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Individuallösung oder Standardsoftware, das ist hier die Frage

Nicht wenige Anwender schwören auf Standardsoftware. Ganz nach dem Motto: Wir halten uns möglichst an etablierte Prozesse und vermeiden teure Anpassungen oder Schnittstellen. Andere wiederum investieren in eine massgeschneiderte Individuallösung und nutzen diese, um einzigartige Geschäftsmodelle zu realisieren. Wann sollte man sich für welchen Weg entscheiden? Wie sieht eine Kombination aus, bei der eine Standardsoftware individuell erweitert wird? Ab welchem Zeitpunkt rechnet sich eine Individuallösung? Wir haben Experten befragt, welche sich mit dem Thema bestens auskennen. Wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven.

Interview: Christian Bühlmann

Wann entscheidet sich ein Unternehmen aus Ihrer Sicht für eine Individualsoftware, wann für eine Standardlösung? Philipp Kronenberg CEO bbv Software Services AG www.bbv.ch

Unternehmen entscheiden sich für individuell entwickelte Software, wenn es keine geeignete Standardsoftware gibt, die Kosten vorteilhafter sind oder eine Abhängigkeit vom StandardsoftwareHersteller nicht erwünscht ist. Immer wichtiger wird, dass durch Software in der Digitalisierung Mehrwert geschaffen wird und Innovation erlaubt, was zu Individualentwicklung führt, wo zudem die User Experience im Zentrum steht.

Geht der Trend eher in Richtung individuell entwickelter Anwendungen oder geben standardisierte Produkte den Ton an?

Wie sind Ihrer Erfahrungen betreffend Kombination von Standardlösungen und Individualsoftware? Wo liegen die kritischen Punkte?

Anders als Standardsoftware wird eine individuelle Lösung entwickelt. Wie gross ist der damit verbundene Mehraufwand und wie rechnet sich das? Das lässt sich so nicht beantworten, da die Anforderungen stark vom Business Case abhängen. Standardlösungen werden jeweils für die Anforderungen vieler Unternehmen entwickelt. Das macht bei standardisierten Prozessen Sinn – ich denke an eine Buchhaltung. An der Schnittstelle zu den Endkunden wird jedoch oft Individualität gefordert: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Standardlösungen oft mit Individuallösungen ergänzt und so den jeweiligen Nutzerbedürfnissen angepasst werden.

Gerade im Bereich Frontend, User Interface und UX sind individuelle Anpassungen oftmals gewünscht, da sich die jeweiligen Bedürfnisse teilweise von definierten Standards unterschieden. Zudem greifen auch Individuallösungen auf bestehende Bibliotheken und Elemente zurück. Viele Produkte sind heute mit Softwarekomponenten ausgestattet, die individuell entwickelt werden müssen, wie z. B. die Steuerungen von Aufzügen, Applikationen auf unserem Telefon, Software in der Waschmaschine usw.

Wie die Standardlösung hat eine Individuallösung einen Preis basierend auf der Komplexität der Fragestellung und dem darunterliegenden Geschäftsfall. Daher ist die Entscheidung situativ und geschäftsgetrieben. In vielen Bereichen, in denen es Standardlösungen gibt, wird auf eine solche gesetzt. Sofern nötig, werden diese noch individuell angepasst oder erweitert. Da ein Standard erst ein Standard werden muss, wird in innovationsgetriebenen Umfeldern eher auf Individualsoftware gesetzt.

Fabian Döbeli Inhaber / CEO iFAS ERP AG www.ifas.ch

Am ehesten empfänglich für Individuallösungen scheinen Unternehmen zu sein, welche selbst über interne, gut dotierte IT-/Entwicklungs-Ressourcen verfügen. Ein Vorteil ist natürlich, dass die eigenen Anforderungen und Prozesse exakt abgebildet werden können. Auf der anderen Seite trägt man die vollen Kosten zur Weiterentwicklung bei zwingenden Anpassungen (bspw. die aktuelle Umstellung auf QR-Rechnung) oder das Risiko bei Mitarbeiterfluktuationen oder Technologiewechseln selbst.

Unsere Erfahrung zeigt klar in Richtung Standardsoftware, und wir verfolgen mit iFAS X5 diesen Weg entschlossen.

Kunden, die noch von unserer Vorgängergeneration migrieren, freuen sich so über den nun im Standard ständig wachsenden Funktionsumfang, von welchem sie durch ein effizientes und kostengünstiges Update unmittelbar profitieren können.

