Begegnungen von Kirchengemeinden mit Muslimen, islamischen Gruppierungen und Moscheevereinen
Theologische Ăœberlegungen, Anmerkungen und praktische Hinweise
Ansprechpartner für Fragen des christlich-islamischen Dialogs: Der Beauftragte für den interreligiösen Dialog und Islamfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Prof. Dr. Johannes Triebel Lorenzer Platz 10 a, 90402 Nürnberg, Telefon (09 11) 23 77-400, Fax -402 triebel@islambeauftragter.de www.islambeauftragter.de Brücke – Köprü. Begegnung von Christen und Muslimen Pfr. Hans-Martin Gloël und Diakonin Doris Zenns Leonhardstraße 13, 90443 Nürnberg Telefon (09 11) 28 77-313, Fax -324 www.bruecke-nuernberg.de info@bruecke-nuernberg.de Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Landeskirchenamt Referat Ökumene, Partnerschaften, Mission, Entwicklungsdienst Kirchenrat Ivo Huber, Heinz Dunkenberger-Kellermann Postfach 20 07 51, 80007 München Telefon (0 89) 55 95-476, Fax -406 www.bayern-evangelisch.de_engagiert_imdialog oekumene@elkb.de
Impressum Herausgeber: Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Landeskirchenamt Referat Ökumene, Partnerschaften, Mission, Entwicklungsdienst Postfach 20 07 51, 80007 München erarbeitet von der Arbeitsgruppe „Interreligiöser Dialog und Islam“ Grafische Gestaltung: Claudia Baumann, Augsburg Fotos: aus Fotoarchiv Brücke Druck: skala Druckagentur Mailservice GmbH, Oberndorf
Inhalt
Einleitung
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Theologische Ăœberlegungen
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Begegnung und Dialog der Religionen als Beitrag zur Integration
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Praktische Beispiele
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Materialien
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Ansprechpartner
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Theologische Überlegungen, Anmerkungen und praktische Hinweise
Einleitung
erhalten haben, eine große Zahl von Nichtmuslimen ist, vielfach Christen, die aus religiösen Gründen ihre Heimat verlassen haben. Die Ausländer aus diesen Ländern können also nicht pauschal als Muslime gezählt werden. Diese gesellschaftliche Situation in unserem Land ist größtenteils eine Folge von Wanderungsbewegungen (Migration), die unsere Gesellschaft verändern. Weltweit gesehen ist das kein Einzelfall, sondern nahezu die Regel. Natürlich stellt diese veränderte Wirklichkeit für alle eine Herausforderung dar. Sowohl die Zugewanderten als auch die einheimische Bevölkerung müssen das Zusammenleben in einem gemeinsamen Prozess gestalten. Daran beteiligen sich auch die Kirchen, denn sie wollen die gesellschaftliche und politische Realität dieses Landes mitgestalten. Die weltpolitische Lage rückt die mehrheitlich islamischen Länder und ihre innergesellschaftliche Problematik immer wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Dortige Konflikte, kriegerische Auseinandersetzungen und Terroranschläge werden oft in den Medien und der Öffentlichkeit mit dem Islam in Verbindung gebracht. Andererseits werden die Medien auch in geschickter Weise von islamistischen Kreisen genutzt, um ihren Interessen eine Stimme zu verleihen. All dies sind Gründe, sich mit dem Islam als Religion und politischer Größe auseinanderzusetzen. Viele Gemeindeglieder, kirchliche Gruppen und Kirchengemeinden sehen darum in der Auseinandersetzung mit der
In den letzten etwa 40 Jahren hat sich in der deutschen Gesellschaft ein Wandel vollzogen, dessen Ausmaß vielen nicht bewusst war: Die Muslime bilden schon seit längerem eine nicht zu vernachlässigende Gruppe. Ja, der Islam wird in Deutschland in jedem Fall eine dauerhafte Realität im religiösen und gesellschaftlichen Leben bleiben. Er ist keine nur vorübergehende Erscheinung in Zusammenhang mit Flüchtlingen, „Gastarbeitern“ usw. Etwa 3,5 Millionen Muslime leben hier. Die meisten von ihnen stammen aus der Türkei (etwa 2 Millionen). In der Regel handelt es sich um Migranten (Arbeiter, Geschäftsleute, nachgezogene Familienangehörige) und Studierende. Über 900.000 Muslime haben einen deutschen Pass, davon sind etwa 15.000 von Geburt an Deutsche. In Bayern leben etwa 300.000 Muslime. Alle Zahlenangaben zu Muslimen in Deutschland sind Schätzungen1, da diese Religionszugehörigkeit staatlicherseits nirgends erfasst wird und Muslime nicht Mitglieder in Moscheevereinen sein müssen. Grundsätzlich ist zu beachten, dass unter Asylbewerbern und Migranten aus islamischen Ländern, die hier Asyl 1 Siehe zu den Zahlenangaben Thomas Lemmen, Muslime in Deutschland. Eine Herausforderung für Kirche und Gesellschaft. Baden-Baden 2001, S. 35-41. – Die Wörter Christen und Muslime im Plural meinen immer Frauen und Männer.
