UnAufgefordert Nr. 223

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Studierendenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin seit November 1989

UnAuf

April 2014

Nr.223

GEFORDERT HU BERLIN

U N E R H Ö RT ?

W ie s ic h S tu d ie re nde H U h o c h s c h u lp o a n d e r li ti s c h e n g a g ie re n u n d wa d a b e i m a n c h m a ru m s ie l a n ih g re n z e n s to ß e n re .

leerstellen Über das Millionenloch im Haushalt der Humboldt-Universität zu berlin. Die schweigende mehrheit Ein bericht über die Proteste gegen die türkische regierung.


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Un Aufgefordert 04 | 2014

Editorial Das Sommersemester hat begonnen und auch in der UnAuf gibt es einen Neubeginn. Drei neue Chefredakteure kümmern sich um das Heft und präsentieren stolz die 223. Ausgabe:

In unserer Titelgeschichte ab Seite 8 erfahrt ihr, wie sich Studierende an der HU hochschulpolitisch engagieren und warum sie dabei manchmal an ihre Grenzen stoßen.

Politisch engagiert sind auch die Studierenden in Istanbul. Mit der Kommunalwahl Ende März hatten sie die Hoffnung auf einen Neuanfang im Sinne der Proteste auf dem Taksim-Platz verbunden. Trotz zahlreicher Korruptionsskandale und der Sperrung von

Mitarbeiter des Monats

Twitter und YouTube fuhr Erdoğans AKP allerdings einen fulminanten Sieg ein. Die Stimmung ist am Siedepunkt. Einen Bericht aus Istanbul findet ihr auf Seite 16.

Vor Wut kochen könnte auch Aihok Telyakar. Nie wollen Studierende in dem netten

italienischen Restaurant am Bahnhof Friedrichstraße essen gehen – obwohl er so enthusiastisch für seine Pizza wirbt. Die ganze Geschichte lest ihr in unserem Portrait über den Koch, der eigentlich keiner ist, auf Seite 22.

Werbung machen auch die vielen Hochglanzmagazine, die an der Universität ausliegen. Jeden Monat werden hunderttausende dieser Gratiszeitschriften verteilt – oft mit

fragwürdigem Inhalt. An der Grenze zur Schleichwerbung versuchen Unternehmen, sich dort mit allen Mitteln in ein gutes Licht zu rücken. Warum sich ein zweiter Blick Foto: Privat

manchmal lohnt, erfahrt ihr ab Seite 20.

Wir hoffen, ihr werft nun mehr als nur zwei Blicke in unsere neue Ausgabe und wünschen euch dabei viel Spaß!

Eure UnAuf

Hannes Schrader, 23 Geschichte und Volkswirtschaftslehre Um es mit den Worten der äußerst vira-

len Werbekampagne einer Supermarkt-

kette zu sagen: Du bist ein sehr, sehr geiler Typ. Wie du das alles immer hin-

kriegst, wie du das alles unter einen Hut

bekommst. Es ist großartig, was du hier ablieferst. Und das nicht nur teilweise.

Mit gutem Grund schreibt Hannes für

das kommende Jahr die neue Kolumne Foto: Niklas Maamar

der UnAuf. So sehr er über die kleinen Alltagsprobleme grübelt, in den wichtigen Angelegenheiten gibt Hannes nicht nach. Vor allem bei hochschulpoliti-

schen Themen kann man voll und ganz auf ihn vertrauen. Egal ob es gegen Uni-

präsidenten oder das Verteidigungsministerium geht, Hannes ist kein Thema

Die neue Chefredaktion tritt in große Fußstapfen.

zu groß. Dafür unseren Respekt. Sehr geiler Computer übrigens auch.

Impressum:

Anzeigen: Sarah Lederer, Telefon: 030-20932288,

Öffentliche Redaktionssitzungen: Montags um 18:30 Uhr in der

Die Studierendenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin.

werbung@unauf.de und SD-Media, Telefon: 030-36286430

Redaktion, Invalidenstraße 110, Raum 118

Erstmals erschienen am 17. November 1989. Beste deutschsprachige

Satz: Tiziana Krüger Online-Ressortleiterin: Mara Hofner

Druck und Belichtung: Gemeindebriefdruckerei, Martin-Luther-

Studierendenzeitung 2005 und 2008.

