zum Zweck der besseren Lesbarkeit beschränken wir uns auf die Schreibung in weiblicher Form. Selbstverständlich sprechen wir mit unseren Aussagen auch die männliche Zielgruppe an.“ Das darf doch nicht wahr sein! Was heißt hier

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bessere Lesbarkeit? Würde man den Text nicht verstehen, wenn hier von Gastgebern oder Beratern die Rede wäre? Oder wenn das „i“ in Gastgeberin groß geschrieben würde? Wohl kaum! Ich hatte das Gefühl, dass hier alle Frauen gemeinsame Sache machten. Die stecken doch alle unter einem TupperDeckel. Nur ich – oder besser gesagt, die ganze Männerwelt – war mal wieder ausgeschlossen. Das passte mir so gar nicht. Auf der anderen Seite bestärkte es meine „Jetzt-erst-recht-Stimmung“. Ich wühlte mich bis zu einer Stelle, an der ich meine Postleitzahl sowie die nötigen Kontaktdaten eingeben konnte. Damals kam auf der Webseite noch sinngemäß die Meldung „Danke für Ihre Eingabe – wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung. Schön, dass wir sie als neue Gastgeberin begrüßen dürfen“. Gastgeberin! Na schön – ich hatte zwar nicht sonderlich viel Hoffnung, dass sich wirklich jemand von Tupperware melden würde, aber okay: Ich hatte fast zwei Stunden auf der Internetseite verbracht, mein Notebook war dabei meine Oberschenkel zu verbrennen und ich war müde. Ich legte den Fall „Tupperware“ vorerst zu den Akten. Etwas deprimiert war ich schon, weil ich doch sonst fast alles über das Internet bestellte. Aber Tupperware wollte scheinbar lieber den Berg zum Propheten schicken. Ich war gespannt, wann ich die erste Werbung im Briefkasten finden würde.

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Let’s Party Die Tage gingen ins Land. Ich hatte mein Erlebnis auf der Tupperware-Homepage schon fast vergessen, als nach einer Woche tatsächlich mein Telefon klingelte. Eine Dame stellte sich mit „Claudia S.“ vor. Der Nachname klang sehr exotisch. Als ich noch dabei war, mir den Namen irgendwie zu merken, wurde ich von der Flut an Wörtern, die aus ihr herausblubberten, förmlich überspült. Ich hatte schon wieder Schwierigkeiten zu folgen, aber ich strengte mich an. Sie erzählte mir, dass sie meine Adresse von Tupperware bekommen hätte. Sie würde von nun an meine direkte Ansprechpartnerin sein und dafür sorgen, dass ich wunschlos glücklich sei. Um mich meinem Glück direkt ein ganzes Stück näher zu bringen, sollte ich doch unbedingt schnellstmöglich eine Tupperparty veranstalten. Plötzlich war es still. Dann schwieg sie. So spontan wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Denn wir hatten Ende Oktober, ich hatte meinen Geburtstag vor wenigen Wochen gefeiert. Außerdem musste ich erst einmal überlegen, wen ich einladen könnte, wenn ich tatsächlich Gastgeberin werden wollte. Gastgeberin hat sie gar nicht gesagt - Gastgeber allerdings auch nicht. Sie umschrieb es geschickt. Während ich noch nachdachte – und ich weiß mit Sicherheit, dass ich leise dachte und noch nichts von einer festen Buchung gesagt hatte, hörte ich am anderen Ende der Leitung einen Terminkalender rascheln. „Am Mittwochabend, den 3. November, hätte ich noch einen Termin frei für Sie. Sie müssen nur schnell sein.“ Wie, nur einen Termin? Tupperware muss ja gerade heiß begehrt sein, wenn alle anderen

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Termine schon belegt sind. Aber mittwochs ging bei mir generell nicht und so sagte ich, dass ich eigentlich am Donnerstag hätte eine Party buchen wollen. Was für ein Zufall, was für ein Glück! Das hatte sie ja ganz übersehen: Just am Donnerstag, den 4. November, war noch ein Termin frei. Meiner ersten Party stand nichts mehr im Wege. Stolz verkündete ich, dass ich damals mal eine Tupperparty als Gast besucht hätte und schon so ein bisschen was vom Ablauf mitbekommen hätte. Die Begeisterung meiner Beraterin hielt sich in Grenzen. Nach einem gequälten „Super“ fragte sie mich, ob sie bei mir auch etwas kochen dürfte. Warum eigentlich nicht? Für Essen war ich immer zu haben. Jetzt gab sie mir noch kurz ihre Telefonnummer und sagte, dass sie sich kurz vor der Party noch einmal melden würde. Aber auch ich solle mich nicht scheuen, sie anzurufen, wenn ich die Anzahl der Gäste wüsste. „Ja, doch …“ Ich war schließlich in der Firma und konnte nicht ewig mit dem Handy in der Hand durch das Büro wandern. Also war ich mit allem einverstanden. Nach dem Telefonat musste ich mich erst einmal hinsetzen, um zu überlegen, ob die Party wirklich eine gute Idee gewesen war. Schließlich wusste ich nichts. Ich hatte keine Ahnung, was es aktuell für besondere Angebote gab und mein Katalog war auch schon fast zwei Jahre alt. Egal. Erst einmal würde ich meine Bekannten abgrasen und mich dann um die Feinheiten kümmern. Noch waren zehn Tage Zeit bis zur Party. Einige Probleme lösen sich von selbst: Am übernächsten Tag – ich hatte schon fünf Gäste, die gerne zu meiner Party kommen wollten – fand ich ein paar Tupper-Faltblättchen und einen Katalog in meinem Briefkasten. Viel hatte sich nicht verändert

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seit damals. Als Angebot gab es ein Mehl-Sieb, eine Rührschüssel und einige andere Dinge zum Backen, als Geschenk passende Plätzchen-Dosen angepriesen. Von mir aus – in den Geschäften ist ja schon seit September Weihnachtsstimmung und im November kann man ja auch schon die ersten Plätzchen für Weihnachten backen. Mit dem Plätzchen-Argument konnte ich zwar meine Arbeitskollegen nicht davon überzeugen, zur Party zu kommen, aber um mir einen Gefallen zu tun – und das betonten sie ganz besonders – sagten sie trotzdem zu. Teilweise erntete ich schon irritierte Blicke. Wie konnte ein Mann, der ansonsten eigentlich völlig normal schien, eine Tupperparty veranstalten? Machen das nicht normalerweise die Frauen? Meine Freundin – eine der Frauen, die auch definitiv anwesend sein würden war jedoch eine der Personen, die mich besonders entsetzt ansah. Schließlich kannte sie Tupperware nur von ihrer Mutter, die mit gesunder Regelmäßigkeit auch die ein oder andere Party besuchte. Mein Ziel war es, ungefähr zehn Gäste für die Party zu sammeln. Die Zahl klang schön rund und mehr Personen würden wohl auch nicht in mein Wohnzimmer passen. Zwei Tage vor der Party waren es auf einmal 13 Gäste; ein kleines Polster sei ganz gut, dachte ich mir. Immerhin wollte ich bei meiner ersten Party keinen schlechten Eindruck bei meiner Beraterin hinterlassen. Genau die rief auch an diesem Tag an, um mich daran zu erinnern, dass in 48 Stunden eine Vorführung bei ihr gebucht sei. Huch! Das klang irgendwie fürchterlich formell. Gut, dass ich die Gäste schon zusammen hatte. Jetzt bekam ich noch den Auftrag, einige Zutaten für zwei Rezepte einzukaufen, die wir auf der Party gemeinsam

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ausprobieren wollten. Seltsame Dinge wie Putenfleisch, Zwiebelsuppe, Käse und einige andere Sachen standen auf meiner Liste. Noch konnte ich mir nicht vorstellen, wie daraus etwas Essbares werden sollte, das man auch noch genießen konnte. Doch es gab kein Zurück mehr. Schließlich gab es bereits einen Countdown, wann ich es gemeinsam mit meinen Gästen herausfinden sollte. Bei diesem Stichwort wurde mir bewusst, dass ich die Wohnung noch etwas herrichten sollte. Als ich meinen Blick durch das Wohnzimmer streifen ließ, war ich auch schon wieder etwas beruhigter. Eigentlich sah es ganz gut aus und ich konnte mich wieder auf das Gespräch mit Frau S. konzentrieren. Sie wollte noch wissen, was meine Gäste unbedingt sehen wollten. Das hatte ich natürlich bisher niemanden gefragt. Ich war davon ausgegangen, dass sie auch ohne meine Hilfe eine ansprechende Show bieten würde. 24 Stunden vor der Party durchstreifte ich den Supermarkt und suchte die Zutaten zusammen. Gar nicht so einfach, wenn man sich zu großen Teilen von Fast Food ernährt und dadurch nicht ganz so oft einkaufen geht. Geraspelter Käse, Sahne, Mehl: So langsam füllte sich der Einkaufswagen. Noch während meines Ausflugs in den Shopping-Tempel klingelte mein Handy zweimal. Es waren jedes Mal Kollegen, die mit einem fadenscheinigen Grund absagten und bedauerten, dass sie nicht zur Party kommen könnten. Das fand auch ich sehr bedauerlich und meine Stimmung verbesserte sich in keiner Weise, als am Tag der Party noch weitere drei Gäste dezent anmerkten, dass sie den Termin entweder völlig vergessen hatten oder etwas ganz Wichtiges und absolut Unaufschiebbares dazwischen gekommen war.

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Noch zwei Stunden bis zum Beginn der Party: Die Beraterin hatte angekündigt, schon etwas eher da zu sein. Meine Freundin und ich waren vorbereitet, hatten einen letzten Kontrollrundgang durch die Wohnung gemacht, Getränke kaltgestellt, den Tisch im Wohnzimmer mit Süßigkeiten geschmückt und begannen Däumchen zu drehen. Die Gäste waren für 20 Uhr bestellt und wir mussten irgendwie die Zeit totschlagen. Zeit genug, mir noch einmal den Katalog anzusehen, nachzuschauen was ich alles brauchte und meine Wünsche mit meinem Spickzettel zu vergleichen. Ich war schon etwas nervös. Es war ja schließlich mein erstes Mal. Jetzt wechselte sich ein ungeduldiges Gummibärchenkauen mit dem ein oder anderen hastigen Blick aus dem Fenster auf die herbstliche Straße ab. Jedes Auto, das über die bunten Blätter rauschte, konnte es sein. Plötzlich stoppte ein Wagen und eine alte kleine Frau mit weißen Haaren stieg aus. Sie war alt und lief gebückt über die Straße. Wie ich sie so sah hatte ich schon Angst, sie würde es nicht bis zur Haustür schaffen. Jetzt klingelte sie sicher an und fragte, ob wir die schweren Taschen für sie nach oben in die erste Etage tragen könnten. Doch die Klingel schwieg. Sie wird doch wohl nicht auf der Strecke geblieben sein. Ich ging in den Flur und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass die alte Frau zu meiner Großmutter wollte, die direkt unter uns wohnte. Das war so gerade noch einmal gut gegangen. Ich wollte mich im Wohnzimmer beim Lutschen eines Gummibärchens wieder sammeln, als meine Freundin Karla trällerte: „Da ist gerade ein Auto mit ‚Tupperware’ auf der Seite vorgefahren.“ Also flitzte ich wieder die Treppe hinunter, um den starken

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Mann zu markieren und der Beraterin mit den Taschen zu helfen. Als ich noch auf der Treppe war, trat meine Großmutter aus der Tür und fragte „Is’ was?“ – „Nee, Oma, nur die Tupperparty, zu der du ja keine Lust hattest.“ Sie ging zurück zu ihrer Freundin, ich öffnete die Tür und sah – Überraschung – eine junge Frau so um die dreißig, die so gar nicht nach exotisch aussah. Groß, lange blonde Haare und schwer damit beschäftigt, die Tupperware-Taschen an den Blumen vor der Haustür vorbeizuschleusen. „Kann ich irgendetwas helfen?“, fragte ich mehr oder weniger rhetorisch, denn die Taschen waren größer als ich dachte. Und wenn sie schon groß sind, dann sind sie vermutlich auch schwer. Sie würde es schon schaffen, schließlich machte sie das nicht zum ersten Mal. Als könne sie meine Gedanken lesen, schleppte sie die Taschen alleine hinauf und stellte sie erst einmal im Wohnzimmer ab. Nach einer raschen Begrüßung fragte sie etwas irritiert: „Wo soll die Party denn stattfinden?“ - „Na hier!“ Wo auch sonst? Um sie etwas zu beruhigen, sagte ich ihr, dass ich extra einen kleinen Tisch vorbereitet hatte, auf dem sie ihre Sachen abstellen könnte. Ein Tisch war schon ein Anfang. Doch sie hatte noch so viel mehr dabei, dass sie kurzerhand damit begann, meine Wohnung umzugestalten. Als sie gerade etwas auf den Fernseher stellte und dabei die Schüsselchen mit den Süßigkeiten auf dem Wohnzimmertisch gegen ihre austauschte, klingelte es wieder an der Tür. Als ich in Richtung Flur ging, hörte ich es schon, dass es meine Mutter war, die die Freundin meines Bruders im Schlepptau hatte. Sie wollten zuerst Großmutter „Guten Tag“ sagen. Sollte mir recht sein, denn schließlich war ja noch eine halbe Stunde Zeit. Als ich zurück ins Wohnzimmer

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kam, war auch meine Obstschale ausgetauscht und auf meiner Fensterbank standen einige Zutaten für das Essen, die Frau S. selbst mitgebracht hat. Jetzt ging sie in meine Küche, begutachtete die Mikrowelle und fragte, ob man die noch aufpumpen könne. Bevor ich irgendeine schlagfertige Antwort finden konnte, kam meine Mutter samt Anhang die Treppe hinauf. In die allgemeine Begrüßungsorgie platzten dann auch noch die weiteren Gäste, wie die Schwester meiner Freundin und Carsten aus unserer Firma. Wir hatten zwar noch nicht ganz 20 Uhr, aber da Patrick – ebenfalls aus der Firma – schon vorher gesagt hatte, dass er wohl etwas später kommen würde, beschlossen wir anzufangen. Okay, let’s party! Ich war gespannt wie ein Flitzebogen, obwohl ich den Ablauf doch eigentlich schon kannte. An der einzigen Stelle, an der noch Platz im Wohnzimmer war, baute sich Frau S. auf und stellte sich vor. Sie war Mitte 30, verheiratet und hatte zwei Kinder. Bis vor einiger Zeit hatte sie noch einen ehrlichen Job als Bankkauffrau gehabt. Wegen der Kinder hatte sie sich allerdings vor zwei Jahren für Tupperware entschieden und war jetzt sogar schon Gruppenberaterin, weshalb sie auch einen Firmenwagen fahren durfte. Ich war begeistert – das hatte ich doch alles schon einmal gehört. Ich öffnete Patrick, der pünktlich auf die Minute klingelte, die Tür. Gerade als wir zurück ins Wohnzimmer kamen – jeder hatte schon einen Stift und eine Preisliste klärte die Beraterin meine Gäste auf, dass all das, was gerade etwas wohnlich aussah, im Wohnzimmer eigentlich aus ihrer Tasche kam. Die bunten Schüsselchen, die sie strategisch im Raum verteilt

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hatte, passten sogar zur Deko. „Und auch das Obst hat sich schon hervorragend an die Schüsseln gewöhnt“, erklärte sie stolz. Noch bevor ich mich wieder hingesetzt hatte, gab es auch schon das erste Geschenk für mich. Zwei kleine rote Schälchen, die man wie eine Muschel zusammensetzen konnte. Zurzeit standen sie mit Schokorosinen und Gummibärchen gefüllt auf meinem Tisch. Gut, wo ich sie gerade befüllt hatte, war das nicht nur nett, sondern auch praktisch, dass ich sie behalten durfte. Als Dankeschön schüttete ich Frau S. erst einmal ein Mineralwasser ein. Auch die übrigen Anwesenden versorgte ich mit Kaltgetränken. Wir erfuhren dabei ein paar grundlegende Sachen zu Tupperware, die so trocken waren, dass ein Getränk schon ganz gut war. Weil ich nicht wusste, ob ich die komplette Vorführung nüchtern ertragen würde, hatte ich mir vorsorglich mal eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank genommen. Eigentlich trinke ich keinen Alkohol, aber wer weiß. Zunächst nippte ich auch nur kurz und stellte die Flasche neben mein Sofa auf den Laminat-Fußboden. Da die Beraterin versprochen hatte zu kochen, wechselte das Thema von Gummibärchen auf handfeste Nahrung. Sie zeigte uns eine Art Bratentopf, den ich nicht kannte und auch im Katalog übersehen haben muss. Bislang war ich davon ausgegangen, dass Tupperware ausschließlich zum Frischhalten gedacht und nicht zum Kochen geeignet ist. Scheinbar schon, denn es sollte PutenGeschnetzeltes geben. Sie zerkleinerte das vorbereitete Fleisch und demonstrierte dabei, wie toll ihr Messer und – ich hatte es fast verdrängt – das relativ teure Schneidebrett von Tupperware sind. Souverän ließ sie das Fleisch in den Bratentopf

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gleiten. Das machte sie nicht zum ersten Mal. Jeder Handgriff saß, die Moderation klang dabei kurzweilig und die Sätze dabei diesmal nicht auswendig gelernt. Sie griff nach der nächsten Zutat und – Plopp! … Gluck! … Gluck! … Gluck! Oh nein, sie hatte mit einem gezielten Schritt in Richtung Fensterbank, auf der sie die Zutaten abgestellt hatte, meine Flasche Bier umgestoßen. Ich würde also doch nüchtern bleiben. Die Flasche war jedenfalls halb leer, ihr Kopf rot wie eine Tomate. Der professionelle Eindruck war dahin und irgendwie wollte ihr kein Spruch einfallen, der die Situation gerettet hätte. Zumal ich ihr mit einer nicht ernst gemeinten Anmerkung über Schimmelbildung bei Feuchtigkeit unter Laminat noch ein schlechtes Gewissen machte. Bei den übrigen Zutaten war sie umso vorsichtiger. Allerdings konnte sie kaum die Vorzüge des tollen Tupperware-Dosenöffners aufzählen, weil sie damit beschäftigt war, zu beteuern, dass aus der geöffneten Dose Pilze garantiert nichts überschwappt. Schließlich gab sie die restlichen Zutaten in den Bräter, bevor Patrick noch eine Tüte Zwiebelsuppe über die bunte Mischung gab. Meine Mutter durfte mit einem speziellen Rührlöffel, der nicht das gute Material zerkratzt, umrühren und dann kam der Deckel drauf - ab in die Mikrowelle. Wir staunten nicht schlecht, als die Beraterin versprach, dass man so und ohne umzurühren in etwa 25 Minuten eine fertige Mahlzeit zubereiten könne. Erst recht stand uns der Mund offen, als sie uns erzählte, dass dieser Wundertopf nur 79,90 € kostete und rechts unten auf unserer Artikelliste stünde. Man hörte in diesem Augenblick nur die surrende Mikrowelle aus dem Nebenraum. Ich schaute zu meiner Bierflasche und der inzwischen angetrockneten Pfütze hinunter und musste den

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Betrag unweigerlich in D-Mark umrechnen. Frau S. brach das Schweigen mit einer Aufzählung von dem, was man noch alles mit dem Topf machen könnte: Brot, Aufläufe, Hähnchen, … Es war wirklich ein universelles Schüsselchen, das extreme Hitze und extreme Kälte mühelos vertragen konnte – und teuer war es auch. Als alle damit fertig waren, verlegen etwas auf der Preisliste anzukreuzen, holte sie die Silikonformen aus der Tasche. Die Beraterin demonstrierte wie toll man diese Erfindung knautschen konnte. Außerdem verkündete sie, darin noch blitzschnell ein Brot zu backen, um neben dem Geschnetzelten noch eine Beilage auf den Teller zu bringen. Käsebrot sollte es werden. Ich bot an, den Käse selbst anzureichen, bevor auch die letzen Tropfen aus meiner Bierflasche auf dem Fußboden endeten. Ich stellte fest, dass die Frau umso schlagfertiger wurde, je öfter sie auf die Bierpfütze guckte. Kurzerhand bekam ich eine Rüge, dass ich „gestifteleten“ und nicht „geraspelten“ Käse gekauft hätte. Ich merkte, dass ich in Haushaltsfragen definitiv den Kürzeren ziehen würde, und trieb deshalb etwas zur Eile an. Außerdem hatte ich Hunger. Mit dem Sieb aus dem Angebot entklumpte meine Mutter das Mehl und gab es in eine Rührschüssel, die zufälligerweise auch im Angebot war. Scheinbar war ich der einzige, der den Sinn eines solchen Mehlsiebs nicht ganz verstand: Denn das Mehl, das ich kaufte, war eigentlich immer recht pulverig. Auch rechnete ich normalerweise nicht damit, darin kleine Tiere oder sonstige Überraschungen zu finden. Meine Großmutter hatte auch so ein Sieb – aus Metall. Ich erinnerte mich daran, wie es geklemmt hatte, als ich vor Jahren mit Ihr Plätzchen gebacken hatte. Fast alle fanden das Sieb ganz toll und bestellten sich so ein Teilchen.

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Von der Seite hörte ich noch: „Das kannst du Oma doch zu Weihnachten schenken.“ - Das wäre wohl etwas anderes gewesen als Seife oder einen Kerzenständer. Aber sollte ich ihr wirklich etwas aus Plastik schenken? Frei nach Omas Spruch „Das Blechsieb geht doch noch“, ignorierte ich den Zuruf. Außerdem wollte ich sparen. Mittlerweile hatte Frau S. in der Rührschüssel einen bröseligen Teig angefertigt, der noch so gar nicht nach einem Brot aussah. Ihr schien das egal zu sein. Nach der peinlichen Bier-Aktion wollte sie scheinbar nur nach Hause. Während Brot und Geschnetzeltes im Ofen brutzelten, präsentierte uns die Gruppenberaterin weitere Angebote. Die Party gefiel mir immer besser. Das konnte zwar nicht am Alkohol gelegen haben - dafür wurde ja gesorgt – aber vielleicht am Geruch. Denn das Essen war fertig. Zu unserer Überraschung sah es nicht nur lecker aus, sondern schmeckte auch noch. Einige Gäste nutzten die Gelegenheit und belagerten Frau S. nach ihrem Vortrag mit Fragen. Die Unterhaltung zwischen Patrick und der Moderatorin werde ich wohl so schnell nicht vergessen. Er interessierte sich für das Backpapier aus Silikon, auf dem man im Backofen beispielsweise Plätzchen zaubern konnte. „Wie soll ich das denn nun aufschreiben, wenn das gerade im Angebot ist?“ fragte er nach. Eigentlich nur als lockere Antwort gedacht und ohne Patrick großartig anzusehen antwortete Frau S.: „Schreiben Sie einfach auf, dass sie eine ‚Matte’ haben wollen“. Das wäre nicht so komisch gewesen, wenn Patrick nicht die Person gewesen wäre, die oft wegen seiner wenigen Haare aufgezogen wurde. Weil er auch sonst jeden Spaß mitmachte, tat er so, als sei er

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angefressen. „Dankeschön! Habe ich schon verstanden. Dann möchte ich das Sonderangebot doch nicht haben! Dann hätte ich die lieber aus der normalen Preisliste, bevor ich mit einer ‚Matte’ rumlaufen muss. Wo finde ich die denn in der Liste?“ – Jetzt hätte sie wirklich alles sagen können. Alles, nur nicht das, was ihr spontan einfiel. „Schauen Sie mal unter ‚H’ in der Preisliste – das ist irgend so ein ‚H-Teil’ …“. Fast alle schmunzelten oder kicherten. Patrick kam so auf einer Tupperparty günstig an ein ‚Haar-Teil’ dran und Frau S. hatte umgehend wieder die Farbe im Gesicht, die auch die Silikonform hatte – knallrot. Da kam es ihr gerade recht, dass meine Mutter sie in einen Nebenraum entführte. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, einen Großeinkauf zu machen. Offensichtlich fand sie Tupperware unter dem Weihnachtsbaum wohl ganz schick. Die übrigen Gäste und auch ich blieben im Wohnzimmer und kreuzten fleißig auf den Listen herum, bevor sie eingesammelt wurden. Nach mehrmaligem Nachrechnen verlas Frau S. das amtliche Endergebnis dieses Abends. Sieben Gäste und ein Umsatz von fast 1.000 Euro. Stille. Schockiert sahen sich alle an. Denn nun wurden sie daran erinnert, doch das ein oder andere Kreuz zuviel gemacht zu haben. Auch ich war überrascht. Das hatte ich nicht erwartet. Aber gut - so bekam ich nicht nur das größte Gastgeberin-Geschenk, sondern durfte mir auch noch für meine gesammelten Sterne etwas aussuchen. Diese Summe stand zwar nicht mehr im Katalog, doch Frau S. sagte mir, dass ich

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dafür den Wunder-Bräter bekommen könnte. Karla und meine Mutter nickten energisch. Um den anderen Gästen auch etwas Gutes zu tun, veranstaltete die Beraterin noch ein Gewinnspiel. Dazu hatte sie zuvor Fragebögen ausgeteilt, aus denen ich den Gewinner ziehen sollte. Er bekäme eine Dose aus ihrer Sammlung, versprach sie. Jetzt wurde ich etwas rot, als ich meinen eigenen Fragebogen erwischte. Natürlich betonte ich, die Dose weiterzuverschenken – sie steht noch heute in meinem Regal. Zum Abschluss betrachtete Frau S. noch einmal die Bögen und erwähnte, dass jeder die Möglichkeit hätte, selbst Tupper-Beraterin zu werden. Als ich diese Frage auch auf meinem Bogen las, reizte es mich schon, diese Tätigkeit spaßeshalber einmal auszuprobieren. So nebenbei und nur hin und wieder natürlich nur. Ich kreuzte „ja“ an und tat das auch in der Runde kund. Meinen Freunden war schnell klar, dass sie mich bremsen mussten. Denn in der Regel setze ich solche Vorhaben auch in die Tat um. Frau S. hielt es von vorn herein für einen Witz, erzählte, dass ihre Gruppe „Die himmlischen Schwestern“ hieße und Männer da ganz gut reinpassen würden. „Au ja, das mache ich jetzt!“ freute ich mich. Doch zunächst bekam ich als Antwort, dass ich oder meine Freundin vielleicht doch erst noch einmal eine Tupperparty veranstalten sollten – vor Weihnachten gäbe es immer so schöne Angebote. Ich könnte mir das ja später immer noch überlegen, ob ich denn wirklich bei Tupperware anfangen wolle. Schade! Etwas betrübt, aber trotzdem glücklich darüber, dass die Party so gut verlaufen war – von der Pfütze auf dem Laminat abgesehen – half ich der

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Beraterin beim Einpacken ihrer dreckigen Schüsseln und begleitete Sie zum Auto. Sie verschwand so schnell wie sie gekommen war und auch die Gäste verflüchtigten sich relativ zügig. Als Geschenk nahm jeder ein kleines Sieb mit. Hätte ich eher gelesen, dass sich das Teilchen „Schüttel-Max“ nennt, wäre mir sicher noch ein netter Spruch eingefallen. Meine Freundin Karla hatte sich vorgenommen, noch vor Weihnachten eine weitere Party zu organisieren und ich wollte schließlich unbedingt Berater werden … oder „Beraterin“. Denn nirgendwo stand auf den Vordrucken oder in den Fragebögen die männliche Schreibweise. Schade, dass ich ihren Kriterien scheinbar nicht genügte und sie mich nicht gleich zu den „himmlischen Schwestern“ eingeladen hatte. Ich würde es weiter probieren und bei der nächsten Party noch einmal danach fragen.

