Jugendkultur- und Medienarbeit für kulturelle Vielfalt. JFC Medienzentrum Köln

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Jugendkultur- und Medienarbeit f端r kulturelle Vielfalt


One Love

DVD

Siehe DATA\SONGS und Musikvideo auf beiliegender DVD

(Different Roots – Common Routes)

We introduce Different Roots Common Routes baby Wir haben nicht dieselben Wurzeln doch alle dieses eine Ziel Durch das Mic die Meinung sagen, guck wie ich mit Reimen spiel’ Musica l’amore che c’i accompagna e connette È un amore che c’i da forza ed é con noi sempre Es una vida llena de amor, pero sin piedad, Hago lo que puedo de colonia hasta granaž Aqui represento Los Rockeros del Rap, Lo que llevo dentro es to realidad Hepimiz aynıyız hepimiz insanız Music and Love bizim hayatımız Wir sind gekommen um zu rocken und die Welt zu Retten (one love, one world, one aim) Wir bringen frischen Wind, weil jeder von uns anders klingt (one dream, one team, just we) Die Wurzeln sind verschieden, doch wir haben dieselben Ziele (one love, one world, one aim) Es gibt nur eine Welt, es gibt nur eine Liebe (one dream, one team, just we) On n’est pas du même pays on n’a pas les mêmes racines On vous parle de nos vies la musique nous réunit Und ich fühl die Melodie wie ’ne Stimme in meinem Kopf, One life, one love, one mic – unplug Dreaming of a world without guns and wars just freedom Try to achieve this aim by rapping singing all together Wanna show you love wanna put you into our life You will always be welcome in the world of open hearts We’ve come to show you what we got ’n to open up our heart (one love, one world, one aim) We a breath of fresh air yet we take your breath away (one dream, one team, just we) Different cultures, different roots, work the magic in the booth (one love, one world, one aim) We ain‘t all the same but we got one aim (one dream, one team, just we) Hepimiz aynıyız hepimiz insanız Music and Love bizim hayatımız Jeder kommt mit Seele und er weiß wo das Ziel ist One Love und das Fighten um Realness Wo der Hass in den Menschen für die meisten zu viel ist Bringen wir Hoffnung mit Cyphern in den Zeiten des Krieges When I was young, I was in trouble I didn‘t know my routes/roots But now I see it makes no difference And I know what to do Wir sind gekommen (one love, one world, one aim) Um Euch zu rocken (one dream, one team, just we) Minna isshoni (one love, one world, one aim) Gambarou (one dream, one team, just we)

(Text & Musik: Maurice „Reez“ Moises, Piera Montenera, Falko Schönian, Tugba Yılmaz, Johannes „J-JD“ da Costa, Marc „Mavys“ Villareal, Olivia „Livi“ Sawano, Markus „Be“ Brachtendorf) © 2006 alle AutorInnen und JFC Medienzentrum Köln


Grußwort

Wir leben in einer Gesellschaft, die zunehmend durch Globalisierung und Multikulturalität geprägt ist. Das Miteinander unterschiedlichster Kulturen und die gesellschaftliche Vielfalt eröffnen Chancen für alle Menschen, die dieser Gemeinschaft angehören: Austausch von Erfahrungen, Einblicke und neue Perspektiven sowie ein gegenseitiges voneinander Lernen. Leider geht das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen nicht immer ohne Probleme, nicht immer friedlich vonstatten. Vorurteile gegenüber Menschen anderer Herkunft, Unkenntnis und gegenseitige Berührungsängste, die manchmal in Diskriminierung und fremdenfeindlicher Gewalt gipfeln, behindern die Integration. Für eine erfolgreiche Integration braucht es Offenheit, Annäherung und Verständigung. Kinder und Jugendliche als Mitgestalter unserer Gesellschaft nehmen hier eine wichtige Rolle ein. In diesem Sinne freue ich mich, Ihnen die Broschüre „Different Roots – Common Routes“ und das zugrundeliegende Projekt als Anregung und Arbeitshilfe für die Jugendarbeit vorstellen zu können. 26 Jugendliche aus 15 Nationen haben im Rahmen des Workshops ihre Vorstellungen und Träume von einem multikulturellen Miteinander musikalisch umgesetzt, haben selbst Musik komponiert und ihre Gedanken multilingual in Worte gefasst. Musik ist in besonderer Weise geeignet, kulturelle Brücken zu schlagen und ein Zeichen zu setzen. Insofern sind die Musikprojekte, die Ihnen in der Broschüre vorgestellt werden nicht bloß musikalisches Experiment, sondern auch Teil der sozialen, kulturellen und politischen Jugendbildung. Die Begegnung von Jugendlichen im Rahmen von „Different Roots – Common Routes“ überzeugt als gelungenes Beispiel für interkulturelle Pädagogik, die Austausch und Annäherung ermöglicht, um Distanz und Diskriminierung zu überwinden. Das Zusammenleben in einer zunehmend vielfältigeren und globalen Welt braucht den Zusammenhalt in der eigenen Gesellschaft

ebenso wie die Bereitschaft zur kulturellen Öffnung. Erst in der gegenseitigen Anerkennung entfaltet das Potenzial unserer vielfältigen Gesellschaft seine wirkliche Stärke. Die Projekte vermitteln diese Werte. Und vor allem werden neue Sichtweisen musikalisch unmittelbar umgesetzt. Jugendliche brauchen solche Erfahrungen. „Eine Liebe, eine Welt, ein Ziel“ – davon sind wir in der Realität weit entfernt. Desto mehr brauchen wir diese Träume einer Generation, die an der Schwelle zur eigenen Identitätsfindung und damit auch zur Mitgestaltung der Gesellschaft steht. Als Minister für Jugend und Integration begrüße und unterstütze ich diese kreative und innovative Aktion gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, die als gleichsam theoretische wie auch praktische Arbeitshilfe hoffentlich die Lust zur Nachahmung anregt. Meine Empfehlung: Lassen Sie sich einfach durch das beigefügte Hörbeispiel inspirieren.

Armin Laschet Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Intro | 03


Einführung In den letzten Tagen des Jahres 2006 wurde in Köln unter der programmatischen Überschrift „Different Roots – Common Routes“ ein Modellprojekt mit Musik-, Tanz- und Medienworkshops durchgeführt. Die beteiligten Jugendlichen mit „Roots“ in 15 Nationen erarbeiteten unter professioneller Anleitung in vier Tagen Songs, Choreographien, Videos und Live-Visuals. Die nun vorliegende Broschüre mit DVD vermittelt einen konkreten Eindruck aus dieser intensiven Arbeit. Zugleich und vor allem soll sie Anregung und konkrete Hilfestellung für die Realisierung eigener Angebote bieten. Jugendkultur ist lokal verwurzelt und global vermittelt. Jugendkultur ist gelebter Alltag, zum Ausdruck gebrachte Rebellion und häufig auch weltumspannendes Geschäft. Jugendkulturen stiften Identität. Jugendkulturen markieren Trennungslinien und führen zusammen. Die Vielfalt der Jugendkulturen entspricht der Vielfalt der Lebensstile – lokal und global. Moderne Jugendkulturen sind dabei ohne Medien nicht denkbar. Medien bieten Informationen und Orientierungsmuster, vermitteln kulturelle Ausdrucksformen aus aller Welt und eröffnen unzählige Gestaltungs- und Kommunikationsmöglichkeiten. Medienvorlieben, verbunden mit jugendkultureller Zuordnung und Gestaltung, sind ein wichtiger Sozialisationsfaktor. In der Großstadt mit ihren vielfältigen Ressourcen an Lebenswelten und Medienbildern erhält das bunte Kaleidoskop der Jugendszenen ganz besondere Intensität durch urbane Dichte und Vielfalt. In den Städten leben überproportional viele junge Menschen mit Migrationshintergrund. Und ihr Anteil steigt. Jugendliche mit Migrationshintergrund lernen im günstigen Fall, ihre vielfältigen Ressourcen als hilfreiche Optionen zu nutzen; leider noch zu oft erleben sie ihre Herkunft auch als Beschränkung. Das JFC Medienzentrum möchte mit seinen Urban-Culture-Projekten und mit dieser Broschüre einen Beitrag zur Förderung von Anerkennung, Kommunikation, Integration und interkulturellem Miteinander leisten. Die vorliegende Broschüre hat drei Teile: 1. Im Theorieteil wurden Hintergrundartikel zusammengestellt, die Urban Culture aus verschiedenen Blickrichtungen beleuchten und so Grundlagenwissen für Neulinge in der jugendkulturellen Projektarbeit liefern – und sicher die eine oder andere neue Perspektive auch für „alte Hasen“. Die Themen reichen von einer Einführung in die HipHop-Kultur über Urban Culture in Bildungsarbeit und antirassistischer Pädagogik bis hin zur Geschichte und Entwicklung von HipHop in den USA und in Deutschland. 2. Im Best-Practice-Teil findet sich eine Sammlung von nordrheinwestfälischen und internationalen Urban-Culture-Projekten, die die Bandbreite möglicher Ansätze darstellen soll, die Chancen und Herausforderungen skizziert und Lust auf eigene Projekte im Bereich urbaner Jugendkulturen machen soll.

Impressum Herausgeber: JFC Medienzentrum Köln Hansaring 84-86, 50670 Köln Fon: (0221) 130 56 15-0, Fax: (0221) 130 56 15-99 www.jfc.info, info@jfc.info

3. Die „How to dos“ für Aktivitäten im Praxisteil können die eigenen Überlegungen und Planungen unterstützen: Wie erreiche und fördere ich welche Jugendlichen, welche Kompetenzen und Ressourcen habe ich in meiner Einrichtung, welche Unterstützung muss ich mir von außen holen? Der Text wird multimedial ergänzt durch die beiliegende DVD: Die Videodokumentation des Modellprojekts mit zahlreichen Dozenteninterviews unterfüttert den Praxisteil mit Bild und Ton, und natürlich darf auch das Ergebnis-Musikvideo „One Love (Different Roots – Common Routes)“ nicht fehlen. Weitere Videodokumentationen und Musikvideos ebenso wie die Fotos und MP3-Songs im Datenteil der DVD ergänzen die Beschreibungen der Best-Practice-Projekte. Die komplette Broschüre liegt im Datenteil als PDF-Datei vor. Es ist unser Anliegen, mit Broschüre und DVD Ermutigung und (medien-)pädagogische Unterstützung zu bieten sowie vorbildliche Projekte und Akteure miteinander zu vernetzen. Dabei ist Urban Culture immer weniger nur auf Großstädte beschränkt: In Zeiten umfassender medialer Kommunikation und Information, mit Angeboten wie myspace.com, wikipedia.de und youtube.com, ist der ländliche Raum zunehmend und immer schneller an die kulturellen Prozesse in den Zentren angedockt. Viele der hier versammelten Projektideen und pädagogischen Ansätze lassen sich daher auch für strukturschwächere Regionen adaptieren. Nutzen wir als Pädagogen und Pädagoginnen also die Potenziale urbaner Jugendkulturen für die gezielte Förderung Jugendlicher und die Erschließung individueller Perspektiven. Und verstehen wir kulturelle Vielfalt in urbanen Strukturen als Ausgangspunkt und konkrete Chance für neue kulturelle Ausdrucksformen ebenso wie für (inter-)kulturellen Austausch und die Überwindung kommunikativer Schranken.

Dr. Eva Bürgermeister JFC Medienzentrum

Lektorat: Anne Bott, Sebastian Menzel Different Roots – Common Routes ist ein Projekt des JFC Medienzentrums Köln in Kooperation mit der Jugendförderung Solingen und wird gefördert vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Druckkosten für diese Broschüre wurden von der Stadt Solingen übernommen.

In Kooperation mit der Jugendförderung Solingen, www.solingen.de/jugend Redaktion: Sascha Düx, duex@jfc.info Umschlaggestaltung und Logo: Aileen Wessely Layout: Klaus Jettkant, Aileen Wessely und Dirk Unger DVD-Authoring: Dirk Unger

04 | Einführung

gefördert vom:


Inhalt Intro Songtext „One Love“ .................................................................... 2 Grußwort ...................................................................................... 3

sCOOL HITs — Popmusik und Kreativität, die Schule macht Markus Brachtendorf ..................................................................... 34 Von BandWatch und MusicWatch zu popUP NRW Renato Liermann ........................................................................... 36

Einführung .................................................................................... 4 Impressum .................................................................................... 4

Das HipHopMobil — unterwegs für Respekt und Toleranz Uwe Ihlau ...................................................................................... 38

Theorie

Connect HipHop! Gabi Deeg .................................................................................... 40

HipHop: Popkultur und Lebensstil Gabriele Klein ................................................................................. 8 HipHop Intelligence Tim Weedon ................................................................................... 11

Von Köln bis Barcelona: Das HipHop-Netzwerk Nippes Sascha Düx ................................................................................... 42

How to do

Urban Culture und Pädagogik Sascha Düx ..................................................................................... 12

Organisation von Urban-Culture-Projekten Sascha Düx, Andreas Kern und Lisette Reuter ................................. 45

Eine kurze Geschichte des HipHop in Deutschland Hubert Minkenberg ......................................................................... 15

Musikvideos selbstgedreht Lisette Reuter ................................................................................ 48

Best Practice

Videodokumentation Lisette Reuter und Sascha Düx ......................................................... 51

Interkulturelle Medienarbeit im JFC Medienzentrum Eva Bürgermeister ........................................................................... 18

Bluescreen Kerstin Venne ................................................................................ 54

Urban-Culture-Projekte des JFC Medienzentrums Von Roots&Routes bis Different Roots — Common Routes Sascha Düx und Andreas Kern ......................................................... 19

VJing Marcel Panne ................................................................................. 55

Roots&Routes — Unterricht in Urban Culture Bart Suèr ....................................................................................... 23

B-boying/Breakdance-Workshops Youngung Sebastian Kim (Jaekwon) ................................................. 56

Trying Babylon — ein jugendkulturelles Musiktheater Jürgen Beu ..................................................................................... 26

Breakdance- und Streetdanceworkshops Jannina Alexa Gall ......................................................................... 58

MittwochsMaler — das Kölner Graffiti-Jugendkunstprojekt Maurice Kusber ............................................................................. 28

Musikworkshops Sascha Düx ................................................................................... 60

Mädchenprojekte der Offenen Jazz Haus Schule Rainer Linke und Gabi Deeg ........................................................... 30

Equipment für die Musikproduktion Markus Brachtendorf ..................................................................... 66

pop@rena — Musikvideos für’s WWW Lisette Reuter ................................................................................ 32

DVD DVD-Inhalt ................................................................................. 67

Projektleitung Modellprojekt: Lisette Reuter und Sascha Düx Dozenten Modellprojekt: Markus „Be“ Brachtendorf, Xaver Fischer, Frank Jilly, Youngung Sebastian Kim (Jaekwon), Marcel Panne (VJ Sehvermögen), Olivia Sawano, Jörg Schürmann, Marc „Mavys“ Villareal Dokumentation Modellprojekt: Thomas Hartmann (Foto), Sebastian Menzel (Videoschnitt), Lisette Reuter, Tristan Sommer und Kerstin Venne (Video) Bildnachweis: dobromedia: S. 8 u., 12 o., 6–22, 33 o., 46 u., 50, 51 u., 52, 58, 59 o., 61–62, 64 u., 65 o.; HipHopMobil: S. 38, 39; JFC Medienzentrum Köln (u.a. Thomas Hartmann, Daniela Rohlf, Sarah Ertelt, Katja Striethörster und Lisette Reuter): S. 6, 7 u., 8 o., 9–11, 12 u., 13–15, 32, 33 u., 34 u., 35 l., 42–45, 46 o., 47–49, 51 o., 53–57, 59 u., 60, 63, 64 o., 65 u., 66; Jugendförderung Solingen: 26–27;

Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW: 3; Offene Jazz Haus Schule, transparent: S. 30–31, 40–41; Mittwochsmaler: S. 28–29; MusicWatch/popUP NRW: S. 36–37; Roots&Routes Niederlande: S. 23–25; sCOOL HITs: S. 34 o., 35 r.; Für Unterstützung danken wir der Stadt Solingen, der Rochus-Musikschule Köln-Bickendorf, dem Sommertheater Pusteblume, dem Musicstore Köln, der Akademie Deutsche POP Köln, der OT Luckys Haus und dem SKM Köln. Besonderer Dank gilt Salvatore Chianta, Angelika Ingendaay, Florian Mimm, Werner Reuter und allen AutorInnen dieser Arbeitshilfe. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Redaktion und Herausgeber wieder. Erschienen in Köln im April 2007 (Eigenverlag).

Intro | 05


HipHop: Popkultur und Lebensstil Gabriele Klein

„Anders als alle Popkulturen zuvor hat HipHop Text, Musik, Tanz und Bild miteinander vereint“

HipHop ist die wohl langlebigste Kultur in der Geschichte des Pop. Keine andere ästhetische Jugendkultur, ob Rock’n’Roll, Punk oder Techno, hat es bislang geschafft, über mehr als zwanzig Jahre wegweisend zu sein und in Musik und Tanz, Text und Bild ästhetische Innovationen hervorzubringen. HipHop ist eine Sammelbezeichnung für eine auf afrikanische Kulturtradition zurückgehende, in den schwarzen Ghettos der USA entstandene, mittlerweile globalisierte und weltweit vermarktete Jugend- und Popkultur. Sie ist eine hybride Kulturpraxis, die sich aus vier verschiedenen ästhetischen Medien zusammensetzt: Rap (Text), DJing (Musik), Breakdance (Tanz) und Graffiti (Bild). HipHop meint sowohl eine kulturelle Praxis als auch Lebensstile und Weltanschauungen, die sich um Rap, Breakdance, DJing und Graffiti gebildet haben. Ähnlich wie andere schwarze Kulturpraktiken (z.B. Capoeira), aber anders als alle Popkulturen zuvor hat HipHop Text, Musik, Tanz und Bild miteinander vereint.

06 | HipHop: Popkultur und Lebensstil

HipHop History Historischer Ausgangspunkt des HipHop sind die Urban Dance Parties der 1970er Jahre in New York City, bei denen DJs über ihre herkömmliche Rolle als Plattenaufleger hinauswachsen und selbst Musik produzieren, indem sie Platten manuell bewegen und mit Hilfe mehrerer Plattenspieler verschiedene Sounds ineinander mixen. Auf diese Weise gelingt es ihnen, die Musik zu verfremden, die instrumentalen Phasen der Stücke zu verlängern und der Musik die individuelle Note des DJ zu verleihen. Die neuen DJ-Techniken des scratching und mixing provozieren mit Breakdance einen spezifischen Tanzstil, der gekennzeichnet ist durch den permanenten Wechsel von simultanen und sukzessiven Bewegungen. Die Tanztechniken des Locking und Popping und die akrobatischen Power Moves machen den Tanz zu einem sportiven und rasanten Spiel mit Körperzentren und -achsen. Zu ihnen gesellt sich der MC (Master of Ceremony), der die Tänzer über Sprecheinlagen zum Weitermachen motiviert. Als Rap entwickelt sich diese Animationstechnik zu einer eigenständigen kulturellen Praxis. Das Rapping selbstgereimter Verse steht in der Tradition des für westafrikanische Kulturen charakteristischen Umgangs mit Rhythmen und Tonsprachen, die in den schwarzen Ghettos Nord-Amerikas eine eigene Grammatik gefunden haben und von der performanceorientierten Poesie des Black Arts Movement der 1960er und 1970er Jahre ästhetisiert worden sind. Rap ist ein Sprachspiel voller ironischer Übertreibungen, Wortspiele und Slang-Fragmente, bei dem nicht nur rhythmisch gesprochen, sondern auch mit Tempo, Tonhöhe und Klangfarbe gespielt wird. Rapping findet zunächst nur auf der Straße statt, wird dort aber bald akustisch verstärkt durch den tragbaren Kassettenrecorder, die Boombox. Zu diesen informellen, spontanen öffentlichen Darbietungen gesellt sich der Breakdancer, der das den Text zerlegende Sprachspiel des Rappers auf den Körper überträgt. Etwa zeitgleich mit den neuen Sprach-, Musik- und Tanztechniken entsteht, ebenfalls ausgehend von New York City, die Bildtechnik des Graffiti. Mit der illegalen Kulturpraxis beginnen die jugendlichen Writer, sich den


öffentlichen Raum symbolisch anzueignen. Aus der anfänglichen Beschriftung mit Namenszeichen (Tags) entwickeln sich dreidimensional gestaltete Schriftzüge und Bilder, die sogenannten Pieces, die Anfang der 1980er Jahre Eingang in den avantgardistischen Kunstdiskurs und mittlerweile auch als legitimierte Kunstpraxis in Museen gefunden haben. Für Jugendliche ist Graffiti als Maltechnik vor allem an nächtliche illegale Aktionen gebunden, in denen sie ihr Dasein sichtbar machen können innerhalb anonymisierter Stadtlandschaften. Sie verstehen Graffiti als szenespezifischen Sprachcode, der wie ein Kommunikationsnetz die Stadt durchzieht. Wie Graffiti in die bildende Kunst Eingang findet, etabliert sich derzeit Breakdance in der zeitgenössischen Tanzkunst. Breakdance führt die Tradition des afroamerikanischen Tanzes weiter und multipliziert dessen Elemente, Polyrhythmik und Polyzentrik. Indem er Achsen und Zentren überall im Körper vorstellbar macht, bricht er radikal mit der Tradition des europäischen Tanzes. Zugleich revolutioniert Breakdance den ebenfalls aus der afroamerikanischen Tanztradition stammenden Rock’n’Roll und dekontextualisiert den nur auf ein Zentrum aufbauenden Körperbegriff des populären Tanzes. Hatte schon Rock’n’Roll durch seine rasanten Rollfiguren die Vertikale im Körper überwunden und mit den drei Achsen des Körpers gespielt, so radikalisiert Breakdance diese Entwicklung – im Headspin dreht sich nicht nur der Tänzer auf dem Kopf, diese Figur ist auch eine Metapher für einen Paradigmenwechsel im Körperkonzept der westlichen Tanzmoderne. Indem der Breakdance überall im Körper Achsen und Zentren vorstellbar macht, eröffnet er ganz neue Spielräume für bis dahin unvorstellbare Körper-Figuren. Nicht nur deshalb arbeiten Choreographen wie der ‘Dekonstruktivist’ unter den modernen Ballett-Choreographen, William Forsythe, mit Breakdancern.

HipHop zwischen Lokalität und Globalität Die Anfänge des HipHop liegen zu Beginn der 1970er Jahre in der New Yorker Bronx, als musikalische Vorläufer gelten Ska, Reggae, Gospel und Soul. HipHop verbreitete sich zunächst an der Ost- und Westküste US-Amerikas, fand aber seit Mitte der 1980er Jahre eine schnelle Verbreitung durch die Popmusikindustrie vor allem in Europa, Asien und Lateinamerika und konnte sich über diese Kommerzialisierung der Rap-Musik zu einer der stärksten und langlebigsten Popkulturen entwickeln. Trotz der weltweiten Vermarktung der Musik blieb Hip-Hop aber immer auch eine Subkultur, die sich in den Nischen urbaner Räume herausbildete. Mit seiner globalen Verbreitung seit den 1980er Jahren erfuhr HipHop eine Anzahl von Dekontextualisierungsschüben: der schwarze Hip-Hop US-Amerikas etablierte sich in Europa zunächst als Kopie US-amerikanischer Stile, verankerte sich aber auch hier zunächst vor allem in ethnischen Minderheitenkulturen (so bei algerischen Jugendlichen in Paris oder bei türkischen Jugendlichen in Berlin). Die Rap-Texte veränderten sich entsprechend der sozialen Situation und passten sich auch hinsichtlich des sprachlichen Gestus den jeweiligen kulturellen Kontexten an. Wurden beispielsweise in Deutschland zunächst US-amerikanische Rapstile kopiert und die Texte in englischer Sprache vorgetragen, so wird in Deutschland mittlerweile fast nur noch in deutscher oder auch in türkischer Sprache gerappt. Ähnlich veränderten sich im Zuge neuer kultureller Kontexte die Bildästhetik des Graffiti und die Tanzfiguren des Breakdance.

Prof. Dr. Gabriele Klein Professorin für Soziologie mit den Schwerpunkten Bewegung, Sport und Tanz an der Universität Hamburg; Direktorin des Instituts für urbane Bewegungskulturen; Leitung des postgradualen Studiengangs Performance Studies. Buchveröffentlichungen (Auswahl): Is this real? Die Kultur des HipHop (2003; mit Malte Friedrich); Electronic Vibration. Pop Kultur Theorie (2004); Tanz Bild Medien (Hg. 2000); Bewegung. Sozial- und kulturwissenschaftliche Konzepte (Hg., 2004); Stadt. Szenen. Theoretische Positionen und künstlerische Produktionen (Hg., 2005). Kontakt: www1.uni-hamburg.de/gklein

HipHop lässt sich heute als eine Jugend- und Popkultur charakterisieren, die sich im Spannungsfeld von Globalität und Lokalität entfaltet. Der durch Kulturindustrien bedingten Globalisierung und Kommerzialisierung von Popkultur steht die Bildung kleiner voneinander unterscheidbarer lokaler Einheiten und lokaler Identitäten gegenüber. Aber wie diese symbolisiert auch HipHop die für die Konstitution von Popkulturen seit den 1960er Jahren so typische Kommerzialisierung, die sich über eine Absorbierung schwarzer Musik- und Tanzstile durch kulturindustrielle Vermarktungsstrategien vollzieht. HipHop ist von daher auch ein Beispiel für eine hybride Kulturpraxis, bei der sich US-amerikanische und europäische Traditionen, Elemente von schwarzer und weißer Kultur vermischen und in verschiedenen lokalen Räumen eine sehr spezifische Ausformung gefunden haben.

HipHop als urbane Kultur und Lebensstil HipHop ist eine urbane Kultur, die sich vor allem in den städtischen Metropolen herausgebildet hat. Die ästhetischen Impulse und die Arten der Körperverwendung sind eine Antwort auf die Erfahrungen urbanen Lebens in postindustriellen Gesellschaften. Zugleich thematisiert und inszeniert HipHop wie keine andere zeitgenössische

„HipHop ist eine urbane Kultur, die sich vor allem in den städtischen Metropolen herausgebildet hat“

Theorie | 07


„Live-Performances bei Jams und Battles sind die zentrale theatrale Inszenierungsform des HipHop“

Jugendkultur Ethnizität als einen zentralen Bestandteil kultureller Praxis. HipHop ist vor allem eine Jugend- und Popkultur von MigrantInnen – und hierin unterscheidet sie sich wesentlich von der Techno-Szene. HipHop ist der Prototyp einer wertkonservativen, männlich strukturierten, traditionellen Ver gemeinschaf tungsfor m. Respekt vor Tradition und Autoritäten, Leistung, Fairness und Männlichkeit prägen den Wertekanon des HipHop. HipHop ist eine theatrale Kultur, sie wird aufgeführt: Begrüßungen, Respektbekundungen, Interaktionsrituale bis hin zum Nichts-Tun werden inszeniert. In den Aufführungen aktualisiert sich die Weltsicht der Szenemitglieder, nach der ‘echter’ HipHop nicht kategorial beschrieben, sondern nur gefühlt werden könne. Die Aufführungen dienen der Essentialisierung des Lebensgefühls HipHop. Live-Performances bei Jams und Battles (Vortragen eines Rap-Stückes, eine Tanzeinlage oder das DJing) sind die zentrale theatrale Inszenierungsform des HipHop: Sie bieten dem einzelnen HipHop-Aktivisten die

Möglichkeit, sich selbst in Szene zu setzen; ist doch, anders als bei anderen Popkulturen, der soziale Status eines HipHop-Aktivisten das Ergebnis seiner szenespezifischen Aktivitäten und ‘Leistungen’. HipHop ist ‘real’, wenn er gelebt wird – und das heißt in der HipHop-Szene auch immer, etwas in den Feldern des HipHop (Graffiti, Breakdance, Rap, DJing) zu tun. In einem permanenten Wettbewerb gilt es, durch einen individuellen Stil („Style“) und ein hohes Niveau („Skills“) Anerkennung zu erhalten. Im Unterschied zur medialen Performance der Videoclips wird in der Life-Performance körperlich-sinnlich erfahrbar, was HipHop ist: Eine Kultur, die sich im Spannungsfeld von Globalisierung und Lokalisierung, von Kommerz und Subkultur, von Mainstream und Avantgarde erfolgreich immer wieder aktualisiert hat.

Tim Weedon Jahrgang 1969, geboren in Washington, DC, wuchs in den 70er Jahren mit den Anfängen der HipHopKultur auf. Er studierte Business Administration an der American University Washington, arbeitete als A&R für Sony und als Manager für HipHopKünstler in den USA und Schweden. In Stockholm gründete er die Modern Soul Academy. Seit 2006 absolviert er ein Masterstudium der Erziehungswissenschaften in Manchester. Kontakt: www.soulacademy.com tim@soulacademy.com

Literatur: Gabriele Klein/Malte Friedrich: Ist this real? Die Kultur des HipHop, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2003.

08 | HipHop: Popkultur und Lebensstil


HipHop Intelligence Tim Weedon*

Missverständnisse: Was ist HipHop für Jugendliche heute? Der heutige HipHop ist in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem durch ein mediales Negativ-Image präsent, das als gewalttätig, sexistisch und materialistisch charakterisiert werden kann. Dieses sehr eingeschränkte Bild von HipHop-Musik und -Kultur wird immer weiter fortgeschrieben von zahlreichen heutigen Rappern und Plattenfirmen, die soziale Verantwortung dem finanziellen Erfolg unterordnen. So entsteht – vermittelt durch die Massenmedien – ein falsches, illusionäres Bild von HipHopKultur. Medien- und Musikindustrie porträtieren, zelebrieren und glorifizieren gerade diejenigen Lebensaspekte, von denen die Pioniere des HipHop sich und ihre Communities befreien wollten. Gegenüber der medialen Dauerthematisierung negativer Aspekte der HipHop-Kultur finden ihre kreativen Potenziale und ursprünglichen Prinzipien von Unity, Respekt und Lehren/Lernen kaum Erwähnung. Massenmedialen Negativdarstellungen zum Trotz definieren Jugendliche, die in der Szene aktiv sind, HipHop mehrheitlich als Engagement in einer Gemeinschaft; als Kultur, in der Gefühle, Ideen und Überzeugungen ausgedrückt werden können, ohne Angst oder schulische Bewertung. Diese Faktoren von Offenheit und gleichberechtigter Teilhabe ungeachtet von Schulbildung, sozialem oder ökonomischem Hintergrund erklären die ungebrochene Anziehungskraft des HipHop: Jugendliche, die über die medialen Negativ-Schablonen hinausschauen können, finden Gemeinschaft und Sinngebung; HipHop kann so Veränderungen zum Positiven bewirken. Für Jugendliche ist die Gegenwartsgesellschaft komplex, schwierig und herausfordernd; Heranwachsende sind permanent konfrontiert mit verschiedenen Anforderungen und Belastungen. HipHop kann hier ein inspirierender Schonraum sein, der Jugendliche stärkt und auf Entwicklungsaufgaben in einer zunehmend unbarmherzigen Gesellschaft vorbereitet. Die Idee einer HipHop Community ist einladend für permanent drangsalierte Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Kontexten, denn sie basiert auf universeller Inklusion, verbunden mit einer Vision und konkreten Zielen. Wo HipHop-Kultur ihren Grundprinzipien verbunden bleibt, erkennt sie die

Fähigkeiten und Stärken jedes Einzelnen, stärkt so das Selbstbewusstsein und den Glaube daran, selbstgesetzte Ziele erreichen zu können. Jugendliche werden von HipHopKultur angezogen, weil sie soziale, kulturelle, ethnische und wirtschaftliche Grenzen überschreitet und es so Jugendlichen mit verschiedensten Backgrounds ermöglicht, sich gemeinsam durch HipHop auszudrücken.

Die Ursprünge der HipHop-Kultur Das Fundament der HipHop-Bewegung bildeten zu Anfang die Pfeiler Respekt, individuelle Identität, Community und Lehren/Lernen (Wissen, Toleranz, Ethik). HipHop konnte über religiöse, bildungsbezogene, soziale und ethnische Schranken hinweg ein breites Publikum im lokalen Umfeld der Künstler erreichen. Ziel der HipHop-Protagonisten war das Schaffen einer unterstützenden, kreativen, experimentell-lernenden Community der Gleichheit. HipHop-Kultur begann nicht als Musikrichtung, sondern als offener Lebensstil und alternativer lokalpolitischer Diskurs, mit den vier zentralen Rollen des DJ, des MC, des B-Boys/B-Girls (Breakdancer) und des Graffiti-Writers. DJing war in den 70ern eine Hauptquelle der HipHop-

„Jugendliche werden von HipHop-Kultur angezogen, weil sie soziale, kulturelle, ethnische und wirtschaftliche Grenzen überschreitet“

* Übersetzung aus dem Englischen: Sascha Düx

Theorie | 09


„Rappen“ heißt eigentlich sprechen: Kommunizieren in Form rhythmischer Reime, vorgetragen über die Beats des DJs. Die frühen RapperInnen nutzten spontane Poesie mit cleveren Reimen, um ihr Leben, Schmerz, Freude und Liebe zu beschreiben; und auch, um ihrer Community moralische, gesellschaftliche, politische Botschaften zu übermitteln. Im Umfeld von Rap und DJing entstanden auch andere Formen künstlerischer Kreativität; zentral waren hier Breakdance und Graffiti, die mit Rap und DJing zu den Four Elements der HipHop-Kultur gerechnet werden. Diese vier Elemente stehen als ineinander greifende kulturelle Praktiken an der Quelle von HipHop als Kultur und Lebensstil. In seiner Frühzeit definierte sich HipHop dabei über ein Zusammengehörigkeitsgefühl, als gemeinsame Stimme gegen Gewalt, Verbrechen, Drogenmissbrauch und Mangel an Bildungsmöglichkeiten in den Wohnvierteln. Poetischer Rap, Breakdance und Graffiti waren eine Plattform für Jugendliche, um kreativ und intellektuell zu kommunizieren, um Freude wie Frustration auszudrücken. Dont push me, cause I’m close to the edge I’m trying not to loose my head It’s like a jungle sometimes, it makes me wonder How I keep from going under (Grandmaster Flash and the Furious Five)

„Der HipHop-DJ nutzt seine Plattenspieler wie ein Dirigent sein Orchester“

Kultur. Die Masterminds unter den frühen HipHop-DJs nahmen das bis dahin vorherrschende Konzept vom DJ als „Plattenaufleger“ und erweiterten es zu einem bis heute einflussreichen popkulturellen Paradigma: Der HipHop-DJ nutzt seine Plattenspieler wie ein Dirigent sein Orchester, er kann durch gezielte Manipulation an Plattenspielern und Mischpult aus musikalischem Ausgangsmaterial völlig neue Stücke schaffen. Zu diesem „One-Man-Band“-Konzept des HipHop-DJs kam dann der MC („Master of Ceremony“) hinzu, der Rapper oder – seltener – die Rapperin.