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Theologische Überlegungen
Im Neuen Testament entspricht die Mahnung zur Gastfreundschaft diesem Anliegen (Römerbrief 12, 13; 1. Petrusbrief 4, 9; Hebräerbrief 13, 2). Vor allem das Liebesgebot (3. Mose 19, 18; Markus 12, 31 par.) hat die christliche Ethik in besonderer Weise geprägt. Das Gebot der Nächstenliebe endet gerade nicht an der Grenze der eigenen Gemeinde, sondern schließt grundsätzlich alle Menschen mit ein. Deshalb ist Muslimen mit der gleichen Hochachtung und dem gleichen Respekt zu begegnen, den wir anderen Menschen entgegen bringen. Die Tatsache, dass das Gebot der Nächstenliebe durch das Gebot der Feindesliebe noch überhöht und verschärft wird (Matthäus 5, 43-45), unterstreicht noch einmal, dass niemand aus der Reichweite des Liebesgebotes ausgeschlossen werden kann. Ebenso wenig darf die Erfüllung des Liebesgebotes an Bedingungen geknüpft werden. Das Liebesgebot ist bedingungslos. Andere Menschen lernen das Christentum als eine „Religion der Liebe“ kennen, wenn sie es im Umgang mit Christen spüren. Auch in der Begegnung mit Muslimen hat die „Goldene Regel“ Jesu ihr Recht: „Alles nun, was ihr wollt, das euch die
„Herausforderung Islam“ eine wichtige Aufgabe und wollen Beziehungen zu muslimischen Nachbarn, islamischen Gruppen und Moscheevereinen im Gemeindebereich aufnehmen.2 Daraus ergeben sich Fragen, z. B. welche Muslime kontaktbereit sind oder mit welchen Gruppierungen eher schlechte Erfahrungen gemacht wurden. Deshalb werden im Folgenden theologische Gesichtspunkte, Anregungen und praktische Hinweise für die Begegnung mit Muslimen im kirchlichen Bereich zusammengestellt.
1. Theologische Überlegungen Für Christen ergibt sich aus ihrem Selbstverständnis und auf Grund ihres Glaubens die Notwendigkeit, für Menschen anderer Religionen in der Gesellschaft offen zu sein und auf sie zuzugehen. 1.1. Liebesgebot Im Alten Testament hat die Aufforderung, sich der Fremden anzunehmen, einen hohen Stellenwert: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Land, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland“ (3. Mose 19, 33f).
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Johannes Friedrich, „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt“ Bericht vor der Synode in Amberg, in: Nachrichten der ELKB Nr.12/2004, S. 381: „Ich möchte ... nachdrücklich dazu ermuntern, dass unsere Gemeinden in stärkeren Kontakt etwa mit muslimischen Moscheen kommen ... Wenn wir etwas gegen einen wachsenden Islamismus in unserem Land tun wollen, ist es gerade unsere Aufgabe als Gemeinden, für die Integration der nicht-islamistischen Muslime in unserer Gesellschaft zu arbeiten.“
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Theologische Überlegungen
Leute tun sollen, das tut ihnen auch“ (Matthäus 7, 12). Dieser Grundsatz ermutigt zu einer Begegnung auf gleicher Augenhöhe in gegenseitigem Respekt. Diese Grundhaltung macht es möglich, im Gespräch Dinge anzusprechen, die uns fremd sind, die uns unverständlich sind und die uns eventuell beängstigen.
Zugleich ist aber auch auf die Achtung und Einhaltung der Menschenrechte durch die bei uns lebenden Muslime und ihre Organisationen zu achten und dies wo nötig einzufordern. Einen besonderen Problempunkt bildet die Frage der Religionsfreiheit, d.h. das Recht, die eigene Religion zu wechseln.3 Es ist daher Aufgabe der Kirchen und der Kirchenmitglieder, sich für ein gutes mitmenschliches Miteinander in unserer Gesellschaft einzusetzen. Die prophetische Forderung „Suchet der Stadt Bestes“ (Jeremia 29, 7) gilt auch im Zusammenhang der Diskussion um Integration. Ein friedliches Miteinander mit Muslimen in unserer Gesellschaft wirkt sich ebenfalls auf die kirchliche Arbeit aus. Integration meint hierbei immer ein gegenseitiges AufeinanderZugehen und ein gegenseitiges Respektieren.
1.2. Einsatz für das Gemeinwohl Nach schwierigen Prozessen und Auseinandersetzungen in den letzten beiden Jahrhunderten weiß sich die evangelische Kirche in einem demokratischen Land wie Deutschland den Grundwerten der freiheitlich demokratischen Grundordnung und den Menschenrechten verpflichtet. Auch wenn diese Werte und Ordnungen nicht allein aus christlichen Wurzeln entstanden sind, nehmen sie Grundanliegen christlicher Ethik auf, insbesondere das Eintreten für die Würde und den Wert jedes Menschen. Ein Eintreten der Kirche für diese Werte und Rechte schließt ein, dass sie allen Bürgern in unserem Staat in gleicher Weise zu gelten haben und damit auch allen Religionsgemeinschaften. Dies betrifft in besonderer Weise die Religionsfreiheit. Deshalb haben die Kirchen und die Kirchenmitglieder die Pflicht, sich auch für Rechte der Muslime in unserer Gesellschaft mit einzusetzen. Christen können sich von dieser Verantwortung, die allen Staatsbürgern übertragen ist, nicht suspendieren.
