FREIE ZEIT
Ein Zimmer mit Meerblick ist auch an der Küste nicht in jedem Hotel garantiert. Auf einem Kreuzfahrtschiff hingegen schon. Hier erfreut die tiefblaue See den Passagier rund um die Uhr. Und von seiner Kabine aus hat er stets nur ein paar Schritte zu täglich wechselnden Reisezielen mit immer neuen Erlebnissen. Die Faszination Kreuzfahrt haben 60 Leser von „Télécran“ und „Luxemburger Wort“ jüngst an Bord der MS Riviera in der Ägäis und Adria erfahren. Text und Fotos: Marc Willière
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er von der Ägäis in die Adria will, muss das Ionische Meer passieren. „Ionische Passage“ ist dann auch die Kreuzfahrt betitelt, die an Bord der MS Riviera von Oceania Cruises über knapp 1500 Seemeilen von der griechischen Hauptstadt Athen durchs Mittelmeer bis in die italienische Lagunenstadt Venedig führt. Auf See und auch an Land erleben die Leser des Wochenmagazins und der Tageszeitung aus dem Hause „Saint-Paul“ nicht nur zehn abwechslungsreiche Tage. Sie genießen dabei ebenso den zuvorkommenden Service unseres Partners Cruisopolis als Reiseveranstalter. Io, eine Geliebte des griechischen Gottes Zeus, gab dem Meer zwischen der breitesten und der engsten Stelle zwischen Italien und Griechenland ihren Namen. Die imaginäre Grenze verläuft im Süden an einer Linie von der Ostküste Siziliens bis zur Südspitze des Peloponnes‘ und im Norden zwischen Apulien und Albanien. Bekannt ist das Ionische Becken vor allem durch die Insel Korfu. Dass hier mit dem Calypsotief aber auch die tiefste Stelle des Mittelmeers (5267 Meter) liegt, wissen wohl nur die Allerwenigsten. So wie auch nicht alle Kreuzfahrer Kenntnis nehmen vom schweren Seebeben der Stärke 6,4 auf der Richter-Skala, das die Region zwei Tage vor ihrer Ankunft heimsucht, zum Glück aber nur Sachschäden hauptsächlich auf der Insel Zakynthos hinterlässt.
Zufällige Geschichtsstunde
In der Caldera der zerklüfteten Kykladeninsel Santorin ist die MS Riviera vor Anker gegangen.
1500 Seemeilen von Athen nach Venedig
Das Meer stets im Blick 48
So verheißungsvoll wie der Name der Kreuzfahrt ist der gewählte Zielhafen im Ionischen Meer indes nicht. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass Kefalonia die größte Insel ist. Ihr üppiges Grün kontrastiert wohl mit den anderenorts in Griechenland im Herbst häufiger anzutreffenden deutlichen Spuren hoher Temperaturen und Trockenheit. Der Hauptort Argostoli hat aber wenig Aufregendes zu bieten – sieht man einmal von seiner Lagune ab. Sie muss man sich indes über die De-Bosset-Brücke erwandern. Dass der Besuch der Leser zufällig auf den „Ochi“-Tag fällt, ist aber in doppelter Hinsicht von Vorteil. Die eher verschlafen wirkende Stadt ist um die sonntägliche Mittagsstunde fast gänzlich auf den Beinen. Und zum anderen macht sie ihre Gäste zur Abwechslung mit der rezenten Geschichte des Landes vertraut. Der „Ochi“-Tag ist der zweitwichtigste Nationalfeiertag der 49
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Hellenen mit Schülerparaden und eine Absage an jegliche Form von Faschismus und Fremdherrschaft. Mit seinem „Nein“ am 28. Oktober 1940 hatte der griechische Diktator Ioannis Metaxas ein Ultimatum Benito Mussolinis abgelehnt und den italienischen Truppen den Einmarsch an der albanischen Grenze verweigert. Alle anderen Stationen zwischen Athen und Venedig aber sind umso sehenswerter und hinterlassen bleibende Eindrücke – sowohl bei jenen, die zum ersten Mal kommen, als auch bei jenen, die zuvor schon das Glück hatten, den einen oder anderen Ort besuchen zu können.
Aus dem Athener Stau … Der Aufenthalt in Athen ist zu kurz, um alle Sehenswürdigkeiten der griechischen Metropole zu besichtigen. Für einen guten Überblick reicht es indes. Auch wenn die Krise unübersehbare Spuren hinterlassen hat, so scheint sie doch ohne größere Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen geblieben zu sein. Die Busfahrt durch die Innenstadt erfordert wie eh und je jede Menge Geduld. Zum Glück sorgen die ausschließlich den Fußgängern vorbehaltenen Straßen rund um die Akropolis für entspannende Momente. In der warmen Herbstsonne muss man einfach um den berühmten Stadtfelsen und durch das Labyrinth der quirligen Altstadt Plaka flanieren oder vom Areopag-Felsen aus den einmaligen Blick auf die Stadt sowie auf den Parthenon und das Erechtheion genießen. Auch für einen Besuch des für die ersten olympischen Spiele der Neuzeit 1896 erbauten Panathinaiko-Stadions reicht die Zeit noch.
