Der Riesling - Weingut Robert Weil

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Der Riesling W eing ut Rob ert W eil


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Kiedrich Gr채fenberg (vorne Mitte) und Kiedrich Turmberg (hinten links), S체dwest-Steillagen mit kargem Phyllitboden als Ausl채ufer des Taunusgebirges


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Inhalt

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P ro lo g

Qualität kommt von sich quälen

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Geschichte

Kiedricher Auslese

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A r c h i t e k t u r E i n B a u e n s e m b l e m i t G e s c h i c h t e

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I n t e r v i e w

Wa s m a c h t e i n e n Sp i t ze n r i e s l i n g a u s?

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W e i n g u t u n d W e i n b e r g s ar b e i t e n

Riesling hat Stil

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D a s G e s t e i n , d e r B o d e n , d e r R h e i n g a u und das Ökosystem

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D i e F r u c h t , d i e R e i f e

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L e b e n m i t u n d o h n e S a u e r s t o f f

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W e i n V e rk o s t u n g

Kiedricher Gräfenberg Riesling trocken und edelsüß

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K 

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Historische Ansicht des Turmbergs von 1911


Geschichte Dr . Da n i e l D e c k e r s

iedricher Auslese W e i n g u t R o b e r t W e i l i m Sp i e g e l d e u t s c h e r und Rheingauer Weingeschichte ein Name gefallen sein dürfte, dann der des Kiedricher Winzers Die Abendtafel, zu der Wilhelm II., König von Preußen und Dr. Robert Weil. Wie auf der Menükarte selbst vermerkt worden ­Kaiser von Deutschland, am 12. Mai 1918 den kaum dreißig Jahre war, stammte der einzige Wein, dem die beiden Monarchen wähalten ­Kaiser Karl I. Franz Joseph von Österreich am 12. Mai 1918 rend des Essens zusprechen ­sollten, aus seinem Keller. Es handelte empfing, war alles andere als eine zwanglose Herrenrunde. Fast sich um eine »Kiedricher Auslese« des Jahrgangs 1911. vier Jahre waren ver­gangen, seit Erzherzog Franz-Ferdinand in Dass die Zeit vorbei war, als bei kai­ ­Sarajevo erschossen und jener Krieg ausgeserlichen Frühstücks- und Mittagstafeln brochen war, der im Französischen bis heute französischer Champagner gereicht und als der »Grande Guerre« fortlebt. Dass Karl zu Fleischgerichten vornehmster ­Bordeaux Zweifel hegte, ob die Mittelmächte den Stelgetrunken wurde, musste Wilhelm seinem lungskrieg gegen die Entente allen ZermürGast aus Wien wohl kaum erläutern. bungserscheinungen zum Trotz noch für sich Doch ohne Worte verständigte man sich entscheiden könnten, war allen Krieg füh­wo­mög­lich auch über den Wein von renden Parteien hinlänglich bekannt. Umso Dr. Weil. Mehr noch als den Stolz der Deutwichtiger war es für den deutschen Kaiser, schen auf ­ihren Rheinwein und den Weltruf den jungen Österreicher nach dem Separatder ausnahmslos aus der Riesling-Traube frieden mit Russland und vor dem Beginn der erzeugten »Crescenzen« von den Ufern möglicherweise entscheidenden Schlachten des »­heiligen Stromes« symbolisierte die an der Westfront auf die gemeinsame Sache Auslese aus Kiedrich die aus alten Friedenseinzuschwören. zeiten stammende Verbindung der beiden Bei erlesenen Speisen kamen die beiden Herrscherhäuser. Monarchen im Großen ­Hauptquartier, das Seit Wilhelm II. während eines seiner vor kurzem in den mondänen ­belgischen Kurregelmäßigen Besuche in »seinem« Wiesort Spa verlegt worden war, zum ­letzten Zwei­Der Wein, den die Monarchen zu sich baden im Jahr 1900 eine Kiedricher Auslese kaisertreffen der europäischen Geschichte nahmen, stammte vom Weingut Dr.  aus dem Weingut Dr. Robert Weil gekoszusammen. Erhalten hat sich die Menükarte Robert Weil: eine Kiedricher ­Auslese tet hatte, war dieser Wein von der kaiser­ jenes Abends. Auf welchen verschlungenen von 1911. lichen Tafel nicht mehr wegzudenken. Mehr Pfaden auch immer hat sie ihren Weg bis in noch: Viele Höfe, denen der deutsche ­Kaiser in den folgenden den Rheingau gefunden, genauer in ein Weingut in Kiedrich – Jahren seine Aufwartung machte, hielten es für ihre vornehmste und das aus gutem Grund. Denn wenn während der Abendtafel