Sie darf nicht mit Assimilation und der Forderung, die eigene kulturelle Identität aufzugeben, verwechselt werden 3 Diese Möglichkeit wird im Islam normalerweise strikt abgelehnt, siehe dazu unten unter 1.3.. Besondere Beachtung verdient deshalb die Aussage in Punkt 11 der „Islamischen Charta“: „Daher akzeptieren sie (die im Zentralrat vertretenen Muslime) auch das Recht, die Religion zu wechseln, eine andere oder gar keine Religion zu haben. Der Koran untersagt jede Gewaltausübung und jeden Zwang in Angelegenheiten des Glaubens.“ (Islamische Charta. Grundsatzerklärung des Zentralrats der Muslime in Deutschland e.V. zur Beziehung der Muslime zum Staat und zur Gesellschaft. Februar 2002, zugänglich unter www.islam.de)
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(ausführlicher unter 2.2.). Forderungen nach Respekt vor einer anderen kulturellen Prägung enden aber dort, wo aus angeblich kulturellen oder religiösen Gründen Menschenrechte oder die deutsche Rechtsordnung verletzt werden. Ein besonderes Problemfeld bildet hier die Achtung der Gleichberechtigung von Mann und Frau (siehe ausführlicher unter 2.2.). Die Erfahrungen, die die Kirchen als Religionsgemeinschaften im Verhältnis zu Staat und Gesellschaft gesammelt haben (vor allem im Bildungs- und Sozialbereich), können in die Begegnung mit Muslimen eingebracht werden und ihnen helfen, ihrerseits ihre Rolle in unserem Staat zu klären. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Integration geleistet.
Was gibt Christen ihre Identität, was ist das Zentrum, das Unaufgebbare des christlichen Glaubens? Hier geht es um das Grundbekenntnis der Christen, dass sie „Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Herrn und Heiland“ bekennen (Basis des Ökumenischen Rates der Kirchen), durch den Gott die Welt mit sich versöhnt hat. In ihm finden Christen letztgültig den Weg, die Wahrheit und das Leben und damit den Zugang zu Gott als Vater, Sohn und Heiligem Geist (vgl. Johannes 14, 6). Das Fundament ist damit eine personale Beziehung: der Glaube an Jesus Christus. Dieser Letztgültigkeitsanspruch ist das Zentrum des christlichen Glaubens. Ein entsprechender Letztgültigkeitsanspruch kennzeichnet aber ebenso jede andere Religion und macht eine Religion erst zu dem, was sie ist. Jede Religion bekennt sich zu ihren Fundamenten, die ihren Wahrheitsanspruch ausmachen. Die Wahrheit einer Religion kann nie „relativ“ sein, sondern sie versteht sich als „absolute“ Wahrheit und erhebt damit zugleich einen universalen Gültigkeitsanspruch. Dies ist keine Anmaßung, keine Selbstüberheblichkeit, sondern notwendigerweise Kennzeichen jeder Religion und damit auch des Christentums. Für Christen ist die Wahrheits- und die Heilsfrage mit dem Glauben an Jesus Christus verbunden. Dieses Glaubenszeugnis gilt es in verständlicher Weise und in
1.3. Dem eigenen Glauben eine Stimme geben Im Neuen Testament ist es ein Wesenszug des Christseins, sich auch in der Öffentlichkeit zum Glauben zu bekennen und Rechenschaft zu geben „über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht“ (1. Petrusbrief 3, 15f). Gerade in der Begegnung mit Menschen, die anderen Religionen angehören, sollten Christen ihren Glauben erklären und ihn in Worte fassen können, um deutlich zu machen, was ihnen ihr Glaube für sie persönlich und im alltäglichen Leben bedeutet. Deshalb ist es wichtig, sich auf die Fundamente des eigenen Glaubens zu besinnen: 7
Theologische Überlegungen
geduldigem Hinhören auf das Glaubenszeugnis der Gesprächspartner in das interreligiöse Gespräch einzubringen. Dabei begegnen sich Lebenszeugnisse, die jeweils von ihrer Letztgültigkeit und Wahrheit überzeugt sind. Im interreligiösen Dialog werden die Grundlagen des Lebenszeugnisses und seiner ethischen Maßstäbe zur Sprache kommen. Wo sich Glaubensund Lebenszeugnisse begegnen, wird es nicht ausbleiben, dass daraus auch eine gegenseitige Glaubenseinladung erwächst. Eine Einladung „lässt Freiheit zur Entscheidung, sie nötigt nicht; sie wirbt, aber drängt nicht. Diese Einladung ist die Form, in der Mission bzw. da’wa im Islam ihren Platz im Dialog hat. Deshalb ist Dialog immer auch ein missionarisches Geschehen. Und Mission ist immer auch ein dialogisches Geschehen, sofern es eine Einladung zum Glauben in Liebe und Freiheit ist.“ 4 Damit ist ein Religionswechsel in beide Richtungen möglich. Als Christen wissen wir, dass das Glaubenszeugnis durch die Kraft des Heiligen Geistes Glauben wirkt „wo und wann Gott es will“ (Augsburgisches Bekenntnis, Art. 5). Wenn Muslime Christen werden und sich taufen lassen wollen, ist zu bedenken, was dieser Schritt für sie bedeutet. Es ist wichtig, im Gespräch mit ihnen deutlich zu machen, dass sie zuvor die Kosten überschlagen, um zu sehen, ob sie es
ausführen können (vgl. Lukas 14, 28). „Festzuhalten bleibt, dass (aus islamischer Sicht) die Aufnahme in den Islam irreversibel ist und eine Aufkündigung schwerste Konsequenzen nach sich ziehen kann. Das islamische Recht hat für diesen Fall eine Vielzahl von Sanktionen in verschiedenen Rechtsbereichen vorgesehen (Eherecht, Erbrecht, Strafrecht). Dieser Abfall wird durch den Übertritt in eine andere Religion oder durch die ausdrückliche Leugnung eines oder beider Elemente des Glaubensbekenntnisses vollzogen.“ 5 Auch wenn ein Religionswechsel staatlich nicht verboten ist und die jeweilige Verfassung eine gewisse Religionsfreiheit garantiert, schließt dies nicht aus, dass in vielen Fällen ein Religionswechsel die soziale und familiäre Isolation und Ächtung zur Folge haben kann. Die Betroffenen können in unüberbrückbare Konflikte zu ihrer Familie oder anderen wichtigen Bezugspersonen geraten, so dass die bestehenden Sozialkontakte zerbrechen und diese Menschen unter Umständen ein Leben im Untergrund führen müssen. Freilich unterscheidet sich die Situation sehr von Land zu Land. Deshalb ist es wichtig, sich hier genau zu informieren. 4 Johannes Triebel, Fundamentalismus – Wahrheitsansprüche – Lebenszeugnisse – Dialog der Religionen ... und dann noch Mission? In: Umwege und Weggefährten. FS für Heinrich Balz, hg. von Jürgen Thiesbohnenkamp und Helgard Cochois. Neuendettelsau 2003, S. 212. 5 Thomas Lemmen, Muslime in Deutschland, S. 38; vgl. Adel Th. Khoury, Art. Abfall vom Glauben/Apostasie, in: Islam-Lexikon, hg. von Khoury/Hagemann/Heine, Bd. 1. Freiburg 1991, S. 21-25.