… auf die „mittelgroße“ Riviera Im Hafen von Piräus wartet indes die 237 Meter lange und 32 Meter breite MS Riviera auf ihre neuen Gäste. Das Kreuzfahrtschiff der US-amerikanischen Reederei Oceania verließ im Juli 2012 die Fincantiera-Werft im italienischen Genua und bietet 1258 Passagieren sowie knapp 800 Crewmitgliedern Platz. Damit zählt es zu den „mittelgroßen“ Schiffen. An Bord ist leger gelebter Luxus angesagt und für fast alle Annehmlichkeiten gesorgt. Besonders aber sticht das kulinarische Angebot hervor. Die Küche, für die mit dem Jacques Pépin ein französischer Sternekoch sorgt, genießt vielfach 50
In der malerischen Bucht von Kotor schmiegt sich die Festungsruine der montenegrinischen Stadt an raue Kalksteinwände; der Aufstieg lohnt die Mühen allemal.
den Ruf, zum Besten zu zählen, was auf Kreuzfahrtenschiffen geboten wird. Sämtliche Geschmäcker werden bedient, und die nachmittägliche Teezeremonie mit Streicherquartett verdient das Prädikat „very british“. Die meisten Passagiere sind sich jedenfalls nach acht Tagen an Bord in ihrem Lob einig. Und auch die eher entspannte Atmosphäre an Bord wird vielfach geschätzt – trotz einer Überzahl an Gästen aus den Staaten und aus Asien. Zeit zum Einleben in der neuen Umgebung hat die Reisegruppe aus Luxemburg genug. Und kann es kaum erwarten, dass die Anker gelichtet werden. Überpünktlich verlässt die MS Riviera Piräus. Zweieinhalb Stunden später aber erhalten die Passagiere beim Abendessen die wenig erfreuliche Mitteilung, dass ein medizinischer Notfall an Bord eine Umkehr notwendig macht. Sechs Stunden Rückstand auf den eigentlichen Zeitplan veranlassen Kapitän Gunnar Romtveit am nächsten Morgen zu einer weiteren Kursänderung: Statt in Rhodos an Land zu gehen, kön-
Wie eine Sahnehaube zieren die weißen Dörfer das Gestein vulkanischen Ursprungs der traumhaften Insel Santorin.
Am MorosiniBrunnen kreuzen sich die geschäftigen Fußgängerzonen der kretischen Hauptstadt Iraklio. Das vom einstigen venezianischen Statthalter gespendete Wahrzeichen lädt zur Rast ein.
An Bord der MS Riviera ist für Abkühlung auf dem Sonnendeck gesorgt.
nen die Passagiere einen ganzen Tag auf See verbringen, was bei der angenehmen Witterung und dem kurzfristig erweiterten Unterhaltungsprogramm wohlwollend aufgenommen wird.
Zorbas und Minos Beeinträchtigungen sollten die Reisenden fortan aber keine mehr hinnehmen müssen. Auf Kreta bekommen sie zum ersten Mal wieder festen Boden unter die
Füße – wie einst auch Alexis Zorbas im berühmten gleichnamigen Roman von Nikos Kazantzakis. In der Hauptstadt Iraklio hat der griechische Schriftsteller seine letzte Ruhestätte gefunden. Sein schlichtes Grab auf der Stadtmauer ziert nur der sinnige Spruch „Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.“ und regt zum Nachdenken an. Zudem hat die Insel ihrem berühmten Sohn ein Museum in Myrtia gewidmet. Die meisten Kreuzfahrer aber haben eher Augen für die Bauwerke aus venezi-
anischer Zeit oder für Knossos: Die Überreste des riesigen Palastes aus minoischer Zeit und damit der ersten Hochkultur auf europäischem Boden sind ein absolutes Muss. Und zugleich eine lehrreiche Begegnung mit dem Mythos des sagenhaften Königs Minos. Auch die weitere Reise in nördlicher Richtung steht unter einem guten Stern. Während die MS Riviera unermüdlich ihre hellblaue-weiße Furche durchs Mittelmeer zieht, meinen es die mächtigen Götter der griechischen Sagenwelt fast immer gut mit Schiff und Passagieren: Poseidon und Aiolos sorgen meist für eine ruhige See bzw. wenig Wind, und Helios beschert obendrein viel Sonnenschein. Optimale Voraussetzungen demnach für die vielen Highlights, die noch in vier Städten in vier Ländern darauf warten, entdeckt zu werden.
Eine weiße Krone Stimmungsvoll gestaltet sich die Fahrt im Morgengrauen in die Caldera von Santorin. Nur schemenhaft sind vorerst die Städte 51
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Den Aufstieg auf die Festung tun sich aber nur die Allerwenigsten an – zu schweißtreibend sind ihnen die 1300 Stufen, für deren Benutzung auch noch Geld verlangt wird. Der einmalige Blick aus luftiger Höhe auf das Wasser und die direkt an der Stadtmauer liegende Riviera entschädigen aber allemal.
