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Tautenburger Sternwarte und Planetenpfad

Fortsetzung der Serie: Das Landratsamt Saale-Holzland-Kreis stellt vor Tautenburger Sternwarte und Planetenpfad

Der Bergfried der einst, im 12. Jahrhundert von einem Adligen namens Tuto angelegten Tautenburg überragt die Wipfel der Bäume auf der Höhe über dem Dorf. Er verblieb als Rudiment der um 1780 abgetragenen Burg, die in alter Zeit mit ähnlichen Vesten die alte Heerstraße zwischen Altenburg und Erfurt beherrschte. Die Abrisssteine, von Frönern durch die Senke nach Frauenprießnitz gekarrt, dienten den damaligen Schenken von Tautenburg als Baumaterial für das dortige Rentamt. Der ausgedehnte, gehölzartenreiche Tautenburger Wald und die „frische Waldesluft“ lockte bereits Ende des 18. Jahrhunderts Sommerfrischler und Erholungssuchende aus ganz Deutschland hierher. Zu den illustren Gästen zählten neben dem Adel der Philosoph Friedrich Nietzsche, der Verleger Eugen Diederichs, der Humorist Georg Böttischer, Vater des skurrilen Dichters Joachim Ringelnatz, die Komponisten Friedrich Liszt und Max Reger, der Jugendstilkünstler Henry van de Velde, James Krüss, Verfasser von „Tim Taler“, sowie die Schriftstellerinnen Ricarda Huch, die Ende des 2. Weltkriegs von Jena hierher zog, und Lou Andreas Salomé. Die klare Luft, die nicht von „Lichtverschmutzung“ erhellte Dunkelheit und die Nähe der ZeissWerke bildeten die Voraussetzungen für den Bau des Karl-Schwarzschild-Observatoriums im Tautenburger Forst. Schwarzschild, ehemaliger Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam, befasste sich auf der Basis von Einsteins Relativitätstheorie mit dem Werden der Fixsterne und ihrem Verschwinden in „Schwarzen Löchern“. Die mit einem neuartigen 2-m-Universalspiegelteleskop ausgerüstete größte Sternwarte der DDR öffnete am 19. Oktober 1960 ihre Pforten. Mit einem „gewaltigen optischen Instrument, … das in seiner Vollkommenheit und Leistungsfähigkeit, in seiner ‚Jenaer Präzision‘, weltweit einzigartig dasteht“, so Forschungsratsvorsitzender Professor Thiessen zu diesem Anlass. Am 16. November 1960 wurde die erste Photoplatte belichtet. Von 1962 an arbeitete das Observatorium unter einem gesamtdeutschen Kuratorium als selbständige Einrichtung der Akademie der Wissenschaften der DDR. Ab 1969 gehörte es zum neugegründeten Zentralinstitut für Astrophysik, das 1991 mit der AdW aufgelöst wurde. Gleichzeitig bekam die Sternwarte auf Empfehlung des Wissenschaftsrates als Einrichtung des öffentlichen Rechts den Status der Thüringer Landessternwarte. Damit begann eine Phase der Neugestaltung des Instituts, der schrittweisen Modernisierung des Universalteleskopes und seiner Zusatzeinrichtungen, ergänzt durch ein kleineres automatisiertes Teleskop TEST. 2010 konnte die Landessternwarte die Tautenburger Station des europaweiten modernen Radioteleskopnetzes LOFAR einweihen. So blieb die Thüringer Landessternwarte unter neuem Namen eine international anerkannte Forschungsstätte, die mit wissenschaftlichen Institutionen in vielen Ländern zusammenarbeitet. Das ermöglicht ihren Mitarbeitern, auch 22

deren Anlagen für „einem Blick“ in die unendlosen Weiten des Alls zu nutzen. Beispielsweise die 8-m-Teleskope der Europäischen Südsternwarte in Chile, in der klaren, lichtsmogfreien Luft, auf bis zu über 5000 m hohen Plateaus der Kordilleren. Um dem Standort Tautenburg die gebührende Ehre zu erweisen, erhielt ein 1973 entdeckter Planet den Namen des Dorfes. Ernsthaft an Sternwarte und Weltall Interessierte können zum Tag der offenen Tür und zu öffentlichen Veranstaltungen im Observatorium vorbeischauen, oder eine Führung buchen. Jedermann kann aber ebenso ganz individuell sein astronomisches Wissen auffrischen und erweitern. Dank einer glänzenden Idee, die der Tautenburger Verschönerungsverein 1880 e.V. und die Mitarbeiter der Sternwarte im Tautenburger Wald verwirklichten – dem Tautenburger Planetenpfad. Ein etwa acht Kilometer langer barrierefreier Wander- und Radwanderweg durch herrlichen Mischwald, der nacheinander zu kunstvoll-sachlich gestalteten Stelen, die jeweils ein Modell aller Planeten des Sonnensystems tragen und ausführlich über sie und weitere besondere Himmelserscheinungen Auskunft geben. Ein lehrreicher Pfad, verbunden mit einem wunderbaren Naturerlebnis, besonders im Frühling, wenn der Wald sich zartgrün verschleiert zeigt, oder im Herbst in aller Farben Pracht. „Planetenpfade gibt es schon andernorts. Das Spezielle unseres Tautenburger Planetenpfades besteht darin, dass er die Himmelskörper im Maßstab 1 : 1 000 000 000 abbildet und der ausgedehnte Forst es uns gestattete, auch die Abstände der Planeten zueinander im gleichen Maßstab darzustellen. Ein Meter auf dem Pfad entspricht also einer Million Kilometer im Weltraum. In ‚astronomischer‘ Maßeinheit rund dreieinhalb ‚Lichtsekunden‘, die ein Lichtstrahl zur Bewältigung dieser Strecke benötigt. Und die Erdkugel wirkt da ziemlich winzig auf ihrer Stele, gerade mal so groß wie eine Erbse“, stellt Dr. Eike Guenther das Besondere des „TTP“ heraus. Unvorstellbare Dimensionen, zumal dem Menschen ja ein Sensor für Geschwindigkeit fehlt. Und angesichts der winzigen „Erderbse“ im großen Tautenburger „Waldall“ drängt sich schon die Frage nach der Bedeutung der Erde im Universum auf, auf der auch noch törichte Wesen leben, die wider besseres Wissen die Anpassung an ihre Umwelt als Überlebensprinzip negieren. Der mit „TTP“-Signum markierte Pfad beginnt im Hebetal an der Sonnen-Stele, führt noch in der Ortslage an den Stelen mit Merkur, Venus, Erde und Mars vorbei über „An der Bastei“ zum Asteroidengürtel, biegt links in die Lindenstraße ein und führt unterhalb der Tautenburgruine entlang der leicht ansteigenden Zufahrtstraße zur Sternwarte zum Kuipergürtel. Mit einer Spitzkehre wendet sich der Weg gen Osten, passiert die Zwergplaneten und das Observatorium, dann den Neptun. Nach einer weiteren Spitzkehre an einer Rasthütte, wo eine Stele über Weltraumbeobachtung und Raumfahrt informiert, führt der TTP an Uranus, Saturn und Jupiter zurück zur Sonne. Nach dem langen Marsch mit Wissen gesättigt, aber hungrig und durstig, kann der Wanderer diesen Mangel im Gasthaus „Zur Tautenburg“ beseitigen. Gleich gegenüber und auf der Erde. Wilhelm Schaffer Thüringer Landessternwarte | Sternwarte 5 | 07778 Tautenburg Telefon 036427 8630 | www.tls-tautenburg.de

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