Wartezeit

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VII


2


wartezeit

Eine Studie zum Thema Wartezeit betreut von Prof. Philipp Heidkamp im Lehrgebiet Interface Design Fachhochschule Köln 02 Kulturwissenschaften Köln International School of Design im März 2013 von Timo Wischmeier Bachelorstudiengang Integrated Design

3


4


danksagung An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die mich unterstützt, motiviert und gefordert haben. Bei Prof. Heidkamp, bedanke ich mich für die anregenden Gespräche und Gedanken. Ein großer Dank gilt den Jungs aus Raum 246 – Alex, Bastian, Erik, Kalle, Malte, Marcus, Max und Willi – die diese lange Bearbeitungszeit sehr viel angenehmer gemacht haben. Besonders bedanke ich mich bei Jan für seinen großen Einsatz und bei meinen Eltern, die diese Arbeit durch ihre vielen unterstützenden Gesten erst ermöglicht haben. Danke!

5



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S.75 Erkenntnisse

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S.90 Abbildungsverzeichnis

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8


01 einleitung

„Der Mensch ist ein Wesen, das zielgerichtet handelt und sich nicht sinn- und zwecklos verhält.“ 1 Es liegt in der Natur des Menschen, zielgerichtet zu handeln. Dies bedingt die Idee eines Ziels und den Willen dieses zu erreichen. Sind beide Kriterien erfüllt, beginnt er mit der Suche nach einer geeigneten Handlungsstrategie. Der Mensch führt seinen Plan aus, wenn er diesen tendenziell als sinnvoll bewertet. Wird er wiederum in seinem Vorhaben das Ziel zu erreichen, durch äußeres Einwirken gezwungen den Prozess zu unterbrechen, beginnt er zu zweifeln und nach Alternativen zu suchen. Um sein Ziel nicht zu verfehlen, bieten sich dann zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Entweder ist er in der Lage durch selbst bestimmtes Handeln erfolgreich auf die Ursache einzuwirken und die Störung zu beseitigen oder er muss warten – und ist gezwungen, den Zustand eines Kontrollverlustes auszuhalten. „Nie wird eine Minute länger empfunden, als wenn man den Sekundenzeiger einer Uhr betrachtet.“ 2 In Abhängigkeit der individuellen Bedeutung einer Wartesituation fühlen wir uns unwohl und können nichts sehnlicher erwarten, als diesen Zustand zu beenden. Wir richten unsere Aufmerksamkeit dann beinahe automatisch auf die Zeit, welche fortan stehen zu bleiben scheint. Während wir warten, überkommt uns ein Gefühl wertvolle Zeit zu verlieren und nichts dagegen unternehmen zu können. „Ein

Mensch

muß

bei

seinen

Unternehmungen

das Warten wohl gelernt haben. Die Klugheit zu

warten

bestehet

intendiertes an

darinnen,

Unternehmen

erforderlicher

Macht

zu oder

daß der

man Zeit,

Glück

ein da

etwas

Wichtiges mangelt, behutsamlich unterlässt 1 Hemel (1988)

und aufschiebet“ 4

2 Fraisse (1985) S.220 3 Walsch (1775)

Innere Ruhe ist also gefragt.

9


02 zielsetzung

Ziel dieser Arbeit ist, die Wahrnehmung von (unerwarteter) Wartezeit in Situationen des „Präprozessuales Wartens“ im Bereich der Mobilität – also Warten auf das Eintreffen des Zuges – zu untersuchen und Möglichkeiten zur Einflussnahme der Empfindung von Wartezeit aufzuzeigen. Es sollen weder, durch Verzögerungen im Prozessablauf verursachte, negative Auswirkungen für den Dienstleister beleuchtet, noch primär Ansätze zur Reduzierung von objektiver Wartezeit hervorgebracht werden. Vielmehr soll die Arbeit Erkenntnisse bezüglich der subjektiven Wahrnehmung der Nutzer in Wartesituationen hervorbringen, um einen weiterführenden nutzerspezifischen Gestaltungsprozess der Wartesituation zu ermöglichen. Nicht nur Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit sind von Bedeutung für jeden Designprozesses, sondern insbesondere auch die innere Haltung des Menschen – Verhalten, Gewohnheiten, Motivationen und die Wahrnehmung eines Menschen sind wiederum von sozialen und kulturellen Strukturen und Einflüssen geprägt. „Not only functionality and usability, but users' attitudes toward technology should

10

5 vgl. Ko-Hsun Huang und Yi-Shin Deng (2008)

4 Ho-Hsun Huang und Yi-Shin Deng (2008)

be

deliberated

in

the

technology

design

process. In addition, people's behaviors, customs, motivations for usage and perceptions are all strongly influenced by their social and cultural context.“ 4 Möchten wir uns mit der Gestaltung des Warteprozesses befassen, ist es daher unabdingbar, die Situation des Wartens auf eine Übereinstimmung von Bedürfnissen, Erwartungen und dem kulturellen Kontext des Nutzers zu überprüfen.


03 annäherung

Einen vielversprechenden Ansatz um die Wahrnehmung des Wartens als

an die thematik

sozialen Prozess zu verstehen, findet sich in der Studie „Social Interaction Design in Cultural Context: A Case Study of a Traditional Social Activity“ von Ko-Hsun Huang und Yi-Shin Deng. Innerhalb dieser wird der stärker werdende Einfluss von Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Gesellschaft und Kultur des Menschen beschrieben. 5 Seit den letzten zwanzig Jahren werden mobile Endgeräte zur Unterstützung zahlloser Aufgaben unterschiedlichster Art eingesetzt, um Menschen zu helfen systematischer und effektiver zu arbeiten. Insbesondere die steigende Verfügbarkeit und Geschwindigkeit der Kommunikationsplatt-formen verändern das Verständnis und wirkt sich in der Folge auf tra-ditionelle Gewohnheiten und Abläufe aus. Basierend auf dieser Erkenntnis soll die folgende Studie auch die Nutzung mobiler Endgeräte in Wartesituationen berücksichtigen. Daraus ergibt sich die folgende Fragestellung:

fragestellung Welchen Einfluss nehmen mobile Endgeräte auf das Empfinden der Wartezeit und welche Perspektiven lassen sich für Wartesituationen aufzeigen?

11


12 8 Duden Online (www.duden.de/rechtschreibung/wartezeit)

7 Duden Online (www.duden.de/rechtschreibung/warten)

6 Duden Online (www.duden.de/rechtschreibung/zeit)


zeit

1. Ablauf, Nacheinander, Aufeinanderfolge der Augenblicke, Stunden, Tage, Wochen, Jahre a) (umgangssprachlich) Zeitpunkt; eng begrenzter Zeitraum

(in Bezug auf seine Stelle im Zeitablauf), Augenblick

b) Uhrzeit c) [der jeweiligen Zonenzeit entsprechende] Einheitszeit, Normalzeit d) Zeitraum; Zeitabschnitt, Zeitspanne e) verfügbarer Teil des Nacheinanders, der Abfolge von

Augenblicken, Stunden, Tagen usw.

f)

(Sport) für eine Leistung, besonders zum Zurücklegen

einer Strecke, benötigter Zeitraum

g) (Sport) Dauer eines Spiels, Wettkampfs 2. Zeitraum, Zeitabschnitt des Lebens, der Geschichte usw. (einschließlich der herrschenden Verhältnisse) 3. (Sprachwissenschaft) Zeitform, Tempus 6 warten

1. dem Eintreffen einer Person, einer Sache, eines Ereignisses entgegensehen, wobei einem oft die Zeit besonders langsam zu vergehen scheint 2. sich, auf jemanden, etwas wartend, an einem Ort aufhalten und diesen nicht verlassen 3. etwas hinausschieben, zunächst noch nicht tun 4. (veraltend) sich um jemanden, etwas kümmern, für jemanden, etwas sorgen; pflegen, betreuen 5. (Technik) (an etwas) Arbeiten ausführen, die zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Zeit zu Zeit notwendig sind 6. (selten) (eine Maschine, eine technische Anlage) bedienen 7

wartezeit

1. Zeit des Wartens 2. (besonders Versicherungswesen) festgesetzte Frist, vor deren Ablauf etwas nicht möglich, nicht zulässig ist. 8

13


teil I desk research



04 grundlagen

Wenn wir warten, rückt Zeit respektive die Wahrnehmung von Zeit be-

des wartens

sonders in unser Bewusstsein, denn der alleinige Inhalt dieser Tätigkeit ist, darauf zu warten, dass Zeit vergeht – solange bis ein erwarteter Zeitpunkt beziehungsweise das gewünschte Ereignis eintritt, wie beispielsweise das Eintreffen der Bahn, das Erreichen des Schalters in der Postfiliale oder der Beginn der Vorlesung. Dabei ist der Zeitraum in dem wir auf etwas warten oftmals eine unangenehme Beschäftigung, weil wir Wartezeit oft als eine Unterbrechung oder als Übergang zwischen zwei „sinnvolleren“ Tätigkeiten ansehen. In diesem Moment fühlen wir uns zur Passivität gezwungen und dem Verursacher ausgeliefert. Das Warten kommt in diesem Moment einem Kontrollverlust gleich und wird daher häufig als eine (ungewollte) Untätigkeit beschrieben werden, welche von äußeren Zeitstrukturen und -abläufen abhängig ist. 9

09 Schmitt (2007) 10 Echtzeit (engl. real-time) bedeutet, dass ein bestimmtes Verhalten unmittelbar geschieht. Entspricht die Dauer von Berechnungen und Abläufen der selben Zeitspanne, die sie auch in der realen Welt verbrauchen, so spricht man von Echtzeit (vgl. http://glossar.hs-augsburg.de/Echtzeit) 11 vgl. Maister (1985) in Raupold (2009)

16


05 unerwünschtes warten [Wann]

Der

unser

laufes zur Folge hat, wird stetig daran

sondere Stellung ein, da bei der

Warten ist vielseitig und von vielen

gearbeitet diese durch technolo-

Inanspruchnahme gleich mehrfach

Faktoren abhängig. Zeitlich betra-

gischen Fortschritt zu minimieren.

gewartet werden muss und diese

chtet entsteht beispielsweise eine

Gleichzeitig hat spätestens mit dem

gleichzeitig nicht nur in Abhängig-

Verzögerung üblicherweise vor der

Triumphzug der Industrialisierung

keit vom tech-nischen Fortschritt

eigentlichen Tätigkeit (wenn wir

die enorme Beschleunigung von

entsteht. Dementsprechend kom-

zum Beispiel das Eintreffen des

Prozessen mit Hilfe von Maschinen

mt dem Dienstleister auch eine

Zuges erwarten). Insbesondere bei

zu einem erhöhten und ständig

gewisse Verantwortung im Umgang

der Nutzung von Transportmitteln,

auftretenden Gefühl der Ungeduld

mit Verzögerungen zu, welche sich

wie der Bahn oder dem Flugzeug

bei

in der Kundenzufriedenheit nieder-

kommt es mitunter vor, dass wir

geführt. Längst haben wir den Be-

ebenfalls nach Beendigung der

schleunigungsglauben

eigentlichen Dienstleistung sowie

Streben nach ständigem Fortschritt

Dem zeitlichen Ablauf entsprech-

während

verinnerlicht.

mit-

end, ist hier zunächst das Warten

zum Warten gezwungen sind. So

unter zu einer selbst auferlegten

auf den Beginn des Transports zu

warten wir während des Transports

Notwendigkeit, Maschinen stets

nennen. Dieser Moment ist sicher-

nicht nur auf das Erreichen des

an neue Anforderungen anzupas-

lich ein wichtiger Faktor für die

Ziels sondern unter Umständen im

sen und gegebenenfalls kurzweilig

Bewertung beziehungsweise das

Anschluss auf unser Gepäck.

auszutauschen. Dabei interessi-

Empfinden, da Wartezeit hier sehr

der

Grund

für

Inanspruchnahme

aufgezwungener

Dies

Wartezeit und führt

schlägt.

das

ert nicht, wie viel Leistung die ak-

intensiv als „verlorene“ Zeit wahr-

[Warum] In diesem Zusammen-

tuelle Techno-logie bringt, sondern

genommen wird. 11 Diese Form

hang können Verzögerungen im

vielmehr welchen Mehrwert die

der Wartezeit kann selbst verschul-

Ablauf sowohl technisch, wie auch

Zukünf-tige

In

det sein, wenn man zu früh zum

menschlich bedingt auftreten. Al-

diesem Zusammenhang wird ins-

vereinbarten Termin erscheint, un-

len Formen ist dabei gemein, im-

besondere darauf hingearbeitet,

terliegt jedoch zu einem Teil auch

mer eine unangenehme Wahrneh-

Wartezeit in Gänze zu vermeid-en

der Kontrolle des Serviceanbieters,

mung zu sein. Entsprechend wird

beziehungsweise Prozesse in Echt-

da dieser über zeitlichen Ablauf in

versucht diese Zeiträume zu opti-

zeit 10 ausführen zu können.

Form von Fahrplänen und Verfüg-

mieren.

Wir warten nicht nur auf Ma-

barkeit seines Angebots bestimmt.