10 | HipHop Intelligence

In den vergangenen 30 Jahren hat sich HipHop von einem kleinen Kollektiv mit gemeinsamen Wertvorstellungen zu einer globalen Kultur und einem mächtigen Industriezweig entwickelt. In den 70er Jahren definierten Pioniere des HipHop wie Afrika Bambaataa die Idee von Communities in urbanen, benachteiligten Stadtvierteln neu: HipHop wurde genutzt, um vormals kriminellen Gangs neue Gemeinschaftsformen zu eröffnen, um Hoffnung, Selbstvertrauen und Orientierung zu vermitteln. Mit der Entwicklung zu einem über das Lokale hinausreichenden kommerziellen Phänomen hat HipHop den engeren Bezug zu lokalen Communities verloren und konnte auch nicht in eine große HipHop-Bewegung mit gemeinsamen Zielen transformiert werden.


bringen und sie dabei unterstützen, ihren Fokus auf die HipHop-Prinzipien von Gemeinschaft und positiven Überzeugungen zu richten. Unser alternativer Bildungsansatz unterstützt die Teilnehmenden nicht nur in ihrer künstlerischen Weiterentwicklung, sondern vermittelt quasi nebenbei die Sinnhaftigkeit von Bildung und zielgerichteten Anstrengungen. Auf methodischer Ebene spielt das kooperative Lernen eine große Rolle: Lehrende und Lernende begegnen sich auf gleicher Augenhöhe. Das gemeinsame Ziel wird demokratisch von der Gruppe festgelegt. Um dieses Ziel zu erreichen, werden verschiedene Arbeitsformen und erprobende Ansätze genutzt, wie problemlösendes Lernen, Förderung emotionaler Intelligenz, Verbindung von diszipliniertem Arbeiten und kritischem Denken. Über die Jahre hinweg konnten wir Zeugen werden, wie positiv sich unsere verschiedenen Projekte und Programme in Schweden, Deutschland, Spanien und anderen Ländern langfristig auf die beteiligten Jugendlichen, ihre persönliche Entwicklung und ihre Laufbahn in Bildungssystem und Arbeitsmarkt auswirken. Viele benachteiligte Jugendliche, die heute noch zu häufig in den Institutionen des Bildungssystems scheitern, bräuchten alternative Bildungsangebote mit familiärem und verbindlichem Charakter und einem Schwerpunkt auf aktiv handelndem Lernen. Bildungsinstitutionen und EntscheidungsträgerInnen sollten das Potenzial der HipHop-Kultur für solche alternativen Lernangebote erkennen und nutzen.

Artikel

Siehe „Von Köln bis Barcelona: Das HipHopNetzwerk Nippes“ (Seite 42) und „Urban-CultureProjekte des JFC Medienzentrums“

Fazit Gegenwärtig wird die junge HipHop-Generation für ihre negative, zerstörerische Haltung angeprangert; dabei untermauert gerade das massenmedial verstärkte Interesse an den gewalttätigen, kriminalitätsverherrlichenden Teilströmungen der HipHop-Kultur deren finanziellen Erfolg, so dass diese in der öffentlichen Wahrnehmung oft fälschlicherweise als repräsentativ für HipHop insgesamt wahrgenommen werden. Was positiv für Gangster-Rap-Tonträgerverkäufe sein mag, bewirkt andererseits vielerorts eine Pauschalverurteilung jugendlicher HipHopper; auch derer, die die kreativen Potenziale der HipHop-Kultur in positiver Weise nutzen. Als PädagogInnen, EntscheiderInnen und MultiplikatorInnen sollten wir alles daran setzen, diese populäre kreative Kunstform zu unterstützen und ihre ursprünglichen Prinzipien von Respekt, Community, Bildung und Toleranz zu feiern.

Wenn wir auf die Ursprünge der HipHop-Kultur schauen, sehen wir, was HipHop war, ist und sein könnte. Wenn wir das mediale und musikindustriell vermarktete Image des heutigen HipHop betrachten, sehen wir, was HipHop nicht ist, nicht sein sollte. Richtig verstanden bietet die HipHop-Kultur uns eine perfekte Plattform, um Jugendliche mit einer Social Citizenship und den nötigen Kompetenzen auszustatten, die ihnen Chancen im Leben eröffnen. Daher dürfen wir nicht ruhen, intelligente und alternative entwicklungsfördernde HipHopProjekte voranzubringen.

Hip Hop Education Das kreative, intellektuelle und kommunikative Potenzial der HipHop-Kultur inspiriert Jugendliche und motiviert zum Lernen. Die ursprünglichen HipHop-Communities mit ihren dialogisch ausgehandelten gemeinsamen Werten, Überzeugungen und Visionen können als Modell einer effektiven Lerngemeinschaft, einer alternativen Schule dienen. Viele benachteiligte Jugendliche, die im gegenwärtigen Bildungssystem scheitern, können wir nur erreichen, wenn neue Ansätze, neue Definitionen von Kultur und Bildung gewagt werden. Die ursprünglichen Prinzipien des HipHop zeigen hier mögliche Wege auf. Die Modern Soul Academy (MSA) arbeitet seit einigen Jahren erfolgreich in diesem Feld einer HipHop-Pädagogik zwischen Bildung und Entertainment. Seit 2003 wurden u. a. einige HipHop-Projekte gemeinsam mit dem JFC Medienzentrum durchgeführt, die die teilnehmenden Jugendlichen in ihrer persönlichen Entwicklung weiter-

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Urban Culture und Pädagogik Sascha Düx

Was ist eigentlich Urban Culture? Wikipedia.de hat im März 2007 noch keine Definition zu bieten, die englischsprachige Wikipedia immerhin einen Kurzeintrag, wonach Urban Culture einerseits „städtische Kultur“ meine – definiert über Unterschiede zum ländlichen Raum, speziell bessere Verfügbarkeit kultureller Ressourcen – und andererseits ein gebräuchlicher Euphemismus zur Beschreibung der HipHop-Kultur sei.1 Was den Begriff für uns attraktiv macht, ist gewiß nicht eine euphemistische Vermeidung des Worts „HipHop“, sondern seine Offenheit: zu den kanonischen Four Elements des HipHop können Aspekte wie Medien, Mode und Theater dazukommen, außerdem eine stilistische Bandbreite von R’n’B über Dancehall bis hin zu African/ Oriental Beats. Der Begriff kommt aus der Szene und ist breiter als die Fremdbeschreibung „Jugendkultur“ – die meist eine Abwertung gegenüber „Erwachsenenkultur“ impliziert. Urban Culture, so unsere Arbeitsdefinition, ist die (Jugend-)Kultur der Metropolen in einer globalisierten Welt: Tanz, Musik, Medien, Kunst und mehr, oft

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verankert in der Kultur US-amerikanischer Minderheiten, aber offen für diverse kulturelle Einflüsse und mit sehr spezifischen lokalen Formen. Urban Culture ist urbane Multikultur, und sie ist desto spannender, je offener sie für kulturelle Vielfalt ist.

Urbanität, Kultur und Rassismus Schon 1996 hat Les BAck eine vergleichende Untersuchung der Urban Cultures zweier Londoner Stadtteile durchgeführt. Ausgangspunkt ist BAcks Unbehagen mit moralisch verkürzten Antirassismuskampagnen der 80er Jahre. BAck erlebte damals als Jugendarbeiter, dass ein ‘Bekenntnis-Antirassismus’ den komplexen Formen von Rassismus im Leben junger Großstädter nicht gerecht wurde. Wenn in Zeiten globaler Migration homogene nationale Kulturen zunehmend zum Hirngespinst werden, könne interkulturelle Arbeit nicht mehr ein Verständnis „ausländischer“ Kulturen anstreben; vielmehr müsse Ziel sein, ein Bewusstsein der weltweiten Geschichte der Migration zwischen Sklaverei, Arbeitsmigration und Kriegsflucht zu entwickeln, die alle westlichen Kulturen binnenmultikulturell gemacht habe. Besonders Urban Cultures seien hochgradig promiskuitiv in ihrem ständigen Bestreben, unterschiedlichste Traditionsstränge zusammenzuführen und für die Gegenwart neu zu erfinden. Der daraus resultierenden Vielfalt der sozialen und kulturellen Identitäten stehe aber eine Vielfalt alltäglicher Rassismus-Formen gegenüber, auch innerhalb urbaner Multikultur. In diesem Spannungsfeld von kultureller Vielfalt und vielfältigen Rassismen müssen sich Jugendliche heute zurechtfinden. Dazu kommt die Dimension der medienvermittelten Globalisierung: Neue Ethnizitäten entstehen laut BAck durch eine produktive Spannung zwischen globalen und lokalen Einflüssen. Die Idee der multikulturellen Gesellschaft ist, so BAck, nicht gescheitert; im Gegenteil ist die Multikulturalität der Städte eine unumkehrbare Realität. Gescheitert sind allenfalls naiv-idealistische MultikulturalismusEntwürfe, die die Macht des Rassismus unterschätzen – und das schreibt BAck PädagogInnen ins Stammbuch: Stets wachsam zu sein, dass man nicht eigene romantische Wünsche auf Jugendkulturen projiziere.

http://en.wikipedia.org/wiki/Urban_culture (Stand 02.03.2007)

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Am Anfang war Rhythm’n’Blues Urbane jugendkulturelle Strömungen gehen zumeist auf afroamerikanische Quellen zurück. Paradigmatisch ist hier der Rhythm’n’Blues: Die als Kürzel R’n’B heute wieder aktuelle Genrebezeichnung wird während des II. Weltkriegs von kleinen Plattenlabels geprägt, die Musik für eine neue Käuferschicht auf den Markt bringen: Die seit den 1920er Jahren massenhaft aus den ländlichen Südstaaten in die Großstädte des US-Nordens migrierten Afroamerikaner. 1949 benennen die BillboardCharts ihre vormals Race betitelte Sparte in Rhythm and Blues um – Musik vornehmlich „von Schwarzen für Schwarze“. Der Crossover in die weiße Mainstream-Kultur gelingt dem R’n’B erst unter wiederum neuer Flagge: Radio-DJ Alan Freed beginnt 1954, R’n’B als Rock’n’Roll zu verkaufen, „um den schwarzen Ursprung dieser Musik zu maskieren“.2 Rock’n’Roll ist Rhythm’n’Blues – ergänzt durch CountryAnleihen und eine Verschiebung von der Erwachsenenzur Jugendmusik. Erst im Crossover von der Black Community auf den Markt der weißen Teenager wird R’n’B/ R’n’R zu einer Jugendkultur; und damit zum Angstgegner einer Bewahrpädagogik, die sexualisierte Texte anprangert, in offen rassistischen Varianten die Moral der weißen US-Jugend durch den „animalischen Sexualtrieb der Schwarzen“ bedroht sieht.3 Auch wenn rassistische Strukturen in den westlichen Gesellschaften seit den 1950er Jahren weit subtiler geworden sind, finden sich doch einige der für den Rhythm’n’Blues beschriebenen Prozesse auch beim neueren Phänomen HipHop wieder. Rap steht in der poetischen Tradition des Blues. Musikethnologen wie David Evans und Alfons Dauer führen den Blues auf das musikalisch-poetische Feld der Epik zurück, wie es sich historisch mit orientalischem Einfluss in der kulturgeographischen Großlandschaft des Sudan konstituiert habe. Rhythm’n’Blues standardisierte die vielfältigen poetischen Formen der wandernden ländlichen Bluessänger zur urbanen Bandmusik, der Beat dominierte den Text; im HipHop gewinnen die Rapper über den am Plattenteller erzeugten Endlos-Beats der DJs Freiheiten zur poetischen Formgestaltung zurück und knüpfen als MCs (Masters of Ceremony) an die Tradition der afrikanischen Griots an. 4 Während Rhythm’n’Blues aber noch die Transformation ländlicher Formen in einen neuen urbanen Rahmen war, ist HipHop von Anfang an eine spezifisch großstädtische Kultur.

HipHop, Multikultur und Rassismus in Deutschland Die HipHop-Szene in Deutschland wurde überwiegend von Migranten aufgebaut; in der Medienöffentlichkeit wurde aber bis weit in die 1990er-Jahre hinein nur der Deutschrap weißer Mittelschichten sichtbar: So beschreiben Loh und Güngör die HipHop-Szene in Deutschland, gespalten zwischen den Gegensätzen „Jugendhaus“ und „Reihenhaus“. Diese Spaltungsthese mag überspitzt sein, doch Loh/Güngör legen überzeugend dar, wie Musikindustrie und Massenmedien eine Konstruktion von deutschem HipHop als weißer, mittelständischer Jugendkultur betrieben hätten, in der „kein Platz ist für Rap, der von sozialem Elend, alltäglichem Rassismus oder ökonomischer Ausbeutung redet“. Erst den Berliner Battle-Rappern um Kool Savas und Bushido sei es gelungen, die „starren Grenzen zwischen Nelson George 1990, S. 88ff. Arnold Shaw 1983, S. XXIX ff. 4 vgl. Hoffmann 1994

‘Deutschrap’ und ‘Migrantenrap’ zu durchbrechen“ – deren aggressive Texte seien in Jugendzentren wie bei Gymnasiasten gut angekommen, und: „Wirklich bemerkenswert ist, dass Kool Savas in den meisten Fällen von den Medien nicht auf seine Herkunft reduziert wird“.6 Erst da, wo Rap multikultureller Protagonisten sich nicht mehr als multikultureller Rap, sondern als ‘Neue Härte im Deutschen Battlerap’ präsentiert, wird er – wie zuvor der US-Gangsta-Rap – attraktiv für Mittelschichtsjugendliche und damit zu einer medial und ökonomisch relevanten Größe. Battles sind Teil der HipHop-Kultur, derartige gewaltlose Wettstreite sind auch bei B-Boys, DJs und Writern üblich. Rap-Battles setzen alte afroamerikanische Traditionen des verbalen Wettstreits wie Playing the Dozens fort. Eine Verschiebung findet allerdings statt, wenn Battles von der Live-Disziplin, bei der in Echtzeit improviserte Reime gegeneinander in Stellung gebracht werden, zur marktdominierenden Form produzierter Rapmusik werden. Durch seine Herauslösung aus dem Kontext einer Kultur von Minderheiten und Migranten wird Rap, so Loh, auch für Rechtsradikale anschlussfähig. Wo im Battlerap Härte und Tabubruch Trumpf sind, finden sich zunehmend auch Nazimetaphern und rassistische Aussagen. Wenn auch noch keine organisierte rechtsradikale Rapszene existiere, so werde doch schon laut über ‘feindliche Übernahmen’ nachgedacht: „HipHop ist nicht wesentlich weniger undeutsch als Rock. Die gesamte Rock-, Pop- und Was-weiß-ich-Musik basiert doch auf schwarzem Rhythm&Blues [… und ist] nur dadurch ‘rechts-kompatibel’ geworden, weil man sie ‘okkupiert’ hat“, zitiert Loh aus einem nationalistischen Internetforum.7 HipHop alleine, das zeigt sich hier, garantiert nicht automatisch für multikulturelle Toleranz; das lei-

„Battles sind Teil der HipHop-Kultur, derartige gewaltlose Wettsreite sind auch bei B-Boys, DJs und Writern üblich“

Loh und Güngör 2002, S. 125 Loh und Güngör 2002, S. 215f. 7 Loh 2002

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Sascha Düx Jahrgang 1971, verheiratet, zwei Töchter. Studium (u. a. Musik und Ev. Religionslehre) in Bochum und Köln, 2000 Abschluss als Diplompädagoge. Spielte in verschieden Bands, in den 90ern Betreiber eines mobilen Tonstudios. Diverse Veröffentlichungen zu medienpädagogischen Themen, u. a. „Internet, Gesellschaft und Pädagogik“ (München 2000). Seit Januar 2001 Bildungsreferent im JFC Medienzentrum Köln. Schwerpunkte: internationale Jugendmedienarbeit,Urban-Culture-Medienprojekte, Multimedia und Video, Qualifizierung und Beratung für die aktiv-kreative medienpädagogische Praxis. Projektleitung u. a. Internationale HipHopCamps, Urban Culture 2005 und Roots&Routes Cologne. Kontakt: sd@jfc.info

stet nur eine HipHop-Kultur, die sich ihrer Geschichte bewusst ist und die auch im Rahmen der Battlekultur klare Grenzlinien zu Nazi-Metaphorik und Rassismus zieht.

Urban-Culture-Projekte in Jugendarbeit und Schule Urban Culture hat große Potenziale für pädagogische Projekte: Viele Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund sind hier aktiv und oft mit ganzem Herzen bei der Sache; es besteht ein Interesse an Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten, an Produktion eigener Songs und Videos, an Auftritten. Urban Culture eignet sich ideal zur Vermittlung interkultureller Bildung und

Literatur Back, L es: New Ethnicities and Urban Culture. Racisms and multiculture in young lives. Routledge/UK 1996. George, Nelson: Der Tod des Rhythm&Blues. Wien 1990. George, Nelson: XXX. Drei Jahrzehnte HipHop. Freiburg (orange-press) 2002. Hoffmann, Bernd: Blues. In: Finscher, Ludwig (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Kassel [u. a.] 1994.

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als Plattform für internationale Begegnungen. Dabei sollten einige Punkte beachtet werden: 1. Wer als Pädagoge ein Urban-Culture-Projekt plant, begibt sich oft auf fremdes Terrain. Hier ist wie beim Besuch in einem fremden Land eigene interkulturelle Kompetenz gefragt; und es schadet nichts, vorher den Reiseführer in die Hand zu nehmen, sprich: sich über die entsprechenden Szenen und deren Geschichte zu informieren. 2. Pädagogische Arbeit mit Urban Culture kann ein Balanceakt sein: Wie viel „Härte“ tolerieren? Wo die Diskussion suchen, wo die Notbremse ziehen? Rapcoach Tim Weedon empfiehlt, Jugendliche erstmal mit ihren Tabubrüchen kommen zu lassen, „let them get it all out“, um von da aus eine gemeinsame Arbeitsebene zu finden. 3. Urban-Culture-Projekte funktionieren nur mit guten Referenten, Idealprofil: kommt aus der Szene, ist künstlerisch, pädagogisch und interkulturell kompetent. Referenten, die aufgrund ihrer Skills von den Jugendlichen akzeptiert werden, gewinnen schnell Vorbildcharakter und lösen positive Reflexions- und Veränderungsprozesse aus. 4. Urban-Culture-Projekte eignen sich zur Steigerung von Motivation zu zielgerichteter Arbeit, zur Vermittlung interkultureller und sozialer Kompetenzen und zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung – dabei sollte Urban Culture aber „jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel“ genutzt werden. 5. Antirassismus funktioniert nicht mit dem Holzhammer (z.B. als Projekt, das Jugendlichen ohne konkreten Anlass aufgedrückt wird). Ein gemeinsames Thema – als fruchtbarer Katalysator im kreativen Prozess – sollte in der Gruppe entwickelt werden, und wenn „Rassismus“ gewählt wird, sollte der an konkreten Erfahrungen festgemacht werden. 6. Urban-Culture-Projekte werden spannend, wenn verschiedene Disziplinen kooperieren: Wenn z.B. die Graffiti-Gruppe das Bühnenbild für eine Liveshow mit Musik-, Tanz- und Theaterelementen gestaltet, wenn deren Entstehungsprozess von der Mediengruppe dokumentiert wird und diese dann noch ein Musikvideoclip mit allen Beteiligten dreht. 7. Urban Culture vereint uralte, komplexe Kulturtraditionen. Man muss kein eingefleischter HipHop-Fan sein, um Urban-Culture-Projekte zu planen. Aber ein bisschen Begeisterungsfähigkeit und Achtung vor diesen Traditionen sind schon angebracht; gerade in der Arbeit mit Zielgruppen, die wenig über die Geschichte ihrer Jugendkulturen wissen.

Loh, Hannes: 1000 Jahre Deutscher HipHop. Nazimetaphern, Rassismus und Neue Härte im deutschen Battlerap. http://www.alhambra.de/zeitung/feb02/hiphop. htm (2002) Loh, Hannes und Murat Güngör: Fear of a KanakPlanet. HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap. Planegg (Hannibal) 2002. Shaw, Arnold: Die Geschichte des Rhythm und Blues. Frankfurt am Main 1983.


Eine kurze Geschichte des HipHop in Deutschland Hubert Minkenberg

Ab 1984 verbreitet sich HipHop auf der ganzen Welt. Ebenso wie in den USA findet diese Kultur in Deutschland ihre Hauptresonanz auf der Straße, unter Jugendlichen, vor allem auch bei Menschen mit Migrationshintergrund.

Beliebtheitsgrad dieser Musik immens und ihre Veröffentlichungen werden zu Sammelobjekten: „HipHop bringt ein wenig Abenteuerstimmung in das Leben gelangweilter Wohlstandskinder“ (fArin 1998, 57).

Die Anfänge (German Old School)

Zu Beginn der Bewegung gibt es haufenweise Bands, die lange nur im heimischen Umfeld bekannt sind. Eine solche Band ist unter anderem die Fresh Familee aus Ratingen. Sie setzt sich aus Jugendlichen der zweiten Gastarbeitergeneration in Deutschland zusammen. Mit dem Lied „Ahmed Gündüz“ erlangen sie erstmals im Jahr 1991 auch nationale Beliebtheit. Es ist nicht nur die erste deutschsprachige Rap-Maxischallplatte, sondern greift weiter auch die Thematik des alltäglichen Rassismus gegenüber Gastarbeitern auf. Erzählt aus der Sicht eines Kindes, verleiht „Ahmed Gündüz“ erstmals öffentlich einer älteren Generation eine Stimme, welche der vorherrschenden Sprache nicht mächtig ist (vgl. VerLAn/ Loh 2000, 138). Viele Einwandererkinder fühlen sich von HipHop in den Bann gezogen, da es ihnen ähnlich wie den Erfindern in den USA geht, auch sie gehören der weißen Mittelschicht nicht an und fühlen sich daher wie „Fremde

In Deutschland ist der Anfang der Old-School-Zeit durch Aufgreifen schon vorhandener Fragmente aus den USA gekennzeichnet, die erst im Lauf der Zeit von deutschen HipHoppern zu neuen Elementen zusammengefügt werden. Ausführlicher dazu sagen VerLAn und Loh (2000, 90), dass die „erste Generation in Deutschland Old School genannt wird. Sie erfanden ihn zwar nicht, da er als schon entwickelt nach Deutschland kam, aber niemand zeigte ihnen, wie all diese Techniken funktionierten, sie mussten sich die Sachen alleine beibringen.“ Den Anfang machen die ersten Plattenveröffentlichungen aus den USA im Jahr 1981 in Deutschland, sie lassen die Jugend auf etwas ganz Neues neugierig werden. Exporte von der Sugarhill Gang, Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa lassen jedoch noch nichts von einer dahinter stehenden Subkultur erkennen. Erst der Film „Wild Style“, der im Jahr 1983 deutschlandweit in den Kinos ausgestrahlt wird, macht die umfassende Bedeutung der HipHop-Kultur deutlich. Die in diesem Film gezeigten Diskussionen über einen Ausverkauf der Bronx, aber auch der Hoffnung, verdeutlichen zum ersten Mal für das überwiegend jungendliche deutsche Kinopublikum die Grundsätze von HipHop (vgl. VerLAn/ Loh 2000, 93). Die individuelle Hinwendung von Jugendlichen zur HipHopKultur fußt auf der Faszination von Breakdance, Rap oder Graffiti. Ein bestimmtes Schlüsselerlebnis, die Auflehnung gegen die Eltern und die Gesellschaft, ein bestimmtes Lied oder einfach nur ein positives Gefühl für die Kultur kann der Auslöser sein (vgl. VerLAn/Loh 2000, 88). Der Gangsterrap-Trend aus den USA stieß auch bei Deutschlands Jugendlichen auf großes Interesse. Viele der amerikanischen Rapper stehen auf dem Index, und so wird Rap nicht mehr nur von der Gesellschaft allgemein, sondern auch von Eltern verstärkt verurteilt. Zensur und Verbote steigern den Bekanntheits- und

Die dritte Einwanderergeneration

„HipHop bringt ein wenig Abenteuerstimmung in das Leben gelangweilter Wohlstandskinder“

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„Einwanderer, die nicht auf deutsch rappen, fühlen sich verlassen von der bisherigen Gemeinschaft“

im eigenen Land“. So spiegelt sich diese Zeit auch in den Texten der Rapper wieder. Sie nutzen die Musik, um ihre Wut auszudrücken und distanzieren sich durch Rap von Gewalt und Diskriminierung – gerade zu einer Zeit, in der in Deutschland viele Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt werden. Die Medien vermarkten die Idee eines friedlichen Neben- und Miteinanders auf ihre Weise: Multikultur im deutschen HipHop. Eine Bezeichnung, die anderssprachigen Rap in Deutschland ausklammert und innerhalb der Szene zu Spaltungen führt. Einwanderer, die nicht auf deutsch rappen, fühlen sich verlassen von der bisherigen Gemeinschaft. So geht es auf einmal nicht mehr nur um Fähigkeit, sondern auch um Herkunft (vgl. Verlan/Loh 2000, 144). „Seit Jahren beobachteten die meisten Kids der zweiten und dritten Einwanderergeneration den Deutschrap-Boom als Außenstehende. Sie fühlten sich von den Inhalten und dem Lebensgefühl weder angesprochen noch repräsentiert“ (Verlan/Loh 2000, 157). Doch die Jugendlichen wissen sich selbst zu helfen, das Bündnis „Kanak Attack“ wird gegründet. Diese Bewegung versucht auf Grund des entstandenen Zwiespaltes Aufklärungsarbeit besonders bei den Themen Geschlechterrollen, Musik und Politik zu leisten (vgl. Verlan/ Loh 2000, 159f.).

Die Jams Jugendzentren bieten der HipHop-Szene ein Forum für Jams, und im Jahr 1987 finden die ersten wirklich größeren Partys in den verschiedensten Städten Deutschlands statt; so auch in Dortmund. Konzept der Veranstaltung ist, dass alle Anwesenden sich aktiv an der Planung des Abends beteiligen. Mittels Demonstrationen ihrer vorhandenen Fähigkeiten im Graffiti, Rap und Breakdance können die Jugendlichen ihr Selbstbild bei Wettkämpfen mit anderen Gleichaltrigen überprüfen. Noch sehr unorganisiert legen die ersten Treffen dieser Art einen

16 | Eine kurze Geschichte des HipHop in Deutschland

Grundstein für weit reichende Bekanntschaften und Verabredungen unter Jugendlichen. Erstmals reisen für eine Party in diesem Rahmen Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet an. Die reisebereite Jam-Generation wird bezeichnenderweise auch die „Tramperticket Generation“ genannt: Durch Nutzung eines Angebots der Deutschen Bahn AG wird ein deutschlandweiter Austausch möglich (vgl. Verlan/Loh 2000, 103ff.). Auf den ersten Jams in Deutschland gibt es, auf Grund der US-amerikanischen Entstehungsgeschichte, nur englischsprachige Reime und Freestyles. Bahnbrechendes gelingt einem Jugendlichen namens Torch von der Rapgruppe Advanced Chemistry: Er legt im Jahr 1987 den Grundstein in der weiteren Entwicklung des Sprechgesangs, indem er zum ersten Mal einen Reim auf deutscher Sprache improvisiert. Seine Motivation liegt dabei in der verbesserten Übermittlung inhaltlicher Botschaften, die er in vollständig deutschsprachigen Texten zum Ausdruck bringen möchte. Diese Erweiterung von improvisierten und kurzen Sätzen findet Anklang bei anderen Rappern und bringt Advanced Chemistry überregionale Achtung ein (vgl. Verlan/Loh 2000, 119). Mit der Zeit entsteht aus den Jams im In- und Ausland eine selbstorganisierte Subkultur. So ist zum Beispiel das „MZEE Frisch Projekt“ ein Konzept für die Durchführung von nationalen und internationalen Jams (vgl. Verlan/Loh 2000, 110). Organisiert von Mitbegründer Akim Walta will das HipHop-Magazin und -Label MZEE Informationen über aktuelle Geschehnisse der Szene vermitteln. Mit Mitarbeitern aus der Szene greift MZEE kulturorientierte Anliegen auf und unterstützt die Szene zusätzlich durch ein unabhängiges Vertriebssystem (vgl. www.thing.de/neid/ archiv/1/text/hiphop.htm).


HipHop in den neuen Bundesländern

Während in den alten Bundesländern in Deutschland auf Jams schon internationale Kontakte geknüpft werden, finden in den Jahren 1988/89 erstmals zwei vergleichbare Großveranstaltungen in der damaligen DDR statt. Die erste Jam dort entsteht durch die Mitwirkung einer Berliner Radiosendung namens Vibrations. Diese ist speziell auf eine junge Hörerschaft zugeschnitten und bietet den Jugendlichen ein Forum, in dem sie selbst kreierte Demokassetten aus dem HipHop-Bereich einsenden können. Basierend darauf entsteht die Idee, einen RapContest für interessierte Anhänger der Kultur zu organisieren. Über den Radiosender werden die Jugendlichen dazu aufgefordert, sich an der Durchführung der Party zu beteiligen. Als Organisator von Rap-Veranstaltungen in Radebeul, einem Dresdner Vorort, wird Alexander Morawitz in die Pläne eingespannt. Wegen seiner Erfahrungen als Breaker der Gruppe Quick Animation, seiner organisierten Scheunenpartys und wegen seines nationalen Erfolgs als Rapper der politisch-kritischen Gruppe Electric B ist es ihm möglich, viele andere Jugendliche zu erreichen (vgl. K rekow/Steiner 2000, 108f). Einen zusammenhängenden Einblick in die gesamten Inhalte der HipHop-Kultur liefert im Jahr 1985 der amerikanische Dokumentarfilm „Beat Street“. Die Regierung der ehemaligen DDR versteht den Film als eine Protestbewegung der amerikanischen Jugend gegen den Kapitalismus. Anlehnend an eigene Inhalte der Regierung

Prof. Dr. Hubert Minkenberg Jahrgang 1955, studierte in Köln und Berlin. Promotion in Musikwissenschaft, Instrumentalstudium mit den Fächern Saxophon und Klavier. Komponist und Musiker unter eigenem Namen und als Sideman (u.a. bei Eros Ramazzotti). 1989 bis 1991 Musikredakteur beim WDR. 1991 bis 1999 Dozent für Musikwissenschaften an der Musikakademie Wiesbaden. 1999 Professur für Musikpädagogik unter besonderer Berücksichtigung Neuer Medien an die FH Düsseldorf als Professor berufen. 2000 Gastdozent an der Universität Santiago de Chile. Mitglied des Vorstands der DGMB (Deutsche Gesellschaft für Musik bei Behinderten). Delegierter der GEMA für die Gruppe der angeschlossenen und ausserordentlichen Komponisten. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Didaktik und Methodik der Popularmusik und Einsatz Neuer Medien in der außerschulischen Musikpädagogik. Kontakt: www.minkmusik.de hubert.minkenberg@fh-duesseldorf.de

kann HipHop als Ausdrucksmöglichkeit für Jugendliche geduldet werden. Als Vorsichtmaßnahme werden dennoch Sprühdosen aus den Supermarkt-Regalen verbannt. Dies verlangsamt vorerst die Entwicklung von Graffiti in der DDR. So konzentriert sich die Kreativität jugendlicher Künstler auf Rap und Breakdance. Inspiriert durch den Film „Beat Street“ bauen sie ihre ersten Schallplattenspieler selbst zusammen und Erlernen das Scratchen auf alten Hörspiel-Schallplatten. Breakdance wiederum wird von Jugendarbeitern zwecks kulturellen Austauschs in Workshops angeboten (vgl. Verlan/Loh 2000, 299f). MC Poise ist einer der wenigen, der sich durch Breakdance und MCing einen großen Namen in Ost-Berlin macht. Um die Kreativität der ostdeutschen Jugendlichen besser nachvollziehen zu können, muss hier erwähnt werden, dass ihnen zu dieser Zeit keine geeigneten Räumlichkeiten und auch kein Equipment zur Verfügung stehen. MC Poise zum Beispiel übt seine Tanzperformance auf dem Berliner Alexanderplatz oder in der örtlichen Kirche. Mit seinen wenigen Musikexporten aus der BRD produziert der Vierzehnjährige so ideenreiche Beats, dass er kurz darauf mit seiner Crew „Downtown Lyriks“ in der gesamten ehemaligen DDR zu den Bekanntesten zählt (vgl. K rekow/Steiner 2000, 78ff). Ein anderer Rapper, der heute noch bekannt ist und bei der Rap-Produktion in Dresden unterstützend mitwirkt, ist DynaMike. 1987 gründet er mit Freunden die Three M-Men Rapgruppe. Sie schaffen es, durch Eigenwerbung berühmt zu werden, noch bevor sie ihren ersten Reim in englischer Sprache verfassen (vgl. K rekow/ Steiner 2000, 103). Seit dem Jahr 2000 gehört DynaMike der Kölner Gruppe Noisy Stylus an. Literatur Farin, K laus: generation-kick.de. Jugendsubkulturen heute. München (Beck) 2001. K rekow, Sebastian, Jens Steiner und Mathias Taupitz: HipHop-Lexikon. Berlin (Lexikon Imprint) 1999. Verlan, Sascha/Loh, Hannes: 20 Jahre HipHop in Deutschland. Planegg (Hannibal) 2002.

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Interkulturelle Medienarbeit im JFC Medienzentrum Eva Bürgermeister

„Leitmotiv für jede pädagogische Annäherung ist die Anerkennung der Jugendlichen mit ihrem individuellen Können, ihren Interessen, Wünschen und Perspektiven“

Medien sind integraler Bestandteil von Jugendkultur; sie führen zusammen, vermitteln Information und Austausch. Medien bieten kreative Gestaltungsmöglichkeiten und szenetypische Plattformen. Diese Chancen jugendkultureller Kreativität gilt es zu nutzen – auch um sich als Pädagogen den Herausforderungen in der modernen Gesellschaft zu stellen. Jugendkulturen und Medien stehen daher ebenso wie die interkulturelle Arbeit seit vielen Jahren im Blickpunkt der Arbeit des JFC Medienzentrum. Leitmotiv für jede pädagogische Annäherung ist dabei die Anerkennung der Jugendlichen mit ihrem individuellen Können, ihren Interessen, Wünschen und Perspektiven – verbunden mit pädagogischer Neugier, individueller Unterstützung sowie kritischer Herausforderung und gemeinsamer Erarbeitung von Perspektiven. Zahlreiche Modellprojekte, Publikationen und Veranstaltungen markieren die medienpädagogische Annäherung an jugendkulturelle Szenen, an die Kultur- und Medienarbeit im Bereich Urban Culture, an spezifische Anforderungen für interkulturelles Lernen und internationale Verständigung. So erschien bereits 1994 eine erste Publikation zum Thema „Jugendkulturen“, die – sehr viel stärker in den Jugendszenen verortet – im Jahr 1997 unter dem Titel „Jugendkulturen in den 90er Jahren: Innenansichten – Außenansichten“ eine Aktualisierung erfuhr. Weitere Highlights in den 90er Jahren waren die Beteiligung an der inhaltlichen Gestaltung des Specials „CultureMix“ auf dem Medienforum NRW, die Organisation des NRW-Auftritts während der „European Conference on Youth and Multimedia“ (Youthmedia) in Düsseldorf sowie die Herausgabe eines Medienpa-

Dr. Eva Bürgermeister Jahrgang 1956, Studium der Kunstgeschichte, Pädagogik und Anglistik. Seit 1994 Geschäftsführerin des JFC Medienzentrums, Konzeption, Steuerung und Durchführung diverser medienpädagogischer Veranstaltungen und Projekte; Schwerpunkte sind interkulturelle und internationale Kinder- und Jugendmedienarbeit, Familie und Medien, Medienkritik und intergenerative Medienarbeit.

