Veränderung von fachspezifischen Überzeugungen und Unterrichtsskripts im Sachunterricht durch Weiterbildung Thomas Balmer
1. Einleitung und Fragestellung Der aktuelle Lehrplan für die Volksschule des Kantons Bern (Kanton Bern, 1995) akzentuiert für den schulischen Lernbereich des Sachunterrichts eine didaktische Ausrichtung kognitiv-konstruktivistischer Prägung und schaffte ein Integrationsfach Natur-Mensch-Mitwelt (NMM), das an die Stelle des Heimatbzw. Sachunterrichtes in der Primarschule tritt. Mit Erscheinen des Grundlagenbandes „Lernwelten“ (Adamina & Müller, 2000) und den ersten thematischen Lehrmitteln wird eine Reihe gestartet, welche die curricularen Veränderungen aufnimmt. Das Institut für Weiterbildung der Pädagogischen Hochschule Bern konzipierte Weiterbildungskurse zur Einführung in das Lehrund Lernverständnis der Lehrmittelreihe. Die Hauptfrage der Studie lautet, inwiefern es durch die Weiterbildung gelingt, das professionelle Wissen von Lehrpersonen im Fach NMM so zu verändern, dass sowohl Vorstellungen über das fachspezifische Lehren und Lernen als auch das Handeln im Unterricht vermehrt Elemente der durch das Curriculum intendierten didaktischen Aspekte aufweisen. 2. Theoretischer Hintergrund Die Expertiseforschung gibt Hinweise darauf, dass dem unterrichtlichen Handeln steuernde Kognitionen zugrunde liegen. Der Studie liegt eine Modellierung dieser Kognitionen gemäss dem Konzept des fachspezifischpädagogischen Wissens (Pedagogical Content Knowledge PCK) als fachdidaktischen Kern des unterrichtsbezogenen professionellen Lehrerwissens zu Grunde. Wir beziehen uns dabei auf eine Differenzierung von Magnusson et al. (1999), wobei auf drei Elemente fokussiert wurde: (i) Orientierungen gegenüber dem Lehren des Faches, (ii) Wissen und Überzeugungen bezüglich entsprechenden didaktisch-methodischen Lehrstrategien, (iii) Wissen und Überzeugungen bezüglich des Verstehens der Schülerinnen von bestimmten Fachthemen.
Der Auf- und Ausbau des PCK ist auf den Unterrichtskontext angewiesen, weshalb insbesondere die Weiterbildung ein Ort seiner Entwicklung sein kann. Als wirksam zur Entwicklung des Wissens hat sich unter anderem der Conceptual Change Ansatz erwiesen (De Jong, Korthagen & Wubbels, 1998). Unser Fokus liegt auf Überzeugungen („Beliefs“), die sich vom Wissen bezüglich des Grades des intersubjektiven Konsens’ und höheren emotionalen und evaluativen Aspekten unterscheiden (Hartinger, Kleickmann & Hawelka, 2006). Lehrmittel scheinen für die Gestaltung des Unterrichts eine wichtige Rolle zu spielen. Empirisch gut belegt ist, dass sie die wichtigste Unterlage für die Unterrichtsvorbereitung der Lehrpersonen sind (z.B. Bromme, 1992; Seel, 1997). Sie können deshalb wichtige Innovationsträger sein und den curricularen Implementationsprozess unterstützen. 