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Nochmal … darf ich jetzt ? Etwas mehr als eine Woche nach meiner grandiosen Tupperparty – ich hatte das Geld von meinen Gästen mittlerweile eingesammelt – stand Frau S. wieder vor der Tür. Dieses Mal nicht mit Taschen, sondern mit zwei größeren Kartons. War klar, was da drin war. Wieder einmal bot ich an, Ihr beim Tragen zu helfen. Und eh ich mich versah, hatte ich die Kisten in der Hand und schleppte sie in mein Wohnzimmer. Frau S. zählte eilig das Geld nach, das ich ihr in dem Papiertütchen gegeben hatte. Offensichtlich wollte sie schnell wieder weg. „Wie war das denn jetzt mit der Party im Dezember?“ wollte meine Freundin dann doch noch wissen. „Au, da sieht es ganz schlecht aus. Anfang Dezember habe ich nur noch einen einzigen Termin frei und zwar den ersten Montag.“ Die Frau scheint wirklich oft in fremden Küchen zu kochen. Wir würden aber klären, ob unsere Bekannten – dieses Mal vielleicht andere – und auch wir selbst an diesem Tag Zeit hätten. „Schönen Tag, auf Wiedersehen.“ Schon fast so als hätten wir darin Routine, trommelten wir einige Personen zusammen. Dieses Mal versuchten wir es nicht nur bei meinen Arbeitskollegen, sondern auch mit Karlas Freunden. Und wo dann schon „ihre Leute“ kommen, sollte die Party auch auf „heimischen“ Boden stattfinden – bei ihren Eltern. So konnte auch ihre Mutter alles aus nächster Nähe verfolgen. Gesagt, getan. Wieder standen zwölf Personen auf der Liste, was wir Frau S. prompt mitteilen wollten. Außerdem wollten wir vorsichtig anmerken, dass uns dieses Mal so gar nicht

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nach Kochen war. Unser Anruf kam genau richtig, weil die Beraterin uns fast vergessen hatte. Also mussten wir mit der Veranstaltung 90 Minuten eher beginnen, damit sie danach noch eine andere Vorführung moderieren konnte – und das wollte sie natürlich nicht mit Essensresten in den Tupperdosen. Dass die Präsentation nun schon gegen 18 Uhr beginnen sollte, fand ich gar nicht schlimm. Denn so hatten wir später noch etwas vom Abend. Das sahen wohl nicht alle Gäste so und so saßen wir an besagtem Dezembertag nur noch mit sechs Personen im Wohnzimmer meiner künftigen Schwiegereltern. Hier war alles größer und geräumiger, als bei mir. Außerdem gab es einen pflegeleichten FliesenFußboden, von dem man verschüttete Getränke ganz leicht abwischen konnte. Alles war vorbereitet, die Gäste voller Erwartungen – und zu allem Überfluss eine Viertelstunde zu früh. Nur von Frau S. war weit und breit keine Spur. Eigentlich hatte sie einen ganz zuverlässigen Eindruck gemacht, aber jetzt wollte ich doch nachfragen, wo sie blieb. Just als ich zum Telefonhörer griff, fuhr ihr Tupperware-Kombi mit quietschenden Reifen vor. Schnell wurde aufgebaut. Noch war Frau S. im Zeitplan, denn bei so viel Platz musste sie ja schließlich nur ihre Töpfe hinstellen und nicht improvisieren. Es sollte also eine ganz normale Tupperparty werden. Lediglich der andere Veranstaltungsort ließ wohl die peinlichen Gedanken der Beraterin an die Bierflasche und den verschütteten Inhalt wieder aufkeimen. Scheinbar befürchtete sie, ich würde ihr das Missgeschick noch immer übel nehmen. Doch weil ich keineswegs nachtragend bin, ließ ich mich von ihr bereitwillig

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überreden, meinem Vater zu Weihnachten den Bräter zu schenken. Meine Mutter meinte, dass dieser Topf genau das sei, was er sich schon immer gewünscht hätte. Diese 80 Euro könnte ich ruhig mal investieren. „Na gut“, dachte ich. Es kommt schließlich auch alles dem Umsatz der Gastgeberin zu Gute. Andeutungen meiner Mutter ließen durchblicken, dass auch sie mal wieder ihre Weihnachtseinkäufe erledigte. Für mich hatte sie offensichtlich das Gewürz-Set, das im Angebot war, ins Visier genommen. Zwar kamen wir an diesem Abend nicht ganz an den Umsatz meiner Party heran, aber auch hier standen unterm Strich rund 600 Euro. Wieder warfen wir uns ratlose Blicke zu, auf der Suche nach demjenigen, der immer so viel kaufte. Meine Mutter versicherte, sie habe damit dieses Mal nichts zu tun. Mit unserem Ergebnis brachten wir schließlich auch die Augen von Frau S. zum Leuchten und bescherten ihr so doch noch einen netten Dezemberabend. Ich war gespannt. Schließlich müsste bald die Frage kommen, wer von uns bei Tupperware anfangen wollte. Für mich stand mittlerweile fest: „Ich will Tupperware-Beraterin werden!“ Wie oft ich das an diesem Abend erwähnte, weiß ich nicht mehr. Aber offensichtlich war ich die Sache falsch angefangen. Die Frage blieb aus. Vielleicht sollte ich Frau S. besser bei der Lieferung darauf ansprechen, wenn nicht so viele Leute zuhörten. Als wir unsere Ware zehn Tage später geliefert bekamen, startete ich meinen letzten Versuch: „Darf ich bitte, bitte bei Tupperware anfangen? Ich würde es gerne einmal für ein paar Wochen ausprobieren. Ich will das einmal kennen lernen und vielleicht die

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ein oder andere Party moderieren, denn Freunde und Bekannte habe ich genug.“ – „Ist das ihr Ernst?“ „Ja!“ Wäre ich sonst so hartnäckig? Natürlich wollte ich. Das sah jetzt endlich auch die Beraterin ein. Sie musterte mich von oben bis unten. Ich fürchtete, ihr könnte auffallen, dass ich gar keine Frau war, doch die schaute nur in ihren Kalender und vereinbarte mit mir einen Termin kurz vor Weihnachten. Dann wollten wir über die Beratungstätigkeit sprechen. Ob es nun endlich etwas würde? Scheinbar schon, denn zum vereinbarten Termin kam sie mit reichlich Papierkram, blätterte mit mir eine Broschüre durch und erklärte, dass ich 24 Prozent vom Umsatz als Provision verdienen würde. Zusätzlich dürfte ich Tupperware zu Vorführzwecken günstiger einkaufen und es gäbe eine Vielzahl interessanter Wettbewerbe, bei denen man tolle Preise gewinnen könnte. Der Verdienst interessierte mich an dieser Stelle eher weniger. Schließlich hatte ich ja einen guten Job, bei dem ich nicht übermäßig viel arbeiten musste und trotzdem genug verdiente. Aber die Geschichte mit den Wettbewerben reizte mich schon. Wenn ich meinen Freunden davon erzählte, würden sie vermutlich sagen, dass auch mein Dasein als Beraterin nur ein weiterer Schritt zur Weltherrschaft sei oder dass ich wirklich vor nix fies bin. Im weiteren Gespräch erfuhr ich einige sinnvolle und nützliche Dinge über Tupperware, die ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. All das klang so gut, dass ich mich fragte, warum nicht jeder bei Tupperware einen Nebenjob hat. Da gab es zum Beispiel noch die Vorführtasche, die ich bei der ersten von vier Schulungen erhalten sollte. Das Wort

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„Schulung“ klang allerdings nach Stress, den ich doch eigentlich gar nicht wollte – aber für eine solche Tasche würde ich das wohl machen. Sie hatte immerhin einen Wert von mehreren hundert Euro und war randvoll mit Tupperware. Man musste sich die Tasche nicht kaufen, sie bezahlte sich mit der Provision der ersten etwa 550 Euro Umsatz quasi von alleine. Na das klang doch gut. Wenn ich nur eine Vorführung bei jemandem hätte, die genauso gut liefe wie die bei meiner Freundin, wäre die Tasche schon bezahlt. Auch nach meiner Zeit als Beraterin könnte ich die Tasche und den Inhalt behalten. Lauter nützliche Dinge für meinen Haushalt. „Wo muss ich unterschreiben?“ wollte ich wissen, als ich noch mit auf den Weg bekam, dass ich ein Gewerbe als „selbständiger Handelsvertreter für Haushaltswaren aus Kunststoff“ anmelden müsse. Nichts leichter als das. Ein Gewerbe hatte ich bereits und Umsatzsteuer bezahlte ich auch. Also musste ich nur beim Amt den Gewerbeschein ändern lassen. Formalien standen mir also keine mehr im Weg und nach den ganzen persönlichen Daten kam endlich die Unterschrift. Fertig. Auf dem Papier war ich nun eine echte Tupperware-Beraterin. Denn dort gab es natürlich auch keine männliche Schreibweise – war klar! Von diesem Moment an war ich für Tupperware nur noch eine Nummer. Ich bekam die 16363 zugeteilt und war jetzt in der Gruppe der „Himmlischen Schwestern“. Frau S. erklärte mir noch einmal, dass sie die Gruppen-Beraterin war - also quasi die Mutti - und wir alle ihre Kinder. Sollte mir recht sein. Ich musste mir nur noch die GruppenNummer 146 merken und stellte zu allem Überfluss fest, dass Zahlen eine echt große Bedeutung hatten, also gab es als krönenden Abschluss auch noch die

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Nummer 467 für die Bezirkshandlung. Das ist übrigens der Ort, an dem sich die „himmlischen Heerscharen“ jeden Montag treffen, um ihren Marschbefehl zu erhalten. Auf den hin breiten sie dann ihre Flügel aus und landen schließlich in den heimischen Wohnzimmern. Ich war noch immer wild entschlossen, Beraterin zu werden. Also ließ ich mir die Adresse dieser Bezirkshandlung geben, um schon am folgenden Dienstag an einer Schulung teilzunehmen. Frau S. bot mir an, mich zu begleiten, weil mein Navigationsgerät dieses versteckte Örtchen hinter den sieben Bergen inmitten grüner Auenlandschaften sicher nicht finden würde. Alles klar, ich würde vorbereitet sein.

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Kunststoff ist kein Plastik Eigentlich habe ich ja immer eine große Klappe und es gibt wenige Situationen, in denen ich mich unwohl fühle. Aber die Vorstellung, an einen Ort zu fahren, der nahezu ausschließlich von Frauen bevölkert wird, war schon etwas unbehaglich. Würde sich das Klischee der typischen Tupperware-Beraterin bewahrheiten? In Claudia S. hatte ich mich ja auch schon getäuscht, aber vielleicht war sie eine Ausnahme. Wie auch immer - jetzt musste ich erst einmal zu ihr fahren, damit sie mir den Weg zum Tupperware-Tempel zeigt. Es war schon dunkel, als ich bei ihr zu Hause ankam. Wie so oft war ich auch dieses Mal ein paar Minuten zu spät, aber das schien ihr überhaupt nichts auszumachen. Ganz im Gegenteil. Sie hatte bereits einige Taschen und Tüten im Hausflur geparkt, die sie dann in aller Ruhe in ihrem Auto verstaute, bis selbst der Beifahrersitz vollgepackt war. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn du mit deinem Auto fährst?“ Natürlich hatte sie keine Antwort erwartet und setzte sich ohne zu zögern in ihr Tupper-Mobil. Etwas irritiert rief ich ihr gerade noch nach: „Ich fahr dann mal hinterher.“ Kaum saß ich im Wagen huschte sie auch schon an mir vorbei. Bevor ich die Verfolgung aufnahm, schnallte ich mich noch eilig an. Nachdem Frau S. die Hauptstraße zur Rennstrecke gemacht hatte, atmete ich auf, als wir endlich ein Dorf mit engen Straßen erreichten. Hier würde sie doch sicher etwas vorsichtiger fahren. Falsch gedacht. Entweder wollte sie alle Vorurteile gegen Frauen und Autofahren entkräften oder dieser

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Kamikaze-Fahrstil war bei ihr normal. Ich hatte große Mühe, überhaupt noch ihre Stoßstange sehen zu können, aber zur Sicherheit hatte ich ja doch mein Navi eingeschaltet, um mir auf der Karte anzuschauen, wo wir eigentlich waren. Das Tupperware-Auto fuhr über so viele Schleichwege, dass die Stimme des Navigationscomputers schon nervös zu werden schien, weil die Route ständig neu berechnet werden musste. Endlich kamen wir in einem kleinen Örtchen an, von dem ich nicht erwartet hätte, dass es dort sogar einen Bahnhof gab. Wir fuhren auf den kleinen Parkplatz an den Schienen und stiegen aus. Eiligen Schrittes hastete ich hinter ihr her, als sie mir auf dem Weg in eine Art Fabrikhaus einen Lagerraum zeigte. Dabei nannte sie auch gleich mir Zeiten, zu denen ich dort bestellte Ware abholen könne. Ich verstand nur Bahnhof, aber nickte zustimmend. Frau S. sah das nicht mehr, weil sie schon wieder vor mir eine Treppe hinaufging. Oben angekommen, standen wir in einem kleinen verrauchten Raum. Als Nichtraucher fiel es mir schwer zu atmen. Ich schnappte nach Luft. Gerne hätte ich mich in einen rauchfreien Raum gerettet, aber das ging ja nicht. Schließlich hockten ja alle Beraterinnen in diesem kleinen Zimmerchen zusammen. Schemenhaft machte ich im Nebel Eckbänke, Tischchen und Stühle, sowie Tupperware in allen Farben und Formen aus. Auf den Tischen standen Zucker und Milchpulver. In diesem Moment brachte jemand auch schon neuen Kaffe herein. „Kostet 50 Cent“, sagte eine Stimme, noch bevor ich anmerken konnte, dass ich gar keinen Kaffee trinke. Während ich mich umsah, wer alles Tupperware-

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Beraterin werden wollte, wurde ich von den Anwesenden genauestens gemustert. Lag es vielleicht daran, dass ich nicht wie ein StaubsaugerVertreter gekleidet war und auf Schlips und Kragen verzichtet hatte? Wie im täglichen Leben trug ich Turnschuhe, einen Pulli und eine Jeanshose, die am unteren Ende schon etwas verschlissen war. Meine „Mutti“ stellte mich kurz mit „das ist der Tim, und der will mal gucken, was wir hier so machen“ vor und verschwand auch schon wieder. Kaum war sie weg, tappte ich auch schon in die erste Falle. Ich hatte mich gerade auf einen der freien Plätze gesetzt, als eine Frau schnellen Schrittes in den Raum kam und mit bestimmtem – nein, mit sehr bestimmtem – Ton sagte: „Das ist mein Platz!“ - „Das ist der Platz, auf dem die Chefin immer sitzt“, zischelte mir noch jemand zu. Jetzt konnte ich mir schon selbst denken, wer hier die Hosen an hat. „Hallo Chefin“, dachte ich bei mir, als sie amüsiert zu mir sagte: „Soso, Sie wollen nun auch bei Tupperware einsteigen?“ Als Antwort beließ ich es mal bei einem einfachen „Jo.“ Ich wollte es mir ja bei der Chefin nicht sofort mit einem „Ja sicher, sonst wäre ich ja wohl kaum hier.“ den ersten Eindruck versauen. „Na dann lassen Sie uns mal in den Schulungsraum gehen“, lautete die Ansage an die zwölf TupperAnwärterinnen, bevor wir im Gänsemarsch hinter dem Boss her stiefelten. Wir erreichten einen großen Raum mit schlecht verlegtem, welligem Teppich und Tupperware so weit das Auge reicht. Die Stuhlreihen erinnerten mich an einen Klassenraum. Nur größer. In der Mitte stand ein Tisch und rundherum ebenfalls

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Stühle. Wir setzten uns alle an diese Kaffeetafel. Es konnte losgehen. Die Vorstellungsrunde begann, aber nicht im Sinne von „Mein Name ist Tim, meine Hobbys sind Lesen, Schwimmen und Reiten.“ Die Chefin, die am Kopfende saß, wollte neben unseren Namen und dem Wohnort auch die Gruppe wissen, in der wir tätig waren, unsere Beraterin-Nummer und die Startwoche. Gemeint war die Woche unserer ersten eigenen Vorführung und schließlich wie viele Präsentationen wir in der Woche halten wollten. Hmmm … gerade als ich mir meine Antworten überlegt hatte, kam meine „Mutti“ noch einmal hereingestürzt und zischelte mir meine ominöse Nummer ins Ohr. Und schon war sie auch schon wieder weg. Nacheinander sagten die am Tisch sitzenden Frauen brav ihr Sprüchlein auf. Spannend zu hören, dass einige die Nummer ihrer Gruppe wussten und andere stattdessen Namen wie „MickyMäuse“ oder „Konfetti“ verwendeten. Wirklich erstaunt war ich darüber, dass einige Damen doch glatt meinten, sie wollten drei Tupperpartys pro Woche veranstalten. Die mussten ja Zeit haben ohne Ende, aber ich hatte schließlich noch einen FulltimeJob „nebenbei“. Plötzlich war ich an der Reihe. Als letzter der Reihe hob ich an und nachdem ich Namen und Wohnort vorgetragen hatte, unterbrach schallendes Gelächter meinen penibel zurecht gelegten Spruch: „Mein Name ist Tim Reckmann, ich komme aus Hamm und ich bin in der Gruppe der himmlischen Schwestern.“ Ha! Ha! Ha! – natürlich wusste ich auch, dass ich eher ein himmlischer Bruder war. Ganz so lustig wie meine Mitstreiterinnen fand ich es allerdings nicht. Die kicherten immer noch.

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So hatte allerdings glücklicherweise kaum jemand beachtet, wie ich leise murmelte, dass ich vor hatte alle 14 Tage eine Vorführung zu halten. Meine Nummer wusste ich auch noch und eine Startwoche hatte ich ja noch nicht. Das fanden einige so komisch, dass ich als pränatale EmbryonalTupperware-Beraterin bezeichnet wurde. Super! Die Chefin schrieb unterdessen alles minutiös in ihren Kalender. Dann verriet sie, dass sie schon seit fast 20 Jahren bei Tupperware sei. Ich überlegte. Das muss die Zeit gewesen sein, in der ich gerade Lesen und Schreiben gelernt hatte. Das Wissen, das ich seitdem gesammelt hatte, sollte noch an diesem Abend noch um einen großen Bereich erweitert werden, nämlich um das Themengebiet der Plastikschüsseln. Stopp! Plastik? Nein! Tupperware ist nicht aus Plastik! Dies sei ein weit verbreiteter Irrglaube, wie uns versichert wurde. Zwar dürfe man uns gerne „Tupper-Tante“ nennen, aber die Töpfe auf keinen Fall als Plastikschüsseln bezeichnen. Naja, als Mann wäre es mir zwar anders herum lieber, aber ich würde mich schon daran gewöhnen, dass ich ab jetzt - zumindest auf dem Papier - eine Frau war. Hätten wir das schon einmal geklärt. Jetzt war ich auf den Unterschied von Plastik und Kunststoff gespannt. Ich traute meinen Ohren kaum: Die Chefin, die zwar recht dominant wirkte, trotzdem eher den Charme einer gelangweilten Fritten-Verkäuferin versprühte, begann die erste Schulung mit wissenschaftlichen Erklärungen, die einen Chemie-Leistungskurs in der gymnasialen Oberstufe sicherlich erfreut hätten.

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„Plastik ist zum Beispiel PVC oder besser gesagt Polyvinylchlorid. Aus diesem Material werden günstige Fußbodenbeläge gefertigt, aber niemand käme wohl auf die Idee, seine Wurst darin einwickeln zu wollen, um sie frisch zu halten“, betete sie herunter. PVC sei normalerweise hart und spröde und würde nur durch Weichmacher elastisch. Diese solle man aber lieber nicht in die Nähe seiner Vorräte kommen lassen, warnte sie mit ernster Stimme. Doch plötzlich machte sich ein Grinsen zwischen ihren Dauerwellen-Löckchen breit. „Bei Kunststoff ist das ganz anders“, frohlockte sie in die Runde. Kunststoff sei die Krone der Schöpfung, zumindest was die Behälter anging, die überall im Raum standen. Die Chefin – ich nenne sie ab jetzt Frau Z. - wäre jedoch nicht Bezirkshändlerin geworden, wenn sie nicht auch souverän mit Fachbegriffen wie Polyprophylen, Polyethylen und Polyethylenterephthalat hätte jonglieren können. Schon jetzt hatte der Abend meine Erwartungen übertroffen. Denn ich hätte nicht gedacht, dass irgendjemand bei Tupperware diese Wörter überhaupt aussprechen konnte, geschweige denn wusste, was sie bedeuten. Als ich gerade in das Gespräch über den Unterschied der verschiedenen Polymerverbindungen einsteigen wollte – ich hatte schließlich im Schul-Unterricht aufgepasst verdrehten alle Beraterinnen die Augen. Auch Frau Z. wollte hier wohl nicht weiter ins Detail gehen. Nun beschränkte sich der Vortrag wieder auf das, was auch jede Hausfrau ohne langjähriges Chemiestudium verstehen würde. „Es gibt verschiedene Arten von Kunststoffen, die sich in Elastizität, Farben und Temperaturbeständigkeit unterscheiden.“ Die Chefin hetzte durch den kompletten Katalog von Standard-Behältern über

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elastische Gefrierbehälter, die nach Frau Z. selbst bei extremer Kälte nicht spröde würden. Sie erzählte von Schüsseln, bei denen verschiedenfarbige Kunststoffe miteinander verbunden wurden bis hin zu Mikrowellen-Geschirr, das wiederum extrem hitzebeständig sei. Besonders stolz ist man bei Tupperware wohl auch auf die Kuchenformen aus Silikon. Elastisch, hitzebeständig bis 220 Grad, klitzeklein zusammenfaltbar und trotzdem absolut formstabil. Jetzt wurde erst einmal über die billigen Vergleichsprodukte gelästert, die es beispielsweise in schwedischen Möbelhäusern oder in Discountmärkten um die Ecke zu kaufen gibt. Vor allem die Damen, die eine solche Form bei Tupperware für teures Geld erstanden hatten, waren schon allein wegen dieser großen Investition von der Qualität überzeugt. Natürlich hatte die Chefin Argumente, die den Preis rechtfertigten. Der Testsieg in renommierten Fachzeitschriften war nur eines davon. Noch plausibler klang da die Tatsache, dass alleine Tupperware seine Silikonformen mit dem Symbol „Lebensmittelechtheit“ versehen würde. So sei gewährleistet, dass keine Schadstoffe in die Nahrung gelangen könnten, so Frau Z. weiter. Ich war beruhigt, dass ich mich für Tupperware entschieden hatte. Gar nicht auszudenken, was alles hätte passieren können, wenn ich ahnungslos eine andere Silikonform gekauft hätte. Außerdem sei das TupperOriginal auch nicht so schlabberig wie die Produkte der Mitbewerber und extrem reißfest – so lange die Oberfläche unbeschädigt blieb, betete Frau Z. vor, ohne dabei Luft zu holen. Schließlich war es eine Frage der Ehre, dass Frau Z. prompt den Beweis antrat. Gemeinsam mit einer Beraterin versuchte Sie ein Silikon-Herz durch kräftiges Ziehen auseinanderzureißen. Ich war begeistert. Diese

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Demonstration erinnerte mich doch stark an schlaflose Nächte mit nicht enden wollenden Teleshopping-Dauerwerbesendungen. Innerlich grinsend blickte ich in die Runde der angehenden Beraterinnen. Doch lustig fand das außer mir scheinbar niemand. Gebannt und mit konzentrierter Miene starrten die Teilnehmerinnen auf das rote Plastik – äh … Kunststoff-Teilchen. Einige notierten sich eilig Stichpunkte. Natürlich war die Form absolut reißfest. Die Vorzüge wurden abermals wiederholt, bevor das nächste Produkt auf den Tisch kam. Es nannte sich Ultra, kam aus der Weltraumforschung und konnte irgendwie alles. Frau Z. sprach bestimmt 20 Minuten nur über dieses eine Produkt. Es war scheinbar das beste und tollste, das Tupperware jemals zu bieten hatte. Ich kannte dieses Ding ja schon von der Vorführung in meinem Wohnzimmer. Nie wieder würde ich diese großartige Erfindung nur „Bräter“ nennen. Selbstredend würde sich mein Vater zu Weihnachten darüber freuen. Doch während dieser Schulung erfuhr ich so viel darüber, dass ich bezweifelte mir alles merken zu können. Zum Glück hatte mir meine „Gruppen-Mutti“ ja schon versprochen, einen Ordner mit allen Produkten aufzutreiben, den ich mir dann in Ruhe anschauen wollte. Beruhigend, denn die Schulung war an dieser Stelle keineswegs beendet. Wir hangelten uns auch noch durch die anderen Produktgruppen, bis die Chefin den Berg an Plastik - … äh … Kunststoff-Schüsseln das hatte sich schon jetzt in mein Hirn eingebrannt wieder in die Regale einordnete.

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Der große Tisch war leer. Frau Z. kramte nach einem Stapel Kopien. Sie nahm sich einen Zettel, las ein wenig daraus vor und erzählte uns wie schwierig es sei, in der Weihnachtszeit eine Tupperparty zu veranstalten. Schließlich hätten die meisten Gastgeberinnen in diesen Tagen etwas Besseres vor. Wir bekamen den Tipp, stattdessen in dieser Zeit einmal Gäste zu uns nach Hause einzuladen. Dann sei man eben Gastgeberin und Beraterin in einer Person und schlüge zwei Fliegen mit einer Klappe: Man arbeitete von zu Hause und würde sich als Veranstalterin auch noch selbst beschenken können. Zum Abschluss stellte sie noch die Frage, wer in der vergangenen Woche getuppert hatte. Es meldete sich tatsächlich etwa ein Drittel der Anwesenden. Sie standen von ihren Plätzen auf und wurden vor versammelter Mannschaft nach ihren Umsätzen gefragt. „Wer hat mehr als 100 Euro ertuppert?“ Drei Beraterinnen setzten sich. „Wer hat mehr als 150 Euro umgesetzt?“ Wieder setzen sich einige Frauen. Es wurde in 50er Schritten erhöht. Geschenke gab es für alle, die aktiv gewesen waren. Sie erhielten Schüppchen und Apfelsinenschäler. Die drei besten wurden nach vorne zur Chefin gebeten. Auch ihr Umsatz wurde weiter abgefragt, bis die letzte bei 400 Euro ausstieg. Ich war von den Socken. Was man doch in der Weihnachtszeit verdienen kann! In Gedanken zog ich die versprochenen 24 Prozent als meinen Anteil ab und stellte das in ein Verhältnis zu dem geringen Arbeitsaufwand. Allerdings wurde nicht nur der beste Einzelumsatz gebührend belohnt. Auch die erfolgreichste Gruppe, der beste Umsatz im Schnitt pro Gast und die aktivste Gruppe wurden geehrt. Wieder wurden alle

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beteiligten Beraterinnen mit kleinen Geschenken belohnt. Wahnsinn! Ich hoffte, irgendwann auch einmal dabei zu sein. Endlich war meine erste Schulung beendet. Zum Abschied bekamen wir noch eine Ausgabe der so genannten Zeitung, aus der die Bezirkshändlerin vorgetragen hatte. Jetzt noch schnell zum TupperBüro. Dort ließ ich mir bestätigen, an dieser Veranstaltung teilgenommen zu haben. Zurück im völlig verrauchten Aufenthaltsraum traf ich wieder auf meine Gruppenberaterin. Während ich in der Schulung war, hatte sie sich scheinbar darauf vorbereitet, mich sanft daran zu gewöhnen, dass es nun ernst würde. „Wann machst du denn deine erste Tupperparty? Ich würde dich bei deinem ersten Mal gerne begleiten.“ Noch bevor ich überlegen konnte, bot sie mir die einzige Option, ihren letzten freien Termin am 27. Dezember an. Warum hatte sie mich dann überhaupt gefragt? Schließlich hatte sie mein Debüt als Beraterin doch schon selber festgelegtund das schon in knapp zehn Tagen. Ich hatte keinen Schimmer wo und wie ich diese Party auf die Schnelle organisieren sollte. Aber hatte ich eine Wahl? Nein. Ich sagte zu. Schließlich war ich nach wie vor fest entschlossen, Beraterin zu werden. Als ich mich verabschiedete, bot sie mir noch das „Du“ an. Sie sei die „Claudia“. Und obwohl ich Namen eigentlich nicht gut behalten kann, wusste ich schon jetzt, dass ich Claudia so schnell nicht vergessen würde. Auf dem Weg nach Hause überlegte ich krampfhaft, wo ich wen in Sachen Tupperware beraten könnte. Zugegeben: In diesem Moment fühlte es sich noch so an, als würde ich Versicherungen gegen

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Vulkanausbr체che im Ruhrpott andrehen wollen. Mal sehen, ob sich das noch 채ndern w체rde.

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Jetzt geht’s los – frohes Fest! Ja, die Weihnachtszeit ist wirklich stressig. So war es auch an dem Tag, an dem das so genannte Weihnachts-Meeting in der Bezirkshandlung stattfand. Ich war spät dran, weil ich noch von einer anderen Weihnachtsfeier kam. Kurz vor Beginn trudelte ich in letzter Minute ein. Ich hatte Mühe, noch einen Platz zu ergattern. Den Fauxpas, mich auf den Cheffinnen-Sessel zu setzen, würde ich mir dieses Mal natürlich nicht mehr erlauben. Ich war ja lernfähig. Als mein Blick durch den Raum schweifte, den ich von der Schulung eigentlich anders in Erinnerung hatte, hörte ich ein schrilles „Hallo Tim! Hier sind wir …“ von der linken Seite. Dort sah ich Claudia mit einigen anderen Frauen an einem der vielen weihnachtlich geschmückten Tischen sitzen. Rasch wurde ein Stuhl für mich organisiert und die erste Frage „Sekt oder Glühwein?“ geklärt. Ich entschied mich für Mineralwasser. Bis auf „Mutti“ kannte ich niemanden, doch die anderen schienen offensichtlich schon zu wissen, dass ich nun auch für die „gute Sache“ tätig werden würde. Trotzdem wurde ich von oben bis unten gemustert. Keine Frage, hier war ich ein Exot. Denn bei knapp 200 Frauen fielen die gerade mal fünf Männer schon auf. Ich sah die riesigen Fragezeichen über den Köpfen der Beraterinnen: „Ob er wohl schwul ist?“ – „Oder arbeitslos?“ – „Oder etwa beides?“ – „Warum will gerade der Tupperware-Beraterin werden?“ Auch ich ertappte mich kurz bei der Frage, warum ich das alles eigentlich machen wollte. Bis auf den Reiz, etwas Neues auszuprobieren, fiel mir gerade nichts ein.