Das technische Warten beschreibt

schinen und technische Prozesse

Öffentlicher Personenverkehr (ab-

das Warten aufgrund von tech-

sondern auch auf Dienstleistungen

gesehen von Transportmitteln mit

nischen Prozessen. Da dies eine

und Menschen. Dabei nehmen

individualisierter Ausrichtung, wie

Verzögerung des Produktionsab-

Transportdienstleistungen eine be-

beispielsweise das Taxi) richtet

liefern

könnte.

17


sich entsprechend an zuvor fest-

Fahrzeit verbleibt stets eine auf-

gelegten Rhythmen aus, dem sich

zubringende Zeit. Dem Nutzer

der Fahrgast anzupassen hat. Auf-

wird diese Zeit zwar nicht in dem

grund der komplexen Struktur un-

Maße bewusst respektive als un-

serer Gesellschaft und den vielen

angenehm empfunden, wie es

Variablen, welche den zeit-lichen

beim Warten auf den Beginn der

Ablauf beeinflussen, ist eine ex-

Fahrt der Fall ist – schließlich

akte Anpassung des Kunden nur

stellt dies den erworbenen Nutzen

bedingt möglich und Wartezeit

–, dennoch werden große An-

die

Dem

strengungen unternommen, diese

Dienstleister kommt dennoch eine

so angenehm wie möglich zu ge-

Verantwortung zu, die getätigten

stalten. Dies kann mitunter eine

Angaben wie Abfahrtszeiten einzu-

enorme Angebotsvielfalt beinhalten

halten und dem Fahrgast einzuräu-

und umfasst häufig die gesamte

men, seine Wartezeit entsprechend

Dienstleistung

selbst zu kontrollieren.

Wartezeit vor und nach der Fahrzeit.

zwangsläufige

Folge.

inklusive

der

Angefangen bei Zusatzleistungen Mit dem Eintreffen des Transport-

wie die Bereitstellung von Sitz-

mittels beginnt eine weitere Form

gelegenheiten über gastronomis-

des Wartens. Sobald wir dieses

che Angebote bis hin zu Steck-

betreten, warten wir auf das Er-

dosen und Unterhaltungsmedien.

reichen des Ziels. Dies wiederum ist erneut abhängig von der zur Verfügung stehen-den Technologie, da die Überwindung der geographischen Distanz in möglichst geringer Zeit an die Geschwindigkeit der Technologie gebunden ist. Die Be-schleunigung der Mobilität beziehungsweise der zeitsparende Effekt ist auch in diesem Zusammenhang

von

entscheidender

Bedeutung, jedoch vom Anbieter nur bis zu einem gewissen Grad zu beeinflussen. Trotz der fortwährenden Beschleunigung der

18

12 vgl. Levine (1999)


06 erwünschtes warten warten als qualitätsmerkmal »

[Warum] Aus der Perspektive des Kunden ist Wartezeit überwiegend negativ konnotiert. Aus Sicht des Anbieters hingegen ist eine Warteschlange

oftmals

gewollt.

Eine Warteschlange entsteht immer dann, wenn die Nachfrage die Geschwindigkeit der angebotenen Ware übe steigt. Eine Menschensammlung wird daher häufig als Zeichen hoher Nachfrage beziehungsweise als Hinweis für gute Qualität inteRpretiert. Seltsamerweise glauben wir wirklich, dass die Produkte wertvoller sind, wenn die Wartezeit lange dauert. Das liegt zum Einen an dem Bedürf-nis unsere Ausgaben zu recht-fertigen – in diesem Falle unsere Zeit – und zum Anderen schätzen wir etwas besonders, wenn es am wenigsten verfügbar ist. Je seltener ein Angebot scheint, desto wertvoller wirkt es demnach. 12

Abhängig von der Art der Dienstleistung kann somit auch eine Warteschlange auf Unentschlossene respektive Unwissende anziehend und positiv wirken. Beim Arzt würde ein leeres Wartezimmer beispielsweise Misstrauen und

19


während

[Warum, Wer] Ähnlich wie Warte-

wir einen gefüllten Warteraum als

zeit eine Beurteilung von Dien-

demonstration

Zeichen für Qualität wahr-nehmen.

stleistungen möglich macht, sym-

der macht

In diesem Fall ist zusätzlich die

bolisiert sie in vielen Situationen

Länge der Warteschlange von Be-

ebenso den sozial-en Status von

deutung. Warten bereits zu viele

Menschen untereinander.

Patienten, wirkt die Praxis schnell

Möchte man sich beispielsweise

unorganisiert.

mit „wichtigen“ Personen treffen,

Wartezeit muss aus Sicht des

ist dies meistens nur nach vor-

Kunden daher stets im Kontext

heriger Absprache möglich. Bei

beziehungsweise in Relation zum

Personen mit vergleichbarem Sta-

Angebot betrachtet werden. Sie

tus geschieht dies hingegen oftmals

kann Zeichen für gute Qualität

kurz-fristig und ohne umfassende

sein, aber auch künstlich geschaf-

Organisation. Zudem ist es gesell-

fen werden oder auf einen Man-

schaftlich akzeptiert, dass Per-

gel, zum Beispiel im Produktion-

sonen mit dem höheren Status die

sprozess, hinweisen.

anderen warten lassen, während

Aus der Perspektive des An-

dies umgekehrt als Fehlverhalten

bieters wiederum erfährt die Dien-

gewertet wird.

stleistung eine mehr oder weniger

Eine solche Wertung zeigt sich

unbewusste Bewert-ung, welche

nicht nur bei gemeinsamen Ter-

beispielsweise

minen sondern bereits auch im

Unwohlsein

auslösen,

Aufschluss

über

Nachfrage gibt oder aber auf Män-

sozialen

gel im Ablauf hinweist.

einer Warteschlange vor einem

Alltag.

Das

Umgehen

Club, weil jemand auf der Gästeliste steht, zeigt nicht nur die eigenen sozialen Beziehungen auf, sondern demonstriert auch den sozialen Status.

20

» warten als


. man sich vordrängelt, sollte man es hinten tun. 0. Wenn

9. Zeit kann als Geschenk gegeben werden

8. Warten kann ein wirksames Kontrollinstrument sein.

7. Der Mächtige kontrolliert, wer wartet.

6. Geld verschafft einen Platz vorn in die Schlange.

5. Je länger die Menschen warten, desto höher dein Status

4. Der Status bestimmt, wer wartet.

3. Wir schätzen das, worauf wir warten.

2. Angebot und Nachfrage regeln die Länge der Warteschlange.

1. Zeit ist Geld.

Der Psychologe Robert Levine beschreibt das Zusammenwirken von Zeit und Macht wie folgt:


kurze Pause

"Erinnere dich, dass Zeit Geld ist." Benjamin Franklin, 1748

noch 70 seiten


"Der GroĂ&#x;stadtmensch beschleunigt sein Tempo auf allen Lebensge-bieten, weil es ihm zur zweiten Natur wird." Willy Hellpach, 1939


07 zeit.

Wir denken ständig an Zeit – sei es das Schmieden von Zukunfts-

die maßeinheit

plänen oder die Erinnerung an Vergangenes. Zeit ist allgegenwärtig.

des wartens

Sie reguliert das Tempo der Tätigkeiten eines Menschen und den Lebenstakt einer ganzen Gesellschaft. Zeit ermöglicht uns die Synchronisation komplexer Strukturen und -Prozesse. Wer das Gedränge auf einem Bahnhof beobachtet, spürt wie die Zeit unser Leben bestimmt. Gleichwohl glauben wir, mit Zeit vertraut zu sein – bis wir sie erklären sollen. Wir betrachten Zeit gerne als Sache, doch entzieht sie sich eigentlich unserer Vorstellung. Die Erfahrung das Zeit vergeht oder vergehen zu scheint, ist ein wesentliches Konstrukt unserer Idee des Lebens. Wie aber lässt sich Zeit verstehen? Ein Ansatzpunkt ist das Messen der Zeit. Eine kurze Geschichte der Uhrzeit Zeitmessgeräte legen heutzutage nicht nur den Anfang und Ende einer Tätigkeit fest, sondern bestimmen auch unsere Zeitpläne und Organisation. Dass wir heute ganz selbstverständlich mit Uhren und Kalendern umgehen, ist das Resultat einer langen zivilisatorischen und industriellen Entwicklung. Um unsere heutige Wahrnehmung und Einstellung gegenüber Zeit zu verstehen, ist es hilfreich diese Entwicklungsprozesse kurz zu durchleuchten. Auffällig ist dabei die Parallelität zwischen dem Fortschritt der Zeitmessung und den gesellschaftlichen Anforderungen. Je komplexer die gesellschaft-lichen Strukturen desto stärker das Verlangen nach Synchronisation des Individuums mit seiner Umgebung. Der Zeitlichkeit und dem Vergehen der Zeit war sich der Mensch bereits bewusst, lange bevor es Uhren gab. Der Steinkreis von Stonehenge oder die Himmelsscheibe von Nebra sind Zeugnisse dieser Zeit. Damals orientierte man sich an natürlichen Rhythmen und Wiederholungen. Zyklen wie die Jahreszeiten und regelmäßige Bewegungen wie die Gezeiten in Folge der Erdrotation dienten den Landwirten als Orientierung und Grundlage zur Ausformulierung zeitlicher Abläufe. Mit der Abkehr von einer reinen Ereigniszeit hin zu einer abstrakten Kalenderzeit werden Vergangenheit, Gegenwart sowie Zukunft wahrnehmbar, also Ereignisse zeitlich bestimmbar. Neben der groben Bestimmung eines Nacheinander von Zeit-punkten

24


rückt mit einer komplexer werdenden Gesellschaft auch das Bedürfnis, die Länge einer Tätigkeit messen und vergleichen zu können in den Vordergrund. Die ersten Uhren werden der Antike zugeordnet, waren jedoch noch eng an die Natur gebunden. Der Lauf der Sonne wurde genutzt, um die Zeit mit Hilfe eines Schattenwerfers auf einem Zifferblatt anzuzeigen. Mit dem Aufkommen der Sonnenuhr wurde der Tag in Stunden eingeteilt und damit erstmals die Möglichkeit geschaffen, Vereinbarungen genauer zu terminieren. Zuvor konnten diese nur sehr grob, beispielsweise zum Aufgehen oder nach Untergang der Sonne, abgesprochen werden. Damit werden Prozesse erstmals in ihrer Dauer erfahrbar. Während Wasseruhren noch das gleichmäßige Fliessen der Zeit symbolisierten, wurde diese Vorstellung bald mit dem Aufkommen der ersten mechanischen Uhren grundlegend verändert. Die Pendeluhr zerhackte die kontinuierliche Bewegung in einen Minuten- beziehungsweise später in einen Sekundentakt. Trotz der anfänglich noch geringen Genauigkeit stellten sie einen entscheidenden Schritt zur Synchronisierung des täglichen Lebens dar. Akustische Signale von den Turmuhren der Rathäuser sowie den Glocken der Kirchen vernetzten von nun an das Leben der Bevölkerung. Der Mensch wird somit zum Taktgeber und Herrscher über die Zeit, welche fortan immer stärker den Alltag bestimmt. Sanduhren und Kerzenständer mit Stundenskalen belegen, dass Menschen insbesondere in Bezug auf Ihre Arbeit bereits im Mittelalter nicht frei von Zeitvorgaben waren. Der Besitz einer privaten Uhr blieb jedoch bis zum Ende der Aufklärungszeit ein Privileg der Oberschicht und diente zunächst vor allem dem eigenen Selbstverständnis und als Statussymbol. Die langsame Verbreitung der Uhr veränderte die Vorstellung von Genauigkeit radikal. Bald waren sie in jedem größeren Raum zu finden und wachten darüber, dass zeitliche Vorschriften eingehalten wurden. Das Vereinbaren und Einhalten von Terminen wurde in adligen Kreisen zur Etikette und Vorraussetzung für eine Lebensführung, die als „Ponctualité“ (deutsch: Pünktlichkeit) bezeichnet wurde. Für die Arbeiterklasse wurden Uhren mit Beginn der Massenproduktion im 19. Jahrhundert erschwinglich. Auch aus Privat-haushalten und dem

25


öffentlichen Leben waren elektrisch synchronisierte Uhren bald nicht mehr wegzudenken. Der allgemeine Uhrenbesitz war eine Errungenschaft und Verpflichtung, nicht zu spät zur Arbeit zu kommen, zu gleich. Der zeitliche Zwang hat immer mehr Bereiche des Lebens durchdrungen und wurde somit im Laufe der zivilisatorischen Entwicklung von den Menschen ver-innerlicht. Ohne diese Akzeptanz zur zeitlichen Bindung wäre die industrielle Herstellung von Massengütern nicht möglich gewesen. Interpretation: Zeitmessgeräte sind im Laufe ihrer Entwicklung nicht nur genauer geworden, sondern gleichzeitig auch tiefer in die Persönlichkeit des Menschen eingedrungen. Im 21. Jahrhundert, verschwindet die Uhr als Gegenstand daher auch zunehmend wieder aus dem Alltag und verortet sich direkt am Körper. Zuerst die Armbanduhr und später die Smartphones, welche mit der Frequenz von Atomen synchronisiert sind, kontrollieren das Individuum bis auf die Millionstel Sekunde. Frage: Welche Auswirkungen auf das Warteverhalten sind durch die Nutz-ung mobiler Endgeräte festzustellen? Die industrielle Revolution und ihre Folgen Wenn wir Uhren betrachten, stellen wir fest, dass sie die Zeit exakt angeben können, aber nichts über das Wesen von Zeit aussagen. Es bleibt daher weiterhin die Frage offen, was genau wir eigentlich zu messen versuchen? Die industrielle Revolution markiert einen wesentlichen Wende-punkt der Gesellschaft und ihren Umgang mit Zeit. Sie beginnt mit der Entwicklung der Dampfmaschine – eine von natürlichen Zyklen unabhängige Kraftquelle. Mit ihr verliert der Sonnen- und Mondzyklus seine regulierende Funktion. Dieser wird vom künst-lichen Takt der Maschinen ersetzt, welche fortan Arbeits- und Ruhephasen bestimmen. Sie löst die Abhängigkeit der Industrie von natürlichen Rhythmen und ermöglicht eine Beschleunigung der täglichen Arbeitsprozesse.

