strattner

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aussichtsloser nachmittag

VON GEORG RAAB

Die Stille greift mich wieder an. Ich stehe am Nordfenster. Das Haus ist leer, die Schatten lang. Eine tiefe Sonne erleuchtet dunkle Nischen. Nur wer sich tot stellt, wird zu einem Möbelstück. Ich schleiche zum Ostfenster hin: Alles an seinem Platz. Tiefgefror`n, seit Jahren schon. Vater hängt an der Wand, Mutter steht in der Ecke, Essen schmeckt auswendig. Auch am Südfenster das gleiche Bild. Ich schaue, soweit ich kann — nichts passiert, keine Explosion. Eine ganze Siedlung unter ner Käseglocke. Vom prallen Leben fest abgeschirmt. Dieses Viertel ist nicht nur mausetot — nein, amselhundezierteichgoldfischtot ! Ich reiße das letzte Fenster auf: Veraltete 3D-Bilder, sonst nichts. Das Wetter kommt stets von rechts. Nicht ein Ozeanriese im Vorgarten. Und kein Entführer weit und breit. Hau doch selber ab! Mutlos bleibe ich lieber hier. Rede mir faule Ausreden ein. Der letzte Sittich entflieht diesem Käfig durch das weit ausladende Westfenster. Ich bin eine Schnecke, die ihr Haus nie verlässt. Sie verkriecht sich wie gelähmt im Kreis. Ihr müder Blick springt von Vertrautem zu Allzuvertrautem. Nichts Neues, nirgends. Überall immerzu dasselbe. Ich schließe rasch beide Augen — da springt mich die Stille erneut von allen Seiten an.

GEORG RAAB, *1968 IN KARLSRUHE, LEBT IN KÖLN. STUDIUM DER BILDENDEN KUNST AN DER FREIEN AKADEMIE RHEIN-NECKAR, MANNHEIM. ARBEITET ALS MIxED-MEDIA-KÜNSTLER, ZAHLREICHE AUSSTELLUNGEN IM IN- UND AUSLAND. BISHERIGE VERÖFFENTLICHLICHUNGEN IN reinschrift bd. 2 kölner anthologie, VAN-AAKEN-VERLAG, 2007, SOWIE ROMAN wasting the big apple — 87 tage in new york, VAN-AAKEN VERLAG, 2010, 2. AUFLAGE ROMAN VERLAG, 2011. > GEORGRAAB.DE


AUSGABE 10

HEFT ZWEI 2011

JAHRGANG 04

UM[LAUT]

prototypes FOTOKUNST VON PATRICK STRAT TNER

la somme de l‘oxygène dans une cabine téléphonique, 2008

hovering grocery shopping assistant with leather hand lead

JUNGE KUNST. POLITISCHE KUNST. MINDESTENS.

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portable sweaty armpit t-shirt dryer


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HEFT ZWEI 2011

JAHRGANG 04

UM[LAUT]

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»in unserer konsumgesellschaft werden immer neue, zum teil nachgerade absurde produkte entworfen, die zum fantasieren über den möglichen zugewinn an lebensqualität einladen. einlösen kann diese hochliegenden erwartungen das produkt meist nicht —

so auch bei meinen prototypen.« patrick strattner


three wheeled foot propelled bristle sweeper

nighttime shades with automatic dimming

PATRICK STRATTNER, *1976 IN NÜRNBERG, STUDIERTE FOTOGRAFIE AN DER FH BIELEFELD UND LEBT ALS FREISCHAFFENDER FOTOGRAF IN BERLIN. > PATRICKSTRATTNER.COM


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unser dorf VON CHRISTIAN KASERER