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Solche Benachteiligungen kann es auch für in Deutschland zum Christentum übergetretene Muslime geben, selbst wenn diese Haltung nicht von muslimischen Führern und Gelehrten gefordert wird.6 Denn für viele Muslime ist auf Grund ihrer traditionellen Prägung und Einstellung eine Abkehr vom Islam unvorstellbar. Trotz dieser Schwierigkeiten kommt es in Deutschland immer wieder zu Bekehrungen von Muslimen zum christlichen Glauben. Weil viele dieser neuen Christen ihre sozialen Bezüge auf Grund ihrer Bekehrung verlieren, ist es sehr wichtig, dass sie in der christlichen Gemeinde eine neue Gemeinschaft, Heimat und Halt finden. Das ist für Gemeinden bei uns eine wichtige, aber nicht leichte Aufgabe. An einzelnen Orten sammeln sich kleine christliche Gemeinden ehemaliger Muslime, oft nach Sprachgruppen getrennt (arabisch, türkisch, usw.). Anstöße für die Beschäftigung mit dem christlichen Glauben sind das Zeugnis von anderen Christen, die oft auch Konvertiten aus dem Islam sind, die Bibellektüre, mitunter angeregt durch das Koranstudium oder einfach das Vorbild von Christen. Berichte über diesbezügliche Bekehrungen finden sich z.B. in der Zeitschrift des Orientdienstes in Wiesbaden „Orientierung. Jesus Christus den Muslimen in Europa“ oder in dem Sammelband „Mit Muslimen im Gespräch“. 7
1.4. Das Evangelium Muslimen weitersagen Wenn das Evangelium, die Botschaft Jesu von der Liebe Gottes, allen Menschen gilt (Markus 16, 15; 1. Timotheusbrief 2, 4), schließt das Muslime mit ein. Die bei uns lebenden Muslime sollen die Möglichkeit haben, die Botschaft des Evangeliums, wie sie im Neuen Testament übermittelt ist, kennen zu lernen. Begegnungen und Gespräche mit ihnen werden immer wieder Fragen des Glaubens zum Thema haben. Hier geht es zum einen darum, das Leben, den Glauben und die Religion der muslimischen Partner kennen und verstehen zu lernen und ihnen so die entsprechende Achtung entgegenzubringen. Zugleich fordert diese Begegnung aber auch die Christen heraus, sich über ihren eigenen Glauben zu äußern und ihren Gesprächspartnern zu verdeutlichen, was sie glauben und wie sie ihren Glauben leben. Dies steht in der Regel nicht am Anfang einer Begegnung. Muslime erwarten durchaus, dass Kirchenmitglieder ihnen als Christen begegnen und diese sich als solche zu erkennen 6
Vgl. Mathias Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. Freiburg 2001, S. 47f. 133f. Vgl. auch Thomas Lemmen, Muslime in Deutschland, S. 229. Andreas Feldtkeller, ‚Die Mutter der Kirchen’ im ‚Haus des Islam’. Erlangen 1998, S. 226. Zum Ganzen siehe auch Johannes Triebel, Islam und Religionswechsel, in: Umkehr zum lebendigen Gott, hg. von Klaus Schäfer. Weltmission heute Heft 53. Hamburg 2003, 154ff. Vgl. dazu auch den oben in Anm. 3 zitierten Punkt 11 der Islamischen Charta. 7 Ernst Schrupp (Hg.), Mit Muslimen im Gespräch. Wuppertal 2002, S. 36-71.