26


Die Verbreitung der industriellen Revolution war erheblich an die Entwicklung der Eisenbahn gebunden. Lässt sich anhand der geographischen Expansion des Schienennetzes doch gut er-kennen, wie sich die moderne Industriegesellschaft ausgebreitet hat. Der Anschluss an die Eisenbahn brachte oftmals auch einen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich. Als die Eisenbahn im Zuge neuer Transportanforderungen aufkam, hatte jede Stadt eine eigene Zeitrechnung – orientiert an den Tageszeiten. Mittag war immer dann, wenn die Sonne im Zenit stand. Die Fahrpläne der Bahn richteten sich dabei an die Zeitmessung der Stadt, in der die Fahrt begonnen hatte und behielt diese auch während der gesamten Dauer bei. Das schloss sowohl das Fahrtziel wie auch Zwischenstationen mit ein, so dass diese von nun an unterschiedliche Zeitmessungen beachten mussten – die eigene und die den Zügen zugehörige Zeit. Je mehr sich in der Folge Streckennetze und Züge kreuzten, desto undurchsichtiger und komplexer wurde das System. Eine Abstimmung untereinander wurde daher immer wichtiger und eine Synchronisation der Zeitmessung unumgänglich. Aus diesem grundlegenden Bedürfnis heraus standardisierte die die Eisenbahn die Zeit und entzog den Städten ihre zeitbestimmende Gewalt. Letztendlich führte diese Entwicklung zu unserer heutigen global synchronisierten und auf geographische Zonen abgestimmte Zeit – der Standardzeit. Die Industrialisierung veränderte somit nicht nur die Zeitstrukturen der Arbeitsprozesse, sondern ebenso den Lebensrhythmus. Dieser wird fortan in Arbeits- und Freizeit eingeteilt, losgelöst von dem zuvor vorherrschenden natürlichen Tag/Nacht-Zyklus. Auch der Lohn berechnet sich nun nicht mehr nur aus der zur Verfügung gestellten Arbeitskraft, vielmehr wird diese mit der aufgebrachten Arbeitszeit verrechnet. Diese Entwicklung führt schließlich zu einer völligen Veränderung der Wertschätzung von Zeit, welche sich durch die Gleichung „Zeit ist Geld“ ausdrücken lässt.

27


„In den meisten Ländern der Welt ist dies die Grundregel, von der sich alle anderen ableiten. Arbeiter werden nach Stunden bezahlt, Rechtsanwälte rechnen nach Minuten ab, und Werbezeit wird nach Sekunden verkauft. Durch eine seltsame Anstrengung des Intellekts hat der zivilisierte Verstand die Zeit — das obskurste und abstrakteste aller immateriellen Güter — auf die objektivste Größe überhaupt reduziert – Geld“ 13 Interpretation: Neben dem permanenten Fortschrittsgedanken sowie der vollständigen Entkoppelung der menschlichen Zeitstrukturen von der Natur, zählt die Kapitalisierung von Zeit sicherlich zu den wesent-lichen Folgen der Industrialisierung. In diesem Zusammenhang verändert sich folglich auch das Verständnis von Wartezeit, welche fortan mit einem konkreten Wert beschrieben wird. Eine wichtige Erkenntnis will man das Verhalten von Menschen in Wartesituation verstehen. Frage: Welche Faktoren beeinflussen die Empfindung der Zeit (in Wartesituationen)?

13 Levine (1999) S.147 14 vgl. Arte (2011)

28


08 die empfindung der zeit Die meisten Menschen denken,

persönliche Zeiten. 14

Zeit verstreicht immer auf die selbe

Entsprechend

Weise – für alle und überall. Dieser

nehmung respektive die Be-deutung

Glaube geht auf Isaac Newton

der Zeit auch von äußeren Einflüs-

zurück, der behauptete, dass Zeit

sen wie Kultur, Alter, Erfahrung

stets mit der selben Geschwindig-

oder Technik abhängig. Dies wird

keit fliesst. Mit Hilfe der neuesten

deutlich, wenn wir beispielsweise

mech. Geräte als Inspirationsquelle,

das stark von der Uhrzeit geprägte

erkannte Einstein schließlich, dass

Zeitverständnis der westlichen In-

Zeit vielmehr eine individuelle Er-

dustriestaaten, welche Zeit oftmals

fahrung ist und entsprechend mit

mit Geld gleichsetzen, und die eher

unterschiedlicher

Geschwindigkeit

an Ereignissen orientierte Auffassung

fliesst. Diese Erkenntnis kam Einstein

vieler afrikanischer und südamerika-

durch die Verbindung von Raum

nischer Nationen miteinander ver-

und Zeit – der Raumzeit. Aus seinen

gleichen.

Forschungen

geht

hervor,

ist

die

Wahr-

dass

je mehr von dem Wert Raum

Entsprechend wirkt sich die Dauer

vorhanden ist, desto weniger von

einer Tätigkeit beziehungsweise einer

dem Wert Zeit vorhanden sein kann

Untätigkeit auch unterschiedlich auf

und umgekehrt.

die innere Ruhe beziehungsweise

Demnach beeinflusst eine Bewegung

Zufriedenheit des Menschen aus.

durch den Raum auch das Vergehen

In diesem Zusammenhang stellt der

der Zeit, d.h. für denjenigen der sich

Psychologe David Maister eine ein-

bewegt vergeht die Zeit langsamer.

fache Formel auf:

Dieser zugegebener Maßen oberflächliche Exkurs in die Physik bringt jedoch eine für den weiteren Verlauf der Arbeit wichtige Erkenntnis hervor:

Die Zufriedenheit des Kunden wird bestimmt

Zeit wird individuell wahrgenommen.

durch das Verhältnis der tatsächlichen

Es existiert demnach nicht eine

Wartezeit zur empfundenen Wartezeit.

gemeinsame Zeit, sondern viele

29


Demnach ergeben sich zwei wesen-

Eine Reduktion der quantitativen

tliche Möglichkeiten die Zufrieden-

Wartezeit ist jedoch oftmals auf-

heit des Menschen in Wartesitu-

grund äußerer nicht

ationen

barer

zu

beeinflussen:

Die

Faktoren,

beeinfluss-

beispielsweise

Minimierung und Beseitigung von

schlechte Wetterverhältnisse nicht

Wartezeit oder die Beeinflussung

möglich.

der Kundenerfahrung während des Wartevorgangs.

Demgegenüber kann auf psychologischer Ebene die Wahrnehmung

Einwirkungen auf die Quantität

von Wartezeit auch in ihrer Qua-

der Wartezeit beschäftigen sich

lität beeinflusst werden. Wenn die

dabei mit der objektiven Realität,

Beschleu-nigung eines Vorgangs

d.h. der Einflussnahme auf die

nicht möglich ist, beispielsweise

Wartedauer beispielsweise durch

aufgrund mangelnder räumlicher

die Verwendung leistungsstärkerer

Kapazität,

Technologie, dem Einsatz von mehr

Aufmerksamkeiten für den Kunden

Arbeitskräften oder Veränderungen

das Warten erträglicher.

machen

zusätzliche

in der Struktur und Rhythmus des Wartens.

„Eine Spritze tut weniger weh, wenn es schnell passiert ...und noch weniger,

Wartezeit zu verkürzen ist gut,

wenn man davon weiß“ 15

aber oftmals auch mit hohen Investitionen verbunden. Dennoch

Eine Einwirkung auf die Qualität

sind wir oftmals gewillt, eine Zu-

der Wartezeit meint demnach nicht

satzleistung, d.h. eine Beschleuni-

objektive Wartezeit zu reduzieren,

gung des Prozesses trotz erhöhter

sondern vielmehr die empfundene

Kosten oder vergleichbarer Gegen-

Dauer zu beeinflussen.

leistungen wie der Einbindung von Werbung in Anspruch zu nehmen. Angefangen beim Kauf neuer Technologie wie Computer oder Mobiltelefonen, über den Expressversand von Briefen und Paketen bis hin zum Erwerb von Direktflügen und bevorzugtem Check-In. 15 Maeda (2006) S.31

30


8. In der Gruppe vergeht die Zeit schneller.

attraktiv genug ist.

7. Warten erscheint länger, wenn der Attraktor nicht

als gerechtes.

6. Ungerechtes, fremdverschuldetes Warten erscheint länger

5. Nicht erklärte Wartezeiten dauern länger als erklärte.

subjektive Wartezeit.

4. Eine nicht abzuschätzende Situation verlängert die

empfunden.

3. Nie enden wollende Situationen werden in Angstsituationen

befindliches.

2. Präprozessuales Warten dauert länger als im Prozess

1. Wartezeit dauert länger, wenn wir uns langweilen.

Propositionen bestimmt:

In diesem Zusammenhang wird die subjektive Wahrnehmung nach David Maister durch acht


09 einflüsse auf

Insbesondere den Angstgefühlen kommt nach Maister eine besondere Be-

die empfindung

deutung zu, da diese die subjektive Wartezeit am längsten ausdehnen. An

der dauer

dieser Stelle soll daher kurz näher auf sie eingegangen werden. Die Angst vor der Dauer 16

» ängste

Kunden, die über die verbleibende Wartezeit bescheid wissen, nehmen diese wesentlich entspannter wahr. Umgekehrt werden unbestimmte Wartezeiten oftmals wesentlich angespannter verbracht und entsprechend überschätzt. Erfährt beispielsweise ein Patient im Wartezimmer, dass sich seine Behandlung um eine bestimmte(!) Zeit hinauszögert, wird er zwar zunächst verstimmt sein, die Zeit jedoch relativ entspannt verbring-en. Wird ihm nicht mitgeteilt, wann seine Behandlung stattfindet, steigert sich seine Nervosität messbar. Aufgrund der Unehrlichkeit und der unbestimmten Wartezeit bringt man die Person gegebenenfalls in eine unangenehme Situation. In diesem Zusammenhang sollte jedoch auch auf die Einhaltung der Versprechen geachtet werden, da diese die Erwartungen des Patienten erhöht. Bei Überschreitung der Angabe wird die Zeit dann subjektiv länger empfunden und der Patient verärgert. 17

32

In offenen, flexiblen Wartesituationen (siehe Abschnitt 3.4) gibt es häufig keine (oder zumindest keine Anzeichen) für eine festgelegte Wartereihenfolge, wie beispielsweise im Wartezimmer einer Arzt-praxis. Für die Patienten ist keine Ordnung zu erkennen. Vielmehr werden Vermutungen in Anlehnung an den Zeitpunkt des eigenen Erscheinens im Vergleich zu anderen Patienten angestellt. Werden andere Wartende trotz ihrer spä17 vgl. Maister (1985) in Raupold (2009)

Länge (vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/Dauer)

16 Dauer beschreibt eine Zeitspanne oder Zeitraum von bestimmter

Die Angst vor dem Vergessen werden

teren Ankunft zuerst aufgerufen, stellt sich schnell eine Angst des Vergessenwerdens ein, was sich in einem Gefühl der Anspannung ausdrückt. Diese Situation entsteht oft an Orten, bei denen wir uns in eine passive Wartesituation begeben. Ein Moment der Entspannung ist trotz einer passiven Wartesituation (keine Warteschlange) oftmals nicht möglich, da wir stets das Gefühl haben, aufmerksam sein zu müssen.


