BARBARA RAPP, *1972 IN KLAGENFURT, LEBT IN VELDEN AM WÖRTHERSEE/ÖSTERREICH, ARBEITET IN ÖSTERREICH UND IN DEUTSCHLAND. DIVERSE AUSSTELLUNGEN, U.A. IN DER GALERIE AM GIERKEPLATZ, 2009, BERLIN, UND IM KOSMOSTHEATER, 2011, WIEN. KAISERSWERTHER KUNSTPREIS, 2011, DÜSSELDORF. > BARBARA-RAPP.COM
AUSGABE 10
HEFT ZWEI 2011
JAHRGANG 04
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JUNGE KUNST. POLITISCHE KUNST. MINDESTENS.
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fließbilder VON KATJA KULIN
Die Gesichtsfarbe der Mona Lisa habe ich keineswegs als so gesund in Erinnerung. Niemals zartrosa ist sie gewesen, vorletztes Jahr im Louvre. Jetzt schon. Außerdem fehlt ihr der Unterkiefer. Das hindert die Vorbeigehenden aber nicht, oh und ah und ach und schau zu sagen. Und auch nicht, teils stehenzubleiben und Münzen in die umgedrehte Mütze zu werfen. Keine Baskenmütze. Bloß eine Baseballkappe, speckig und zerknautscht. Daneben auf Knien der vermeintliche Künstler in dreckschillernden Hosen und Polyesterpollunder, eifrig das Pflaster bearbeitend, um die Gioconda weiter zu verunstalten. Hier tun die Bettler und Obdachlosen noch etwas für ihr Geld. Malen, spielen Flöte, lassen ihre Köter Kunststücke vorführen, sagen danke und wünschen einem einen schönen Tag. Sie verbergen die rohe Nacktheit ihres Elends noch unter einem Minimum an Würde. Wie es mich befremdet hat, in den Metropolen zu sehen, wie sie nachts in jedem Geschäftseingang in Schlafsäcke gehüllt liegen, allein oder zu mehreren, und sich ungeniert präsentieren, während am Straßenrand die Limousinen halten! Hier verschwinden die Obdachlosen nachts noch von der Straße, es gibt Unterkünfte, Heime, manche von ihnen sind gewiss gar nicht obdachlos, sondern gehen abends in ihre Wohnungen und zählen ihr Geld oder das, was nach dem Besuch im Penny davon übrig geblieben ist. Ich schaue mir die Straßenkreiden an, zu denen der Mann immer wieder greift. Zwölf verschiedene. Keine dabei, die dem fahlen, leicht grünlichen Olivton der Mona-Lisa-Haut gleicht. Und falls man Kreiden mischen kann, so ist dieser Kerl hier offensichtlich nicht in der Lage dazu. Innerlich schüttle ich den Kopf. Was das Leben mich gelehrt hat: Wenn, dann auch richtig. Und Finger weg von dem, was man nicht kann.
Womöglich hat er schon länger kein Geld mehr klimpern hören, denn jetzt schaut der Mann auf, sieht in die Runde, Beifall heischend. Einige können dem Blick nicht standhalten und greifen prompt in ihre Taschen. Ich ernte ein Augenzwinkern und ein breites, grünschwarzes Zahnlückenlächeln. Na, sieht dat nich schön aus?, fragt er. Endlich erinnere ich mich daran, dass ich Caffè Latte und Bagels für mich und zwei Kollegen holen will und gehe weiter zum Starbucks. Auf dem Rückweg zehn Minuten später laufe ich rasch und ohne einen weiteren Blick an dem Pflasterbild vorbei, jedoch immer noch erfüllt von dem Unbehagen, das mich seit dem Ruinenlächeln ergriffen hat. Bevor ich wieder die Bank betrete, prüfe ich den korrekten Sitz meiner Krawatte in der leicht getönten Scheibe der Eingangstür. Immer noch perfekt. Während des restlichen Arbeitstages denke ich immer wieder an den Maler, weil ich versuche, nicht an ihn zu denken. Ich kann ihn durch die komplett verglaste Vorderfront sehen, wenn ich von meinem Schreibtisch aufblicke. Er malt und malt, macht Pause, malt, leert seine Mütze, trinkt einen Kaffee, den ihm ein Passant gebracht hat — Rührung im Gesicht tragend angesichts seiner Güte — verschwindet kurz, malt, leert seine Mütze, malt. Warum hat er sich den Platz genau vor unserer Filiale aussuchen müssen? Als meine Arbeitszeit herum ist, ist er immer noch da. Die oh und ah und ach und schau sagenden Menschen haben zum hundertsten Mal gewechselt, sind aber ebenfalls da. Die Mona Lisa hat immer noch rosafarbene Haut, aber nun mit Unterkiefer. Das Lächeln ist mehr als nur angedeutet, doch davon und von der falschen Farbe abgesehen, ist das fast fertige Bild doch recht gut geworden.