18 | Interkulturelle Medienarbeit im JFC Medienzentrum

ketes unter dem Titel „Rolle Vorwärts – Medienprojekte gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. Mit der Gründung des CrossCulture-Netzwerks für interkulturelle und internationale Jugendmedienarbeit im Jahr 2000 erfuhr dieser Bereich in Nordrhein Westfalen, auch finanziell zumeist durch das Land unterstützt, weitere strukturelle und inhaltliche Aufwertung. Im Jahr 2001 führte der JFC erstmals den bundesweiten interkulturellen Kinder- und Jugendmedienwettbewerb Mixed LINX durch. Es folgten zwei überregionale Modellprojekte: „Was glaubst Du denn?! – Jugend, Glaube, Religiosität“ sowie „Wo bleibst Du denn?! – Lebensräume/Lebensträume“. In beiden Projekten wurde interkulturelle Bildung mit den medialen Möglichkeiten des Internet verknüpft, u. a. mit einer Live-WebTV-Sendung aus drei Städten. Nicht zuletzt prägte der JFC auch weiterhin den Fachdiskurs über Handlungsfelder, Ziele und Fragen von Qualität medienpädagogischer und interkultureller Arbeit, so mit den Tagungen „CrossCulture – interkulturelle Medienarbeit für Europa: Konzepte und Qualitätskriterien interkultureller Jugendmedienarbeit“ (2002) und „Migranten und Medienberufe“ (2003), dem MedienConcret Themenheft „MediaMixMondial – Ideen für die interkulturelle Medienarbeit“ (2002) sowie der inhaltlichen Mitarbeit an dem Special „Networking Young Europe“ beim Medienforum NRW 2002. Auch in internationaler Kooperation wurden Projekte entwickelt: nachdem der JFC bereits 1999 in dem europäischen Projekt „face2face“ involviert war, nimmt die Projektarbeit in internationalen Netzwerken seit 2003 einen wichtigen Stellenwert ein; als Beispiel sei hier die Beteiligung am LEONARDO-geförderten Projekt „CREAM – Creative and active Media Education“ zur Unterstützung junger Migranten bei der Berufsorientierung im Medienbereich genannt (2003-2005). Unsere jüngsten Projekte im Schnittfeld von interkultureller Medienarbeit und Jugendkulturen – die internationalen HipHop-Camps, das Städteprojekt Urban Culture 2005, das internationale Musikvideoprojekt pop@rena, die Projekte im internationalen Roots&Routes-Netzwerk und nicht zuletzt das für dieses Heft namensgebende Modellprojekt – sollen im Folgenden vorgestellt werden; ebenso weitere spannende Urban-Culture-Projekte aus Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus.


Urban-Culture-Projekte des JFC Medienzentrums Von Roots&Routes bis Different Roots — Common Routes Sascha Düx und Andreas Kern

Im Mai 2007 wird das JFC Medienzentrum Tanz-, Musikund Mediencoaches aus zehn europäischen Ländern zu einem internationalen Seminar in die Akademie Remscheid einladen. Neben fachlichem Austausch und gemeinsamer praktischer Arbeit geht es hier um die Planung der im Sommer 2007 erstmals stattfindenden Roots&Routes Summer Courses. Diese Summer Courses sind als Folgeangebot für die TeilnehmerInnen der bisherigen Roots&Routes-Projekte geplant – und sie sind das jüngste Projekt im internationalen Roots&RoutesNetzwerk, einem Netzwerk, dessen Anfänge in den Niederlanden liegen …

Von Amsterdam nach Europa Das Projektformat Roots&Routes (R&R) wurde 2001 von der Stiftung Miramedia (Utrecht) und weiteren Partnern entwickelt. Das Grundkonzept umfasst die folgenden Basiselemente:

– Im Vorfeld eines größeren Festivals werden in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil Jugendliche mit Talent in einem der Bereiche Medien, Musik und Tanz ‘gescoutet’. – Für diese Jugendlichen wird dann unmittelbar vor dem Festival eine intensive Block-Workshopphase angeboten. Hier werden die jungen Talente individuell in ihren Stärken gefördert und bei der Entwicklung ihrer künstlerischen Identität unterstützt. – Höhepunkte sind Masterclasses bei prominenten KünstlerInnen, die für das Festival in die Stadt kommen, sowie Auftritte auf dem Festival (bzw. deren mediale Dokumentation). – Im Anschluss an die Workshopphase wird weiteres individuelles Coaching angeboten. Nach mehreren erfolgreichen Projektphasen, angedockt u. a. an die Festivals Dunya in Rotterdam und Uitmarkt in Amsterdam und mit Masters wie Michael Franti, konnte 2004 ein Roots&Routes-Auftritt bei der offiziellen Eröffnungsfeier zur niederländischen EU-Präsidentschaft „Europa op de Dam – Thinking Forward“ organisiert werden. Dazu wurden erstmals junge Talente aus mehreren europäischen Ländern als Gäste eingeladen – der Beginn des internationalen Roots&Routes-Netzwerks. Das JFC Medienzentrum war hier noch nicht beteiligt. Als Ende 2004 eine gemeinsame Antragstellung beim EU-Programm CULTURE 2000 anstand, wurden wir aufgrund unserer Vorerfahrungen im Bereich internationaler HipHop-Camps eingeladen, federführender Partner in Deutschland zu werden. So konnte mit Eingang der EU-Förderbewilligung im Mai 2005 das Projekt Roots&Routes International in Deutschland (Köln), Frankreich (Lille), Griechenland (Larissa und Athen), Italien (Florenz), den Niederlanden, Portugal (Lissabon), Spanien (Barcelona) und Ungarn (Budapest) starten.

Artikel

Siehe „Roots&Routes – Unterricht in Urban Culture“ (Seite 23)

Artikel

Siehe „Von Köln bis Barcelona: Das HipHopNetzwerk Nippes“ (Seite 42)

Roots&Routes – hier gibt’s was Gutes1 High Noon am Freitag, den 26. August 2005: Der Weltjugendtag ist vorbei, auf den Kölner Ringen sammeln sich die Massen fürs beginnende Ringfest, und im großen Saal des Bürgerzentrums Alte Feuerwache bereiten Die Abschnitte über Roots&Routes 2005 und 2006 sind überarbeitete Fassungen unserer in der InterAktiv (12/2005 und 10/2006) erschienenen Artikel 1

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gestreut: Von der Ukraine bis Marokko, vom Kosovo bis Syrien.

sich gut 30 Jugendliche auf ihren ersten großen Auftritt vor. Nervös? „Ich bin auch schon so aufgeregt, gestern konnt’ ich kaum schlafen – aber, wir packen das schon, da glaub ich fest daran!“ Rückblende: Der gleiche Saal, Anfang August. Gespanntes Warten auf den Gängen: Gleich wird die Jury verkünden, wer von über 40 jungen SängerInnen und RapperInnen bei Roots&Routes Cologne 2005 dabei sein wird. 20 Plätze sind bei den Auditionen für junge Musik-Talente zu vergeben, dazu je 10 in den Bereichen Tanz und Medien. Es zeigt sich, dass durch die allgegenwärtigen Castings in den Medien schon ein recht festgefahrenes Bild von derartigen Auswahlverfahren in den Köpfen ist: Ein junger Mann begleitet seinen Bruder zur Audition. „Machst Du auch Musik?“, fragen wir. „Ja, albanische Volksmusik. Aber das passt nicht hierher“ – und trotz unserer Beteuerungen, das hier sei ein für alle Stilrichtungen offenes Projekt, können wir ihn nicht vom Gegenteil überzeugen. Die Zielgruppe – junge Talente insbesondere mit Migrationsbackgr ound, die schlechtere Zugangschancen zu Ausbildungsgängen in den Bereichen Musik, Tanz und Medien haben – wird dennoch durchweg erreicht: Drei Viertel der Roots&Routes Talente 2005 kommen aus Familien mit Migrationshintergrund, und der ist breit

20 | Urban-Culture-Projekte des JFC Medienzentrums

39 TeilnehmerInnen finden sich in der Woche vorm Ringfest zu einer intensiven mehrtägigen Workshopphase im JFC Medienzentrum Köln und in den kooperierenden Jugendzentren OT Luckys Haus und OT Werkstattstraße ein. Professionelle ReferentInnen coachen die 16- bis 25jährigen zur Bühnenreife. Anders als bei Bohlen & Co. werden hier nicht potenzielle Superstars auf Linie getrimmt, sondern junge Urban-Culture-KünstlerInnen dabei unterstützt, ihren eigenen Stil zu finden und sich langsam aber stetig in Richtung Professionalität zu entwickeln. So werden alle Songtexte und Gesangsmelodien von den Jugendlichen selbst geschrieben. Rap-Teilnehmer A. Kapuya: „Wir haben uns erstmal kennen gelernt und Sprach- und Gesangsübungen gemacht. Und Atemübungen. Das war komisch, weil wir so was zum ersten Mal gemacht haben, aber es hat sich nachher rausgestellt, dass es sehr hilfreich ist.“ Ein Highlight der Workshopwoche sind dann die Masterclasses: HipHop-Star Afrob aus Stuttgart und der afrobelgische Tänzer T. Love geben ihre Erfahrungen an die nachfolgende Generation weiter – und die Mediengruppe dokumentiert das Ganze mit Fotos und Video. Als dann am Sonntagabend der letzte von vier Ringfestauftritten erfolgreich über die große Generation-M-Bühne gegangen ist, wissen die TeilnehmerInnen: Das ist nicht das Ende, es werden ein Nachtreffen mit Präsentation der VideoDVD und dann weitere Projekte, Auftritte und Coachingangebote folgen. Mit Afrobs Worten: „Kurzes Fazit bei Roots&Routes – hier gibt’s was Gutes!“

Urban Culture 2005 Im Herbst 2005 folgte dann das aus dem Programm ENTIMON des Bundesjugendministeriums geförderte Städteprojekt Urban Culture 2005: In Köln, Bonn und Solingen fanden vom 30. September bis zum 03. Oktober gleichzeitig verschiedene Workshops statt, die sich kreativ (Tanz, Musikproduktion, Musikvideodreh, Graffiti) und journalistisch-medial (Videodokumentation, Radio, Webmagazin) mit Fragen des Zusammenlebens im städtischen Raum und der (jugend-)kulturellen Ausdrucksformen in der Stadt beschäftigten. 93 Teilnehmer/-innen – 44 in Köln, 17 in Solingen und 32 in Bonn – produzierten in den vier Workshoptagen


57 Webmagazin-Artikel, 12 Videoclips, 8 WebradioBeiträge und 4 selbstgetextete und -komponierte Songs. Dabei ging es um Themen wie die eigene kulturelle Verortung zwischen kulturellen Wurzeln im Elternhaus und Jugendkultur, um Jugendszenen in der eigenen Stadt, um Freundschaft und Liebe, Freizeitbeschäftigungen von Lesen bis Shoppen, um Tanz und Musik, Mode und Sport, um Graffiti zwischen Kunst und Kriminalisierung, um Angebote für Jugendliche in der eigenen Stadt und Aktivitäten gegen Rassismus. Die Beiträge wurden meist am selben Tag auf die gemeinsame, verbindende Internetplattform www.u-culture.de hochgeladen. Hier traf man sich auch, um sich im Videochat städteübergreifend kennenzulernen. Neben den vier bis acht Workshops pro Stadt wurden auch Exkursionen veranstaltet, z.B. zu einer legalen Graffiti-Wand in Köln. Die Jugendlichen in Köln und Solingen – die zum Teil bereits im Sommer Roots&Routes-Erfahrungen gesammelt hatten – bekamen die Chance, in professionellen Tonstudios ihre während des Projekts selbst geschriebenen Lieder aufzunehmen. Bei der Akademie der Deutschen POP gab es zusätzlich eine Einführung in die digitale Musikproduktion. Das Modellprojekt endete mit einer ca. 48-minütigen LiveWeb-TV-Sendung: Übers Internet wurden Video-Liveschaltungen von Köln nach Bonn und Solingen realisiert, in allen Städten gab es Abschlussevents mit Livemusik.

Europa in Köln Die gigantische Festivalbühne ist sonst Reggae-Größen wie Damian Marley oder Jimmy Cliff vorbehalten. Am 14. Juli 2006 um 14:20 Uhr wird sie ein Podium für fünfundfünfzig Jugendliche aus ganz Europa: Mit Tanz und Livemusik ziehen sie das Publikum in ihren Bann, aus anfänglich knapp 300 Zuschauern werden binnen Minuten über 3000. Und die Kameras der Mediengruppe halten alles für die Projekt-DVD fest. Nach den Erfolgen von 2005 war klar: Roots&Routes Cologne 2006 musste noch einen Schritt weitergehen. Wie im Vorjahr wurden bei Talentsichtungen aus diesmal über 80 interessierten Jugendlichen 30 TeilnehmerInnen für die Kölner Workshopphase ausgewählt.

Neben den Disziplinen Tanz, Kamera/Moderation und Rap/ Gesang wurde auch eine komplette Liveband zusammengestellt. Ermöglicht durch zusätzliche ENTIMON-Förderung konnten 25 weitere junge Talente aus sieben europäischen Partnerländern eingeladen werden, dazu fünf internationale ReferentInnen. Am 7. Juli treffen die Gäste aus Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Schweden und Ungarn ein. Man feiert gemeinsam die Endphase der WM und startet in eine intensive Workshopwoche, in deren Verlauf fünf Songs zwischen HipHop, Reggae und R‘n‘B geschrieben, eingeübt und im Studio aufgenommen werden; eine siebenminütige Choreographie mit Elementen diverser urbaner Tanzstile kreiert und eintrainiert wird; und drei Video-Kurzdokumentationen gefilmt und geschnitten werden. Bauarbeiten in der Unterkunft, mäßiges Catering und lange Reisezeiten zwischen Jugendgästehaus und Workshoporten sorgen bei einigen der internationalen Gäste für Missstimmungen, andere sind mit Feuer und Flamme bei der Sache. Dann der erste Höhepunkt: Martin Jondo, Deutschlands frischester Reggae-Star, kommt für eine Masterclass vorbei, steht der Mediengruppe für Interviews zur Verfügung und gibt den Musikgruppen Tipps für ihren Auftritt und ihre weitere künstlerische Entwicklung. Am 14. Juli geht es dann um 14:20 auf die Red Stage des Summerjam-Festivals. Zu diesem Zeitpunkt ist das Publikum mit ca. 300 Personen noch eher dünn besetzt. Mittels einer spontanen Eröffnungs-Einlage gelingt es den bühnenerfahrenen internationalen ReferentInnen, binnen weniger Minuten 3000 der aufs Gelände strömenden BesucherInnen vor die Red Stage zu bewegen. Der folgende Auftritt vor großem Publikum ist für alle Beteiligten ein beeindruckendes Erlebnis, zumal die erarbeiteten Stücke viel Applaus ernten. Leider fehlen am Ende die eingangs durch die EröffnungsEinlage verbrauchten Minuten Bühnenzeit, und so kann – das Bühnenmanagement ist, wie bei Festivals dieser Größenordnung üblich, sehr strikt – die letzte Vokalistengruppe nicht mehr auftreten. Das trifft die gesamte Gruppe, die Stimmung kippt binnen Minuten von Euphorie in Depression und Wut. Durch pädagogischen Einsatz des Teams können die Wogen geglättet werden; alle TN haben Tageskarten für das Festival und bleiben größtenteils bis zum späten Abend vor Ort. In den letzten Tagen tragen dann zwei Musikvideo-Drehs und ein gemeinsames Abschiedsbarbeque dazu bei, dass – wie die abschließende Evaluation zeigt – fast alle TeilnehmerInnen mit einem guten Gefühl nach Hause fahren.

DVD Siehe Dokumentation „Roots&Routes 2006“ auf beiliegender DVD

DVD Siehe Musikvideos „Alegria“ und „Summertime Roots“ auf beiliegender DVD

Best Practice | 21


Die internationale Zusammenarbeit klappt wie schon bei den Vorläuferprojekten sehr gut: Die TeilnehmerInnen haben gemeinsame kulturelle Interessen, wollen zusammen etwas auf die Beine stellen – und wenn jemand großartige Flash-Animationen oder Ragga-Strophen beisteuern kann, wird es relativ unwichtig, wie gut er Englisch spricht. Beeindruckend ist auch, wie viel die Jugendlichen sich gegenseitig beibringen: Ob Gesangstechniken oder Kameraperspektiven, ob Tanzmoves oder VideoschnittKniffe am PC – und das oft mitten in der Nacht. Für die Jugendlichen in Deutschland geht das Projekt nach Abreise der Gäste noch weiter: Beim Cologne Open Culture Festival gibt es Auftritte der Roots&Routes-Tanzund Musikgruppen, und die Mediengruppe filmt das ganze Festival. Am 8. September haben beim Nachtreffen in der OT Luckys Haus die Projekt-CD und DVD Premiere; weitere Auftritte der Roots&Routes-Gruppe finden bei der Medienpädagogischen Börse Köln am 20. Oktober und beim Symposium „MIX IT! – Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in Musikprojekten“ des Europäischen Musikrates und der Deutschen Welle am 4. November 2007 in Bonn statt

Different Roots – Common Routes

8

Artikel

Siehe „Roots&Routes – Unterricht in Urban Culture“ (Seite 23)

DVD

Siehe Dokumentation „Different Roots – Common Routes“ auf beiliegender DVD

Mit Förderung des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NordrheinWestfalen konnte zum Ende des Jahres 2006 das Modellprojekt Different Roots – Common Routes realisiert werden: Für 26 Jugendliche mit Roots in 15 Nationen – etwas mehr als die Hälfte davon Roots&Routes-TeilnehmerInnen vom Sommer – wurden vom 27. bis 30. Dezember Tanz-, Musik- und Medienworkshops in den Räumen der Rochus-Musikschule Köln-Bickendorf angeboten. Prominente Dozenten wie Jörg Schürmann (Kameramann bei Brainpool), Xaver Fischer (spielte u. a. bei Sasha und in Anke Engelkes TV-Band Keyboards), VJ Sehvermögen, Jaekwon (Breakdance-Profi), Mavys Villareal (Hamburger Rapcoach) und Markus „Be“ Brachtendorf (Frontmann von „Lecker Sachen“ und „Rakete Mutter“) arbeiteten intensiv mit den jungen Talenten, geben Tipps zur individuellen Weiterentwicklung und auch Einblicke in die Welt der Kultur- und Medienberufe. Alle Workshops wurden ausführlich dokumentiert; diese Dokumentation bildet den Grundstock für Teil 3 dieser Arbeitshilfe und die beiliegende DVD.

Andreas Kern Jahrgang 1978, seit 1997 DJ und Veranstalter elektronischer Musikveranstaltungen (www.beatboutique.info). Schloss 2005 sein Studium der angewandten Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Köln ab. Seit Mai 2005 arbeitet er als Projektkoordinator (u.a. für das Projekt Roots&Routes) im JFC Medienzentrum Köln. Schwerpunkte sind die Konzeption und Koordination jugendkultureller Medienprojekte. Kontakt: kern@jfc.info

22 | Urban-Culture-Projekte des JFC Medienzentrums

Perspektiven 2007 wird nicht nur die dritte (und vorerst letzte CULTURE 2000-geförderte) Kölner Projektphase im Rahmen des Projekts Roots&Routes International stattfinden; geplant sind darüber hinaus verschiedene internationale Aktivitäten, und das neue Projekt Roots&Routes Summer Courses geht an den Start. Die Idee der Summer Courses: Für talentierte Jugendliche, die an einer Roots&Routes-Festivalwoche oder ähnlichen Urban-Culture-Workshops teilgenommen haben, wird eine 3-4wöchige Blockphase mit intensivem Coaching mit berufsorientierenden Elementen angeboten: Verschiedene Berufsbilder und Ausbildungswege in der Kultur- und Medienbranche werden genauso thematisiert wie Chancen und Risiken einer Karriere als professionelle/-r KünstlerIn. Nachdem 2006 bereits ein Summer Course als Pilotprojekt in den Niederlanden stattfand (das JFC Medienzentrum entsendete eine Kölner Teilnehmerin) und in Deutschland wertvolle Vorerfahrungen im Rahmen des Different Roots – Common Routes Modellprojekts gesammelt werden konnten, werden Roots&Routes Summer Courses mit Förderung des EU-Programms LEONARDO jeweils 2007 und 2008 in Finnland, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden realisiert werden. Die Aktivitäten in Deutschland werden in das Aktion-Mensch-geförderte Projekt „Urban Culture - für Integration in Gesellschaft, Bildung und Arbeitswelt“ eingebettet. Jugendliche TeilnehmerInnen der verschiedenen Projekte von Roots&Routes bis Different Rootes – Common Routes werden außerdem die Chance haben, an verschiedenen internationalen Urban-Culture-Projekten teilzunehmen: Eine Gruppe junger BreakdancerInnen wird im Sommer 2007 für drei Wochen am Brouhaha International Straßenfestival in Liverpool teilnehmen, Thema ist das 200jährige Jubiläum der Abschaffung der Sklaverei in England. Im Herbst wird ein großes internationales Roots&Routes-Festival mit Workshops und Masterclasses für Jugendliche aus allen Ländern des Netzwerks in Rotterdam stattfinden, und im Sommer 2008 wird je ein Jugendlicher aus Köln zu den vier Summer Courses der Partnerländer entsandt werden – und umgekehrt. Insgesamt hat sich das internationale Roots&RoutesNetzwerk als ein sehr fruchtbarer Zusammenschluss engagierter Partner erwiesen, aus dem sich – da sind wir zuversichtlich – noch weitere spannende Projekte entwickeln werden.


Roots&Routes — Unterricht in Urban Culture Bart Suèr*

Seit 2001 bemüht sich Roots&Routes in den Niederlanden, die talentiertesten jungen Angehörigen kultureller Minderheiten aufzuspüren: Jugendliche und junge Erwachsene, die in Street Cultures in den Bereichen Musik, Tanz und visuelle Medien aktiv sind, und die häufig nicht den Weg auf etablierte Bühnen, in Medienberufe und in künstlerische Ausbildungen finden. Roots&Routes unterstützt sie dabei, ihre künstlerischen und sozialen Kompetenzen weiterzuentwickeln und in Kontakt mit der etablierten Kultur- und Medienszene zu kommen. Um ihre Zugangschancen zu einer professionellen Karriere zu verbessern, brauchen diese Street Talents eine praktische und komplexe Lernumgebung, die ihre vorhandenen Kompetenzen festigt und erweitert, die sie befähigt, Probleme zu lösen und ihre eigenen Skills weiterzuentwickeln. Roots&Routes (R&R) erreicht seine Zielgruppe durch die Website, durch Flyer und Mund-zu-Mund-Propaganda. In Kooperation mit vorhandenen Strukturen der Jugendarbeit organisiert R&R Auditionen, bei denen die talentiertesten Jugendlichen ausgewählt werden. In den großen niederländischen Städten gibt es mehrere Organisationen, die sich der Kompetenzförderung im Bereich der Kultur- und Medienindustrie verschrieben haben. R&R arbeitet mit diesen Organisationen zusammen, nutzt ihre Netzwerke und Zielgruppenkontakte und baut auf den Ergebnissen ihrer Arbeit auf. Den ausgewählten Jugendlichen wird als erster Schritt die Teilnahme an einem Take One Workshop angeboten: Einem mehrtägigen intensiven Tanz-, Musik- oder Medienworkshop, der in der Regel mit einem öffentlichen Auftritt abschließt. Nach dem Take One schätzt das R&R-Team die Fortschritte der TeilnehmerInnen ein mit dem Ziel, die motiviertesten und talentiertesten für Folgeaktivitäten auszuwählen: Die mehrwöchigen R&R Summer Courses und neuerdings die vierjährige R&R Berufsausbildung „MBO Producer/Musician“ am Albeda College in Rotterdam (eingebettet ins niederländischen System der „middelbaar Beroepsonderwijs“, kurz MBO). R&R nimmt die meist außerhalb des Bildungssystems erworbenen Kompetenzen der Teilnehmenden als Ausgangspunkt und bietet von dort ausgehend eine Reihe

von Aktivitäten und Lernmöglichkeiten an: – Take One: rund einwöchige Blockworkshops und Masterclasses, die auf einen größeren Auftritt hinarbeiten – Summer Courses (auch Summerschools genannt): drei- und mehrwöchige vertiefende Block-Unterrichtseinheiten – Individuelles Coaching: Beratung, Feedback, Unterstützung bei Produktion, Promotion und Verbesserung der individuellen Skills Die Lernbedürfnisse und -erfordernisse der Gruppe steuern dabei den Bildungsprozess. Ein wichtiges Kriterium heißt stets: „Ist das nützlich und sinnvoll für mich?“ – Die Roots&Routes-WorkshopleiterInnen und -TutorInnen arbeiten dabei wie Coaches, die neue Möglichkeiten anbieten und so ihre SchülerInnen ermutigen, weiter zu suchen und mehr zu lernen. Die Tutoren bewerten die Ergebnisse ebenso wie den Lernprozess. Das Erfahrungslernen wird durch eine Reflexionsschleife ergänzt: Was beim „machen“ implizit gelernt wird, wird anschließend explizit thematisiert. Das große Ziel ist dabei stets, die Kompetenzen der Teilnehmenden auf ein Niveau zu heben, wie es im Business und/oder an den spezialisierten Ausbildungsstätten erwartet wird. Nachdem jemand den Take One erfolgreich abgeschlossen

* Übersetzung aus dem Englischen: Sascha Düx

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hat, entwickelt R&R einen persönlichen Entwicklungsplan für diesen Schüler/diese Schülerin. Im Gespräch mit dem jeweiligen Coach wird ausgearbeitet, welche Übungen und Aktivitäten nötig sind, um jeweils nötige Kompetenzen zu erwerben.

Roots&Routes Summer Courses 2006 wurde in Kooperation mit der Rotterdamer Codarts Hochschule für die darstellenden Künste der erste Roots&Routes Summer Course angeboten. Für die Codarts Hochschule war es wichtig, ihre Pop Academy stärker mit interkulturellen Zielgruppen zu verknüpfen und diejenigen Jugendlichen zu erreichen, die im Bereich Urban Music aktiv sind. Da R&R eine große Anziehungskraft für diese Zielgruppe unter Beweis gestellt hatte, lud die Codarts Hochschule R&R zur gemeinsamen Entwicklung eines neuen Ansatzes ein: der dreiwöchigen Summer Courses. Fortgeschrittene Musik- und Tanztalente – darunter einzelne Gastteilnehmer aus den sieben R&R-Partnerländern – arbeiteten 3 Wochen lang auf zwei Showcases hin. Unterstützt wurden sie dabei von einem kulturell breit gestreuten und hochprofessionellen Ensemble

professioneller KünstlerInnen und Coaches: u. a. den Krump Kings (aus dem Dokumentarfilm Rize bekannte Tanzcrew), dem Choreographen Dumsile Mqadi, Joe Ambrosia (spielte mit James Brown, Ike & Tina Turner etc.), Sandra St. Victor (Family Stand, Chaka Khan), Stefan Schmid (Produzent von Zuco 103) und Luc Vergier (Marketing und A&R Executive für Lauryn Hill, Fugees, Youssou N’Dour). Die künstlerische Leitung lag bei John Wooter (Tanz) und mir (Musik). Der Summer Course begann am 26. Juni; die TänzerInnen wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, die MusikerInnen in zwei Livebands und eine Studioband. Die Mediengruppe arbeitete parallel, dokumentierte die Workshops und machte Interviews. Schwerpunkte der ersten Woche waren ein African Dance Workshop, Gesang und Songwriting sowie die Geschichte des HipHop. Die zweite Woche hindurch wurde auf einen Probeauftritt am Wochenende hingearbeitet, dazu kamen Masterclasses mit den Krump Kings und Joe Ambrosia. DJ Git Hyper lud die Musik-Teilnehmer in seinen Plattenladen ein und nahm sie mit auf eine Reise durch die Popmusikgeschichte, von alten Jazz-, Soul-, Funk- und Discoplatten bis hin zu aktueller Musik. Der abschließende Probeauftritt zeigte auf, welche Aspekte noch verbesserungsfähig waren und gab damit die Richtung für die letzte Woche vor. In dieser arbeiteten die TeilnehmerInnen hart und kontinuierlich an ihren Abschlusskonzerten; abgerundet wurde das Programm durch einen Musikbusiness-Workshop mit Gordon Williams und Luc Vergier, bei dem Booking, Promotion und Verträge thematisiert wurden. Die Ergebnisse von drei Wochen Roots&Routes Summer Course wurden am Freitag, den 14. und Samstag, den 15. Juli 2006 öffentlich vor einem begeisterten, knapp 200köpfigen Publikum aufgeführt. Das Programm entsprach den vielfältigen Roots der TeilnehmerInnen: Die Tanzgruppe kombinierte klassisches Ballett, afrikanischen Tanz, Boogie, Breakdance, Popping und Locking, die Musikgruppen mixten Soul und tanzbaren Jazz, Funk, Dub und Reggae. Nach Abschluss des Summer Courses fand eine individuelle Evaluation der Leistungen der Teilnehmenden statt; dabei wurden auch die individuellen Chancen eingeschätzt, den eigenen Lernweg auf „MBO“-Level (Niederländische Berufsschule) oder auf „HBO“-Level (Bachelor-Studium) fortzusetzen.

Ausbildung „MBO Producer/Musician“ Der „MBO Musikproduzent/Musiker“ ist eine vierjährige Ausbildung, die mindestens einen SekundarschulAbschluss voraussetzt. Das minimale Zugangsalter beträgt 16, das maximale 30 Jahre. Da diese Form musikalischer Berufsausbildung neu ist – die Berufsschulen im niederländischen „MBO“-System haben bislang keine Musikkurse angeboten – bekam Roots&Routes die Chance, für diese Ausbildung ein Curriculum zu entwickeln, das sowohl bei den Lerninhalten als auch bei den Lehr- und Lernmethoden neue Wege einschlägt. Das Motto der Ausbildung lautet: „Der erste Tag in diesem Kurs ist der erste Tag Deiner professionellen Karriere.“ Im Lauf des vierjährigen Kurses durchlaufen die SchülerInnen ein Spiralcurriculum: Sie machen drei „Alben“, durchlaufen dreimal einen Zyklus, der wiederum aus drei Phasen besteht: 1. Komposition / Kreation 2. Aufnahme / Produktion 3. Veröffentlichung / Promotion / Performance Parallel zu diesen drei Phasen liegt eine vierte Phase, in der die Teilnehmenden ihre persönliche Situation als

24 | Roots&Routes — Unterricht in Urban Culture


MusikerInnen ausarbeiten. Diese vier Phasen entsprechen der Arbeit der meisten professionellen MusikerInnen. Wenn ein Teilnehmer diesen vierphasigen Zyklus dreimal durchlaufen hat und dabei das angestrebten Niveau an musikalischen Fertigkeiten und MusikproduktionsKnow-how erworben hat, ist er fertig – und hat sich eine gute Basis für seine individuelle Karriere erarbeitet: Er wird dann zahlreiche eigene Songs geschrieben haben, mehrere Aufnahmen produziert haben und häufig öffentlich aufgetreten sein. Für Teilnehmende, die keinen großen Wert auf Auftritte legen (da sie sich auf Musikproduktion konzentrieren möchten), wird ein alternativer Lernweg mit Schwerpunkt auf Komposition, Arrangement und Studioaufnahmen angeboten; ähnlich wird es für Instrumentalisten, die keinen Fokus auf eigene Kompositionen setzen möchten, eine Schwerpunktsetzung auf Studioaufnahmen und Liveperformance geben. Gelehrt wird von einem Stamm an Roots&RoutesTutorInnen, ergänzt durch freie professionelle ProduzentInnen und MusikerInnen aus dem Musikbusiness.

– Innovatives und kreatives Denken – Verantwortlichkeiten Übernehmen – Unternehmerisches Handeln Spezielle Kompetenzen für Musiker: – Stimmliche bzw. Instrumentale Fertigkeiten – Kommunikation durch und über Musik – Performance (Auftreten vor Publikum) – Musiktheoretisches Wissen und Können – Musiktechnologisches Wissen und Können – Musikproduktion – Unternehmerisches Handeln im kulturellen Bereich Am Ende des R&R-Prozesses stehen für jeden Teilnehmenden ein persönliches Zertifikat und ein Portfolio, in denen die erworbenen Skills und das erreichte Kompetenzniveau belegen. Zusätzlich wird ggf. eine Empfehlung gegeben, ob jemand sich an einem künstlerischen College (Ziel Bachelor-Abschluss) bewerben oder direkt eine professionelle Karriere starten sollte.

Kompetenzen R&R entwickelt gegenwärtig gemeinsam mit Kunst-, Tanz- und Musikakademien in Gronigen, Arnheim und Rotterdam „Kompetenzsets“ für professionelle Musiker, Tänzer und Videomacher. In grober Übersicht könnte ein Kompetenzset für Musiker so aussehen: Allgemeine Kompetenzen: – Lesen und Schreiben in Niederländischer und Englischer Sprache – Praktisch-mathematische Grundlagen – Zeitmanagement – Teamarbeit – Informationen recherchieren und bewerten – Problemlösendes, methodisches, systematisches Denken und Reflexion – Planung und Organisation – Soziale und Kommunikative Kompetenzen

Bart Suèr Jahrgang 1965, studierte in der Jazzabteilung des Konservatoriums Hilversum Saxophon. Nach erfolgreichem Abschluss 1992 absolvierte er Masterclasses u. a. bei Lee Konitz in New York. Von 1991 bis 2007 veröffentlichte er 13 Alben. Neben Lehrtätigkeiten u. a. an den Konservatorien von Amsterdam, Rotterdam und Arnheim leitet er die Bigband des Konservatoriums Alkmaar, das Label Dox Records, das Dox Orchestra, initiierte das TV-Format „Red Bull Soundclash“ und ist musikalischer Direktor von Roots&Routes in den Niederlanden. Kontakt: www.doxrecords.com bart@doxrecords.com

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Trying Babylon — ein jugendkulturelles Musiktheater Jürgen Beu

Hintergrund Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lebensstilen und Jugendkulturen unterstützt Entwicklungsund Identitätsprozesse junger Menschen. Es gibt in Solingen viele verschiedene Jugendkulturen, die oft nur nebeneinander existieren. Um eine Vernetzung dieser Gruppen möglich zu machen ist es notwendig, sie zunächst an einem gemeinsamen Projekt zu beteiligen. Die jungen Erwachsenen bekommen die Möglichkeit, ihre Lebenswelten darzustellen – mit den Methoden, die sie täglich umgeben. Durch gezielt eingeplante Diskussionsphasen setzen sie sich mit ihren persönlichen Erfahrungen zur Gestaltung auseinander. Umbruch und Wandel von Jugendkulturen und ihren gesellschaftlichen Herausforderungen kommen hierbei zur Sprache. Durch die Umsetzung ihrer Vorstellungen treten sie aus der Konsumentenrolle heraus und lernen stattdessen, selbst Präsentationen für ihre Belange einzusetzen. Jugendliche lassen sich von zeitgemäßen Konzepten ansprechen und begeistern. Neben den vielfältigen Anreizen, die Kunst und Kultur gerade für junge Menschen haben, gibt es einen weiteren Grund, Tanz, Musik, Theater,

Literatur, Kunst oder Medien in die Angebote von Jugendarbeit und Schule zu integrieren – das ist die mögliche Ansprache von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Gerade deren Partizipation ist eine gesellschaftliche Herausforderung an eine erfolgreiche Jugendarbeit – und gleichzeitig eine große Bereicherung. Denn Kinder und Jugendliche mit ihren Erfahrungen und ihrem kulturellen Background prägen auch die kulturellen Programme und Angebote.

Die Geschichte Die biblische Erzählung des Turmbaus zu Babylon ist die Geschichte eines Desasters: Von Hochmut und Selbstüberschätzung geblendet, bauen die Menschen einen Turm, dessen gigantische Höhe bis zu Gott in den Himmel reichen soll. Durch ihre bloße, diesseitige Menschenkraft, so glauben die alttestamentarischen Bauherren, könnten sie sich ihrem Schöpfer ähnlich machen. Doch Gottes zornige Reaktion auf Anmaßung und Hybris verändert die Welt: Es ist die Sprichwort gewordene „babylonische Sprachverwirrung“, mit der er die Arbeit auf einen Schlag zum Erliegen bringt. Die Bauarbeiter des Turms verstehen sich nicht mehr und jeder weitere Versuch, Stein auf Stein zu setzen, versinkt im Chaos der tausend Zungen. Was bleibt ist eine Bauruine, das Mahnmal menschlichen Hochmuts – und zugleich die biblische Erklärung für die Vielsprachigkeit der Menschen in aller Welt. Eine folgenschwere Strafe, die zugleich Aufgabe ist: Was die in alle Teile der Welt zersprengten Babylonier trotz unterschiedlicher Sprachen eint, ist die Möglichkeit, aufeinander zuzugehen: sich einzulassen, zu akzeptieren, fremde Sprachen zu verstehen – und den Reichtum der Vielfalt zu entdecken.