Die Angst vor der Ungerechtigkeit Das Ungerechtigkeitsgefühl steht in enger Verbindung mit der Angst des Vergessenwerdens. Beide treten entsprechend häufig in Kombination auf und haben oft die gleiche Ursache, beispielsweise das Aufrufen eines Patienten trotz seiner späteren Ankunft. Auch in eher offenen, unsortierten Wartesituationen wird das Einhalten und Überblicken von Reihenfolgen schwierig. In Deutschland wird an Bahnhaltestellen nur selten eine genaue Warteschlange gebildet und „Vordrängeln“ effektiver und häufiger genutzt. Häufig herrscht daher in solchen Situationen das Gesetzt des „Stärkeren“, was zu Ungerechtigkeiten und ein Gefühl des Unwohlseins auslösen kann. Ungerechte Wartezeiten dauern laut Claudia Raupold daher subjektiv länger als gerechte Wartezeiten. Dieses Gefühl stellt sich auch ein, wenn eine Verzögerung durch Angestellte z.B. ein Telefonat, verursacht wird. 18 Die Angst vor der falschen Entscheidung Diese Angst stellt sich insbesondere in Situationen ein, bei denen man als Person vor die Wahl gestellt wird, die „richtige“ Warteschlange selbst auszuwählen wie beispielsweise im Supermarkt. Umgehend versucht der Kunde Hinweise zu erkennen, welche Aufschluss über die kürzeste Wartezeit geben könnten. Erhebliche Unterschiede treten dabei jedoch selten auf, da sich Ungleichgewichte oftmals schnell ausgleichen. Die Angst vor dem Ungewissen Die Angst vor dem Ungewissen ist auch abhängig von der persönlichen Erfahrung des Wartenden mit der jeweiligen Situation. Menschen die häufig den Arzt aufsuchen und den Ablauf kennen, vielleicht sogar in der Lage im Wartezimmer Platz nehmen, als solche die den Arzt nur selten aufsuchen. Diese Menschen werden sich während der Wartezeit gegebenen19 vgl. Raupold (2009)

18 18 vgl. Raupold (2009) S.3819

sind Konsequenzen abwägen zu können, werden wesentlich entspannter

falls alle möglichen Krankheitsdiagnosen einbilden. 19

33


10 einflüsse auf

Die intime Zone:

die empfindung

In dieser Zone hält unser Gegenüber maximal 60 Zentimeter Abstand und

der dauer

wird auch als tröstliche beziehungsweise beschützende Distanz beschrieben. Dieser Bereich wird in der Regel nur von engsten Freunden, Familien-

» verhalten

mitgliedern oder Partnern betreten. Andernfalls reagieren wir oftmals mit Ablehnung bis hin zu Aggression. Die intime Nähe macht es möglich Geruch, Körperwärme und auch Atem wahrzunehmen. Zur Kommunikation reicht Flüstern. Die persönliche Zone: Diese Zone ist in der Regel guten Freunden und Kollegen vorbehalten, welche bis zu 60 Zentimeter an die Person herantreten. In dieser Entfernung werden in der Regel Gespräche von persönlichem Interesse geführt und ist zugleich die Zone, in die jemand beim Händeschütteln eindringt. Von Fremden sollte dieser Bereich nur langsam betreten werden. Die soziale Zone: Diese Zone beschreibt den klassischen Abstand zu Fremden, Verkäufern oder Beamten, d.h. der Abstand reicht ungefähr von 1,20 bis 3,60 Meter. Aus dieser Entfernung werden intime, visuelle Details nicht mehr wahrgenommen und ist daher für lockere, gesellschaftliche Zusammenkünfte bis hin zu formellen Anlässengeeignet. Dieser Abstand ermöglicht das gesamte Umfeld zu erfassen, verlangt zur Kommunikation mit der Person jedoch eine lautere Stimme. Die öffentliche Zone: Diese Zone definiert eine Entfernung von mehr als 3,60 Meter und ist typisch für Zuschauer eines Vortrags beziehungsweise Auftritts. Sie stellt normalerweise keine Bedrohung für die eigene Wohlfühlzone dar. Innerhalb dieses Bereichs ist die Kommunikation nur durch eine deutliche, sorgfältige Wortwahl und einer Verlangsamung des Redetempos möglich. Auch müssen Stimme und Bewegung übertrieben werden, um erkenntlich zu sein, da Einzelheiten des Gesichtsausdrucks und der Bewegungen des Gegenübers verloren gehen.

34


öffentlich sozial persönlich intim

Ein wichtiger Faktor, der das Empfinden in den unterschiedlichen Wartestrukturen beeinflusst, ist die Angst vor der Enge. Menschliche Nähe kann unter Umständen zu enormen psychischen Druck und Stress führen. Das Distanzempfinden wird dabei von vielen Faktoren wie beispielsweise Körpergeruch oder -haltung beeinflusst. Der Anthropologe Edward T. Hall begründet dies mit subtilen Territorialansprüchen. Er unterscheidet zwischen vier unterschiedlichen Zonen 20 der menschlichen Nähe: 21


kurze Pause

"Eins, zwei, drei, im Sauseschritt, eilt die Zeit, wir eilen mit." Wilhelm Busch, 1877

noch 56 seiten


"Von den Luftschiffen an bis zu den Dampfschiffen und Schnellposten beweiset es sich, dass Europa jetzt unterwegs ist und eine Vรถlkerwanderung der anderen begegnet. Zuhause sitzen nur noch wenige." Jean Paul, nach 1800


teil II field research



11 einleitende

(Unerwartete) Wartezeiten führen aufgrund von Hilflosigkeit und Kontroll-

gedanken

verlust zwangsläufig zu einem verlangsamten Zeitgefühl. Dieses Empfinden ist jedoch in subjektiver Weise zu begreifen und wird von jedem Betrachter unterschiedlich intensiv wahrgenommen. Während eine Verlangsamung in vielen Bereichen durchaus gewollt sein kann, beispielsweise um ein Gefühl der Vorfreude oder Spannung zu erzielen, wird dieses im Mobilitätssektor eher zu vermeiden versucht, da diese oftmals als verlorene Zeit respektive als Übergang zwischen zwei Tätigkeiten empfunden wird. Die Zufriedenheit beziehungsweise Effizienz eines Wartesystems bildet sich dabei aus dem Verhältnis der tatsächlichen und der empfundenen Wartezeit. Objektive Wartezeiten lassen sich aufgrund von Verzögerungen im Ablauf jedoch nicht gänzlich vermeiden und sind oftmals von komplexen Strukturen und Prozessen abhängig. Aus diesem Grund kommt der Qualitätssteigerung der empfunden Wartezeit eine besondere Bedeutung zu. Dementsprechend

scheint

die

entscheidende

Frage bezüglich des Wartens nicht die nach der Quantität (Wie lange hast du gewartet?), sondern

vielmehr

diese

(Wie hast du gewartet?).

40

nach

der

Qualität


Ausgangssituation Wurden im ersten Teil dieser Arbeit die Charakteristika des Phänomens "Warten" und der Begriff "Zeit" behandelt, so geht es im zweiten Teil darum, das Verhalten der Menschen in Wartesituationen (in Abhängigkeit der mobilen Informations- und Kommunikationstechnologie) zu verstehen. Nutzergruppe Innerhalb der folgenden Studie wird sich im wesentlichen an die Nutzergruppe der so genannten Digital Natives 30 in Abgrenzung zu Digital Immigrants angelehnt, da diese Nutzergruppe, die sich aus dem technologischen Fortschritt ergebenden Möglichkeiten „oft als Erste aufgreifen, austesten, diskutieren, und dadurch auch für die breite Masse zugänglich machen“. 31 Digital Natives sind gerade in Bezug auf den Umgang mit digitalen Kommunikationsmitteln eine designrelevante Nutzergruppe und eignen sich daher besonders in Hinblick auf die Forschungsfrage für eine detaillierte Betrachtung. Die folgende Untersuchung soll die Auswirkungen der mobilen Informations- und Kommunikationstechnologie auf das Warteverhalten von Digital Natives (stellvertretend für die Nutzergruppe, welche auf mobile Endgeräte zur Informationsgewinnung zurückgreift) in Abgrenzung zum Warteverhalten von Digital Immigrants (stellvertretend für die Nutzergruppe, welche auf konventionelle Anzeigen/Displays zur Informationsgewinnung zurückgreift) aufzeigen.

30 Mit dem Begriff Digital Natives werden Jugendliche und junge Erwachsene beschrieben, die mit dem Gebrauch der »neuen« digitalen Medien aufgwachsen sind. Demgegenüber werden Menschen vor der Einführung der neuen digitalen Kommunikationsmedien geboren wurden (1980) als Digital Immigrants bezeichnet (vgl. Palfrey, Gasser. Generation Internet. München, 2008, S.1). 31 Neumann-Braun (2011) S.20ff

41


12 begründung

Das Wissen, welches bisher gesammelt werden konnte, fliesst nun in die

der methodik

Feldrecherche ein. Die Feldrecherche bedient sich dabei vordergründig der qualitativen Forschungsmethode, da diese einen tiefgründigeren und individuelleren Einblick in die Thematik erlauben. So gewähren qualitative Methoden Einsicht in die Motive sowie das Empfinden des Menschen und lassen demnach Interpretationen beziehungsweise Rückschlüsse des Verhaltens zu. Die Studie wurde in zwei Teile gegliedert: Observation und qualitative Nutzerinterviews. Ziele der einzelnen Methoden – Observation

„Das maßgebliche Kennzeichen der teilnehmenden Beobachtung ist der Einsatz in der natürlichen Lebenswelt der Untersuchungspersonen. Der Sozialforscher nimmt am Alltagsleben der ihn interessierenden Personen und Gruppen teil und versucht durch genaue Beobachtung, etwa deren Interaktionsmuster und Wertvorstellungen zu explorieren und für die wissenschaftliche Auswertung zu dokumentieren“ 32 Die erste Phase der Feldrecherche hatte das Ziel, einen Eindruck der Wartesituation respektive des Warteverhaltens zu erhalten. Dabei wurden diese zunächst in ihren einzelnen Schritte differenziert und anschliessend selektiv beobachtet. Diese wurden anschliessend interpretiert und Untersuchungsaspekte konkretisiert. „Einerseits kommt es darauf an, mit dem Forschungsfeld und den Perspektiven der darin lebenden Untersuchten weitgehend vertraut zu werden, also eine Art kontrollierte Perspektivenübernahme zu leisten, andererseits aber die notwendige Distanz des Beobachters zu wahren, die Voraussetzung für den sezierenden und erkenntnisgewinnenden Blick des Sozialforschers“ 33 Es gilt also, aus dem Blickwinkel einer anderen Person heraus eine 32 Lamnek (1995) S.240

Situation zu betrachten und zu verstehen – sprich, einen Perspektiv-

33 Lamnek (1995) S.268

wechsel vorzunehmen –, das Verhalten des Menschen jedoch objektiv zu be-

42


schreiben. Dementsprechend wird

Ziele der einzelnen Methoden –

zwischen der Beschreibung des

Qualitative Nutzerinterviews

Verhaltens und seiner Interpretation genau differenziert.

Basierend auf den Erkenntnissen

Verlauf zunächst durch Fragen

Im Bewusstsein, dass eine Beo-

der ersten Phase sollten in quali-

ausgefüllt, welche an das Gesagte

bachtung der Situation diese im-

tativen Einzelinterviews die Zusam-

des Interviewten anknüpften, und

mer auch verändert beziehung-

menhänge

später durch solche ergänzt, welche

sweise von äußeren Umständen

und subjektivem Empfinden der

(Zeitpunkt, Standort, Fotografie,

Wartenden herausgestellt werden.

etc) beeinflusst ist, bestand die In-

Diesbezüglich wurden Gespräche

tention der Beobachtung zunächst

mit ausgewählten Personen durch-

im Erkennen der wesentlichen

geführt. Das Ziel dieser Methode

Prozesse und Merkmale. Um einen

war es herauszufinden, welche

möglichst umfassenden Eindruck

Informationen tatsächlich relevant

des Wartens beziehungsweise des

sind, Zusammenhänge zwischen

Warteverhaltens zu erhalten, wur-

der Vermittlungsart von Informa-

den unterschied-liche Stand- und

tionen und dem Warteverhalten

Zeitpunkte zur Beobachtung aus-

zu erkennen sowie die Motivation

gewählt.

zur Nutzung mobiler End-geräte in

Der zeitliche Rahmen der Beobach-

Wartesituationen zu erfahren.

tungsstudie wird auf ungefähr drei

Diesbezüglich sind zunächst nicht

Stunden festgelegt, um auch läng-

die

ere Wartephasen unterschiedlicher

erer Personen relevant, sondern

Personen betrachten zu können.

vielmehr die individuellen Aussagen

Zu diesem Zeitpunkt wird darauf

und Eindrücke von Bedeutung. Da-

verzichtet, eine Hypothese aufzus-

bei stand insbesondere eine offene

tellen, welche während der Studie

Ge-sprächsführung im Vorder-

überprüft wird, da allein schon auf-

grund, damit die interviewte Person

grund der Tatsache, dass man ja vor

möglichst viel aus eigener Inten-

Beginn der Beobachtungstätigung

tion heraus erzählt und nicht durch

kaum abschätzen kann, was alles

einen strikten Leitfaden beeinflusst

für die Arbeit im Feld bedeutsam

wird.

ist und was nicht. Vielmehr soll

Durch eine Einführung in das

sich die Beobachtung an hypo-

Thema und eine offene einleitende

thesengenerierenden

Frage sollte das Interview frei be-

lungen orientieren.