He­raus­g e­geben vom: Kuratorium des Freundeskreises der

Titelbild: Sebastian Beug  Titelmodel: Tim Friedrich

Weg 1, 29393 Groß Oesingen

Die UnAufgefordert wird gefördert von der BMW Stiftung, dem

Auflage: 5.000

UnAufgefordert e.V.

Deutschen Fachjournalisten-Verband, der Humboldt-Universitäts-

Für alle Fakten besteht das Recht auf Gegendarstellung in angemes-

Gesellschaft und Funkpalast Musik.

senem Umfang. Nachdruck nach vorheriger Nachfrage möglich. Wir

Lenz (Chefredaktion), Niklas Maamar (Chef vom Dienst), Ann-Kristin

Kontakt: Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6,

bitten um Quellenangabe und Belegexemplar. Die Redaktion behält

Grobe, Claudio Rizzello (Schlussredaktion)

10099 Berlin, Telefon: 030-20932288, Fax: 030-20932754,

sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen. Alle Artikel geben

Verantwortlich für diese Ausgabe: Johannes Metternich, Miriam

Redaktion: Marie Heinrichs, Jonas Schäfer, Sebastian Beug, Hannes

www.unauf.de, chefred@unauf.de

Riemann, Elisa von Hof, Ronja Nehls, Peter Kraus, Lena Fiedler

die Meinung des jeweiligen Autors wieder.

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 07. April 2014

Schrader, Annika Koch, Katharina Stökl, Benjamin Knödler, Jasper

Kostenloses Abonnement: www.unauf.de/bestell­formular

Redaktionsschluss der Nr. 224: 05. Mai 2014

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Inhalt 3 Editorial 5 Kolumne Der Stadtneurotiker. Diesmal: Mein neues Deo

NEWS 6 Gestartet 7 gestoppt

TITEL 8

Von engagement bis empörung Wie sich Studierende an der Humboldt-Universität hochschulpolitisch einbringen können

POLITIK 13 Meinungssache  Prof. Werner Weidenfeld wie bitte ?   Annette Schavan 14 Leerstellen Über das Millionenloch im Haushalt der Humboldt-Universität 15 Kommentar

An die Wurzel

16 die schweigende Mehrheit Ein Bericht aus Istanbul über die Proteste gegen die türkische Regierung

Studieren

17 ...UND WAS MACHT MAN DANN DAMIT? Glosse Geheime Signale Damals unter den Linden

Germanistik und Politik auf Lehramt

18 Gefährdet Jedes Jahr werden an der HU mehrere tausend Liter Chemikalien verwendet 20 hier könnte ihre werbung stehen Hochschulzeitungen an der Grenze zur Schleichwerbung

Leben

22 portrait Der Koch, der keiner ist rüschtisch jut Die Volksküche WO ist das? 23 Rezension: Selbstbildnis Rezension: Zeitzeugnis 24 Leben woanders: Taiwan Ein Student berichtet von großen Abenteuern auf einer kleinen Insel 26 Worauf wartest du? Volksentscheid Tempelhofer Feld


UnAufgefordert 04 | 2014  Kolumne

Der Stadtneurotiker Diesmal: Mein neues Deo Wir Studenten sind an einem wunderbaren Punkt in unserem Leben. Endlich können wir uns selbst verwirklichen, endlich das tun, was wir wirklich wollen. Unserem Kolumnisten geht es nicht so. Auch er studiert und überlebt irgendwie, aber es fällt ihm schwer. Manche seiner Probleme mögen für andere trivial erscheinen. Bei ihm sind sie Anlass für tiefe Identitätskrisen.

Text: Hannes Schrader Illustration: Luise Spielhagen

Vor kurzem musste ich mir ein neues Deo kaufen. Das alte

reichend“ hinaus. Die Deos erfüllten ihre Versprechen nicht.

man meinen, „Neuanfang“ sei übertrieben für etwas so Ba-

Transpiration.

war leer und es war Zeit für einen Neuanfang. Nun könnte nales wie ein Deo. Ist es aber nicht.