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Meine Sitznachbarinnen wurden mutiger und begannen ihre Neugier in Worte zu verpacken: „Was machst Du beruflich?“ – „Wo kommst Du her?“ – „Verheiratet?“ – „Kinder?“ – Time out! Ich wusste, dass Tupperware hauptsächlich darin besteht, sich vorzustellen. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Ich gab mich professionell - wie eine echte Beraterin bei einer Vorführung: „Ich bin der Tim, 27 Jahre alt, weder verheiratet, noch Kinder, aber beides in Planung. Nebenbei leite ich mit zwei Kollegen eine Internetagentur in Hamm.“ Gar nicht so schlecht für den Anfang. Ich hatte mich vorgestellt, einige Vorurteile aus dem Weg geräumt und auch gleich meine Freizeitgestaltung kurz umrissen. Vermutlich hätte man mich gleich wieder komisch angesehen, wenn ich erzählt hätte, dass ich gerne Golf spiele und DVDs sammelte. Diese Kapitel sparte ich mir. Lautstark wurden wir unterbrochen. Denn plötzlich schallte Musik aus allen Ecken und die Chefin bahnte sich einen Weg durch die Reihen bis zu ihrem Rednerpult. Es hatte etwas vom Einzug der Gladiatoren oder dem Auftritt der Animateure in einem Ferienhotel. Im Gegensatz zu mir schienen die Beraterinnen das Prozedere schon zu kennen und begannen wie auf Knopfdruck, rhythmisch zu klatschen. Man hatte mich wieder einmal überrascht. Irritiert warf ich meiner Gruppenberaterin Claudia einen hilfesuchenden Blick zu. Sie entgegnete mit einem energischen Nicken, das mir sagte: „Mach einfach mit!“ Sie hatte mal irgendwann in einem Nebensatz erwähnt, dass man sich selbst bei Tupperware nicht so ernst nehmen dürfe. Von diesem Moment an wusste ich, was sie damit gemeint hatte. Ich klatschte.

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Ausgerechnet mit dem Weihnachts-Meeting einzusteigen ist vermutlich nicht gerade die sanfteste Methode, sich an Tupperware und dessen sektenähnliche Organisation zu gewöhnen. Denn wenn jemand schwimmen lernen möchte, springt er ja für gewöhnlich auch nicht gleich vom 10-MeterBrett ins Wasser. Alles begann damit, dass sich die Chefin fleißig bei allen bedankte, die mit ihrer Bezirkshandlung etwas zu tun hatten. Es gab Blumen und Geschenke für den Familienbetrieb der Bezirkshändler samt Nachwuchs sowie für die Helfer im Lager und beim Umtausch. Wie in einer Präsentation für Neulinge wie mich wurden jetzt alle Gruppenberaterinnen – etwa ein Dutzend - und auch sogar ein Gruppenberater nach vorne gebeten. Ein seltsamer Anblick. Denn in meiner Vorstellung waren diese Gruppenberaterinnen nun mal die Vorgesetzten der Beraterinnen und die Gruppen ja irgendwie kleine Unternehmen. Einen Firmenwagen hatten sie ja schließlich. Und auch am Umsatz ihrer Untergebenen wurden sie beteiligt. Das war auch das Stichwort für die dauergewellte Chefin. Frau Z. wollte gerade stolz verkünden, welche Gruppe wie viel Umsatz im zurückliegenden Jahr gemacht hatte. Doch sie stockte. Scheinbar war ihr aufgefallen, dass sie ihren Spickzettel im Büro hatte liegen lassen. Das alleine wäre sicher nicht besonders lustig gewesen, hätte sie nicht vor drei Minuten erst versprochen, dass ihr Mann im kommenden Jahr nicht so häufig die vergessenen Dinge hinterher tragen müsse. Aber das neue Jahr hatte ja auch noch nicht angefangen und so schickte sie ihren Chefinnen-Gemahl ins Büro. Ich

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nutzte die Pause, um mir auszumalen, wie hoch wohl der Jahresumsatz der Gruppen gewesen sein könnte. Ihr Spickzettel kam, die Spannung stieg. Die Personenzahl in einer dieser Tupperware-Gruppen schwankte zwischen zehn und 15 Personen. Zwar gab es auch einige Gruppen mit weniger Personen, im Gegenzug jedoch auch eine Riesengruppe mit mehr als 50 Beraterinnen. Der Jahresumsatz der besten Gruppen lag zwischen 200.000 und 300.000 Euro – tosender Beifall! Das würde ja bedeuten, dass jede Beraterin für 7.000 bis 8.000 Euro Tupperware im Jahr verkaufte. Das wären das 600 bis 700 Euro im Monat, bei zwei Vorführungen im Monat etwa 350 Euro pro Abend. Puh! Da bleibt ja dann nicht viel Zeit für Urlaub. Es sein denn, ich wäre irgendwann gut wie … „Claudia S.“, sagte die Chefin und in diesem Moment wurde ausgerechnet meine Gruppenberaterin ausgezeichnet. Ich kam schon ganz durcheinander bei so vielen Ehrungen. Eben war es noch der Gruppenumsatz gewesen, mit dem wir irgendeinen Preis für junge Gruppen abgesahnt hatten. Kaum hatte sich Claudia wieder zu uns gesetzt, wurde sie auch schon wieder nach vorne gerufen - für ihren persönlichen Jahresumsatz. Tupperware belohnte wirklich alles. In diesem Fall mit jeweils einer Flasche Sekt. Mir wurde etwas mulmig, als ich hörte, dass es tatsächlich Tupper-Tanten gab, die im Jahr 51 von 52 Wochen aktiv waren. Machen die keinen Urlaub? Eine komische Vorstellung, dass diese Menschen ein Leben für die Schüsseln führten. Damit nicht genug. Denn viele schienen sogar so überzeugt von ihrer Tätigkeit zu sein, dass sie selbst Gäste auf der Tupperparty überredeten, Beraterin zu werden.

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Offenbar wurde auf das Anschleppen neuer Verkäuferinnen so viel Wert gelegt, dass auch die Anzahl der neu geworbenen Tupperanerinnen ausgezeichnet wurde. Mehrere Dutzend hatte die beste Beraterin im vergangenen Jahr geworben. Während ich noch überlegte, warum ich denn darum hatte betteln müssen, bemerkte ich, dass es scheinbar für jede einzelne Rekrutierung auch noch ein kleines Geschenk gab. „Wollen wir doch mal schauen, was du wert bist“, frohlockte Claudia. Noch bevor ich etwas sagen oder fragen konnte, wandte sie den Blick von ihren fünf oder sechs Sektflaschen ab und schaute in Richtung Besteck-Set, das sie im nächsten Augenblick aus den Händen der Chefin erhalten sollte. Weihnachten ist bei Tupperware so, wie sich Kinder den heiligen Abend vorstellen: In einem abgedunkelten Raum, mit Geschenken überhäuft saßen wir himmlischen Schwestern gemeinsam an einem Tisch, tranken Glühwein - oder Mineralwasser - und verfolgten das Geschehen. Ich war begeistert, als ich sah, was es schon im Januar für tolle TupperProdukte geben solle. Auf jeden Fall würde ich mir davon ein paar Muster kaufen, um sie auf meiner ersten Vorführung präsentieren zu können. Jetzt wird es Zeit, dass ich meine Tupper-Tasche bekomme. Doch vorerst erhielt ich an diesem Abend ein anderes Geschenk, nämlich ein Ringbuch mit allen Produkten des Unternehmens. Super! So hatte ich eine Lektüre für die kommenden Feiertage. Während sich andere Familien die Weihnachtsgeschichte vorlasen, wollte ich in der Tupperware-Bibel schmökern. Zufrieden steckte ich das gute Stück in meine Tasche. Anschließend gab ich Claudia noch die Adresse meiner zukünftigen

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Schwägerin. Dort sollte am 27. Dezember meine allererste Tupperparty stattfinden. Kaum zu glauben, wie einfach es gewesen war. Ich musste der Freundin meines Bruders nur von Tupperware erzählen, auf der Stelle war sie Feuer und Flamme und wollte dringend eine Party bei sich zu Hause veranstalten. Was hatte ich für ein Glück. Mulmig war mir schon, aber jetzt geht’s los - frohes Fest!

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Die größte Tupperparty der Welt Weihnachten war gelaufen. Jetzt konnte es losgehen! Noch immer musste ich grinsen, wenn ich an die Weihnachtsfeier dachte. Dort hatte ich schließlich schon reichlich merkwürdige Dinge erlebt. Trotzdem gab es noch immer viel Neues, mit dem ich mich noch anfreunden musste. Zum Beispiel die tuppersche Zeitrechnung. Das Jahr in 52 Wochen zu unterteilen, war normal. Doch dass der Januar bereits im Dezember anfing, war mir vorher gar nicht aufgefallen. Tupperware aber sortierte die Monate nicht nach dem Kalender, sondern nach dem aktuellen Produktprogramm. Und so feierte die ganze Menschheit auch sowohl im Dezember als auch im Januar die größte Tupperparty der Welt. Diese erste Verkaufszeit des Jahres hieß so, weil der Konzern dann immer „die tollsten Angebote, die größten Geschenke für Gäste und Gastgeberinnen und die attraktivsten neuen Produkte“ im Programm hatte. Innovationen, von denen ich noch nicht eine einzige besaß – oder vielleicht doch? Nachdem ich mir das neue Programm etwas genauer angesehen hatte, fiel mir auf, dass es unter anderem auch den Ultra-Bräter gab, den ich vor Kurzem noch für meinen Vater gekauft hatte. Zu meinem Erstaunen hatte sich die Freude unterm Weihnachtsbaum übrigens sehr in Grenzen gehalten. Bei mir steht der Ultra seit der Vorführung auch nur im Schrank. Was hatte der doch gleich gekostet? Fast 80 Euro, wenn ich mich recht erinnerte - und jetzt? 40 Euro! Ich zuckte zusammen. Schwindelig wurde mir allerdings erst, als ich mich an das

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Vorbereitungsgespräch mit Claudia erinnerte, bei dem sie mir empfohlen hatte, ein Muster dieses Bräters zu kaufen. Hätte ich mir ein Muster von dem Teil der neuen Serie gekauft - und auf das Muster bekomme ich als Beraterin ja bekanntlich 40 Prozent Rabatt, dann hätte ich im Vergleich nur noch 25 Euro dafür ausgeben müssen. Also 55 Euro weniger, als ich es für meinen Vater getan hatte. Eigentlich wollte ich es doch gar nicht so genau wissen. Auch Claudia wollte wohl nicht, dass ich weiter darüber nachdachte. Dadurch wurde mir schmerzlich bewusst, dass man als Beraterin einen Haufen Geld sparen kann oder einfach als Gast viel zu viel bezahlt. Bleibt noch zu erwähnen, dass der Bräter nun auch nicht mehr babyblau war, wie der, den ich schon hatte, sondern anthrazit. Das passte ohnehin besser in meine Wohnung. Okay, gekauft! Noch keinen Cent verdient und schon wieder investiert. Noch viel geschockter war ich allerdings, als ich erfuhr, wie wenig man für Artikel bezahlt, wenn es Muster von Geschenken waren. An denen beteiligt sich nämlich die Beraterin mit nur ein paar Euro. Ich rechnete mal wieder nach: Als Geschenk gab es im Januar den großen 5l Bräter, 100 Euro, oder das wertvolle Mikrowellen-Geschirr-Set, auch rund 100 Euro. Wenn ich beide Produkte auf Muster-Bestellung setzte, würde ich dafür weniger als 10 Euro bezahlen. Mir wurde schlecht. Irgendwie verspürte ich Mitleid für all die Partygäste, die so viel Geld ausgaben. Andererseits hatte ich ohnehin Interesse an den Produkten und freute mich nun wie ein kleines Kind, im Gegensatz zu ihnen über 90 Prozent sparen zu können.

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Der große Bräter – ich meine natürlich Ultra – war neuerdings übrigens auch in anthrazit. Ausgezeichnet. Demnächst war in meiner Küche der Teufel los. Ich freute mich schon jetzt darauf, in den neuen Pötten zu kochen zu können. Bis dahin musste ich mich jedoch gedulden, denn bisher hatte ich mir lediglich vorgenommen, all diese Muster zu kaufen. Aus dem Shopping-Wahn erwacht wurde mir plötzlich bewusst, dass ich weder Muster, noch aktuelle Angebote, geschweige denn die ersehnte TupperTasche besaß. Das alles half aber nichts, schließlich musste ich mich auf meine erste Tupperparty als Beraterin vorbereiten. Also nahm ich mir eine große Sporttasche und stopfte alles hinein, was ich aus dem Hause Tupperware in meinen Schränken fand – wirklich alles! Es war eine ganze Menge. Der Reißverschluss der Tasche ging schon nicht mehr zu. Unweigerlich musste ich bei jedem einzelnen Teilchen darüber nachdenken, was ich dafür ausgegeben hatte und was es mich nun als Beraterin bei Tupperware kosten würde. Mich tröstete nur, dass wenigstens Claudia auf den Partys bei mir und meiner Familie ordentlich verdient hatte. Vielleicht war auch das der Grund, weshalb sie so nett zu mir war. Denn noch kurz vor der Veranstaltung hatte sie mir versichert, mir alle besonderen Angebote und Geschenke mitzubringen. Ich war erleichtert. In meine Sporttasche hätte ohnehin nichts mehr hineingepasst. Schon nach einer Stunde erreichte ich die Wohnung meines Bruders und schleppte mein Gepäck in die fünfte Etage. So lernte ich bereits vor meiner ersten

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Party eine der Schattenseiten dieses Jobs kennen. Tupperware ist zwar nicht schwer, aber dafür umso sperriger. Immerhin gab es im Wohnzimmer einen großen Tisch, auf den ich nun meine Ware drapierte. Gar nicht so einfach - vielleicht hätte ich das vorher zu Hause einmal üben sollen. Tapfer packte ich erst einmal alles aus, was ich zuvor in die Sporttasche gestopft hatte. Wie von Zauberhand verschwand der große Esstisch immer mehr. Nach kurzer Zeit war die Tasche leer und der Tisch voll. Es sah aus wie … ich musste dringend umbauen. Ich starrte auf meine Uhr. Ich hatte doch noch eine halbe Stunde Zeit, oder? Es war glücklicherweise nur Claudia. Sie hatte eine echte Tupperware-Tasche dabei. Als sie das Wohnzimmer betrat, schüttelte sie ungläubig mit dem Kopf. Ich versuchte mich zu verteidigen. „Keine Panik, ich habe ja nur mal alles ausgepackt, um zu sehen, was ich überhaupt dabei habe.“ Claudia verdrehte die Augen. „Naja, wo du ja jetzt gesehen hast, was du dabei hast, kannst du ja den Tisch ja wieder frei räumen. Mutti zeigt dir jetzt, wie so ein Tuppertisch aussehen soll.“ Ich war für jede Art der Hilfe dankbar. In nur fünf Minuten zeigte mir meine Gruppenberaterin, zu welchen Höchstleistungen Tuppertanten fähig waren. Der Tisch sah tatsächlich aus, wie im Katalog: Große Töpfe hinten, kleinere Schüsselchen davor, die Angebote in der Mitte und die weniger wichtigen Dinge standen dahinter. Neben dem bunten Inhalt meiner Tasche, hatte sie auch noch ihre Mitbringsel dekoriert. Ich verteilte in der Zwischenzeit schon einmal Prospekte und Flyer auf dem Tisch. Da ich mich in meiner Freizeit mit Erwachsenenbildung beschäftigte, stellte ich mir vor,

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gleich einem VHS-Kurs gegenüber zu stehen. Das half ein bisschen. Denn aufgeregt war ich schon. Nach und nach trudelten die Gäste ein und füllten die Sitzecke. Neben meiner Mutter war auch eine Nachbarin zu meiner Premiere gekommen. Sie selbst war für mehrere Jahre Tupperware-Beraterin gewesen, hatte den Job jedoch aus persönlichen Gründen an den Nagel gehängt. Das machte mich nicht gerade sicherer. Immerhin saß mir nun jemand gegenüber, der selber das komplette Programm rauf und runter beten konnte. Mit fortschreitender Uhrzeit stieg mein Adrenalinpegel. Aber warum eigentlich? Da waren doch nur eine handvoll Gäste, von denen ich die meisten auch noch persönlich kannte. Doch mein Hypothalamus war für solche Beruhigungsversuche wenig empfänglich. Mittendrin saß Claudia und versuchte, ihr Grinsen zu verbergen. Na toll, selbst meine „Mutti“ schien nicht an einen erfolgreichen Abend zu glauben. Egal. Jetzt war ich die Beraterin. Möge das Schauspiel beginnen. „Tim, so heiße ich - für alle, die es noch nicht wissen. Bin 27 Jahre alt, nicht verheiratet und kein Kind. Beides soll aber in Kürze geändert werden.“ Zugegeben, ein sehr flacher Gag – und „Mutti“ Claudia kannte ihn ja auch schon von der Weihnachtsfeier. Wohl eher aus Mitgefühl schmunzelte das Publikum. Danke. Während ich die Artikellisten verteilte, wurde ich mutiger als … „Riiiiiiing!“ … mein Handy plötzlich in der Sporttasche klingelte. Ich hastete eilig zum Telefon. Unbeholfen und peinlich berührt drückte ich irgendwelche Knöpfe, um das verdammte Klingeln abzuschalten. Ruhe, endlich. Und damit ich mich ja nicht entspannte, meldete sich die Nervosität

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zurück. Ich atmete durch, denn ich war mir sicher: Der Abend würde schon irgendwie seinen Lauf nehmen. Alles schien gut zu werden und ich wollte gerade beginnen, das Ulta-Rezept zu kochen, als … „Riiiiiiing!“ … ich versuchte die Fassung zu behalten, immerhin ging es hier um mein Dasein als TupperTante. In meiner Verzweiflung nahm ich den Akku aus dem Telefon und legte ihn demonstrativ auf den Tisch. Normalerweise klingelte mein Telefon um diese Uhrzeit nie – ehrlich! Augenblicklich wechselten mein Gesichtsausdruck von angefressen und ertappt zu einem grinsenden Vertretergesicht. Das Üben vor dem Spiegel hatte sich also ausgezahlt. „Kommen wir nun zum Ultra“, verkündete ich. Noch vor einiger Zeit hatte ich noch nicht einmal gewusst, dass man mit einer TupperSchüssel kochen konnte und jetzt führte ich ihn vor, als hätte ich nie etwas anderes getan. Putengeschnetzeltes stand auf der Speisekarte. Akribisch befüllte ich den Pott mit den vorgegebenen Zutaten und ließ nur dabei von den Gästen helfen. Genauso, wie es Claudia bei mir gemacht hatte. Von Kochen konnte hier zwar noch keine Rede sein, aber um wenigstens die typische BeraterinnenHandbewegung zu machen, mengte ich den Inhalt mit dem Tupperware-Rührlöffel durch und brachte das Töpfchen zur Mikrowelle. „Der Zauber-Bräter von Tupperware wird’s schon richten“, sagte ich zunächst etwas oberflächlich, doch dann fiel mir wieder ein, dass ich ja hier die Chefin im Ring war. Mit seriöser Miene erklärte ich: „Bei Tupperware nennen wir das Ding übrigens Ultra. Es fasst drei Liter Inhalt und ist in der Artikelliste unter H 14 für 79,90 Euro zu finden.“ Herrlich, wie

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das aus meinem eigenen Mund klang. Für irgendetwas musste es ja gut sein, dass ich die ganzen Nummern auswendig gelernt hatte. Claudias Augen strahlten. Besonders als mir in der letzten Sekunde noch einfiel, dass der Ultra aktuell im Angebot war - für nur 40 Euro. Wie könnte ich das vergessen. Schließlich hatte ich vor einiger Zeit noch das Doppelte dafür ausgegeben. Doch aus der Sicht eines selbständigen Handelsvertreters für Haushaltswaren aus Kunststoff hielt sich meine Freunde in Grenzen. Denn mit dem Preis hatte sich nun auch meine Provision halbiert. Außerdem wollte ich ja auch nicht meine eigene Familie über den Tisch ziehen. Oder doch? Ich erinnerte mich an meine Tupper-Schulung und das dabei erwähnte Killer-Gen. Also schaute ich auch alle Gäste so lange an, bis sich tatsächlich jemand Notizen auf seiner Liste machte. Das war übrigens noch so eine „rhetorische“ Feinheit gewesen, die man mir damals mit auf den Weg gegeben hatte. „Preisliste klingt direkt nach Kommerz“, hatte die Chefin uns ermahnt, stattdessen das Wort „Artikelliste“ zu verwenden. Das sei nämlich unverfänglicher. Scheinbar so unverfänglich, dass auch Personen etwas ankreuzten, die schon in den vergangenen Wochen fleißig eingekauft hatten. Selbst die ehemalige Tupperware-Beraterin kritzelte munter auf ihrer Schreibunterlage. Die Tupper-Taktik schien aufzugehen. Bis jetzt hatte es nur wenige, unbehagliche Situationen gegeben. Eine davon war die Präsentation von Produkten, die ich noch nie zuvor in den Händen gehalten hatte. Hier galt das bewährte Motto: „Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit.“ Außerdem hatte ich mir ja den Inhalt der Bibel eingetrichtert. Ich ließ mir nicht anmerken, wie anstrengend es war, zum Beispiel

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über den „Mahl-Chef“ zu sprechen. Ein Gerät zum halbautomatischen Zerhacken von Käse, Karotten und Nüssen. Gehorsam stellte ich die Mühle vor, von der ich eigentlich gar nicht überzeugt war. Ich zerlegte es souverän in seine Einzelteile und entdeckte prompt einige alte Nusskrümel. Ansich nichts Schlimmes, aber Claudia verfärbte sich und schob die Verschmutzung gleich auf ihre Kinder. Natürlich verwendeten die Vier- und Achtjährigen dieses Gerät täglich. Ich musste mich zusammenreißen, jetzt nichts Unüberlegtes zu sagen. In meinen Augen waren diese zwei Krümelchen überhaupt nicht schlimm. Doch sie kamen mir genau recht, um darauf hinzuweisen, welch unverzichtbarer Küchenhelfer der „Mahl-Chef“ doch war. Da spielt der Preis von mehr als 30 Euro doch keine Rolle. Erstaunlich: Je öfter ich es sagte, umso mehr glaubte ich es selbst. Immer seltener dachte ich im Stillen darüber nach, was all das in DMark gekostet hätte. Verdoppelte man die Preise, dann gab es doch tatsächlich Plastik- … Äh, Kunststoff-Artikel für fast 200 Mark. In Euro schien das kein Problem mehr zu sein. Familie und Gäste hatten unterm Strich am Ende für fast für 300 Euro eingekauft. Das waren mehr als 50 Euro pro Person. Gar nicht schlecht für den Anfang. Es folgte der Teil für Fortgeschrittene. Damit meinte ich nicht das Zusammenzählen der Sterne, für die sich die Gastgeberin etwas aussuchen konnte, sondern das Einpacken der Tuppertasche. Es fühlte sich an, wie das Kofferpacken nach drei Wochen Urlaub. Zum Glück eilte mir Claudia zur Hilfe. Nicht ganz uneigennützig – schließlich brauchte sie ihre Produkte schon am nächsten Tag wieder – aber das war mir egal. Ich freute mich über die tatkräftige

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Unterstützung, in Windeseile hatten wir alles verstaut. Das wäre geschafft! Geschenke für die Gastgeberin hatte ich allerdings noch keine. Ich würde sie einfach bei der Lieferung dazulegen. Zu einer Nachbesprechung kam es nicht mehr an dem Abend, denn Claudia machte sich als Erste auf den Heimweg. Ich war glücklich, dass alles irgendwie funktioniert hatte und machte mich aus dem Staub. Es war tatsächlich ein erfolgreicher Abend gewesen. Ich war stolz und hundemüde. Am nächsten Tag fuhr ich zu Claudia, um meine Premiere als Beraterin zu besprechen. Irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl. Bei jeglicher Kritik würde ich mich einfach darauf berufen, dass es mein erstes Mal gewesen war. Ich wurde nicht enttäuscht. Kaum hatte in Claudias Wohnzimmer Platz genommen, kam auch schon die Frage: „Was war das eigentlich mit deinem Handy?“ – Natürlich hatte ich keine plausible Entschuldigung. Also versprach ich artig, dass das natürlich nur ein Ausrutscher war und mein Mobiltelefon zukünftig zu Hause bliebe. „Und sonst?“ fragte ich. – „Nö – sonst war es absolut in Ordnung. Klang so als hättest du das schon mal gemacht. Ich glaube das könnte was werden mit dir.“ Ich war nicht nur beruhigt, sondern schlicht begeistert, dass ihr meine Show gefallen hatte. Ich hatte schon einigen meiner Freunde von meinem neuen Hobby erzählt und dabei gleich Termine für die nächsten Wochen gebucht. „Dafür habe ich noch eine kleine Überraschung“, sagte „Mutti“ und lächelte. Da meine nächste Vorführung noch vor der kommenden Schulung stattfinden sollte, hatte sie schon jetzt meine Vorführtasche von der

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Bezirkshandlung bekommen. Feierlich überreichte sie mir den überdimensionalen Tupper-Turnbeutel. Das war fast wie Weihnachten. Auspacken würde ich aber erst zu Hause. Ich war gespannt, was da noch alles auf mich zukommen sollte. Denn die größte Tupperparty der Welt hatte ja gerade erst begonnen.