Unser Dorf ist kein gut besuchtes Dorf. Ebenso wenig ist es auch ein wohl bekanntes Dorf. Selbst den wenigen Eingeweihten ist es ein Rätsel, wo genau unser Dorf in heutiger Zeit liegt. So wundert es auch nicht, dass selbst weit verbreitete und für ihre Genauigkeit geschätzte Lexika und Atlanten es nicht führen. Ähnlich verhält es sich mit uns Bewohnern. Wir sind kein großes Volk, kein starkes Volk und – Gott behüte (!) – auch kein kosmopolitisches Volk. Das liegt auch nicht in unserem Interesse. Das Dorf bietet uns Schutz, die Welt ist unser Feind. Wir leben in großer Entfernung zur nächsten Stadt, sind auch vom Landesfürsten recht unabhängig, was uns naturgemäß große Freiheiten beim Erhalt unserer so hoch geschätzten Traditionen erlaubt. Einst zog man uns auch in Kriege, was uns die besten aller Männer raubte. Doch handelt es sich dabei nur um traurige Vergangenheit; völlig unerheblich für unsere Gegenwart. Ein glückliches Volk sind wir, was man nicht zuletzt unseren Lokalgrößen zu verdanken hat. Natürlich sind sie nur bei uns anerkannte Größen. In Städten ließe man sie keinesfalls auftreten, doch erheitern sie uns dieser Tatsache ungeachtet enorm und wir danken es ihnen aus tiefstem Herzen. Hier – in Abgeschiedenheit – entwickelt sich nun mal eine andere Weise von Geschmack und Humor. Auch von Zwischenfällen hört man hier und da, doch darüber spricht man nicht. Man sollte dies auch nicht tun, sollte es unter keinen Umständen tun (!), vernichtet es doch einzig unsere glückliche Lage. Es ändert sich hier nichts, oder jedenfalls kaum etwas: In den hinteren Dörfern – jedes davon noch weitaus kleiner und abgeschiedener als dieses hier und ebenso als das jeweils vorherige – taten sich Gruppen zusammen, um in unser Dorf zu ziehen. Anfangs vermuteten wir, es wäre die Ursache darin zu suchen, dass diese Gruppen ein Sprungbrett zur Stadt suchen. Obschon ja abgeschieden, eignet sich unser Dorf bestens dazu. Viele Große kamen ehemals von hier, und der Ruf einiger ist noch nicht verblasst. Kenner wissen darum und bevorzugen Hiesige daher. Bedauerlicherweise stellte sich diese Vermutung alsbald als Fehleinschätzung heraus. Nicht einem jeden Neuankömmling lag daran, die Stadt zu sehen. Unser Dorf bot brüderliche Wärme und Sicherheit. Zwar sind wir – das versteht sich ja von selbst – jedem Fremdling zutiefst abgeneigt und misstrauisch, doch taten wir unser Bestes, sie aufzunehmen im Dorf. Nicht lange blieb dieser außerordentlich fatale Umstand verborgen. So kamen recht schnell auch weitere aus den hinteren Dörfern in unseres. Obschon uns immer an unserer sicheren Ruhe gelegen war und bereits ein Unbekannter sie zu stören vermochte, hatten wir, nachdem wir gelernt hatten, dieses neue Fühlen zu ignorieren oder wenigstens nicht offen zur Schau zu tragen, nicht vermuten können, wie empfindlich uns die weiteren Ankömmlinge in diesem Urverlangen treffen sollten. Bereits deren bloße Erscheinung erregte die einzelnen – sonst so letargischen – Gemüter zutiefst. Der erschreckenste Teil dieser neuen

Umstände ist, dass man die Fremden inzwischen kaum noch aus unserem Leben wegzudenken vermag. Sie finden sich auf den Straßen, in den kleinen Geschäften, in den Restaurants und selbst in der Arbeit. Auch das private Leben bleibt bei einem so engen Zusammensein seltenst unberührt. Unsere Häuser, unsere Schulen, auch unsere Klinik sind voll mit ihnen. Nicht einmal eine Krankheit bleibt der anderen Kultur verborgen. Eben jene Kultur bildet auch das hauptsächliche Problem: Zwar nehmen einige von ihnen an unseren Festen und Bräuchen teil – es findet sich auch kein Grund dies nicht zu tun – , doch genau so feiern sie auch die ihrigen. Eine Fremde Kultur vermischt sich mit unserer oder lebt wenigstens unbekannt und abstoßend neben ihr her. Es versteht sich von selbst, dass gegen derartiges Betragen und solche Umstände etwas unternommen werden musste: wenn möglich begrenzte Einwandererzahl, Überprüfung des Lebenslaufs, härtere Kontrollen, härtere Regelungen. Doch nichts half. Da lebt man ein Leben unbehelligt von der Welt und wird zum Kosmopoliten, zum toleranten Weltbürger und Kulturenfreund gezwungen. Keinesfalls ist uns das im Blut oder liegt es in unserer Natur. Ich schnappe mir nun meinen Prügel, folge den mit Fackeln und weiteren Prügeln bestückten Männern und Frauen in dieser kalten Novembernacht mit freiem Himmel, folge meinen Volk und tue das einzige, was uns in solchen Zeiten noch möglich ist; mache uns rein.

CHRISTIAN KASERER, *1991 IN MITTERSILL/ÖSTERREICH, WOHNHAFT IN EBENDA. NACH ABBRUCH DER GYMNASIALEN OBERSTUFE SEIT 2008 BESUCH DES ABENDGYMNASIUMS IN SALZBURG. BISWEILEN KEINE VERÖFFENTLICHUNGEN. > VEGGIEPIE.NET


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