Stellt man sich vor das Deoregal in einer beliebigen Drogerie, kann man ja nicht einfach zugreifen. Dafür ist die Aus-

wahl zu groß. Mir als Mann wird suggeriert: Du bist sportlich

und bevorzugst dunkle und metallische Farbtöne. Dein Deo sorgt dafür, dass du nach dem Holzhacken nicht mehr nach Schweiß riechst und mindestens 72 Stunden harter körperlicher Arbeit nachgehen kannst, ohne zu stinken. Endlich.

Nur leider hacke ich nie Holz. Ich arbeite auch kaum körperlich, ich studiere nur. Mein Schweiß entsteht nicht aus ehrli-

cher Arbeit, sondern aus Angst davor, als geistiger Hochstapler enttarnt zu werden. In der Logik des Deoregals ist mein Typ zwar vorgesehen – aber als Frau. Ich bevorzuge Düfte wie „Wasserlilie“ und kaufe Produkte in hellen Pastelltönen.

Die Deos sagen mir, dass ich mir keine Sorgen darüber ma-

chen muss, dass sie Flecken auf meiner Kleidung hinterlassen könnten (eine Sorge, die mich erst seitdem verfolgt). Sie

schützen mich vor allen Arten Stress und pflegen meine Haut mit Aloe Vera. Als Mann braucht man offenbar keine Haut-

pflege. Männerhaut ist, aus Sicht des Deoregals, hart wie

Stahl. Sie ist rau und widerstandsfähig. Ich kann sie mit Silberatomen besprühen. Frauenhaut dagegen ist empfindlich und muss vor fremden Einflüssen geschützt werden.

Durch die große Auswahl verunsichert, sah ich mich im Internet nach einem geeigneten Deo um. “Öko-Test“ hatte vor

einiger Zeit 23 Deos getestet, keines kam über das Urteil „aus-

Kein Wunder, manche versprachen vier volle Tage Schutz vor Im Netz fand ich eine Reportage über den Versuch eines gro-

ßen Kosmetikunternehmens, ein neues Deo auf dem Markt zu etablieren. Auf fünf Seiten schilderte der Autor seine Eindrücke. Die Frage, ob das neue Deo besser ist, als alle bereits vorhandenen, tauchte bei der Produktentwicklung nicht auf.

Viel mehr Zeit ging dafür drauf, die Ängste des Konsumenten ausfindig zu machen und sie für sich zu nutzen. Die Angst davor, zu stinken zum Beispiel. Davor, sozial isoliert zu wer-

den, oder die Angst vor Hautreizungen. Diese Ängste sollen

angesprochen werden, um mir mitzuteilen: Mit unserem

Deo kann dir das nicht passieren. Unser Deo lässt dich gut riechen, unser Deo macht dich erfolgreich. Dabei möchte ich gar nicht erfolgreich sein. Ich will einfach nur meine Ruhe.

Ich hatte mir von der Suche im Netz erhofft, danach einen sicheren Griff ins Kosmetikregal wagen zu können. Stattdes-

sen wurde mir klar, dass die ganze Deoindustrie offenbar nur darauf aus ist, mir mit psychologischen Tricks das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Ich dachte, es sei eine Errungenschaft unserer Zeit, ein infor-

mierter Konsument zu sein. Das ist es nicht. Es ist ein großer Fehler, sich zu viele Gedanken darüber zu machen, was man Tag für Tag verbraucht. Nach meiner Recherche bin ich noch

einmal in die Drogerie gegangen, habe mich vor das Regal

gestellt und eine Dame gebeten, mir irgendein Deo aus dem Regal zu geben. Jetzt habe ich meine Ruhe. Sie duftet nach Wasserlilie.