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Wilhelm Weil, der Sohn des Weingutgründers Dr. Robert Weil

Pflicht, Wilhelm seinen Lieblingswein zu kredenzen: zuerst eine Auslese des Jahrgangs 1893, die aus den besten Trauben der Lagen »­Gräfenberg« und womöglich auch »Turmberg« erzeugt worden war, später die würdigen Nachfolger aus den Jahrgängen 1904 und 1911. Der Zufall will es, dass sich unter den Fragmenten der eigenen Geschichte, die im Weingut Robert Weil die Zeitläufe überdauert hat, neben einigen Menükarten ein Foto aus jener Zeit ­erhalten hat. Es zeigt einen kleinen Jungen im ­Matrosen­anzug, wie er auf einem im Rheingau »Halbstück« genannten 600-Liter-­Holzfass reitet, das mit 1893er Auslese gefüllt auf den Transport an den Kaiserhof in Wien wartet. Wilhelm, so der Vorname des einzigen Sohnes von Robert Weil und seiner aus ­Koblenz stammenden Frau Emilie, geborene Fastnagel, hätte sich indes nicht nur auf diesem Fass vergnügen können. In der­ selben Weise verließen Weinfässer um die Jahrhundertwende das im ­englischen Gutshausstil errichtete und in Hör- und Sichtweite der gotischen St. Valentinus-Kirche gelegene Weingut auch mit

dem Ziel Sankt Petersburg und zu Händen der Entourage des i­ talienischen Königs Vittorio Emmanuele III. (1900–1946). Kurz: Ausweislich der erhaltenen Menükarten und der mündlichen Überlieferungen über die Bestimmungsorte des ­edlen Gewächses galten die Auslesen aus Kiedrich wie kaum ein anderer Wein seiner Zeit als Ikone deutscher Weinkultur – auf Augenhöhe mit den edelsten Tropfen aus dem Bordelais wie den berühmtesten Champagnern aus dem Nachbarland im Westen. Wie aber konnte es kommen, dass ausgerechnet ein »Kiedricher« und dazu einer aus einem bürgerlichen Weingut dazu auserkoren war, den gekrönten Häuptern und ihren Tischgenossen die Zunge zu lösen, sei es im Februar 1902 an Bord der SMY Hohenzollern im Hafen von New York, sei es im Sommer 1907 in Schloss Wilhelmshöhe in Kassel, sei es drei Jahre später im ostpreußischen Königsberg? Und was musste geschehen, dass der Name jenes Weinguts, der im August 1918 in durchaus ungewöhnlicher Weise auf der kaiserlichen Menükarte erschien, annähernd hundert Jahre und viele Wechselfälle der Geschichte später wieder für deutsche Weine von Weltruf steht? Und dass der »Gräfenberg« aus dem Kanon der weltbesten, da für Rieslinge prädestinierten, Weinbergslagen mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist?

M o n s R h i n g ra v i i In die Wiege gelegt war der kometenhafte Aufstieg in den Olymp der Weinwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts dem Weingut Robert Weil nicht – nicht einmal den Weinen aus Kiedrich. Zwar gab es in Kiedrich, dem zusammen mit Rauenthal höchstgelegenen und damit am weitesten vom Rhein entfernten Dorf des mittleren Rheingaus, schon im frühen Mittelalter Weinbau. Und schon ausgangs des 12. Jahrhunderts, so heißt es in den einschlägigen Chroniken, trug der markante Südwesthang oberhalb des Ortskerns jenen Namen, der auf seinen Besitzer zurückund auf seinen heutigen Namen vorausweist: mons Rhingravii – Berg der Rheingrafen, jenes Adelsgeschlecht, dessen jüngere ­Linie schon im Jahr 1198 ausstarb. In der eingedeutschten Form »­grevenberg« erschien der Berg, der alten Quellen zufolge um 1109 gerodet wurde, erstmals um die Mitte des 13. Jahrhunderts. ­