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Theologische Überlegungen
gerade auch für die Kirchen, eine Herausforderung, der sie sich bewusst stellen müssen. Hieraus ergeben sich bereits für die Arbeit in Kindergärten und dann sowohl für den Religions- und Konfirmandenunterricht als auch für die Jugend- und Bildungsarbeit wichtige Aufgabenstellungen, um die Sprachfähigkeit in Glaubensfragen zu fördern und um zu einem angemessenen Glaubenszeugnis anzuleiten. 8
geben, über ihren Glauben sprechen und für ihren Glauben eintreten. Dass dabei Sichtweisen und Standpunkte deutlich werden, die sich von denen der Muslime unterscheiden, ist selbstverständlich und notwendig. Darin liegt kein Hindernis für Begegnungen und Gespräche, sondern eher der Anreiz, den anderen Glauben und Menschen anderen Glaubens kennen zu lernen. Vom eigenen Auftrag her kann der Kirche also das Zusammenleben mit Menschen anderen Glaubens, bei uns vor allem mit Muslimen, nicht gleichgültig sein, vielmehr ist diese Aufgabe,
8 Vgl. Johannes Friedrich, wie Anm. 2, Abschnitt „Die Botschaft anderen weitergeben“ S. 377-380.
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Begegnung und Dialog der Religionen als Beitrag zur Integration
zu leisten, dass die Entstehung einer ausgegrenzten islamischen Parallelgesellschaft verhindert wird und stattdessen Muslime ein integraler und integrierter Bestandteil der pluralen Gesellschaft werden.10
2.1. Christen und Muslime in Staat und Gesellschaft Die Kirchen wie auch die Gesellschaft befinden sich in einem Prozess tiefgreifenden Wandels. Durch die Bevölkerungsentwicklung, eine Vielzahl religiöser Angebote und zunehmende Säkularisierung nimmt die Zahl der Christen in einigen Regionen Deutschlands ab. Damit hat aber auch die gesellschaftsprägende Kraft der Kirchen in den letzten Jahren abgenommen. Islamische Gemeinschaften dagegen verzeichnen zunehmende Mitgliederzahlen und machen ihre Präsenz in dieser Gesellschaft etwa durch Institutionalisierung ihrer Riten, durch Bauwerke oder Symbole9 deutlich und fordern ihre Rechte ein. Diese gegenläufigen Entwicklungen können sich belastend auf das Verhältnis von Christen und Muslimen auswirken. Die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle und konstruktive Begegnung sind aber denkbar schlecht, wo sich Christen und Muslime jeweils als Opfer der anderen begreifen. Viele Christen beklagen den Rückgang ihres Einflusses als bedeutendste gesellschaftsprägende religiöse Gruppe und machen dafür auch „den Islam“ und „die Muslime“ verantwortlich. Muslime klagen darüber, dass ihre Gemeinschaften im Staat und in der Öffentlichkeit benachteiligt werden und von gleichen Rechten keine Rede sein kann. Sie erhoffen sich bei der Durchsetzung ihrer Interessen die Unterstützung der Kirchen. In jedem Fall gilt es, einen Beitrag dazu
Eine gute Grundlage für Begegnung und Dialog mit Muslimen kann daher der Vorsatz sein, ■ islamische Vereinigungen als Gruppen wahrzunehmen, die mit den christlichen Kirchen die Frage nach der Rolle als Religionsgemeinschaft in einem säkularen Staat verbindet; ■ gemeinsam zu prüfen, welche muslimischen Anliegen zu gemeinsamem Nutzen und zum Wohl der Gesellschaft unterstützt werden können, welche modifiziert oder auch abgelehnt werden müssen; ■ Muslime als Gesprächspartner wahrzunehmen, mit denen Christen über ihren jeweiligen Glauben ins Gespräch kommen können. 2.2. Muslimische Präsenz als Prozess der Veränderung für Christen und Muslime In Begegnungen und Gesprächen mit Muslimen erfahren Christen, dass für 9 Gerichtsurteile zum Schächten, zu Moscheebauten und zum Kopftuchstreit. 10 Die von den Kirchen unterstützten Pläne eines islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen unter den gleichen Rahmenbedingungen wie christlicher und jüdischer Religionsunterricht sind hierfür ein Beispiel.
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Begegnung und Dialog der Religionen als Beitrag zur Integration
wohl das Bewahren als auch das Anpassen ihren Ort haben. Auf der anderen Seite bereitet es große Sorge, wenn mit Hinweis auf eine andere religiöse Prägung die Achtung der Frau in der Gesellschaft in Frage gestellt und damit das Grundrecht der Gleichberechtigung von Mann und Frau missachtet wird. Auf muslimischer Seite wird hier meist nur von einer Gleichwertigkeit der Frau gesprochen oder davon, dass Mann und Frau „die gleiche Lebensaufgabe“ 12 haben. Die im Grundgesetz garantierte Gleichberechtigung von Mann und Frau beinhaltet mehr. Sie ist in der interreligiösen und interkulturellen Begegnung nicht verhandelbar, sondern ist in allen Bereichen einzufordern. Deshalb ist es nicht hinnehmbar, wenn z.B. schon Jungen im Kindergarten und in der Schule sich weigern, den Anweisungen von Lehrerinnen Folge zu leisten und wenn Mädchen und junge Frauen in der Erziehung und Ausbildung benachteiligt werden. Obwohl es für diese Situationen keine pauschalen Lösungen oder Patentrezepte gibt, ist es wichtig, hier für die Gleichberechtigung von Mann und Frau deutlich einzutreten. Die genannten Problemfelder müssen im Zusammenleben offen angesprochen werden, um dann gemeinsam
Muslime in ihren Herkunftsländern die Religion einen anderen gesellschaftlichen und politischen Stellenwert hat als hierzulande. Strukturen und Ziele mancher Moscheevereine sind von diesen Bedingungen mit bestimmt. Die unterschiedlichen nationalen und kulturellen Prägungen einzelner Vereine sind bei den Begegnungen zu berücksichtigen. In Hinblick auf einzelne islamische Vereine ist die Annahme begründet, dass sie in ihren Konzepten und Zielen ein problematisches Verhältnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung haben. Der Rechtskonsens im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist aber nicht verhandelbar, sondern bildet die Grundlage des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Ermutigend sind in diesem Zusammenhang deutliche Äußerungen und Konzepte der Rechtsauslegung mehrerer islamischer Rechtsgelehrter in Europa, die den Anspruch haben, den Islam, und hier besonders das Verhältnis von Religion und Staat oder das Verhältnis der Geschlechter zu einander, authentisch im rechtsstaatlichen Rahmen und der demokratischen Wertegemeinschaft in Europa zu interpretieren.11 Dies ist ein Beispiel dafür, dass sich das Denken, die Traditionen und die Verhaltensmuster der nach Deutschland eingewanderten muslimischen Migranten in einem Prozess befinden, in dem so-
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Siehe dazu: Heiner Bielefeldt, Muslimische Stimmen zum säkularen Rechtsstaat, in: Muslime im säkularen Rechtsstaat. Integrationschancen durch Religionsfreiheit. Bielefeld 2003, S. 59-84; Angaben zu weiterführender Literatur muslimischer Rechtsgelehrter ebd. S. 66 ff. 12 Islamische Charta, wie Anm. 3, Nr. 6.