Kulturpädagogischer Ansatz Vor dem Hintergrund der biblischen Geschichte des „Turmbaus zu Babel“ hat das Jugendmusical BABYLON die verschiedenen Kulturen der Solinger Jugendlichen in einem Gesamtkunstwerk zusammengeführt: Die kulturellen „Sprachen“ der Jugendlichen (Musik, Tanz, Theater, Medien etc.) als Äquivalent zu den Sprachen

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der gescheiterten Babylonier bildeten die Basis der Produktion. Die Situation der vielfältig kulturell interessierten und tätigen Jugendlichen, die sich facettenreich in verschiedensten Kunstformen ausdrücken, sich jedoch auch voneinander abgrenzen und dabei bestenfalls tolerieren, wird also auf die babylonische Folie projiziert. Dabei sollen die Kulturformen einander befruchten, miteinander verschmelzen, sich gegenseitig bereichern und ein homogenes, ungewöhnliches Ganzes erzeugen – und nicht eine „Nummernrevue“ nacheinander auf die Bühne gebetener Acts. Die Jugendlichen waren sehr begeistert und haben stark von der Produktion profitiert. Es war wichtig, dass sie zunächst durch Bezugspersonen zu den Proben gebracht wurden. Später, wenn Bezüge zu den anderen Jugendlichen hergestellt worden sind, entsteht eine Eigendynamik, ein verstärktes Eigeninteresse; die Gruppe

Träger Die Cobra Kultur e.V. (Mitglied in der LAG Soziokultur NRW) ist Träger des soziokulturellen Zentrums COBRA in Solingen, das als kulturpädagogische Facheinrichtung konzipiert ist. Der Verein organisiert in der COBRA Projekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene: soziokulturelle Projekte, Weiterbildung, Veranstaltungen, sowie diverse Serviceleistungen im Bereich kultureller Bildung. Ziel war und ist es, den kreativen, verantwortungsvollen und selbständigen Umgang mit Musik, Kunst, Theater und Medien zu unterstützen. Die Förderung der Gesamtpersönlichkeit, die Auseinandersetzung mit aktuellen künstlerischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die Arbeit mit Mädchen und Jungen sowie die Integration ethnischer, religiöser und sozialer Gruppen charakterisieren die Arbeit. Der Verein „Cobra Kultur e.V.“ ist gemeinnützig und als freier Träger der Jugendarbeit anerkannt. Das Projekt Babylon wird in Kooperation mit dem Kinder- und Jugendtheater Wuppertal, der Jugend-förderung Solingen, den Hauptschulen Central und Krahenhöhe sowie dem Kulturbüro Solingen realisiert. Die Projektberatung führt das Sozialressort der Stadt Solingen, Ressortkoordination Ressort V, Jürgen Beu durch.

Jürgen Beu wächst zusammen, es entstehen über den Projektrahmen hinauswirkende Zusammenschlüsse. Ein Beispiel hierfür war die Mädchenrapcombo „Die rappende Rasse“, die inzwischen schon mehrere Auftritte außerhalb des Projektrahmens hatte. Insgesamt standen 32 Jugendliche auf der Bühne, über 100 Teilnehmer haben mitgemacht, haben sich miteinander vernetzt, verknüpft, geschnuppert; es ist ein Teamgeist entstanden, Kompetenzen und höhere Verbindlichkeiten wurden entwickelt. Eigene Ideen von Jugendlichen konnten verwirklicht werden. Auf dem Nachtreffen wurde klar: Alle wollen weiterarbeiten. Auch 2007 wird es also ein Musiktheaterprojekt geben, vielleicht in veränderter Form; die Planungen und Überlegungen laufen zur Zeit.

Jahrgang 1955, Diplom-Sozialarbeiter, Mitarbeiter der Stadt Solingen im Sozialressort, Fachbereich Politische Jugendbildung. Jürgen Beu veranstaltet seit 25 Jahren Projekte im multinationalen Jugendaustausch und produziert Film-, Theater-, Multimedia- und Jugendkulturevents von und mit Jugendlichen im Spannungsfeld von Politik und Kultur. Seit 6 Jahren kooperiert er eng mit dem JFC Medienzentrum in verschiedenen Projekten. (u. a. Roots&Routes, Städteprojekte „Was glaubst Du denn?!“ und „Wahlkanal“) Kontakt: Stadt Solingen Jürgen Beu Fon: 0212/290-2214 www.solingen.de j.beu@solingen.de

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MittwochsMaler — das Kölner Graffiti-Jugendkunstprojekt Maurice Kusber

Projektidee

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Artikel

Siehe „Von Köln bis Barcelona: Das HipHop-Netzwerk Nippes“ (Seite 42)

Das Jugendkunstprojekt MittwochsMaler entstand im November 2005 im Rahmen des HipHop-Netzwerkes für Toleranz und Integration Köln-Nippes. Anfänglich als einrichtungsübergreifendes Element für die Jugendlichen aus den beteiligten Institutionen gedacht, wurde es weiterentwickelt mit dem Wunsch, auch jugendliche Sprayer aus der kölnweiten Szene zu gewinnen. Diese Idee basiert auf meiner Diplomarbeit aus dem Jahr 2004, „Graffiti als Ausdrucksform bei Kindern und Jugendlichen“, in der zum einen der Umgang der Stadt Köln mit der Graffiti-Szene und zum anderen notwendige präventive Möglichkeiten beschrieben werden. In Köln wird seit einigen Jahren ein restriktiver Kurs in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Graffiti gefahren. Dabei wird Graffiti in erster Linie im Kontext einer Beeinträchtigung des subjektiven Lebens- und Sicherheitsgefühls der Bürger gesehen. Ferner wird angeführt, dass Graffiti dem Standort Köln schade. Beide Argumentationsstränge lehnen sich letztlich an die „Broken Windows Theorie“ an: Da, wo Graffiti ist, sei Armut, Schmutz und Gefahr auch nicht weit entfernt. Als Konsequenz wird dann eine Strategie der Kriminalisierung von Graffiti-Sprayern verfolgt. Betrachtet man die aktuelle Anti-Graffiti Politik in verschiedenen deutschen Großstädten wie z.B. Köln, Berlin, Kiel, Hamburg und Bielefeld, bemerkt man einen Wandel der Perspektiven. Wurde Graffiti früher als Ausdruck eines urbanen Niedergangs und der Auflösung öffentlicher Ordnung angesehen, wird Graffiti mittlerweile als deren Ursache und Symbol betrachtet. Ordnungspartnerschaften wie die Kölner Anti-Spray-Aktion „KASA“,

die Berliner „Nofitti“ und die Kieler Aktion „Klar Schiff“ versuchen, den Kampf gegen „Farbschmierereien“ und „Farbsprühterroristen“ bürgernah aufzunehmen und so einen als sauber und sicher erlebbaren Raum zu erzeugen und zu legitimieren. Die Anti-Graffiti-Aktionen stehen inzwischen für den Kampf um städtisches Territorium und dessen Nutzung – Graffiti-Sonderkommissionen der Polizei gegen die Szenen, für die Graffiti als letztes großes Großstadtabenteuer fungiert, wobei oftmals die Konsequenzen und die Gefahren ignoriert werden: „Sprayer und Streetart Aktivisten wollen auffallen und Zeichen setzen, Kommunikation über Provokation erzeugen, den öffentlichen Raum erobern, oder Spaß haben. Besitzverhältnisse werden ausgeblendet und vorrangig öffentliches Eigentum benutzt“ (Barbara UDU Uduwerella von HipHop-Hamburg e.V., auf www.pro-graffiti.tk). Für die sprayenden Jugendlichen sind die zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen ihres illegalen Sprühens oft nicht in vollem Umfang absehbar, so dass sie gefährdet sind, mit erheblichen Schuldenlasten aus Sachbeschädigungsverfahren herauszugehen und sich so die eigene Zukunft nachhaltig zu verbauen.

Das Projekt Die MittwochsMaler verstehen sich als Mal- und Kreativprojekt sowie als Anlauf- und Beratungsstelle für gefährdete Jugendliche aus der Graffiti-Szene. Unter Anleitung einer Honorarkraft, begleitet von einem hauptamtlichen Mitarbeiter aus der OT Luckys Haus, nutzen die Jugendlichen die Möglichkeit, sich alternative künstlerische und musikalische Ausdrucksmöglichkeiten anzueignen. Dieses stadtweit einzigartige Projekt steht für einen neuen Ansatz in Köln, nämlich eine konstruktiv-präventive Arbeit mit den Graffiti-Sprayern, sinnvollerweise integriert in die offene Kinder- und Jugendarbeit.

Zielgruppe Jeden Mittwoch treffen sich in der Zeit von 18 bis 21 Uhr Jungen und Mädchen ab 14 Jahren in der OT Luckys Haus. Die Gruppe besteht aus ca. 17-30 Personen, die regelmäßig erscheinen; dazu zeigt sich ein wachsendes Interesse der ganzen Kölner Szene. Rund 70% der TeilnehmerInnen sind seit dem ersten Treffen dabei, die anderen 30% setzen sich aus Bekannten der Teilnehmer-

28 | MittwochsMaler — das Kölner Graffiti-Jugendkunstprojekt


Innen und Interessierten, die unregelmäßig vorbeischauen, zusammen. Die Kernzielgruppe – in der Szene aktive jugendliche Graffiti-Sprayer – hat das Projekt sehr positiv angenommen, sie macht ca. 85% der Gesamtgruppe aus; der Rest sind künstlerisch interessierte Jugendliche. In der Arbeit mit der Graffiti-Szene hat sich klar ein hoher Bedarf nach einem verlässlichen Treffpunkt für Gespräche und Beratung herauskristallisiert. Zentrale Themen sind Prävention durch kreative Aktionen, Beratung bei Verstößen gegen die §§303 und 304 StGB (Sachbeschädigung) sowie Anfragen zur Durchführung von Sozialstunden in der OT Luckys Haus. In Gesprächen mit den Jugendlichen wurden die Probleme deutlich, die ein exzessives illegales Sprayen mit sich bringt: delinquentes Verhalten, negativer Lebensrhythmus, oftmals Schulabbruch, Probleme und Unsicherheit bei der Ausbildungssuche, zivilrechtliche Belastungen/ Schadensersatzforderungen und ein dadurch entstehender schlechter Start in das Berufs- und Erwachsenenleben. Diesem erhöhten Jugendhilfebedarf versuchen wir in der knappen Workshopzeit Rechnung zu tragen. Hier wird u. a. auf die Möglichkeiten eines Täter-Opfer Ausgleichs hingewiesen, um schon im Vorfeld einer Verhandlung die Schäden in Absprache mit dem Kläger zu beseitigen.

Integration durch HipHop Die HipHop-Kultur soll in diesem Projekt als Bindeglied zwischen der gesellschaftlichen Kultur und der individuellen Lebenswelt der Jugendlichen dienen. Die darauf aufbauende Jugendarbeit soll für die kreativen Aktivitäten Raum bieten und unterstützend Hilfe leisten. Diese Möglichkeiten sind in der OT Luckys Haus gegeben: Bereits seit mehreren Jahren ist das Haus als aktiver Partner in das HipHop-Netzwerk für Toleranz und Integration im Kölner Stadtbezirk Nippes eingebunden. Die verschiedenen Workshops und die öffentlichen Veranstaltungen dieses Netzwerkes haben zusätzlich dazu beigetragen, die Graffiti-Szene in das Projekt mit einzubeziehen und ihr eine Präsentationsplattform in einem legalen Rahmen zu geben.

Maurice Kusber Jahrgang 1974, Diplom-Sozialpädagoge, arbeitet seit 2005 in der OT Luckys Haus/ Köln-Bilderstöckchen. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Leitung der Übermittagsbetreuung, die Offene Kinder- und Jugendarbeit, Jugendkulturarbeit sowie Szenespezifische Jugendarbeit. Projektleitung „MittwochsMaler“. Seine Diplomarbeit schrieb er 2004 zum Thema: „Graffiti als Ausdrucksform bei Kindern und Jugendlichen und Ausgangspunkt für Szenespezifische Jugendarbeit“. Kontakt: k.mau@gmx.de

Methoden und Arbeitsweisen Die Teilnehmer erlernen in der Projektarbeit bestimmte grundlegende Kompetenzen: Kontinuität, Verlässlichkeit, Frustrationstoleranz, Regeln befolgen, Absprachen treffen und einhalten. Unter kulturpädagogischem Einsatz der Prinzipien des HipHop werden Multikulturalität, Toleranz und gegenseitiger Respekt gefördert. Ein weiteres Kernprinzip der Arbeit ist Partizipation: Beteiligung der Jugendlichen an allen wichtigen Entscheidungen, erlernen demokratischer Prinzipien. Auf künstlerischer Ebene werden den Jugendlichen neue alternative Techniken beigebracht. Schwerpunkte der einzelnen Einheiten sind Buchstaben und Figuren, Airbrush, Kalligraphie, Ölmalerei, Siebdruck, Linoleumdruck, Erstellen von Schablonen sowie die Herstellung von Leinwänden und Staffeleien. Das Fotolabor kann genutzt werden, ebenso digitale Photo- und Videobearbeitung. Des Weiteren bieten wir die Möglichkeit, in unseren eigenen kleinen „Hall of Fame“ (Graffiti-Wand) in Ruhe und in einem legalen Rahmen zu malen. Diese „Hall“ wurde teilweise zusammen mit den Jugendlichen gebaut und erweitert. Anfragen privater und gemeinnütziger Auftraggeber für Gestaltung von Wänden und Aktivitäten auf HipHopJams der anderen Netzwerkeinrichtungen ermöglichen es den jugendlichen Graffitimalern, sich und ihre Fähigkeiten weiterhin in einem legalen Rahmen zu verwirklichen und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.

Links MittwochsMaler Homepage: www.mittwochs-maler.de Fotolog der MittwochsMaler: www.fotolog.com/mittwochsmaler Homepage des HipHop-Projekts Nippes: www.hiphop-projekt.de

Best Practice | 29


Mädchenprojekte der Offenen Jazz Haus Schule Rainer Linke und Gabi Deeg

„Ziel unserer Mädchenarbeit ist es, die Teilnehmerinnen in ihrer Gesamtpersönlichkeit zu fördern“

Die Tradition der Mädchenarbeit reicht an der Offenen Jazz Haus Schule bis in die 80er Jahre zurück. Die Entscheidung, sich parteiisch für Mädchen einzusetzen, folgte der Beobachtung, dass in unseren musikalischen Früherziehungsgruppen die Zahl der Mädchen und Jungen ausgewogen war, wohingegen in den angebotenen TeenBands Mädchen nur noch vereinzelt anzutreffen waren. Damals begannen wir gezielt nach Musikerinnen zu suchen, die unsere Instrumental- und Bandarbeit betreuen könnten. Mit Freude konnten wir beobachten, dass der Mädchenanteil in den von Dozentinnen geleiteten Gruppen stark zunahm und sich vereinzelt sogar reine Mädchengruppen bildeten. Seit den 90er Jahren gehen wir in unseren soziokulturellen Mädchenprojekten einen Schritt weiter und wenden uns unter integrativer Zielsetzung spezifisch an Mädchen und junge Frauen aus sozial schwachem Umfeld. Ziel unserer Mädchenarbeit ist es, die TeilnehmerInnen in ihrer Gesamtpersönlichkeit zu fördern. Wir unterstützen sie in der Entwicklung ihres Wahrnehmungsund Ausdrucksvermögens, ihrer kommunikativen, künstlerischen und sozialen Kompetenzen, ihrer Werte und Einstellungen, ihres Selbstbewusstseins und ihrer Identität.

30 | Mädchenprojekte der Offenen Jazz Haus Schule

Die jährlichen Highlights unserer Mädchenarbeit sind von den Teilnehmerinnen selbst entwickelte MusikTanz-Theaterstücke bzw. HipHop-Musicals. Wir erreichen die Mädchen über unsere Kooperationspartner in den Stadtteilen: Schulen, Jugendeinrichtungen, Mädchenhäuser usw. Nach Ankündigung über Flyer, Presse und Mund-zu-Mund-Propaganda treffen sich alle Interessentinnen zu einem Casting und bewerben sich für einen der angebotenen Workshops, z.B. Band, Songwriting, Rap, Theater, Schreibwerkstatt, HipHopDance, Breakdance, DJing, Video, Foto oder auch Graffiti. An einem Musicalprojekt nehmen zwischen 40 und 80 Mädchen teil. Der Zulauf zu den Castings, über die wir dem Trend der Zeit folgend seit einigen Jahren den Zugang regeln, ist sehr rege. Wir hatten schon bis zu 200 Bewerberinnen für ein Projekt. Die Auswahl wird von den Dozentinnen getroffen. Gearbeitet wird niederschwellig und mit kulturpädagogischen Methoden. Dabei bringen die Mädchen ganz unterschiedliche Vorerfahrung ein, so dass in einem Projekt absolute „Neuankömmlinge“ neben „Alteingesessenen“ mit bereits hochentwickelter künstlerischer Kompetenz auf der Bühne stehen. Die Teilnehmerinnen treffen sich über drei bis vier Monate wöchentlich in ihren jeweiligen Workshops und entwickeln in einem künstlerisch-kreativen Prozess unterstützt von professionellen Künstlerinnen Aussagen und Inhalte ihres Musicals. Die Ergebnisse der zunächst parallel laufenden Workshoparbeit werden in der Schlussphase des Projekts unter der Regie der Theaterdozentin zu einem Gesamtablauf zusammengeführt und schließlich an einem zentralen kulturellen Ort in Köln uraufgeführt. Die Projekte sind verlaufs- und ergebnisorientiert. Im künstlerischen Prozess reflektieren die Teilnehmerinnen ihre Lebenswelt unter thematischen Vorgaben, sie diskutieren Lösungsansätze, entwickeln eigene Texte, Songs, Choreographien und Theaterszenen, feilen an der Ausführung und künstlerischen Umsetzung ihrer Ideen, schärfen dabei ihre Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit, lernen eigene Möglichkeiten und Grenzen kennen, artikulieren ihre Standpunkte, Hoffnungen und Ängste. Dabei werden die eingangs aufgelisteten Ziele im Verlauf des künstlerischen Gestaltungsprozesses oft quasi nebenbei erreicht. Im Ergebnis werden die Teilnehmerinnen zum Anwalt ihrer eigenen Sache, werden selbst aktiver Teil der freien kulturellen Szene, werden


bewegender Offenheit über ihre Gewalterfahrungen, Vernachlässigung und sexuellen Missbrauch sprach. Das Projekt erhielt das Jurylob des Jugendkulturpreises NRW 2004. • Mit dem Thema des Projektes „Hexen, Zicken, Biester“ (2004) traf die Offene Jazz Haus Schule bei den beteilig-ten Mädchen offensichtlich einen Nerv – hier wurden starke Frauen und die Repressionen, denen sie sich ausgesetzt sehen, beleuchtet. Erstmalig startete ein Mädchenprojekt mit einem Casting, zu dem sich fast 100 Bewerberinnen einfanden. 50 von ihnen entwickelten ein Bühnenstück, das einen Bogen vom Aufgreifen historischer Hexenverbrennung bis hin zu Situationen aus dem direkten und persönlichen Lebensumfeld der Mädchen schlug. • Beim Casting zum Mädchenprojekt 2005 – „Dann gehörst du dazu!“ – hatte sich die Zahl der Bewerberinnen fast verdoppelt. Von ca. 200 Mädchen und jungen Frauen wurden über 60 in die Workshoparbeit eingebunden. Sie entwickelten ein Stück zum Themenfeld Gruppendruck, Mobbing und gesellschaftliche Zwänge. Herausragend an diesem Projekt war das Zusammenspiel der verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen. So trug beispielsweise ein Mädchen zur live von der Band gespielten Musik einen selbstgeschriebenen Text über eine Mutprobe vor, der gleichzeitig mittels ausdrucksstarken Tanztheaters in Bewegungsbilder übertragen wurde.

selbst zu Künstlerinnen; d.h. sie beziehen Standpunkte und schaffen mit ihren künstlerischen Aussagen in einem kreativen Prozess Symbole, die ihnen selbst, aber auch ihren FreundInnen und Familien sowie dem Publikum Hilfestellung und Orientierung zur Lebensbewältigung bieten. Dies alles in einem geschützten Raum, unterstützt von Dozentinnen, die ihnen als direktes Vorbild Rückhalt und Mut geben, neue Wege zu beschreiten. Abschließend sei erwähnt, dass die Mädchen vom Publikum stets begeistert gefeiert wurden und damit über die künstlerische Arbeit Bestätigung und Anerkennung finden. Dafür sind sie bereit, freiwillig über mehrere Monate intensiv zu arbeiten. Alle Erfahrungen, Erlebnisse, Lernprozesse und gewonnenen Wertepositionen führen zu Eindrücken, die langfristig – vielleicht ein Leben lang – nachwirken. Nachfolgend noch einige konkrete Beispiele von Mädchenprojekten der letzten Jahre: • Bereits 1999 thematisierten junge Musliminnen im Projekt „BasTuch – das Kopftuch“ ihre lebensweltlichen Erfahrungen und präsentierten die Ergebnisse in der Alten Feuerwache Köln einem begeisterten Publikum. • Wie falsch Jungen mit ihrer Einschätzung des weiblichen Geschlechts liegen können, zeigte sich im Laufe des Projektes „Schäl Sick Sistaz – Say no!“ (2001). Den Worten eines Mitschülers, als er erfuhr, dass die Workshops nur Mädchen offen standen – „Das können Mädchen doch gar nicht! Das wollen die auch nicht!“ – setzten 40 Teilnehmerinnen nach drei Monaten eine mitreißende Tanz-Theater-Musik-Performance zum Thema Abgrenzung und Selbstbehauptung entgegen. • Das Nachfolgeprojekt „Schäl Sick Sistaz – Raus hier!“ (2003) wurde auf Anregung einer Teilnehmerin konzipiert und beschäftigte sich mit der Ablösung aus dem Elternhaus. Teil des am Ende des Projektes aufgeführten Bühnenstückes war eine eindringliche authentische Film-Dokumentation, in der eine Teilnehmerin mit

Gabi Deeg Jahrgang 1969, Magisterabschluss in Sprachund Kulturwissenschaften an der Universität zu Köln, seit 2001 Leiterin des Projektbereiches der Offenen Jazz Haus Schule. Verantwortlich für die Durchführung verschiedenster soziokultureller Projekte: HipHop-Musicals, Competitions, mobile Workshopangebote an Schulen und Jugendzentren regional und überregional. In ihrer Freizeit spielt sie Perkussion in der Mittelalterband „Alavia“ und steht mit ihrem Improvisationstheater-Ensemble „Taubenhaucher“ auf der Bühne. Kontakt: www.jazzhausschule.de projekte@jazzhausschule.de

Rainer Linke Jahrgang 1950, Initiator und Leiter der Offenen Jazz Haus Schule Köln. Studierte an der Musikhochschule Köln Schulmusik und Instrumentalpädagogik Kontrabass. Internationale Konzerttätigkeit als freischaffender Musiker im Bereich Jazz und Improvisierte Musik; zahlreiche Platten und CD-Veröffentlichungen; Dozent an der Musikhochschule Köln, 1979-1994 für Jazzkontrabass und seit 2006 für Musikpädagogik. Seit 1980 konzeptionelle pädagogische Tätigkeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Kontakt: www.jazzhausschule.de

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pop@rena — Musikvideos für’s WWW Lisette Reuter

„Jugendliche aus verschiedenen Orten und jugendkulturellen Szenen erwerben spielerisch-gestalterisch Medienkompetenz“

Jugendliche aus verschiedenen Orten und jugendkulturellen Szenen erwerben spielerisch-gestalterisch Medienkompetenz bei der Produktion von Videoclips zu Musikstücken von lokalen jungen MusikerInnen und Bands. Zum Abschluss gibt es ein gemeinsames Konzert mit Videoscreening. Das Projekt ist eingebettet in ein internationales Online-Musikvideo-Netzwerk.

– Internationaler und interkultureller Austausch über die internationale Musikvideo-Plattform www.poparena.net – Einrichtungen und Netzwerke mit den Schwerpunkten Jugendkultur/Musik einerseits und Medienarbeit andererseits zusammenbringen – Das öffentliche Bild von der Zielgruppe positiv korrigieren

Von Finnland lernen heißt filmen lernen

In der Startphase des Pop@rena-Projekts im September 2006 werden zunächst lokale Kooperationspartner gesucht, die erstens mit passenden Zielgruppen arbeiten und die zweitens intensiv jugendkulturelle Musikarbeit betreiben bzw. Kontakte zu einschlägigen Einrichtungen haben. Gefunden werden sieben Partner: der Offene Kanal Bielefeld (Kanal21), das Music-Office Hagen (in Trägerschaft der eSw), die HipHop-Highschool Solingen, das Jugendkulturzentrum „Die Volksschule“ Moers, das Jugendzentrum „Kontakt Erfttal“ Neuss, die Rockstation im Bürgerzentrum Köln-Vingst und die OT Luckys Haus in Köln-Bilderstöckchen. Drei der Einrichtungen sind völlig neue Partner für den JFC, nichtsdestotrotz funktioniert die Kooperation überall gut.

In den Projekten des JFC Medienzentrums seit den 90er Jahren hat sich die Kombination von Jugendkultur und Medienarbeit als fruchtbar erwiesen, um Jugendliche für Medien zu begeistern und so Medienbildung zu vermitteln. Musikvideos sind dafür besonders geeignet: Das Format ist allgemein bekannt, bietet große Freiräume im Visuellen, lässt sich in begrenzter Zeit gut umsetzen (auch Profiproduktionen werden oft binnen zwei Tagen – Dreh plus Postproduktion – fertig gestellt), verknüpft eng mediale und jugendkulturelle Aspekte und ist auch für den internationalen Austausch gut geeignet, da die sprachliche Komponente hier nur eine Nebenrolle spielt. In der Kölner Partnerstadt Turku wird seit einiger Zeit eine sehr aktive Medienarbeit im Musikvideobereich betrieben, vor allem mit Bands aus dem Punk-, Rockund Heavy-Bereich. Das Jugendamt der finnischen Stadt nahm über die Fachstelle für internationale Jugendarbeit des Kölner Jugendamts 2005 Kontakt zum JFC Medienzentrum auf, um eine Kooperation in diesem Bereich anzuregen. Die Kollegen aus Turku beantragten dann 2006 eine Förderung für ein kleines internationales Netzwerk-Projekt beim EU-Aktionsprogramm JUGEND – mit dabei auch die Stadt Łód´z(Polen) und die Modern Soul Academy Stockholm. Mit Unterstützung des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW konnte das Projekt hier in recht umfangreicher Form realisiert werden.Die Hauptziele des Musikvideo-Medienkompetenz-Modellprojekts Pop@rena: Musikvideos fürs WWW, dass der JFC im zweiten Halbjahr 2006 durchführte, sind: – Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren mit und ohne Migrationshintergrund für aktive Medienarbeit gewinnen – Musikvideoproduktionen in mindestens 6 verschiedenen Jugendeinrichtungen NRW-weit – Vermittlung gestalterischer Medienkompetenzen auf professionellem Level an jugendliche TeilnehmerInnen

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Von Bilderstöckchen bis Bielefeld


Vor Ort finden zunächst Vorgespräche statt, dann in der Regel ein oder zwei Drehtage – jeweils mit einer Band oder Crew und einer ad-hoc-Mediengruppe aus der Einrichtung, die begleitet von zwei JFC-ReferentInnen Kamera und Licht übernimmt. Anschließend gibt es noch ein oder zwei Postproduktionstage nur mit der Mediengruppe. Für interessierte und talentierte Teilnehmer werden verschiedene Folgeaktivitäten angeboten, von der Mitarbeit als „Pate“ bei den Projekttagen in anderen Einrichtungen bis hin zur Teilnahme an weiteren Projekten (z.B. bei Different Roots – Common Routes). Stilistisch ist die Bandbreite groß: In Bielefeld entsteht ein klassisches Pop-Rock-Bandvideo, in Bilderstöckchen ein in Sepia-Tönen gehaltenes düsteres Rapvideo mit schwarzen BMWs und Graffiti-besprühten ehemaligen Fabrikgeländen. Die Moerser setzen ihren Polit-Ska-PunkSong auf Bauwagenplätzen und Weihnachtsmärkten in Szene, aus Solingen kommt eine Rap-Soul-Ballade, die im Video vorwiegend mit erzählenden Bildern umgesetzt wird. Die Neusser Deutschrocker zeigen sich im Niederrheinischen Flachland, aber auch in Musikgeschäften, Fitnessstudios und live auf der Bühne; dagegen setzen die Hagener HipHopper betont urbane Akzente, mit Breakdance und Feuerspucken in der Unterführung. Aus Köln-Vingst kommt die erst kürzlich gegründete Crossover-Band V-Attakk, die Rap mit harten Bandklängen mischt und das Rheinufer als Kulisse für ihren Anti-Kriegs-Song nutzt, aber auch in Ruinen und auf dem Dach einer Litfasssäule musiziert.

pop@rena live! Am 10. Dezember ist es dann soweit: Alle Videos sind geschnitten, und alle ProjektteilnehmerInnen werden zu einem der technisch aufwändigsten Projekte in der Geschichte des JFC Medienzentrum eingeladen: Im Foyer des Kölner Filmhauses treten alle sieben Bands und Crews aus dem Projekt live auf, werden dabei mit mehreren Kameras gefilmt und als Livestream auf www. poparena.net übertragen. So zumindest die Planung – aufgrund technischer Schwierigkeiten kriegen die Internet-Zuschauer alle Auftritte mit einer guten hal-

ben Stunde Verspätung zu sehen. Zwischen den LivePerformances werden in zwei Blöcken die sieben Musikvideos auf der großen Leinwand des FilmhausKinos präsentiert. Trotz technischer Probleme wird der Event zu einem vollen Erfolg: Die Jugendlichen aus den unterschiedlichen jugendkulturellen Szenen haben meistenteils Spaß miteinander, und wenn jemand eine Musikrichtung gar nicht ertragen kann, verlässt er halt solange den Saal. Spät am Abend leert sich dann der Saal; zum Abschluss der Projektphase wird noch eine Doppel-DVD mit allen Musikvideos und dem kompletten pop@rena-Livekonzert produziert und an alle TeilnehmerInnen verteilt.

DVD Siehe Musikvideos von Free Kings, 3 Wege Soundsystem und V-Attakk auf beiliegender DVD

Aufbauend aus den Erfahrungen aus diesem Projekt und den vorangegangenen Städteprojekten Wo bleibst Du Denn?!, Wahlkanal und Urban Culture 2005 wird im JFC Medienzentrum gegenwärtig ein Konzept für ein größeres Web-TV-Projekt unter dem Namen Roots&Routes TV entwickelt: Jugendredaktionen in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens, ggf. auch international, stellen in regelmäßigen Web-TV-Magazinsendungen jugendkulturelle Aktivitäten in ihrer Stadt vor; dazu kommen Ferienaktionen mit Musikvideoproduktionen.

Lisette Reuter Jahrgang 1979, seit 1998 Mitarbeiterin des Arbeitskreises Öffentlichkeitsarbeit und verschiedene Referententätigkeiten beim Sommertheater Pusteblume. Seit 2005 freie Mitarbeiterin und Projektmitarbeiterin des JFC Medienzentrum Köln im Bereich Video- und Multimediaarbeit sowie internationale Jugendmedienarbeit. Projektleitung „pop@rena - Musikvideos fürs WWW“. Studium des Lehramtes für Sonderpädagogik Sek. I sowie Studium der Diplompädagogik mit Schwerpunkt Sozialpädagogik in Köln abgeschlossen. Kontakt: lisette@jfc.info

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sCOOL-HITs — Popmusik und Kreativität, die Schule macht Markus Brachtendorf

„Die Welt ist hart, doch jeder geht seinen Weg, jeder hat seinen Part. Die Welt ist hart, ich geb dir einen Rat, komm mit ihr klar auf deine eigene Art“, so resümiert die USG Crew in ihrem gleichnamigen HipHop-Track über den Alltag und das Sich-zurecht-finden in ihrer (Förderschul-)Realität. Diese und andere Botschaften sind nachzuhören auf der CD sCOOL-HITs Nr. 5 und nicht das erste Statement, welches die fünf Jungs aus Leverkusen-Opladen auf die regionale Öffentlichkeit abfeuern. (www.myspace.com/usgcrew)

sCOOL-HITs in Leverkusen Schon seit 2000 schreiben und produzieren an zwei Leverkusener Förderschulen jährlich gut 50-60 Schüler mit Unterstützung kompetenter Musikpädagogen ihre eigenen Songs. So entstanden bis heute bereits sechs sCOOL-HITs-Compilations. sCOOL-HITs ist aber nicht nur der Name einer CD-Reihe. Es ist auch Synonym für die kreative Songwriting-Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die mein Kollege Thorsten Neubert und ich, beide studierte Sonderpädagogen und aktive Musiker und Produzenten, zunächst aus der Arbeit im Rahmen einer musiktherapeutischen Förder-

maßnahme heraus seit Ende der Neunziger Jahre stetig weiterentwickeln. Aus dem Wunsch und dem Anspruch heraus, „die Schüler abzuholen wo sie sind“, begannen wir nach Versuchen mit eher herkömmlichen Spielarten des Musikunterrichts damit, uns gemeinsam mit den Schülern eigene Popsongs auszudenken. Wichtige Themen, die die Schüler betreffen und die ihnen quasi unter den Nägeln brennen, gibt’s zur genüge. Dauerbrenner sind z.B. Liebe, Drogen, Gewalt; aber auch ganz Persönliches und manchmal Probleme oder Ängste der Schüler finden den Weg in die Songs. Wir machen uns dabei die Tatsache zunutze, dass die Lebenswelt der Jugendlichen mit ihrer Wahrnehmung und ihrer Weltsicht ganz automatisch tief in der Popkultur und deren Ästhetik verwurzelt sind. Die Rahmenbedingungen für Popmusik-Songwriting sind also ideal, weil sie direkt mit dem Leben der meisten Kids verbunden sind. Sie alle hören Popmusik, warum also nicht einfach mal selber machen? Außerdem können wir so unsere eigene Leidenschaft für das Musikmachen mit unseren Schülern teilen. Dabei entstehen Synergien, und das schafft Authentizität. Der gesamte Prozess und die Songs, die im Rahmen der sCOOL-HITs-Arbeit entstehen, geben den Schülern die Möglichkeit, sich durch Musik auszudrücken. So schaffen wir auch gerade bei den Förderschülern, die oft aus sozial benachteiligten Umfeldern oder aus problematischen Familienverhältnissen stammen, Möglichkeiten, sich neue kreative Ventile für alles zwischen „Hop oder Top“ zu erarbeiten. Ganz nebenbei schärfen wir mit der Arbeit ihren Blick auf die Popkultur und werden zunehmend Zeuge davon, wie sich ihre Rezeption ihrer Realität und der Musik, deren Botschaften sie täglich konsumieren, weiterentwickelt und differenziert. Wichtiger als künstlerische Gesichtspunkte ist dabei die Erfahrung, dass sCOOL-HITs vor allem mittel- und langfristig spürbar positiven Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung und das Selbstwertgefühl vieler Schüler nimmt. Die Identifikation mit den selbst geschriebenen Tracks und deren Inhalten, zusammen mit der Möglichkeit, diese bei Konzerten und auf CDs der Öffentlichkeit zu präsentieren, verlangt zunächst viel Überwindung, verschafft aber anschließend auch viel Anerkennung und Genugtuung. Das gesamte Projekt, vom regelmäßigen Songwriting

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über Proben und Auftritte bis hin zur CD-Produktion und deren Veröffentlichung im regionalen Rahmen, schafft Raum für Kommunikation und Kooperation zwischen Schülern, Lehrern und Eltern und hat im Laufe der vergangenen Jahre dazu beigetragen, dass Klima an den beteiligten Schulen spürbar positiv zu beeinflussen.

sCOOL HITs aktuell Im Jahr 2007 kann das Projekt in Kooperation mit der Musikschule Leverkusen mit Landesmitteln auf drei von vier Hauptschulen der Stadt ausgedehnt werden. Auch an diesen Schulen wird bis Ende des Jahres Songwriting und Musikproduktion – und damit auch ein bisschen kreative Selbstverwirklichung der Schüler – mit drei Wochenstunden zum Unterrichtsinhalt. Gipfeln werden diese Aktivitäten einerseits in Aufnahmetagen im professionellen Tonstudio und andererseits in der Produktion der CD und deren Präsentationskonzert im renommierten Leverkusener Forum (Ort der Leverkusener Jazztage) am Ende des Jahres. Die Leverkusener sCOOL-HITs in Zahlen: 2007 arbeiten derzeit zwei Dozenten mit gut 100 Haupt- und Förderschülern in knapp 20 Bands an ca. 40 selbstgeschrieben Songs, die im Laufe des Jahres auf zwei professionell produzierten CDs und diversen Konzerten der regionalen Öffentlichkeit präsentiert werden können. Abseits dieser langfristigen Perspektiven freuen wir uns seit 2001 zunehmend über die Möglichkeit, vielen Kindern und Jugendlichen sCOOL-HITs und damit Popmusik und Kreativität auch im Rahmen von Projektwochen oder Workshops unterschiedlichster Schattierungen zugänglich machen zu können. So konnten wir neben Dozenten für Tanz, Eventmanagement, Medien und Moderation als Musikproduzenten im Team der SchoolTour der Deutschen Phonoakademie bereits an vielen Schulen quer durch die Republik kreativ werden, darunter auch die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln.