Geschichte

Damals kamen durch Schenkung Teile des Weinberges in den ­Besitz der nahe gelegenen Zisterzienserabtei Eberbach sowie an die ­Grafen von Nassau. Doch von Hochheim über Wiesbaden bis Rüdesheim haben über Jahrhunderte die Namen anderer Weinorte und -berge dem Rheinwein zu Weltruhm und seinen Erzeugern zu unvergleichlichem Wohlstand verholfen. Ein Blick in die Besitzverzeichnisse von Rheingauer Klöstern wie Eberbach, von Abteien wie Fulda, von Fürstbistümern wie Mainz oder von alten rheinischen Adelsgeschlechtern wie den Langwerths, Eltz’ oder Greiffenclaus, ist das probateste Mittel, um die besten Weinbergslagen des Rheingaus zu identifizieren. Namen wie Domdechaney, Marcobrunn, Johannis­berg, Rothenberg oder Rüdesheimer Berg waren niemals Schall und Rauch. Schon lange vor der Ausbreitung der Riesling­ rebe im 16. Jahrhundert trugen die besten Weine zur Unter­scheidung den Namen einzelner Gemarkungen oder Weinberge. Seit dem frühen 18. Jahrhundert stand der Rheingau auch für die Erzeugung von »Cabinet«-Weinen – jenen edelsten der edlen Gewächse, die dank eines besonderen Ausbaus, eines gesonderten Aufbewahrungsorts und mitunter eines Verkaufs in Flaschen anstatt im Fass die Raritäten schlechthin waren. Im Rheingau vollzog sich aber auch jene Differenzierung von Weinen, die nicht allein auf Herkunft, sondern auch auf den Geschmacks­ typus abstellte. Spätlesen und Auslesen wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts zu Synonymen für das Beste, was an der nördlichen Weinbaugrenze erzeugt werden konnte – auch aus dem »Gräfenberg«. Nach den Wirren der Säkularisation und der Napoleoni­schen Kriege war mit dem Weinbergsbesitz der ­Zisterzienser des Klosters Eberbach auch eine kleine Fläche im Kiedricher Gräfenberg in die Hände des neuen Landesherrn geraten, des Herzogs von Nassau. Die Freude der Nassauer an den ­Weinen aus dem Steinberg, aus Hattenheim, Kiedrich und Rüdesheim währte nicht lange. 1866 schlug sich Adolf von Nassau im deutsch-­deutschen Krieg auf die Seite Österreichs und verlor mit s­ einem Territorium auch die Herrschaft über den größten und renommiertesten Weinbergsbesitz auf deutschem Boden. Aus der Herzog­lich-Nassauischen Weinbaudomäne wurde die Königlich-Preußische Weinbaudomäne.

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Weingutgründer Dr. Robert Weil (1843–1923) mit seiner Frau Emilie (1855–1933)


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Das Weingut Robert  ein Bauensemble


Architektur D i e t e r Bar t e t z ko

Weil – mit Geschichte In Boscoreale, einem einstigen Vorort der antiken Vesuvstadt Pompeji, wurde 1978 eine »Villa rustica« ausgegraben. Wir ­würden das Anwesen heute als Weingut bezeichnen. Denn es lag inmitten von Weingärten, die auf den hügeligen Ausläufern des ­Vesuvs emporkletterten. Auch dienten, wie man herausfand, zwei Drittel der Gebäude dem Keltern und der Lagerung von Wein: In einem der größten Räume des Guts wurde eine statt­liche Trauben­presse freigelegt, in Nebenräumen fanden sich Hunderte von säuberlich aufgestapelten Amphoren. Außer diesen, ­unverkennbar zum Abfüllen diverser Weinsorten bereitliegenden ­Gefäßen, entdeckte man mehrere Dutzend fassförmige, tönerne Behältnisse, sogenannte Dolia, die in das Erdreich ­eines weiten überdachten Hofs eingesenkt waren. Darin wiederum sichteten die Archäologen sogar noch pechartig eingedickte Reste der einstigen Flüssigkeit – den jungen, gerade gekelterten Wein des Jahrgangs 79 nach Christus, den niemand mehr trinken sollte. Denn wenige Wochen nach Ende der Lese brach der Vulkan aus und begrub mit Pompeji und Herculaneum auch dieses Weingut ­unter meterhohen Asche- und Lavaschichten. Doch wer weiß – ­vielleicht leerten während der letzten Tage von Pompeji die ­Besitzer des Weinguts einige Becher mit dem, was wir heute »Feder­weißer« nennen. Wir wissen, dass nicht nur zu Füßen des Vesuvs, sondern überall in den Weinbaugebieten des Imperium Romanum die reichen Besitzer von Weingütern sich luxuriöse Wohnungen in ihre Gutshöfe einbauen ließen, wo sie sommers oder zur Zeit der Weinernte ihre Besitztümer genossen, die Lese überwachten, Gäste einluden und im Schatten der Reben tafelten. Und damit sind wir nun endlich in Kiedrich: Zwar ist bis heute unbekannt, ob auch hier, wie in weiten Teilen des Rheingaus, Römer Wein anbauten und »Villae rusticae« anlegten.