Was der Mann wohl früher gemacht hat? Seine Hände sind über und über mit buntem Kreidestaub bedeckt. Ich werfe kein Geldstück in die Mütze, als ich vorbeigehe. Auf dem Nachhauseweg mache ich noch einen Zwischenstopp in der Drogerie und besorge mir eine Creme. Es ist kühler geworden in den letzten Tagen, die Haut an meinen Händen spannt, fühlt sich trocken an. Ich habe Kundenkontakt und muss auf ein gepflegtes Äußeres achten. In meiner Wohnung angekommen kleide ich mich um und bestelle beim Sushimann mein Abendessen. Bis es kommt, nehme ich die Aktentasche mit ins Arbeitszimmer, noch ein paar Sachen erledigen, die nicht fertig geworden sind. Doch ich kann mich nicht konzentrieren und gebe schließlich auf. Dieses Spannungsgefühl macht mich verrückt. Ich creme mir die Hände ein, da schellt es auch schon. Der Bote bringt das Richtige, spricht verständliches Deutsch und lächelt sogar. Die drei Euro Trinkgeld gebe ich gern. Mein Magen knurrt vorfreudig, ich setze mich mit dem Essen in die Küche und lese die Zeitung von heute Morgen zu Ende. Die Druckerschwärze färbt ab, natürlich, die Creme. Ich wasche mir die Hände nur, um sie gleich darauf erneut einzuschmieren. Weiter gibt es nichts zu tun. Ich öffne eine Flasche Wein und setze mich aufs Sofa. Im Fernsehen läuft irgendeine Reportage. Bei jedem Schluck muss ich darauf achten, dass mir das verdammte Glas nicht aus der Hand rutscht. Später kommt Lisa vorbei. Sie schnüffelt mit hochgereckter Nase die Wohnung ab, verdächtigt mich, Frauenbesuch empfangen zu haben. Ich lasse sie eine Weile machen, dann zeige ich ihr die Cremetube und halte ihr eine Hand vor das Gesicht. Sie lacht wie ertappt, dann setzt sie diesen Blick auf, der verführerisch sein will, es aber nicht ist, nimmt meinen Zeigefinger in den Mund und lutscht daran. Wir landen im Bett. Wie immer. Es ist gut, sie macht die ganze Arbeit, reitet mich und ich liege bloß da, fasse ihre wippenden Brüste und sehe zu, wie die Haut an ihrem Dekolletee sich langsam rötlich vor Erregung färbt. Wie das von der Pflaster-Mona-Lisa, denke ich und muss plötzlich alle Konzentration aufwenden, damit er hart bleibt. Das zu breite Lächeln der Gioconda, das grünschwarze Lächeln ihres Schöpfers. Die Kappe, die einzelnen Münzen darin, die staubigen Hände. Rasch ziehe ich Lisa an den Schultern zu mir, und ihre Zunge in meinem Mund verscheucht die Bilder lange genug, dass ich kommen kann. Mitten in der Nacht werde ich wach. Meine Hände jucken. Lisa hat sich schon davongemacht. Auch wie immer. Ich stehe auf und hole die Creme aus dem Wohnzimmer. Als ich sie auf der Haut verreibe, fühle ich mich gleich besser. Ich gehe wieder
ins Bett und schlafe sofort ein. Am nächsten Morgen ist keiner meiner Anzüge mehr im Schrank. Alle in der Reinigung? Unmöglich. Vielleicht hat Lisa mir einen Streich spielen wollen. Manchmal kommt sie auf Ideen. Der Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich mich jetzt besser nicht weiter wundere. Ein Hemd und die dunkle Hose gehen zur Not auch. Muss ich eben ein paar Blicke aushalten. Im Flur schnappe ich mir Tasche und Jacke und verlasse mit zwei Minuten Verspätung, die ich auf dem Weg locker wieder herausholen werde, das Haus. In der Fußgängerzone, wieder genau gegenüber der Bank, sehe ich schon von Weitem den Maler, der offenbar auch gerade angekommen ist und nun seine Utensilien zurechtlegt. Jetzt werde ich ihn wieder den ganzen Tag vor der Nase haben. Plötzlich packt mich jemand von hinten an der Schulter. Sach ma, wo willst du denn noch hin, spinnst du? Du hättest schon vor ner Stunde anfangen sollen, jetzt aber nix wie rein mit dir! Als ich mich umdrehe, schaut mich entrüstet eine Frau an, mit dem Ellbogen die Tür der Bäckerei aufhaltend. Ihr Gesicht kommt mir vage bekannt vor. Du bis ja so schick, redet sie weiter. Hab