Markus „Be“ Brachtendorf Jahrgang 1972, Sonderpädagoge, Musiker und Produzent. Seit 2000 Musikschullehrer der Musikschule Leverkusen, daneben Inhaber des „Tonstudio Be“ (Köln-Deutz, tonstudiobe.de), des angeschlossenen Labels „Jigit! Records“ und des „Be Publishing“ Musikverlages. Als Musiker und Künstler zahlreiche CDVeröffentlichungen und gut 500 Konzerte im In- und Ausland in den vergangenen 15 Jahren. Als Pädagoge Konzeption und Durchführung zahlreicher Popmusikprojekte und -workshops unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung an sämtlichen Schulformen bis hin zur Lehrerfortbildung. Kontakt: m.brachtendorf@scool-hits.de

Häufig gibt es auch thematisch ausgerichtete Songwritingprojekte, z.B. im Kontext von Kulturbegegnung und Migration (so die Projekte ORIENTierung, www.orientierung2005.de, und Sesam öffne Dich im Rahmen der Kinder und Jugendbuchmesse Oldenburg). Außerdem haben wir mittlerweile andere Medien wie Video und Internet in die Arbeit integriert und können so z.B. gemeinsam mit den Schülern Videoclips zu ihren eigenen Songs produzieren. Im Zentrum von sCOOL-HITs stehen aber immer die Meinungen und Themen der Schüler und der kreative Umgang damit mit Hilfe des Mediums Musik: Kreativität, die Schule macht und Schule kreativ macht; somit ein kleiner Baustein, der vielen Schülern positive Erfahrungen und Impulse für die „Bühne des Lebens“ und die Zukunft mit auf den Weg gibt.

„Im Zentrum von sCOOL-HITs stehen immer die Meinungen und Themen der Schüler und der kreative Umgang damit“

Links „sCOOLe“ Beispielmusik und Videos gibt’s unter www.scool-hits.de, www.myspace.com/scoolhits oder aber auch käuflich auf den sCOOL-HITs CDs im Netz unter www.KaDeBe.com.

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Von BandWatch und MusicWatch zu popUP NRW Renato Liermann

Junge Bands fördern und fordern, das heißt für unsere Zielgruppe: – Stärken und Schwächen, die eigene Position im Musikund Medienbusiness, Konzepte und Ziele für die Band klären; – mit einem guten Gefühl und Neugier nach MusicWatch/ popUP NRW wieder in den Proberaum und auf Tournee gehen; – Netzwerke unter den Bands, mit Musikinitiativen, Veranstaltern, Musik- und Medienwirtschaft bilden; – endlich vom Publikum, den Medien und einem Majorlabel mit Begeisterung wahrgenommen werden, die Musik vielleicht zum Beruf machen können; – und sich wie in den letzten Jahren z.B. Tapesh, Lecker Sachen, Tengu oder Uncle Ho nach vorne zu bringen. In diesem Sinne realisiert die eSw (Evangelische Schülerinnen- und Schülerarbeit in Westfalen e.V.) seit 1992 zusammen mit der jetzigen Arbeitsgemeinschaft MusicWatch umfangreiche Förderprojekte für Nachwuchsgruppen sämtlicher Stilrichtungen in NRW. Über 1500 junge Rock-, Pop- und HipHop-MusikerInnen wurden seitdem in Workshops, bei Konzerten und in Beratungsprozessen gefördert und gefordert und z. T. auch im Rahmen internationaler Musikprojekte auf Tournee vor allem in Osteuropa geschickt.

Die Besonderheit dieses Projektes, das ausdifferenzierte und mittlerweile ganzjährige Qualifizierungsund Auftrittsprogramm, prägt zudem ein landesweites Netzwerk mit kommunalen und verbandlichen Partnern wie der Stadt Bochum und der eSw, zahlreichen Musikinitiativen wie Ruhrklang oder Triggerfish und Jugendkulturhäusern wie dem Kultopia in Hagen. Junge MusikerInnen bestimmen hier gemeinsam mit Profis aus Bildungsarbeit und Musikbusiness, wo es langgehen soll. Das Konzept dient seit Jahren als Vorbild für zahlreiche kleinere Projekte.

BandWatch und HipHopWatch … … konzentrierten sich seit 1992 bzw. 1998 auf die Förderung von Rock- bzw. HipHop-Crews – mit Einstiegskonzerten, Workshops in der Jugendbildungsstätte Berchum der eSw, Konzerten in namhaften Clubs im Ruhrgebiet wie der Zeche Bochum oder dem Globe/Kultopia in Hagen und deren Auswertung mittels Videomitschnitten. Angeboten wurden darüber hinaus ergänzende Konzerte und einige Beratungen, ab Ende der 1990er Jahre auch ein Coaching für 1-2 Bands im Anschluss an die Projektwochenenden durch das Music Office Hagen (in Trägerschaft der eSw) für Rock- oder durch die Guru Music School Bochum für HipHop-Gruppen.

MusicWatch … … weitete diese Konzeption 2004 schließlich durch umfangreiches Bandtraining/Coaching erstmals zu einem ganzjährigen Qualifizierungsprozess bis hin zum Finalkonzert im Bahnhof Langendreer/Bochum aus. Nach der Ausschreibungsphase und der Vorbereitung der von der Jury ausgewählten Ban ds startete MusicWatch mit den Projektwochenenden BandWatch, HipHopWatch und BeatWatch im Laufe des Frühjahrs 2004. Mit BeatWatch wurden erstmals auch elektronische Musikprojekte gezielt gefördert. Die Projektwochenenden in der Jugendbildungsstätte Berchum starteten Freitagabends mit Gigs und Interviews aller Gruppen, dann folgten Workshops zu Themen wie Arrangement, Songwriting/Lyrics, Vocals, Management/Marketing/e-Commerce, PR/Öffentlichkeitsarbeit, Produktion/Recording, Performance und VJing. Die Konzerte an den Samstagabenden wurden jeweils auf Video mitgeschnitten und bildeten die Grundlage

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für eine umfangreiche Beratung am Sonntag. Die späten Abende prägten Session- und Open-Space-Angebote und vor allem das Nachtcafe in der JuBi Berchum: Chancen, Profis aus dem Musikbiz und die anderen Bands kennen zu lernen, Diskussionen oft bis in den frühen Morgen, immer wieder Kontakte für die nächsten Jahre. Aus diesen Wochenenden gingen dann die MasterClass-Bands hervor, die an einem mehrmonatigen Bandtraining teilnahmen und sich abschließend dem NRW-Publikum präsentierten. 2005 wurde erstmals in das Projekt MusicWatch die Ausbildung von MusicScouts integriert. Damit wurde nach vielen Jahren Aufbauarbeit ein Höhepunkt in der Populärmusikförderung in NRW erreicht, obwohl aufgrund der geringeren Förderung BeatWatch leider entfallen musste. Erstmals qualifizierten sich nicht nur MusikerInnen, sondern auch Bandmanager der Nachwuchsbands, junge Veranstalter und Musikbegeisterte aus Musikinitiativen für ihre Arbeit in einem ganzjährigen Projekt weiter. Als innovatives und ergänzendes Projekt realisierten die MusicScouts eigenständig den Wettbewerb Beatvision mit ergänzenden Workshops und Gigs in Hagen. Die Ausbildung der MusicScouts wurde im Rahmen des Kompetenznachweises Kultur der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung zertifiziert. Die MusicScoutAusbildung umfasste Workshopeinheiten mit Praxisund Theorieteil zu Themen wie Öffentlichkeitsarbeit, Management, Marketing, Finanzierung, Umsetzung von Workshop-, Projekt-, Konzert- und Bandberatungskonzepten, Grundzüge der Musik- und Medienwirtschaft, Recht sowie Durchführung von Großveranstaltungen wie „Bochum Total“. Die MasterClass-Phase bildet seit 2004 das Kernstück der Qualifizierungsarbeit. Jeweils zwei Bands werden hier von einem Bandtrainer gecoacht. Ausgehend von den Ergebnissen des Projektwochenendes werden dabei anhand ausgiebiger Stärken- und Schwächenanalysen Pläne für die Arbeit bis Ende des Jahres aufgestellt. Thematisiert werden an ca. 6 Arbeitstagen mit jeder Band spieltechnisch-musikalische Fragen, Arrangement und Songwritingaspekte, Auftritts- und Konzertkonzepte, die Öffentlichkeitsarbeit der Bands bis hin zur Klärung des Bandkonzepts und weiterer Arbeitsziele – eine harte Zeit, verbunden mit „Hausaufgaben“ und Auftritten in ganz NRW. Manche Band steht das nicht durch, formiert sich im Laufe dieses Prozesses neu; andere laufen zu Hochform auf, verhandeln schließlich – vermittelt durch das Dozententeam – mit Labels und bringen ihre ersten Fernsehauftritte hinter sich. Förderer waren 2005 die Staatskanzlei und das Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, die eSw mit ihrem Projekt Music Office Hagen, das Kulturbüro der Stadt Bochum, das Kulturamt und Jugendamt der Stadt Hagen sowie die Evangelische Kirche von Westfalen. Als DozentInnen konnten in den letzten Jahren z.B. Stephan Laack (Musikchef 1Live), Markus Balk und Frank Kühl (Majorlabel), Pamela Falcon (Leadsängering Starlight Express) und Bernd Aufermann (Gitarrist u. a. bei Running Wild und Angel Dust) gewonnen werden.

popUP NRW … … ist seit 2006 das ganzjährige Förderprogramm in Nachfolge von Triebwerk und MusicWatch. Träger ist das NRW-KULTURsekretariat in Wuppertal. Wie MusicWatch verbindet popUP NRW Gigs, Workshops und Beratungen an 2 Projektwochenenden. Eine mehrmonatige MasterClass und ein NRW-weites Auftrittsnetzwerk mit zahl-

reichen Regionalpartnern, Auftritte bei Bochum Total, bei den großen Festivals in Köln und Bonn kommen hinzu. popUP NRW wurde 2005 gemeinsam mit dem Kulturbüro der Stadt Bochum, dem Kulturamt der Stadt Hagen, der eSw Hagen sowie dem Rock’n’Popmuseum Gronau als landesweites Rock’n’Pop Förderprojekt für junge Bands und Musiker entwickelt. Als Pate des Projekts konnte Henning Rümenapp, Gitarrist der Erfolgsband Guano Apes, gewonnen werden. Persönlichkeiten wie Dieter Gorny, Peter James oder Björn Gralla prägten die Jury. Teilnehmen können heute Bands mit einem Durchschnittsalter von max. 27 Jahren, dem Wohn- bzw. Arbeitssitz in NRW sowie Auftrittserfahrungen, der Begeisterung, dazu lernen zu wollen, und den Ressourcen, ggf. das ganzjährige Projekt durchstehen zu können.

Renato Liermann Jahrgang 1956, ist Leiter der Pädagogischen Abteilung der eSw und stellvertretender Hausleiter der Jugendbildungsstätte Berchum. Studium der Bildenden Kunst/2. Staatsexamen Lehramt Sek II, Kompaktstudium Betriebswirtschaft, seit 1986 zahlreiche Kulturprojekte für Verbände, Museen, Kommunen in NRW, seit 1989 für die eSw Projekt- und Tagungsarbeit in den Bereichen Jugendbildung, Kultur- und Musikarbeit, schulund jugendarbeitsbezogene Tagungs- und Fortbildungsarbeit und internationale Projekte. Mitglied der AG MusicWatch und Mitveranstalter popUP NRW. Kontakt: Fon: 02334/9610-0 www.esw-berchum.de www.musicoffice-hagen.de liermann@esw-berchum.de

Kontakt popUP NRW: NRW KULTURsekretariat Barbara Sydow Fon: 0202/563 68 03 www.popup-nrw.de sydow@popup-nrw.de

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Das HipHopMobil unterwegs für Respekt und Toleranz Uwe Ihlau

Das Jugendkulturprojekt HipHopMobil der Evangelischen Jugend Dortmund und Lünen hat im Großraum Dortmund über 5 Jahre mehrere hundert Jugendliche erreicht. Von 2001 bis 2005 war es auf öffentlichen Plätzen und jugendspezifischen Orten präsent. Im Laufe der Jahre sind mehrere Produktionen entstanden. Diese gelungene Mischung von niederschwelligen Angeboten und produktorientiertem, künstlerischem Arbeiten wurde mit mehreren Preisen belohnt.

Die Idee Das HipHopMobil war ein mit mobiler Tontechnik ausgestatteter Bulli, der für jeweils einen Nachmittag oder Abend Station auf unterschiedlichen öffentlichen Plätzen, bei Jugendeinrichtungen oder in Schulen machte. Ein Musiker bot, unterstützt von einem Pädagogen, offene Rapworkshops an, die Jugendliche zum Mitmachen beim „Freestyle“ und zum Texte schreiben animierten. Ein Forum für Breakdancer rundete das Projekt ab.

Die Ziele

„Im Mittelpunkt der textlichen Arbeit standen die Themen Respekt und Toleranz“

Die Angebote des HipHopMobils waren so gestaltet, dass die Hemmschwellen sich einzubringen möglichst niedrig waren. Damit sollte sichergestellt werden, dass möglichst viele Jungendliche mit diesem Angebot erreicht werden konnten. Die Jugendlichen erhielten die Möglichkeit, sich spontan oder mit vorbereiteten Texten zu äußern und so ihrem Lebensgefühl und den sie beschäftigenden Themen Ausdruck zu verleihen. Im Mittelpunkt der textlichen Arbeit standen die Themen „Respekt“ und „Toleranz“. Die teilnehmenden Jugendlichen lernten ihre kreativen Möglichkeiten an den Plattentellern, am Mikrofon, beim Breakdance oder ggf. beim legalen Sprayen eines Graffitis kennen. Sie erlernten so neue Ausdrucksformen oder vertieften ihre bestehenden Fertigkeiten.

Die Erfahrungen Eine wichtige Grundbedingung zum Gelingen des Projektes war, dass der Musiker (der künstlerische Leiter) und die beiden Pädagogen (die Projektleiter) gut miteinander harmonierten. Dies bedeutet einerseits, dass der Musiker hinter den Zielen und dem Leitbild der Einrichtung, in diesem Fall der Evangelischen Jugend, stehen sollte. Andererseits müssen sich die Pädagogen auch auf die pädagogische Fähigkeiten des Musikers verlassen können. Die Arbeitsteilung in Projektleitung und künstlerische

38 | Das HipHopMobil - unterwegs für Respekt und Toleranz

Leitung hat sich bewährt. Wenn das Klima zwischen den beteiligten Partnern stimmt, führt diese Arbeitsteilung zu einem sehr effizienten Projektmanagement: Jeder macht das, was er am Besten kann. Der Musiker hat die künstlerischen Ideen, der Pädagoge hat die Umsetzung und die Rahmenbedingungen im Griff. Er kümmert sich beispielsweise um die Mittelbeschaffung für das nächste Projekt, um die Abrechnungen und die Öffentlichkeitsarbeit. Eine Herausforderung, insbesondere für den Musiker, bestand in der Bereitschaft, immer wieder von vorne anzufangen. Gegen Ende des Projektes wurde deutlich, dass sich der Musiker während der Jahre auch künstlerisch weiterentwickelt hatte. Es fiel ihm zusehends schwerer, sich immer wieder neu auf unerfahrene Jugendliche einzulassen und alles wieder und wieder neu zu erklären. Es deutete sich an, dass ein Wechsel in dieser Rolle des „Animators“ und „Geburtshelfers“ nach fünf Jahren sinnvoll gewesen wäre. Ein weiterer wichtiger Aspekt war das Bemühen, den Jungendlichen, die wir durch die niederschwelligen Angebote in den Workshops neu erreicht hatten, stets eine Perspektive anbieten zu können, sich innerhalb des Projektrahmens HipHopMobil musikalisch zu verwirklichen. Dazu war es von Seiten der Projektleitung nötig, immer wieder


neue Geldquellen für neue Produktionen zu erschließen und viele Projektanträge auf unterschiedlichen Ebenen zu stellen. Die kreativen Ideen, welche neuen Produktionen dies seine konnten, kamen oft von Seiten des Musikers. So entstanden nach dem Vinyl-Sampler „HipHopMobil – Volume 1“ eine CD mit dem Titel „Stop the Violence“ und ein HipHop-Hörspielprojekt, das die Lebensgefühle von jugendlichen HipHoppern schildert. Außerdem traten viele Jugendliche mit ihren Songs live auf einer Reihe von Veranstaltungen auf. Die Einbindung etablierter Künstler in das Jugendkulturprojekt war ein zusätzlicher wichtiger Erfolgsfaktor. Für den ersten Sampler konnten z. B. Too Strong aus Dortmund gewonnen werden. Sie steuerten einen Song zu der Platte bei und motivierten die Jugendlichen so zusätzlich. Highlights waren sicherlich die Würdigung des Projektes durch die Landesarbeitsgemeinschaft Kulturpädagogischer Dienste im Rahmen der Preisvergabe des Jugendkulturpreises NRW und die Preisverleihung des Landesverbandes der Evangelischen Jugend von Westfalen beim Jugendkulturpreis der aej-nrw. Diese Preise waren besonders gegenüber dem eigenen Träger wichtig, um die Priorität dieses Projektes bei der internen Mittelvergabe zu unterstreichen.

Uwe Ihlau Jahrgang 1964, ist Diplom Sozialpädagoge (Schwerpunkt Kulturpädagogik), Spiel- und Theaterpädagoge (ags), Medienberater (Akademie Remscheid), Deeskalationstrainer und Lehrtrainer (Gewaltakademie Villigst). Seit 2005 arbeitet er bei der FUMA Fachstelle Gender NRW mit den Schwerpunkten Fachberatung zur Jungenarbeit und zum Gender Mainstreaming. Seine berufliche Lauf bahn begann beim Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen im Referat Kulturarbeit. Als Jugendbildungsreferent hat er 12 Jahre bei der Evangelischen Kirche in Dortmund und Lünen mit den Schwerpunkten Bildungsarbeit, Fachberatung, Öffentlichkeitsarbeit und Projektentwicklung gearbeitet. Kontakt: Uwe Ihlau Referent für Jungenarbeit und Gender Mainstreaming FUMA Fachstelle Gender NRW Fon: 0201/1820550 www.gender–nrw.de uwe.ihlau@gender-nrw.de

Der geschlechtsspezifische Blick Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in der Nutzung der Angebote des HipHopMobils wurden auf mehreren Ebenen deutlich. Bei den offenen HipHop Workshops in Jugendzentren dominierten häufig Jungen die Szene. Sie zeigten im Durchschnitt deutlich weniger Hemmungen ins Mikrofon zu rappen oder mit den Turntables zu scratchen. Auch beim Breaken waren sie schneller bereit, ihr Können zu zeigen. Bei der Arbeit an neuen Texten bzw. Reimen zeigten sich Mädchen dann ebenso kreativ wie die Jungen. Dies wurde insbesondere im Rahmen von Workshops an Schulen schnell deutlich. In diesen eher „geordneten“ Strukturen der Schulklasse schien es für die Mädchen schneller möglich zu sein, einen gleichberechtigten Platz einzunehmen. Rückblickend bleibt selbstkritisch zu sagen, dass wir zu Beginn des Projektes den Geschlechter-Blick nicht genügend berücksichtigt hatten. Wir waren einfach nur froh, in relativ kurzer Zeit genügend engagierte und motivierte Jugendliche zu finden, die sich an unserem ersten Sampler-Projekt beteiligen wollten. Durch die „Genderbrille“ betrachtet gelang es uns nicht, frühzeitig

auch Mädchen für diese Produktion zu gewinnen. So finden sich auf diesem für die Weiterentwicklung des Projektes sehr wichtigem Produkt „nur“ Jungen und Männer. Sicherlich spielte die Tatsache, dass im Team des HipHopMobils keine Frau vertreten war, eine wichtige Rolle. Diese ungleiche Geschlechterverteilung konnte leider in den 5 Jahren nicht verändert werden, da es nicht gelang, Frauen bzw. Mädchen mit in die Anleiterrolle zu bekommen. Um den Anteil der Mädchen an den aktiven Musikern deutlich zu erhöhen entstand dann die Idee, einen eigenen Mädchensampler zu produzieren. Diese Idee konnte allerdings leider nicht mehr realisiert werden. Ärgerlich war eine Erfahrung, die wir unter dem Gendergesichtspunkt mit einem WDR-Filmteam sammeln konnten. Für einen Beitrag über das Projekt trafen wir uns mit einer Gruppe von 6 Jungen und einem (sehr selbstbewussten und fitten) Mädchen in einem Jugendhaus. Neben Interviews zeichnete das Filmteam auch live gerappte Szenen auf. Im später gesendeten Beitrag waren dann Jungs zu sehen, die voller Elan sangen. Die Sequenz, bei der das Mädchen rappte, zeigte die Ausschnitte, in denen sie ihren Text vergaß und von vorne begann. Als dies dann so geschnitten über den Sender ging, ärgerte mich die Botschaft – „Mädchen können nicht rappen, Jungs aber wohl“ – sehr. Diese öffentliche Darstellung konterkarierte unsere Bemühungen, mehr Mädchen anzusprechen, nachhaltig. Die gezielte Ansprache von Mädchen für ein HipHop Projekt und die Einrichtung „Jungsfreier Zonen“ zum Ausprobieren und zum Hereinfinden ins Scratchen, Breaken oder Rappen sind zwei wichtige Aspekte, um mehr Mädchen für die aktive Teilnahme an dieser Jugendkultur gewinnen zu können. Eine Grundidee des HipHop, sich zu trauen, respektvoll und tolerant mit einander umzugehen, lässt sich sehr gut auch auf den Umgang der Geschlechter miteinander übertragen. Aufgrund von personellen Wechseln und Sparmaßnahmen wurde das Projekt HipHopMobil 2006 eingestellt.

„Die gezielte Ansprache von Mädchen und die Einrichtung ‘Jungsfreie Zone‘ sind wichtige Aspekte, um mehr Mädchen für die aktive Teilnahme gewinnen zu können“

Best Practice | 39


Connect HipHop! Gabi Deeg

Seit ihrer Entstehung in den 70er Jahren bilden die vier Elemente der HipHop-Kultur – Rap, DJing, Graffiti und Breakdance – zentrale und einflussreiche Säulen urbaner Jugendkultur. Bereits 1994 begann die Offene Jazz Haus Schule, in diesem Bereich Projekte für Kinder und Jugendliche aller Altersstufen anzubieten. Nicht zuletzt mit dieser jahrelangen Basisarbeit für Anfänger und Fortgeschrittene etablierte sich die Offene Jazz Haus Schule in Köln als eine zentrale kulturpädagogische Einrichtung im Bereich der aktuellen Jugendkultur. Das im Rahmen dieser Projektarbeit entstandenen HipHop Musical „Coloured Children“ wurde 1998 mit dem Jugendkulturpreis des Landes NRW ausgezeichnet. Parallel zur fortlaufenden Breitenarbeit ging die Offene Jazz Haus Schule im Jahr 2004 einen Schritt weiter. Mit „Connect HipHop“ wurde ein Projekt für junge Künstler der HipHop-Kultur, die im Übergang von der Schule zum Berufsleben stehen, gestartet. In NRW ist mittlerweile eine lebendige Szene junger Rap-Künstler, Tänzer und DJs herangewachsen, deren kreatives Potential es wahrzunehmen und zu fördern gilt. Die künstlerische Kraft dieser jungen HipHop-Aktivisten entwickelt sich weitgehend außerhalb unserer traditionellen Bildungsund Kultureinrichtungen. Ziel ist, jungen, ambitionierten HipHop-Künstlern Möglichkeiten und Wege aufzuzeigen, sich weiterzuentwickeln und ihre Fähigkeiten für sich selbst und für die Gesellschaft nutzbar zu machen – sei es, dass sie neue Akzente in der Musik- und Tanz-Szene setzen oder dass sie als Pädagogen arbeiten, die durch die authentische Vermittlung der aktuellen Jugendkultur einen direkten Zugang zu Kindern und Jugendlichen haben. Um die HipHop-Szene zu erreichen und optimal zu fördern, basierte das „Connect HipHop“-Konzept auf den vier Säulen: Competition, Coaching, Concert und Connection. Competition: Landesweit werden junge Künstler aufgefordert, sich für einen Contest zu bewerben und sich dem Urteil einer fachkundigen Jury – bestehend aus renommierten Künstlern aus der HipHop Szene – zu stellen. Den Jugendlichen wird Gelegenheit gegeben, sich mit gleichaltrigen Musikern, Tänzern, Künstlern ihrer Sparte zu messen und sich im Wettbewerb zu beweisen. Coaching: Die TeilnehmerInnen erhalten Gelegenheit, in Workshops mit künstlerischen Vorbildern und Größen

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aus der Szene ihre kreativen Fähigkeiten zu entwickeln. In Seminaren und kurzen Informationseinheiten können sie Fachleuten ihre Fragen zu übergreifenden Themen der Musik-, Tanz- und Kultur-Szene stellen. Concert: An einem zentralen Ort kulturellen Lebens in Köln werden die Ergebnisse der Workshops präsentiert. Die Sieger der Competition erhalten somit Gelegenheit zu zeigen, mit welchen Einsendungen oder Darbietungen sie die Jury überzeugt haben. Connection: Es wird ein dichtes Netzwerk auf- und ausgebaut. Nicht nur die Szene untereinander knüpft neue oder festigt bestehende Kontakte; es entstehen auch Berührung und Austausch mit etablierten Bildungsinstitutionen und weiteren Kooperationspartnern wie Schulen und Jugendzentren, Agenturen, Veranstaltern, freien Künstlern usw. Für die hohe Qualität der Projekte der Reihe „Connect HipHop“ zeichnete nicht zuletzt die gute Zusammenarbeit mit der Musikhochschule und der Sporthochschule verantwortlich. „Connect HipHop“ startete 2004 mit einem Rap-Contest, in dessen Verlauf fast 50 Rap-Crews und Solokünstler sich mit der Einsendung von über 150 eigenen Tracks dem kritischen Urteil einer fachkräftigen Jury stellten. Die 10 Gewinner der Competition produzierten einen Sampler und präsentierten ihre Songs in Zusammenarbeit mit Studierenden der Musikhochschule Köln in einem Live-Konzert im Stadtgarten vor begeistertem Publikum. Im Rahmen der „Cologne HipHop Days“ nutzen die Teilnehmer die Gelegenheit, sich in Fachseminaren bei Profis der Szene über Themen wie Musikbusiness, Selbstmanagement, Marketing und Pressearbeit oder Pädagogik zu informieren. Im darauf folgenden Jahr wurde das erfolgreiche Konzept auf einen weiteren Ausdrucksbereich der HipHop Kultur übertragen – diesmal waren es im Rahmen des Projektes „Cologne Battle“ junge Tänzerinnen und Tänzer, die in den Räumlichkeiten der Sporthochschule eine Woche lang die verschiedensten Workshops wahrnahmen.

HipHop TänzerInnen und BreakerInnen lernten nicht nur die neuesten Moves bei renommierten und internationalen Dozenten, sie informierten sich auch in kurzen kompakten Seminareinheiten beispielsweise über Ausbildungsmöglichkeiten an der Sporthochschule, die Wirklichkeit des Tanzbusiness oder die Möglichkeiten einer Verletzungsprävention. Seinen Höhepunkt fand das Projekt in einem großen Battle im Kölner Stadtgarten, zu dem Crews aus ganz NRW anreisten – 100 begabte und engagierte Tänzer kämpften vor einem begeisterten 200-köpfigen Publikum um den Sieg, den am Ende die Oberhausener Crew TNT davontrug. Im Jahr 2006 schloss sich der Kreis vorläufig mit einem erneuten Rap-Contest, bei dem die im Laufe der Jahre gesetzten Impulse wieder aufgegriffen wurden. Es war zu spüren, dass sich in der HipHop-Szene im Laufe des Projektes durch die zahlreichen Aktivitäten ein Bewusstsein dafür entwickelt hat, welches Potenzial ein gemeinsames Engagement birgt. Der Aufforderung, sich für das Projekt „Rapnetz“ mit einem eigenen Song zu bewerben, kamen bereits über 80 Crews und Soloartisten nach und schickten ihre Tracks ein. Das CoachingWochenende war diesmal gefüllt mit vertiefenden Themen wie etwa GEMA oder Vertragsgestaltung. Die Seminare wurden ebenso wie das Präsentationscoaching des international bekannten Künstlers Adé Bantu (Brothers Keepers) begeistert angenommen. Auch dieses Projekt gipfelte in einem CD-Sampler und einem Auftritt im exponierten Kölner Veranstaltungsort Stadtgarten. Beide CD-Sampler können bei der Offenen Jazz Haus Schule bestellt werden. Der Erfolg beweist die Tragfähigkeit des Konzeptes – internationale Größen wie Lamine Diouf von den Vagabonds oder Adé Bantu von Brothers Keepers und Profis der Kölner HipHop-Szene sorgten für eine hochkarätige Qualität der Workshops und Weiterbildungsseminare, setzten nachhaltige Impulse und förderten eine Vernetzung der lokalen Szene. In der Kooperation mit etablierten Bildungseinrichtungen wurden auf beiden Seiten spürbare und spannende Akzente gesetzt. Durch die Veröffentlichung von Samplern und DVDs, durch Wettbewerbe, Konzerte, Battles ist die kreative Kraft der hiesigen HipHop Szene über mehrere Jahre hinweg einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Die hohe Qualität und das große Potential der jungen Künstlerinnen und Künstler rechtfertigen weitere Anstrengungen, diese kreativen Kräfte zu fördern, ihnen Raum zur Entfaltung zu geben und ihnen jene Anerkennung zukommen zu lassen, die ihnen gebührt.

DVD Siehe Songs von „Connect HipHop!“ in DATA\SONGS auf beiliegender DVD

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Von Köln bis Barcelona: Das HipHop-Netzwerk Nippes Sascha Düx

DVD Siehe Musikvideo „Bonita Señorita“ auf beiliegender DVD

Die Kamera schwenkt über das Panorama von Caldes d’Estrac am Mittelmeer, zeigt Häuser und Pflanzen, dann eine junge Spanierin im weißen Kleid in der Brandung. Dazu ein Song, der klingt, als hätte sich Michael Jackson mit einem Latin-Produzententeam und einem deutschen Rapper zur Sommerhit-Produktion zusammengetan. „Bonita Señorita“ heißt die schwedisch-deutschenglisch-spanische Koproduktion, die auf dem internationalen HipHopCamp The Flow of Victory – Part III 2005 in Barcelona entstand. Um zu verstehen, wie es dazu kam, müssen wir das Rad der Zeit erst einmal um vier Jahre zurückdrehen.

Die Anfänge Im Sommer 2001 kam es im Stadtbezirk Köln-Nippes auf Initiative der Bezirksjugendpflege zur Gründung eines HipHop-Netzwerks für Toleranz und Integration. Im Bezirk gab es seinerzeit im Jugendzentrum OT Werkstattstraße eine gut angenommene HipHop-Arbeit mit regelmäßigen Jams, die OT Luckys Haus begann gerade, den ehemaligen Kraftsportraum in ein professionelles Tonstudio umzurüsten, und im Kinder- und Jugendhaus Boltensternstraße wurden Graffitis gesprayt.

Zusammen mit weiteren Jugendzentren und der Förderschule Auguststraße begann man, eine gemeinsame Projektphase zu planen. Nach den Herbstferien ging es los: Mit Unterstützung der Offenen Jazz Haus Schule Köln wurden geeignete ReferentInnen gefunden, die in den verschiedenen Einrichtungen Rap-, Tanz- und Graffiti-Workshops anboten. Das JFC Medienzentrum unterstützte den Projektfilm, der als ein verbindendes Element alle Workshops dokumentierte, und richtete die Projektwebsite www.hiphop-projekt.de ein: Auf die können alle Partner mit einem kleinen unkomplizierten Redaktionssystem Termine, Newstexte und Projektergebnisse mit Bild und Ton hochladen. Bis Ende Januar 2002 liefen die Workshops, dann gab es in der Turnhalle der Schule Auguststraße einen großen Abschlussevent mit Vorführungen aller Gruppen. Die Halle war mit einem Publikum von gut 300 FreundInnen, Eltern und PädagogInnen prall gefüllt. Natürlich wurde auch der Projektfilm gezeigt – für die meisten Beteiligten die erste Chance, einen Überblick über das gesamte Projektgeschehen zu kriegen.

Alle Jahre wieder … Seitdem hat es fünf weitere derartige Herbst-/Winterprojektphasen gegeben, das Netzwerk hat sich um einige Jugendzentren und eine zweite Förderschule erweitert, aber das Grundprinzip ist das gleiche geblieben: Workshopangebote mehrheitlich für Jugendliche mit Migrationshintergrund und benachteiligte Jugendliche, und eine gemeinsame Abschlusspräsentation. Vernetzung ist dabei mehr als nur ein Schlagwort: Jugendliche werden überall ermutigt, auch Angebote der anderen Einrichtungen wahrzunehmen. Workshoptermine werden mündlich und über die Website weitergegeben, die Schulturnhalle auch schulexternen TänzerInnen zum Training zur Verfügung gestellt, und das Tonstudio in der OT Luckys Haus wird zur Anlaufstelle für zahlreiche Jugendliche aus dem ganzen Stadtbezirk; das JFC Medienzentrum unterstützt verschiedene Aktivitäten mit Medientechnik. Natürlich läuft nicht immer alles glatt: Rivalitäten und Fehden zwischen jungen HipHoppern aus verschiedenen Stadtteilen kommen immer wieder vor, manchmal bis hin zu Schlägereien. Aber durch die Netzwerkstrukturen können solche Konflikte gut aufgefangen werden.