Juwel in der Adria Mit einiger Verspätung auf den ursprünglichen Fahrplan nimmt das Kreuzfahrtschiff der Reederei Oceania Kurs auf Dubrovnik.
Der Zufall der Streckenplanung will es, dass sich die Wege der Schwesterschiffe Marina und Riviera der Reederei Oceania im südlichsten Fjord Europas bei Kotor kreuzen.
Von der imposanten Stadtmauer aus bietet sich ein einmaliger Blick auf die zum Weltkulturerbe gehörende Altstadt von Dubrovnik.
Oia oder Fira zu erkennen, hinter denen langsam die Sonne aufgeht. Als sie aber die unvergleichliche Kykladeninsel in fast blendendem Licht erstrahlen lässt, offenbart sich ihr ganzer Charme: Die bis in die schroffe Kraterwand hinein gebauten makellos weißen Häuser zieren das vulkanische Gestein wie eine Krone.
Schweißtreibende Stufen Wer den Aufstieg geschafft hat – eine Kabinenbahn steht dafür neben 600 Stufen auf Eselrücken oder Schusters Rappen zur Verfügung –, kann immer wieder neue ebenso unvergleichliche Blicke auf das tiefblaue Wasser im gewaltigen Krater genießen. Dem Getümmel der Altstadt mit ihrem für Touristen typischen Angebot entgeht man am besten mit dem Besuch 52
einer Aussichtsterrasse: Der hier verlangten Preise wegen hält sich der Besucherzustrom in Grenzen. Gleich zweimal nacheinander haben die Kreuzfahrer ihre Uhren um eine Stunde zurückgestellt – einmal von Sommer- auf Winterzeit und einmal der wechselnden Zeitzone wegen –, bevor sich ihr Schiff seinen Weg entlang steiler Kalksteinfelsen in den weitläufigen Fjord von Kotor bahnen kann. Nur dieses eine Mal ist die Sonne nicht mit von der Partei – was aber der Ausstrahlung von Landschaft und Stadt nichts anhaben kann. Als zusätzliches i-Tüpfelchen im Reiseprogramm ist mit der MS Marina das Schwesterschiff der MS Riviera zur lautlosen Begrüßung in der Bucht vor Anker gegangen. Ein paar Regentropfen können dem Bummel durch die dreieckig angelegte montenegrinische Stadt nichts anhaben.
Es hält sich zudem nahe an der Küste, um den Nachwehen des stürmischen Wetters der Nacht und der rauen See möglichst aus dem Weg zu gehen. Dafür begrüßt dann aber wieder eitel Sonnenschein die Kreuzfahrer in der zum Weltkulturerbe der Unesco zählenden kroatischen Stadt. Dem Charme des einzigartigen historischen und architektonischen Juwels, das nach dem Balkankrieg wieder in alter Pracht und Schönheit erstrahlt, kann man sich nur schwer entziehen. Zwischen dem großen und dem kleinen Onofrio-Brunnen wollen Kirchen, Klöster und Paläste entdeckt werden. Ein abso-
Auf Augenhöhe: Obwohl nicht nach dem Geschmack der Venezianer, ist die Fahrt durch den Canale San Marco doch für viele Kreuzfahrer immer ein besonderes Erlebnis.
lutes Muss aber ist der Rundgang auf der fast zwei Kilometer langen Stadtmauer. Die beeindruckende Wehranlage mit ihren 15 Türmen, fünf Bastionen, zwei Ecktürmen und einer Festung bietet immer wieder erstaunliche Ausblicke auf das „Gedicht in Stein“ zwischen üppig grünen Hügeln und tiefblauer Adria.
Eine neue Perspektive Mit Venedig wartet auf der anderen Seite der Adria das letzte Highlight. Bei der Fahrt durch den Canale San Marco erleben viele Kreuzfahrer die Lagunenstadt erstmals aus einer völlig neuen Perspektive: Gemächlich ziehen Seufzerbrücke, Markuskirche und -platz, Campanile und Dogenpalast an ihnen vorbei, während Lieder des italienischen Tenors Andrea Bocelli das stimmungsvolle Bild begleiten und auf dem Wasser unzählige kleine Schiffe ein wahres Ballett aufführen. Den Wetterkapriolen entgeht die Reisegruppe letztlich aber nicht ganz. Bei ihrem Bummel durch die engen Gassen kommt ihnen das Wasser, das sie seit einer Woche begleitet, im wahrsten Sinn des Wortes entgegen und überschwemmt am Abend wieder den Markusplatz. Fürs Weiterkommen gibt es aber drei Möglichkeiten: Im Gänsemarsch über die bereitstehenden Stege trippeln, einen Umweg durch höhergelegene Straßen in Kauf nehmen oder teure Plastikstiefel bei einem fliegenden Händler kaufen. Und zu allem Überdruss weint tags darauf zum Abschied der Himmel über Venedig.
Auch wenn die große Lalique-Treppe (hier mit den Lesern von „Télécran“ und „Luxemburger Wort“) Luxus versprüht, so ist die Atmosphäre an Bord der MS Riviera doch eher lässig. 53