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Das ist übrigens Tim Erstaunlich, was alles in so eine Beraterinnen-Tasche hineinpasst. Zusammengefasst: ein Querschnitt aus dem Sortiment, dass viele Männer für eine der letzten verbliebenen legalen Drogen für Frauen halten. Jetzt war ich offiziell Dealer für Polyäthylen, das – beschriftet mit Tupperware – bewiesenermaßen abhängig macht. Ein Mitglied in einem organisierten Verteilerring, eine Soldatin der weltweiten Armee von mehr als 800.000 Plastikpackern. Endlich hatte ich Zeit, den Inhalt der Tasche genau unter die Lupe zu nehmen. Silikon hier und Eidgenossen da. Dinge, die mir absolut gut gefielen, aber auch Modelle, die ich für absolut überflüssig hielt. So zum Beispiel ein Klumpen, der aussah, wie ein kleiner Blasebalg. Damit konnte man sicher nicht viel Sinnvolles anstellen. Nur aus dem Beipackzettel wusste ich: Das Teilchen war dafür gedacht, Zuckerguss und anderes Zeug auf Kuchen zu verteilen. Na, gut. Vielleicht würden mir irgendwelche Frauen das Ding kreischend aus den Händen reißen. Fürs Erste versah ich die ZuckergussSpritze mit dem kleinen, mitgelieferten Aufkleber, auf dem stand: „D60“ und „Mozart“. Denn eine weitere Philosophie von Tupperware besagt: Seriöse Artikelnummern und alberne Namen. Ich stellte mir vor, wie eine ganze Horde überbezahlter Kreativer irgendwo in gläsernen Hochhäusern sitzt und auf Namen kommt wie „Süße Müllerin“, „Drei Julchen“, „Würzling“, „Eidgenossen“, „Käse Max“ oder „Küchen Hai“. Aber vielleicht machte ja gerade das den Charme dieses Unternehmens oder es sollte

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einfach nur zur allgemeinen Erheiterung der Beraterinnen dienen. Ich wühlte mich weiter durch die Tasche. Ich fand noch jede Menge Listen, Kärtchen und dutzende Prospekte. Nachdem ich etwas Ordnung geschafft hatte, packte ich meine neueste Errungenschaft aus. Ein Stempel mit meinem Namen und meiner Adresse. Systematisch begann ich damit, meine komplette Ausrüstung damit zu markieren und rüstete mich für den nächsten Kampfeinsatz. Bei dem würde ich auf mich alleine gestellt sein. Dieses Mal kannte ich nur eine Frau, die Gastgeberin. Es hatten sich etwa 15 Leute angemeldet, ich war optimistisch. Mit zwei Taschen bewaffnet, frisch geföhnt und mit geputzter Brille machte ich mich auf den Weg. Den ersten guten Vorsatz warf ich bereits vor der Party über Bord. Eigentlich wollte ich - wie ich es auch gelernt hatte - eine so genante „Gastgeberin-Vorbereitung“ durchführen. Minutiös hatte ich die Präsentation schon im Vorfeld mit der Hausherrin durchsprechen wollen. Dafür blieb allerdings keine Zeit. Feierlich gelobte ich Besserung. Doch mit Schuldgefühlen war ich in diesem Moment nicht alleine. Denn die Gastgeberin versuchte mir gerade schonend beizubringen, dass knapp die Gäste abgesagt hatten. Aufrichtig betrübt versuchte ich, Haltung zu bewahren und richtete den Tupper-Tisch her. Dieses Mal wäre selbst Claudia stolz auf meine Konstruktion gewesen. Während ich auspackte, aufbaute, wieder umstellte und alles von einer Stelle zur nächsten rückte, klingelte es mehrere Male an der Tür. Meine Aufregung sank wieder auf ein normales Level, als sich das Wohnzimmer füllte. Es war ein erhebendes Gefühl, den ein oder anderen anerkennenden Blick von den

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vermeintlichen Superhausfrauen für meine Dekoration zu ernten. Vielleicht war es aber auch nur ein mitleidiges Lächeln, um mich nicht weiter zu verunsichern. Schon bei der zweiten Vorführung war es so als hätte ich zuvor nie etwas anderes gemacht. Mit dem nun perfekt sitzenden Vertreter-Lächeln stellte ich die Produkte vor. Während ich irgendwelche aberwitzigen Zutaten zu einem letztlich schmackhaften Menü zusammenrührte, erklärte ich die Vorzüge der „Eidgenossen“. Da ich mich zugegebenermaßen auch ganz gerne reden hörte und ab und zu dabei auch die Zeit vergaß, erinnerten mich meine Gäste freundlich daran, dass selbst der Boden von Tupper-Schüsseln vermutlich irgendwann durchgerührt war. Meine zweite Präsentation war etwas Besonderes. Ich erinnerte mich dabei an Claudias Hinweis, man solle sich bei Tupperware nicht immer ernst nehmen. Also kam es wohl auch nicht darauf an, dass ich eben keine perfekte Hausfrau war. Und wenn selbst ich auf dieser Party mit Tupperware kochen konnte, dann war es wirklich kinderleicht. Jeder, der einen Mixer nicht unbedingt als seinen Feind ansah, würde das besser schaffen, als ich. Im Gegensatz zum Kochen, war das Reden alles andere als einfach. Ich bemühte mich, nicht unbeholfen zu wirken und ich versuchte durch eine gewisse Geschwindigkeit, meinen Vortrag nicht einschläfernd zu gestalten. Die einzigen Pausen, die ich machte, dienten dazu, dass die Gäste ihre Wünsche auf der Artikelliste eintrugen. Aufopferungsvoll half ich dabei, falls jemand sein Wunschprodukt nicht auf Anhieb fand. Schließlich sollte es nicht an mir liegen, wenn jemand kein

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Mikrowellengeschirr für 100 Euro kaufte, nur weil er es nicht gefunden hatte. Wahrscheinlich war es ja gerade diese individuelle Betreuung, die selbst bei Partys mit eher wenig Personen trotzdem dafür sorgte, unterm Strich höhere dreistellige Summen auftauchten. Dieses Mal waren es 720,20 Euro - ich hatte offensichtlich alle Fragen beantworten können. Auch das traditionelle Putengeschnetzelte war scheinbar gut angekommen. Gewissenhaft räumte ich meine Tasche wieder ein. Immerhin war ich von den Tupperware-Produkten überzeugt und ging daher schonend mit meinem Vorführmaterial um. Ich wollte Plastik … äh, Kunststoff in Perfektion präsentieren und dazu gehörte natürlich auch makelloses Anschauungsmaterial. Die Gastgeberin war glücklich und ich war es auch. Die Gäste freuten sich über ihr Geschenk – eine faltbare Schüssel – meine Tupper-Welt war in Ordnung. Schon jetzt wusste ich: Die bunten Schüsseln boten zwar genügend schlagkräftige Argumente. Doch ein paar kleine Showeinlagen und der eine oder andere lockere Spruch halfen ungemein beim Verkauf. Übrigens, die am meisten gestellte Frage war schon jetzt: „Wofür brauche ich das eigentlich?“ Natürlich gab es dafür unzählige, vorgefertigte Antworten, die aber nicht nur unlustig waren, sondern auch langweilig. Ein Beispiel: der so genannte „Laibwächter“. Das war ein Behälter zur Aufbewahrung von Brot. Bei meiner dritten

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Vorführung holte ich das Teil aus meiner Tasche. Noch bevor ich dazu etwas sagen konnte, wetterte eine ältere Dame los. „Hören Sie mir bloß auf mit diesem Ding. Das kostet ein Schweinegeld und das Brot schimmelt trotzdem“, schimpfte sie entrüstet. Jetzt galt es, Ruhe zu bewahren. Unbeirrt begann ich mit meinem Begrüßungsritual. Noch bevor ich auf den Einwand der Dame eingehen konnte, unterbrach mich ein weiterer Gast. Er erklärte, dass die Brotdose nur noch in seinem Keller zur Aufbewahrung von Schuhputzzeug benutzt wurde. Denn auch seine Brote hatten nach Einzug in den „Laibwächter“ ihr Winterfell bekommen – selbst im Sommer. Tja, da stand ich nun ich armer Thor und musste das Produkt erst einmal in Schutz nehmen. Ich zog einen Vergleich heran: „Selbst wenn sie die beste Thermoskanne – das ist natürlich die von Tupperware – nehmen, nach einer Woche ist der Kaffe darin garantiert kalt. Nicht lauwarm, sondern eiskalt. Aber dazu komme ich später noch.“ Was ich damit eigentlich sagen wollte, war, dass auch das beste Produkt immer noch keine Wunder bewirken konnte. Wie lange wollten die denn Brot ihr Brot in dem Behälter frisch halten? Drei Wochen? Doch so direkt wollte ich nicht fragen, denn ich bewegte mich auf dünnem Eis. Einerseits dürfte ich das Produkt nicht schlecht reden, andererseits den Gästen nicht auf die Füße treten. Ich begann also – taktisch klug – mit einer objektiven Fehlersuche. „Stellen Sie auch immer etwas auf den Brotbehälter?“ Die Gäste nickten. Ertappt! Ich konnte mich nur schwer davon abhalten, den Zeigefinger bei meiner folgenden Ausführung mahnend in die Luft zu strecken. „Sehen Sie, das ist schon einer der Gründe. Tupperware setzt zwar alles daran, seine Behälter möglichst dicht zu machen. In

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diesem Fall ist das aber anders. Das Brot möchte atmen.“ Ich holte zu einem Killer-Argument aus: „Stellen Sie sich vor, da sitzt jemand wochenlang auf Ihrem Bauch. Da möchte ich nicht wissen, wie sie dann aussehen.“ Das Brot will atmen und braucht auch Zuneigung – ich musste mich überwinden, nicht loszulachen. Ich setzte noch eins drauf und brachte einen Satz aus der Tupper-Schulung: „Sie essen ja jeden Morgen eine Scheibe Brot - und selbst wenn nicht, sollten Sie ihrem Brot jeden Morgen ‚Guten Tag’ sagen. Deckel auf, Deckel zu, und das Brot freut sich.“ Es folgte eine Überleitung, auf die ich noch heute stolz bin. „Natürlich freut sich Brot am meisten darüber, gegessen zu werden. Und wie schmeckt das Brot am besten? Richtig, frisch! Hat jemand Hunger auf ein schnelles Brot?“ Großartig. Auch wenn es an dieser Stelle nicht geplant war, schlug ich vor, rasch ein Brot zu backen. Wieder sah ich zweifelnde Blicke, der nächste Einspruch ließ nicht lange auf sich warten. „Äh, also ich habe so eine Brotbackmaschine, die braucht immer mehr als drei Stunden. So lange habe ich heute aber keine Lust hier rumzusitzen“, moserte die Gastgeberin. „Wenn Ihnen so langweilig ist, dann beeile ich mich für Sie ganz besonders“, versuchte ich, auf charmante Art die Situation zu retten. Doch die misstrauischen Blicke blieben. Einem Haufen älterer Frauen einen Quicky vorzuschlagen, war nicht meine Art. Trotzdem versprach ich, in nur 25 Minuten ein leckeres Käsebrot zu zaubern und dabei auch noch weniger Strom zu verbrauchen, als der Brotbackautomat. Der im Gegensatz zu den TupperFörmchen auch noch mit industriellen Fertigprodukten gefüttert wurde. Na toll, die eben noch unglaubwürdigen Blicke entwickelten sich nun zu heftigem Kopfschütteln. Ich blieb gelassen.

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Natürlich hatte ich dieses Experiment zu Hause schon einmal ausprobiert und großen Respekt für das Ergebnis geerntet. Ohne noch einmal in die Runde zu schauen, stellte ich die Schüssel auf den Tisch. 500 Gramm Mehl, eine Packung fertig geriebenen Käse (für die nächste Party ein passender Zeitpunkt für die tolle Käse-Reibe) untergemischt. Das ganze zusammen mit einer Tasse Milch, einer Tüte Backpulver und etwas Salz zu einer brockigen Masse verquirlt. „Möchte jemand probieren?“ – Der gnädigste Kommentar zu meinem klumpigen Matsch war: „Och, ich habe gar keinen Hunger mehr.“ – „Naja, irgendwie sieht es ja auch aus, wie schon einmal gegessen“, musste ich noch einen oben draufsetzen. Der Backofen wurde für die extravagante Mischung freigegeben und ich hatte nun noch 20 Minuten Zeit, ein paar Artikel aus dem Angebot vorzustellen. Außerdem würde ich es mir nicht nehmen lassen, aus irgendeinem fadenscheinigen Grund noch eine Konserve zu öffnen. Denn der Dosen-Öffner war eines der ParadeProdukte von Tupperware. Was das Besondere daran war? Für die Gäste sicherlich der Preis. Knapp 35 Euro stand im Katalog und ich konnte nicht verhindern, dass sich viele daran erinnerten, zuvor noch 70 D-Mark für ein Küchengerät gezahlt zu haben und dass es Dosenöffner für viel weniger Geld im Discount-Markt gab. Dass das natürlich nicht so war, hatte man mir in den Schulungen gebetsmühlenartig eingetrichtert. Auch wenn ich hier und da ein nahezu identisches Produkt im Laden gesehen hatte, so wusste ich jetzt, dass es sich dabei nur um eine billige Kopie gehandelt hatte. Der Griff war nicht ergonomisch, die Schräubchen an einer anderen Stelle: Eindeutig ein minderwertiges Plagiat. Nichts ist so toll wie Tupperware! Eigentlich ein schöner

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Spruch, um ihn sich tätowieren zu lassen. Ich würde trotzdem darauf verzichten. Mich packte der Spieltrieb und als Rache für die Zwischenrufe vom Anfang, wollte ich nun die Nerven der Gastgeberin noch etwas auf die Probe stellen. Sie kannte den Dosenöffner noch nicht. Beste Voraussetzung für die folgende Präsentation. Nachdem ich erzählt hatte, dass man mit dem Wunder-Werkzeug nicht etwa den Deckel abtrennte, um zu verhindern, dass Metallspäne in die Dose rieselten, wurde es anschaulich: Zunächst zeigte ich einen alten, billigen Öffner aus dem Supermarkt – zur Abschreckung. Denn hierbei musste noch ein Dorn in die Dose geschlagen werden. Vor die Wahl gestellt, wollte die Gastgeberin keine Verletzungen riskieren und ließ sich bereitwillig mit dem TupperTeil erklären, wie problemlos sich damit die die Büchse aufhebeln ließ. Angesetzt und die Dose eingeklemmt übergab ich ihr die Dose am ausgestreckten Arm. Begeistert davon, dass der Behälter nicht herunterfiel, drehte sie am Öffner. „Und jetzt?“ fragte sie hilfesuchend. „Jetzt muss man nur noch den Deckel mit der Mini-Zange hochheben.“ Schwupps war die Dose auf und … – „Aaaaaaaaaaah!“ – Ein Aufschrei ertönte aus der Sitzgruppe, als ich mit dem abgehobenen Deckel über meinen nackten Arm striff. Die Gäste hatten vermutet, ich hätte mich mit dem Scharfen Gegenstand böse verletzt. Reingelegt! Denn scharfe Kanten gab es hier nicht. Ich kam mir vor wie eine Mischung aus David Copperfield und „Bob“ aus dem Teleshop. Großartig! Die Dose war auf, mein Arm war unversehrt und der ein oder andere Dosenöffner hatte es auch schon auf die Bestellscheine geschafft.

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Jetzt konnten wir mit dem Kochen in den teuren Tupper-Schüsseln fortfahren. Denn wenn schon der Dosenöffner 35 Euro kostete, waren 40 Euro für einen Ultra-Bräter aus der Weltraumforschung doch wohl ein Witz. Dieses Preis-Niveau kam meiner Verkaufsstrategie sehr entgegenkam, denn fast alles, das nun günstiger als 40 Euro war, fand den Weg fast auf die Artikelliste. Als es aus der Küche nach frischem Käsebrot duftete, hätte ich in dieser Runde vermutlich auch Bibeln und Staubsauger verkaufen können. Eine der älteren Damen fragte mich am Ende tatsächlich, ob ich ihr nicht eine Art „gemischte Tüte“ für die Aussteuer ihres Enkels zusammenstellen könne. Ihr Budget lag bei 150 Euro und das schöpfte ich mit 162,20 Euro mehr als aus. Natürlich nicht, ohne ihr zu sagen, dass sie im Vergleich zum Katalogpreis fast 40 Euro gespart hatte. Alle waren glücklich – besonders ich, denn mit meiner dritten Party hatte ich trotz Startschwierigkeiten und bei nur sieben Gästen zum ersten Mal die 1.000-Euro-Grenze durchbrochen. Was für ein Tag. Ich war gespannt, was „Mutti“ dazu sagen würde. Ich würde spätestens am Ende der Woche erfahren, denn dann musste ich sie regelmäßig anrufen, um ihr „meine Zahlen“ durchzugeben. So wurden wöchentlich Daten erhoben, die den Erfolg der Beraterinnen, Gruppen, Bezirkshandlungen, Regionen und Länder dokumentierten. Als ich berichtete, wie viel Umsatz ich mit wie vielen Gästen erreicht hatte, vermutete Claudia zuerst einen Rechenfehler. Deshalb lud sie mich zu sich ein, um meine Bestellungen gemeinsam mit mir auf so genannten Scanner-Bogen zu erfassen. Zu meiner Überraschung

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arbeitete Tupperware dabei mit modernster Technik und computerlesbaren Einheitsformularen. Nachdem alles ausgefüllt war, nickte Claudia anerkennend. „Da hattest Du ja eine Wahnsinns-Woche“, ließ sie durchblicken, nur an mein Anfängerglück zu glauben. Wenn das so weiterginge, dann würde ich schon bald mein eigenes Computerprogramm von der Bezirkshandlung bekommen, mit dem ich meine Bestellungen alleine erfassen konnte. Dann musste ich nur noch die Daten von der Diskette vor dem Meeting einlesen. Eigentlich doch komisch. Wenn man doch alle Daten mit dem PC erfassen konnte – was natürlich auch um einiges einfacher, komfortabler und papiersparender ist als die dreiseitigen Scanner-Formulare war – warum konnte man die Daten nicht einfach online zur Bezirkshandlung senden. Ganz einfach: Man hätte weniger Gründe in den Tupper-Tempel zu reisen. War ich am Anfang nur wegen der Schulungen dort gewesen, lud man mich nun zu den regulären „Montags-Meetings“ ein. Klang furchtbar nach New Economy, jungen und rollkragenpullovertragenden Computer-Fuzzis, aber doch so gar nicht nach Tupperware. In der Realität aber blieb von dem Begriff einzig der Teil „meet“ übrig. Denn Montags trafen sich die Beraterinnen und Gruppenberaterinnen morgens und abends, um Organisatorisches zu klären. Es wurden Bestellungen abgegeben und Ware abgeholt. Außerdem erfuhr man wichtiges zu den neuen Produkten und den ausgeschriebenen Wettbewerben. Irgendwie erinnerte mich das an illustere Kaffeekränze. Ich war gespannt.

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Schon als ich ankam, wurde ich eines Besseren belehrt. Die mir noch gut in Erinnerung gebliebene Nikotin-Wolke begrüßte mich bereits im ersten Aufenthaltsraum. Wie ein riesiges Stück Watte waberte sie mir entgegen. Flucht war zwecklos. Ich hielt die Luft an und tauchte direkt durch zum rauchfreien Meeting-Raum. Obwohl ich einige Minuten zu früh war, hatte sich der Saal schon ordentlich gefüllt. Als ich mich umschaute, wo ich mich denn hinsetzen könnte, winkten mich ein paar Beraterinnen zu sich heran und sagten: „Die himmlischen Schwestern sitzen immer ungefähr hier“, und zeigten dabei auf zwei Stuhlreihen. Dort fand sich auch kurze Zeit später Gruppen-Mutti Claudia ein und setzte sich zu uns. Um uns herum wurde getuschelt und – oh Schreck – es wurden Rezepte und Strickmuster getauscht - also doch ein Kaffee-Kränzchen. Plötzlich dröhnte wieder irgendeine Musik aus den Boxen, die Chefin betrat den Raum. Alles klatschte und um nicht aufzufallen, machte ich mit. Alles erinnerte mich an die Weihnachtsfeier, nur das Gebäck fehlte. Die Chefin hob an. „Guten Abend, schön, dass Sie in die Bezirkshandlung gekommen sind“, begrüßte sie besonders die Damen am mittleren Tisch. Hatte ich eine Wahl? Ich musste nun mal meine Bestellung abgeben und wenn ich schon knapp 50 Kilometer mit dem Auto fahren musste, konnte ich mir auch einfach mal anhören, was sie zu sagen hatte. „Wie ich sehe haben wir auch Gäste heute Abend“, fuhr Frau Z. fort. „Vor ihnen liegt schon ein kleines Geschenk.“ Pause. Einige Gäste griffen Richtung Kaffee-Pott. „Nein, es ist nicht die Tasse.“ Pause. „Nein, auch nicht das Glas, sondern das kleine Schäufelchen daneben.“ Sie deutete auf eine kleine gelbe Plastikschaufel, die ich intuitiv verwendet

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hätte, um Mehl oder Waschpulver zu portionieren. „Unsere Beraterinnen schaufeln damit Geld – und das können sie auch!“ Ich horchte auf. War das jetzt nur eine plumpe Andeutung, dass sich die Gäste den Anwesenden im Auftrag der guten Sache anschließen sollten oder bloß die Demonstration schlecht antrainierter Rhetorik? „Sie bekommen gleich noch ein Geschenk.“ Pause. Ich wurde ungeduldig. „Aber dafür lasse ich sie noch ein Weilchen schmoren“, erklärte die Chefin mit einem selbstgefälligen Grinsen. Nun sollten sich die Gäste kurz vorstellen, sagen Sie woher sie kamen und warum sie heute Abend überhaupt hier waren. Das bereits bekannte Prozedere nahm seinen Lauf. Erstaunlich, welche Beweggründe diese Frauen hatten, in die Bezirkshandlung zu kommen. In der Regel wurden sie entweder von Beraterinnen eingeladen oder hatten bei einem Gewinnspiel etwas gewonnen. Auffällig war, dass im Nebensatz immer ein verstärktes Interesse an den Tupperware-Produkten deutlich wurde. Mindestens die Hälfte unserer Gäste schien an einem ausgeprägten Tupperware-Sammel-Wahn zu leiden. Einige von ihnen merkten auch vorsichtig an, irgendwann mal Beraterin werden zu wollen. Jedes Mal wurde dieser Satz mit tosendem Beifall honoriert. Wieder machte sich ein Gefühl breit, dass diese Neulinge nicht so sehr betteln mussten wie ich, bis sie in den Genuss der Tätigkeit kommen würden. Nach der Vorstellungsrunde erteilte die Chefin das Wort einer Gruppenberaterin, die ich noch nicht kannte. Mit einem Weidenkörbchen im Arm stiefelte sie zu einem großen Tisch, an dem sie etwas Leckeres zubereiten wollte. Als ich meiner Nachbarin zuflüsterte, ob wir nicht so lange rausgehen könnten, bis das Essen fertig war, bekam ich einen Ellbogen in

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die Rippen. Nun gut, schließlich würde jetzt von Profis erklärt, wie toll und einfach man mit Tupperware kochen konnte. Die Gruppenberaterin packte ihr Körbchen aus und bewegte schon seit einiger Zeit tonlos die Lippen, bis Frau Z. mit dem Mikrophon herbei eilte. War das unprofessionell! Es handelte sich um ein Headset-Mikrophon, wie es Musiker oft tragen, um die Hände frei zu haben. Ich wollte gerade anmerken, wie mutig ich die Rednerin fand. Schließlich würde die Sprech-Garnitur doch ihre Frisur ruinieren. Da kam auch schon der empörte Aufschrei: „Vorsicht! Ich habe gerade eine neue Dauerwelle.“ Kopfschüttelnd sah ich mit an, wie man ihr das Mikrophon trotzdem irgendwie im Gesicht befestigte. Mehr schlecht als recht baumelte der wesentliche Teil vor dem Hals und trug so nur unwesentlich zur besseren Verständlichkeit bei. Zwischen Rauschen und Zischen machte ich aus, dass sie schon seit fast zwei Jahren bei Tupperware arbeitete und seit einem halben Jahr Gruppenberaterin war. Und obwohl wir nicht allzu viel verstanden, schien das noch der verständlichste Teil ihres Vortrages zu sein. In bester HobbythekManier zeigte die hilflose Gruppenberaterin Schüssel um Schüssel und all die Zutaten, die sie für einen Nudelauflauf vorbereitet hatte. Schade nur, dass man sie nicht verstehen konnte, weil das Mikro nun näher an den Nudeln als am Gesicht war. Aufgeregt wirbelte sie herum und unterbrach ihren Vortrag hin und wieder, um besser umrühren zu können. Komisch, konnten Frauen nicht immer mehrere Dinge auf einmal? In kürzester Zeit war ein Gericht fertig und wurde nun in den Backofen geschoben. Der laute Beifall weckte mich aus meinem Tagtraum und die gut

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bekannte Musik holte mich wieder auf den gewellten Teppichboden der Tupper-Tatsachen zurück. Die Situation erinnerte mich an ein aufwändiges ChemieExperiment in der Schule. Artig klatschte auch ich hier fleißig mit, denn schließlich war der Kochkurs damit beendet – welch Erleichterung. Zu meinem Erstaunen wurden die Gäste in Begleitung von zwei Gruppenberaterinnen in den inzwischen hoffentlich gelüfteten Aufenthaltsraum gebeten. Mich hätte wirklich interessiert, was dort mit ihnen gemacht wurde. Die Tatsache, dass niemand darüber reden wollte, verstärkte meinen Eindruck, dass nun der wesentliche Teil der Überzeugung geleistet wurde. Ich malte mir aus, wie ahnungslose Gäste mittels Gehirnwäsche (Mist, jetzt habe ich das böse Wort doch gesagt) zur Beraterinnen-Tätigkeit überredet wurden. Als Lockmittel diente offensichtlich das im Nebenraum platzierte, versprochene Geschenk. Wieso eigentlich überreden? Ich hatte schließlich mit Nachdruck darum bitten müssen. Als sich die Tür hinter den Gästen geschlossen hatte, setzte die Chefin ein ernsteres Gesicht auf. „Wir könnten viel mehr nette Kolleginnen haben, finden Sie nicht auch?“ – „und Kollegen“, murmelte ich mir in den nicht vorhandenen Bart. Noch immer hatte ich mich nicht damit abgefunden, dass hier offensichtlich nur Frauen saßen. Ich hatte wohl zu laut gedacht, denn gleich mehrere Beraterinnen drehten sich zu mir um und registrierten so zum ersten Mal meine Anwesenheit. Unangenehm war mir nicht die Tatsache, dass man mich bemerkt hatte, sondern dass ein so beiläufiger Kommentar wohl für aufmüpfig gehalten wurde – zumindest bei einigen

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älteren Kolleginnen, die zwei Reihen vor mir saßen. Böse Blicke trafen mich. Aber auch diese Frauen wollten scheinbar unbedingt neue Tupper-Tanten anwerben. Warum eigentlich? Mittlerweile müsste doch jede Beraterin, die seit einiger Zeit dabei war genügend Besteck in ihren Schubladen haben. Aber für den neuen Wettbewerbszeitraum gab es das Metall in einer etwas anderen Form, nämlich als Fahrrad. Wenn ich also Verstärkung anschleppte, erhielt ich einen brandneuen Drahtesel. Nicht schlecht, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass es sich dabei natürlich um ein Damenfahrrad handelte. Naja, vielleicht reichte es ja auch, wenn sich 99 Prozent aller Anwesenden darüber freuten. Jetzt stellte sich nur die Frage, wie man Menschen zur Tupperware-Tätigkeit überreden konnte, die nicht wie ich das Abenteuer suchen. Ich phantasierte über einen weiblichen Gen-Defekt, der die Tupper-Abhängigkeit von Frauen erklärte und den sich das Unternehmen zunutze machte. Schließlich hatte sich bei mir der allgemeine Eindruck gefestigt, dass Frauen, die keine Tupperware-Produkte besaßen, entweder ein sehr erfülltes Sexualleben, einen dominanten Mann und keine Kinder haben, oder einfach nur auf einer verlassenen Insel lebten. Im Vordergrund standen abermals die großartigen Verdienstmöglichkeiten, die man den neuen Beraterinnen eröffnen sollte. Als Fußnote wurde noch angemerkt, dass diejenige Beraterin, die eine neue Kollegin anschleppt, dem Nachwuchs auch noch „finanzielle Unterstützung auf der Weg gibt“. Die so genannte Startvorführung ist die Tupperparty, auf der sich die Kandidatin entschließt, Beraterin zu

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werden. Aha! Diese Vorführung wird direkt unter dem Namen der Neuen abgerechnet. Aaaaaaha! Und die 24 Prozent Provision erhält ebenfalls die neue Beraterin. Ahaaaaaaaaaaaaaa! So war das also. Ich drehte mich vorsichtig zu Claudia um, die zu überlegen schien, ob sie sich unter dem Stuhl verstecken, oder sich doch lieber gleich in Luft auflösen sollte. Doch sie blieb tapfer sitzen, nur ihr Gesicht errötete. Auf der einen Seite konnte ich verstehen, dass sie nicht freiwillig fast 250 Euro verschenkt. Auf der anderen Seite war es doch mein Geld und ich hätte sehr wohl auf der Party bei mir zu Hause schon „starten“ können. Das Prinzip war verstanden. Dazu gab es noch einige unschlagbare Argumente wie man - für den Fall, dass doch mal jemand „Nein“ zum neuen Job sagen würde wenigstens noch einen Termin für eine weitere Präsentation herausschlagen konnte. Schon klar, dass die Kundinnen mich lieben würden: entweder will ich eine neue Kollegin oder eine neue Vorführung. Grundsätzlich aber ihr Bestes: sprich, ihr Geld – und davon möglichst viel. Aber dafür muss man ja bei Tupperware nicht viel Plastik - … äh Kunststoff verpacken. „Hochpreisig“ war das Zauberwort. Um hohe Preise oder besser gesagt um hohe Umsätze ging es auch in der nächsten Episode des Meetings. Dabei wurden nicht etwa Zahlen und Statistiken mit dem Projektor irgendwelche Zahlen und Statistiken an die Wand geworfen, sondern man zelebrierte den so genannten Spell-down. Ob es so etwas auch anderswo gab, wusste ich nicht, dafür aber schon jetzt, dass dieses Ritual bei allen möglichen TupperVeranstaltungen zelebriert wurde.