Aber denkbar ist, dass der Ort dank seiner idealen Lage lange vor seiner ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 937 römische Weinbauern angezogen hat. So könnte es statt Zufall ein Zeichen unbewusster, Jahrtausende überspannender Kontinuität sein, dass mit dem Weingut Robert Weil in Kiedrich ein An­wesen existiert, in dem das antike Miteinander von luxuriöser Villa und Winzerbetrieb einen neuzeitlichen Nachfolger gefunden hat. ­Eines jedenfalls steht fest: Wer einmal vor dem ausgegrabenen Eingang des Weinguts der pompejanischen Familie der Istacidii in ­Boscoreale gestanden hat, der wird unweigerlich Verwandtes erkennen, wenn er vor dem Portal des Weinguts Robert Weil in Kiedrich steht. Hier wie da ein imposantes Tor in einer stattlichen Mauer und da wie dort beschirmen »höhere Mächte« den Zugang – in Bosco­reale sind es zwei geflügelte Sphingen aus Tuff, in ­Kiedrich die Nachbildung einer gotischen Madonna aus Rotsandstein. Die ­Gestalten mögen sich gewandelt haben, die Aussage ist die ­gleiche geblieben: Jede Kultur­leistung bedarf neben menschlicher Tüchtig­keit auch glücklicher Fügung »von oben«. Ein kunst­ volles, schmiedeeisernes Tor am entgegengesetzten Ende der Mauer, durch das man das Der erste Bauherr Weingut vom historischen hatte anderes als Ortskern aus betreten kann, ist stolz geschmückt durch ­Weinbau im Sinn ein leuchtend rotes Familien­ wappen der Weils. Der erste Bauherr auf dem Gelände des heutigen Weilschen Anwesens, Baronet John Sutton, hatte anderes als Weinbau im Sinn, als er 1869 in Kiedrich ein winziges, verfallenes Winzerhaus kaufte und zu einem kleinen Landsitz im Tudorstil umbauen ließ.

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Sßdansicht des Gutshauses mit gotischer St. Valentinuskirche im Hintergrund


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Linke Seite: Die Vinothek entstand Ende der 1990er-Jahre Rechte Seite: Die Schatzkammer mit Blick in den Gewรถlbekeller


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Ries


W e i n g u t u n d W e i n b e r g s ar b e i t e n C h r i st i a n Gö l d e n b o o g