ich wat verpasst? Aber bevor ich etwas antworten kann, winkt sie ab und zieht mich hinter sich her in den Laden. Egal, rein jetzt, hier ist die Hölle los! Ich folge ihr und frage mich nun selbst, wo ich denn eigentlich gerade noch hinwollte. Im Mitarbeiterbereich streife ich mir rasch die Handschuhe über. Eine Kollegin füllt hektisch die Selbstbedienungstheke auf, ich helfe ihr dabei. Ich kenne sie nicht, sie muss neu sein. Wir arbeiten schweigend. So schnell, wie wir neue Backwaren hinten reinlegen, so schnell werden sie vorn von den Kunden, um diese Zeit hauptsächlich Schüler, Studenten und Rentner, wieder entnommen. Ich frage mich, was der Pflastermaler heute wohl für ein Bild malen wird. Bald jedoch habe ich keinen Gedanken mehr für ihn übrig, der Ofen muss geleert und sofort mit den nächsten Teiglingen beladen werden. In der Gluthitze ist mein helles Hemd bald durchgeweicht. Keine gute Kleiderwahl, die ich heute getroffen habe. Wieder die Theke auffüllen. Papier für die Tabletts nachlegen, Tische abwischen. Irgendwann kommt die nächste Schicht, aber ich muss noch bleiben, die Verspätung reinholen. Die Stunde soll ich an der Kasse nacharbeiten, gar nicht so schlecht, endlich mal sitzen, die Handschuhe ausziehen und die aufgeweichte Haut atmen lassen, ein paar Worte mit den Kunden wechseln. Dann ist Feierabend und ich habe gar keine Lust zu gehen, jedenfalls nicht nach Haus. Wie an einer Schnur zieht es mich zum Platz vor der Bank. Ich will sehen, was der Pflastermaler heute für ein Gemälde auf die Steine gesetzt hat. Einige Leute schauen zu, wie er gerade die letzten Striche zieht. Ein Stillleben mit Früchten ist es diesmal. Gut gelungen, finde ich. Besonders die Weintrauben. Weiß beschlagen sind sie, so wie die echten, und an manchen Stellen glänzen sie wie poliert. Fast so täuschend echt wie die im Kunstbuch früher, in die man hätte reinbeißen mögen. Der Lehrer hat uns gesagt, wie man das nennt. Was Französisches war das. Was mit Trompete? Quatsch. Hätte ich mal besser aufgepasst im Unterricht. Vielleicht könnte es mir dieser abgerissene Kerl von Maler sagen, aber ich frage nicht. Bevor ich weitergehe, werfe ich zwei Euro in seine Mütze. Soll auch nicht le-
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ben wie ein Penner. Einige Meter weiter stutze ich und drehe mich noch einmal um. Tatsächlich, nicht nur das Motiv hat sich geändert, da ist noch etwas: Der Mann sieht heute gar nicht so abgerissen aus, die Hosen des Typen sind einwandfrei sauber, und sein Pullover könnte glatt aus echter Wolle sein. Zu Hause angekommen, höre ich die Kinder schon vor der Wohnungstür drinnen kreischen und poltern. Als ich dann im Flur bin, kommt die Stimme meiner Frau dazu. Ihr sollt euch nich haun, verdammich, jetzt gebt Ruhe, sonst kommt die Playsi raus, ich sachs euch! Nicole kommt aus dem Zimmer der Kinder gestürmt, sieht mich. Ach, biste auch schon da? Warum so spät? Ich kann ihr nicht sagen, dass ich heute Morgen eine Stunde verloren habe. Also erfinde ich irgendwas, aber sie hört sowieso nicht richtig zu, geht in die Küche und rührt im Eintopf, macht mir einen Teller fertig. Ich hole mir derweil ein Bier aus dem Kühlschrank. Während ich esse, sitzt Nicole dabei, raucht und erzählt, was die Kinder den Tag über wieder alles angestellt haben. Was es Neues an Tratsch über die Nachbarn gibt. Ich nicke an den richtigen Stellen, irgendwann schweigt sie. Nach dem Essen gehe ich ins Bad und creme mir die Hände mit ihrem Balsam ein. Meine Fingerkuppen sind ganz hart und rissig. Dann stecke ich kurz den Kopf durch die Kinderzimmertür. Eine Kissenschlacht ist im Gange, sie beachten mich nicht. Ich setze meinen Weg mit einer neuen Flasche Bier ins Wohnzimmer fort, schaue fern, eine Doku-Soap. Nachdem sie die Kinder für die Nacht fertig gemacht hat und