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„Wer in der letzten Woche getuppert hat, der steht jetzt bitte einmal auf“, forderte die Chefin. Zu meinem Entsetzen blieben doch tatsächlich ein paar Frauen sitzen und guckten verschämt in irgendeine Ecke des Raumes. Der Rest stand grinsend vor den Stühlen und wartete auf die nächste Anweisung. „Wer hatte denn einen Umsatz bis 150 Euro?“ Eine Handvoll Beraterinnen setzte sich wieder hin und bekam als Anerkennung für die Arbeit der vergangenen Woche einen kleinen Haushaltshelfer zugeworfen. Dieses Schauspiel setzte sich nun in 50Euro-Schritten und unter ständig aufkommendem Applaus fort. Die stehenden Personen wurden weniger und die Zielgenauigkeit der Bezirkshändlerin beim schwungvollen Verteilen auch nicht unbedingt besser. Bei 350 Euro wurden die Beraterinnen, die noch standen, nach vorne gerufen – ich war auch dabei. „Mal sehen, was jetzt passiert“, dachte ich im Weg durch die Stuhlreihen. Erst einmal passierte recht wenig, denn jetzt wurde mit der Ehrung der Gruppenberaterinnen weitergemacht. Bei einem Umsatz von 500 Euro durften auch sie nach vorne treten. Wenn man wirklich engagiert war und eine Party gemacht hatte, stand man eigentlich in jeder Woche vorne. Am Ende blieben nur noch die erfolgreichsten Tupper-Tanten mit dem Top-Umsatz der Woche übrig. Obwohl es meine erste Woche als Beraterin gewesen war, landete ich prompt auf Platz zwei. Nur eine langjährige Gruppenberaterin war noch besser. Die anwesende Menge der Plastikpacker staunte nicht schlecht, als die Bezirkshändlerin fragte: „Und wie heißen Sie?“ – „Ich bin Tim“, antwortete ich kurz und schmerzlos, denn ich ging davon aus, dass wir bereits beim „Du“ waren. Das kam wohl nicht ganz so gut an. Mit hochgezogenen

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Augenbrauen ergänzte Frau Z. pikiert: „Das ist Herr Reckmann“. Hätten wir das nun auch geklärt. Natürlich gab es vorne, auf der gedachten Bühne, für uns nicht nur auch einen tollen Haushaltshelfer oder Schlüsselanhänger. Nach und nach durften wir mit einem großen Schaumstoff-Würfel knobeln. Wer die höchste Zahl würfelt, erhielt entweder ein Teil aus dem aktuellen Programm oder ein übriggebliebenes Produkt vergangener Jahre. Ich würfelte eine fünf. Das reichte aus und ich durfte mein neues Täschchen mit einigen frischen Plastikteilchen befüllen. Danach war das Meeting auch so gut wie am Ende. Die Beraterinnen setzten sich am Ende noch auf einen Tasse Kaffee zusammen, um über Kerzenpartys oder Weight Watchers zu diskutieren und ließen den Abend gemütlich ausklingen. Mich interessierte all das nicht besonders und so machte ich mich auf den Heimweg.

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Die Frau, die sie Paul nannten Mit der Zeit kam allgemein die Frage auf, wo ich überall schon getuppert hatte und was für Leute meine Partys besuchten. Schwer zu sagen, denn das war von Party zu Party unterschiedlich. Angefangen mit meiner Familie hatte sich die Tätigkeit irgendwie verselbstständigt. Außerdem lernte ich auf jeder Veranstaltung neue Leute kennen. Natürlich wurden gelegentlich auch Freunde und Arbeitskollegen von mir mit den bunten Schüsseln penetriert. Da es sich bei meinen Arbeitskollegen um die Mitarbeiter einer Internetagentur und eines Tonstudios handelte, war es nicht ganz so einfach, neue Opfer zu finden. Letzteres ist allerdings so spannend, dass ich gerade in der Anfangszeit unbedingt mal im Tonstudio eine Tupperparty veranstalten wollte. Nicht weil das Ambiente so lustig war und es dort reichlich Platz gab. Nein, natürlich weil dann die Musikgruppen meine Gäste sein sollten. Das waren jedoch keine Schlagersängerinnen, sondern ganzkörpertätowierte Heavy-Metal Rocker, bei denen man Angst haben konnte, dass die falsche Frage auch gleichzeitig die letzte sein konnte. Egal. Ich nutzte die nächste Tonaufnahme für eine waghalsige Einladung: „Hallo. Wie wär’s denn mal mit einer Tupperparty?“ fragte ich den massigen Schlagzeuger, der gerade aus der Kabine kam. „Ja klar, meine Frau steht voll auf so was“, lautete die Antwort, damit der Schwermetaller seinen Ruf nicht verlor und doch die Küche um ein buntes Stück Kunststoff erweitern konnte. Tja, tätowierte Schale und weicher Kern. Übrigens: Kein Einzelfall. So kam es dann auch dazu, dass ich ausgerechnet Tonstudio nicht nur mit Hobby-

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Musikern, sondern auch mit Profis aus Funk und Fernsehen Tupperware-Deals schloss. Das war jedoch eher die Ausnahme. In meiner Naivität war ich zwar davon ausgegangen, dass meine Tupperware-Erfolge sich irgendwann herumsprechen würden, aber nicht, dass es so schnell gehen sollte. In der Statistik vom Tupperware-Zentralrechner wurde rasch ein Brief generiert, in dem mich die Führungs-Riege für meine guten Umsätze lobte und mich zu einem so genannten Talente-Treffen einlud. Ich war geschmeichelt und nahm die Einladung natürlich sofort an. Außerdem musste ich nicht einmal selbst dorthin fahren, sondern konnte mich den anderen Talenten meiner Bezirkshandlung anschließen. Mit dem Gruppenberaterinnen-AutoKorso ging es nach Baunatal. Das klang irgendwie idyllisch. Ich hatte ja keine Ahnung, dass in diesem kleinen Örtchen im Landkreis Kassel eine stattliche Veranstaltungshalle stand. Wir erreichten den riesigen Parkplatz und soweit mein Auge reichte, nur silberne Autos mit pinkem Tupperware Schriftzug. „Das hier ist nur ein ganz kleines Treffen“, sagte „Mutti“, die scheinbar schon größere Parkplätze kannte. „Wartet mal ab, bis ihr auf ein großes Treffen fahrt“, prahlte sie. Da war ich ja schon jetzt gespannt, aber nun hatten wir ja nun erst einmal das Talente-Treffen hinter uns zu bringen. Als wir die Stadthalle betraten, war im Foyer dem Kampf am kalten Buffet schon im vollen Gange. Dabei war der Begriff Buffet reichlich übertrieben. Gut hätte man diese Veranstaltung auch mit „Brot und Spiele“ überschreiben können. Gut, Brot war

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schon aus. Dafür warteten hoffentlich in der Halle dann die Spiele auf uns. Leider hatte ich mehr Recht, als mir lieb war. Es war wie ein überdimensioniertes Meeting. Irgendwo in einer dunklen Ecke wurde ein Mann – einer der wenigen, die mir an diesem Tag über den Weg liefen - mit einem Tonmischpult beschäftigt und musste stimmige Kirmesmusik abspielen. Damit wurde schon begonnen, noch bevor wir unsere Sitzplätze einnahmen. Alle schunkelten mit. Keine Ahnung, ob es Frauen angeboren ist, sich rhythmisch zu bewegen und in die Hände zu klatschen, sobald Musik ertönt. Es schien jedenfalls zu funktionieren. Als Mann und bekennender Bewegungslegasteniker stand ich regungslos dazwischen und überlegte mir wie ich aus dieser Nummer möglichst unbeschadet wieder herauskam. „Einfach Aussitzen“, war mein erster Einfall. Gut, dass ich nicht schon wieder laut gedacht hatte, wie bei meinem ersten Montags-Meeting. Ich hoffte darauf, die Stunden würden zügig vorübergehen. Ehrlich gesagt interessierten mich nicht einmal die anstehenden Vorträge. Warum war ich überhaupt hier? Ach ja, ich war ja ein Talent. Nicht einmal etwas Ruhe war zu denken. Ständig wurde dafür gesorgt, dass das Auditorium wie vom wilden Affen gebissen aufsprang, sich die Hände blutig klatschte und fast vergessen hätte, dass es auch noch Sitzplätze gab. Bei so viel Enthusiasmus der Beraterinnen war es umso erstaunlicher, dass die Vorträge scheinbar überwiegend von einer Schlaftabletten-Firma gesponsert wurden. Da gingen nacheinander diverse Gruppenberaterinnen mit ihrem Manuskript auf die

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Bühne, ließen sich von der Regionaldirektorin ein Getränk hinstellen und begannen dann, uns zu erklären, wie man noch erfolgreicher würde. Einige hätten vielleicht etwas deutlicher schreiben sollen. Schon das Vorlesen bereitete ihnen große Schwierigkeiten. Wir quälten uns also von Vortrag zu Vortrag. Moderiert wurde die Plastik-Revue von einer echten Business-Frau. Sie war nicht nur Regionaldirektorin und daher eine der mächtigsten Mitarbeiterinnen im Stab von Tupperware Deutschland, sondern auch eine der wenigen Frauen in der Chefetage des Unternehmens. Vermutlich hatte sie es nur wegen ihres männlichen Nachnamens so weit gebracht. Denn sie war die Frau, die sie Paul nannten. Da Persönlichkeiten jedoch in den Tupper-Reihen Schall und Rauch waren, blieben wir beim Wesentlichen: Bezirkshändler im Affen-Kostüm, verkleidet als Mönche mit Kapuze und Kerzen oder einfach nur aufgedreht umherhüfend wie ein Flummi mit dem wohl bekannten „Fips-Asmussen-Humor“, der schon im Original nicht lustig ist. Es fiel mir ehrlich schwer mitzukichern, wenn sich meine Sitznachbarn vor Lachen den Bauch hielten. Fasst man das Talente-Treffen in Baunatal zusammen, hatte ich eines gelernt: Es half, einfach den Verstand abstellen und sich komplett der Überzeugungsarbeit dieser Glaubensgemeinschaften hinzugeben. Nicht nachdenken und dann lachen, wenn es alle tun und – ganz wichtig – tuppern! Immer und überall! Umsatz zu machen sein doch so einfach. Einfach seinen Mitmenschen auf den Keks gehen und schon war die nächste Party gebucht. Hätte ich

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tatsächlich alle Tipps dieses Abends befolgt, hätte ich heute keine Freunde mehr. Aber es war ja auch nicht alles negativ bei diesem Treffen. Natürlich gab es auch hier einen „Spelldown“. Dieses Mal allerdings mit echter Bühne, viel mehr Menschen und wirklich tollen Preisen. Wie es sich für ein echtes Talent gehörte, hatte ich mich auch auf einen der vorderen Plätze geschoben und konnte mir dann auch ein hochwertiges Tupperware Produkt aussuchen. Es war ein Ultra. Hurra, Nummer drei! Mir gefiel es plötzlich im Königreich der Kunststoffprodukte. Fast hätte ich vergessen, dass ich einen Tag erlebt hatte, für den man sonst eine Kaffee-Fahrt machen müsste. Allerdings waren Heizdecken-Verkäufer sicherlich nicht nur lustiger, sondern beherrschten wohl in vielen Fällen die Kunst der freien Rede – aber so etwas war bei Tupperware nicht wichtig.

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Dick & Doof oder Tim & Tuppi Es dauerte gar nicht lange, da hatte der TupperwareVirus auch einige meiner Freunde infiziert. Tupperware war bunt, Tupperware war cool und die vielen bunten Schüsseln vervollständigen schließlich auch den eigenen Haushalt. Nicht zu vergessen gab es da ja auch den spannenden Nebeneffekt, mit Tupperware Geld zu verdienen. Das wollte natürlich auch mein guter Freund Patrick - der mit dem H-Teil aus Silikon - ausprobieren. Selbstverständlich ermutigte ich ihn, denn für neue Brüder und Schwestern in unserer Glaubensgemeinschaft gab es schließlich nette Geschenke. Für den neuen Berater und natürlich auch für den tapferen Recken, der diesen angeschleppt hatte. „Viel Lust habe nicht, jede Woche bei Hinz und Kunz zu tuppern. Aber ein paar Bekannte habe ich auch“, stellte er direkt klar. „Das wird schon“, war die Antwort, die vermutlich jeden Neuling im Hause Tupperware ermutigen sollte. Ich hatte den Satz nicht nur so dahingesagt, sondern auch so gemein. Schließlich wollte ich einen guten Freund ja nicht ins offene Messer laufen lassen. Und deshalb bot ich ihm auch an, ihn bei seiner ersten Party zu begleiten. Ich würde in den Reihen der Gäste sitzen und eingreifen, wenn er Unterstützung brauchte - so hatte es ja auch „Mutti“ getan. Für sein Debüt hatte er sich seine damalige Praktikantin und deren Familie ausgesucht. Auf dem Weg dorthin gestand mir Patrick, dass er doch mehr Pudding in den Knien hatte, als gedacht. Eigentlich ginge es um Nichts, aber wir würden ja schließlich

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Haushaltsartikel vorstellen und das vor einem Rudel Frauen, dass sich doch sicher viel besser damit auskannte, befürchtete er. „Alles Quatsch“, ich schüttelte den Kopf. Schließlich war alles eine Sache der Übung. Natürlich würde ich das Reden anfangs für ihn übernehmen, aber so ganz wollte ich ihn doch nicht aus der Pflicht lassen. Wir stellten uns also im Doppelpack vor. Der Anblick von zwei männlichen Beraterinnen schien für die Gäste scheinbar so lustig, dass eine alte Dame meinte: „Sie beide in schwarz-weiss und ohne zu reden – das ist ja wie bei Dick & Doof“. Wir lächelten gequält. Gesprochen hatten wir tatsächlich bis auf unsere Vorstellung noch nicht viel, aber das sollte sich ja jetzt ändern. Sie wusste gar nicht wie recht sie hatte. Denn wenn man Tupperware nur benutzt wie Patrick, konnte man ganz schön ins Schleudern kommen. Es begann blutig. Patrick griff zum Auftakt direkt mal bei der Präsentation der Messer in die Klinge. Was soll ich sagen: Er war auch noch Bluter. Als wir nach 20 Minuten weitermachten - glücklicherweise waren noch genügend Messer im Koffer - ließ ich die Gäste dann sicherheitshalber selbst die scharfen Gegenstände herausnehmen, um zu überprüfen, wie sie in der Hand lagen. Natürlich wollten wir etwas zu Essen brutzeln und nachdem Patrick ausreichend verbunden war, stellten wir die Ultra Auflaufform vor. Mit allen Vorzügen, die dieses Produkt hatte und natürlich auch mit Erwähnung des einzigen Nachteils: der Deckel war nicht bruchfest, daher sollte man vorsichtig mit ihm … Rooooooooooooootsch! … der Deckel segelte mit lautem Getöse auf die Fliesen.

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Scheinbar hatte Patrick unter Schmerzen die Auflaufform zum Zeigen zu schief gehalten. Glücklicherweise hatten beide - der High-TechDeckel und Patrick - den Sturz überstanden aber das war natürlich keine geplante Show-Einlage. Dennoch wurde sie mit reichlich Gelächter quittiert. Kurzerhand disponierte ich um, damit sich dieser Abend nicht zur Materialschlacht entwickelte. Ich entschied, erst einmal ein paar unzerbrechliche Gegenstände vorzustellen. Doch auch hier gab es einige Tücken. Patrick verwechselte „Bungee“ mit „CombiPlus“ und in der Hektik auch noch den Dosenmit dem Flaschenöffner. Aus taktischen Gründen beschrieb ich ab jetzt die Produkte zuerst mit ihrer Farbe, damit das von Patrick gezeigte Plastik-Stück auch zu meinem Vortrag passte. Trotzdem entwickelte sich der Abend zu einer unfreiwilligen Comedy-Vorstellung. Die Stunde der Abrechnung nahte. Was konnte schon dabei herauskommen, wenn ein kritisches Publikum auf zwei mehr oder minder verzweifelte Männchen trifft? Nun ja, in diesem Fall waren es knapp 500 Euro, oder wie Patrick auf dem Rückweg treffend bemerkte: Mehr als 100 Euro Provision. Alle waren Glücklich und nicht zuletzt das Plastik-Unternehmen. Auch dass ich die nächsten Partys für Patrick moderierte, er aus Sicherheitsgründen zu Hause blieb, wird sie nicht gestört haben. Hauptsache es gab Umsatz und eine neue Beraterin. Da war es auch ganz egal, wen man anschleppte. Hauptsache es wurde eine neue Beraterinnen-Nummer vergeben die Statistik der zur Bezirkshandlung gehörigen Jünger füllte sich. Was Tupperware Deutschland zu diesem Thema sagte? Denen war es egal, dass ich nun eine Zeit lang auch die Arbeit von Patrick übernehmen musste, bis seine

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Vorführtasche abbezahlt war. Hauptsache ich hatte ihn angeworben. Anwerben ist aber auch ein hässliches Wort. Das dachte man wohl auch im Plastik-Paradies, denn man verwendete dort das deutlich anspruchsvoller klingende Wort „rekrutieren“. Hatte was von Bundeswehr, meinte aber genau das Gegenteil, nämlich Frauen mit Schüsseln. Aber egal; manch einer sammelte diese Rekrutierungen wie Briefmarken. Die Menschen waren dabei meistens egal. Auf den Partys und im Freundeskreis wurden die tollsten Geschichten erzählt, wie toll es bei Tupperware war. Natürlich, denn an dieser Stelle kamen auch die bereits erwähnten Geschenke ins Spiel. Fahrräder, Plasma-Fernseher oder gar wertvolle Reisen standen in den extra für diesen Zweck gedruckten Prospekten. Oft war auch die Einladung zu wichtigen Treffen und Veranstaltungen zwingend mit Rekrutierungen verbunden. Nicht eine oder zwei, gleich drei neue Plastikpacker galt es aufzutreiben, um in die große weite Welt reisen zu dürfen. Manchmal schien es mir, als würden einige Damen das Anwerben neuer Kolleginnen vom Wettbewerbs-Preis abhängig machen. Nicht etwa von der Tatsache, dass man damit seinem Gegenüber zum Start in einen neuen Job verhalf. Vielmehr ging es dabei um – Überraschung – Geld. Denn wenn die neue Beraterin unendlich viele Schüsseln verkaufte und abends in einer Wanne voller Geldscheine badete, dann gab es auch Provision für die Gruppenberaterin, für die Bezirkshandlung und natürlich blieb am Ende auch noch etwas für Tupperware übrig. Bei diesen Gedanken fragte ich mich, was wohl die mehr als 100 Euro teure Auflaufform in der Herstellung gekostet hatte. Wenn

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ich das an dieser Stelle schriebe, würde man mich wohl mit Plastikschüsseln steinigen. Daher mutmaße ich nur, dass es sich dabei um nur einen sehr geringen Prozentsatz handeln kann. Vermutlich wird selbst das Finanzamt höher am Verkaufspreis beteiligt. Egal. Vereinzelt hatte ich ja auch schon Gäste mit in das Kompetenzzentrum für Haushaltswaren aus Kunststoff genommen; in die Bezirkshandlung. Natürlich hatte ich dabei stets ehrbare Gründe, denn ich wollte ja, dass die neuen Beraterinnen ihr Tupper-Täschchen bekamen. Dazu gab es noch ein Geschenk für sie und mich. Eine lupenreine win-winSituation. Und so hatte ich nach Patrick einen weiteren Kollegen aus dem Tonstudio mitgeschleppt. Wegen seiner Statur nannten wir ihn nur „Obelix“. Nicht so bei Tupperware. Hier war er ein „Tuppi“. Das fand der 195 cm große, nahezu am ganzen Körper behaarte Kerl, der auf harte Musik stand, ganz entzückend. Da er kein Spielverderber sein wollte und vermutlich doch ein paar Euro für ihn übrig bleiben würden, ließ er das ganze Schauspiel regungslos über sich ergehen. Allerdings nur ein einziges Mal. Für den zweiten Termin brauchte ich schon etwas Überzeugungskraft, aber da TupperRegel Nummer 56 sinngemäß lautete: Die Tasche mit den Vorführmustern darf nur behalten werden, wenn auch getuppert wurde. Das hatte ich für ihn bereits erledigt. Eine weitere Vorgabe war die Teilnahme an mindestens zwei Meetings. Das war jedoch ein harter Brocken für ihn, aber er besann sich darauf zurück, was seine Freundin ihm immer sagte: „Du kochst mit dem Krempel, also guck’ dir auch an, wo er herkommt!“ Spätestens nach dem zweiten Termin hat er endgültig genug gesehen und ließ sich wieder

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abmelden. Er hatte die Tasche, ich mein Geschenk und Tupperware eine Ăźberholte Statistik. Erstaunlich, wie fixiert auch Frauen in bestimmten Bereichen auf Zahlen sein kĂśnnen.

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Leute, Leute Wie sieht eigentlich die typische TupperwareBeraterin aus und was ist ihre Motivation? Bevor ich das erste Mal bei Tupperware aufgetaucht war, beschrieb mir ein Insider das wie folgt: „Alleinerziehende Mütter mit mehreren, nervigen kleinen Kindern, die sie immer mitschleppt. Die Pfunde der letzten Schwangerschaft wollen einfach nicht verschwinden und auch Weight Watchers will nicht helfen. Keine Zukunftsperspektive und gerade zwischen Umschulungsmaßnahme und erneuter Arbeitslosigkeit. Will mit Tupperware den Durchbruch schaffen und hat schon alle möglichen Strukturvertriebe erfolglos ausprobiert. Kommt aus der Küche eigentlich nie raus und kann technische Geräte nicht wirklich selbständig bedienen.“ Zwar stellte ich fest, dass das ein oder andere schon auf ein paar Personen zutraf, aber jede Regel hat auch ihre Ausnahmen. Und so war in unserer Bezirkshandlung der Anteil ehemaliger Bankkauffrauen erstaunlich hoch. Frauen, die sich bewusst für einen Job entschieden hatten, den sie sich selbst einteilen konnten. Sie waren sehr wohl in der Lage, einen Computer bedienen und leiteten als Gruppenberaterin sogar ein eigenes Subunternehmen. Auch der Anteil der männlichen Berater war bei uns höher, als anderswo. Trotzdem: Wirklich normal war eigentlich niemand. Alle Beraterinnen hatten mehr oder weniger skurrile Geschichten. Wäre das nicht so gewesen, hätten sie vermutlich bei den Präsentationen auf der Couch

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gesessen und sich nicht die Mühe gemacht, die Produkte an die Frau zu bringen. Denn unterm Strich war es viel Arbeit bei einem durchaus ansehnlichen Umsatz aber letztlich nur geringem Gewinn. Da gab es beispielsweise den Mitarbeiter eines Elektrogroßhandels. Tupperware war ihm so ans Herz gewachsen, dass er die Produktbeschreibungen wie das Evangelium predigte und dabei die Artikel liebevoll streichelte. Mit einigen war er sogar per „Du“, denn er nannte sie beim Vornamen. Die Namen der Produkte fielen ihm vermutlich auch schneller ein, als die seiner Eltern. Sein Favorit war übrigens die geliebte B 11, eine Rührschüssel. Was für eine Freude als es sie erstmals in eierschalengelb gab! Er machte keinen Hehl daraus vom „Tupper-kuloseVirus“ befallen zu sein. Auch wurde er nie müde, zu betonen, dass er einer der ersten Gruppenberater war, die es in Deutschland gegeben hatte. Ein absolut netter Kerl, aber ich konnte in den drei Jahren nicht herausfinden, ob es für ihn auch ein Leben außerhalb von „Würzling“ und „süßer Müllerin“ gab. Dieses Problem hatte ich mit vielen PlastikHardlinern. Es gab Beraterinnen, die schrieben jeden Satz, den die Bezirkshändlerin fallen ließ mit und konnten noch Monate später jede Einzelheit wiedergeben. Außerdem achteten sie peinlichst genau darauf, dass beim Würfeln nach dem „SpellDown“ auch alles seine Richtigkeit hatte. Da es in vielen Fällen nicht der Umsatz war, der die Menschen bei Tupperware hielt, könnte ich nun böse behaupten, dass der Umgang mit den bunten Schüsselchen sei oft Ersatz für soziale Kontakte

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gewesen. Neben den Abenden bei wildfremden Menschen gab es Meetings, Schulungen und Gästetage. Auch ich musste mir eingestehen, viele Abende, die man lieber mit der Familie verbracht hätte, nun anders zu gestalten. Keine Frage, Tupperware war ansteckend. Das ist vom Unternehmen auch so gewollt. Egal ob ehemaliger Hartz-IV-Empfänger oder Beraterin mit abgeschlossenem Studium. Man konnte dem Bann nur schwer entkommen. Hinzu kam die Tatsache, dass alle sehr nett waren, so lange der Umsatz sich in den gewünschten Grenzen bewegte. Doch eines Tages beobachtete ich wie eine zuvor nette Gruppenberaterin auf eine völlig überforderte Beraterin, die offensichtlich nur ein paar freie Wochen gebraucht hat, einredete, dass es Zeit für ihre nächste Party sei. Für tolle Prämien, zum Wohle der Gruppe, für die gute Sache! Ich war geschockt. Hieß es nicht einmal, dass man hier eine selbständige Tätigkeit ausübte? Scheinbar nur, wenn man im Gleichschritt der Gemeinschaft lief. Es war spannend und erschreckend zugleich, wie sehr das System die Menschen beeinflusste. Egal welche Typen sich auch mit den Schüsseln beschäftigen, am Ende stand die eigene Meinung und das selbständige Handeln offensichtlich hinten an. Eine unerwartete Erkenntnis, die mir Angst machte. Trotzdem tupperte ich weiter.

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Hells Angels vs. Himmlische Schwestern Irgendwann sollten die Tupper-Fahrräder mal ausgeführt werden. So kam es an einem wunderschönen Frühsommertag dazu, dass sich die Gruppe der himmlischen Schwestern auf ihre Drahtesel schwang um einen Biergarten anzusteuern. Die Strecke vom Treffpunkt zur Kneipe war kaum weiter als einen Kilometer, aber bis zu diesem verabredeten Ort hätte ich bereits knapp zehn Kilometer radeln müssen – und das, wo ich gar nicht in der Übung war. vermutlich hätte ich mich ohnehin verspätet, deshalb machte ich mich lieber gleich mit dem Auto auf den Weg. Selbst mit vier Rädern kam ich nur knapp nach den radelnden Tupperberaterinnen an und fand daher auch keinen Platz mehr unter dem schattenspendenden Sonnenschirm. Wäre ich mit dem Rad gekommen, hätte ich die Sonne vermutlich gar nicht mehr gesehen, daher nahm ich meinen Platz am Rand der Runde billigend in Kauf und bestellte wegen der starken Sonneneinstrahlung ein großes Getränk. Gerade hatte Tupperware mit einem neuen Programm gestartet. Darin gab es allerdings wenig spektakuläre Angebote. Es handelte sich um die so genannten „kleinen Wochen“. Damit würde es sicher nicht ganz so einfach werden, Gastgeberinnen, bei denen man ohnehin regelmäßig zu Gast war, einen schönen Sommertag für eine Tupperparty abspenstig zu machen. Wir entschieden uns, das neue Programm etwas schön zu trinken und plötzlich kannte die Begeisterung kaum mehr Grenzen. Da ich mit dem

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Auto angereist war, legte ich den Schwerpunkt auf das Essen. Eine zünftige Schinkenplatte sollte es sein, aber die kam und kam nicht. Meine ausnahmslos weiblichen Kolleginnen hatten auch schon ein anderes Thema fernab von Tupperware gefunden. Ihr Redefluss schwappte dabei auch auf die umliegenden Tische herüber. Eine dieser Sitzgruppen füllte sich nach und nach mit in dunklem Leder gehüllten Gestalten. Ihre Helme verrieten schnell, dass es sich dabei um MotorradRocker handelte, die alles daran setzten, unseren Tisch zu übertönen. Ich schaute herüber und stellte fest, dass der Männeranteil auch deutlich höher war. Auch dort bestellte man Getränke und Speisen und zu meiner Verwunderung wurde alles schon nach kurzer zeit serviert – auch meine Schinkenplatte! Beim Essen hörte bei mir der Spaß. Die Rocker waren gerade erst angekommen, hatten ein paar Mal am Bier genippt, gerülpst und schon ihr Essen … äh, mein Essen! „Du kannst ja hinübergehen und es dir wiederholen“, erreichte mich eine schnippische Bemerkung und weil es für die Beraterinnen kaum noch Ergänzungen zu ihrem bisherigen Gesprächsthema gab, fügte noch eine hinzu: „Und dann machste mit denen erst einmal einen Termin für ’ne Tupperparty klar, ne?“ Die weibliche Meute bekam sich vor Lachen nicht mehr ein. Wortlos stand ich auf. Die Idee war nicht schlecht. Also machte ich den Herrschaften in Leder das Angebot: „Jungs, das ist mein Essen, ihr bekommt sicher gleich etwas Neues. Dafür schlage ich Euch einen Deal vor. Ich nehme das jetzt mit, esse es auf und wenn ich dann satt bin, komme ich noch einmal herüber und wir besprechen, wann wir

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zusammen eine Tupperparty machen.“ Totenstille. Ein bärtiger, kuttetragender Moped-Guru mit Sonnenbrille schob die Schinkenplatte zu mir und sagte: „Wir kommen nicht von hier, aber morgen besuchen wir den Biergarten um die gleiche Zeit. Die Tupperparty machen wir hier im Freien. Guten Hunger.“ Ich stimmte dem zu und schlenderte zufrieden mit meiner Schinken-Platte an den Tupperware-Tisch. Dort angekommen blickte ich in irritierte Gesichter. Mir war das egal, denn Party war Party und die Leute kannte ich schließlich nicht. Nachdem ich gespeist hatte, ergaben weitere Nachfragen, dass bislang nur ein paar Moped-Frauen nähere Erfahrungen mit Tupperware gemacht hatten. Doch auch die Rocker waren aufgeschlossen für Neues. Schon wurde am Nebentisch – jetzt aber so leise, dass es niemand mitbekam – gewettet, wie hoch der Umsatz der Personen sei, die so gar nicht zu unserer Tupperware-Zielgruppe gehörten. „Die kaufen vielleicht zwei Würzlinge“, war am Ende die vorherrschende Meinung. Andere meinten: „Denen reichen doch die Willkommensgrüße - warum sollten sie etwas kaufen?“ Ich überhörte das. Gab es überhaupt die typische Tupperware-Zielgruppe? Jeder, der „typisch“ war, hatten wir schließlich schon ausgiebig versorgt mit den bunten Kunststoffprodukten aus Belgien. Ich war ja schließlich auch nicht die typische TupperwareBeraterin, also konnte ich als Mitglied der „himmlischen Schwestern“ mit den „Hells Angels“ eine Tupperparty machen.