Für unsere ERP-Gesamtlösung stehen integrierte Editoren bis hin zu Workflowtools zur Verfügung, um den Standard für den Kunden zu individualisieren. So decken wir die Kernprozesse aus einem Guss und voll releasefähig ab. Bei Umsystemen haben wir mit Integrationen gute Erfahrungen gemacht; solide designte Schnittstellen laufen stabil. Wobei wir auch hier den Kunden empfehlen, die Welt nicht neu zu erfinden und auf gut etablierte Produkte zu setzen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich eine Individualsoftware heute noch rechnet. Die Fülle an Software-Anbietern und Lösungen ist riesig und eigentlich müsste jede Nische abgedeckt sein. Zudem enthalten Standardlösungen oft jahrzehntelanges Know-how. Das Softwareumfeld ist zudem so agil und komplex, dass man wohl besser im Voraus in die Evaluation einer passenden Lösung investiert. Pascal Müller Geschäftsführer AS infotrack AG www.asinfotrack.ch

Der Entscheid für eine massgeschneiderte Lösung fällt meist aufgrund spezifischer Prozesse, welche sich nicht mit einem Standardprodukt abdecken lassen. Weiter spielt der Kontext eine wesentliche Rolle. Mit einem individuellen Produkt kann von der Benutzerfreundlichkeit, der Technologie und Integration genau auf die Bedürfnisse eines Kunden eingegangen werden. Für ein Standardprodukt spricht die kurzfristige Verfügbarkeit und der geringere Initialaufwand.

Ich denke nicht, dass sich diese Frage pauschal beantworten lässt. In Branchen mit einer guten Auswahl an standardisierten Produkten sind diese sicherlich dominierend. In Nischen mit sehr spezifischen Anforderungen sind es Individualprodukte. Faktoren wie Lizenzkosten, eingesetzte Architektur und Usability spielen bei der Entscheidung mit. Auffällig ist, wie die Benutzerfreundlichkeit immer mehr an Bedeutung gewinnt und sich mit einer massgeschneiderten Lösung klar besser umsetzen lässt.

Diese Kombination treffen wir bei fast allen Projekten an. Grundsätzlich hängen die kritischen Punkte stark von den Möglichkeiten der jeweiligen Standardlösungen ab. Vorbildliche Produkte mit offener, moderner Schnittstellen-Architektur lassen sich problemlos integrieren. Schwierigkeiten ergeben sich dann, wenn eine Software keinen Datenaustausch erlaubt. Für Prozessschritte, bei welchen eine Live-Antwort erforderlich ist, reicht ein asynchroner Austausch via Dateien und Datenbanken zudem nicht aus.

Der Mehraufwand ist in der Regel überschaubar. Eine Individualentwicklung setzt meist auf vorhandenen Frameworks und Bausteinen auf. Die notwendige Mitarbeit des Kunden wird häufig unterschätzt. Diese ist essenziell, da das resultierende Produkt auf dessen Anforderungen massgeschneidert wird. Unsere individuellen Produkte amortisieren sich meist nach zwei bis fünf Jahren. Im Alltag zahlen sich diese durch hocheffiziente Prozesse, tiefe Unterhaltskosten und den Wegfall von Abhängigkeiten aus. Kevin D. Klak Management Beratung Digitalrat GmbH www.digitalrat.ch

Das lässt sich kaum pauschal beantworten. Insofern sollte jedes Unternehmen neutral an die Frage herangehen und sich vorab Gedanken machen was man effektiv lösen bzw. erreichen möchte.

Grundsätzlich kann jede Software «alles». Generell ist eine Standardlösung schnell verfügbar und kann so rasch Abhilfe schaffen. Individualsoftware ermöglicht es aktuelle und künftige Prozesse besser abzubilden und auf Eigenheiten im Unternehmen einzugehen.

Aktuell habe ich den Eindruck, dass Standardlösungen bei 0815-Themen (E-Commerce, ERP, CRM usw.) die Nase etwas vorn haben. Wobei es meist eine trügerische Sicherheit ist. Weil man bereits ein System von Firma X im Einsatz hat und dann von dieser Firma X auch weitere Software beschafft. Man glaubt, wo X draufsteht, auch X drin ist. Dies ist häufig nicht der Fall und somit gibt es ein böses Erwachen.

Eine Kombination ist weniger kritisch als man es gemeinhin vermuten könnte. Schliesslich wird die Software dort eingesetzt, wo sie ihre Stärken hat und «übergibt» dort, wo die Schwächen vorhanden sind. Somit benötigt man nebst einer Strategie zur IT-Architektur ein starkes Augenmerk auf das Schnittstellen- und Testmanagement. Entsprechend kann der Einsatz von Individualsoftware auch Einfluss auf die Rekrutierung von internen und externen Mitarbeitenden haben.

Der Aufwand ist lediglich zu Beginn grösser. Aus gutem Grund. Die danach anfallenden Wartungs- und Supportkosten sind häufig tiefer als die jährlichen Lizenzkosten einer Standardsoftwarelösung. Will sich ein Unternehmen unabhängiger am Markt bewegen und reaktiv sein, so empfiehlt es sich Individualsoftware nicht nur einzusetzen, sondern auch strategisch in die Unternehmenskultur einzupflegen und so breit in der Belegschaft abzustützen.

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