ling hat Stil Ein Wein, so Winzer Wilhelm Weil, müsse einer eindeutigen Ausrichtung unterliegen. Diese beginnt zunächst mit der Rebsorte, der Arbeit im Weinberg und geht weiter über die Erträge bis hin zur Vinifizierung. Bekanntlich ist die richtige Wahl der zu ­einem bestimmten Bodentyp passenden Rebsorte ein wichtiges Terroir-Prinzip. »Das Genie des Weins steckt in der Rebsorte«, schrieb völlig zu Recht der französische Landwirt Olivier de ­Serres. ­Dessen 1600 publiziertes Werk »Le théatre d’agriculture et mesnage des champs« gilt als erste systematische Abhandlung agronomischer Themen. Und das Genie des Rheingaus, als eines der nördlichsten Anbaugebiete Europas, steckt im Riesling sowie, an einigen Stellen, in dem dieser weißen Rebsorte sehr ähnlichen Spätburgunder. Schon 1994, als Wilhelm Weil das Weingut einige Jahre zuvor übernommen hatte, erklärte der Winzer kurz und bündig, dass drei Begriffe entscheidend für ihn seien: die Region und die Lage, die Rebsorte, das Weingut. Dies sei die ­gedankliche Einheit, die seine Praxis bestimme. Und dann fügte er hinzu: »Alles Weitere verstopft das Etikett.« Ausrichtung auf den Riesling also. In der Tat ist nur schwer nachvollziehbar, warum in einem derart minimalistischen Anbau­ gebiet wie dem Rheingau mit seinen knapp über 3000 ­Hektar Rebfläche eine andere weiße Rebsorte angebaut werden sollte. Sicher­lich, mit Grünem Veltliner und Sauvignon Blanc mag man vielleicht eher in die Zeitung kommen, aber es nützt nicht der Idee von der klaren Zielvorgabe. Liegt nicht auch eine der großen Stärken des französischen Appellationsgedankens in der klaren Ausrichtung auf die adäquaten Rebsorten? Gilt es nicht im Burgund oder in der Champagne als Zeichen schlechten Geschmacks, das Etikett mit dem Namen der Rebsorte zu verstopfen, wie Weil es so bildlich beschreibt? Schon einfach deshalb, weil eindeutig ist, dass ein Montrachet oder ein Blanc de Blancs aus ­Chardonnay

erzeugt wird? Und ist nicht gerade auch der Riesling das Vermächtnis par excellence der Rheingau-Vorfahren, der Mönche, der ­ersten Winzer? Das ist eine jahrhundertealte Erfahrung, die kulturell von Generation zu Generation weitergegeben wurde und an der es bis heute nicht viel zu deuteln gibt. Über diese ­unschätzbare historische Kenntnis sagt Wilhelm Weil: »Was würde wirklich geschehen, wenn ich mein Leben lang hier mit Rebsorten experimentieren müsste? Vielleicht käme ich erst als Achtzig­jähriger darauf, dass es der Riesling sein muss. Nein, wir sollten das, was wir von den Vorfahren mit einer Selbstverständlichkeit ohnegleichen übernehmen, auch achten, weil wir es ja so von unseren Kindesbeinen her kennen. Rheingau ist Riesling und Riesling ist Rheingau.« Was aber am meisten an Wilhelm Weils strategischer ­Ausrichtung geschätzt wird, ist die Konzentration auf das Wesentliche. Als er das Weingut übernahm, schaffte er in ei­nem ersten Schritt die Benennung der Lagen auf dem Etikett ab, mit Ausnahme natürlich des Gräfenbergs. Auch heute noch, nachdem langsam, aber sicher, das wahre Potenzial sowohl des Turmbergs als auch des Klosterbergs erschlossen wurden, verbleibt der Gräfen­berg in einer singulären Position als »VDP Grosse Lage«, ­eines »Grand Cru von deutschem Boden«. »Dies hängt einfach mit unseren klar definierten Zielen zusammen: Der Gräfenberg ist und bleibt die Suche nach dem Super­lativ. Den Klosterberg und Turmberg als »VDP Erste Lage«, korrespondierend zu Premier Cru, dagegen werden wir nicht in die absolute Mächtig­keit hineinschieben. Warum sollten wir auch, wenn er durch seine mineralische Feinheit ­brilliert?« Dies ist ein bemerkenswerter Gedanke. Konzen­tration auf das Wesentliche, so die Philosophie des Winzers, ist ­besser als ein vielfältiges Einerlei.

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Das Gestein, der der Rheingau


W e i n g u t u n d W e i n b e r g s ar b e i t e n C h r i st i a n Gö l d e n b o o g

Boden, und das Ökosystem Der Wein ist weit mehr als jede andere Frucht von der Beschaffen­ heit des Bodens abhängig. Wer, nochmal, sagte dies? Sicherlich niemand, der am Zustandekommen des deutschen Weingesetzes im Jahr 1971 beteiligt war. Inzwischen reden selbst jene Winzer vollmundig über Terroir, die noch vor 20 Jahren diesen ­Begriff als französische Marketingmache abgetan haben. Und ­jeder, aber auch wirklich jeder Weinführer ist gespickt mit ­geologischen Fachausdrücken wie blauer Devonschiefer, -verwitterung, Porphyr, tertiärer Mergel und selbstverständlich zitieren inzwischen die Etiketten von Weinen fantasiereich die Erdgeschichte. Wir trinken derzeit Bundsandstein, Kristallschiefer oder Quarzit. ­Nebenbei bemerkt: Quarzit klingt wirklich besser als ein Wein namens Holzfass oder Hemlocktanne. Glücklicherweise existiert noch kein Wein, der Phyllit heißt. Phyllit, vom altgriechischen phýllon für Blatt, ist das Gestein, das weitgehend die Weinberge des Weinguts Dr. Robert Weil prägt. Was aber ist Phyllit und wie ist er entstanden?