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News  UnAufgefordert 04 | 2014

NEWS

verklagt Ein Student der Humboldt-Universität zu

Gestartet

Berlin (HU) hat Klage gegen den Verein “UniAssist“ eingereicht. Maciej Kawecki hatte sich 2012 mit seiner polnischen Hochschul-

reife für einen Platz im Studiengang Volks-

Die Fakultätsreform an der HU tritt mit diesem Sommersemester in Kraft. Text und Illustration: Marie Heinrichs

wirtschaftslehre beworben. Wie 160 andere Hochschulen vergibt auch die HU Plätze an Interessenten mit ausländischen Zeugnis-

sen nur über den Zusammenschluss UniAssist. Der Verein übernimmt die Prüfung

des Schulabschlusses, stellt diese allerdings den Bewerbern in Rechnung. Dadurch ent-

stehen für die Universitäten keine Kosten. Kawecki kritisiert, mit Uni-Assist würden

ausländische Studierende durch den Gebüh-

renzwang systematisch diskriminiert. Das Bewerbungsverfahren sei „Ausdruck von strukturellem Rassismus“ heißt es in einer

Pressemitteilung des Referent_innenRats, der die Klage unterstützt. Als Konsequenz

fordert João Fidalgo, Referent für Studium und Lehre, den Ausstieg der HU aus UniWie bereits in einer Pressemitteilung der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) angekündigt, entstanden zum 01. April

Assist.

NIM

2014 drei neue Fakultäten. Die Institute für Chemie, Physik, Informatik, Mathematik und Geographie verbinden sich zu einer Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Die

Institute der Philosophischen Fakultäten III und IV setzen sich zur Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät

Verzockt

zusammen und die neu entstandene Fakultät für Lebenswis-

Einem Zeitungsbericht des “Guardian“ zu-

chologie und der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät.

einer Erhöhung der Studiengebühren ins ei-

senschaften bildet sich aus den Instituten für Biologie, Psy-

Bestehende Studiengänge bleiben dabei erhalten, sie werden lediglich anderen Fakultäten zugeordnet.

Die Zusammenlegung soll vor allem die Kooperation der Fächer untereinander fördern und eine stärkere Einbeziehung

der Fakultäten in die strategische Gesamtentwicklung und internationale Ausrichtung der Humboldt-Universität bewir-

ken. In geheimer Abstimmung hatte sich der Akademische Senat (AS) bereits in der Sitzung vom 09. Juli 2013 auf einen Grundsatzbeschluss zur Fakultätsreform geeinigt. Die genaue Umsetzung der Reform war jedoch lange umstritten.

Im Dezember letzten Jahres führte ein aufschiebendes Veto der

Studierendenvertreter im AS zu einem kurzzeitigen Rücktritt

des HU-Präsidenten Jan-Hendrik Olbertz. Die Studierenden befürchteten vor allem eine Verschlechterung der Lehrbedin-

gungen durch Kürzungen beim Personal. Ihr Veto zogen sie später zurück, die Frage nach der Finanzierung bleibt dennoch

bis heute im Gespräch. Allein im Doppelhaushalt 2014/2015 sind für die Reform 2,9 Millionen Euro an Personal- und Baukosten berechnet. Das Geld stammt vor allem aus dem Innova-

tionsfond des Präsidiums. 2015 soll in einem nächsten Schritt über die Einbettungen der Philosophischen Fakultäten I und

II, der Juristischen, der Wirtschaftswissenschaftlichen und der Theologischen Fakultät beraten werden.

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folge hat sich die britische Regierung mit

gene Fleisch geschnitten. Durch die Verdreifachung der gesetzlichen Obergrenze von 3000 auf 9000 Pfund pro Jahr, die 2012 um-

gesetzt wurde, erhoffte man sich zunächst

weniger öffentliche Ausgaben für die Uni-

versitäten, doch nun könnte den Staat die Reform teuer zu stehen kommen.

Immer mehr Studierende sind nämlich

nicht in der Lage, ihre Studiendarlehen, die von der staatlichen “Student Loans Com-

pany“ vergeben werden, zurückzuzahlen. Als die Regierung 2010 die Reform der Stu-

diengebühr beschloss, ging sie von einem

Anteil von 28 Prozent der Kredite aus, die von Studierenden nicht abgezahlt werden können. Diese Quote hat sich nach Angaben

der Zeitung auf mittlerweile rund 45 Prozent erhöht und nähere sich rasch der Marke von

48,6 Prozent, ab welcher der Staat mehr Geld

verlieren würde, als er durch die Reform der Studiengebühr eingespart hatte.

jme


Un Aufgefordert 04 | 2014  News

Gestoppt Die Berliner Privathochschule “School of Governance“ ist insolvent.