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Als ich am nächsten Tag mit dem üblichen Material bepackt wieder in den Biergarten kam, hatte sich die Motorrad-Gemeinde auch schon versammelt. Mit Kutte und Sonnenbrille saßen sie in Reih und Glied an einem Tisch, den sie sogar mit einer mitgebrachten Tischdecke verschönert hatten. Die Gruppe hatte mir sogar schon ein Bierchen und eine Schinkenplatte bestellt. Alkohol und Arbeit - was tut man nicht alles für die Völkerverständigung? Gastgeberin war übrigens Jens. Er wurde kurzerhand von seinen Kumpanen in ein geblümtes Kleidchen gesteckt und an den entsprechenden Stellen mit getragenen Socken ausgepolstert. Reizend. Doch mein Blick fiel zuerst auf das Essen. Kurz nachdem ich die Artikellisten verteilt hatte, ging ein Kichern und Lachen durch die Reihen. „Wenn der Eidgenosse der süßen Müllerin seinen kleinen Würzling zeigt …“, war nur einer der Sätze, die aus den Produktbezeichnungen gebildet wurden. Ich stellte fest, dass die Kreativität der Rocker scheinbar keine Grenzen kannte. Respekt konnte ich mir verschaffen, weil ich mein Programm mit der Vorstellung der Messer begann. Einfaches Zeigen wäre natürlich zu wenig gewesen, daher wirbelte ich die guten Stücke zu allererst einmal durch die Luft und machte ein paar kleine Kunststückchen. Ganz nebenbei bereitete ich ein paar Beilagen für das Essen zu. Allerdings nur kleine, ich wollte mich schließlich nicht beim Gastwirt unbeliebt machen. Die Messer stießen auf großes Interesse – genau wie einige andere Produkte. Und das waren nicht die Würzlinge … Nach einer abwechslungsreichen und spannenden Tupperparty, die übrigens auch von den schwarz gekleideten Gästen gestaltet wurde, ging es an das

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Ausfüllen der Preislisten. Es wurde deutlich länger geschrieben als sonst und auch zwei Damen vom Nebentisch, die gar nicht dazugehört hatten, kamen zu mir und fragten nach einer Preisliste. Zwar musste ich nach der Präsentation noch etwa eine halbe Stunde ausführliche Einzelauskünfte erteilen. Doch am Ende entschied sich die Gruppe ein paar Messer als Geburtstagsgeschenk für einen Daheimgebliebenen. Der war Hobbykoch und wünschte sich gerade neues Werkzeug. Auch die anderen Jungs waren häuslicher als man vermutet hätte. Das Amtliche Endergebnis der Tupperparty lag deutlich über 500 Euro. Damit hätte sicherlich niemand gerechnet – ich auch nicht. Für meine Präsentation erntete ich dieses Mal – anders als in „typischen“ Tupper-Fan-Wohnzimmern – einen ordentlichen Applaus. Wir klärten die Zahlungs- und Versandmodalitäten und vereinbarten, dass ich die bunten Teilchen per Post verschicken sollte. An dieser Stelle erkannte ich: Tupperware ist ein Produkt für alle. Zwar wissen einige der potentiellen Kunden noch gar nicht, dass sie die Produkte brauchen, aber das ist schließlich der Job der Beraterinnen. Sie sollen die verirrten Schafe auf den rechten Weg zurückbringen. Unzählige Male wurde mir das bei den Montag-Meetings gepredigt.

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Gästetag - bis das Wasser gar ist Gästetag klingt ein bisschen wie Kindergeburtstag und genau das war es auch. Kindergeburtstag für Erwachsene – gepaart mit einer kleinen LehrVeranstaltung. Aber würde jemand tatsächlich freiwillig dort hinkommen? Sicherlich nur wenige, selbst wenn im Vorfeld leckeres Essen angepriesen wurde. Gut schmeckte es wirklich. Ich habe wohl einige Dutzend Gerichte bei Tupperware ausprobiert und auch zu Hause nachgekocht. Es schmeckte fast immer – sogar wenn ich selbst am Herd stand. Für einen Gästetag reichte das alles jedoch nicht. Deshalb ließ sich Tupperware ganz fiese Tricks einfallen. Bestes Beispiel dafür war die „HalloAktion“. Eine Art Gewinnspiel, bei dem die Beraterin die Gastgeberin als potentiell Plastik-Interessierte vor der Party zur Seite nahm und ihr verriet: „Bei Tupperware gibt es gerade eine tolle Gewinn-Aktion. Die Firma Tupperware sucht jeden Abend aus allen Veranstaltungen eine Telefonnummer heraus und ruft dort an. Wenn Gastgeberin sich dann nicht mit ihrem Namen meldet, sondern mit dem Satz „Hallo, hier wird gerade getuppert“, gewinnt sie einen tollen Preis.“ Natürlich saß bei in der Deutschland-Zentrale von Tupperware abends niemand mehr, der unschuldige Hausfrauen anrief. Aber das Telefon klingelte trotzdem, denn die pfiffige Beraterin hatte diese Anrufe mit ihrer Gruppenberaterin abgesprochen. Egal, was die Beraterin dann sagt (die Wenigsten würden nämlich am Telefon öffentlich zugeben

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wollen, dass sie eine Tupperparty feierten), gab es einen tollen Gewinn. Allerdings nicht hier und jetzt, sondern in der Bezirkshandlung - auf dem Gästetag. Das wollte sich niemand entgehen lassen. Die versprochenen Geschenke locken auch die unentschlossenste Hausfrau an den entlegensten Ort. Zur Not wurden die Kinder einfach bei der Nachbarin abgegeben oder mussten eben mitkommen. Egal ob sie schrien, quengelten oder sich trotzig auf dem Fußboden wälzten – es gab schließlich Geschenke! Erstaunlich übrigens, wie viele Personen gewannen, wo es doch jeden Abend nur einen einzigen Anruf gab. An so manchen Gästetagen hätte man meinen können, es seien die Gewinner der vergangenen fünf Monate. Wie vor der Bescherung warteten sie gespannt darauf, was sie in mitgebrachten Stoffbeuteln mit nach Hause nehmen dürften. „Ich hoffe, sie haben Hunger mitgebracht“, wurden die Gäste begrüßt. Die faire Beraterin hatte ihre Gäste vor dem Verlauf des Abends gewarnt. Die Schüchterne vermutlich nicht. Beim harmlosen Thema Essen sagten jedoch die wenigsten nein. Einige Besucher fahndeten verzweifelt nach ihrem Besteck. Wie an jedem Abend fiel auch heute der Spruch: „Das kleine gelbe Schäufelchen …“ Nur damit konnte man nicht wirklich gut essen. Und was überhaupt? Besser noch: Worin wurde gekocht? Mit dieser grandiosen Überleitung begann der informative Teil des Abends. Ausgesuchte Beraterinnen erzählten wie die Mikrowellenstrahlen im Geschirr von Tupperware quasi eingefangen würden. Gewollte Verwirbelungen, die es nur bei Tupperware gab, sorgten dafür, dass diese Produkte

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einfach teurer sein mussten als alle anderen. Ja, über Mikrowellengeschirr konnte man – wenn man lange genug dabei war – mehr als 20 Minuten schwallern. Vermutlich auch noch länger, aber das war die offizielle Zeitvorgabe. Das wusste ich deshalb so genau, weil ich mich auch einmal hatte breitschlagen lassen, zu irgendeinem Thema zu referieren. Linientreu, wie ich war, tat ich das natürlich auch. Mit dem Unterschied, dass ich die Produktbeschreibungen nicht auswendig gelernt hatte, sondern davon erzählte, was ein Mann mit solchen Produkten anstellen würde. Das war zwar nicht wesentlich anders als das, was Frauen machten. Allerdings offenbarte mein Vokabular dabei noch so manche Schwäche. Mehrfach hatte man mir hinterher erklärt, dass Wasser wohl kochen, aber nicht garen könne. Das war mir egal. Hauptsache es wurde richtig heiß – und schnell. Schnell fertig war ich auch, wir wollten ja noch kochen. Kochen, beziehungsweise schnibbeln, in einen Topf werfen und heiß machen. Hier war aber trotzdem die Vokabel „kochen“ gewünscht. Als alles im Ofen war gab es endlich die „Geschenke“. Das waren meistens Produkte vergangener Jahre, die bislang nicht verkauft worden waren. Aber irgendwie musste die Reste-Rampe ja geleert werden. Gäste, die etwas „richtig Tolles“ haben wollten, mussten „hier und jetzt“ noch einen Vertrag unterschreiben. Dabei die Seele verkaufen und Plastikpacker werden. Mir wurde mal wieder klar: Vom Gast zur Beraterin ist es ein extrem kleiner Schritt. Und was sich offiziell Gästetag nannte, war in meinen Augen nicht mehr als eine professionell organisierte, gut getarnte Rekrutierungs-Runde.

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Wenn man sich traut, … Ausnahmsweise geht es in dieser Episode nicht um den Mut, den man als Mann aufbringen muss, gegen die gewaltige Übermacht weiblicher Mitstreiterinnen anzutuppern. Es geht einzig und allein um die Tatsache, was passieren kann, wenn man als TupperOnkel in den Hafen der Ehe einläuft. Ein Geheimnis hatte ich aus meiner Hochzeit nie gemacht, und da sowohl meine zukünftige, wie auch ich einen recht großen Bekanntenkreis hatten, entschieden wir uns für einen traditionellen Polterabend. Weil wir wussten, dass es voll würde, mieteten wir eine Schützenhalle. Karla wurde pro forma Mitglied im Schützenverein. Bei der Gelegenheit buchte ich gleich eine Party beim Vorstand. Die Sache war geritzt und ohne größere Probleme konnten nun Gäste in nahezu beliebiger Menge kommen. Als das Datum feststand, wusste ich plötzlich nicht mehr so genau, ob ich mir nun wünschen sollte, dass es bei einem Fest in familiärer Runde bleiben sollte oder ob ich von einem Massenbesäufnis ausgehen konnte. Neben Familie und Freunden rechnete ich mit drei größeren Gruppen. Denn ich selbst bin im behördlichen Katastrophenschutz engagiert und meine Frau arbeitete bei einer Fastfood-Kette. Allerdings durfte ich auf keinen Fall die vielen netten Menschen von Tupperware vergessen, zu denen ich mittlerweile, neben dem rein geschäftlichen auch ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte.

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Da ich in der Zwischenzeit nicht mehr ohne Tupperware-Produkte konnte, fanden sich alle Knabbereien des Abends in bunten Kunststoffschälchen wieder. Als alles fertig aufgebaut war, wurde mir wieder einmal klar, dass die Firma mit Deutschlandsitz in Frankfurt doch einen recht beherrschenden Teil in meinem Leben ausmachte. Aber der Abend würde ja sicherlich auch sonst recht bunt verlaufen. Als Gastgeber, also jemand, der unterschrieben hatte, die Halle am nächsten Morgen um 9 Uhr besenrein zu übergeben, hatte ich mir fest vorgenommen, am Abend wenig Alkohol zu trinken. Schließlich trinke ich auch sonst so gut wie keinen Alkohol. Der Abend kam genauso schnell, wie die komplette Familie. Ich hatte den Eindruck, die Verwandten hätten nur für diesen Anlass all ihr ausrangiertes Geschirr gesammelt. Als sie endlich alle Teller und Tassen zerdeppert hatten, rollte ein großes blaues Fahrzeug mit Blaulicht auf den Hof. Einige, mir wohl bekannte Uniformierte sprangen heraus. Glücklicherweise handelte es sich nicht um einen Kipper, sondern die Munition in Form von Fliesen wurde per Hand abgefeuert. Das Fegen wurde ebenfalls verhindert, so dass wir uns entschieden, die Ankömmlinge mit Alkohol von weiteren Untaten abzuhalten. Das klappte bei den blauen Männchen genauso gut, wie bei der Fastfood-Fraktion, die sich unbemerkt, still und heimlich angeschlichen hatte. Von ihnen musste ich mir auch gleich anhören, dass man als Gastgeber ja wohl unmöglich Cola trinken könne. Die

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gerade eingetroffenen Tupperaner stimmten dem zu und nahmen auch gleich ein paar bunte Fläschchen von der Theke mit zu ihren Plätzen. Natürlich nur, weil die bunten Farben so schön zu der Tupperware passen würden. Als alle Gäste angekommen waren, schüttete ich mir zur Beruhigung der Anwesenden eilig ein Bier in den Hals. Dummerweise hat das niemand mitbekommen. Also musste ich es noch einmal mit den blau gekleideten Herren wiederholen. Zu allem Überfluss fiel ihnen auf, dass die Gruppe bei meinem zweiten – und auch dritten – Bier nicht vollzählig gewesen war. Erst nach dem vierten Getränk ließ man mich kurzzeitig einige Scherben zusammenfegen. Glücklicherweise waren meine himmlischen Schwestern mit den bunten Fläschchen beschäftigt. Nicht so die Fastfood-Clique. Auch hier musste ich einige Male anstoßen. Hilfesuchend blickte ich zum Tupper-Tisch. Die Flaschen waren leer, die Beraterinnen waren weg. Sie waren doch nicht etwas schon gegangen? Wie ich so nachdachte füllte sich mein Glas nun mit Schnaps. Als ich vor lauter Pinnchen kaum noch etwas vom Tisch sehen konnte, schwankte ich nach draußen, um dort nach den Verschollenen zu suchen. Auf dem Weg dahin bekam ich noch ein Bier in die Hand gedrückt. Draußen angekommen wurde das leere Glas direkt ausgetauscht und was dann passierte, fand ich wirklich großartig. Es gab viele Geschenke, die originell gestaltet waren. Wieder andere, die sich an einem bestimmten thematisch anlehnten und auch solche, die einfach witzig waren. Ich traute meinen Augen kaum: Auf dem Hof war ein riesiges Herz aus leeren PET-Flaschen aufgebaut. Das

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mit dem Herz hatte trotz meines Zustandes sofort verstanden. Warum aus leeren Getränkeflaschen, das musste man mir erst ganz langsam erklären. Wenn jemand für Tupperware arbeitete, was sollte man ihm anderes schenken, als etwas aus Kunststoff, das man auch noch umtauschen kann. Von diesem Moment an war ich ein Fan von Flaschenpfand. Im Nachhinein und aus Erzählungen wusste ich nun: Mit Tupperberaterinnen zu feiern lohnte sich auf jeden Fall – nicht nur wegen der tollen FlaschenIdee. Konkrete Erinnerungen hatten weder die Tupper-Tanten, noch ich selbst. Trotzdem wusste ich, dass es ein toller Abend gewesen war. Jeder sollte in seinem Leben einen Polterabend feiern. Schließlich gab es ja für diese Ehe keine 30-jährige Garantie. Für Tupperware schon. An dieser Stelle sei erwähnt: Die Schüsseln habe ich heute noch.

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Klatschen 2.0 - Sektentempel Fulda Es war früh, sehr früh. kurz nach 7 Uhr stand ein Reisebus vor der Bezirkshandlung und wartete auf rund 50 Tupperberaterinnen, um sie nach Fulda zu fahren. Um sie zu jener Rudel-Berieselung, auf die sich alle schon seit Wochen freuten. Selbstverständlich war die Teilnahme völlig gratis. Trotzdem wurden alle dazu ermutigt, eine „Eintrittskarte“ zu besorgen. Diese Karte bestand vornehmlich aus Sekt oder anderen vergleichbaren Alkoholika. So hörte man schon beim Einsteigen in den Bus das Geräusch von Flaschen die in Jutebeuteln aneinander schlugen. Offensichtlich hatte sich die ein oder andere vorsorglich mehrere Eintrittskarten besorgt. Das Startzeichen zum Öffnen der Getränke und natürlich auch der Tupperdosen, die gefüllt waren mit kleinen Köstlichkeiten, war das Anfahren des Busses. Der Fahrer machte den Eindruck, als hätte ihm vorher niemand gesagt, auf was er sich eingelassen hatte. Mit verzweifelter Miene schien er zu fragen: „Wieso keine Rentner oder nervige Schulkinder?“ Es war der wohl erste Busfahrer, der unterwegs freiwillig eine Pause einlegen wollte. Dabei ging es nicht um seine Lenkzeit oder eine Pinkelpause, er musste dringend eine Zigarette rauchen. War wohl nicht stressresistent der gute Mann. Immerhin brachte er uns schnell nach Fulda. Dort angekommen ging es mit merklich erheiterten Beraterinnen in die Stadthalle. Warum hatten eigentlich alle ihre Futter-Döschen dabei? Im Eingang

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lockte im Eingang reichhaltiges Buffet – selbst ich wusste das noch vom Talente-Treffen. Es waren zwar nicht die edelsten Speisen, aber es gab zumindest viel. Statt Mini-Canapets bot man uns deftig belegte Brötchen und Kaffee an. Schließlich musste der Promille-Pegel noch etwas gesenkt werden. Man sollte ja während der Veranstaltung auch nicht einschlafen. Letzteres war gar nicht so einfach, denn das altbekannte Schauspiel begann. Laut wummernde Boxen an allen Ecken aus denen eine Mischung vergessener Fetenhits und aktuellen Apres-SkiHymnen schepperte. Auch dieses Mal schien das einfache Rezept aufzugehen, der komplette Saal schunkelte. Einige Beraterinnen tanzten sogar schon auf den Stühlen, als wir den Raum betraten. Verzweifelt versuchte ich den Prediger in seiner weißen Robe zu entdecken, der vermutlich gleich laut „Halleluja!“ rief. Aber da war niemand. Da war noch niemand – nur Musik! Sonst nichts. Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich daran dachte, wie gleich sich gleich die Gebets-Mönche aus dem Hause Tupperware würden feiern lassen. Bei dem Talente-Treffen vor einiger Zeit ging noch alles vergleichbar ruhig und gesittet zu. Doch jetzt flippte der komplette Saal aus. Egal, wer auf die Bühne trat: ob Regionaldirektorin oder Angestellte der Veranstaltungshalle. Selbst schlecht vorgetragene Sketche und Rollenspiele, um irgendein neues Bonus-Programm vorzustellen, wurden von der Masse mit Standing-Ovations belohnt. Peinlich war niemandem irgendetwas. Zur Beruhigung trugen zwischenzeitlich die überaus langweiligen Vorträge bei, die auch hier eher Lesungen glichen. Ich hatte

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Zeit zum durchatmen. Aber scheinbar war der Text nicht nur für mich neu, sondern auch für die Personen, die das Manuskript aus ihrer Jackentasche popelten. Sie verlesen sich hier, vergaßen einen Absatz dort und versuchten ihre Fehler mit einem einstudierten Kichern zu vertuschen. Ich war in einem Parallel-Universum gefangen. Aufgeweckt wurde ich, als die Moderatorin fragte, wie viele Partys die einzelnen Berater denn schon jetzt – es war Ende September - für den kommenden Januar gebucht hatten. Bei mir waren es sechs oder acht, das fand ich schon ganz ordentlich. War aber bei diesem Treffen nicht gut genug. Denn es gab doch tatsächlich jemanden, der schon 19 Stück gebucht hatte. Bei den Gruppenberaterinnen fing die Abfrage sogar erst bei 15 an. Es gab sogar eine Gruppenberaterin, die sage und schreibe 30 Tupperpartys für den Januar in ihrem Kalender stehen hatte. Das war pro Kalendertag eine. Hatte sie keine Hobbys? Trotz meiner Begeisterung konnte ich nicht verhindern, dass mir von Zeit zu Zeit die Augen zufielen. Während ich weiter döste und mich dabei berieseln ließ, gelobte ich mir selbst, diese Zahl im nächsten Jahr zu toppen. Ähnlich wie beim Boxen rettete mich nun der Gong. Es war zwar nur ein gefühlter, da irgendjemand auf der Bühne verkündete, es gäbe nun Essen. Das war mir in diesem Moment egal, denn ich hatte Hunger. Allein vom gelegentlichen Mitklatschen – ich wollte ja nicht auffallen - taten mir die Hände weh und ich hatte ein wenig Schwierigkeiten das Besteck zu halten. Die Schlangen waren so lang, dass auch keine Zeit blieb, sich nach dem ersten Gang noch einmal Nachschlag zu holen. Die Platten mit den

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Kostbarkeiten waren ohnehin schon großflächig abgeerntet und bei einigen Beraterinnern hatte ich den Eindruck, sie hätten einfach komplette Platten mit an den Tisch genommen. Kaum hatte ich meinen Teller geleert, ging es auch schon weiter. Auf zur letzten Runde! Schließlich sollte es noch ein neues Produktprogramm geben und auch die tollen Preise für den kommenden JanuarWettbewerb warteten. Messer, Ultra, Schüttel-Max: Tatsächlich gab es schöne neue Produkte. Sie gefielen mir wirklich. Als ich mich umsah, machte ich mir allerdings ernsthaft Sorgen, dass meine Nachbarinnen gleich vor Aufregung zu hyperventilieren begannen. Die Spannung stieg – und das ist nicht übertrieben – ins Unermessliche. Auch meine Freude wuchs, als ich sah, welche Preise auf uns erfolgreiche Beraterinnen warteten. SpieleKonsolen, Fernseher und Möbel interessierten mich nicht besondern. Aber da gab es etwas, das ich schon immer einmal machen wollte: Eine Kreuzfahrt mit der AIDA – die nun gar nicht so unerreichbar war. In Gedanken kaufte ich schon eine neue Badehose. Ob ich mir den Urlaub erarbeiten würde? Auf jeden Fall. Die harten Stunden in der Fuldaer Stadthalle waren vergessen, ich zweifelte in keinster Weise mehr daran mein Umsatzziel zu erreichen. Unter tosendem Beifall stürmten plötzlich hunderte Menschen durch sämtliche Ausgänge hinaus. Jemand hatte verkündet, dass nun ganze Taschen voll mit Tupperware verschenkt würden. Vielleicht hätte man dabei sagen sollen, dass für jeden eine Tasche

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vorhanden war. Die Szenerie glich einer panischen Elefantenherde – selbst die Geräuschkulisse war authentisch. Im Schlender-Schritt machte auch ich mich auf, meine Tasche abzuholen, als mir eine erfahrene Beraterin mitleidig auf die Schulter klopfte und sagte: „Schade, dass du nicht mitkommen kannst auf die AIDA!“ „Waaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaas?“

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Vom Privileg der Frauen Das hatte sie doch nicht etwa ernst gemeint! Ich konnte es nicht glauben. Sie hatte es ernst gemeint. Denn je mehr Beraterinnen ich dazu befragte, desto öfter wurde mir bestätigt, dass sie recht gehabt hatte. Schließlich stand im Kleingedruckten der Firma Tupperware immer, dass diese schicken Preise ausschließlich für Frauen waren. Ich bin selten sprachlos, aber jetzt musste ich erst einmal etwas in mich gehen. Warum gab es das Männer-Verbot? Na klar, der Unterschied zwischen Mann und Frau war mir zwar nicht entgangen, aber eine Kleinigkeit gab mir schwer zu denken. Denn die Gruppenberaterinnen durften auf diese Reise sogar eine Begleitperson mitnehmen. In diesem Fall ihren Ehemann. Ich sagte mir das Wort einmal laut vor: „Ehe-Mann.“ Eine Frau mit einem Mann. Also so etwas wie ich es auch bin - Ein Mann. Außerdem überlegte ich, dass auf dem riesigen KreuzfahrtSchiff vermutlich auch noch weitere männliche Passagiere Urlaub machten. Warum durfte ich also nicht mitfahren? Auf der Rückfahrt hatte ich noch etwas Zeit, darüber nachzudenken. Ergebnislos. Es gab nur eine Person, die mir erklären konnte, was dahinter steckte. Einer, der es wissen musste, war der TupperwareDeutschland-Chef: Martin Eckert. Grund genug diesem Mann, den ich bisher als netten Menschen aus Wien in verschiedenen Filmchen gesehen hatte, mal einen Brief zu schreiben. Denn ich hatte gelernt, wer

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nett fragt, bekommt in den meisten Fällen auch eine nette Antwort.

Sehr geehrter Herr Eckert, auf dem Treffen der Region Mitte in Fulda durfte ich neben mehreren Hundert Beraterinnen und ca. 20 männlichen Beratern miterleben, wie das Produktprogramm und die Wettbewerbe für die "größte Tupperparty der Welt" vorgestellt wurden. Darüber hinaus gab es noch Referate zu den Themen "Aktivität in der Gruppe" und "Buchen von Tupperpartys". Ich bin seit Woche 52/2004 Berater bei Tupperware und habe in dieser Zeit 2x die Auszeichnung Connie und 2x die Auszeichnung Gold-Connie erreicht und werde auch in dieser Woche wieder die 6.000 EUR Hürde überspringen. Die Themen der Referate nehme ich mir seit Beginn meiner Tätigkeit zu Herzen und nach Bekanntgabe des Produktprogramms habe ich für die Januar Wochen nun 17 Partys gebucht und bei den vorgestellten Produkten und der Struktur des Wettbewerbs kann ich mir gut vorstellen, genau wie im letzten Jahr die höchste Umsatzsstufe zu erreichen. Schon im letzten Jahr wäre ich gerne mit nach Monte Carlo gefahren, habe mich jedoch auch sehr über die Breitling Uhr gefreut. In diesem Jahr habe ich mich in Fulda während der Veranstaltung schon auf eine Reise mit der AIDA gefreut und vermutet, dass auch männliche Berater herzlich willkommen sind, da Gruppenberaterinnen ja über einen FörderungeWettbewerb ja auch mit einem (männlichen) Partner verreisen können.

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Auf der Rückreise aus Fulda haben meine Bezirkshändler mir dann jedoch mitgeteilt, dass diese Reise ausschließlich weiblichen Beraterinnen vorbehalten ist. In einem Jahr, in dem die erste Frau Bundeskanzler in Deutschland wird sollte es doch auch möglich sein, dass ein Mann auf eine reguläre Tupperware-Reise mitfahren kann. Als Mann möchte ich keine Sonderbehandlung, doch wenn es weder den Preis der höchsten Umsatzsstufe noch einen Ersatz dafür gibt ist dies nicht nur enttäuschend, sondern auch nicht so motivierend, wie es für Beraterinnen ist, diesen Umsatz zu erreichen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Tupperware Deutschland von diesen dogmatischen Wettbewerbs-Regelungen abweichen würde und die Teilnahme von Männern an der AIDA-Reise nicht kategorisch ausschließen würde. In diese Angelegenheit spreche ich nicht nur für mich, sondern mindestens für einen weiteren männlichen Berater unserer Bezirkshandlung. Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen. Für Ihre Mühe bedanke mich auch im Namen meiner Gruppenberaterin und unserer Bezirkshandlung, die Ihnen über meine bisherigen Aktivitäten und Umsatzerfolge Auskunft erteilen können. Mit freundlichen Grüßen

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Tim Reckmann Na damit hatte ich mich selbst übertroffen, aber schwafeln konnte ich ja immer schon gut. Zwar hatte ich lange um den heißen Brei herumgeredet, doch die Kernfrage konnte ich relativ deutlich formulieren: „Warum dürfen Frauen mit Männern auf die AIDA, Männer alleine aber nicht?“ Ich war erstaunt, denn nach nur zwei Tagen erhielt ich eine Antwort - in einem schönen DIN A5 Umschlag aus wertigem Papier mit Prägesiegel und Wasserzeichen. Auf der Rückseite stand in filigranen Buchstaben der Name des Geschäftsführers.

Lieber Herr Reckmann, vielen Dank für Ihr Schreiben bezüglich der Teilnahme an Reisen von Beratern und Gruppenberatern. gerne werden wir Ihre Anregung aufgreifen und unsere jetzige Position überdenken. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir unsere derzeitigen Richtlinien kurzfristig ändern. Wir freuen uns, unsere Berater mit jeweils sorgfältig ausgesuchten Alternativgeschenken optimal zu entschädigen. Mit freundlichen Grüßen Martin Eckert

Zwar schien dieser Brief tatsächlich von ihm selbst diktiert und mit grünem Filzstift unterschrieben

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wurden zu sein, aber was sollten mir diese Worte nun sagen? Feine Alternativgeschenke sind immer nett, aber was war an begleitenden M채nnern nun anders, als an mir?