Fragestel-

von

Beobachtung

Übereinstimmungen

Unklarheiten beseitigten.

mehr-

gonnen werden. Dieses wurde im

43


exploration I observation

noch 48 seiten



13 vorbereitung Bestimmung der Untersuchungsparameter analoges Warten

digitales Warten

Mobilität

Wäsche, Essen, Vortrag, Bestellung, etc.

urbaner Raum

ländlicher Raum

überregionale Fahrten (IC, ICE)

lokale Fahrten (RE, S-Bahn, KVB, Taxi, Bus)

Präprozessuales Warten

Prozessuales Warten, Postprozessuales Warten

Digital Natives

Digital Immigrants

18-30 (autonome, individuelle Entscheidungen)

14-17 (noch zu abhängig von Dritten)

Die aus der Literaturrecherche und der ersten Studie hervorgegangenen Erkenntnisse dienten der Festlegung des Untersuchungsinhalts. Folgende Forschungsfragen sollten in der ersten Phase der Studie beantwortet werden: 1. Welche Charakteristika im Warteverhalten lassen sich feststellen? 2. Lässt sich ein Unterschied in der Reaktion auf Verzögerungen zwischen Nutzern von mobilen Endgeräten und Nicht-Nutzern feststellen? Die Beobachtungsstudie wurde an 2 Tagen zu je 3 Stunden durcggeführt, mit dem Ziel einen Eindruck des Verhaltens in Wartesituationen (in Abhängigkeit der Nutzung mobiler Endgeräte) zu erhalten.

46


14 durchführung

Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom Mittwoch, den 21. Februar

und visuelle

2013:

auswertung 10.24 Uhr. Ich betrete Gleis 2 des Kölner Hauptbahnhofs und erblicke noch auf den Treppenstufen die Anzeige mit der Aufschrift „Berlin Hbf – Abfahrt 10.48 Uhr“. Oben angekommen, bleibe ich kurz stehen, werfe zur Orientierung einen Blick auf den Bahnsteig und anschliessend wieder auf die Anzeige. Weiterhin steht dort geschrieben: „10.24 Uhr. ICE 557. Hält in Abschnitt B-F“. Ich gehe langsam weiter und komme dabei an drei wartenden Männern vorbei – insgesamt ist der Bahnsteg bereits gut gefüllt, bleibt jedoch überschaubar. Die drei Personen stehen jeweils vier bis fünf Meter entfernt. Keine der Personen lächelt. Ein Mann starrt geradeaus und beobachtet das Geschehen auf den gegenüberliegenden Bahnsteigen. Er beachtet mich nicht. Als ich an den anderen beiden Personen vorbei gehe, wird mir jeweils ein kurzer Blick zugeworfen. Dieser ist jedoch nur flüchtig und ich komme mir nicht sonderlich beobachtet vor. Eine Person vertieft sich wieder in sein iPad, die dritte Person in eine Zeitung. Ich gehe an sechs weiteren Personen vorbei – vier Männer, zwei Frauen – und bleibe dann in der Nähe eines Mannes und einer Frau stehen. Beide wechseln ein paar Worte miteinander und halten einen Kaffee in der Hand. Der Mann bedient zusätzlich sein Smartphone. Das Gespräch scheint sich auf einen Termin oder zeitlichen Ablauf zu beziehen (kann von mir jedoch nicht im Detail nachvollzogen werden). Beide Personen haben zusätzlich eine Tasche zwischen die Beine geklemmt. 10.36 Uhr. Im Umkreis von ungefähr 30 Metern sind seit meiner Ankunft bereits fünf weitere Personen hinzugekommen. Außerdem gehen laufend Menschen den Bahnsteig entlang weiter. Keiner beachtet mich sonderlich. Selten wird mir ein Blick entgegen geworfen. Zwei der neu hinzugekommenen Männer telefonieren bereits seit der Ankunft, eine Frau beobachtet ihr Umfeld, zwei weitere haben Kopfhörer auf. Einer der beiden tippt zusätzlich auf seinem Smartphone, der andere kramt in seiner Tasche herum. Alle halten einen Abstand von mindestens drei Metern.

47


10.37 Uhr (geschätzt). Über die Lautsprecher ist zu vernehmen, dass nun der Zug mit Richtung Berlin einläuft. Die lesende Frau faltet ihre Zeitung ohne den Blick von dieser abzuwenden und greift schließlich nach ihrer Tasche, um die Zeitung dort zu verstauen. Erst danach wirft sie einen Blick Richtung Anzeige. Einer der telefonierenden Männer hat sein Gespräch beendet und blickt auf das Gleis. Er bewegt sich nun mehr aus dem Körper heraus, verlagert sein Gewicht mehrfach von einem Bein auf das andere und schaut auf seine Armbanduhr. Bis auf eine Person in ungefähr zehn Metern Entfernung haben nun alle Personen die eine Tasche mitführen, diese aufgenommen. Die verbleibende Person steht weiterhin an seinem Platz – Kaffee in der rechten Hand und die linke Hand in der Hosentasche – und blickt geradeaus. Die Menschen orientieren sich nun zunehmend am Gleis. Die körperliche Distanz zueinander wird nun zunehmend minimiert. 10.39 Uhr. Der Zug kommt zum stehen. Die meisten Personen haben sich bereits zu den Türen begeben. Eine Struktur ist nicht zu erkennen. Es wird sich auf jeweils beiden Seiten der Tür ange-stellt und gewartet. Auch der zuvor stehengebliebene Mann begibt sich nun zur Bahn. 10.40 Uhr (geschätzt). Die Tür öffnet sich. Ein geordnetes System beim Einstieg ist nicht zu erkennen. Es wechseln sich jedoch häufig Personen links vom Einstieg mit Personen rechts vom Einstieg ab. 10.46 Uhr. Weiterhin treffen vereinzelt Personen am Gleis ein, welche sich in deutlich erhöhter Geschwindigkeit zur Bahn bewegen. 10.48 Uhr. Der Zug fährt pünktlich ab.

48


Beschreibung des Ortes Der Bahnsteig ist jeweils ungefähr zehn bis zwölf Meter breit und ist für zwei Gleise ausgelegt. Die Plattform ist über drei Treppen sowie einem Aufzug zugänglich. Gelangt der Teilnehmer über die Treppe auf die Plattform, ist die Anzeige mit spezifischen Information bezüglich des als nächstes abfahrenden Zuges direkt ersichtlich. In unmittelbarer Distanz zum Aufstieg befinden sich ebenfalls weitere Informationsdisplays, welche Auskunft über Abfahrtszeiten, Anordnung der Bahnwagen (beispielsweise zur Orientierung bei Reservierungen) oder Sicherheitshinweise geben. Im Anschluss bieten diverse Sitzgelegenheiten eine Möglichkeit sich auszuruhen. Am Ende des Bahnsteigs befindet sich ein begrenzter Raucherbereich.

49


Beobachtungen des Verhaltens bei Ankunft Beobachtung 01

Der Ablauf der Ankunft unterscheidet sich vom gewohnten Umgang und Ver-

Ankunft

halten bei ähnlichen Situationen im konventionellen öffent-lichen Raum. Es war sehr selten zu beobachten, dass eine Person zunächst inne hielt, sich im Raum umblickte und diesen Ort grundsätzlich erst einmal entdecken wollte. Die meisten Menschen gingen umgehend den Bahnsteig entlang weiter. Die Personen konzentrierten hierbei ihren Blick direkt auf Platzverhältnisse am Bahnsteig. Wurde ein Platz für angemessen erachtet, wurde die Schrittgeschwindigkeit meist etwas schneller und der Platz zielstrebig angesteuert. Ein erster Blick auf die Informationsanzeige findet oftmals bereits auf der Treppe vor dem eigentlichen Betreten der Plattform statt. Gelegentlich gehen die Menschen zusätzlich noch zum Informationsdisplay, um weitere Informationen einzuholen. Die Verweildauer reicht dann von kurzen bis zu minutenlangen Blicken. Interpretation: Die Personen, welche die Plattform betreten, wissen scheinbar häufig über die wesentlichen Informationen bescheid. Die Selbstverständlichkeit mit der Informationen eingeholt und gleichzeitig nach einem freien Platz geschaut wurde, lässt darauf schliessen, dass die meisten Personen mit dem Vorgang vertraut sind. Relevant sind zunächst scheinbar nur grundlegende Informationen, wie die Frage, ob die entsprechende Bahn schon da ist beziehungsweise wie lange noch gewartet werden muss. Fragen: Informiert sich der Nutzer im Voraus über eventuelle Verzögerungen oder wird dies dem Zufall überlassen? Auffällig ist die teils recht frühe Ankunftszeit auf der Plattform. So konnten mehrere Personen beobachtet werden, die eine eine Stunde oder mehr auf

Beobachtung 02

Eintreffen des Zuges gewartet haben. Die meisten Menschen verweilen dann

Dauer / Nutzung

an einem bestimmten Ort und entfernen sich dann kaum noch von diesem. Lediglich ein Mann konnte beobachtet werden, wie er nahezu den gesamten Zeitraum über flanierte. Auffällig ist, dass die Mehrheit der jungen Leute während der Wartezeit (mindestens) eine Tätigkeiten in Verbindung mit dem Smartphone nach-

50


geht. Die Dauer der jeweiligen Tätigkeit unter-scheidet sich dabei erheblich. Beginnend bei kurzen Blicken bis hin zur dauerhaften Nutzung. Ältere Menschen hingegen nutzen ihr Handy meistens nur um ein Telefonat zu führen, sprich temporär. Überwiegend wird aber das Umfeld beobachtet. Häufig geschieht dies im sitzen. Wenige Personen konnten beobachtet werden, wie sie eine Zeitung gelesen haben. Noch weniger konnte festgestellt werden, das ein Buch gelesen wurde.

Die durchschnittliche Wartezeit aller insgesamt beobachteten Anwesenden betrug ungefähr 20 bis 30 Minuten, das Maximum lag bei ungefähr 90 Minuten. Interpretation: Junge Menschen vertreiben sich scheinbar überwiegend ihre Zeit mit ihrem Smartphone, während ältere Menschen eher ruhiger und weniger aktiv zeigen. Beobachtung 03

Frage:

Distanzzonen

Wie wird sich auf Wartezeiten vorbereitet? Welche Bedürfnisse bestehen in Wartesituationen? Beobachtungen des Warteverhaltens Die Teilnehmer orientieren sich bei Ankunft stets an dem Ort, an den am wenigsten los ist. Eine Ausnahme stellt hier der Raucherbereich dar sowie Bereiche die der aktiven Erholung, also Sitzgelegenheiten dienen – die Mehrheit der Personen wartet jedoch im Stehen, selbst wenn sichtbar noch Sitzplätze frei sind. Durch dieses Verhalten entsteht oftmals eine scheinbar regelmäßige Distanz der Personen zueinander, welche erst bei Ankunft der Bahn aufgelöst wird.

51


Interpretation: Durch den gleichmäßigen Abstand der Personen zueinander wird im Raum ein unsichtbares Gleichgewicht gehalten, um die eigene Privatsphäre zu schützen. Frage: Wann findet Interaktion (mit anderen Wartenden) statt? Beobachtung 04

Die Wartenden verteilen sich entlang des Bahnsteigs in scheinbar regel-

Auflösung der Wartestruktur

mäßigen Abständen. Während des Wartens wird die Struktur durch hinzukommende Personen verdichtet. Diese scheinbar lineare Anordnung wird erst mit Ankunft der Bahn aufgelöst. Eine geordnete Struktur ist dann nicht länger ersichtlich. Interpretation: Bei Ankunft der Bahn setzt scheinbar ein Konkurrenzdenken ein. Während zuvor darauf geachtet, wird keinem Teilnehmer zu nahe zu rücken, wird dies mit Erreichen des Ziels missachtet. Wartekonkurrenten werden ignoriert und allein das Ziel ins Auge gefasst.

52


Beobachtung 05

Interaktionen zwischen offensichtlich fremden Menschen sind nur in

Interaktion

seltenen Fällen ersichtlich geworden. Ein auslösendes Ereignis entstand bei der Suche nach einem Sitzplatz. Ankommende Menschen zögern oftmals etwas länger, wenn sie feststellen, dass die benachbarten Plätze bereits besetzt sind und werfen stattdessen zunächst einen Blick auf die potenziellen Sitznachbarn. Während einer Situation konnte beobachtet werden, wie eine junge Frau mit einem kurzen Fingerzeig auf den noch freien Sitzplatz deutete und den Sitznachbarn fragte, ob dieser noch frei sei („Ist hier noch frei?“). Der Sitznachbar antwortete darauf hin „Ich glaube schon“ und verdeutlichte dies mit einem kurzen Kopfnicken. Mit diesem kurzen Satz war die direkte Kommunikation zwischen den beiden Wartenden bereits beendet. Auch zwischen Wartenden die bereits nebeneinander saßen, konnte nur ein einziges Mal ein Gespräch beobachtet werden (in diesem Fall war jedoch nicht ersichtlich, ob sich beide Personen bereits kannten oder einander fremd waren). Ein weiterer Anlass miteinander zu kommunizieren, war im unmittelbaren Bereich der Informationsdisplays. Trafen sich dort mehrere Personen, um sich zu informieren, wurden gelegentlich Höflichkeitsfloskeln wie „Danke“ oder „Bitte“ ausgetauscht – beispielsweise wenn eine Person ein Stück beiseite trat, um anderen Teilnehmern nicht die Sicht zu versperren.