3. Methodisches Vorgehen Der Studie liegt ein quasi-experimentelles Design zu Grunde. Die Daten wurden sowohl bei Kursteilnehmenden (EG N=25) und einer Kontrollgruppe (KG N=21) von Lehrpersonen der gleichen Stufe vor und nach den Kursen als auch bei ihren Schülerinnen und Schülern mittels standardisiertem Fragebogen erhoben (Balmer & Adamina, 2005a; 2005b). Zusätzliche qualitative Daten wurden einerseits im Lehrerfragebogen durch die Aufgabe der Skizzierung eines möglichen Unterrichtsverlaufs als Reaktion auf eine vorgegebene Unterrichtssituation erhoben, andererseits durch die von den Lehrpersonen zusammengestellten Dokumentation einer realisierten Unterrichtseinheit von 610 Lektionen (Adamina, Balmer & Raths, 2005). Die Kurse hatten eine Dauer von 15 Stunden, die in drei Blöcken stattfanden und den Conceptual Change Phasen folgten. Zwischen dem zweiten und dritten Block fand eine Anwendungsphase in der eigenen Klasse statt, die abschliessend reflektiert wurde. 4. Ergebnisse Die Kovarianzanalysen weisen darauf hin, dass die Weiterbildung punktuell eine stärkere Ausprägung fachspezifisch-pädagogischer Überzeugungen in der intendierten Richtung bewirkt hat, wenn auch bei tiefen Effektgrössen. Punktuell bedeutet dabei zweierlei: Einerseits betrifft die Veränderung nicht konsistent alle Überzeugungsbereiche, andererseits nur bestimmte Themenfelder
des Integrationsfaches NMM. Von den drei in den Blick genommenen Bereichen des PCK erweisen sich die Orientierung des Fachunterrichts und Überzeugungen zu Lehrstrategien als stabil. Die signifikanten Veränderungen betreffen nur Überzeugungen zum fachlichen Verstehen der Schülerinnen und Schüler. Nach dem Kurs werden die Selbststeuerungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler1, Lernen durch eigene Ideen und Austausch2 und die unterrichtsbezogene Bedeutung des Vorwissens3 signifikant höher bzw. wichtiger eingeschätzt. Diese Veränderungen fallen themenfeldspezifisch aus. Die Bedeutsamkeit des Vorwissens für das Lernen im NMM-Unterricht wird in der EG nach dem Kurs bezüglich der Themenfelder belebte Natur, unbelebte Natur und Kultur signifikant höher eingeschätzt jedoch nicht bezüglich gesellschaftlicher Themen. Weitere Ergebnisse betreffen Lehrmittel, deren Einführung Ziel der Kurse war. Die signifikante Steigerung des Selbstkonzeptes bei den Lehrpersonen der KG, welche diese Lehrmittel eingesetzt haben, zeigt deren wichtige Rolle. Aus dem Zusammenspiel von Kursteilnahme und Lehrmittelnutzung ergibt sich für diejenigen Kursteilnehmenden, welche beim Posttest eines der Lehrmittel einsetzten, eine noch stärker ausfallende Steigerung. Diese Veränderungen sind gebunden an die Themenfelder der Lehrmittel und können nicht global für den NMM-Unterricht angenommen werden. Der Blick auf die realisierten Unterrichtssequenzen zeigt für die EG nach dem Kurs signifikant schülerorientiertere Lernsequenzen als die KG, wie der Vergleich der Unterrichtsskripts vor und nach dem Kurs gezeigt hat. Die Schülerorientierung ergibt sich hauptsächlich durch das Vorkommen aktiventdeckenden Lernens und des eigenständigen Erschliessens von Informationen, kaum jedoch durch die verschiedenen Möglichkeiten situativen Lernens. 5. Diskussion Die Stabilität der Überzeugungen zu Lehrstrategien und zur Orientierung des Fachunterrichts ist ein Hinweis darauf, dass diese Bereiche des PCK im Netz mentaler Repräsentationen zentraler liegen als die Überzeugungen zum fachlichen Verstehen der Schülerinnen und Schüler. Die Ergebnisse sind aber 4 Items, α=.80. Beispiel-Item: Primarschulkinder können selbständig Vermutungen zur Erklärung von Sachen und Situationen überprüfen. 2 4 Items, α=75. Beispiel-Item: Damit Schüler Sachen und Situationen verstehen, ist es entscheidend, dass sie ihre eigenen Lösungsideen untereinander diskutieren. 3 5 Items, α=54. Beispiel-Item: Das Vorwissen kann wichtige Anknüpfungsmöglichkeiten für das Lernen im NMM-Unterricht bereitstellen. 1