Da s G e s t e i n Wie allgemein bekannt, beschreibt mittlerweile die Theorie der Plattentektonik sehr gut die globalen Bewegungen der Erdkruste. Gebildet wird diese Kruste aus vielfältigstem Gestein, dessen Bausteine wiederum die Mineralien sind. Gern wird gesagt, dass Gesteine Urkunden der Erdgeschichte darstellen. Sie erzählen eine ausführliche Geschichte über die Entstehung unserer Kontinente sowie der Welt, in der wir heute leben. Sie erzählt vom Untergang der Dinosaurier ebenso wie vom Aufkommen der Säugetiere, von Pflanzen und Tieren, die es so schon lange nicht mehr gibt; sie ­erzählt dies durch ihre Fossilien, die Überreste oder sichtba-

ren Zeichen von ehemaligem Leben, die in den Gesteinen enthalten sind. Die Geschichte der Gesteine berichtet von plötzlichen Erdbeben und Überschwemmungen, aber auch davon, dass sich Landstriche zwar ständig, wenn auch nur langsam und allmählich, heben und senken, und dass es sich bei diesen Auffaltungen um einen permanenten Prozess handelt. Hier geht es um Zeit­ abstände, die für uns Menschen unvorstellbar lang sind und über Jahrmillio­nen verlaufen. Immer wieder breiten sich die Wassermassen der Meere aus und ziehen sich wieder zurück; es kommt zu ­Einbrüchen, Auffüllungen und Hebungen der Erde. Immer wieder werden grade gebildete Schichten zusammengeschoben, erfasst, aufgefaltet und teilweise oder zur Gänze von anderen Schichten überdeckt. An Verwerfungen, also an Flächen, an der zerbrochene Gesteine sich gegeneinander bewegt haben, treten Bewegungen meist ruckartig auf. An diesen Stellen verschieben sich Gesteine manchmal nach Jahrzehnten der Ruhe plötzlich um mehrere Meter. Immer also ist die Erde in Bewegung. Erstaunlicherweise ist das Himalaja-Gebirge jünger als die Alpen, die sich immerhin schon vor 30 Millionen Jahren endgültig ausformten. Heute trifft man im Meer entstandene ­Kalkformationen auf der Zugspitze an, am Aufstieg zum Matterhorn ­ lassen sich Überbleibsel ehemaliger Meeresböden entdecken, sogenannte Ophioliten. Vor allem ist die Erdgeschichte eine wundersam brodelnde: Erstarren die geschmolzenen Gesteinsmaterialien, die aus dem Erdinneren hervorbrechen, sprechen wir von magmatischen ­Gesteinen. Beteiligt sind diese Erstarrungsgesteine am Aufbau der bis zu 50 Kilometer dicken Erdkruste mit bis zu 90 Prozent. Auch Verwitterung oder Erosion prägt unsere Erde, vor allem aber werden Gesteinsmassen durch Sedimente gebildet. Etwa wenn

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Die


W e i n g u t u n d W e i n b e r g s ar b e i t e n C h r i st i a n Gö l d e n b o o g