53


In den meisten Fällen der beobachteten Gespräche zwischen (scheinbar) sich nicht bekannten Personen wurde die Kommunikation auf wenige Worte beschränkt. Auch schien niemand ein intensiveres Gespräch zu forcieren. Es konnte festgestellt werden, dass nur selten Menschen damit beschäftigt waren, andere Personen in näherer Umgebung zu beobachten. Vielmehr konzentrierten sie sich überwiegend auf sich selbst oder beobachteten das Geschehen auf den gegenüberliegenden Bahnsteigen. Interpretation: Die

fehlende

Gesprächsbereitschaft

in

der

Wartesituation

liegt

offensichtlich auch an dem fehlendem Interesse an den Mitmenschen. Auffällig ist, dass Kommunikation unter fremden Menschen in Wartesituationen nur an Orten der Verdichtung stattfindet, d.h. im Bereich der weiterführenden Information oder in solchen die bewusst zur aktiven Erholung geschaffen sind wie Sitzgelegenheiten. In der eigentlichen Wartesituation wird sonst versucht eine unsichtbare Zone um sich herum frei zu halten. Frage: Warum findet bei erwarteter Wartezeit keine Kommunikation zwischen Wartenden statt?

54


Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom Samstag, den 02. März 2013: 18.33 Uhr. Ein junger Mann (circa 25 Jahre) mit großem schwarzen Rücksack erreicht die Plattform (Gleis 4) und wirft einen kurzen Blick auf die Anzeige. Er geht nur wenige Schritte weiter und zieht dann sein Handy. Dieses bedient er ungefähr 30 Sekunden und schaut dann kurz nach oben – zunächst nach links, dann nach rechts. Anschließend schaut er sich kurz um und geht die we-nigen Schritte, die er zuvor gegangen war wieder zurück. Neben der Treppe bleibt er stehen und lehnt sich an die Barriere. 18.36 Uhr. Er holt erneut kurz sein Mobiltelefon hervor und wirft einen kurzen Blick auf dieses. Gerade genug um die Uhr abzulesen. Danach verschwindet dieses wieder in der rechten Hosentasche. 18.38 Uhr. Über die Lautsprecher wird verkündet, dass sich die Abfahrt des Intercity 2213 nach Frankfurt, „wegen Bauarbeiten auf der Strecke zwischen Duisburg Hbf und Düsseldorf Hbf“, um circa 10 Minuten verzögern wird. Der junge Mann schaut noch während der Ansprache auf die Anzeige. Diese ist jedoch noch nicht aktualisiert. Er zückt erneut sein Smartphone und bedient dieses nun wesentlich länger als zuvor. Immer wieder blickt er kurz hoch zur Anzeige, um in der Folge wieder auf das Smartphone zu blicken. Nach einer kurzen Weile zieht er die Lippen ein wenig zusammen und steckt sein Handy wieder ein. Wiederholend blickt er auf die Anzeige. 18.41 Uhr (geschätzt). Die Anzeige ist aktualisiert. Als der Mann dieses bemerkt, wendet er sich von der Anzeige ab und steckt seine Hände in die Jackentasche.

55


Beobachtungen des Verhaltens bei Verzögerungen Bei der Bekanntgabe von Verzögerungen reagieren die Teilnehmer sichtbar unterschiedlich intensiv. Die meisten Menschen sind insbesondere bei Durchsagen, welche ihrem Zug zugeordnet werden können unmittelbar aufmerksam. Viele richten ihren Blick dann für die Dauer der Durchsage auf einen einzigen Punkt und anschliessend auf die Anzeige. Oftmals wird die Anzeige jedoch erst verzögert aktualisiert, so dass eine Bestätigung der Durchsage zunächst ausbleibt. In dieser Situation wurden verschiedene Verhalten deutlich – welche teilweise den Verhaltenscharakteristika während einer erwarteten Wartesituation vollkommen widerspricht. Bei nahezu jedem Wartenden ist eine Bewegung zu erkennen. Die Intensität reicht von kurzen Blicken auf die eigene Uhr oder sein Umfeld bis hin zum Ortswechsel. Es konnten verschiedene Menschen beobachtet werden die sich nach Beobachtung 06

Bekanntgabe der Verzögerung, auf den Weg zu den Informationsdisplays

Information

machen und die dortigen Informationen studieren. Die Geschwindigkeit, die die Personen dabei zurücklegen ist unterschiedlich und reicht von zügig bis entspannt. Interpretation: Es wird deutlich, dass bei Bekanntgabe einer Verzögerung die Aufmerksamkeit automatisch auf die Zeit und die Auswirkungen der Verzögerung gelenkt wird. Die Personen scheinen auf der Suche nach einer Bestätigung der Durchsage, dem Grund und womöglich der Ursache. Fragen: Welche Informationen sind in Wartesituationen für den Nutzer relevant?

56


Beobachtung 07

Zu beobachten war in einer Situation, dass eine Frau – zunächst einen

Interaktion

Blick auf die Uhr und die Informationsanzeige – warf, sich schliesslich zu der rechts neben ihr stehenden Gruppe (ein Mann, eine Frau) wendete und diese ansprach. Das Gespräch konnte inhaltlich nicht verfolgt werden, dauerte jedoch lediglich wenige Augenblicke. Interpretation: Unerwartete Verzögerungen lösen ein Gefühl des Kontrollverlustes aus. Diese Situation soll scheinbar schnellstmöglich beendet werden. Dazu werden ungewöhnliche Maßnahmen und Verhalten, wie die Auflösung der eigenen Distanzzone zu anderen Personen oder die Interaktion mit fremden Menschen in Kauf genommen. Frage: Wie unterscheidet sich das Warteverhalten in Abhängigkeit der Informationsvermittlung? Wann findet Interaktion (mit anderen Wartenden) statt?

Beobachtung 08

Eine junge Frau konnte beobachtet werden, wie sie nach der Bekannt-

Abweichendes Verhalten

gabe der Verzögerung einen Blick auf die Informationsanzeige und kurz darauf auf ihr Mobiltelefon richtete. Dieses bediente Sie ungefähr 60 bis 90 Sekunden. Anschliessend warf sie erneut einen Blick auf die Anzeige und steckte das Handy gleichzeitig wieder in ihre Tasche. Während dieser Tätigkeit bewegte sich die junge Frau weder hektisch noch verzog sie sichtbar eine Miene. Interpretation: Nutzer mobiler Endgeräte verweilen scheinbar eher an ihrem Platz und nutzen das eigene Gerät, um weiterführende Informationen einzuholen. Fragen: Worin besteht die Motivation zur Nutzung des mobilen Endgerätes zum Einholen relevanter Informationen?

57


Beobachtung 09

Ein Mann (circa 30 Jahre) mit schwarzem Rucksack konnte beobachtet

Nutzung

werden, wie er sich zügig Richtung Treppe bewegte und diese hinunterstieg. Ungefähr fünf Minuten später kam er wieder die Stufen herauf gestiegen – diesmal mit einem Kaffee in der linken Hand. Er stellte sich an den gleichen Platz, an dem er zuvor gesessen hatte. Interpretation: Es scheint, als bestehe bei dieser Person der innere Drang beziehungsweise das Verlangen die verbleibende Zeit zu nutzen. Frage: Wie wird sich auf eventuelle Verzögerungen vorbereitet?

15 erkenntnisse 58


15 erkenntnisse Es wird deutlich, dass das Warteverhalten stark von der jeweiligen Person und den äußeren Gegebenheiten abhängt. Erwartete Wartesituationen werden meistens mit überraschender Souveränität und Eintönigkeit auf individuelle Weise überdauert. Auffallend ist, dass in diesen Situationen kaum Interesse an den Mitmenschen besteht (siehe Beobachtung 05). Stattdessen wird versucht die Zeit individuell zu nutzen. Junge Menschen verwenden oftmals das Smartphone oder andere Devices, während ältere Menschen sich entweder auf das Beobachten des Umfelds beschränken oder Zeitung respektive ein Buch lesen. Ältere Menschen nutzen ihr Mobitelefon in der Regel nur kurzfrisitig oder um damit zu telefonieren. Haben die Personen einen geeigneten Platz zum Warten gefunden, verweilen sie meist die gesamte Dauer an diesem. Der Informationensvermittlung wird in diesen Situationen oftmals nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Jüngeren Menschen genügt bei Ankunft am Bahnsteig meistens schon ein kurzer Blick. Bei Verzögerungen jedoch wird die Aufmerksamkeit automatisch auf die Zeit beziehungsweise auf die zugehörigen Parameter zur Bestimmung der verbleibenden Dauer gelenkt (siehe Beobachtungen des Verhaltens bei Verzögerungen). Demnach kommt in solchen Situationen der Informationsvermittlung eine wesentliche Bedeutung zu. Dies wird insbesondere deutlich, wenn die unterschiedliche Intensität der Reaktionen betrachtet wird. Wiedersprechen sich die Angaben bezüglich der Wartezeit, beispielsweise bei einer Durchsage und der Anzeige kommt es mitunter zu hektischen Reaktionen, welche oftmals ein untypisches Verhaltens des Wartenden zur Folge hat (siehe Beobachtung 11 im Vergleich zu Beobachtung 07). Wartekonkurrenten werden dann zu Leidensgenossen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass bei Nutzern eines mobilen Endgerätes zur Informationsermittlung, verhältnismäßig geringe Veränderungen im Verhalten zu beobachten sind (siehe Beobachtung 12). So verweilen diese eher an ihrem Platz und gehen auch weiterhin keinerlei Interaktion mit anderen Menschen ein. Vielmehr wird das Handy herangezogen.


zu Beobachtung 02 (links) / 01 (rechts)

zu Beobachtung 05 (links) / 03 (rechts)

zu Beobachtung 02 (links) / 01 (rechts)

60


61


zu Beobachtung 02 (links) / 04 (rechts)

62


zu Beobachtung 02 (beide)

63


zu Beobachtung 02 (links) / 02 (rechts)

zu Beobachtung 02 (links) / 01 (rechts)

zu Beobachtung 02 (links) / 02 (rechts)

64


65


exploration II qualitative nutzerinterviews

noch 26 seiten



16 vorbereitung

Aufbauend auf den Annahmen der Observation sollten in der zweiten Studie folgende Forschungsfragen beantwortet werden: 1. Woraus ergibt sich die Motivation mobile Endgeräte in Wartesituationen einzusetzen? Durchschnittlich dauerte ein Interview 20 Minuten. Die Interviews wurden mit drei Leuten jeder Nutzergruppe durchgeführt, mit dem Ziel einen detaillierten Einblick von •

der Motivation zur Nutzung mobiler Endgeräte,

den Erwartung an die Wartesituation,

den Verhaltensgewohnheiten der Nutzer

zu erhalten. Auch stand im Mittelpunkt

68

die Art von Information (Welche Informationen werden eingeholt),

den Ort (Wo werden Informationen eingeholt),

den Zeitpunkt (Wann werden Information eingeholt),

die Art der verwendeten Medien (Wie werden Informationen eingholt)


Untersuchungskatalog Die aus der einleitenden Literaturrecherche hervorgegangenen Erkenntnisse dienen im folgendem als Grundlage zur Festlegung des Untersuchungsinhaltes. Information 1. Welche Informationen sind für den Nutzer relevant? Sind diese bekannt? Welche Faktoren haben ihn bislang daran gehindert, diese herauszufinden? 2. Werden die Informationen verstanden? Hat der Nutzer das Gefühl, dass Informationen transparent beziehungsweise angebracht vermittelt werden? Suchen Nutzer nach Alternativinformationen, wenn sie etwas nicht verstehen? Was löst Nicht-Verständnis beim Nutzer aus? 3. Wie wichtig ist die Aktualität der Information bezüglich Wartezeit? Neh-men Nutzer eine lange Wartezeit in Kauf? Ist eine lange Wartezeit gar gewollt, um geplante Tätigkeiten auszuführen? Verhalten 1. Worin besteht die Motivation zur Nutzung des mobilen Endgerätes zum Einholen relevanter Informationen? In welchen Situationen wird das mobile Endgerät genutzt? 2. Wie unterscheidet sich das Warteverhalten im Vergleich der Nutzergruppen? 3. Wann werden die relevanten Informationen eingeholt? Informiert sich der Nutzer im Voraus über eventuelle Verzögerungen oder wird dies dem Zufall überlassen? 4. Wie wird sich auf eventuelle Verzögerungen vorbereitet?

69


17 durchführung

Folgend wird eine kurze Übersichtsdarstellung der befragten Nutzer auf-

und visuelle

gezeigt. Es wurden sechs Nutzer mit unterschiedlichen Erfahrung und Nutz-

auswertung

ung im Bereich Mobilität interviewt, um eine vergleichbare Grundlage der Nutzergruppen zu erhalten.