auch ein Indiz für die These, dass Lehrpersonen im Unterricht das realisieren, was funktioniert, ohne dass ein kohärentes Überzeugungssystem dahinter stehen muss. Die lediglich punktuellen Veränderungen geschuldete Schülerorientierung mag der Grund sein, weshalb die Unterrichtsskripts nur zum Teil und nicht konsistent mit den entsprechenden Überzeugungen korrelieren. Dies kann erklären, warum die Schülerinnen und Schüler keine Veränderung des Unterrichts wahrnehmen. Ihre Wahrnehmung bleibt über beide Messzeitpunkte stabil. Weiterbildung, insbesondere gekoppelt mit Lehrmittel, die kohärent zu den Zielsetzungen der Weiterbildung bzw. der Innovationsabsicht angelegt sind, verfügt grundsätzlich über das Potenzial, fachdidaktische Innovationen zu implementieren. Kurzkurse schaffen es aber höchstens, Lernprozesse anzustossen. Adamina, M., Balmer, T. & Raths, K. (2005). Wissenserwerb in der Weiterbildung. Dokumentation der qualitativen Datenerhebungen und erste Auswertungen. Bern: PHBern, Institut für Weiterbildung. Adamina, M. & Müller, H. (2000). Lernwelten Natur-Mensch-Mitwelt. Grundlagenband zur Reihe "Lern- und Lehrmaterialien zum Fach Natur-Mensch-Mitwelt". Bern: Berner Lehrmittelund Medienverlag. Balmer, T. & Adamina, M. (2005a). Forschungsprojekt Wissenserwerb in der Weiterbildung. Dokumentation des Lehrerfragebogens. Bern: PHBern, Institut für Weiterbildung. Balmer, T. & Adamina, M. (2005b). Forschungsprojekt Wissenserwerb in der Weiterbildung. Dokumentation des Schülerfragebogens. Bern: PHBern, Institut für Weiterbildung. Bromme, R. (1992). Aufgabenauswahl als Routine: Die Unterrichtsplanung im Schulalltag. In K. Ingenkamp, R. S. Jäger, H. Petillon & B. Wolf (Eds.), Empirische Pädagogik:1970-1990; Eine Bestandesaufnahme der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland; Band I und II ( 535-544). Weinheim: Deutscher Studien Verlag. De Jong, O., Korthagen, F. & Wubbels, T. (1998). Research on Science Teacher Education in Europe: Teacher Thinking and Conceptual Change. In B. J. Fraser & K. G. Tobin (Eds.), International Handbook of Science Education (745-758). Dordrecht, Bosteon, London: Kluwer. Hartinger, A., Kleickmann, T. & Hawelka, B. (2006). Der Einfluss von Lehrervorstellungen zum Lernen und Lehren auf die Gestaltung des Unterrichts und auf motivationale Schülervariablen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9, 110-126. Kanton Bern. (1995). Lehrplan Primarstufe und Sekundarstufe I. Bern: Erziehungsdirektion des Kantons Bern. Magnusson, S., Krajcik, J. & Borko, H. (1999). Nature, Sources and Development of Pedagogical Content Knowledge for Science Teaching. In J. L. Gess-Newsome, Norman G. (Ed.), Examining Pedagogical Content Knowledge. The Construct and its Implications for Science Education (95-132). Dordrecht, Bosteon, London: Kluwer. Seel, A. (1997). Von der Unterrichtsplanung zum konkreten Lehrerhandeln - Eine Untersuchung zum Zusammenhang von Planung und Durchführung von Unterricht bei Hauptschullehrerstudentinnen. Unterrichtswissenschaft, 257-274.