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Als die Bezirksjugendpflege aufgrund zusätzlicher Aufgaben vorübergehend die Leitung abgeben musste, funktionierte das Netzwerk weiter – der SKM Köln übernahm die Koordination, die inhaltliche Arbeit wurde dezentral getragen und im gemeinsamen Arbeitskreis abgestimmt. Zum Abschlussevent tragen alle Partner ihren Teil bei: So wurde am 27. Januar 2007 über eine aus Technik der Schule Auguststraße und des JFC zusammengestellte Anlage die Halle beschallt, Tonstudiotechnik von Luckys Haus war für einen Mehrspurmitschnitt aufgebaut, Kameras von JFC und OT Werkstattstraße filmten den Event, der SKM Köln stellte Stühle und Stellwände, verschiedene Einrichtungen sorgten für die Sicherheit und die Hauswirtschafts-AG der Schule versorgte alle Aktiven mit leckerem Essen.

Let’s party like we did in Adenau!1 Anfang 2003 wurde die Modern Soul Academy über die Projektwebsite auf das Netzwerk aufmerksam: Man mache in Stockholm ähnliche Projekte und suche Partner für internationale Begegnungen. Im Kölner Netzwerk war schnell klar: Ja, ein internationales HipHop-Camp wäre für unsere Jugendlichen eine tolle Chance. Das Kölner Jugendamt unterstützte die Idee mit Tipps und Fördermitteln und stellte den Kontakt zu weiteren Partnern in Barcelona her. So konnte das JFC Medienzentrum erfolgreich die trilaterale Jugendbegegnung „The Flow of Victory“ beim EU-Aktionsprogramm JUGEND beantragen. Adenau liegt einen Katzensprung vom Nürburgring entfernt. An schönen Sommertagen donnern Biker durch die Hauptstraße, sonst ist hier nicht viel los. Am 10. August 2003 wird das Eifeldorf allerdings kurzfristig zur HipHopMetropole: Rund 30 spanische, schwedische und deutsche Jugendliche nebst 14-köpfigem Team treffen zur IntensivWorkshopphase in der (mittlerweile leider geschlossenen) Jugendbildungsstätte der Stadt Köln ein. Los geht es mit einem Open Space: Alle Türen stehen offen, jeder kann sich umsehen, ausprobieren und dann entscheiden: Will ich nun tanzen oder doch lieber ein eigenes Video drehen?

Ein Gruppenraum wird zum Tonstudio umgebaut, eine wattstarke Anlage beschallt die Tänzer in der Turnhalle, und die Kapelle ist zum Camp-Medienzentrum geworden: Hier werden Digitalfotos gesichtet und Videos geschnitten. Ein Highlight ist die Graffiti-Wand – die Bildungsstätte hat eine große Außenmauer freigegeben, die SprayerInnen sind begeistert. Vier volle Workshoptage folgen, mit Arbeitsphasen vor- und nachmittags, im Abendprogramm dann z.B. Filme über die Anfänge der HipHop-Kultur. Die Motivation aller Beteiligten steigt von Tag zu Tag. Der Sommer 2003 bricht Temperaturrekorde, die Turnhalle ähnelt einer Großraumsauna, doch das mindert nicht die Tanzbegeisterung. In den Mittagspausen arbeiten viele freiwillig weiter, einige lassen sogar den Freibadbesuch ausfallen. Zeiten außerhalb des offiziellen Programms werden genutzt, um andere Bereiche neben dem eigenen Workshop kennen zu lernen: Die Rapperin sprayt, der Tänzer filmt. Beim Musikvideodreh kommt dann alles zusammen: Die Jugendlichen aus dem Rapworkshop haben ihre Verse zu selbstproduzierten Beats aufgenommen. Die vom Graffiti-Workshop gestaltete Wand ist die Kulisse, vor der die Breakdancer ihre Moves machen, der DJ seine Platten dreht und die VokalistInnen ihren Song performen, während der Medienworkshop alles filmt. Trotz kleineren Sachbeschädigungen und Konflikten um das Tragen von Messern funktioniert das Miteinander insgesamt gut. Tim Weedon von der Modern Soul Academy hat gleich zu Beginn erklärt: „Wir sollten nicht vergessen, dass es bei HipHop um Tanz, Musik und Kunst geht, um eine Verbesserung unserer Lebensbedingungen und Artikulation unserer Wünsche. Dafür sind wir hier, nicht um uns zu betrinken.“ Und wenn ein gestandener HipHopper so etwas sagt, dann hat das Gewicht. Und so wird zwar nicht wenig Bier getrunken, Bierleichen aber bleiben aus. Wie funktioniert eine internationale Begegnung, wenn etliche TeilnehmerInnen von Förderschulen kommen und angeblich kaum Englisch sprechen? Überraschend unproblematisch, wie sich zeigt. In den Workshops wird vorgemacht, gezeigt, zugehört … Musik, Tanz und visuelle Kommunikation können sich als universelle Sprachformen beweisen. Und alle deutschen TeilnehmerInnen

DVD Siehe Musikvideo „Cross (Around the World)“ auf beiliegender DVD

Dieser Abschnitt ist ein gekürzter und überarbeiteter Ausschnitt aus meinem Artikel „Eritrea, España, Eifel – HipHop international!“ (merz 2004, Heft 03, S. 59-62) 1

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DVD

Siehe „HipHopCamp 2005“ Doku auf beiliegender DVD

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Von Stockholm nach Caldes d’Estrac Artikel

Siehe „Urban-Culture-Projekte des JFC Medienzentrums“ (Seite 19)

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beginnen früher oder später, sich in gebrochenem Englisch zu unterhalten. Interkultureller Austausch ist während des Camps gelebter Alltag. In Raptexten und Bildern des Graffiti-Workshops wird den anderen Teilnehmern die eigene Lebenswelt ein Stück näher gebracht. HipHop als globale Kultur weckt Neugier: Wie klingt Rap auf Spanisch? Wie unterscheiden sich die Graffiti-Styles von Kölnern und Stockholmern? Und weiß jemand, was hiphopmäßig in Japan los ist? Dann geht es zurück nach Köln – mit 12 neuen HipHopSongs, drei kurzen Videofilmen, etlichen Graffitis und Choreographien im Gepäck, dazu die Camp-Website. In der OT Werkstattstraße werden die Ergebnisse präsentiert, mit Video-Premieren und Liveauftritten.

Artikel

Siehe „MittwochsMaler – das Kölner Graffiti-Jugendkunstprojekt“ (Seite 28)

Das Adenau-Camp überzeugt nicht nur die Netd@ys-Jury (Preis des ZDF Kinder- und Jugendprogramms) und die Deutsche EU-Agentur, die es in ihre Best-PracticeDatenbank aufnimmt; auch bei den schwedischen Jugendlichen wird „Let’s party like we did in Adenau“ zum geflügelten Wort, und so ist es kein Wunder, dass am 6. August 2004 in Botkyrka bei Stockholm das Camp The Flow of Victory reloaded mit doppelter Gruppenstärke beginnt. Anders als im Vorjahr wird 2004 ein gemeinsames Thema ausgewählt. Das Votum der Gruppe fällt eindeutig aus: Peace – Paz – Friede – Fred wird das Motto der Bühnenshow, die nach sechs Workshoptagen dreimal aufgeführt wird. Höhepunkt für alle ist der Auftritt vor großem Publikum im Mondo im Zentrum von Stockholm. Friedlich entwickelt sich nach anfänglichen Rangeleien auch das internationale Zusammenleben. Spätestens nach den ersten gemeinsamen Aufnahmen im eigens aufgebauten Tonstudio sind vorangegangene Streitigkeiten vergessen. Durch zahlreiche MigrantInnen in der Gruppe stehen als verbindende Sprachen neben dem Englischen auch Arabisch, Spanisch, Französisch und Türkisch zur Verfügung. 2005 geht es dann nach Caldes d’Estrac bei Barcelona: Wieder sind gut 75 Personen dabei, erstmals auch Partner aus Liverpool. Die Rahmenbedingungen sind ungünstig: Das bewährte Team in Spanien hat im Streit mit dem neuen Chef die Partnerorganisation verlassen, der ersatzweise eingesetzte Campleiter spricht kein Englisch und ist mit seiner Aufgabe überfordert. Der Camp-Ort ist eigentlich ein Sportcamp für jüngere Jugendliche, es gibt kaum Workshopräume und 0:00 ist Nachtruhe –

für unsere überwiegend volljährige Gruppe viel zu früh... Trotz widriger Umstände wird auch dieses Camp zu einem Erfolg. In multinationaler und multilingualer Kooperation entstehen zehn Songs und vier Musikvideos; auch das Abschlusskonzert in St. Feliu de Codines am letzten Abend ist für alle Beteiligten ein großes Erlebnis. Durch Fehlplanungen des Campleiters gibt es dann allerdings vor 5 Uhr morgens keine Möglichkeit der Rückkehr zum Camp, und um 7 geht dort bereits der Bus zum Flughafen. Völlig übermüdet fliegen alle nach Hause – im Ohr immer noch die Klänge von „Bonita Señorita“.

HipHop don’t stop 2006 gibt es keine Fortsetzung der internationalen HipHop-Camps, stattdessen eine internationale Roots&Routes-Projektphase in Köln – und erstmals das aus dem HipHop-Netzwerk entstandene Stadtrandcamp „Beats vom Hof“. Im Jugendzentrum Krebelshof mit seinem großen Außengelände können Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren erste Schritte in Sachen Urban Culture machen, neben Tanz, Musik, Medien und Graffiti werden auch Sport- und Wellness-Workshops angeboten, übernachtet wird in Zelten. 41 Jugendliche nehmen an dem von der Stadt Köln und dem Programm ENTIMON des Bundesjugendministeriums geförderten Camp Teil. Und das Netzwerk wächst weiter: Mit den MittwochsMalern gibt es seit November 2005 in der OT Luckys Haus ein regelmäßiges Graffiti-Angebot für Jugendliche aus ganz Köln. Im Rahmen des ENTIMON-geförderten Projekts Lifejam der Offenen Jazz Haus Schule Köln werden in der Zeit von Oktober bis Dezember 2006 Workshops im Rahmen des Nippesser Netzwerks und darüber hinaus in ganz Köln veranstaltet, am 15. Dezember gibt es einen großen gemeinsamen Abschlussevent im Stadtgarten Köln.2 Für den 1. September 2007 ist nun im Bürgerzentrum Nippes erstmals ein Live-Event geplant, der alle größeren Kölner HipHop- und Urban-Culture-Projekte zusammenführt: Das Netzwerk Nippes trifft auf das HipHop-Projekt der JUGZ (Jugendzentren Köln gGmbH), das Rapnetz/ Connect HipHop-Projekt der Offenen JazzHausSchule und das JFC-Projekt Roots&Routes Cologne.

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44 | Von Köln bis Barcelona: Das HipHop-Netzwerk Nippes

www.lifejam.de/koeln


Organisation von Urban-Culture-Projekten Sascha Düx, Andreas Kern und Lisette Reuter

Wer nach so vielen theoretischen Hintergrundgedanken und inspirierenden Projektbeschreibungen nun Lust bekommen hat, selbst ein Urban-Culture-Projekt zu organisieren, der findet im dritten Teil dieses Hefts zahlreiche Tipps und Informationen. Was er oder sie hier nicht finden wird, sind Schritt-für-Schritt-Anleitungen vom Typ „Wie lerne ich in 10 Minuten einen Breakdanceoder Rapworkshop zu leiten“. Das würde erstens den Rahmen dieser Broschüre sprengen, zweitens braucht man dafür jahrelange Übung. Wir richten uns also eher an pädagogische Profis in Jugendarbeit und Schule, die sich für ein entsprechendes Projekt andere Profis mit den entsprechenden Skills dazuholen werden.

Vorüberlegungen Urban-Culture-Projekte können in den verschiedensten Dimensionen durchgeführt werden – vom eintägigen Jugendzentrums-Rap-Aktionstag mit fünf Teilnehmern

Kalkulation von Urban-Culture-Projekten Hier eine Checkliste möglicher Kostenarten, die bei Urban-CultureProjekten anfallen können: » Personalkosten für Projektleitung » Honorare für ReferentInnen und BetreuerInnen » Honorare und Gagen für etablierte Urban-Culture-KünstlerInnen (z.B. für eine Masterclass oder als Headliner für ein großes HipHopKonzert), BühnenmoderatorInnen und ggf. JurorInnen (bei Auswahlverfahren) » Honorare für Öffentlichkeitsarbeit und Ergebnisauf bereitung (Gestaltung von Flyern, T-Shirts, Projektwebsites; Schnitt einer Projekt-Videodokumentation, DVD Authoring etc.) » Honorare für TechnikerInnen (Tontechnik, Bühnentechnik etc.) » Honorare für Sicherheitskräfte, ggf. Reinigungskräfte, Sanitäter » Technik-Kosten: Investitionen, kleinere Anschaffungen, Mieten, Wartung/Reparaturen » Mietkosten für Räumlichkeiten » Verbrauchsmaterialien (Datenträger, Farben für Graffiti etc.) » Publikationskosten (Druckkosten, Vervielfältigung von CDs/DVDs) » Internetkosten (Webspace- und Domainmieten, Internetzugang) » GEMA-Kosten » Unterkunft- und Verpflegungskosten (von Getränken für einen Tanzworkshop bis zur internationalen Begegnung mit Vollpension in einer Jugendbildungsstätte) » Reisekosten (ÖPNV lokal bis Flüge international, Team und TN) » Handlungskosten (Büro- und Verwaltungskosten, Porto, Telekom)

bis hin zum vernetzten mehrjährigen Großprojekt mit den Disziplinen Tanz, Kunst, Musik, Theater und Medien, verteilt über mehrere Einrichtungen, Städte oder gar Länder. Nach unseren Erfahrungen sind mehrtägige Blockphasen effektiver als allwöchentliche Kursangebote, aber auch letztere haben je nach Projektkonzeption ihre Berechtigung. Die ersten Schritte bei der Planung eines solchen Projekts werden entsprechend darin liegen, sich über den groben Rahmen und die Größenordnung klar zu werden, mit möglichen Partnern ins Gespräch zu kommen, Kosten abzuschätzen und Ideen zur Finanzierung zu entwickeln. Hier sollten auch die klassischen pädagogischen Überlegungen zu pädagogischen Zielen und Zielgruppen (mit interkulturellen und Gender-Aspekten) angestellt werden. Da die Förderverfahren vieler Stiftungen und

How to do | 45


öffentlicher Geldgeber einen langen Vorlauf haben, sollten die Überlegungen rechtzeitig (6-18 Monate vor geplantem Projektbeginn) zur Antragsreife gebracht werden. Und wenn dann die Bewilligung ins Haus flattert, geht der Spaß erst richtig los :-)

ReferentInnen, Ressourcen und regionale Netze

„Wichtig sind stets Skills und Vermittlungskompetenz im Kontext der jeweiligen Zielgruppe“

Nun geht es an die Konkretisierung der Planung. Das Wichtigste: Gute ReferentInnen müssen her! Das kann der professionelle Rapper und Musikproduzent mit einem pädagogischen Händchen sein oder die Kunststudentin mit Graffiti-Szeneerfahrung, der selbstständige studierte Medienpädagoge oder auch der jugendliche Breakdancer, der gut und gerne Jüngeren etwas beibringt – wichtig sind stets Skills und Vermittlungskompetenz im Kontext der jeweiligen Zielgruppe. Bei interkulturellen/internationalen Projekten sollte auch das Team interkulturell/international zusammengesetzt sein. DozentInnen sollten Werte wie gegenseitige Wertschätzung, Toleranz und Zuverlässigkeit vorleben können. Wie gut ein/-e ReferentIn wirklich ist, zeigt sich immer erst in der Praxis – hier liegt ein Vorteil von Netzwerken: Man kann sich gegenseitig geeignete Leute empfehlen. Eine Liste der wünschenswerten und der dringend notwendigen Ressourcen kann man dann am besten gemeinsam mit den jeweiligen ReferentInnen erstellen: Die Rapdozentin wünscht sich vielleicht Plattenspieler nebst DJ-Mixer, Mikrofone und eine Beschallungsanlage, dem Choreograph ist an einer großen Spiegelwand gelegen, der Graffitidozent möchte im Workshop Leinwände und Staffeleien bauen lassen und die Kamerafrau kommt gleich mit einer ganzen Technikliste … Spätestens hier zeigt sich: Größere Projekte lassen sich am besten gemeinsam mit Partnern stemmen. Vielleicht hat ein nahegelegenes Jugendzentrum bereits eine Spiegelwand und ist an einer Kooperation interessiert, oder vielleicht ist der benachbarte Baumarkt zu Sachspenden bereit. Ton- und Medientechnik kann man sich gut gegenseitig ausleihen – die Geräte sollten natürlich pfleglich behandelt werden, dafür sollten auch die zuständigen ReferentInnen in die Mitverantwortung genommen werden. Auch Teilnehmerwerbung funktioniert im Netzwerk besser: Jugendliche in verschiedenen Einrichtungen

können angesprochen werden und lassen sich mit sanftem Druck bewegen, mal ein spannendes Projekt in einer anderen Einrichtung zu besuchen. Nichts ist so traurig wie ein mit Liebe geplantes gutes Projekt, zu dem kaum TeilnehmerInnen erscheinen. Flyer, Plakate und Pressearbeit können genutzt werden, um das Projekt bei der Zielgruppe bekannt zu machen – unserer Erfahrung nach funktioniert aber persönliche Ansprache immer noch am besten, ob unmittelbar durchs Projektteam oder durch Partner in anderen Einrichtungen. Präsenz bei für die Zielgruppe interessanten Veranstaltungen (z.B. HipHop-Festivals) und persönliche Vorstellung des Projekts in Schulklassen sind hier erfolgversprechende Wege.

Die Durchführung Es geht los! Je nachdem ob sich die Gruppe schon kennt oder ob eine neue Konstellation von Leuten zusammenkommt, sind Kennenlernaktionen angesagt – das muss nicht das klassische Kennenlernspiel sein, sondern kann z.B. auch ein Freestyle-Cypher sein: Man steht im Kreis, jemand macht „Beatboxing“ (Imitation eines Rapbeats mit Mund- und Körpereinsatz), und dann rappen alle reihum, wer sie sind und wo sie herkommen. Die Akzeptanz für spielerische und kreative Methoden ist meist höher, wenn diese von ReferentInnen aus der Urban-Culture-Szene angeleitet werden. Bei längeren Projekten mit „unbekannten“ TeilnehmerInnen macht es Sinn, Vorerfahrungen und Erwartungen zu eruieren. Dann geht es in die Workshops, die meist ihrer eigenen Dynamik und Zeiteinteilung folgen. Die Projektleitung hat dann die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es überall läuft, dass Konflikte gelöst und nötige Ressourcen beschafft werden – dabei muss man auch delegieren

46 | Organisation von Urban-Culture-Projekten


können. Es sollte immer mal wieder gemeinsame Punkte in der Gesamtgruppe geben – eine Party, ein FreestyleAbend, wo MusikerInnen und TänzerInnen ihre Skills zeigen können, eine gemeinsame Fragestunde mit einem prominenteren lokalen Urban Culture Künstler – damit ein gemeinsames Gruppengefühl entsteht. Wichtig sind auch Querverbindungen zwischen den Workshops: Die Tanzcrew kann zu Tracks aus dem Musikworkshop tanzen, dafür müssen die aber rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden. Die Mediengruppe kann die Aktivitäten der anderen Workshops dokumentieren oder Tanz- und Musikvideoclips drehen; das erfordert aber eine gute Gesamtkoordination. Statt paralleler Tanz- und Musikworkshops kann auch die gleiche Gruppe nacheinander bzw. abwechselnd Tanz-, Theater- und Gesangs-/Rapcoaching erhalten und so eine Musical-artige Bühnenperformance entwickeln. Je nach Projektdauer kann zur Halbzeit eine Zwischenauswertung in der Gruppe angesetzt werden: Was haben wir erreicht, wo wollen wir hin, wo hakt es noch? Auch die Pressearbeit sollte nicht vernachlässigt werden; wenn alle Workshops gut laufen und die Abschlusspräsentation in Sichtweite ist, ist ein guter Zeitpunkt für eine Pressekonferenz gekommen; eine weitere kann unmittelbar vor der Abschlusspräsentation angesetzt werden. Gegen Ende des Projektes sollten die Teilnehmenden dann die Chance bekommen, öffentlich zu zeigen, was

sie gemeinsam erarbeitet haben. Ob vor Freunden und Eltern in der Jugendzentrumsdisko oder auf einer größeren Bühne vor breiterem Publikum: Ein Auftritt stärkt das Gruppen- und Selbstwertgefühl aller Beteiligten und schafft positive Öffentlichkeit für die Zielgruppe. Wichtig ist hier, dass das Feeling und der Rahmen stimmen. Besonders auftrittsunerfahrene Jugendliche sind oft nervös und wollen plötzlich doch nicht mehr auf die Bühne – hier ist pädagogisches Fingerspitzengefühl gefragt, aber auch Gruppenmanagement: Die TeilnehmerInnen müssen sich gegenseitig tragen, dürfen sich nicht gegenseitig herunterziehen. Dafür sind eine funktionierende Saaltechnik und ein erfahrenes, kompetentes und freundliches Technikteam entscheidend. Wichtig sind auch ein vernünftiges Catering (Essen und Getränke für alle Auftretenden) und eine gute Bühnenmoderation, sowie bei größeren Veranstaltungen Sicherheitskräfte und Sanitäter.

„Wichtig ist, dass das Feeling und der Rahmen stimmene“

Nacharbeiten Wenn das eigentliche Projekt vorbei ist, gibt es meist noch genug zu tun: Vom Aufräumen der Workshopräume und auseinandersortieren der Technik über die Aufarbeitung der Projektergebnisse zu Webseiten, CDs, DVDs oder Broschüren bis hin zu Verwendungsnachweisen und Sachberichten. Bei größeren Projekten kann ein Nachtreffen angesetzt werden: Hier kriegt dann jede/-r TeilnehmerIn die fertige Projekt-CD in die Hand gedrückt, die Projekt-Videodokumentation hat Premiere, und wenn in der Projektphase die Zeit fehlte, können hier zielgruppengerecht formulierte Evaluationsbögen die Runde machen. Auf jeden Fall sollte man sich die Zeit für eine ausführliche Reflexionsrunde im Team nehmen und wichtige Punkte – was war gut, was geht noch besser – so notieren, dass sie für Folgeprojekte nutzbar sind. Und wenn es Spaß gemacht hat und die selbstgesteckten Ziele weitgehend erreicht wurden, heißt es dann: Nach dem Projekt ist vor dem Projekt!

How to do | 47


Musikvideos selbstgedreht Lisette Reuter

Grundlagen Die klassische Filmarbeit wird gegenwärtig durch die digitalen Möglichkeiten perfektioniert und professionalisiert: Durch die Verwendung des Computers als bilderzeugendes und gestaltendes Werkzeug verwischen die Grenzen zwischen Video- und Multimediaarbeit zunehmend. Für die Jugendarbeit sind die preisgünstigen digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten eine Chance, mit der Sprache der bewegten Bilder zukünftig noch mehr experimentieren zu können. Im Alltag von Jugendlichen sind bewegte Bilder wie Film, Video, Fernsehen nicht mehr weg zu denken und sind mit die bedeutsamsten Kommunikationsmittel der Gegenwart. Es ist eine Herausforderung an die Pädagogik, dass Jugendliche diese Medien nicht nur passiv konsumieren, sondern auch lernen, aktiv mit ihnen umzugehen. Eine gute Möglichkeit für die aktive Medienarbeit bietet die Produktion eines Musikvideoclips. Sie schafft neue Gelegenheiten des Selbstausdrucks, der Kreativität und kann verschiedene Urban-Culture-Sparten wie

Klappe, die erste! Ein wichtiges Hilfsmittel bei der Filmproduktion ist die Klappe. Die einfachste Lösung für eine Klappe ist, zwei Holzklötze im Blickfeld der Kameras aufeinander zu schlagen. Für eine etwas professionellere Lösung montiert man zwei breitere Latten mit einem Scharnier dergestalt aneinander, dass sie knallend zusammengeschlagen werden können. An der oberen Latte befestigt man eine kleine Tafel (Pressspanplatte mit Schultafel-Beschichtung), auf der mit Kreide der Name der Szene und der „Take“ (=der wie vielte Durchgang einer Szene) eingezeichnet werden kann. Fertige Filmklappen kann man auch günstig kaufen, einfach mal „Filmklappe“ auf Google eingeben. Mittels der Klappe ist es möglich, den genauen Zeitpunkt des Zusammenschlagens mit dem „Klack“ der Holzklötze auf der Tonspur zu hören (und auch zu sehen, wenn das Schnittprogramm die Tonspur als Wellenform darstellen kann) und den Schlag auf der Bildspur zu sehen. Diese Methode erleichtert insbesondere bei der Aufnahme mit mehreren Kameras die Synchronisation von Szenen.

48 | Musikvideos selbstgedreht

Musik, Tanz und VJing in ein gemeinsames Endprodukt zusammenbringen. Musikvideoclips vereinen präsentative Ausdrucksformen wie Bilder, Körpersprache, Musik und Tanz, und kommen dadurch auch Jugendlichen entgegen, die Schwierigkeiten mit der deutschen Schriftsprache haben. Da die Produktion eines Musikvideoclips nur im Team zu bewerkstelligen ist, können sich die Jugendlichen mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten auf vielfältige Weise einbringen: Angefangen von den Musikern, deren Song im Mittelpunkt des Clips steht, über die Entwicklung einer Geschichte für den Clip, die Ausgestaltung der Szenen, die Maske, Erstellung der Requisiten, Kameraarbeit, Regie und Licht bis hin zum finalen Schnitt auf die Musik. Wenn es der Projektleitung gelingt, gute Rahmenbedingungen für die Verknüpfung dieser Bereiche zu schaffen, geschieht soziales Lernen und Kooperation wird trainiert. Musikvideoclips sind Kurzfilme, die ein bestimmtes Lied bildlich untermalen. Musikvideos zeichnen sich meist durch markante Bilder und schnelle Schnitte aus. Kategorien von Musikvideoclips: – Schwerpunkt auf der Darstellung der MusikerInnen, z.B. durch Integration von Konzertaufnahmen oder Bildern aus dem Tonstudio – Schwerpunkt liegt bei der Darstellung einer Geschichte, die sich meist am Text des Liedes orientiert – Mischformen der beiden genannten Punkte – Weitere spezielle Formen wie zum Beispiel Animationen oder abstrakte Bilder zur Musik Das Genre „Musikvideoclip“ lässt mehr Freiräume als viele andere Genres. Es kann interessant und wirkungsvoll sein, ungewöhnliche Kameraperspektiven, Lichteinstellungen und Spezialeffekte auszuprobieren.

Planung und Durchführung eines Musikvideoprojekts Eine gute Planung ist die Vorraussetzung für ein erfolgreiches Musikvideoclip-Projekt. Vor der Realisierung eines Videoclips sollte die zu vermittelnde Information, die Botschaft, klar definiert werden. Zur Hilfestellung kann man sich mit dem gesamten Produktionsteam


zum Beispiel die folgenden Fragen stellen: – Wo wird der Musikvideoclip gezeigt, wer ist das Ziel publikum? – Was oder wen wollen wir präsentieren? – Was soll unsere Message sein, was wollen wir vermitteln? – Welche Szenen sollen an welchen Orten spielen? – Wie viel Zeit wird ca. an den einzelnen Drehorten benötigt? – Wie sind die Lichtverhältnisse an den Drehorten? – Was brauchen wir für Requisiten und Statisten? Die exakte Vorbereitung eines Musikvideoclips entscheidet bereits über den Erfolg des Projekts. Es ist hilfreich, sich an eine bestimmte Reihenfolge der Abläufe zu halten. Hauptschritte bei der Planung und Durchführung sind:

1. Tonaufnahme Es ist besonders wichtig, dass vor Beginn der eigentlichen Videoclipproduktion der zugrunde liegende Song in einer guten Qualität vorliegt. Alle Gesangsspuren müssen fertig eingesungen sein, sonst können die Mundbewegungen der SängerInnen und RapperInnen im Video nicht lippensynchron werden. Alle, die an der Produktion beteiligt sind, sollten den Song gut kennen.

2. Treatment So nennt man die ersten Ideen zu einer Film- oder Videoclipproduktion. Beim Treatment sollte man die Handlung, die beteiligten Personen und die Drehorte grob skizzieren.

3. Storyboard Im Storyboard wird die Handlung näher ausgearbeitet. Darsteller werden z.B. genauer charakterisiert, Handlungsorte festgelegt; das Produktionsteam wird zusammengestellt.

4. Drehbuch Im Drehbuch werden die Einstellungen festgelegt und mit Perspektive, Bildausschnitt, Bewegung der Kamera, Bewegung der Darsteller beschrieben. Es empfiehlt sich, für jede Einstellung eine Skizze zu zeichnen, die den Kameraausschnitt und die handelnden Personen zeugt. Anhand des Drehbuches wird dann ein Drehplan erstellt, der festlegt, was an welchem Ort und in welcher Zeit abgedreht werden sollte.

5. Der Dreh Für die Aufnahmen wird ein lautstarkes Wiedergabegerät (z.B. großer „Ghettoblaster“) benötigt, damit die Darsteller sich selbst gut hören und sauber lippensynchron zum Playback singen können. Eine gute PlaybackPerformance ist sehr wichtig, alle singenden/rappenden DarstellerInnen sollten ausführlich geübt haben und Texte präzise in der gleichen Rhythmik wie auf der Aufnahme singen/rappen können. Ansonsten hat man beim Schnitt große Schwierigkeiten bei der Synchronisation und es wirkt am Ende unprofessionell. Es ist oft günstig, jede Szene in kompletter Länge des Songs aufzunehmen; dadurch kriegt man visuelles Füllmaterial, und man muss pro Kamera nur einmal das eingespielte Material zur Musik synchron „schieben“. Jede einzelne Szene sollte aus unterschiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen werden. Wichtig ist eine Totale bis maximal halbnahe Einstellung und eine Nahbis Detailaufnahme. Es ist empfehlenswert, mehrere Aufnahmen von einer Szene zu machen, so dass man später beim Schnitt die Besten auswählen kann. Generell beim Filmen – und damit natürlich auch bei Musikvideos – gilt: Man setze die Kamera im Normalfall wie eine Fotokamera ein, man wähle einen Bildausschnitt und behalte diesen bei. Schwenk, Zoom und Kamerafahrten sollten dezent und stets mit klarem Ziel (Ende des Schwenks/Zooms) eingesetzt werden, da sie nicht unserer physiologischen Wahrnehmung entsprechen.

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6. Die Postproduktion Der eigentliche Musikvideoclip entsteht in der Postproduktionsphase, also beim Schnitt. Nachdem man das gesamte Material gesichtet hat, spielt man die besten Aufnahmen mit dem Schnittprogramm auf die Festplatte. Auch der Originalsong (fertig gemischte, am besten gemasterte Aufnahme) wird in das Schnittprogramm importiert. Dann legt man die einzelnen Aufnahmen im Schnittprogramm auf übereinanderliegende Spuren (bei Bedarf erzeugt man zusätzliche Spuren – die meisten Videoschnittsoftwares unterstützen das). Wichtig ist, dass man jetzt jede einzelne Spur mit dem Playback (Originalsong) synchronisiert. Dabei kommt es auf kleinste Verschiebungen an: ein „Frame“ (Einzelbild = kleinste Zeiteinheit; i.d.R. 1/25-tel Sekunde) zu weit nach links oder rechts, und die Synchronität des Bilds mit dem Playback ist dahin. Wenn eine Szene mit mehreren Kameras und Klappe aufgenommen wurde, können zunächst die Spuren dieser Szene an Hand der Klappe untereinander synchronisiert werden, und dann können diese Spuren als Gruppe mit der Tonspur synchronisiert werden (Klappensynchronisation ist einfacher als Synchronisierung nur nach Audiosignal). Wenn alle Videospuren zum Playback synchronisiert sind, können die O-Töne der Videospuren in der Regel

gelöscht werden – man braucht sie meist nicht mehr, außer vielleicht für eine lustige Anfangs- oder Endszene. Anschließend werden die Bildsequenzen zum Song ausgewählt und der Rest wird weggeschnitten – man wählt die passenden Perspektiven, Einstellungen, Szenen usw. aus. Wichtig hierbei ist, dass man sich beim Bildschnitt dem Rhythmus des Songs anpasst. Am Ende kommt der kreative Part, visuelle Effekte können zum Clip hinzugefügt werden – dabei gilt: Effekte sind wie Gewürze, zu viele Effekte können das Video verderben.

7. Die Präsentation Die Präsentation der Musikvideos ist ein wichtiger Faktor für die TeilnehmerInnen; eine öffentliche Präsentation in einem angemessenen Rahmen kann Motivation und Selbstwertgefühl der jungen Filmemacher enorm fördern. Wenn Jugendliche erfahren, dass es um sie selbst geht und dass sie nachher ein Produkt in den Händen halten, das sie vorzeigen können und auf das sie stolz sein können, dann ist der Grundstein gelegt für eine aktive gemeinschaftliche Teilnahme. Musikvideos können mittlerweile ohne großen Aufwand ins Internet gestellt werden, im Jugendzentrum kann das fertige Video im Rahmen eines Präsentationsabends mit einem eigenen oder geliehenen Beamer gezeigt werden.

Literatur Anfang, G.: Videoarbeit. In: Hüther, J. und B. Schorb (Hrsg.): Grundbegriffe Medienpädagogik. München 42005, S. 401-414. Birke, Tom: Videoclips selbermachen. Praxis-Tips zum Erfolg; Ideen und Motive, Drehen, Schneiden und Präsentieren. Augsburg (Augustus-Verlag) 1996. Neumann-Braun, K laus und Lothar Mikos: Videoclips und Musikfernsehen. Eine problemorientierte Kommentierung der aktuellen Forschungsliteratur. Schriftenreihe Medienforschung der LfM, Band 52, Berlin (Vistas) 2006. Vielmuth, Ulrich: Sieben goldene Grundregeln beim Filmen. Filmthemen, Kameraführung, Bilgestaltung. In: Ratgeber für Videofilmer. Tipps und Tricks vom Profi. Köln (Dumont Buchverlag) 1998, S. 86-137. www.lfm-nrw.de/downloads/summary-videoclips.pdf

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Videodokumentation Lisette Reuter und Sascha Düx

Eine Videodokumentation sollte spannend, kurz und knapp, informativ und unterhaltsam sein. Gerade bei größeren Projekten mit Aktivitäten in mehreren Workshops bzw. an mehreren Orten sind Videodokumentationen ein wichtiges Element, da sie Schnittstellen zwischen allen angebotenen Aktivitäten bilden können, in denen sich jede/-r TeilnehmerIn wieder findet. Es macht großen Spaß, sich nach einem abgeschlossenen Projekt noch einmal eine Zusammenschau der Aktivitäten angucken zu können und sich selbst in Aktion zu sehen. Darüber hinaus bieten Videodokumentationen auch die Chance, Außenstehende in einer ansprechenden Art und Weise über das Projekt zu informieren und für Folgeprojekte zu werben. Grundlage einer guten Dokumentation ist eine strukturierte gemeinsame Planung. In Form eines Brainstormings können die Teilnehmenden überlegen, welche Themen und Aktivitäten filmisch abgedeckt werden sollen. Alle Elemente und Inhalte, die zum Thema passen, sollten aufgeschrieben werden. Man möchte dem Zuschauer eine Dramaturgie vermitteln, Zusammenhänge und Entwicklungen müssen deutlich werden, Überraschungen müssen für den Beobachter erkennbar sein. Es kann in der Praxis sinnvoll sein, verschiedene Gruppen zu bilden, die für die einzelnen zu dokumentierenden Gebiete zuständig sind. Zum Beispiel könnten die verschiedenen Workshops, das Gruppenleben, die Aufführung usw. in mehreren einzelnen Dokumentationen festgehalten werden. Bevor man anfängt, für die Dokumentation zu filmen, sollten alle TeilnehmerInnen mit dem Handling der Kamera vertraut sein und die Grundregeln der Filmsprache wie Einstellungsgrößen, Aufnahmeperspektiven und Licht/Beleuchtung erarbeitet und geübt haben.

in Dokumentationen, wo oft wichtige Informationen über Sprache vermittelt werden. Auch die Atmosphäre im Film wird durch den Ton emotional unterstrichen. Deswegen ist es wichtig, O-Töne stets optimal aufzuzeichnen und den Ton immer wachsam zu kontrollieren. Hierzu sollte ein Mitglied des Filmteams stets mit geschlossenen Kopfhörern den Ton verfolgen und bei Störgeräuschen ggf. die Aufnahme abbrechen und wiederholen lassen. Wenn man Interviews aufnimmt, ist es besonders wichtig, dass man an einem ruhigen ungestörten Ort, ohne starke Hintergrundgeräusche (wie Verkehrslärm, Glocken, Schritte) dreht. Wichtig ist auch der Tonaufnahmemodus: Mini-DVCamcorder haben in der Regel zwei verschiedene Modi: 16bit und 12bit (32 kHz). Im 16bit-Modus wird nur eine Stereospur aufgezeichnet, im 12bit-Modus in der Regel zwei: Angeschlossene externe Mikros auf der ersten, das eingebaute Mikro der Kamera auf der zweiten. Hier muss man ggf. beim Einspielen der Bänder in den SchnittPC beachten, dass die richtige Tonspur überspielt wird (also z.B. das in der Hand gehaltene Interviewmikrofon

Der O-Ton Der Ton ist ein oft unterschätzter Faktor beim Filmen. Gerade Anfänger neigen dazu, den Ton zu vernachlässigen und den Fokus auf die Bildgestaltung zu legen. Doch eine gute Tonspur ist entscheidend dafür, wie die Qualität eines Films wahrgenommen wird; besonders

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Nachvertonung

und nicht das weit vom Interviewten entfernte Kameramikro). Falls man trotzdem qualitativ unzureichende O-Töne aufgenommen hat, kann man versuchen, diese mit Tonbearbeitungsprogrammen zu korrigieren. Dennoch gilt, wie auch bei Bildaufnahmen: Schlechtes Rohmaterial wird auch durch „Schönheitsoperationen an digitalen Konsolen“ nie an die Qualität guten Rohmaterials herankommen.