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nach Lösungen suchen zu können. Vertrauensbildende Begegnungen im Vorfeld sind dabei eine wichtige Voraussetzung. Es ist notwendig, sich dabei zu verdeutlichen, dass es sich hier um kulturelle Unterschiede oder auch Gegensätze handelt und nicht um Fragen der Religion. Es muss versucht werden, deutlich zwischen Kultur und Religion zu unterscheiden. Wenn aber angeblich kulturell geprägte Verhaltensweisen, besonders drastische Beispiele sind hier Zwangsheiraten und vor allem Ehrenmorde, in eindeutigem Widerspruch zu unseren Gesetzen und den Menschenrechten stehen, sind diese von Kirche und Gesellschaft scharf zu verurteilen und staatlicherseits strafrechtlich zu verfolgen. „Kulturelle Prägung“ rechtfertigt keinen Rechtsbruch. Sowohl „der Islam“ mit seinen verschiedenen Richtungen, als auch die islamischen Vereine sind in sich äußerst heterogen und komplex, sodass ihre Wahrnehmung als geschlossenes Ganzes der Sache nicht gerecht wird. Neben verschiedenen nationalen Prägungen gibt es auch unterschiedliche Ausprägungen der Frömmigkeit und des Festhaltens an heimatlichen Traditionen und kulturellen Prägungen. Einige Vereine betonen stärker ihre nationale Identität, die teilweise mit politischen Richtungen verbunden sein kann, andere heben ihre bestimmte religiöse Prägung hervor. Es kommt auch vor, dass beides miteinan-
der verbunden wird. Jede gelebte Religion wird in ihrer kulturellen Ausprägung und Praxis von dem Kontext geprägt und verändert, in dem sie lebt. Wo aber Menschen und Gruppen auf ein bestimmtes Bild festgelegt werden, etwa nicht reformfähig zu sein, wird man der Situation nicht gerecht. Wenn einer Gruppe z.B. grundsätzlich ihre Integrationsfähigkeit abgesprochen wird, dann findet sie sich möglicherweise in einer Oppositionsrolle zu dieser Gesellschaft wieder, die sie selbst nicht gesucht hat. Ein gemeinsames, kritisches Nachdenken über die jeweilige und gemeinsame Rolle in Staat und Gesellschaft mag Christen und Muslimen das dialektische Verhältnis ihrer Verpflichtung zum gesellschaftlichen Handeln und der Zumutung zur Selbstveränderung deutlich werden lassen. Unabdingbar ist in diesem Prozess eine substantielle und klare christliche Haltung: Nur wer selbst fest steht, kann auch andere stehen lassen (vgl. unter 1.3. und 4.)! 2.3. Ziele für die Begegnung mit Muslimen Ängste vor dem Fremden der unbekannten Religion, Unsicherheit über die Absichten der anderen und Unklarheit über die Ziele der Begegnung erweisen sich häufig als hohe Hürden für die Kontaktaufnahme. Aber in persönlichen Begegnungen kann dann vieles erstaunlich vertraut vorkommen, was auf den ersten Blick von außen fremd erscheint. 13
Begegnung und Dialog der Religionen als Beitrag zur Integration
Eine Begegnung wird jedoch überfordert, wo nicht die Bereitschaft besteht, Fremdes und Unverständliches auch stehen lassen zu können. Eine Klärung der eigenen Ziele, die man mit der Begegnung verfolgen will, kann das Profil der Kontakte schärfen, sodass sich die Begegnungen nicht nur in (oft hilfreicher) anfänglicher Neugierde und dem Austausch unverbindlicher Freundlichkeiten erschöpfen müssen. Die Begegnungen können etwa folgenden Zielen dienen: 1. Begegnung zur Förderung guter Nachbarschaft: ■ Religiöse und kulturelle Eigenarten kennen lernen ■ Ängste vor der jeweils anderen Gemeinschaft thematisieren ■ Respekt vor den „Grenzen“ der jeweils anderen einüben ■ Chancen gemeinsamer Aktionen im Alltag und gemeinsamen Feierns entdecken
Verhältnisses der Geschlechter zueinander in Familie, Kindergarten, Schule und Öffentlichkeit ■ Soziale Fragen 3. Führen von Glaubensgesprächen: ■ Kennenlernen des Glaubenszeugnis-
ses der anderen Religion ■ Reflektieren des eigenen Glaubens in
vertiefter Form im Kontakt mit der anderen Religion ■ Fähigkeit und Bereitschaft, über den eigenen Glauben zu sprechen ■ Verständigung über die jeweilige Rolle als Glaubensgemeinschaft im säkularen Staat 2.4. Die Gesprächspartner: Einzelne und Gruppen Engagierte Menschen von muslimischer Seite, die nicht in Vereinen organisiert sind, z.B. auch Schriftsteller und Künstler, können in vielen Fällen gute Partner für christlich-muslimische Begegnungen sein, die durch ihren individuellen Zugang die Kontaktaufnahme erleichtern. Wo Kirchen(gemeinden) jedoch den Kontakt als Institution suchen und die Koexistenz von Christen und Muslimen in der Gesellschaft im Blick haben, ist es sinnvoll, auf islamischer Seite auch Gesprächspartner zu haben, die nicht nur für sich allein sprechen, sondern eine Gruppe vertreten.