Relevanz

„Eigentlich muss ich nur wissen, ob ein Zug pünktlich ist, oder nicht!“ „Bei Verspätungen interessiert mich nicht der Grund, sondern eigentlich nur, welche Alternative die beste ist“ [Anmerkung: Ist der Zug nicht pünktlich...] „ist es wichtig zu wissen, wie viel später der Zug eintrifft [...] und bei langen Verzögerungen ist es auch sinnvoll den Grund zu erfahren, um abschätzen zu können, ob ich Alternativen in Erwägung ziehen muss“ „Mich stört eigentlich nur, dass man bei Verzögerungen Informationen nicht gesammelt bekommt, sondern erst zu verschiedenen Anzeigen laufen muss und auch auf die meist nicht verständlichen Durchsagen achten muss“ Interpretation: Die wichtigste Information ist nutzerübergreifend die Pünktlichkeit beziehungsweise Dauer der Verzögerung. Während bei Verzögerungen für Digital Immigrants auch der Grund wichtig sein könnte (um eine entsprechende Situation einschätzen zu können), ist dieser für Digital Natives irrelevant, da lediglich die Dauer und die beste Alternative wichtig scheint. Fragen: Wie muss eine zusammenhängende und nutzerspezifische Information kommuniziert werden?

Hinweis zur Auswertung Zitate von Digital Natives sind schwarz eingefärbt. Zitate von Digital Immigrants sind grau eingefärbt.

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Verständlichkeit

„Die Information bei Verzögerungen ist schon ein wenig kompliziert“ [in Anlehnung an die Darstellung der Wartezeit öffentlicher Anzeigen] Interpretation: Innerhalb der Anzeigen werden Abfahrten als definierte Uhrzeiten angegeben (Beispiel: 20.17 Uhr). Ist der Nutzer an der verbleibenden Wartezeit interessiert, muss er diese hochrechnen und Verzögerungen zusätzlich addieren. Im Vordergrund steht demnach die Angabe der Abfahrt und weniger die Kommunikation der verbleibenden Wartezeit. Fragen: Welchen Einfluss nimmt die Gestaltung der Zeit? „Ungemütlich wird es eigentlich erst, wenn der Zug einfährt und der Kampf um die besten Plätze an der Tür beginnt“ „Das Anstellen ist zwar eigentlich kein großes Ding, ohne Reservierung aber trotzdem irgendwie stressig. Zumindest nervt es!“ Interpretation: Die offene Wartestruktur ruft ein Gefühl der Ungerechtigkeit hervor, da für die Wartenden keine feste Reihenfolge ersichtlich ist. Entsprechend versucht sich jeder eine gewisse „Gerechtigkeit“ zu erkämpfen. Fragen: Wie lässt sich das Gefühl der Ungerechtigkeit subjektiv mindern?

Bedeutung

„Ich habe bisher immer die Erfahrung gemacht, dass relevante Informationen auf dem Smartphone schneller angezeigt werden. [...] Auch kann ich mir im Fall der Fälle in wenigen Sekunden eine Alternative raussuchen.“ „Ich nutze eigentlich immer mein Handy, weil ich dann sofort die für mich relevanten Daten angezeigt bekomme. [...] was interessieren mich die Züge die vorher oder nachher fahren.“

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Interpretation: Die öffentlichen Anzeigen kommunizieren zu viele für den einzelnen Nutzer irrelevante Informationen, welche die Informationsgewinnung verkompliziert und unter Umständen Zeit kostet. Das Smartphone hingegen kann an die Anforderungen des Nutzers angepasst werden. Fragen: Wie können öffentliche Anzeigen um nutzerspezifische Informationen ergänzt werden? „Verzögerungen sind immer blöd. [...] Aber sonderlich Sorgen machen tue ich mir eigentlich nie. Im Notfall weiß ich ja wie ich an die Informationen komme“ „Ich persönlich nutze mein Handy nur bei deutlichen Verzögerungen oder Ausfällen – also im Notfall. Sonst ist mir der Vorgang um ein paar Informationen einzuholen zu umständlich.“ Interpretation: Für Standardinformationen wird auch auf öffentliche Anzeigen zurückge-griffen. Mobile Endgeräte werden eher bei spezifischen beziehungsweise individuellen Informationen eingesetzt. Fragen: Wie können die Informationsmedien aufeinander abgestimmt werden? Motivation

„Ich denke, man schaut fast schon automatisch auf sein Handy, wenn man die Uhrzeit erfahren will.“ Interpretation: Diese Aussage deckt sich mit den zuvor in der Literaturrecherche herausgestellten gesellschaftlichen Tendenzen, wonach sich die Zeit zunehmend am Körper verortet (hat) – obwohl dieses oftmals mehr Zeit in Anspruch nimmt als der kurze Blick auf die öffentliche Anzeige.

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Das Smartphone wird aus Gewohnheit bevorzugt, da es nicht auf die Zeitangabe reduziert ist. Nicht die synchronisierte öffentliche Abfahrtszeit des Zuges scheint für den Einzelnen von Interesse zu sein, sondern vielmehr die individuelle Zeit respektive eine Orientierung an eigenen Terminen in Abgrenzung zu den „aufgezwungenen“ Vorgaben der Bahn. Fragen: Wie kann das Gefühl der individuellen (Warte-)zeit gesteigert werden? Verhalten

„Mit anderen Wartenden hat man eigentlich nie was zu tun. Ich bin aber auch eigentlich ganz froh in der meist kurzen Zeit meine Ruhe zu haben“ Interpretation: Diese Aussage entspricht der von Maister aufgestellten Proposition der Angst, nachdem Enge ein Gefühl des Unwohlseins auslöst. Gleichzeitig weist er jedoch auch darauf hin, dass das Warten in Gruppen schneller empfunden wird. „Ich telefoniere [Anmerkung: in Wartesituationen] ziemlich viel. [...] Die Gespräche muss ich meistens so oder so führen, warum nicht dann, wenn ich nichts anderes zu tun habe“ Interpretation: Das Mobiltelefon wird genutzt, um die Wartezeit „sinnvoll“ nutzen zu können. Fragen: Wie lässt sich das Gefühl erzeugen, keine Zeit zu verlieren.

Planung

„Die relevanten Informationen kenne ich eigentlich bereits bevor ich den Bahnhof erreiche. Vor Ort kontrolliere ich eigentlich nur noch mal kurz, ob der Zug pünktlich ist“ „Normalerweise kontrolliere ich nicht, wie mein Zug fährt. Höchstens mal im Winter wenn ich weiß, dass es Probleme [Anmerkung: in Bezug auf das Wetter] geben könnte“

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Interpretation: Mobile Endgeräte verlagern die Informationssuche zeitlich teilweise vor die eigentliche Wartesituation. Das kann stressige Situationen vor der Abfahrt vermeiden. Außerdem kann dies objektive Wartezeit minimieren, sofern man frühzeitig über mögliche Verzögerungen oder Ausfälle Bescheid weiß. Vorbereitung

„Ich bereite mich auf Verzögerungen nicht sonderlich vor, da ich in diesem Fall mein Smartphone bei mir habe und zu tun habe ich eigentlich auch immer was“ „Ich habe eigentlich immer auch ein Buch dabei, das ich lesen kann“ [Anmerkung: Das Buch wird primär während der Fahrt genutzt] Interpretation: Die Vorbereitung der Nutzung von Wartezeit ist individuell unterschiedlich. Auffällig ist jedoch die Intention der Nutzung. Während sich Digital Natives auf spontane (liegengebliebene) Tätigkeiten stürzen, scheint die Vorbereitung bei Digital Immigrants explizit auf entspannende Tätigkeiten ausgelegt zu sein. „Ich nutze meine tägliche Wartezeit [Anmerkung: je 20 Minuten], meistens mit Surfen oder Mails schreiben.“ „Ich warte in der Regel 10 Minuten. In dieser Zeit mache ich eigent-lich nichts besonderes, nur warten“ Interpretation: Der Drang die Zeit, welche gewartet werden muss, zu nutzen scheint mit steigender Dauer zuzunehmen. Oftmals entwickeln sich Rituale, welche dann ausgeführt werden. Geringe Wartezeit ist eher von Spontanität geprägt als lange Wartezeiten.

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18 erkenntnisse Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Nutzergruppen lässt sich in der Motivation zur Nutzung der Wartezeit erkennen. Während Digital Natives oftmals versuchen diese möglichst produktiv zu gestalten, nutzen Digital Immigrants diese zur Entspannung. Diese innere Haltung lässt sich bereits in der Planung von Wartezeit erkennen. Jüngere Menschen informieren sich scheinbar oft im Voraus, um auf etwaige Verzögerungen frühzeitig reagieren zu können. Der Informationsprozess wird demnach vorgezogen und bei Ankunft nur noch durch wenige wesentliche Informationen ergänzt. Ältere Menschen informieren sich meistens nicht explizit über mögliche Verzögerungen. Digital Natives

» Bedürfnis nach Produktivität

Digital Immigrants » Bedürfnis nach Entspannung In diesem Zusammenhang werden technische Geräte zunehmend auch als mobiler Arbeitsplatz genutzt, beispielsweise um Mails zu versenden. Dieses Nutzungsverhalten lässt sich gleichzeitig in der Vorbereitung festzustellen. Während für viele ältere Menschen das Lesen eines Buches oder der Zeitung zu einem festen "Ritual" beziehungsweise einer Selbstverständlichkeit zur Nutzung der Wartezeit geworden ist, sind Tätigkeiten bei jüngeren Menschen scheinbar eher von Spontanität und Flexibilität geprägt (siehe Vorbereitung). Oftmals wird das mobile Endgerät genutzt um Kleinigkeiten zu erledigen – daher oftmals auch zur Fortsetzung der Arbeit genutzt (siehe Verhalten). Dem eigenen Smartphone wird scheinbar auch mehr Vertrauen entgegengebracht als den öffentlichen Informationsträgern. Dies macht sich beispielsweise in Situationen bemerkbar, die ohne die Nutzung des mobilen Endgerätes sogar weniger Zeit in Anspruch nehmen würden, wie beispielsweise beim Nachschauen der Zeit. Statt einen kurzen Blick auf die öffentliche Uhr zu werfen, wird das am eigenen Körper verortete Smartphone (teils mit großem Aufwand) hervorgeholt (siehe Motivation).


synthese



19 erkenntis-

In der Literaturrecherche wird argumentiert, dass Warten eine intensive

verdichtung

Wahrnehmung der Zeit zur Folge hat. Nach Maister lassen sich diese durch wenigstens acht Propositionen beeinflussen. Welchen Einfluss mobile Endgeräte für die (subjektive) Wahrnehmung der Wartezeit nehmen können soll nun durch die Zusammenführung der Erkenntnisse der Literaturrecherche sowie der Feldstudie aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang werden die Propositionen Maisters als Grundlage herangezogen.

Erfülltes Warten – Wartezeit dauert länger, wenn wir uns langweilen.

Langeweile entsteht durch das Fehlen „geistigen Inhalts“. In der Literaturrecherche wird deutlich, dass Menschen dann ihre Aufmerksamkeit automatisch dem verstreichen der Zeit widmen und diese infolgedessen zu kriechen scheint. Die Uhr visualisiert nicht mehr die Wartezeit, sie wird zum Symbol für „nicht genutzte“ Zeit. Mobile Endgeräte können diesem Gefühl entgegen wirken. Sie sind nicht nur ständig verfügbar, sondern bieten zudem eine unglaub-liche Vielfalt an Möglichkeiten sich abzulenken beziehungsweise aktiv zu werden. Die Aufmerksamkeit wird dann auf das Smartphone gelenkt und eine Erlebnisarmut vermieden. Die technologischen Möglichkeiten des Smartphones ermöglichen dabei nicht nur die Wartezeit mit Spielen oder Lesen zu verbringen, vielmehr wird diese nun als ausgelagerte Arbeitszeit betrachtet – beispielsweise um Telefonate zu erledigen, Email zu schreiben und Termine zu planen.

Warten vor dem Warten – Präprozessuales Warten dauert länger als im Prozess befindliches.

Wartezeiten vor dem Prozess

dauern subjektiv länger, als solche die während des Prozesses (Bahnfahren) entstehen. Laut Claudia Raupold sind Menschen vor der Leistung ungeduldiger als währenddessen, da sich ein Gefühl der Angst vor dem Vergessenwerden einstellt. 34 Mobile Endgeräte ermöglichen dem Nutzer Informationen bezüglich Verzögerungen gegebenenfalls bereits zu Hause einzuholen. Dies ermöglicht frühzeitig auf unerwartete Wartezeiten zu reagieren und die tatsächliche Wartezeit entsprechend zeitlich zu verlagern. 34 vgl. Raupold (2009) S.35

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Dieser Prozess wirkt demnach nicht primär auf das Empfinden, sondern


reduziert vielmehr die objektive Dauer – vermeidet eine Unzufriedenheit daher bereits im Voraus. Angstvolles Warten – Nie enden wollende Situationen werden in Angstsituationen empfunden.