Die Postproduktion

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Artikel

Siehe „Weche Software für den Videoschnitt?“ (Seite 54)

Die Gestaltungsmöglichkeiten sind in der Produktion von Dokumentationen unerschöpflich: Grafiken, Animationen (z.B. Flash), Fotos, Texteinblendungen, Effekte, Tonbearbeitung können in der Postproduktion mit eingebunden werden. Hierbei sind Kreativität und originelle Einfälle gefragt, aber auch ein maßvoller Einsatz der digitalen Mittel. Je nach Kompetenzniveau, Motivation und Zeitbudget der Teilnehmenden sowie Ansprüchen an bzw. Verwendungsplänen für den fertigen Film muss entschieden werden, ob die Dokumentation von Jugendlichen unter Anleitung geschnitten werden soll oder ob ein Profi diese Aufgabe alleine übernimmt. In Zusammenhang damit sollte eine passende Schnittsoftware gewählt werden. Sinnvoll ist es, zuerst das gesamte Material genau zu sichten und danach einen Grobschnitt anzufertigen, also den filmischen chronologischen Verlauf und die geplanten Einstellungen in der richtigen Reihenfolge im Schnittfenster anzulegen. Erst wenn der Grobschnitt steht und die beabsichtigten Informationen vermittelt werden, sollte man sich der freieren Phase der Postproduktion zuwenden, in der die oben genannten Gestaltungsmöglichkeiten ihre Anwendung finden. Dabei gilt: Der harte Schnitt sollte die Regel sein, spezielle Überblendungen (weiches Überblenden etc.) sollten nur beim Szenenwechsel oder in speziellen Sequenzen als Effekt eingesetzt werden. Interessant können Splitscreen-Effekte sein (der Bildschirm wird in mehrere Regionen aufgeteilt, man sieht z.B. mehrere Aspekte einer Tanzchoreographie gleichzeitig), hierbei sollte man beachten, dass die Proportionen jedes Bildes erhalten bleiben (schon ein geringfügiges Strecken oder „quetschen“ in der Breite oder in der Höhe wirkt optisch befremdlich) und etwaige Abstände (z.B. schwarze Trennlinien) zwischen den einzelnen Bildregionen stets die gleiche Breite haben. Zum Abschluss sollte ein Titel und ein Abspann generiert werden. Im Abspann sollten alle Mitwirkenden vor und hinter der Kamera sowie alle Geldgeber genannt werden.

52 | Videodokumentation

Ein wichtiger Aspekt der Postproduktion ist die Tonbearbeitung. O-Töne können mit Effekten bearbeitet werden (z.B. kann eine verbesserte Sprachverständlichkeit durch maßvolle Absenkung der Bässe und Anhebung der Höhen erzielt werden). Wichtiger ist aber eine gute Abstimmung der Lautstärkepegel. Gute Videoschnittprogramme ermöglichen es, „Lautstärkekurven“ einzuzeichnen und so z.B. leise Interviewpassagen gezielt anzuheben. Beachten sollte man auch, das Interviews, die in der Regel mit einem Mono-Mikrofon aufgezeichnet werden, in der Mitte des Stereobilds und nicht hart links oder hart rechts liegen. Eine zentrale Rolle bei der Vertonung spielt auch die Filmmusik, sie unterstreicht die gewünschte emotionale Wirkung und peppt die Dokumentation auf. Wenn die Dokumentation auf DVD oder im Internet veröffentlicht werden soll oder in offiziellem Rahmen öffentlich aufgeführt werden soll, empfiehlt es sich, mit GEMA-freier bzw. selbstproduzierter Musik zu arbeiten. Bei Musik „von CD“ entstehen Lizenz- und Rechtsfragen, es können hohe Kosten anfallen, sobald die Dokumentation veröffentlicht wird.1 Bei Dokumentationen wird man häufig mit einem nachträglich eingesprochenen Kommentar arbeiten, der die Bildinformationen ergänzt und unterstützt. Der Kommentartext kann Hintergründe und Zusammenhänge beschreiben und verdichtet somit die Informationen für den Zuschauer. Auch hier gilt: Weniger ist oft mehr. Außerdem sind gute SprecherInnen selten – gute RapperInnen oder SängerInnen haben häufig gute Sprechstimmen, können aber nicht unbedingt gut fremde Texte vorlesen. Wenn kein guter Sprecher gefunden werden kann, sollte man erwägen, ohne Off-Kommentar zu arbeiten und stattdessen vielleicht eher Kommentartexte (Untertitel/ Zwischentitel) einblenden. Bei der Nachvertonung kann man bei Bedarf auch auf Geräusch-CDs zurückgreifen, die im Handel für wenig Geld erhältlich sind; unter www.musikarchiv-online.de gibt es Geräusche zum kostenlosen Dowload.


Export und DVD-Authoring

Punkte, die beim Filmen zu beachten sind

Wenn der Film im Computer fertiggestellt worden ist, sollte er zunächst auf ein – vorzugsweise unbenutztes – (Mini-)DV-Band ausgespielt werden, bei dem anschließend der Schreibschutz aktiviert wird. Dieses Masterband eignet sich auch für Vorführungen. Man sollte jedoch beachten, dass Mini-DV ein Format mit Tücken ist – es kommt gelegentlich zu Drop-Outs (kurzen „Aussetzern“ auf einem Band, die Bild- oder Tonausfälle bewirken). Filme können darüber hinaus in verschiedenen Formaten als Datei exportiert werden; einige eignen sich speziell fürs Internet, andere zur Weiterverarbeitung auf DVD oder zur Archivierung und Präsentation auf dem eigenen PC.2 Eine Dokumentation kann, wenn sie rechtzeitig fertig ist, zu Projektende aufgeführt werden; oft wird die Postproduktionsphase aber länger dauern, so dass es z.B. erst beim Projekt-Nachtreffen zur Premiere kommt. Wenn das Budget es zulässt, kann für jede/-n TeilnehmerIn eine DVD mit allen Videos aus dem Projekt kopiert werden. Es gibt mittlerweile recht preisgünstige Tintenstrahldrucker, mit denen spezielle Rohlinge bedruckt werden können. So können auch mit kleinem Budget professionell aussehende DVDs erstellt werden.

Weitere Informationen Büchele, Fridhelm: Digitales Filmen. Einfach gute Videofilme drehen und nachbearbeiten. Bonn (Galileo Press) 22005. Rogge, A xel: Die Videoschnitt-Schule. Tipps und Tricks für spannendere und überzeugendere Filme. Bonn (Galileo Press) 22006. Slashcam Übungs-DVD: Digitales Filmen lernen per

» Weißabgleich (White Balance): regelt die Farbechtheit der Aufnahmen. Immer zu Beginn der Kameraaufnahmen und wenn sich die Lichtverhältnisse ändern, sollte ein Weißabgleich durchgeführt werden (die Kamera wird auf ein möglichst weißes Objekt, z.B. ein Blatt Papier, gerichtet und der White-Balance-Knopf gedrückt). » Stativ verwenden: Vor allem bei Tele-Aufnahmen kann niemand die Kamera wackelfrei halten. Handkamera wirkt oft unruhig und sollte nur wohldosiert eingesetzt werden. » Nicht zuviel schwenken: Das menschliche Auge „schwenkt“ in der Regel auch nicht, sondern es „springt“ von einem Betrachtungsschwerpunkt zum nächsten. » Nicht zuviel zoomen: Der Zoom an einer Kamera dient in erster Linie dazu, die Einstellungsgröße (den Bildausschnitt) zu wählen, sollte also schwerpunktmäßig vor dem eigentlichen Filmen und nur selten gezielt als Effekt beim Filmen eingesetzt werden. » Kamerafahrten: sind besser als das Zoomen, denn die Kamerafahrt entspricht unserem natürlichen Sehen. Man kann Skateboards, Rollstühle und Rollwagen dafür verwenden, sollte aber so vorsichtig vorgehen, dass weder Kamera noch Kameramann/-frau zu Schaden kommen. » Man sollte sich bemühen, dass man schon in der Planung eine Auswahl an Szenen, Momenten, Gestaltungselementen trifft, da zuviel Material zu Stress in der Postproduktionsphase (Schnitt) führt. Auch zuwenig Material kann Probleme verursachen – nichts ist ärgerlicher, als beim Schnitt festzustellen „hier fehlt noch etwas, da könnten wir dringend eine Aufnahme von XY gebrauchen“, und dann nicht nachdrehen zu können, weil z.B. das dokumentierte Projekt längst abgeschlossen ist. Das Verhältnis zwischen dem aufgenommenen Rohmaterial und der angestrebten Dauer des fertigen Films sollte sich im Bereich von 10:1 bis maximal 50:1 bewegen. » Zwischenbilder / Zwischenschnitte: Beim Schnitt braucht man oft Füllmaterial, um die Dokumentation interessant und spannend zu gestalten. Bei einem Interview können das z.B. Aufnahmen sein, die den Inhalt des Interviews visualisieren, oder Nahaufnahmen des zuhörenden Interviewers (wenn dieser gezeigt wird). Man sollte daher schon beim Filmen stets darauf achten, dass viele Details, athmosphärische Bilder etc. aufgenommen werden. Auch Aufnahmen des Orts der Handlung in der Totale sind oft hilfreich, um den Zuschauer ins Geschehen einzuführen. » Interviews: Es ist sinnvoll, die Interviewsituation wenn möglich zuvor „trocken“ mit allen Beteiligten zu üben, damit man beim eigentlichen Dreh sicherer vor und hinter der Kamera agieren kann. Man muss entscheiden, ob der Interviewer mit im Bild sein oder aus dem Off agieren soll. Der Interviewer sollte stets offene Fragen stellen, die zu interessanten Antworten einladen. Wenn man mit Off-Interviewer arbeitet und beabsichtigt, die Fragen nachher herauszuschneiden, sollte der Interviewte angewiesen werden, seine Antworten so zu formulieren, dass sie auch ohne die Frage verständlich sind. Dem Interviewten sollte eine Blickrichtung vorgeschlagen werden. » Wenn ein Videoband voll ist bzw. die Aufnahmen abgeschlossen sind, sollte der Schreibschutz aktiviert werden, damit nicht versehentlich jemand die Aufnahmen überspielt. Außerdem sollte jedes Band dringend eindeutig beschriftet werden, sonst kommt man beim Schnitt in Teufels Küche. Nach den Aufnahmen sollten alle Bänder gemeinsam an einem sicheren Ort gelagert werden.

DVD: Kameraführung, Technik, Bildausschnitt, Licht, Ton. Bonn (Galileo Press) 2004. www.slashcam.de und www.wikipedia.de Informationen hierzu gibt es unter www.gema.de siehe Artikel „Im Dschungel der Formate“ auf der beiliegenden DVD 1

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Welche Software für den Videoschnitt? Es gibt inzwischen eine unüberschaubare Anzahl an Videoschnittsoftware. Hier ein Überblick über einige der wichtigsten Programme mit Preisen (Stand März 2007): » Windows Movie Maker: Einfaches kostenfreies Einsteiger-Schnittprogramm, das den meisten Windows-Versionen beiliegt. Export nur im WMV-Format, kann keine DVDs erstellen. Eine Videospur, daher für Musikvideos ziemlich ungeeignet. » iMovie HD 6: Das Apple-Gegenstück zum Windows Movie Maker: besseres Design, einfacher bedienbar, HD-fähig, kostenfrei, nur für Mac. Nur eine Videospur. Gute Audiofunktionen (z.B. Audiokommentare zum Bild aufnehmen). » AVID Free DV: kostenfreie Version der führenden professionellen Videoschnittsoftware AVID. Schwierig zu lernen, aber praktisch für Jugendliche mit Profi-Ambitionen im Videobereich. Import von Videos nur über DV-Eingang, Export auf DV-Band oder als Quicktime-Datei. Läuft auf PC und Mac. Free DV-Projekte können nicht in den AVID-Profiversionen weiterbearbeitet werden. Kein HD, nur 2 Videospuren. » Pinnacle Studio 10.7: Sehr einfach bedienbares Schnittprogramm für Windows-PCs. Effekte wie Chroma Key (Bluescreen), HD-fähig, DVD Erstellung, MPEG2- und Realmedia-Export möglich. Gutes preisgünstiges Einsteigerprogramm (ca. 40 Euro), für Dokus und Spielfilme geeignet, für Musikvideos weniger (nur 2 Videospuren). » MAGIX Video deluxe 2007: Fast alle MAGIX-Produkte (Music Maker etc.) haben auch Videoschnittfunktionen; speziell für Videoschnitt ausgelegt ist Video deluxe (ca. 50 Euro, Plus-Version 100 Euro). Ideale Einsteiger-Software für Musikvideoproduktion dank vieler Videospuren, zahlreicher Effekte (auch Splitscreen) und guter Audiointegration. HD-tauglich, Import/Export zahlreicher Formate (u.a. Realmedia), DVD-Erstellung » Adobe Premiere Pro 2.0: Eins der führenden PC-Profiprogramme. Nicht ganz leicht zu erlernen. Unterstützt zahlreiche Formate (HD, Real und MPEG Export). Kostet gut 1000 Euro, mit etwas Glück kann man aber für ca. 500 Euro eine ältere Version und das Update auf Premiere Pro 2.0 erwerben. Das abgespeckte Einsteigerprogramm Adobe Premiere Elements 3.0 kostet gut 100 Euro, kann DVDs erstellen, unterstützt HD und bietet bis zu 99 Videospuren, aber keinen Realmedia-Export. Alle Videos im Projekt Roots&Routes Cologne 2005/2006 wurden mit Premiere Pro geschnitten. » Sony Vegas 7.0: Ernst zu nehmender Konkurrent für Adobe Premiere Pro. Preisgünstiger und leichter zu bedienen bei vergleichbarer Funktionalität. Für ca. 600 Euro (Schulversion 450 Euro) bekommt man das „Vegas+DVD“ Paket, das die professionelle DVD-Authoringsoftware „DVD Architect“ enthält. » Adobe After Effects: Compositing-Programm, dass in erster Linie für die Produktion von Animationen und Trailern konzipiert ist. Eignet sich auch gut zur Erstellung von Videoloops, die beim VJing verwendet werden. Die Standardversion kostet gut 900 Euro, die ProVersion rund 1500 Euro, als Schulversion ca. 600 Euro. » Final Cut: Die Mac-Profisoftware. Die abgespeckte Version Final Cut Express HD (knapp 300 Euro) bietet bereits 99 Videospuren, HD und eine professionelle Effektpalette, aber keine eingebaute DVDErstellung (Export nur auf DV-Band oder als Quicktime). Die Vollversion Final Cut Pro 5 gibt es nur gebündelt im Final Cut Studio Paket (enthält auch DVD Studio Pro 4), das kaum Wünsche offen lässt, aber auch satte 1300 Euro kostet. » AVID Xpress Pro HD 5.6: Das Universalgenie – läuft auf Mac und PC, kann fast alles (außer Einsteigern das Leben zu erleichtern), unterstützt zahlreiche Formate (DVD-Erstellung nur auf PC) und ist kompatibel mit den großen AVID-Composer-Systemen, die in Profistudios sehr verbreitet sind. Kostet ca. 1800 Euro, die Schulversion ist aber mit rund 250 Euro sehr günstig.

54 | Bluescreen | VJing

Bluescreen Kerstin Venne

Die Bluescreen-Technik ist ein Verfahren, das im Filmund Fernsehbereich genutzt wird, um Personen nachträglich mit einem Hintergrundbild – z.B. einer realen Videoaufnahme oder einer Computergrafik – zu kombinieren. Für die Jugendmedienarbeit bietet das BluescreenVerfahren einen großen Handlungsspielraum. Mit Hilfe einfacher Mittel können beeindruckende Ergebnisse erzielt werden. So ist es mit entsprechendem Videomaterial möglich, Menschen fliegen zu lassen oder sie in die verrücktesten Umgebungen zu setzen. Insbesondere im Bereich der Musikvideoproduktion können Jugendliche ihren Phantasien freien Lauf lassen. Selbst kreierte Grafiken oder Videoeffekte lassen sich ebenso als Hintergrund verwenden wie eigene Videoaufnahmen. So funktionierts: Personen oder Gegenstände werden vor einem einfarbigen – in der Regel blauen oder grünen – Hintergrund aufgenommen. Durch einen bestimmten Effekt, genannt „Keying“ bzw. „Chroma Key“, kann in der Nachbearbeitung der einfarbige Hintergrund durch andere Video- oder Grafiksequenzen ersetzt werden. Die meisten aktuellen Videoschnittsoftwares der Preisklasse ab 100 Euro haben eine „Keying“-Funktion. Für die Umsetzung des Bluescreen-Verfahrens braucht man eine Videokamera, einen möglichst gleichmäßig einfarbigen Hintergrund (keine Schatten oder Falten) und zwei Lampen, um den Hintergrund gleichmäßig auszuleuchten. Und natürlich eine Schnittsoftware. Es ist also kein teures Profiequipment erforderlich. Der Hintergrund muss nicht unbedingt blau oder grün sein. Diese Farben haben sich aber als besonders geeignet herausgestellt, da sie einen guten Kontrast zur Hautfarbe bilden. Um ein gutes Ergebnis zu erzielen, darf es keine farblichen Überschneidungen zwischen dem Vordergrundobjekt und dem Hintergrund geben: Bei blauem Hintergrund sind blaue T-Shirts tabu!


Marcel Panne a.k.a. VJ Sehvermögen Jahrgang 1973, kommt ursprünglich aus der Foto-grafie, hat sich längere Zeit mit Theater, Film und Fernsehen beschäftigt, bis er dann vor ca. 10 Jahren als einer der ersten VJs den Schritt in die Selbständigkeit gewagt hat. Seitdem hat er unzählige Veranstaltungen bestritten, von der offiziellen Party zur Euro-Einführung bis zum Global Leadership Treffen von Siemens, aber auch als VJ bei Lesungen der Lit.Cologne, bei Theaterstücken und natürlich auf Partys. Sein Style ist geprägt von Film, der mit Texten und Grafiken überlagert wird, seine VJ-Sets sind narrativ und nehmen häufig Bezug zu aktuellem Geschehen, sei es der Konflikt in Nahost oder die Fussballweltmeisterschaft. Er produziert seine Inhalte mit Programmen wie Premiere, Photoshop, Flash und After Effects, aber auch analog mit dem Fairlight CVI Videosynthesizer.

VJing Marcel Panne

Kontakt: Fon: 0221/2824226 www.sehvermoegen.de info@sehvermoegen.de

Der Begriff VJ

Inhalte

(Video Jockey) ist abgeleitet worden vom DJ (Disk Jockey): Während der DJ Platten ineinander mischt, generiert ein VJ live zur Musik Videos. Wenn man sich die Arbeitsweise und das Equipment eines VJ anschaut, wird man schnell feststellen, das die Arbeit eines VJs eher mit der eines Live-Elektronik-Musikers als mit der eines DJs zu vergleichen ist. VJing ist sehr vielschichtig, man muss sich mit Computer/Software, Hardware (Mischpulte, Effektgeräte), Raumgestaltung und vor allem dem Produzieren von Inhalten beschäftigen.

Die Inhalte können je nach Interesse verschieden ausfallen: So ist es möglich mit Foto, Video, Grafik, 3D, Text/Typo, computergenerierten Effekten zu arbeiten, und all diese Elemente lassen sich natürlich auch untereinander mischen. Wichtig ist stets, dass die Inhalte zum Anlass passen – und Anlässe gibt es inzwischen sehr verschiedene. VJs sind längst nicht mehr nur im Club zu finden, sondern auf fast jedem Event vertreten: Messen, Präsentationen, Konzerte, Mode, Kultur und Theaterveranstaltungen werden durch VJs visuell mitgestaltet. Um einen VJ-Workshop erfolgreich durchzuführen, braucht man leistungsstarke Computer mit den entsprechenden Programmen: erstens zum Vorproduzieren der Inhalte, zweitens für das visuelle Mischen in Echtzeit. Dazu digitale Foto-/Videokameras und natürlich mindestens einen Video-Projektor (Beamer). Spannender als nur am Computer zu mischen wird es mit Video-Mischpulten und -Effektgeräten; dann können auch Video-DVDs als Bildquellen eingebunden werden. Es ist ratsam, in Gruppen an einem konkreten Projekt zu arbeiten, damit sich die Teilnehmer gegenseitig helfen können und gemeinsam Ideen entwickeln, aber auch jeder Einzelne seine Stärken mit einbringen kann.

Kerstin Venne Jahrgang 1979, studiert Erziehungswissenschaften mit den Schwerpunkten Medienpädagogik, interkulturelle Bildung und Kulturarbeit an der Universität Bielefeld. Im Rahmen ihres Studiums absolvierte sie verschiedene Praktika im medienpädagogischen Bereich und ist als Honorarkraft in unterschiedliche Kinderund Jugendmedienprojekte eingebunden, u. a. im JFC Medienzentrum. Darüber hinaus kann sie auf einen umfangreichen Erfahrungsschatz aus ihrer abgeschlossenen Berufsausbildung zur Mediengestalterin Bild und Ton zurückgreifen.

VJ Equipment Software zur Erstellung von Inhalten (Rohmaterial): Adobe Premiere, Adobe After Effects, Adobe Photoshop, Flash, Swift 3d, Cinema 4d. Software für Präsentation/Live Mixing: – Mac: Modul8 2.5, Vidvox VDMX5, Flomotion 2.5. – PC: Resolume, ArKaos, Flomotion 2.5, Motion Dive. Hardware: Videomischpult (Edirol V4), Effektgerät (Korg Kaoss Pad Entrancer), DVD-Player, DV-Camcorder, Digitale Fotokamera

Kontakt: kerstin.venne@t-online.de

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B-boying/Breakdance-Workshops Youngung Sebastian Kim (Jaekwon)

Ressourcen Um einen Breakdance-Workshop durchführen zu können, braucht man hauptsächlich einen geeigneten Boden, genügend Platz für alle Teilnehmer und eine Musikanlage – das sind die wichtigsten Komponenten. Der Boden sollte eben und glatt sein, um die akrobatischen Elemente gut ausführen zu können. Gut geeignet dafür sind z.B. PVC, Linoleum oder Gummiböden wie in Turnhallen. Diese Böden sind nicht zu hart und in der Regel auch für Rutschbewegungen geeignet. Auf diesen Böden lassen sich alle Bewegungen durchführen. Damit man diverse akrobatische Elemente mit möglichst geringem Verletzungsrisiko erlernen kann sind Hilfsmittel wie z.B. Judomatten sehr von Vorteil. Diese Matten dämpfen gut und haben genügend Dicke, sind aber nicht zu weich und lassen auch Rutschbewegungen zu. Turnermatten sind zwar für die Erlernung von Überschlägen und Saltos geeignet, lassen aber kaum Breakdance-typische Bewegungen zu, da sie dafür zu weich und nicht rutschig genug sind. Yoga- und Gymnastikmatten sind zu dünn, um wirklich etwas abhalten zu können.

Um choreographische, tänzerische Elemente gut einstudieren zu können, braucht man eine ausreichend große Spiegelwand. Für diverse Freeze-Figuren ist es auch von Vorteil, wenn man eine spiegelfreie feste Wand zum Erlernen mit einbeziehen kann, an der die Schüler z.B.im Handstand auch die Füße an der Wand absetzen dürfen.

Teilnehmer Für die Kleidung der Teilnehmer gibt es keine zwingenden Vorschriften. Die Hauptsache ist, dass die Teilnehmer sich wohl fühlen und frei bewegen können. Legere Freizeit-Kleidung bzw. Sportkleidung und Turnschuhe eignen sich am besten dazu. Um blaue Flecken weitestgehend zu vermeiden, kann man Knie- und Ellbogenschoner (z.B. Volleyballschoner) benutzen; das ist aber nicht unbedingt notwendig. Auch eine Baumwollmütze oder Schweißbänder kann man mitbringen, wenn man Kopfstand-Elemente oder andere Rutschfiguren erlernen will. Aber auch das ist optional und für Anfänger meist eher irrelevant. Da die Bewegungen im Breakdance komplex sind und ein hohes Maß an Koordination, Gleichgewicht, Kraft und Beweglichkeit erfordern, ist das Lerntempo der Teilnehmer sehr unterschiedlich und erfordert zwischendurch immer wieder auch individuelle Betreuung seitens des Dozenten. Daher ist es von Vorteil, wenn man die Gruppen auf ca. 10 Teilnehmer pro Dozent beschränkt, um einen möglichst großen Lernerfolg zu haben. Natürlich ist es auch möglich, größere Gruppen zu unterrichten, jedoch sinken damit die individuelle Betreuungsmöglichkeit und das Lerntempo der Gruppe. Eine möglichst lernhomogene Gruppe erleichtert den Unterricht.

Unterricht Die Unterrichtsstruktur hängt von der Zielsetzung des Unterrichts und dem Leistungsstand der Teilnehmer ab. Am Anfang des Unterrichts sollte der Dozent ein Aufwärmprogramm mit den Teilnehmern durchführen. Dies kann durch Vermittlung einer Toprock-Choreographie geschehen, mit der die Teilnehmer sich warm tanzen, durch Lockerungsübungen oder Spiele.

56 | B-boying/Breakdance-Workshops


Anschließend sollten sich die Teilnehmer allerdings unbedingt dehnen, nicht nur zur Aufwärmung, sondern auch zur Verletzungsprävention. Zudem erfordern viele Bewegungen eine gewisse Grunddehnung, von daher ist Stretching im B-Boying unverzichtbar. Geht es um einen Anfängerkurs, so ist die Vermittlung von einem möglichst breiten Spektrum des Breakdance mit Basisbewegungen aus den verschiedenen Sparten anzustreben: – Toprock/Uprock: Tanz im Stand, – Downrock/Footwork: Schritte am Boden, – Powermoves: Akrobatik, – und Freezes: Figuren. Werden Fortgeschrittene unterrichtet, so haben die Teilnehmer meist schon gewisse Präferenzen bzw. Bewegungen, an welchen sie gerade arbeiten. Es gibt in der Regel auch Unterschiede im Move-Repertoire der Teilnehmer. Die Techniken werden komplexer. In diesem Fall ist eine individuellere Betreuung angesagt. Ist der Unterrichtet zeitlich befristet, etwa wie bei einem Workshop (im Gegensatz zu einem unbefristeten bzw. über einen längeren Zeitraum laufenden Kurs), ist es eine gute Möglichkeit der Vermittlung, erst einzelne Elemente aus den jeweiligen Sparten vorzustellen und diese dann zu einer Choreographie zu verbinden. So haben die Teilnehmer nicht nur unverbundene Elemente, sondern eine komplette Sequenz, mit der sie auch etwas anfangen können; sie lernen somit möglichst viel in kurzer Zeit. Über die einzelnen Techniken hinaus sollte der Dozent den Teilnehmern auch die Terminologie (korrekte Bezeichnung der unterrichteten Moves) sowie Auszüge aus der Geschichte des B-Boying vermitteln. Besonders betonen sollte der Dozent den Umstand, dass Breakdance nicht nur aus spektakulärer Akrobatik besteht, sondern eine Kombination aus Akrobatik und Tanz ist. Der tänzerische Aspekt sollte also nicht zu kurz kommen. Ziel ist es, die erlernten Bewegungen später im Takt der Musik ausführen zu können. Wenn genügend Zeit vorhanden ist und mehr Elemente unterrichtet werden konnten, kann der Dozent die

Teilnehmer aus den vermittelten Elementen eine jeweils eigene Choreografie erstellen lassen; denn im B-Boying geht es nicht zuletzt auch darum, einen möglichst individuellen und originellen eigenen Stil zu finden. Am Ende des Unterrichts kann der Dozent die Teilnehmer im Kreis versammeln und den Inhalt der Stunde wiederholen. Da die komplexeren Bewegungen nicht an einem Tag erlernt werden können, ist es wichtig, den Teilnehmern Vorübungen und Hilfestellungen mitzugeben, damit sie in der Lage sind, selbstständig weiter zu üben. Sind die Teilnehmer schon etwas fortgeschrittener, haben sie sich ein gewisses Repertoire angeeignet und sind sie sicherer in ihren Bewegungen, kann man als Abschluss auch einen Kreis bilden, in dem jeder Teilnehmer die vom Dozenten erlernte oder eigens kreierte Choreografie vor den anderen vortanzt. Anschließend kann der Dozent noch Dehnübungen mit der Gruppe durchführen, um den Unterricht ausklingen zu lassen und möglichem Muskelkater vorzubeugen.

Youngung Sebastian Kim a.k.a. Jaekwon Jahrgang 1983, studiert an der Sporthochschule Köln. Seit 2003 gibt er Tanzunterricht sowie Akrobatik-Workshops, 2006 war er Fachdozent auf der INTAKO (weltweit größter TanzlehrerKongress). Durch erfolgreiche Teilnahme an Breakdance-Wettbewerben wie dem Battle of the Year (Deutscher Vizemeister 2004 und 2006), IDO Dutch Open (Sieger 2005 und 2006), TAF Europameisterschaft in Österreich (Sieger 2005) und der ADTV Weltmeisterschaft Bremen (3. Platz 2005) etablierte er sich als B-boy „Jaekwon“. Er ist Mitorganisator der Veranstaltung „Break de Cologne“. Kontakt: Youngung Sebastian Kim / Jaekwon jkfresh83@gmx.de

How to do | 57


Breakdance- und Streetdanceworkshops Jannina Alexa Gall

Tanz löst bei vielen Kindern und Jugendlichen Begeisterung aus; mit Tanzstilen wie Breakdance, Streetdance und Pop identifizieren sie sich aufgrund ihrer Interessen und jugendkulturellen Einbindung oft stärker als mit klassischen Stilen. Worauf sollte man bei der Wahl der Workshops und der Trainer achten? Zunächst sollten Tanzstil und Zielgruppe definiert werden. Breakdance, das tänzerische Element der HipHopKultur, ist mit seinen akrobatischen Formen am Boden besonders bei männlichen Jugendlichen sehr beliebt. Da die Bewegungen sehr komplex und akrobatisch,

58 | Breakdance- und Streetdanceworkshops

aber zugleich auch rhythmisch sind, dauert es einige Zeit, bis man gute Ergebnisse erzielen kann. Der Tanzstil ist sehr wettkampfbetont, bei „Battles“ (Tanzwettstreit ohne Körperkontakt) treten die Tänzer gegeneinander an. Kleine Verletzungen wie blaue Flecken oder Schrammen kommen beim Training schon mal vor. Weibliche Jugendliche sind oftmals zurückhaltender und werden vom Wettkampfcharakter dieses Tanzstils eher abgeschreckt. Trotzdem sollte man nicht dazu übergehen, Breakdance nur noch für Jungen anzubieten, denn es tauchen doch immer wieder Mädchen auf, die viel Spaß am Breakdance entwickeln. Im Gegensatz zum Breakdance gibt es noch einige urbane Tanzstile, die „auf den Beinen“ getanzt werden, z.B. Streetdance, Videoclipdance und Pop. Diese Tanzstile werden oft fälschlicherweise zusammenfassend als „HipHop Dance“ bezeichnet (HipHop ist eine Straßenkultur, nicht ein Tanzstil). Bei diesen Tanzstilen werden Tanzschritte zu Choreographien zusammengefügt und zu entsprechender Musik getanzt. Da diese Stile akrobatisch nicht so fordernd und schneller zu erlernen sind, sieht man schon nach kurzer Zeit tolle Ergebnisse. Diese Tanzstile wiederum begeistern mehrheitlich weibliche Jugendliche, doch auch mehr und mehr Jungen finden Gefallen an dieser Art von Tanz. Für alle genannten Tanzstile braucht man einen ebenen Boden, Schwungboden oder geschliffenes Parkett ohne Splitter sind ideal. Ungeeignet wegen Verletzungsgefahr sind Teppiche und Ballett-Teppichbelag. Ausreichend Raum – ca. 2-3 qm pro Person – sind zu empfehlen. Für die choreographischen Stile wie Streetdance und Pop etc. ist eine Spiegelwand sehr nützlich, aber nicht zwingend.


Eine Musikanlage und die passende Musik sind natürlich unverzichtbar! Da es in den Bereichen Breakdance und Streetdance bis heute keine offizielle Ausbildung gibt, sollte bei der Wahl von TrainerInnen in diesen Stilen eine tanzpädagogische Ausbildung kein vorrangiges Kriterium sein. Qualität und Stilechtheit findet man bei TänzerInnen aus Jugendzentren, Schulen oder Tanzschulen. Wobei hier auch gilt: Ein super Tänzer ist nicht immer ein guter Lehrer. Man sollte darauf achten, dass TrainerInnen gut vermitteln können sowie geduldig, freundlich, motivierend und zuverlässig sind. Auch sollten TrainerInnen in angemessener Kleidung auftreten: Enge Leggins und Ballettschläppchen deuten im Breakdance- und StreetdanceBereich auf unqualifizierte Trainer hin, Turnschuhe und eher locker sitzende Kleidung (auch in Jeans wird oft getanzt) sind angebracht. Der Unterricht sollte eine gewisse Routine beinhalten. Beim Breakdance sollte es eine kurze Aufwärmphase geben, auf die dann verschiedene Phasen folgen, in denen verschiedene Bewegungen und Elemente erlernt werden. Nach den ersten Stunden trainieren die einzelnen Schüler dann unabhängig voneinander in individuellen Abläufen und Phasen. Der Trainer sollte in dieser Zeit für Fragen offen sein. Man sollte darauf achten, dass der Trainer sich in der Kurszeit voll auf die Schüler konzentriert und die Zeit nicht zum eigenen Training nutzt. Auch beim Streetdance sollte eine kurze Aufwärm- oder Lockerungsphase am Anfang stehen. Dann sollte eine vorbereitete Choreographie Schritt für Schritt einstudiert werden und immer wieder systematisch zur Musik geübt werden. Jede Stunde sollte etwas Neues dazukommen – wenn vier Wochen lang immer die gleichen acht Takte getanzt werden, dann ist das zu wenig. SchülerInnen sollten die Chance bekommen, eigene Ideen einzubauen oder ein Stück selbst zu gestalten. Hier ist Unterstützung und ggf. Bearbeitung der Choreographie seitens des Trainers wichtig. Generell gilt: Kein Schüler sollte innerhalb einer Unterrichtstunde lange aussetzen müssen, möglichst häufig sollten alle Schüler miteinbezogen werden. Egal welcher Tanzstil, am Ende eines Kurses oder einer Workshop-Phase sollte es eine Aufführung geben. Auch bei Festen und Feiern bieten sich Aufführungen an. Die meisten SchülerInnen wollen zeigen, was sie gelernt haben. Ich wünsche allen viel Spaß!