Frucht, die Reife Klimabedingt weisen die Reben und somit die Weine in nördlichen Anbaugebieten im Vergleich zu denen in südlicher gele­ genen Zonen einen markant grundverschiedenen Charakter auf – freilich auch nur bei Winzern, die ihr Handwerk verstehen: Durch die niedrigeren Temperaturen, die kleineren Beeren und die längere Vegetationsperiode werden die endgültigen Weine säurebetonter. Für Anhänger von Kühle und Frische, von belebender Eleganz das einzig Wahre. Repräsentieren doch nörd­ licher Riesling ebenso wie Champagner in der Welt des Weines zwar eine verschwindend geringe Dosis, dafür ein umso größeres ­Gewicht. Denn es geht um Spezialität und Qualität. Bekanntlich stellen die Entfaltung der Blätter, die Blüte, die Verfärbung der Traube, Veraison genannt, das Weichwerden der Beeren und die Fruchtreife sowie das Verlieren seiner ­grünen Farbe beim Herbstblatt die wichtigsten Abschnitte im Leben der Rebe dar. Während der Blüte streicht ein betörender, leichter Honig­geruch durch die Kiedricher Weinberge, ein sattes Dunkel­grün macht sich im Sommer breit. Beides erfreut die Sinne des Betrachters, der seinen Blick von der neuen Terrasse des Weinguts schweifen lässt. Die Zeit zwischen Blüte und Ernte­beginn ist der entscheidende Indikator für die innere Struktur eines ­Weines: Diese beträgt für den Gutsriesling 110 Tage – mindestens, bei den Spätlesen bis zu 140 Tage. »Bei uns im Weinberg«, sagt ­Wilhelm Weil dazu, »beginnt die Blüte im Schnitt der Jahre um den 10. Juni und ist im langjährigen Mittel Mitte Juni beendet. Die Trauben für den Gutsriesling beginnen wir zumeist zwischen dem 5. und dem 10. Oktober zu ernten.« Im Vergleich dazu: In südlichen Anbaugebieten beträgt die Zeitspanne häufig nur 80, in der nördlicheren Champagne 93 Tage und im Burgund über 100 Tage. In der Tat kommt von sämtlichen Rebsorten der Riesling in nördlichen Anbaugebieten

am spätesten in seine Reifephase, ­daher auch seine ungemein ausdifferenzierte Fruchtaromatik, die verbunden mit einer feinen Säure eine sehr spezielle mineralische Struktur erzeugt. Gern wird diese Besonderheit, dieser signifikante Unterschied in der Reifezeit an Hand eines Apfels erklärt: Gedeiht dieser in südlichen Gefilden, etwa am Stiefel Italiens, sieht er zumeist prächtig aus und riecht und schmeckt auch nach reifem Apfel. Die gleiche Sorte im Rheingau etwa bietet sicherlich keinen vergleichbaren Anblick, duftet aber wesentlicher intensiver und überrascht durch ihren geradezu erfrischenden, säuerlichen und generell nuancenreicheren Fruchtgeschmack. Heute wünscht sich der Winzer im Rheingau warme Nächte im Mai herbei, damit die Reben in der ersten Junihälfte anfangen zu blühen; in den 1970er- und 80er-Jahren etwa begann die Blüte häufig erst Anfang Juli, was dazu führte, dass die Summe der ­Sonnenstunden nicht ausreichte, um die Trauben voll ausreifen Ihre volle GröSSe zu lassen. Nach der Blüte wächst die Traube, verantwortlich dafür erreicht die sind Zellteilung und -vergrößeRieslingtraube erst rung. Ihre volle Größe erreicht die Rieslingtraube erst Mitte Mitte August ­August. Dann ist sie fest, weist zudem den höchsten Säurewert auf und verfügt über ­absolut keine Süße. Gänzlich untersucht sind all diese Wachstums­ prozesse noch nicht, man weiß aber, dass Pflanzen wie die Reben laufend Form und Physiologie an ihre Umwelt anpassen und ­dabei auf Reize aus ihrer Umgebung reagieren, vor allem aber auf innere Signale. Hormonen, griechisch: hormon für antreibend, kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Diese ­chemischen Botenstoffe ­bilden sich in einem Teil der Pflanze