2. Verständigung über gemeinsame Anliegen im Stadtteil/ in der Kommune13: ■ Nutzung sakraler Räume (Gebetsraum, Moschee, Friedhof) ■ Kinder im Stadtteil (Spielplätze, Kindergartenfragen, Hausaufgabenbetreuung) ■ Fragen der Schulausbildung und der Schulsituation („Problemfeld“ Hauptschule) ■ Erziehungsfragen und Klärung des
13 Siehe dazu: Erste Schritte wagen. Eine Handreichung für die Begegnung von Kirchengemeinden mit ihren muslimischen Nachbarn. München 2. Auflage 2002.
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Begegnung braucht Vertrauen.
mögliche radikale Kräfte in islamischen Gruppierungen stärkt und damit das Zusammenleben erschwert oder gar unmöglich macht. Es ist falsch, in jeder islamischen Vereinigung eine Gefahr für das öffentliche Leben zu sehen. Auf der anderen Seite sollen mögliche Gefahrenpotentiale nicht übersehen werden. Deshalb ist immer ein genaues Hinsehen wichtig, was nicht ohne Begegnung und Gespräch möglich ist. Wo diffamierende Äußerungen über Christen und Kirchen bekannt werden, stellt sich die Frage, ob das Vertrauen für weitere Begegnungen noch gegeben ist. Wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Achtung der Menschenrechte direkt oder indirekt in Frage gestellt wird, ist dies zu thematisieren. Wenn hier keine gemeinsame Basis zu finden ist, sollten Kontakte abgebrochen werden. Eine klare Grenze für Kontakte ist der Aufruf zu Gewalt gegen Andersdenkende.
Vertrauen kann wachsen, aber auch enttäuscht werden. Die Befürchtung, von einer Gruppe mit umstrittenem Hintergrund instrumentalisiert zu werden, etwa um sie „salonfähig“ erscheinen zu lassen, fordert zu einer differenzierten Entscheidung heraus, in der die beiderseitigen Interessen des Kontaktes in geeigneter Weise zu klären sind. Man hat es oft mit einzelnen Menschen zu tun, die nicht unbedingt auf sämtliche schriftliche Äußerungen ihres Vereins festgelegt werden sollten, die dieser in der Vergangenheit veröffentlicht hat. Die Haltungen und Konzepte von Vereinen verändern sich im Laufe der Zeit. Diese Veränderungen sollten, soweit es Außenstehenden möglich ist, genau beobachtet werden. Wo es für das gegenseitige Vertrauen und die Ziele der Begegnungen nötig ist, sollten diese Haltungen kritisch oder auch positiv verstärkend ins Gespräch gebracht werden. In der Regel sehen wir aber nicht hinter die Kulissen und kennen den aktuellen Diskussionsstand einer Gemeinschaft nicht. Wir sollten unsere Gesprächspartner beim Wort nehmen, so wie es uns in den Kontakten mit ihnen begegnet.14 Wo an uns als Christen der Wunsch herangetragen wird, einander als (jeweils anders) Glaubende zu begegnen, da sollten wir uns dem nicht verschließen, da dies ein Beitrag zur Integration sein kann. Denn es besteht die Gefahr, dass ein Zurückweisen dieses Wunsches eher
14 Die besondere Situation der interkulturellen/interreligiösen Verständigung wird i.d.R. besondere Sensibilität erfordern, um sich gegenseitig zu versichern, dass die Gesten und Äußerungen der jeweils anderen Seite richtig verstanden worden sind.