Jannina Alexa Gall Jahrgang 1976, arbeitet seit 2002 als Dozentin und Choreographin für Breakdance, Locking und verwandte Tanzstile (Streetdance, Reggaeton, Pop, House). Als Dozentin arbeitete sie u. a. im Hochschulsport der Uni Köln sowie in Kinder- und Jugendprojekten der Offenen Jazz Haus Schule Köln und des JFC Medienzentrums. Ihr Leben ist von HipHop geprägt, Vermittlung der Grundsätze des HipHop ist ihr stets ein Anliegen. Seit 2005 lebt und arbeitet sie in Kolumbien, wo sie Mitglied in der Breakdance-Crew Bélicos ist. In Medellín leistet sie Pionierarbeit im Bereich Streetdance und bildet Profibreakdancer zu Dozenten aus.

How to do | 59


Musikworkshops Sascha Düx

Musikworkshops in Urban-Culture-Projekten können sich an verschiedene „Musikertypen“ wenden: Sänger, Rapperinnen, Instrumentalisten, DJs, Produzentinnen – auch wenn es häufig Überschneidungen gibt (z.B. Rapper, die auch eigene Beats produzieren), brauchen diese „Typen“ je verschiedene Formen von Coaching. Bei der Projektplanung muss daher entschieden werden, wen ein Projekt ansprechen soll: Wird es ein reines Rap-Projekt, oder soll es auch Coaching für Sänger geben? Wird mit mitgebrachten Instrumentals (Beats) gearbeitet oder sollen die im Projekt selbst entstehen? Soll es einzelne Instrumente geben, die live zu programmierten Beats spielen, oder gar eine ganze Band? Ausgehend von diesen Entscheidungen sind dann die Workshops zu planen, die Ressourcen zu organisieren und die Referenten auszuwählen. Wenn es z.B. eine Band geben soll, braucht man genug junge Instrumentalisten (die sind je nach Zielgruppe nicht unbedingt leicht zu finden), die entsprechenden Instrumente (nicht jeder junge Schlagzeuger hat ein eigenes Drumset), einen Proberaum ohne lärmempfindliche Nachbarn und natürlich einen Bandcoach; wenn die Band auch Studioaufnahmen machen soll, stellt das deutlich höhere Anforderungen an Studioräume und -technik sowie an die Kompetenzen des „Toningenieurs“ als reine Gesangsaufnahmen.

Von der Idee zur CD

8

Artikel

Siehe „Urban-CultureProjekte des JFC Medienzentrums“ (Seite 19)

Als Projektleitung sollte man gemeinsam mit den Referenten und wenn möglich mit einigen potenziellen Teilnehmern einen „Reiseplan“ für den Workshop entwickeln: Wie sehen die Stationen der einzelnen TeilnehmerInnen aus, und wie passen sie ins Gesamtbild? Das Beispiel im Infokasten – angelehnt an unsere internationalen HipHop-Camps und Roots&Routes-Projektphasen – zeigt einen möglichen Plan für eine sechstägige FerienBlockphase mit 15 bis 30 Teilnehmenden.

60 | Musikworkshops

Je nach Motivation, Reife und Lerntyp der Teilnehmenden kann mit eher offenen Formen gearbeitet werden – z.B. „es gibt verschiedene Räume mit verschiedenen Coaching-Angeboten im Haus, Kleingruppen arbeiten eigenverantwortlich an ihren Songs und nutzen diese Angebote“ – oder es kann nötig sein, detaillierte Stundenpläne zu erstellen: Gruppe A übt von 11-12 Uhr in Raum 3, dann geht’s 12-13 Uhr zum Performancecoaching in


Raum 5, und nach dem Mittagessen ab ins Studio. Studiozeit ist ein chronisch knappes Gut – Aufnahmen dauern oft länger als erwartet, und gefühlte Ungerechtigkeiten bei der Studiozeit-Aufteilung führen schnell zu Missstimmungen in der Gruppe. Entlastung bringen hier mehrere Studios – wenn dafür genug Räume und Equipment vorhanden sind. Wichtig ist auch, dass der Referent im Studio nicht die Zeit aus dem Auge verliert, und lieber entscheidet: „Deine Strophe sitzt noch nicht – geh noch mal raus zum Üben“, als mit einem Sänger zig unbefriedigende Takes aufzunehmen. Musik hat viele Facetten, und so können auch Musikworkshops eine Vielzahl von Aspekten und Schwerpunkten haben. Einige der für Urban-Culture-Projekte wichtigsten sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Warming-ups Gute Warming-ups aktivieren die Gruppe und erleichtern den Start in die Workshoparbeit. Es gibt hier eine große Bandbreite von musikalischen und außermusikalischen Methoden: Von Dehn- und Streckübungen über rhythmische Spiele (z.B. Rhythmen vor- und nachklatschen), von theaterpädagogischen Übungen (z.B. jeder stellt mit einer pantomimischen Geste dar, wie er sich gerade fühlt) bis hin zu tänzerischen Aktivitäten (z.B. „Soultrain“: Die Gruppe steht in zwei Reihen und macht einen Beat, nacheinander tanzen alle durch den Mittelgang). Wichtig ist, dass das Team über ein Methodenrepertoire verfügt und je nach Situation und Gruppe eine passende Methode auswählt; die AnleiterInnen sollten die Methode gut kennen und sie überzeugend vorstellen können. Es kann Sinn machen, mit Warming-ups in mehreren Phasen zu beginnen: Erst gemeinsame Übungen, dann machen die SängerInnen und die RapperInnen in getrennten Gruppen mit spezifischen Übungen weiter.

Vocal- und Rapcoaching SängerInnen und RapperInnen arbeiten beide mit ihrer Stimme und mit Mikrofonen; es gibt daher viele Übungen, die mit beiden gemeinsam durchgeführt werden können: Atemtechnik, Aussprache/Sprachverständlichkeit, Mikrofonhandling etc. – solche Übungen können Teil eines Warming-ups der Gruppe zu Beginn einer Arbeitsphase sein, oder auch je nach Bedarf

individuell durchgeführt werden. Viele MCs haben keine Erfahrung mit Stimmbildung und können, wenn sie sich darauf einlassen, ihre stimmlichen Fähigkeiten stark verbessern (z.B. längere Bühnenauftritte durchhalten, ohne sich heiser zu brüllen). Es gibt auch etliche spezifische Übungen: So müssen SängerInnen ihre Intonation trainieren (also lernen, Töne präzise zu treffen – auch unter Bühnenbedingungen, wo man sich oft selbst schlecht hören kann), ihren Stimmumfang ausloten und ggf. erweitern und ggf. mehrstimmig singen lernen. Vocal Coaches und Chorleiter aus dem Jazz/Popbereich haben meist ein großes Repertoire an entsprechenden Übungen. Während Gesangsunterricht eine uralte Tradition hat, gibt es noch kaum formalisierte Ausbildungen im Rapbereich. Übungen werden hier meist mündlich tradiert. Ein Beispiel von Rapcoach Nicola Hayden (Liverpool): Alle MCs bilden einen Cypher (Kreis). Einer beginnt und sagt eine Textzeile, der rechte Nachbar muss möglichst schnell eine Zeile improvisieren, die sich darauf reimt,

DVD Einen guten Einblick in die verschiedenen Aspekte von Musikworkshops bieten die drei Projektdokumentationen auf beiliegender DVD

Beispiel für einen Musikworkshop-Ablaufplan Tag 1: » Kennenlernen, Warming-up » Musikproduktionsworkshop entwickelt Beats, gleichzeitig Rap- und Vocalcoaching » Später parallel Fotosession mit allen: Gute Porträts für Projektwebsite & MySpace Tag 2: » Warming up; in kreativ-methodischem Prozess wird ein gemeinsames Thema gefunden » Rapper und Sänger bilden Kleingruppen; Musikproduktionsworkshop stellt Rohversionen der Beats vor; die Kleingruppen wählen je 2 Beats aus » Kleingruppen entwickeln zum gemeinsamen Thema und zu den jeweils ausgewählten Beats eigene Texte und Melodien; Musikproduktionsworkshop perfektioniert die Beats Tag 3: » Warming up » Kleingruppen schreiben ihre Songs fertig; in Abstimmung mit den Musikproduzenten werden die Beats an die Songstrukturen angepasst » Kleingruppen üben ihre Songs; alle Texte müssen fehlerfrei auswendig sitzen; Rap- und Vocalcoaching (Sprachverständlichkeit, Intonation, Koordination mehrstimmiger Passagen); Musikproduzenten machen gut abgemischte Playback-CDs für alle » Beginn Studioaufnahmen; wer seine Songs am besten beherrscht fängt an Tag 4: » Studioaufnahmen mit allen Gruppen » Parallel drei weitere Stationen: Üben – Performancecoaching (Bühnenpräsenz) – Rap- und Vocalcoaching Tag 5: » Abschließende Studioaufnahmen » Generalprobe mit Feedback/Verbesserungsvorschlägen » Musikvideodreh Tag 6: » Warming up/Gemeinsame Einstimmung » Abschlusspräsentation/Auftritt » After Show Party

How to do | 61


Software für Musikproduktion und Recording Aus der Fülle von Programmen seien hier einige vorgestellt: » eJay: Sehr preiswerte Programme für Anfänger – man baut aus vorgefertigten Loops (ein- oder mehrtaktige Musikhappen) ein Instrumental zusammen, dazu gibt’s rudimentäre Aufnahmefunktionen. (www.ejay.com) » MAGIX Musix Maker: Ähnlich wie eJay; in der Basisausstattung gibt es weniger Loops, dafür sind Aufnahme-Funktionen und Audio-Effekte viel ausgereifter – MAGIX hat die Profi-Software Samplitude aufgekauft und viele Profi-Funktionen in den preiswerten Music Maker integriert. Kostet ca. 50 Euro, die Deluxe-Version 100. (www.magix.de) » Reason: Virtueller Nachbau eines Musikproduktionsstudios: Synthesizer, Sampler, Rhythmusmaschine, Sequenzer, Mischpult – alles ist da. Recht intuitiv zu bedienen. Nur zum Produzieren von Beats geeignet, keine eigene Aufnahmefunktion; kann aber gut mit Programmen wie Cubase, Logic oder Live! kombiniert werden. Reason 3.0 ist ab 300 Euro erhältlich. (www.propellerheads.se) » Orion: Ähnlich wie Reason, kann aber in der Platinum-Version auch aufnehmen. Läuft nur auf PC. Orion Platinum 7 kostet ca. 200 Euro. (www.synapse-audio.com) » Logic: Eine der beiden großen, lange etablierten Profi-Musiksoftwares. Wird seit 2002 nur noch für Mac weiterentwickelt, es gibt für PC also nur veraltete Versionen. Sehr vielseitig (Produktion von Beats ist genauso möglich wie Aufnahme und Abmischung einer ganzen Band), hoher Preis (Logic Pro 7.2 kostet über 1000 Euro) und Lernaufwand. (www.apple.com/de/logic) » Cubase: Die andere große, etablierte Profi-Musiksoftware. Features und Lernaufwand sind mit Logic vergleichbar, der Preis etwas günstiger (knapp 800 Euro für Cubase 4, Schulversion ca. 400 Euro; knapp 400 Euro für die kleinere Version Cubase Studio 4, Schulversion gut 200 Euro). Läuft auf PC und Mac. Die Musik unserer internationalen HipHop-Camps wurde komplett mit Cubase und Reason produziert. (www.steinberg.de) » Samplitude: Ebenso wie Logic und Cubase ein Allround-Programm; im Bereich Musikproduktion schwächer als die Konkurrenz, beim Recording und Abmischen aber ganz vorne: Ideal für Band-Aufnahmen. Samplitude 9 Classic kostet gut 500, die Professional-Version gut 1000 Euro. Nur für PC. (www.samplitude.de) » Ableton Live!: Eine echte Alternative – kombiniert das spontane, intuitive Produzieren mit Loops mit ausgefuchsten Bearbeitungsund Recordingfunktionen. Die Tonqualität fast auf dem Niveau von Samplitude, Cubase und Logic. Hat die schönste und klarste Benutzeroberfläche der hier vorgestellten Programme. Läuft auf PC und Mac. (www.ableton.de)

und so geht es reihum weiter. Wenn einem kein Reim einfällt, muss der eine neue Zeile ins Rennen schicken. Wichtigste Ressource für Vocal- und Rapcoaching ist ein freundlicher Raum mit einer guten Akustik. Manche Vocal Coaches arbeiten gerne mit Klavier oder Keyboard; Rap Coaches brauchen häufig eine Musikanlage/CDPlayer. Wenn Mikrofontechnik geübt werden soll, muss natürlich eine Gesangsanlage mit Mikros her.

DJ-Workshops Die klassische HipHop-Gruppe besteht aus „Two Turntables and a Microphone“: Einem DJ mit Plattenspielern und DJ-Mixer sowie einem oder mehreren MCs an den Mikrofonen. Wenn auch zunehmend MCs nur noch mit Playbacks auf die Bühne gehen, bleibt der DJ doch ein Grundpfeiler der HipHop-Kultur. DJing-Workshops können sich auf Skills an Decks (DJ-Platten- und CD-Spielern) und DJ-Mixer beschränken, oder sie können mit Musikproduktion an Computer und/oder Rhythmusmaschine kombiniert werden. DJ- und Rapworkshops können eng zusammenarbeiten: Solange noch keine eigenen Beats aus dem Musikproduktionsworkshop vorliegen, können MCs zu den Beats der DJs ihre Reime schreiben und üben. DJs können bei Auftritten die Playbacks starten und Scratches beisteuern. Nicht alle Plattenspieler sind DJ-tauglich; insbesondere zum Scratchen werden spezielle DJ-Plattenspieler wie der Technics 1210 mit speziellen Nadeln benötigt. Außerdem braucht man natürlich Platten, am besten welche mit Rap-Instrumentals und spezielle Scratch-Platten.

Coaching für Instrumentalisten Eine Band besteht meist aus MusikerInnen, die ganz unterschiedliche Instrumente spielen – ausgiebiges individuelles Coaching z.B. an Bass, Schlagzeug, Keyboard, Gitarre und Blasinstrumenten lässt sich daher eigentlich nur bei Großprojekten realisieren, wo es mehrere Bands gibt und dann z.B. alle SchlagzeugerInnen und PercussionistInnen gemeinsam unterrichtet werden können.

62 | Musikworkshops


Ein guter Bandcoach wird freilich mehrere Instrumente spielen und allen InstrumentalistInnen ein paar Tipps geben können.

Bandcoaching Der Job eines Bandcoachs unterscheidet sich je nachdem, ob im jeweiligen Projekt bestehende Bands ihr Zusammenspiel verbessern und ihr Repertoire erweitern können, oder ob ganz neue Bands zusammenkommen, die ein neues Repertoire erarbeiten müssen. Es gibt viele spannende Coachingprojekte für bestehende Bands. Bei unseren Projekten arbeiten wir meist mit neu zusammengestellten Bands – das hat den Vorteil interessanter neuer Kombinationen und den Nachteil, dass die Einzelmusiker nur wenig Zeit haben, um zu einer tight spielenden Band zu werden. Hauptaufgabe des Bandcoachs ist die Förderung des Zusammenspiels: Aufeinander hören, gemeinsam in den Groove kommen, den anderen Raum lassen. Er unterstützt die Band bei der Entwicklung von Instrumentals, gibt Tipps zu verschiedenen Stilistiken („Wie spielt man einen Dancehall-Groove?“) und koordiniert das Zusammenspiel von Band und Vokalisten: Bei textlastigen Rap-Passagen müssen Band-Arrangements oft stark ausgedünnt werden, damit der Rap verständlich bleibt. Es gibt verschiedene Modelle, wie Band und Vokalisten verbunden werden können: In den niederländischen Roots&Routes-Projekten werden mehrere feste Gruppen (Bands mit Vokalisten) gegründet, die dann gemeinsam Songs entwickeln. Bei Roots&Routes Cologne 2006 gab es nur eine Band, die fünf verschiedene Vokalisten-Crews (meist 2 SängerInnen und 2-3 RapperInnen) begleitete. Diese Band entwickelte erstens eigene Instrumentals, die sie dann an die Bedürfnisse und Songstrukturen der Vocal Crews anpasste („Alegria“); zweitens setzte sie einen am PC entwickelten Beat eines jungen Musikproduzenten als Bandarrangement um („Positive Vibes“); drittens nahmen einzelne Bandmitglieder mit Musikproduzenten im Studio einen Beat auf („Right Away“), der anschließend mit der Gesamtband umgesetzt wurde („Right Away – Band version“).

Musikproduktion Digitale Musikproduktion hat einige logistische Vorteile gegenüber der Bandarbeit: Der zeitliche und technische Aufwand ist geringer, man muss nicht mühsam eine Band zusammenstellen, Produktion am PC lässt sich schneller erlernen als ein Instrument. Der Nachteil: Live wirkt eine gute Band meist kraftvoller und lebendiger als ein Playback. Es gibt Ressentiments in beide Richtungen: Von den gestandenen Rockfans unter den Pädagogen wird oft handgemachte Musik idealisiert, programmierte Beats seien „doch keine richtige Musik“ – eine recht naive Position, betrachtet man den enormen kreativen Einfluss von Elektronik und HipHop auf die (auch handgespielte) Musik der letzten Jahrzehnte. HipHopper andererseits finden Livebands oft zu aufwändig, beklagen den Verlust von Studiozeit durch stundenlanges Mikrofonieren eines Schlagzeugs oder die Schwierigkeit, sich stimmlich gegen zu dicht und laut spielende Bands durchzusetzen – und wenn die Band dann noch auf der Bühne vor Aufregung zu schnell spielt, kann das Rappen zur atemlosen Qual werden. Wir haben dennoch die Erfahrung gemacht, dass viele MCs die Arbeit mit einer Liveband als Bereicherung und Horizonterweiterung erleben. Wir finden, beide Formen haben ihren spezifischen Charme und ihre eigene Berechtigung – und auch Kombinationen können spannend sein: Bei „Bonita Señorita“ z.B. wurden

programmierte Beats durch live eingespielte Percussion und Gitarren ergänzt. Viele HipHop-Produzenten schwören auf Rhythmusmaschinen-Sampler-Kombinationen (Grooveboxen) wie die Akai MPC2000: Hiermit lasse sich intuitiver arbeiten als mit Computern und die Ergebnise klängen besser. In Jugendarbeit und Schule wird aber wohl häufiger die Kombination von PCs oder MACs mit guten Soundkarten und entsprechender Software zum Einsatz kommen – erstens sind die Computer meist schon vorhanden, die Anschaffungskosten sind also geringer, zweitens lassen sich am PC nicht nur Beats bauen, sondern auch Studioaufnahmen machen und abmischen. Einige geeignete Softwares werden im benachbarten Infokasten vorgestellt, ein erprobter und praktikabler Vorschlag für ein Basis-Equipment zur Musikproduktion findet sich weiter hinten in diesem Heft.

Songwriting Beim klassischen Pop-Songwriting wird meist zunächst der komplette Song mit Melodie und Text an der Gitarre oder am Piano geschrieben und anschließend mit der Band arrangiert. Im HipHop läuft der Weg andersherum: Zuerst entsteht ein durcharrangierter Beat, auf dessen Grundlage dann Vokalisten ihre Gesangslinien entwickeln. Ein gemeinsames Motto oder Rahmenthema kann der Kreativität auf die Sprünge helfen; auch Schreibwerkstatt-Methoden können fruchtbar eingesetzt werden (z.B. „jeder schreibt fünf Worte auf kleine Zettel; alle Zettel werden gemischt, jeder zieht fünf Worte und konstruiert einen Text um diese Worte herum“). Rapcoach Tim Weedon legt den jungen MCs meist nahe, sich ihre aktuelle Situation zu vergegenwärtigen und darüber zu schreiben: Was fühle ich gerade, was mache ich gerade, was habe ich heute erlebt? Zum Texteschreiben sollten genügend Blöcke und Stifte vorhanden sein. Einige MCs und SängerInnen schreiben lieber alleine im stillen Kämmerlein oder auf der Wiese, die meisten bevorzugen es, wenn der zugrunde liegende Beat immer wieder laut abläuft und man dazu schreiben kann. Gesangsmelodien können mit Unterstützung des Vocal Coaches entwickelt werden, oft werden die Melodien bei den Studioaufnahmen noch perfektioniert.

DVD Siehe Musikvideo „Bonita Señorita“ auf beiliegender DVD

Artikel

Siehe „Von BandWatch und MusicWatch zu popUP NRW“ (Seite 36)

Artikel

Siehe „Equipment für die Musikproduktion“ (Seite 66)

Artikel

Siehe „Roots&Routes – Unterricht in Urban Culture“ (Seite 23) und „Urban Culture Projekte des JFC Medienzentrums“ (Seite 19)

DVD Alle Songs sind unter DATA\SONGS auf beiliegender DVD zu finden

How to do | 63


Üben Wenn die Songs einmal fertig geschrieben sind, wollen sie geübt werden – und zwar ausgiebig. Unter Livebedingungen ist das Risiko groß, dass man Texte und Songabläufe vergisst oder andere Fehler macht – darum sollten z.B. alle MCs ihre Texte 200%ig auswendig können, und die Band sollte einen Song lieber einmal zu viel als zu wenig von Anfang bis Ende durchspielen. Und dabei immer mit dem Herzen bei der Sache bleiben, sonst bringt es nichts. Für die Übungsphasen müssen genügend Räume zur Verfügung stehen, wohin sich die einzelnen Kleingruppen zurückziehen können. Alle Beats – auch Band-Instrumentals – sollten zumindest als Rohversionen auf CD oder MP3-Player vorliegen. In den Übungsräumen sollte es eine Möglichkeit geben, diese Playbacks in hinreichender Lautstärke zu hören.

Studioaufnahmen Während ein Musikproduktionsworkshop schon zu Projektbeginn in Studioumgebungen arbeiten wird, ist für Vokalisten die Zeit zum Aufnehmen erst gekommen, wenn die eigenen Strophen und Refrains fertig geschrieben und ausführlich geübt worden sind. Hier ist dann der Musikproduzent im klassischen Sinne

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gefragt: Bevor man Musik programmieren konnte, hatte der Produzent vor allem die Funktion, bei Aufnahmen zuzuhören und dann mit den Sängern oder Bands zu kommunizieren: Dies oder jenes geht noch besser, diese Strophe nehmen wir noch mal auf, der Refrain kann bleiben, der war schon perfekt. Der Produzent in diesem Sinne muss immer auch Psychologe und Musikpädagoge sein, denn Studioaufnahmen können Stresssituationen sein. Vor dem Mikrofon zu stehen kann Leistungsdruck bedeuten, insbesondere in der Arbeit mit Vokalisten ist Fingerspitzengefühl gefragt – die Stimme ist ein intimer Teil des Körpers. Die Rolle des Produzenten bei Bandund Gesangsaufnahmen wird daher häufig bei professionellen Dozenten liegen, aber auch entsprechend begabte Jugendliche können gute Vocal-Produzenten sein. Gute Vocal Producer wie Lajo Mounkassa von der Modern Soul Academy Stockholm schaffen es mit fast ausschließlich positivem Feedback und konstruktiven Tipps, dass Vokalisten sich im Studio wohl fühlen, aufblühen und über ihr bisheriges Niveau hinausgehen. Der Produzent kann gleichzeitig die Tontechnik bedienen, es ist aber oft eine Entlastung, wenn dies eine zweite Personen übernimmt. Kernaufgaben des Tontechnikers bei der Aufnahme sind die Platzierung der Mikrofone, die richtige Aussteuerung der Pegel, das Starten der Aufnahme an der richtigen Position (in der Regel einige Takte vor dem Einsatz des Vokalisten) und das übersichtliche Benennen und Ordnen der aufgenommenen Takes. Raps und R’n’B-Gesänge werden häufig gedoppelt: Vokalisten singen alle Parts mehrfach ein, bei der Abmischung werden dann häufig drei oder vier Takes übereinander gelegt, damit die Stimme kräftiger klingt. Dazu können Takes kommen, bei denen nur einzelne Wörter (häufig die Reimwörter) gedoppelt werden, sowie frei improvisierte Adlibs. Bei einem Song mit mehreren Vokalisten können da schnell über 40 Gesangsspuren zusammenkommen – hier ist Strukturierung wichtig.

Livebands im Studio Wenn im Studio eine Liveband aufgenommen werden soll, steigen die technischen Anforderungen erheblich, besonders wenn mehrere Instrumentalisten gleichzeitig (und nicht nacheinander) spielen. Man braucht akustisch möglichst gut getrennte Aufnahme- und Regieräume und Sprechverbindungen in beide Richtungen. Ein Audiointerface mit mindestens 8 Mikrofoneingängen muss her; allein für ein Schlagzeug braucht man je nach Raum und gewünschtem Klangbild 4 bis 10 spezielle Mikrofone. Es muss entschieden werden, ob der Drummer einen Click (Metronom) auf seinen Kopfhörer kriegen soll oder nicht. Ein Click hat den Vorteil, dass die Band im gleichen Tempo bleibt, dass sich die Aufnahmen leichter schneiden lassen (im Taktraster der Aufnahmesoftware) und dass es leichter ist, zusätzliche Spuren aufzunehmen. Dazu muss der Drummer aber das Spielen zum Click beherrschen, gerade bei Anfängern wirkt sich ein Click oft negativ auf die Lebendigkeit des Spiels aus. Aufnahmen ohne Click funktionieren nur gut, wenn die gesamte Rhythmusgruppe gemeinsam aufgenommen wird. Gemeinsame Aufnahmen mehrerer Instrumente bergen einige Herausforderungen: Das so genannte Übersprechen (wenn man z.B. den Bass über die Schlagzeugmikrofone hört) kann eine saubere, druckvolle Abmischung sehr erschweren. Deshalb wird man elektrische Instrumente wie Bass und Keyboard im Aufnahmeraum nicht


verstärken, die MusikerInnen hören sich nur über Kopfhörer; dafür braucht man genügend geschlossene Kopfhörer und einen Kopfhörerverstärker. Doch auch im Jugendzentrum lassen sich mit etwas Mühe und geliehenen Mikrofonen gute Bandaufnahmen machen – einen direkten Qualitätsvergleich bieten die Aufnahmen von Roots&Routes 2006, wo die gleiche Band bei „5th Element“ im Jugendzentrum, bei allen anderen Songs (u.a. „Alegria“) im professionellen Studio der Deutschen POP Akademie aufgenommen wurde.

Performance-Coaching Positive Studioerlebnisse und ein starker eigener Song auf CD sind nicht zu unterschätzende Faktoren für die individuelle Entwicklung; noch wichtiger ist es aber, die eigenen Stücke live vor Publikum zu spielen. Performance Coaching unterstützt dabei eine gute Bühnenpräsenz: Vom Einsatz des eigenen Körpers über das gemeinsame Agieren als Gruppe auf der Bühne bis hin zur Kommunikation mit dem Publikum. Junge MusikerInnen müssen lernen, sich durch Fehler und Aussetzer nicht aus der Bahn werfen zu lassen, kein „Fehlergesicht“ zu machen, sich auf der Bühne gegenseitig zu unterstützen, sich bei

Ansagen nicht gegenseitig ins Wort zu fallen und die Bühne in ihrer ganzen Größe zu nutzen. Beim Performance Coaching sollte auch auf den Soundcheck und die Kommunikation mit den TontechnikerInnen an den Mischpulten eingegangen werden, ebenso wie auf die Auftrittslogistik: Wer geht wann und wo auf die Bühne und nimmt welches Mikrofon? Wie sieht das Finale aus? Der anstehende Auftritt sollte vorher ausführlich durchgesprochen und bei einer Generalprobe geübt werden. Wenn es ein Zeitlimit für den Auftritt gibt, sollte bei der Generalprobe mindestens ein Durchlauf durchs gesamte Programm mit Ansagen etc. gemacht werden, bei dem die Zeit gestoppt wird. Wenn die Generalprobe auf Video mitgeschnitten wird, können anhand der Aufnahmen Verbesserungspotenziale besprochen werden. Performance Coaching wird in der Regel Aufgabe der Rap-, Vocal- und Bandcoaches im Projekt sein – wobei die Coaches selbst über viel Bühnenerfahrung verfügen sollten. Auch ChoreographInnen und RegisseurInnen sind oft gute Performance Coaches und werden besonders bei Musical-Projekten auch als solche zum Einsatz kommen.

DVD Alle Songs sind unter DATA\SONGS auf beiliegender DVD zu finden

Der Liveauftritt Beim Auftritt selbst ist der Stresspegel oft hoch. Wichtig ist hier sowohl eine gute Planung des Rahmens (Getränke und Verpflegung, gemeinsame Anreise zu auswärtigen Auftritten, funktionierende Saaltechnik, zur Sicherheit mehrere Datenträger mit den Playbacks mitnehmen etc.), als auch ein konzertierter Einsatz des gesamten Teams im Dienste einer positiven Gruppenstimmung. Dazu gehört eine gemeinsame Einstimmung in den Auftritt, eine möglichst gute Laune des Teams trotz erwartbarer Stressfaktoren und individuelle Kommunikation mit den Teilnehmenden, à la: „Wenn ein Tontechniker unfreundlich zu Dir ist, kontere mit Freundlichkeit! Alles andere kann dazu führen, dass Du nachher schlecht abgemischt wirst, viel wichtiger aber: es schlägt auf Deine Stimmung und kann Dir den Spaß an Deinem Auftritt versauen. Das ist es nicht wert!“ Und dann endet der Einflussbereich aller Coaches und Pädagogen, der Countdown ist bei „Zero – Go!“ angekommen, der Vorhang geht auf und die Bühne gehört den jungen KünstlerInnen.

How to do | 65


Equipment für die Musikproduktion Markus Brachtendorf

Eigene Songs schreiben und Beats produzieren mit Kindern und Jugendlichen? – Zugegeben, das ist zwar nicht gerade mit links realisiert, aber im Medienzeitalter unkomplizierter möglich denn je zuvor. Die Zugangsvoraussetzungen: Neugier, Interesse und ein überschaubares Maß an Equipment. Kommen wir zu Letzterem. Je nach persönlichem Geschmack gibt es sicherlich nach oben keine Grenzen was den Bedarf an Equipment für Musikproduktion angeht, eine Minimal-Ausstattung lässt sich jedoch einfach beschreiben. Benötigt wird: Ein Mikrofon, ein Keyboard, ein sog. Audiointerface, ein Computer und entsprechende Software. (Punkt.) Um zu große Verwirrung bei der Vielzahl von Angeboten zu vermeiden, beschreibe ich einfach kurz ein wirklich korrektes Equipment-Paket, mit dem ich selbst meistens arbeite und welches sich in den vergangenen sieben sCOOL-HITs-Jahren als das praktischste herausgestellt hat. Fangen wir zuerst am Ende der Kette an, beim Computer: Im Grunde tut’s jeder einigermaßen aktuelle Rechner mit USB-Port. Von Nutzen ist ein Laptop und ich würde derzeit ein MacBook (oder besser noch, gebrauchtes Powerbook) empfehlen. Kein langer Philosophie-Diskurs – ist einfach angenehmer als PC und mittlerweile auch genauso erschwinglich oder gar günstiger als ein wirklich guter PC-Laptop. Audiointerface und Keyboard: Da gibt’s meiner Meinung nach viele Möglichkeiten, aber nur eine Wahl, und die heißt „OZONE“ von der Firma M-AUDIO. Das ist solide, da kann man alle Arten von Mikros und Instrumenten dran anschließen um sie aufzunehmen, und gleichzeitig ist es ein MIDI-Keyboard. Einfach den Treiber installieren, das Gerät an den USB-Port anschließen und fertig. Passend dazu liefert die Firma das „Studio-Pack“, einen Rucksack, in den das Teil zusammen mit dem Laptop und allen anderen kabeligen Kleinigkeiten genau hineinpasst. Die bequemste Verpackung für das mobile Tonstudio. Mikrofon: Perfekter Klang oder hohe Kosten sind hier weniger wichtig als Zuverlässigkeit und Robustheit. Ein solides Standardmikrofon für unter 100 Euro ist das Shure SM-58, eigentlich ein Bühnenmikro, aber Gary Moore hat damit auch schon mal den kompletten Gesang für eine seiner CDs aufgenommen. Dazu ein Stativ und einen so genannten Pop-Schutz (Stoffbespannter Ring, der vor dem Mikrofon befestigt wird und der harte „P“-

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Laute zähmt), und schon ist auch das Thema erledigt. Wichtig: Erstmal keine teuren Kondensator-Mikros kaufen! Die sind zwar im Studio „State of the Art“, aber viel schwieriger zu handeln und nehmen meistens deutlich mehr auf, als uns gerade lieb ist. Kommen wir nun zur Software. Auch hier treffen Philosophien aufeinander. Für alle weniger anspruchsvollen Selbermacher, die einen PC nutzen, gibt’s natürlich das preisgünstige MAGIX Music Maker in zahlreichen Schattierungen. Ich möchte aber meine Empfehlung für einen unvergleichlich kompetenteren Insider aussprechen: das Programm „LIVE!“ der Berliner Firma Ableton. Das ist ein professionelles Tool, viel intuitiver zu bedienen als die prominenten Kollegen „Logic“ oder „Cubase“, und die Software, mit der ich im Schul- und Musikproduktionsalltag nur die allerbesten Erfahrungen mache. HipHop und moderne Popmusik entsteht ja im Grunde nur durch Einsetzen und Aussetzen der einzelnen Sound-Bestandteile und Loops. Wird der Beat fett und setzen alle Sounds ein, dann hören wir wohl gerade den Refrain. „LIVE!“ hilft durch seinen Aufbau, diese KlangPuzzlesteinchen eines Songs so zusammen zu stellen, dass am Ende mit Spaß ein korrekter Track zustande kommt. Dass es ein guter Track wird, darum muss man sich freilich – wie bei allen anderen Programmen – immer noch selbst kümmern. Tüftelfreude ist deshalb so oder so absolute Grundvoraussetzung. Für alle Mac-User: Natürlich tut’s auch „Garage Band“, die kleine Schwester von „Logic“. Dieses Tool ist im Lieferumfang eines jeden „Apfels“ enthalten und somit vom Preis-/Leistungsverhalten her unschlagbar. Kurz vor der abschließenden Equipment- und Linkliste am Ende dieses Artikels noch ein persönlicher Tip: Die Firma Ableton bietet natürlich wie die meisten anderen auch spezielle „Education-Preise“ an, die in etwa bei der Hälfte des regulären Kurses liegen. Da sie mit M-Audio kooperieren, haben sie spezielle „sCOOLProduction“ Pakete inkl. Hard und Software zusammengestellt. Kleines Beispiel: Das oben beschriebene Material (Software LIVE!, Rucksack Studio-Pack, Midi-/Audiointerface Ozone plus Mikro, Stativ und den nötigen Kabeln) liegt bei 555,- Euro im Edu-Tarif. Konkurrenzlos – der normale Kurs kommt sicher locker auf über das Doppelte.


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