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en mit d ohne Sauerstoff D i e G e s c h i c h t e d e r a l ko h o l i s c h e n G ä r u n g u n d d i e Sp o n t a n g ä r u n g Um zu überleben, benötigen Zellen oder Organismen Energie aus äußeren Quellen. Pflanzen wie etwa die Rebe nutzen die Energie des Sonnenlichts, viele Tiere verschaffen sich die nötige Energie, indem sie Pflanzen fressen. Andere Tiere ernähren sich wieder­um von diesen Pflanzenfressern. Im Allgemeinen sind Pilze und Tiere und selbstverständlich auch der Mensch zum Leben auf Sauerstoff angewiesen. Exakter: Nur unter Mitwirkung und Verbrauch von Sauerstoff setzen aufwendige Stoffwechselprozesse Energie frei, indem sie komplexe Moleküle zu einfacheren Verbindungen abbauen. Den wichtigsten und auch effizientesten Stoffwechselweg zur Beschaffung von Energie stellt die sogenannte Zell­atmung oder innere Atmung dar: Dabei werden vor allem Trauben­zucker, also Glukose, aber auch andere organische Stoffe aus der Nahrung so abgebaut, dass die dabei entstandenen Moleküle ihre gespeicherte Energie der zellulären Arbeit zur Verfügung stellen. Bei all diesen Prozessen, sie sind äußerst präzise aufein­ander abgestimmt und vom Ablauf her mit einer chemischen ­Fabrik in Miniaturformat vergleichbar, entstehen noch Kohlen­ dioxid und ­Wasser. Außerdem bedeutet nur ein Teil der Energie Arbeit für die Zelle, der Rest geht als Wärme verloren. Erstaunlicherweise existieren aber auch Organismen, die ohne Zellatmung leben können. Hefen zählen dazu. Sie sind also in der bemerkenswerten Lage, zur Energieumwandlung Zuckermoleküle ohne Mitwirkung von Sauerstoff zu verarbeiten. Und exakt dies ist, was in der modernen Biologie und Biochemie ­unter Gärung verstanden wird. Als Erster erkannte dies der französische Mikrobiologe Louis Pasteur. Es existieren viele Arten der

Gärung, sie unterscheiden sich allesamt durch ihre spezifischen Endprodukte: Bei der alkoholischen Gärung entstehen durch ­Hefen Ethanol, also Äthylalkohol, sowie Kohlendioxid als Abfall­ produkt. Bei der Milchsäuregärung bilden sich ­Lactate. Auch diese Form der Gärung, ausgelöst durch bestimmte ­Bakterien oder Pilze, wird vom Menschen genutzt, um Nahrungsmittel herzustellen, etwa Käse oder Jog­hurt. In bestimmten Situ­ Erstaunlicherweise a­tionen gärt es sogar bei uns Menschen. Wenn wir nach einer existieren Organismen, durch­zechten Nacht am Morgen die ohne Zellatmung danach zu einem Halbmarathon an­treten, schalten die Muskelleben können zellen, wenn die Sauerstoffversorgung der Muskeln durch unser Blut nicht mehr mit dem Energieverbrauch Schritt halten kann, auf Milchsäuregärung um. Sie beschaffen sich dann also die Energie ohne Sauerstoffzufuhr und dabei sammelt sich Lactat im Muskel an. Über Gären, dieses schöne deutsche Wort, schrieb der ­Chemiker Franz Lafar 1904 in seinem »Handbuch der Technischen Mykologie«, dass sich dieses vom mittelhochdeutschen »gern« ableitet und dieses wiederum vom althochdeutschen »­Jerian«. Verankert sei diese Wort­wurzel aber in dem sans­ kritischen Ausdruck »Yastas«, der wiederum eine auf­fallende Ähnlichkeit mit dem englischen Wort für Hefe, yeast, aufweist. Nach Lafars ­weiteren Ausführungen kommt der Ausdruck ­Gärung von »gar ab«, womit gemeint ist, dass etwas Un­fertiges

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Der Riesling – Rebsorte mit vielen Facetten

Der Riesling ist die spannendste, weil vielseitigste Rebsorte der Welt. Riesling­ weine werden von trocken über feinherb bis edelsüß ausgebaut, sind jung als auch gereift zu genießen. Dieses Buch behandelt das komplexe Thema Riesling am Beispiel des deutschen Spitzenweingutes Robert Weil. Kein anderes deutsches Weingut hat in den ver­ gangenen zwanzig Jahren basierend auf der Tradition solch eine beispielhafte Erfolgsgeschichte geschrieben. Wilhelm Weil hat nun in vierter Generation das Weingut in den Kreis der internationalen Weinelite zurückgeführt. Neben der spannenden Geschichte des Weingutes im Spiegel deutscher und Rheingauer Weingeschichte wird die besondere Architektur des Ensembles aus Gutshaus, Park und Weinkellern beschrieben. Fragen zu Boden und Ökosystem, zu Ausreifung und Vergärung sowie zur ­Stilistik werden vertieft und in großformatigen Fotos die vielfältigen Weinberg­ tätigkeiten gezeigt, die über den Verlauf eines Jahreszyklus vom Rebschnitt bis zur Ernte gemeistert werden.


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