endlich Ruhe herrscht, kommt Nicole dazu. Guck dir die an, sagt sie. Später im Bett, als ich will, sagt sie nicht nein. Wir fummeln ein bisschen, dann rolle mich auf sie und dann wieder von ihr runter. Nicole räuspert sich und dreht sich auf die Seite. Ich frage nicht. Ich wünsche mir nur den Schlaf herbei, und das ist ein Wunsch, der auch mal in Erfüllung geht. Am nächsten Morgen habe ich ganz und gar keine Lust, aufzustehen. Mein Kopf dröhnt und jede Bewegung tut weh, der Muskelkater ist die Hölle. Es hilft nichts, ich muss raus. Mühsam hieve ich mich vom Schlafsofa und zwinge mich, es gleich zurechtzumachen, das Bettzeug zu verstauen und die Matratze wieder zur Couch zusammenzuklappen. Dabei reißt die trockene Haut an meinen Händen auf. Es blutet leicht, ich wische es an meiner Schlafhose ab. Die zwei Meter zur im Raum integrierten Küche sind unendlich weit, aber ich brauche meinen Kaffee. Während die Brühe durchläuft, gehe ich ins Bad. Nach der heißen Dusche kann ich mich schon
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wieder besser bewegen, der Kaffee hilft dem Kopf, und so bin ich fast guter Laune, als ich mich auf den Weg zur Sammelstelle mache. Immerhin habe ich etwas zu tun. Immerhin regnet es nicht. Angekommen nehme ich das grüne Rad in Empfang, die Briefe sind schon einsortiert. Ziemlich viele heute. Meine Route verläuft durch das Stadtzentrum, auch die Fußgängerzone gehört dazu. Sie fahre ich in der Mitte meiner Tour an, denn hier muss ich das Rad schieben, und das ist nach dem Getrampel und dem dauernden Auf- und Absteigen wie eine kleine, höchst willkommene Pause. Der Pflastermaler ist wieder da, an genau der gleichen Stelle. Ich bleibe kurz stehen. Er ist schon ziemlich weit mit seinem Bild. Es zeigt einen rothaarigen Mann mit Bart und grünlicher Gesichtsfarbe, der Rest, seine Jacke, der Hintergrund, ist blau, alles ist voll mit blauen Wellenlinien, die mich schwindlig machen. Der Maler schaut hoch. Na, haste Post für mich?, fragt er und bleckt strahlend weiße Zähne. Erschrocken mache ich, dass ich weiterkomme. Nach der ersten Hälfte kommt bekanntlich die zweite. Ich habe noch einiges vor mir. Wieder zu Hause, endlich, bin ich einfach nur kaputt. Jetzt eine Badewanne! Aber so muss ich mich eben von innen entspannen. Den ersten Klaren schenke ich mir ordentlich ins Glas. Dann reiße ich eine Tüte Fertignudeln auf und lasse sie mit ein bisschen Wasser zu der Pampe werden, die ich vorm Fernseher verschlinge. Ich zappe durch die Kanäle, doch überall das gleiche Bild: Der Rotbart, vor allem seine Augen, die so seltsam farblos sind, als wären sie zu lang im Meer des Hintergrunds getaucht und hätten ihr Leben darin gelassen. Ich schiebe das Glas zur Seite und nehme die Flasche. Besser als die Fernbedienung. Furchtbar müde bin ich mit einem Mal. Warum überhaupt habe ich nach dem Aufstehen das verdammte Bett gemacht? Ich schaffe es gerade noch, es wieder herzurichten, lasse mich hineinfallen und bin weg. Am nächsten Morgen verlasse ich die Übernachtungsstelle wieder ganz früh und mache mich gleich auf den Weg in die Fußgängerzone. Die Kreiden waren die beste Investition seit langem. Den Rucksack geschultert und meine Utensilien darin wohl aufbewahrt wissend, überlege ich, was für ein Bild ich heute aufs Pflaster bringen könnte. Während ich meine Denkerkappe zurechtrücke, fällt es mir ein: Ich werde es noch einmal mit der Mona Lisa probieren. Vielleicht kriege ich sie diesmal besser hin.
KATJA KULIN, *1974 IN BOCHUM, WO SIE HEUTE ALS LERN-TRAINERIN ARBEITET. DIVERSE VERÖFFENTLICHUNGEN, U.A. IM BROCKMEYER VERLAG UND PROJEKTE VERLAG, 2009. NOMINIERUNG FÜR DEN LITERATURPREIS PRENZLAUER BERG 2007 MIT DER KURZGESCHICHTE HEIM, 2008 FÜR DEN LITERATURPREIS DER LITERARISCHEN GESELLSCHAFT BOCHUM MIT DEM TExT EINGEHOLT. > KATJA-KULIN.DE