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Des Pudels Kern Lange Zeit erhielt ich keine befriedigende Antwort, warum Frauen mit ihren Männern verreisen durften, nicht aber Berater mit ihren Frauen. Die Konstellation war doch die gleiche. Sei es bei einer Kreuzfahrt auf der AIDA oder bei einem gemeinsamen Besuch des Oktoberfests. Egal wie ich es drehte und wendete, ich kam einfach nicht auf die Lösung. Mittlerweile weiß ich, dass ich auch niemals alleine darauf gekommen wäre. Denn sie ist dermaßen abstrus und weit hergeholt ist, wie ich in Gesprächen – natürlich nur hinter vorgehaltener Hand – mit Vertretern aus dem Führungsstab erfuhr. Dass Frauen einen Mann haben, ist nichts Ungewöhnliches bei Tupperware. Wohl aber die Tatsache, dass Männer eine Frau haben. Eigentlich schon allein die Tatsache, dass es männliche Beraterinnen gibt. Männliche Beraterinnen, die gelegentlich auch einen männlichen Partner haben. Auch ich hatte schon bemerkt, dass die Anzahl der männlichen Beraterinnen die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebten, bei den „Handelsvertretern für Haushaltswaren“ deutlich höher war als in anderen Berufen. Das wusste auch Tupperware. Ein aus Amerika stammendes Unternehmen, das diese Tatsache offensichtlich mit seinen Wertvorstellungen nicht vereinbaren konnte. Stellen wir uns eine Reise vor, bei der hunderte Beraterinnen und ein paar Männer sind. Würden sich zwei Frauen näher kommen, fiele es vermutlich nicht weiter auf. Interessierten sich aber zwei Männer füreinander interessieren, sah das schon anders aus.

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Ich lauschte diesen Erzählungen genauso gespannt wie ungläubig. Als ich schon an dieser Stelle mit dem Kopfschütteln begann, wusste ich nicht, dass es noch schlimmer werden sollte. Mit empörtem Blick fuhr einer der TupperMitarbeiter fort, ich solle mir doch nur einmal vorstellen, wie ein Ehemann reagierte, wenn seine Frau von einer Reise mit einem schwulen Pärchen erzählte. „Für was für ein Unternehmen arbeitest du da bloß“, würde er doch sicherlich sagen. Manche Personen aus der Tupper-Führungsriege nahmen sogar an, dass diese Ehemänner ihren Frauen deshalb sogar den Kontakt zu Tupperware untersagen würden. Kaum zu glauben. Wenn ich es nicht wirklich aus dem Mund einiger Entscheider gehört hätte, würde ich es für einen schlechten Scherz halten. Es ging sogar so weit, dass die Teilnahme an großen Treffen innerhalb Deutschlands bis auf ganz wenige Ausnahmen nur für Frauen freigegeben waren. Wenn das tatsächlich die Begründung gewesen sein sollte, war das schon sehr traurig. Immerhin war auch ein Großteil der Führungsetage ist männlich.

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Rauswurf – Maulkorb – Auferstehung Ich bin ein Kind des Online-Zeitalters. Etwa so lange, wie ich für Tupperware tätig war, führe ich – unabhängig davon – ein Tagebuch im Internet. Dieser Blog beschreibt die alltäglichen und kuriosen Geschichten aus meinem Leben. Von Zeit zu Zeit gab es auch Geschichtchen über Tupperware, in denen nicht die Produkte, sondern meine Erlebnisse im Vordergrund standen. So dachte ich mir nichts Böses dabei, von einer kuriosen Party zum zehnjährigen Bestehen der Bezirkshandlung zu berichten. Ich betone, die eigentliche Geschichte hatte nichts mit Tupperware zu tun. Da ich weder Stammgast auf Schützenfesten noch größerer Tanzveranstaltungen war, traute ich meinen Augen kaum, als sich zu einem Lied (ich glaube es war „was wollen wir trinken“) wie gleichzeitig zehn Personen auf den Boden warfen, sich hintereinander hinsetzten und Ruderbewegungen machten. Das war die ganze Geschichte. Eigentlich nichts Besonderes. Das dachte ich zumindest. Schon vor dem nächsten Montags-Meeting erreichte mich ein Anruf meiner Gruppen-„Mutti“. Sie wollte mich darauf vorbereiten, dass mir ein ernstes Gespräch mit der Bezirkshändlerin bevorstand. Noch immer war ich mir keiner Schuld bewusst. Ich würde es also auf mich zukommen lassen. Was die Chefin, die übrigens zur Verstärkung ihren Ehemann mitgebracht hatte, mir vorwarf, rollte mir die Zehennägel noch. Ich würde Interna von

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Tupperware ausplaudern. Aha. Das war ja spannend zu hören. Offensichtlich bereitete ihr meine Idee dieses Buch irgendwann zu veröffentlichen, schon damals Bauchschmerzen. Dabei hatte ich in meinem Blog höchstens im Nebensatz mit diesem Gedanken gespielt. Ohne mich zu verteidigen hörte ich weiter zu. Schließlich interessierte mich jetzt brennend, wieso mein Online-Tagebuch plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses gerückt war. Angeblich hatte es verschiedene Beraterinnen gegeben, die unabhängig voneinander bei der Geschäftsführung in Frankfurt Alarm geschlagen hatten, dass etwas nicht in Ordnung sei. Sie hielten es für Ihre Pflicht über meine „Machenschaften“ Bericht zu erstatten. Dass ich zu dieser Zeit schon recht erfolgreich für Tupperware tätig war, spielte sicher nur in meinen abwegigen Gedanken eine Rolle. In den Ausführungen der Chefin – ihr Mann schwieg übrigens - rückte eine Tupper-Pillendose, die ich als Etui für Handy-SIM-Karten umfunktioniert hatte, in den Mittelpunkt. Noch immer konnte ich mir noch nicht vorstellen, was so schlimm sein sollte an meinem Blog-Eintrag, denn die Veranstaltung samt Schützenfest-Ritual hielt ich für absolutes Privatvergnügen. Doch schon allein das schien auszureichen, um Frau Z. die Schweißperlen auf die Stirn zu treiben. Die Angst – wovor auch immer – auf Seiten der KunststoffFraktion schien plötzlich größer, als das Vertrauen in eine erfolgreiche, männliche Beraterin. Da ich keinen Ärger wollte und die Aufregung auch nicht verstand, bot ich an, alles über Tupperware aus meinem Blog zu löschen. Jetzt fiel mir auf, dass

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ich auch die Konversation mit Geschäftsführer Martin Eckert ins Netz gestellt hatte. Aber ist das wirklich intern, wenn eine Firma mit rund 60.000 Mitarbeiterinnen in Deutschland grundsätzlich beschließt, dass Berater nicht gemeinsam mit ihren Frauen an Tupper-Reisen teilnehmen dürfen? In der Annahme, alles fein säuberlich entfernt zu haben, wollte ich nun ganz normal meiner Tätigkeit nachgehen. Das schien auch eine Woche lang wieder zu funktionieren, bevor ich abermals ins Büro zitiert wurde. Dort informierte man mich mit ernster Miene und strengem Tonfall über meine Kündigung. Als Frist nannte man mir drei Wochen. Während sich Frau Z. in ihren Chefsessel lehnte, nickte ihr Mann zustimmend. Man sei ja so enttäuscht von mir. Ich hätte das große Vertrauen aufs Tiefste enttäuscht. Ich verstand das alles nicht, denn ich hatte alle Artikel der Kategorie „Tupperware“ gelöscht und es gab keine neuen „Enthüllungen“. Doch mit dieser Meinung war ich wohl alleine. Der böse Artikel, über den sich Frau Z. ereiferte, war übrigens die Frage, warum ein Geschäftsführer mit grünem Filzschreiber unterschreibt. Merkwürdig, dass sich die Diskussion gar nicht um den Inhalt der Korrespondenz drehte. Den hatte ich zwar nie veröffentlicht, aber ich ging davon aus, dass die Chefin davon wusste. Sie monierte ausschließlich, dass ich die Unterschrift der Führungspersönlichkeit ins Netz gestellt hatte. Da ich nicht viele Optionen hatte, akzeptierte ich die Kündigung erst einmal. Schließlich hatte ich ja noch drei Wochen Zeit, um mir noch etwas zu überlegen, wie ich selbständig (!) meinem Job als Plastikpacker nachgehen konnte. Schließlich war ich nicht bei

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Tupperware angestellt. Wie konnte man mich dann überhaupt kündigen? Da ich an dieser Stelle mit Argumenten nicht weiterkam, entschied ich mich für die wohl einzige richtige Möglichkeit, das Blatt noch einmal zu wenden. Ich verfasste einen Bittbrief an die Führungsetage, in dem ich um Entschuldigung bat, mein tiefstes Bedauern ausdruckte und versicherte, ab sofort streng nach den Tupperware-Regeln zu arbeiten. Die Antwort kam postwendend in einem zweiseitigen Brief vom stellvertretenden Geschäftsführer. Aus reiner Nächstenliebe ließe man mich weiter Umsätze für den Konzern schaufeln. Die Firma Tupperware war ja so gnädig zu seinen Beraterinnen! Das war mir egal. Ich wollte weitermachen und ich durfte es auch.

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Sat.1 in meinem Wohnzimmer Natürlich ließ ich mich auch in den Folgemonaten nicht lumpen und hobelte Umsätze, was das Zeug hält. Scheinbar hatte Tupperware den kleinen Zwischenfall bereits vergessen oder verdrängt, denn Woche für Woche war mein Kofferraum voll mit bunten Schüsselchen. Und es wurde zur Gewohnheit, dass ich die erfahrenen Kolleginnen beim wöchentlichen Spell-Down auf die Plätze verwies. Meine guten Umsätze wurden plötzlich zur Selbstverständlichkeit für das Unternehmen. Mittlerweile gab ich pro Woche mindestens eine Tupperparty – nicht, weil ich ein netter Mensch war, sondern auch, weil ich selbst etwas davon hatte. Meine Karriere hatte sich selbst bis zur lokalen Zeitung herumgesprochen. Sie titelten mit der Überschrift Tim ist bei Tupper top“. Allerdings erschien die Ausgabe am 1. April, so dass die Mehrzahl der Leser die Geschichte für einen einfallsreichen Aprilscherz gehalten hatte. Dabei war ich in dieser Zeit – besonders während der größten Tupperparty der Welt – tatsächlich die beste Beraterin Deutschlands. Doch es gab scheinbar auch Leser, die diese Geschichte nicht für einen Witz hielten, denn einige Tage später klingelte mein Telefon. „Hallo, hier ist Sat.1. Sie machen doch etwas mit Tupper, oder?“ fragte eine junge Frau am anderen Ende der Leitung. Hä? Warum interessierte sich das Fernsehen plötzlich für mich? Ich schwankte zwischen Unlust und Begeisterung. Schließlich witterte ich die Möglichkeit

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eine neue Markierung in das Kerbholz einer Rampensau zu schnitzen. Eine großartige Idee. Und so war das Telefonat auch nur Formsache. Ich vereinbarte mit dem Fernsehsender einen Termin, bei dem sie eine meiner Partys beobachten würden. Und weil im Fernsehen ja alles perfekt sein muss und ich mich ja auch nicht blamieren wollte, blieb nur eine fingierte Party. Das war sicherlich auch im Sinne des Plastik-Unternehmens – so sah gute FernsehUnterhaltung aus. Weil ich mir fest vorgenommen hatte, eine gute Figur zu machen, wollte ich eigentlich auch noch zum Friseur gehen. Aber wie so oft schaffte ich das vor lauter Arbeit selbst bei diesem außergewöhnlichen Besuch nicht. Die Zeit rannte, und plötzlich waren es nur noch einige Stunden, bevor die Sat.1-Mannschaft bei mir aufschlug. Gerade noch Zeit, das „Ich mache Frauen glücklich“Shirt anzuziehen. Zu meiner Beruhigung war bereits aufgeräumt. Die Tatsache, dass ich zur Unterstützung neben guten Freunden und meinem Bruder auch meinen Tupperware-Bezirkshändler eingeladen hatte, machte mich zusätzlich gelassen. Wer sollte sich schöner vor laufender Kamera über die Produkte freuen, als er? Dass ausgerechnet an dieser Party überwiegend Männer teilnehmen würden, gefiel auch Sat.1. „Das kommt besser“, war die Ansage im Vorgespräch, bei dem ich mich noch gefragt hatte, was Sat.1 wohl gegen ein paar nette Frauen einzuwenden hatte. Egal.

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Pünktlich um 17 Uhr fuhren die Produktionswagen vor. Als ich die Tür öffnete, schoben sich Mitarbeiter mit einem überdimensioniertem Stativ, einer doch recht amtlichen Kamera und diversen Leuchten an mir vorbei. Aufnahmeleiterin, Kameramann, TonMensch und Assistentin stellten sich brav vor und wollten direkt in die Küche gehen. Küche – warum Küche? Die Vorführung sollte doch im Wohnzimmer stattfinden. „Was wollen wir denn in der Küche“, fragte ich irritiert. „Wir müssten mal an deinen Kühlschrank“, schallmeite mir die glockengleiche aber doch bestimmende Ansage der Aufnahmeleiterin entgegen. „Ja klar, ihr wollt bestimmt etwas trinken. Sorry, habe ich glatt vergessen.“ Ich hoffte auf ein „ja“. Sie schüttelten mit dem Kopf. „Nee, hast du denn keine Tupperware im Kühlschrank?“ Natürlich hatte ich! Das war ja schließlich Auslöser, warum ich überhaupt bei diesem Laden gelandet war. „Sucht ihr etwas bestimmtes?“ fragte ich vorsichtig, um die Profis nicht bei ihrer Arbeit zu stören. Nein, wir brauchen nur Platz.“ Komisch, wenn ich in der Küche Platz brauchte, quetschte ich eher alles in den Kühlschrank, statt es auf der Arbeitsfläche zu verteilen. Warum hatte ich überhaupt aufgeräumt, wenn die hier ohnehin ein Riesen-Chaos anrichteten. Wäre ich doch besser zum Frisör gegangen. Während sich der eine Teil des Teams an meiner Küche zu schaffen machte, räumte der Kameramann mein Wohnzimmer um. In jeder Ecke platzierte er einen Scheinwerfer. Noch bevor ich wieder sprechen konnte, hatte er auch schon die Rollladen runtergelassen. „Hier ist es einfach zu hell.“ Kein Wunder bei vier Scheinwerfern, aber bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, was im

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Wohnzimmer passierte, holte jemand in der Küche eine kleine Handycam aus der Tasche und stopfte sie zwischen Butter und Wurst. „Was ist denn so spannend an meinem Essen von morgen?“ wunderte ich mich in der Hoffnung ausnahmsweise mal eine Antwort zu bekommen. Offenbar hatten sich die Experten eine Anfangsszene ausgedacht, die aus Perspektive der Lebensmittel zeigen sollte, wie ich eine Tupperdose aus dem Kühlschrank nahm. Na großartig. Vielleicht fand so auch die eine oder andere Beraterin heraus, ob das Licht im Kühlschrank auch brennt, wenn die Tür zu ist. Schnell war die Szene im Kasten und ich wurde zur nächsten Disziplin aufgefordert: „Bau doch mal rasch ‚nen schön vollen Tupper-Tisch auf.“ Das war eine meiner leichtesten Übungen, doch bevor ich in die Tasche greifen konnte, zerrte der Ton-Mann sie aus dem Wohnzimmer hinaus in den Flur. „Is’ schöner, wenn du die Brocken einzeln reinholst“, nuschelte er in seinen Bart. Klar, warum auch nicht? Was am Ende im Zeitraffer spielend leicht aussah, brachte mich arg ins Schwitzen. Immerhin konnte ich noch ein Glas Wasser nehmen, bevor die Gäste klingelten. Die Ankömmlinge wurden eingewiesen, sich doch bitte ganz natürlich zu verhalten. Dabei grabbelte mir die Aufnahmeleiterin wie selbstverständlich unter dem T-Shirt. Sie war mir natürlich lieber als der bärtige Ton-Mann, aber sie hätte ja auch gleich sagen können, dass sie nur das Mikrofon-Kabel verstecken wollte. Die Party begann nach bekanntem Muster: Messer vorgestellt, rumgereicht und anschließend mit den verschiedensten Utensilien etwas Schönes

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zusammengeköchelt. Immer wieder wurde ich durch ein Time-Out-Zeichen von denen, die scheinbar unbeteiligt in der zweiten Reihe standen, unterbrochen. „Ist Tupperware nicht eigentlich nur etwas für Weicheier?“, „warum schicken Sie denn nicht ihre Frau los?“, „Was machen eigentlich Männer auf einer Tupperparty?“ oder „Was sagen ihre Arbeitskollegen dazu?“, mussten sich meine Gäste anhören. Die Intention der Fragen war schnell erkannt: Sat.1 wollte offensichtlich tuppernde Männer bloßstellen. Irgendwann war alles überstanden. Scheinbar hatte niemand bemerkt, dass wir uns alle kannten. Und wie es sich für eine Tupperparty gehört, wechselten nun die Geschenke ihren Besitzer. Das Sat.1-Team ergriff noch vor der Verkostung die Flucht, ich blieb mit der Frage, ob das Machwerk im Privatfernsehen zu frühabendlicher Prime-Time ausgestrahlt würde, alleine. Denn das hatte uns natürlich keiner gesagt und nach der Aufzeichnung erreichte ich auch telefonisch niemanden mehr. Ich hatte meine Seele verkauft – schon wieder - und wusste nicht, was aus dem Rohmaterial werden würde. Ich vermutete eine Taktik, die mich dazu bringen sollte, ab sofort täglich Sat.1 anzuschalten. Das hat jedenfalls funktioniert. Denn in den folgenden sieben Tagen lief bei mir der Privatsender. Unerwartet erblickte ich plötzlich bei einer Anmoderation meinen Kühlschrank von innen. Ein bärtiger Mann steckte seinen Kopf durch die Tür. Huch, das war ja ich – mittlerweile war ich beim Frisör gewesen und hatte den Anblick schon verdrängt. Eilig setzte ich mich auf die Couch.

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Es ging los: Man sah Männer beim Holz-Hacken, Kraftsportler, Fallschirmspringer, BMX-Profis und dann kam ein harter Schnitt zu meinem Wohnzimmertisch mit den Gästen. Schöne MissMarple-Musik zur Untermahlung und eine Geschichtenerzählerin, die das bunte Treiben verniedlichend beschrieb. „Extra für die Männer hat Tim Reckmann Messer ins Programm genommen“, säuselte sie. Wie bitte? Nicht ich, sondern Tupperware höchst persönlich war für das Produktprogramm verantwortlich. Ich hatte die Artikel bloß vorgestellt – und das tat ich doch eigentlich regelmäßig. Jetzt kam das Interview, in dem ich das klarstellen würde. Wäre jedenfalls gekommen, wenn sie es nicht gekürzt hätten: „Die Männer interessiert halt, wie oft der Stahl gefaltet wurde und die Frauen nur, welches Gemüse man damit schneiden kann“, sah und hörte ich mich im Fernsehen sagen. Da hat sich mein bärtiges Ebenbild ja schön zum Horst gemacht. Sicher nicht zuletzt mit der Tatsache, dass bei der Einblendung unter meinem Namen auch irgendeine Beschreibung stehen musste. Daran hatte ich bei den Dreharbeiten überhaupt nicht gedacht. Ich war davon ausgegangen, dass den Profis schon etwas Sinnvolles einfallen würde. Doch der Kreativität der Privatsender schienen in dieser Disziplin kategorische Grenzen gesetzt. „Tim Reckmann – Verkäufer.“ Hatte ich dafür studiert? Vermutlich.

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Ich kann auch anders Scheinbar hatte sich die Angst vor mir in der Zentrale des Kunststoff-Riesens weiter gelegt. Zwar durfte ich nicht zu einem großen Treffen – durfte ich als Mann aber sowieso nie - aber immerhin wurde ich zu einem weiteren Talente-Treffen eingeladen. Dieses Mal sollte ich einen Vortrag über meine Aktivitäten für Tupperware halten. Dabei würde man von mir sicherlich eine professionelle Gehirnwäsche-Predigt erwarten, die rhetorisch bis ins Letzte ausgefeilt sein sollte. Doch das hatte von mir offensichtlich sowieso niemand erwartet. Deshalb wurde ich schon Wochen vorher dringend aufgefordert, mein Manuskript in ausformulierter Form im Zentrum der Macht einzureichen. Niemals hatte ich vor etwas abzulesen. Nur weil ich schon an diesem Buch arbeitete, ließ ich mich darauf ein. So hatte sollten meine Aufzeichnungen später einen würdigen Platz finden. Also gut, aber was befürchteten die Chefs? Dass ich zum Umsturz in der Republik aufrief? Dass ich zur öffentlichen Tupperdosen-Verbrennung anstiftete? Dass ich ein Rudel Beraterinnen aufhetzte, in Frankfurt die Zentrale niederzubrennen? Natürlich hatte ich schon jetzt ein paar blöde Sprüche parat, aber die richtig harten Geschütze würde ich doch nicht beim unschuldigen Tupperware-Nachwuchs auffahren. Dafür würde ich schon höchstpersönlich mit einem Megaphon in die Stadt der Großbanken und Tupperschüsseln fahren, um dort eine Ein-MannDemo zu veranstalten.

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In Baunatal wollte ich mich von meiner besten Seite zeigen und alle mit dem linientreuesten Vortrag aller Zeiten von den Sitzen reißen. Alles, das ich bislang auf diesen Veranstaltungen gehört hatte, waren abgelesene, emotionslose und langweilige Beschreibungen der eigenen Tätigkeit. Sie wurden am Stehpult vorgetragen und die Rednerinnen gaben sich größte Mühe, keine einzige Regung dabei zu zeigen. Daran änderte auch die Möglichkeit nichts, sich während des Vortrags mit einem Sektchen in Stimmung zu bringen. Denn mitfühlend wie sie war, spendierte die Regionaldirektorin, Frau Paul, der Rednerin vor ihrem großen Auftritt ein Getränk. “Sekt oder Selters?“, lautete dabei stets ihre Frage. Die Meisten entschieden sich für das Wasser. Schließlich wollten sie einen guten Eindruck machen. Ein bisschen Sekt hätte allerdings dem einen oder anderen Monolog gut getan. Mir kam es nun nicht mehr auf den guten Eindruck an. Ich nahm das Glas Sekt. Wenn ich mich schon inhaltlich dazu durchrang, im Fahrwasser der Tupper-Flotte zu schwimmen, sollte es sie wenigstens ein Glas Sekt kosten. Nicht nur das. Es ging los: Ausgestattet mit einem Headset-Mikro – mir passte es übrigens - meinem „Ich-mache-FrauenGlücklich“-Shirt und in meinen durchgelatschten Lieblingsschuhen sprang ich auf die Bühne, wo ich erst einmal das Sektchen testete. Ups, schon leer? Folglich waren meine ersten Worte auch „Bitte noch mal vollmachen. Danke!“ Doch dann fiel mir wieder ein, dass ich einen guten Eindruck machen wollte

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und unterdrückte sogar das sich anbahnende Bäuerchen. Schließlich wusste ich ja auch nicht, was Mikrophon und Hallen-Beschallung verkrafteten. Ich begann also ohne Kalauer, um meine Redezeit nicht zu verkürzen. Hier jetzt der eingereichte Wortlaut – frei von blöden Sprüchen und zotigen Anmerkungen. So oder so ähnlich – frei vorgetragen am 31. Mai 2007. Ich kann noch immer nicht glauben, dass ich das aus meiner Feder kam. Liebe Beraterinnen und Berater, bevor ich Ihnen etwas zu Tupperware und meinem ganz besonderen Verhältnis zu bunten Kunststoffbehältern erzähle, möchte ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Tim Reckmann und ich bin seit Ende 2004 bei der Firma Tupperware in der Bezirkshandlung Werl. Ich bin verheiratet und habe ein Kind und leite ein Fotostudio in Hamm. Als ich bei Tupperware anfing war ich weder verheiratet und auch der Nachwuchs war noch nicht in Planung. Sie sehen also, dass neben Tupperware noch reichlich Platz für private Dinge bleibt. Angefangen habe ich auch aus einem ganz einfachen Grund und ich denke, dass viele von Ihnen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Ich suchte eine Dose, in der meine Wurst länger frisch bleibt; Nachdem ich alle möglichen angeblichen NoName-Produkte erfolglos durchprobiert hatte, habe ich mich daran erinnert, dass meine Mama früher auf Tupperpartys war. Ein Klick auf die Homepage von Tupperware und am nächsten Tag folgte der Anruf einer Beraterin. Diese hat nach einer sehr erfolgreichen Vorführung gefragt, wer

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den Lust hätte diese Tätigkeit mal auszuprobieren. Es waren nicht nur die 24 Prozent Provision, sondern auch der so genannte Personalrabatt auf Vorführmuster der mich nicht lange zögern ließ. Was hatte ich zu verlieren. Am längsten habe ich noch überlegt, wo denn der Haken ist, aber ich habe keinen gefunden und so fand ich mich einige Tage später in der Bezirkshandlung wieder. Inmitten zahlreicher Frauen und einiger Männer. Alle hatten das gleiche Ziel - genau wie sie sicher auch! Das waren jedoch nur einige Aspekte, die ich damals schon kannte. In meinen ersten Wochen es war Januar und die größte Tupperparty der Welt - erfuhr ich dann, dass es noch viel mehr gibt, für das es sich lohnt zu arbeiten. Zahlreiche Geschenke, Vergünstigungen und jede Menge tolle neue Produkte. Da zwang sich schon ein Vergleich auf zu anderen Firmen. Wo hat man sonst schon die Möglichkeit seine Arbeitszeiten frei zu bestimmen, 24 Prozent Provision zu bekommen, 40 Prozent Personalrabatt, hochwertige und tolle Prämien-Geschenke bis hin zu Breitling-Uhr, Flachbildschirm oder Reisen in andere Länder. Selbst einen Firmenwagen kann man als Gruppenberaterin bekommen. Wahnsinn! Eine Angst blieb jedoch. Schließlich war ich ja schon berufstätig und somit eigentlich den ganzen Tag voll eingespannt. Würde ich genügend zeit finden für Tupperware? Klar. Wie oft findet man sich vor dem Fernseher wieder oder hat sonst irgendwie Langeweile. Schon öfter als man denkt. Und wie oft muss man zu einer Tupperparty gehen pro Woche? Gar nicht. Müssen tut man gar nichts,

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denn jeder ist selbst dafür verantwortlich, was er oder sie erreichen möchte. Eine Tupperparty in der Woche ist weniger Arbeitsaufwand, als ein Kegelabend. Und man lernt jedes Mal wieder nette neue Leute kennen. Während ich bei Kegelabenden immer draufzahle rechne ich auf dem Rückweg von einer Tupperparty immer rasch aus, was ich an dem Abend denn verdient habe. Gehen wir mal von einer durchschnittlichen Vorführung von 250 EUR aus und ziehen die Beteiligung an den Geschenken ab, so bleiben rund 50 Euro (oder mal an früher denken: 100 DM) übrig. 50 Euro in etwa 2,5 Stunden ergeben einen Stundenlohn von 20 EUR. Für eine Tätigkeit, die mich körperlich sicher nicht so anstrengend, wie zum Beispiel die Arbeit in einem Fast Food Restaurant, bei dem ich knapp über sieben Euro in der Stunde verdiene. So hat es sich ergeben, dass ich in den knapp 125 Wochen, in denen ich bei Tupperware bin auch in 125 Wochen aktiv war und ein Blick in den Computer mir verraten habe, dass ich schon auf über 400 Tupperpartys war. In zwei Jahren habe ich über 1.000 neue Leute kennen gelernt. Es ist ganz unterschiedlich von Woche zu Woche und von Programm zu Programm, wie viele Vorführungen ich halte. Das sind teilweise Wochen mit nur einer Heimvorführung (bei der ich mich dann mit den Verabredungsgeschenken selbst beschenke oder einen Gast zur Gastgeberin erkläre (Kundenbindung!), aber es gibt auch Wochen in denen es deutlich mehr Vorführungen sind. An dieser Stelle möchte ich Ihnen kurz von meinem ganz besonderen Januar 2007 erzählen. Ein Januar, der eigentlich schon viel eher begonnen

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hat. Genau wie sie jetzt, so war ich auch mal auf einem Treffen mit Tupperware. Es war ein Treffen der Region Mitte im Jahr 2005 als gefragt wurde, wie viele Vorführungen man denn für den Januar 2006 gebucht hat. Seltsame Frage dachte ich, denn wir hatten gerade mal Herbst. Was interessiert mich der Januar?! Aber als ich in mein Datenbuch schaute fiel mir schon auf, dass ich tatsächlich einige Buchungen für den Januar schon hatte. Das war mir gar nicht so bewusst, aber auch unsere Gäste wussten, dass es im Januar immer tolle Preise gibt. Damals in 2005 gab es einen SpellDown und die Siegerin hatte eine unvorstellbare Anzahl von Vorführungen, die sie halten würde. Auf die Frage, wie sie das gemacht hätte sagte sie. Es ist doch egal für wann man eine Vorführung bucht. Party ist Party und Umsatz ist Umsatz. Gerade da lohnt sich der Januar für jeden! Tja, warum auch nicht und im letzten Jahr habe ich dann schon im Juni angefangen gezielt die ersten Vorführungen in den Januar zu legen. Es gab auch Gastgeberinnen (und sogar Gäste) die auch explizit im Januar einen Termin haben wollten - das war mir mehr als recht. Und das obwohl ich das Programm überhaupt nicht kannte. Im letzten Herbst stand ich dann oben auf der Bühne und konnte mich über 50 Vorführungen im Januar freuen. 50 Stück in fünf Wochen. Das sind 10 Vorführungen pro Woche und eine Woche hat bekanntlich nur sieben Tage. Was jetzt?! Vorführungen kann man nicht nur abends halten, sondern auch morgens, mittags und nachmittags. In dieser Zeit wusste ich, warum im Datenbuch so viel Platz ist. Alle anderen Aktivitäten (so auch meinen eigentlichen Hauptberuf) habe ich auf ein Minimum zusammengestrichen. Den Sonntag habe

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ich mir für die Familie freigehalten, denn es gibt ja auch wichtigeres als Tupperware. An den anderen Tagen war ich unterwegs. Ganz wichtig dafür war für mich, dass ich mir vorweg einmal Gedanken gemacht habe und mich mit dem Programm auseinander gesetzt habe. Was stelle ich vor und wie stelle ich es vor. Es gibt unterschiedliche Zielgruppen und unterschiedliche Interessen. So hatte ich drei Versionen: Familie mit Kindern, Single-Haushalt und Newcomer (das sind die Personen, die noch keine oder kaum Tupperware haben). Auch im Januar wollte ich nicht darauf verzichten Erlebnispartys zu machen, aber die Vielfalt der gezauberten Köstlichkeiten hielt sich doch sehr in Grenzen. War aber egal, denn keinen Gast interessiert, was ich auf einer anderen Vorführung koche. Hier kommt noch ein wichtiger Punkt hinzu. Wenn man mehrere Vorführungen am Tag halten möchte, dann muss zu Hause alles Hand in Hand gehen. Ich habe das besondere Glück, dass meine Frau mir geholfen hat die Utensilien von der ersten Vorführung zu spülen. Als ich dann von der zweiten Vorführung nach Hause kam konnte ich die erste Tasche wieder einpacken, um zur dritten Vorführung zu fahren. Sicher ein Extrembeispiel, aber so war es möglich für mich im Januar 66 Vorführungen zu halten. Dafür wurde ich mit mehreren Tausend Euro Provision belohnt und allein an Wettbewerbspreisen hatte ich Ende Januar eine Kitchen-Aid-Küchenmaschine, einen Video-Beamer und ein Dell-Notebook. Dafür hat sich der Einsatz in jedem Fall gelohnt.