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Praktische Beispiele
Erfahrungsgemäß ist das Interesse am Kontakt auf christlicher Seite stärker ausgeprägt: Neugierde, Informationsbedürfnis und der Wunsch nach einem kritischen Gespräch sind hier oft die treibende Kraft, während sich manche islamischen Vereine gegenüber ihren christlichen Nachbarn zurückhaltend verhalten. Dies muss nicht Desinteresse bedeuten, sondern mag in vielen Fällen durch die Diasporasituation bedingt sein, in der sich die Gruppe auf sich selbst zurückzieht, um ihre Identität zu wahren und zu pflegen. Aufrichtig bekundetes Interesse an nachbarschaftlicher Begegnung wird aber in der Regel auf Gegeninteresse und Gastfreundschaft stoßen. Die Bitte um eine MOSCHEEFÜHRUNG und eine Einladung zu einer KIRCHENFÜHRUNG eignet sich als Signal, die anders glaubenden Nachbarn grundsätzlich freundlich wahrzunehmen. Im Idealfall bilden sie den Auftakt für eine Reihe von Begegnungen, um einander die jeweils eigene Glaubenswelt vorzustellen, um dann miteinander darüber ins Gespräch zu kommen. Die meisten Moscheen veranstalten am 3. Oktober alljährlich den „TAG DER OFFENEN MOSCHEE“, an dem sich auch Einzelne ohne Anmeldung informieren können. Die Überbringung eines FESTTAGS-
GRUSSES, etwa durch eine Delegation des Kirchenvorstandes anlässlich des Festes des Fastenbrechens 15 am Ende des Monats Ramadan, kann ein einfaches, aber wirkungsvolles Zeichen des nachbarschaftlichen Respekts gegenüber der anderen Glaubensgemeinschaft sein. Immer wieder werden die islamischen Vereine diese Geste etwa zu Weihnachten oder zu Ostern erwidern wollen. Hilfreich ist es, bereits vorher zu überlegen, in welchem Rahmen dies stattfinden könnte: etwa durch eine Einladung zur gemeindlichen Adventsfeier oder zum Osterfrühstück. THEMENABENDE geben Gelegenheit, unter dem Motto „Einander vom Glauben erzählen“16 oder offener: „Christen und Muslime im Gespräch“ einander das jeweils eigene Denken und Glauben vorzustellen und darüber hinaus vielleicht Grenzen und Möglichkeiten gemeinsamer Anliegen auszuloten. Erfahrungsgemäß gelingt Begegnung häufig beim gemeinsamen E S S E N UND FEIERN. Eine „Speisereise“ durch das Jahr entlang des christlichen und islamischen Festkalenders ermöglicht
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verschiedene Formen des Informationsaustauschs – über die Rezepte zu den religiösen und kulturellen Hintergründen der Feste – und der Begegnung durch gemeinsames Kochen und Feiern.17 Das Einüben der Begegnung von Christen und Muslimen beginnt bereits in den Kindergärten und deren Elternarbeit, dann aber auch in den Schulen, wo jetzt verstärkt nach der Möglichkeit multireligiöser Schulfeiern gefragt wird. Bei der Durchführung von spirituellen Veranstaltungen, wie etwa von FRIEDENSGEBETEN mit Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften, wird es darum gehen, die Äußerungen und Glaubenszeugnisse der einzelnen Gemeinschaften nebeneinander zu stellen und auf das gemeinsam gewählte Thema auszurichten. Das Anerkennen theologischer Aussagen einer anderen Gemeinschaft ist dabei ausdrücklich nicht Voraussetzung für die gemeinsame Durchführung einer solchen Veranstaltung.18
Gespräche zu suchen. Ein solcher Prozess fordert uns heraus, uns des eigenen Glaubens in einem sich verändernden Kontext neu zu vergewissern und ihn zu bezeugen. Wo dies in Achtung der Unterschiede geschieht, kann eine Nachbarschaft in Respekt mit anders Glaubenden gefördert werden und gemeinsam nach der Rolle der Glaubensgemeinschaften in einem sich als säkular verstehenden Staat gefragt werden.
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Arabisch: Id al Fitr; Türkisch: S¸eker Bayramı. Anspruchsvoll, aber je nach Situation durchführbar, kann ein Bibel&Koran-Kreis sein. Für Parallelen in Bibel und Koran siehe Johann-Dietrich Thyen: Bibel und Koran. Eine Synopse gemeinsamer Überlieferungen. Köln, Weimar, Wien 3. Auflage 2000. 17 Siehe dazu: Brücken bauen, hg. von Hans-Martin Gloël. Neuendettelsau 2005, S. 155-161. 18 Siehe dazu: Handreichung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern „Multireligiöses Beten“, hrsg. vom Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. München 4. Auflage 1999. 16
In diesem Sinne wollen wir dazu ermutigen, mit anders glaubenden Nachbarn offene und kritische Begegnungen und 17
Materialien
Erste Schritte wagen. Eine Handreichung für die Begegnung von Kirchengemeinden mit ihren muslimischen Nachbarn, hrsg. im Auftrag des Landeskirchenrates von der Arbeitsgruppe Islam/Interreligiöser Dialog der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern. München 2. Auflage 2002. Multireligiöses Beten. Handreichung hrsg. vom Landeskirchenrat von der Islam-Kommission der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern. München 4. Auflage 1999. „... über die Grenze gehen“ Ehen zwischen christlichen und muslimischen Partnern. Informationen für junge Menschen, hrsg. im Auftrag des Landeskirchenrates von der IslamKommission der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. München 2. Auflage 2000. Brücken bauen. Christen und Muslime erleben Begegnung, hrsg. von Hans-Martin Gloël. Neuendettelsau 2005. Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen. Eine Handreichung des Rates der EKD. Gütersloh 2000. Die Begegnung von Christen und Muslimen. Eine Orientierungshilfe mit pädagogischen Hinweisen für die Arbeit in Gruppen. EMW Hamburg 6. Auflage 2001. Thomas Lemmen/ Melanie Miehl, Miteinander leben. Christen und Muslime im Gespräch. Gütersloh 2001. Mathias Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven. Freiburg 2001. Badru D. Kateregga/ David W. Shenk, Woran ich glaube. Ein Muslim und ein Christ im Gespräch. Schwarzenfeld 2005.
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erhältlich im Ökumenereferat