In Wartesituationen gibt es verschiedene

Ängste, die je nach Persönlichkeit und Wartesituation unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Demnach ist die Empfindung von Angst, auch abhängig von der individuellen Erfahrung. Bei unerfahrenen Nutzern tritt das Gefühl der Angst entsprechend intensiv in Erscheinung. Auch mobile Endgeräte können Ängste in Folge der persönlichen Unerfahrenheit nicht gänzlich vermeiden, dennoch bieten sie vielseitige Möglichkeiten diese zu reduzieren. Beispielsweise lässt sich die Angst vor der Dauer bei Verzögerungen durch die Angabe der voraussichtlichen Dauer zumindest minimieren. Dies wird auch in der folgenden Proposition deutlich. Ungewisses Warten – Eine nicht abzuschätzende Situation verlängert die subjektive Wartezeit.

Nach Maister sitzen Menschen die

Zeit, die sie zu früh zu einem Termin erscheinen, gelassen ab – selbst wenn es sich um vergleichbar lange Wartezeiten handelt. Verzögerungen hingegen, welche über den vereinbarten Zeitpunkt hinausgeht, wird als unangenehm wahrgenommen. Einer festgelegte Abfahrtzeit wird vertraut und erzeugt demnach eine Erwartungshaltung beim Nutzer, welche eingehalten werden muss. Dieses Prinzip gilt auch für die Angabe von Verzögerung. Ist eine Abfahrt zeitlich nicht einzuhalten, sollte eine aktualisierte Termi-nierung bekanntgegeben und als Ziel definiert werden. Dem mobilen Endgerät wird bei einer Verbindlichkeit, wie es die Terminabsprache angeht oftmals mehr Vertrauen entgegengebracht, da diese Angaben auf das Individuum angepasst scheinen. Vertrauen mindert in der Folge die Angst vor der Ungewissheit und lässt Wartezeit somit kürzer empfinden. In diesem Zusammenhang gilt es jedoch die Verständlichkeit der Informationen zu prüfen und an die nutzerspezifisch anzupassen.

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Erklärtes Warten – Nicht erklärte Wartezeiten dauern länger als erklärte.

Kann eine Abfahrtszeit nicht eingehalten werden,

sollte diese stets begründet werden. Eine Erklärung wird die Situation nicht entschuldigen, aber sie hilft dem Nutzer eine Situation einzuschätzen und eine Entscheidung zu treffen, gegebenenfalls darauf zu reagieren – beispielsweise Alternativen in Erwägung zu ziehen oder eigene Absprachen abzusagen. Viele Wartevorgänge bleiben in öffentlichen Anzeigen (abgesehen von der Angabe der voraussichtlichen Dauer) unkommentiert oder in ihrer Erklärung nur oberflächlich. Ähnliches gilt für Durchsagen, welche zudem oftmals nur schlecht zu verstehen sind. Mobile Endgeräte hingegen kommentieren Ursachen meist ausführlich und verständlich und mindern somit das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit. Ungerechtes Warten – Ungerechtes, fremdverschuldetes Gerechtigkeit ist Warten erscheint länger als gerechtes. in Wartesituationen nach Maister unerlässlich. Eine Reihenfolge ist über den gesamten Warteprozess jedoch nicht ersichtlich. Der Wartende (ohne Reservierung) ist daher besorgt keinen Sitzplatz zu erhalten beziehungsweise von später ankommenden Teilnehmern überholt zu werden. Das Warten erscheint somit länger. Dieses Gefühl wird derzeit durch die Nutzung eines mobilen End-gerätes nicht beeinflusst. Es lässt sich zwar mit Hilfe einer Reservierung umgehen, ist dann jedoch mit Mehrkosten verbunden – also den „privilegierten“ Wartenden vorbehalten.

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Warten und Wertigkeit – Warten erscheint länger, wenn der Attraktor nicht attraktiv genug ist. Die Toleranz der Wartezeit, und somit die Bereitschaft längere Wartezeiten in Kauf zu nehmen, ist abhängig von der individuell wahrgenommenen Bedeutung des zu erreichenden Ziels. Bahnfahren wird bei den meisten Nutzern jedoch als Übergang zwischen zwei Tätigkeiten beziehungsweise notwendiges Übel empfunden. Die Feldrecherche hat in dieser Hinsicht keinerlei Auswirkungen durch die Nutzung mobiler Endgeräte hervorgebracht. Warten und Einsamkeit – In der Gruppe vergeht die Zeit schneller.

Üblicherweise findet kaum Kommunikation zwischen sich fremden Wartenden statt. Sobald jedoch Verzögerungen bekannt gegeben werden, lässt sich beobachten, dass sich Personen einander zuwenden, um beispielsweise gemeinsam Vermutungen über die die Ursache der Verspätung anzustellen. Die Nutzung mobiler Endgeräte wirkt diesem Phänomen scheinbar entgegen, da dieses Verhalten oft aufgrund mangelnder Informationsvermittlung entsteht, welche mit dem technischen Hilfsmittel jedoch verfügbar werden. Stattdessen schafft sich der Nutzer oftmals seine eigene vertraute Gruppe indem er zu telefonieren beginnt. Denn in eine Unterhaltung verstrickt, lässt die Aufmerksamkeit nach und die Wartezeit erscheint kürzer.

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20 erkenntnisverdichtung

Es wird deutlich, dass mobile Endgeräte viele Möglichkeiten bieten die subjektive, wie auch die objektive Wartezeit zu reduzieren. Demnach können technologische Hilfsmittel ein Gefühl des Unwohlseins respektive Ängste vermeiden und steigern folglich die Zufriedenheit. Die Studie hat jedoch auch aufzeigen können, dass die Nutzung mobiler Endgeräte auch zu einer Veränderung der Wartequalität beziehungsweise des Verständnisses von Warten führt. Trotz der Einflüsse und Möglichkeiten mobiler Endgeräte in Wartesituationen, werden diese auch in Zukunft die öffentlichen Anzeigen nicht komplett ersetzen. Denn, wie die Studie gezeigt hat, wird weiterhin auf diese Art der Informationsvermittlung zurückgegriffen. Dementprechend liegt der wesentliche Anspruch des Gestaltungsprozess auch darin, die Bedürfnisse und Anforderungen des Nutzers bereichsübergreifend beziehungsweise in Abstimmung der Handlungsfelder anzupassen. Es ist ist diesem Zusammenhang nicht notwendig sämtliche Prozesse auf ein Kommunikationsmedium zu übertragen, vielmehr müssen sich diese sinnvoll ergänzen respektive dem Nutzer eine Entscheidungsfreiheit ermöglicht werden Informationen wie gewünscht einzuholen.


21 Handlungsfelder

Ist-Situation (Digital Natives)

Device (Push)

gemeinschaftl. Information

Uhrzeit

- Abfahrtszeit - Dauer der Verzögerung - Grund (auf Abruf)

Umfeld (Pool)

gemeinschaftl. Information

Uhrzeit

- Abfahrtszeit - Dauer der Verzögerung

Soll-Situation » Transformation

Device (Push)

individuelle Information

verbleibende Wartezeit

> gemeinschaftl. Information ist irrelevant - Abfahrtszeit (Vorbereitung) - verbleibende Wartezeit - Alternative (Verzögerung) > Reduktion der Entscheidungszwänge

Umfeld (Pool)

dynamische Information

verbleibende Wartezeit

> an Situation angepasste gemeinschaftl. Information -

verbleibende Wartezeiten Grund (Verzögerung) Alternative (Verzögerung) Wartestruktur

> Reduktion von Aufwand

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22 schlussbetrachtung

Wenn wir warten, rückt Zeit respektive die Wahrnehmung von Zeit besonders in unser Bewusstsein, denn der alleinige Inhalt dieser Tätigkeit ist, darauf zu warten, dass Zeit vergeht – solange bis ein erwarteter Zeitpunkt beziehungsweise das gewünschte Ereignis eintritt, wie beispielsweise das Eintreffen der Bahn. Dabei ist der Zeitraum in dem wir auf etwas warten oftmals eine unangenehme Beschäftigung, weil wir Wartezeit oft als eine Unterbrechung oder als Übergang zwischen zwei „sinnvolleren“ Tätigkeiten ansehen. Dies ist auch dem stärker werdenden Einfluss von Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Gesellschaft und Kultur des Menschen geschuldet, welche den Menschen nötigen effektiver und systematischer zu arbeiten. Innerhalb dieser Arbeit wird an dieser Entwicklung angesetzt und der Einfluss mobiler Endgeräte auf das Warteverhalten analysiert. Dabei wird deutlich, dass mobile Endgeräte großen Einfluss auf die Empfindung von Wartezeit nehmen und in der Lage sind Ängste zu vermeiden respektive die Zufriedenheit des Nutzers zu steigern. Die Studie lässt jedoch auch erkennen, dass wesentliche Bedürfnisse und Anforderungen weiterhin unbeantwortet bleiben.


21 Handlungsfelder

Demnach ist es nicht ausreichend neue Informations- und Kommunikationstechnologien in den Prozess einzubinden und sich auf diese zu verlassen, vielmehr müssen diese nutzerspezifisch gestaltet werden, um die bestehenden Kommunikationselemente sinnvoll ergänzen zu können. Daher diskutiert diese Arbeit das Verhalten, Gewohnheiten, Motivationen und die Wahrnehmung der Nutzer innerhalb der Wartesituation und versteht diese als die grundlegenden Parameter für einen zukünftigen Gestaltungsprozess.


23 Literaturverzeichnis Bücher

Beyrer, Klaus / Gold,Helmut: Das Zeitsparbuch. Hermann Schmidt Verlag Mainz, 2012, 2. Auflage Elias, Norbert: Über die Zeit. Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1988, 1. Auflage Erlhoff, Michael / Heidkamp, Philipp / Utikal, Iris: Designing Public. Birkhäuser, 2008 Fraisse, Paul: Psychologie der Zeit. Ernst Reinhardt Verlag, München, 1985 Hall, Edward: Die Sprache des Raumes. Cornelsen Verlag, 1994 Hemel, Ulrich: Ziele religiöser Erziehun. Beitrag zu einer integrativen Theorie. Frankfurt am Main, Lang, 1988 Husserl, Edmund: Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins. Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 2000, 3. Auflage Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Beltz Psychologie Verlags Union, Weinheim, 1995, 3. Auflage Levine, Robert: Eine Landkarte der Zeit. Piper Verlag, 2005, 11. Auflage Maeda, John: Simplicity – Die zehn Gesetze der Einfachheit. Spektrum Sachbuch Verlag, 2006 Maister, David H.: The Psychology of Waiting Lines. The Service Encounter, D.C.Heath, 1985

86


Neumann-Braun, Authenrieth: Freundschaft und Gemeinschaft im Social Web Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2011, 1. Auflage Raupold, Claudia: Konsumentenverhalten und Warteschlangen-Management. Diplomier Verlag GmbH, Hamburg, 2009 Schmitt, Lutz: Zeit, Gesellschaft und Design. VDM Verlag Dr. M端ller, 2007 Walch, Johann Georg: Philosophisches Lexicon. Gleditsch, Leipzig, 1775, 4. Auflage Weis, Kurt (Hrsg.): Was ist Zeit? Zeit und Verantwortung in Wissenschaft. Deutscher Taschenbuch Verlag, 1995 Weis, Kurt (Hrsg.): Was treibt die Zeit? Technik und Religion, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998

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Studie

Huang , Ko-Hsun / Deng, Yi-Shin: A Case Study of a Traditional Social Activity Institute of Applied Arts, National Chiao Tung University, Taiwan, 2008

Diplom

Hochscheidt, Oliver: Warten auf GoTo Köln International School of Design, 2004 Kempe, Sascha: Privilegiertes Warten Köln International School of Design, 2005 Metzner, Michael Stefan: Zeiterleben und Empfindungsqualität Ludwig-Maximilians-Universität München, 1999 Risch, Johanna: Bitte Warten Köln International School of Design, 2009 Schmitt, Lutz: Die Wahrnehmung von Zeit Köln International School of Design, 2006

Filme

Der Stoff aus dem der Kosmos ist – Die Illusion der Zeit Arte, 2011

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Online

CNN Tech (Zugriff am 02.02.2013) articles.cnn.com/2008-11-20/tech/queuing.psychology Duden Online (Zugriff am 20.01.2013) www.duden.de/rechtschreibung Economag (Zugriff am 28.02.2013) http://www.economag.de/magazin/2008/3/73+Bitte+warten%21 Neue Züricher Zeitung (Zugriff am 21.02.2013) www.nzz.ch/aktuell/startseite/article9A3ZB-1.347036 Neue Züricher Zeitung (Zugriff am 21.02.2013) http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/article9ALUJ-1.347039 Neue Züricher Zeitung (Zugriff am 21.02.2013) http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/article9AMMD-1.347040 Neue Züricher Zeitung (Zugriff am 21.02.2013) http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/article9A3BO-1.347035 Schreibkraft (Zugriff am 20.02.2013) schreibkraft.adm.at/ausgaben/05-warten-bitte/unerwartetes-warten-erwartet Spiegel.de (Zugriff am 13.02.2013) www.stern.de/wirtschaft/news/sb-kassen-der-kunde-als-kassierer-543867-print.html Süddeutsche.de (Zugriff am 25.02.2013) www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sagen-sie-mal-muss-die-warteschlange Die Tageszeitung (Zugriff am 05.02.2013) http://www.taz.de/!23834/

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24 Abbildungsverzeichnis 01

eigene Abbildung

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