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Warum ich Ihnen das erzähle: Ganz einfach; wenn ich das kann, dann können sie das auch. Ich habe in der Familie angefangen zu tuppern, dann im Freundeskreis, dann im Freundeskreis der Freunde und so weiter. Wichtig für mich war immer nicht nur auf die Gastgeberin zu schauen, sondern auch die Gäste anzusprechen, ob sie nicht auch einmal Lust hätten, sich beschenken zu lassen. Wer sagt da schon nein. Eigentlich niemand. Es werden nur immer Argumente vorgeschoben, weil sich viele Personen unsicher sind. Die größte Unsicherheit liegt darin, dass viele Angst haben nicht genügend Gäste zusammen zu bekommen. Hier kann ich sie beruhigen. In der Regel haben die Vorführungen, die ich halte nur zwischen fünf und sieben Gäste. Warum nicht mehr? Warum denn? Stellen wir uns eine Vorführung mit 25 Gästen vor. Echtes Interesse an Tupperware haben höchstens 20 Personen. Die 5 anderen unterhalten sich und lenken andere Personen ab. Es kommt zu einer Unruhe und ehemals kaufwillige Personen verlieren die Lust. Auf kleinen Tupperpartys kann sich niemand verstecken. Man kann davon ausgehen, dass alle Personen Interesse haben. Es findet ein Austausch statt und die Beraterin kann auf alle Sonderwünsche eingehen. In jedem Wohnzimmer ist für fünf Personen Platz und man muss nicht das Gefühl bekommen, dass man auf einer Uni-Vorlesung ist. Bleibt nur die Frage, was man vorstellen soll und wie man es präsentiert. Schließlich muss man ja auch mit den Vorurteilen aufräumen und alles sollte nach möglich interessant präsentiert werden. Wichtig dabei finde ich, dass sie sich nicht verstellen. Was meinen Sie, wie ich auf eine

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Vorführung gehe. In Schlips und Kragen. Ganz sicher nicht, denn es kommt nicht auf mich an, sondern auf das Produkt und das Produkt ist gut. Wenn die Wurstverkäuferin keine Blondine mit Modellmaßen ist, dann stört mich das ja auch nicht. Wichtig ist, dass man Ahnung hat von dem was man erzählt und da unterscheide ich mich auch nicht in dem was ich sage, von dem, was Sie über die Produkte erzählen. Sie möchten Beispiele – Bitteschön … (… und Dankesschön. Die erkläre ich hier im Buch nicht noch einmal, aber ich habe natürlich fleißig mit allen zur Verfügung stehenden Brocken ordentlich herumgewirbelt. Muss ja auch was fürs Auge sein …) Mal ehrlich - habe ich etwas anderes gesagt, als Sie auf Ihren Vorführungen? Wenig denke ich. Machen Sie sich Vorurteile zunutze. Stellen sie auch jetzt noch die Messer vor. "Die sind aber teuer!" - Ja. Und wer sie in den letzten Wochen nicht gekauft hat, der wird in den nächsten Wochen auch in den seltensten Fällen das Kreuz bei K22 für 450 EUR machen. Kein Grund den Preis nicht mehr als einmal zu erwähnen. Halten Sie das Preisniveau hoch, dann verkauft sich der Ultra für knapp 80 EUR wie von selbst und wem dieser auch noch zu teuer ist, der kann sich bei Combi Plus wie im Baukasten-Prinzip Produkte nach eigenem Geldbeutel zusammenstellen. Sollte das Budget erschöpft sein - auch kein Problem; bestes Argument zu buchen, denn auf der eigenen Vorführung können sich die Gäste dann beschenken lassen. Interessant ist auch

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immer ein Preisvergleich von Zigaretten und Benzin mit dem Preis von Tupperware. 50 Euro Umsatz pro Gast sind also eigentlich kein Problem und bei nur fünf Gästen wären wir wieder bei 250 Euro. Bei zehn Gästen könnt es 500 Euro sein (100 für Sie - ohne mehr Aufwand). Und wenn sie Tupperpartys mit 500 Euro Umsatz haben, dann wären es nur sechs Vorführungen, um mit auf das Rendezvous der Regionen – auf das große Treffen nach Berlin zu fahren. Gehen wir von zwei Vorführungen pro Woche aus, dann wären das nur drei Wochen. Sie haben aber noch etwas mehr Zeit und da bleibt noch Spielraum für mehr. Natürlich kann auch immer mal eine Vorführung ausfallen, aber Sie haben es in der Hand –zum Beispiel mit einer Heimvorführung. Berlin würde ich mir nicht entgehen lassen. Das muss mit reichlich Spaß verbunden sein, wenn man uns Männer schon ausschließt (aber wir haben auch Spaß in Berlin beim Quadfahren!) Schlussendlich noch das Wichtigste. Leben sie Tupperware. Tupperware wird nicht besser, wenn sie bei Ihnen in der Tasche schlummert. Benutzen Sie die Tupperware. Benutzen Sie sie zu Hause, nehmen Sie Salate oder Kuchen für Partys in Tupperware mit. Immer wenn jemand Tupperware bei Ihnen sieht oder wenn Sie Tupperware bei jemand anderem sehen, können sie ganz unverbindlich as Gespräch darauf bringen. Wenn Sie von dem Produkt überzeugt sind und auf dem Gemeindefest eine Frau mit einer Kuchenform sehen, dann fragen sie doch einfach mal, ob Sie noch zufrieden ist mit ihrer Tupperware. Wird sie sein, aber das Gespräch ist beim Thema und in vielen Fällen stellen sie fest, dass diese Frau gar

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keine Beraterin mehr hat. Vielleicht möchte sie auch eine eigene Tupperparty machen. Vielleicht haben Sie zufällig einen Haushaltshelfer in der Tasche. Überzeugen Sie mit Argumenten und kleinen Geschenken und machen Sie Leuten eine Freude. Das geht immer und überall. So habe ich vor kurzem an einem Bahnübergang wo man den Schrankenwärter noch anrufen muss eine Verabredung mit diesem getroffen. Die Vorführung war jetzt und hatte einen Umsatz von fast 600 EUR. Warum? Ich sagte dem Mann: "Wie lange muss ich noch hier stehen? Ich muss zu einer Tupperparty." So kam das Gespräch darauf und ich bin sicher Sie finden auch zahlreiche Gelegenheiten. So. Jetzt bin ich fertig. Ich schaue mal ob das Personal hier von der Stadthalle schon eine Beraterin hat, oder ob ich da noch Chancen habe. Tschüss. Schon während der letzten beiden Absätze hatte die Regionaldirektorin um mich herumgeschwänzelt und würgte mich schließlich mit den Worten ab: „ausgedruckt sah das aber viel kürzer aus – da war ich in fünf Minuten mit durch“. Obwohl ich die Redezeit um flockige 15 Minuten überschritten hatte, flogen mir unzählige Glückwünsche nach meinem „sehr interessanten“ und „kurzweiligen“ Vortrag zu. Scheinbar hatte sich niemand gelangweilt – und das, obwohl das Essen schon längst im Foyer gewartet hatte. Ich war stolz auf mich. Ich war eine Super-Tupperberaterin – jawohl! Erzählen, was alle hören wollen und irgendwann auch selbst daran glauben. Vielleicht klappt das ja doch noch. Selbst beim Verfassen dieser Zeilen überkam mich das

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wohlige Gefühl „Everybodys Darling“ zu sein. Doch je länger ich jetzt wieder über den Inhalt meines Vortrages nachdachte, umso abenteuerlicher erschien er mir – genauso wie meine Zeit bei Tupperware. An dieser Stelle möchte ich das Kapitel mit den Worten eines großen Denkers unserer Zeit beenden: “Alles für den Dackel – alles für den Club!“

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Wir fahren nach Berlin Nein, es geht nicht um Fußball, sondern um eine Reise mit Tupperware. Ja, auch Männer dürfen verreisen. Natürlich isoliert von den Beraterinnen. Auf die Gründe werde ich an dieser Stelle nicht noch mal eingehen, denn die Freude, dass man auch uns Männer gelegentlich beachtete, soll hier im Vordergrund stehen. Die Qualifikation für diesen Ausflug ist weitaus schwieriger zu erreichen als die für die FrauenReisen. Trotzdem traf im Frühsommer 2007 von knapp 20 Männern im Berliner Estrel-Hotel ein. Zum Vergleich: Auf den Reisen der Frauen sind mehrere hundert oder sogar über tausende Teilnehmerinnen vor Ort. Dort warteten wir auf den Rest unserer Gruppe. Auch wenn von ihnen niemand ein Tupperware-T-Shirt trug, so waren viele Mitreisende eindeutig als Beraterin zu erkennen. Einer von ihnen stolzierte sogar mit seinem Beauty-Case in die HotelLobby. Zur Klarstellung: ich bin heterosexuell und fühlte mich in der Runde der zum größten Teil in gleichgeschlechtlichen Beziehung Lebenden absolut nicht unwohl. Da noch etwas Zeit bis zum offiziellen Empfang blieb, nahmen wir unsere Zimmer in Augenschein. Dass es ausschließlich Einzelzimmer gab – anders als bei den Frauenreisen - lag sicher nur an der Anzahl der Personen. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Auf dem Bett lag ein hellblaues Polohemd und eine blaue Windjacke mit aufgesticktem TupperwareLogo. Mit dieser Uniform sollten wir also auch nach

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außen als Gruppe zu erkennen sein. Eine Gruppe, die als erstes Ziel die Cocktail-Bar hatte, wo uns der stellvertretende Geschäftsführer in Empfang nahm. Ein bisschen Alkohol, ein bisschen Small-Talk und man schickte uns zurück auf die Zimmer. Dort sollten wir uns so herausputzen wie es sich für einen ordentlichen Vertreter gehörte. Irgendwie erinnerte mich das alles stark an eine Klassenfahrt. Anzug, Schlips und Kragen – alles vorbereitet für ein feierliches Gala-Dinner. Wieder einmal gab es kleine Geschenke und die besten Berater wurden ausgezeichnet. Ausgezeichnet war übrigens auch das Menü. Auch an diesem Abend gab es nicht nur alkoholfreie Getränke. Im Gegensatz zu den Frauenreisen, ging hier allerdings alles auf Kosten des Hauses, daher wurde kräftig zugelangt. Auch ich prostete den Beraterinnen fleißig zu. Schließlich wollte ich den anstehenden Musical-Besuch unbeschadet überleben. Im Gegensatz zu mir freuten sich meine Mitstreiter darauf wie kleine Kinder. Ich würde es ertragen müssen. Auf dem weiteren Programm des Wochenendes standen ein Aktionstag mit einer Quad-Tour durch ein altes Bunker-Gelände am Rande von Berlin sowie einer Einführung in die Kunst des Bogenschießens. Zusammen mit einem zünftigen Mittagessen war das ein durchaus gelungener Tag bei durchwachsenem Wetter. Zwar hatte ich mir statt der gemäßigten Quad-Fahrt, bei der wir aber auch wirklich jeder Pfütze ausgewichen, ein bisschen mehr Action gewünscht. Aber wohl nicht jeder hätte die MatschFlecken auf seiner Kleidung verkraftet. Abends gab es in einem alt erwürdigen Keller einen feinen kulinarischen Abschluss. Dabei kam ich auch mit den „hohen Tieren“ ins Gespräch. Es wurde aus dem

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Nähkästchen geplaudert. Die Herren aus der Führungsetage achteten allerdings penibel darauf, die Distanz zu uns Beraterinnen zu wahren. Genauso war es bei der abschließenden Dampferfahrt über die Spree am letzten Tag. Auch hier stand wieder die kulinarische Unterhaltung im Vordergrund. Selbst längere Gespräche kamen nicht über den inhaltlich flachen Smalltalk hinaus. Die meisten Unterhaltungen drehten sich ausschließlich – welch Überraschung um die bunten Kunststoffteilchen der Firma Tupperware. Mich erschrak, dass sie viel zu oft das Leben dieser Menschen bestimmten. Die mitgereiste FührungsEtage wurde unterdessen nicht müde, zu erwähnen, wie viel man sich doch solche Männer-Reisen kosten ließ. Angeblich investierte das Unternehmen hierbei viel mehr pro Person als bei vergleichbaren FrauenUnternehmungen. Machte sich da etwa ein schlechtes Gewissen breit? Bewusst hob man uns Berater auf einen Sockel, um uns so bei Laune zu halten. Einigen schien das zu gefallen, aber es gab neben mir auch ein paar Personen, die lieber mit den Frauen unterwegs gewesen wären. Dass es so etwas allerdings auf absehbare Zeit nicht geben würde, versicherte man uns mehrfach. Dieses Mal lautete die Begründung, dass es einfach zu wenige Männer gäbe, die sich für diese Reisen qualifizierten. Die weitaus anspruchsvollere Qualifikation und der verschwindend geringe Männer-Anteil im Vergleich zu den Frauen wurde bei dieser MilchmädchenRechnung einfach ausgelassen.

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Ebay ist böse Ja, es geht um Online-Auktionen. Tupperware ist nämlich keineswegs - wie oft angenommen - nur auf Partys oder in den wenigen, kleinen TupperwareLäden erhältlich. Denn das Internet hält im größten Marktplatz der Welt so gut wie alles bereit. Warum sollte dort also Tupperware fehlen? Auch dort war die Resonanz riesig. Das Wort „Tupperware“ gehörte bei Ebay damals zu den fünf am häufigsten gesuchten im Online-Auktionshaus. Kein Wunder also, dass es dort permanent zwischen 15.000 und 20.000 Artikel gibt. Es existierte sogar eine eigene Produktkategorie mit zahlreichen Untergruppen. Das stand absolut im Widerspruch zu einer der größten Todsünden, den eine Beraterin begehen konnte. Zahlreiche Horror-Geschichten über den „unredlichen“ Handel wurden uns Montag für Montag erzählt. Angefangen bei der Beraterin, die kurz vor dem Rentenalter stand und zu Hause ausmistete. Dabei hatte sie für nur einen Euro einen Kühlschrankmagneten versteigert, den sie bei Tupperware geschenkt bekommen hatte. Grund genug, sie beim wöchentlichen Meeting ins Büro zu zitieren. Die Kündigung folgte. Immer wieder wurde in diesem Zusammenhang von einer Geldstrafe berichtet. Angeblich hatte die Beraterin 500 Euro für die „Veräußerung von Tupperware außerhalb von Partys“ zahlen müssen. Obwohl sich die ältere Dame über Jahre an alle Regeln gehalten haben soll und sie neben der Tätigkeit für Tupperware vermutlich kaum Einkünfte hatte, blieb man hart. Sie war raus.

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Solche Geschichten machten die Runde, auch wenn sie nicht laut ausgesprochen wurden. Von Zeit zu Zeit erhob auch die Bezirkshändlerin bei diesem Thema mahnend den Zeigefinger. Dabei wurden Zeitungsartikel verteilt, in denen eine Beraterin von einem Gericht zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie Tupperware bei eBay angeboten hatte. So stand es zumindest in der Überschrift, bei der die Beraterinnen auch wunschgemäß zusammenzuckten. Bei genauerer Betrachtung konnte man allerdings lesen, dass sie nur verurteilt worden war, weil sie die verkauften Artikel nicht ausgeliefert hatte. Ein schlichter Fall von Betrug wie er auch beim Verkauf von Legosteinen oder Porzellanpuppen behandelt worden wäre. Erstaunlich, dass trotz dieser Storys immer noch eine riesige Anzahl an Produkten im Internet zu finden ist. Handelt es sich dabei wirklich ausschließlich um benutzte Schüsseln, die einen neuen Besitzer finden sollten? Keineswegs. Denn mehr als die Hälfte der Artikelbeschreibungen trägt den Vermerk „neu“ oder „originalverpackt“. Auch aktuelle Produkte kursieren schon, noch bevor sie auf den Tupperpartys angeboten werden. Ich stelle die kühne Vermutung auf, dass es sich vermutlich um Beraterinnen handelt, die auch im Netz Umsätze machen. Woher die von Tupperware angebotenen Siegprämien der internen Wettbewerbe kamen, ehe sie von der Bezirkshändlerin verteilt wurden, darüber mag ich gar nicht nachdenken … Ebay ist wirklich ein guter Platz, um Tupperware zu kaufen. Schaut man sich die endgültigen Gebote der Auktionen an, so liegen sie deutlich unter den von Tupperware vorgeschriebenen Verkaufspreisen.

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Wenn man nun allerdings berücksichtigt, dass eine Beraterin etwa ein Viertel des Listenpreises als Provision erhält, erklärt sich, warum hier dennoch niemand draufzahlt. Bleibt die Frage offen, warum sich Beraterinnen trotz des kaum vorhandenen Gewinns dennoch die Arbeit machen, Auktionstexte zu schreiben und die Artikel zu fotografieren? Tupperware mahnte übrigens auch rigoros alle ab, die Fotos aus dem Katalog oder von der offiziellen Webseite verwenden. Auch hier wage ich mich, eine Vermutung in den Raum zu stellen: Die viele Arbeit und der - wenn überhaupt - geringe Gewinn hat scheinbar nur eine Motivation, Wettbewerbe zu gewinnen. Ziele sollen Motivation sein und sind deshalb so hoch, dass ein Erreichen oftmals schwierig ist. Tupperware ist – selbst nach Abzug der Provision – teuer. Also scheidet für viele die Möglichkeit, selbst Schüsseln für die eigene Bilanz zu kaufen, aus. Ohne dabei Minus zu machen, wandern diese „durchlaufenden Posten“ also neu und originalverpackt ins Online-Auktionshaus. Tupperware verbietet Ebay auf der einen Seite und animiert seine Beraterinnen auf der anderen Seite durch zahlreiche Umsatz-Wettbewerbe so viele Dinge zu kaufen, dass sie auch irgendwie Abnehmer finden müssen. Ganz nebenbei bemerkt: Wenn Tupperware es wirklich unterbinden wollte, dass Artikel bei Ebay versteigert werden, dann würde ich es einem Weltunternehmen durchaus zutrauen, dieses Vorhaben auch durchzusetzen. Bei bis zu 20.000 Auktionen die man permanent im Netz findet, müsste es doch eigentlich viel mehr Fälle von

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Abmahnungen und Kündigungen geben und selbst die wenigen Geschichten, die man hört sind so abstrus, dass man sich überlegt, ob dir Firma Tupperware überhaupt ernsthaft den Online-Vertrieb verbieten möchte. Eines ist doch klar: selbst wenn die Beraterin ihre Produkte bei Ebay ohne Gewinn verkauft, so verdient das Unternehmen Tupperware dadurch nicht einen Cent weniger. Warum der Verkauf sämtlicher Plastikschüsseln offiziell untersagt ist, weiß nur das Unternehmen selbst. Allerdings ist es einer Beraterin nur so lange verboten, wie sie für das Unternehmen tätig ist. Dass muss sie zu Beginn der Zusammenarbeit mit Tupperware auch in einer entsprechenden Vereinbarung unterschreiben. Die Tätigkeit für Tupperware ist eine „selbständige Tätigkeit“ und mit einer Gewerbeanmeldung verbunden. Kann man denn wirklich von Selbständigkeit sprechen, wenn über den Vertriebsweg nicht frei entscheiden kann? Als ich meine Tätigkeit begonnen hatte wurde ich darauf hingewiesen, dass selbst meine angefertigten Kugelschreiber mit dem Aufdruck „Lust auf eine Tupperparty?“ nebst meiner Telefonnummer nicht gestattet waren. Ebay ist böse und das große, weite Internet sowieso. Die Online-Welt ist nicht kontrollierbar. Auch nicht für Tupperware. Andere Unternehmen – solche, die ein ernsthaftes Interesse hatten den Online-Vertrieb zu unterbinden – haben sich mittlerweile mit dem Auktionshaus verständigt und zumindest die Löschung der Produkt-Kategorie erreicht. Tupperware nicht.

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Das Ende nach drei Jahren Nach drei Jahren hatte ich mehr oder weniger feste Ansprechpartner bei Tupperware. Nicht nur in der Bezirkshandlung, sondern auch in der DeutschlandZentrale in Frankfurt. Grund genug für ein paar persönliche Weihnachtsgrüße. Da ich ohnehin noch ein paar wichtige Fragen hatte, entschied ich mich, dort anzurufen, um noch ein paar Worte zu wechseln. Da Durchwahlen im Zentrum der Macht ein gut gehütetes Geheimnis sind, tippte ich die Nummer der Telefonzentrale in mein Handy ein und hatte nach kurzer Wartemelodie auch jemanden am anderen Ende der Leitung. Ich sagte, wen ich sprechen wollte und wurde kurze Zeit später auch schon verbunden. Allerdings nicht – wie ich erhofft hatte – mit Frau Paul, meiner Regionaldirektorin, sondern mit einem mir unbekannten Mann. Er hatte eine recht junge Stimme. Ich vermutete, dass es ein Azubi oder Praktikant wäre, der zur Weihnachtszeit Telefondienst machen musste. Seinen Namen habe ich vergessen, weil er mir auch nicht sonderlich wichtig erschien. Aber besagter Praktikant sollte schließlich dafür verantwortlich sein, dass ich heute in der Vergangenheitsform von meiner TupperwareTätigkeit spreche. „Was wollen Sie?“ wurde ich angegrummelt. Die Person am anderen Ende war vermutlich genauso im Weihnachtsstress, wie ich es war. Ich fragte, ob ich bitte verbunden werden könnte. Sehr überrascht war ich, als die Person nicht nur meinen Namen wiederholen konnte, sondern scheinbar noch mehr über mich wusste „Herr Reckmann, meinen sie nicht, dass sie dem Unternehmen schon genug Ärger gemacht haben?“ blubberte er. In dem Moment

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verdrehte ich die Augen und setzte mich gerade auf meinen Stuhl. Hatte ich diesem Menschen irgendetwas getan? Ob er mich verwechselte? Ich dachte, die Vergangenheit wäre bereits abgeschlossen. „Was wollen sie denn dieses mal? Können sie sich nicht einmal darauf beschränken gute Umsätze zu machen. Dafür sind sie schließlich da“ redete er hektisch weiter. „Waaaas?“ Vermutlich habe ich einige seltsame Laute von mir gegeben, denn der ungeduldige Jungspunt fragte gestresst nach: „Gibt es sonst noch etwas?“ Nein. Es reichte mir völlig. Ich hatte genug gehört und ich musste kurz nachdenken. Umsatz machen war gut. Aber telefonieren mit der Absicht ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen war böse. Komische Welt. Ich war erst einmal so irritiert und auch verärgert, dass ich auf Tupperware von einem Moment auf den nächsten keine Lust mehr hatte. Der Januar und die „größte Tupperparty der Welt 2008“ standen bevor und meine über 60 gebuchten Tupperpartys schienen mir plötzlich nicht mehr wichtig. Ohne lange nachzudenken nahm ich den Telefonhörer erneut und rief eine Bekannte an, die ebenfalls Tupperware-Beraterin ist, um ihr postwendend einige der Party-Adressen zu geben. Ich hatte keine Lust mehr. Tupperware fühlte sich von diesem Moment komisch an. Ich wollte nicht mehr die Kuh sein, die man nur molk und nicht streichelte. Ich nahm mir eine Auszeit. Die erste nach knapp drei Jahren. Drei Jahre lang hatte ich in jeder Woche mindestens eine Tupperparty gehalten. Egal ob ich krank war, Urlaub hatte oder sonst irgendetwas war.

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Hochzeit und die Geburt meines Sohnes war kein Hindernis. Dieses Telefongespräch schon. Es war durchaus entspannend über die Weihnachtstage nicht bepackt mit Taschen und Kunststoffschüsseln das Haus zu verlassen. Kurz entschlossen flog ich ein paar Tage in die Karibik und verschwendete keinen Gedanken an Umsätze. Im neuen Jahr und gut ausgeruht wollte ich mich jedoch nicht damit anfreunden, nach ca. 500 Vorführungen alles hinzuwerfen. Nur weil ich in ein Telefonat vielleicht zu viel hineininterpretiert hatte. Grund genug noch einmal in Frankfurt anzurufen. Dieses Mal legte ich besonderen Wert darauf, dass ich einen Ansprechpartner bekam, den ich kenne und obwohl die Januarwochen in Frankfurt sicher genauso stressig waren, wie sie es sonst für mich als Beraterin waren, hatte ich Erfolg. Es war zwar nicht meine Art, aber ich wollte mich über das Verhalten dieses vermeintlichen Praktikanten ein bisschen ausheulen. In Erwartung besänftigender Zustimmung lauschte ich gespannt, was mein Gesprächspartner zu sagen hatte: „Er hatte doch recht. Sie haben uns schon reichlich Unannehmlichkeiten gemacht. Wie ich gehört habe, hatten Sie auch schon seit ein paar Wochen keine Tupperparty mehr gehalten. Wo bleiben Ihre Umsätze?“ Ich hatte genug gehört. „Okay, ich habe verstanden“, hauchte ich fast sprachlos in den Hörer. Seit diesem Tag habe ich keine Tupperparty mehr gehalten. Mein Umsatz während der größten Tupperparty der Welt 2008 blieb bei 0,00 Euro und ich nehme die Schüsseln nur noch zum Kochen und

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frischhalten in die Hand. Das Produkt ist schließlich gut. Mit dem Thema Tupperware habe ich einstweilen abgeschlossen, allerdings warte ich bis zum Tag der Veröffentlichung dieses Buches noch auf ein Abendessen mit der Regionaldirektorin, dass ich im Sommer 2007 in einem Wettbewerb gewonnen hatte und das bis zum heutigen Tag nicht eingelöst wurde. Beim Thema Essen hört der Spaß bei mir auf …

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