Ausgegrenzt Nach der Volksabstimmung zur Beschrän-

Text: Jonas Schäfer Illustration: Marie Heinrichs

kung der Einwanderung in der Schweiz hat die Europäische Union (EU) das vorläufige

Ende der Erasmus-Kooperation verkündet. Nachdem im Februar knapp für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt wur-

de, kommt nun die Antwort aus Brüssel:

Mit Beginn des Wintersemesters 2014/2015 wird die Schweiz nach dem Beschluss der EU vorerst aus dem Erasmus-Programm ausgeschlossen. Begründet wird dies mit der Unvereinbarkeit der Zuwanderungsbeschränkung mit dem grundlegenden Prinzip der Freizügigkeit. Bisher profitierten je-

des Jahr etwa 3000 europäische Studierende von finanzieller Unterstützung durch das

Erasmus-Programm während eines Auslandsjahrs in der Schweiz. Dem standen

etwa gleich viele schweizerische Studierende gegenüber, die an Partneruniversitäten in der EU studierten.

akg

Fünf Jahre nachdem die ersten Studierenden ihr Studium aufgenommen haben, hat die Humboldt-Viadrina School of

Governance Ende März Insolvenz angemeldet. „Die derzeit sehr schwierige finanzielle Situation lässt uns leider keine andere Wahl“, stellt die Präsidentin der Hochschule Prof. Dr.

Dr. No

Gesine Schwan fest. Die 58 Studierenden aus 14 verschiedenen Ländern können jedoch zunächst aufatmen, denn für sie wird

der Lehrbetrieb planmäßig fortgeführt, wie es in einer Presse-

Die ehemalige Bundesministerin für Bil-

Ihren jährlichen Haushalt in Höhe von etwa einer Million Euro

zichtet auf ein weiteres juristisches Vorge-

mitteilung der Hochschule heißt.

bestreitet sie aus Spenden, Drittmitteln und Studiengebühren. Wer an der Privathochschule in Berlin-Mitte einen der an-

gebotenen Studiengänge Master of Public Policy oder Master of Governance and Human Rights belegt, zahlt pro Semester 4500 Euro. Ziel des Partnerprojekts von der Humboldt-Universität zu Berlin und der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) ist es, Kompetenzen für nachhaltige Lösungen in Politik und

Wirtschaft zu vermitteln. Auf ihrer Website präsentiert sich die Hochschule mit dem Slogan „denken. handeln. wirken.“

Obwohl die Einnahmen in den letzen Jahren kontinuierlich gestiegen sind und das Minus verringert werden konnte, kam die

School of Governance bislang nicht aus den roten Zahlen. Anfang des Jahres erreichte sie nun eine Forderung in einer nach

ihren Angaben unvorhersehbaren Höhe, die nicht bedient

werden konnte. Laut Tagesspiegel geht es um eine Summe im

mittleren sechsstelligen Bereich. Von wem dieser Anspruch gestellt wurde, will die Hochschule nicht kommentieren.

Momentan sucht sie nach neuen Partnern, um ihren weiteren Fortbestand zu sichern. Präsidentin Gesine Schwan gibt sich kämpferisch: „Die Erfahrung in meinem Leben zeigt, wer aufgibt, hat schon verloren.“

dung und Forschung Annette Schavan ver-

hen im Verfahren zur Aberkennung ihres

Doktortitels. Im Februar 2013 hatte eine Kommission der Universität Düsseldorf den Plagiatsverdacht in ihrer 1980 fertig gestell-

ten Dissertation bestätigt und Schavan den

Doktorgrad aberkannt. Schavan reichte da-

raufhin beim Düsseldorfer Verwaltungsgericht Klage ein, am 20. März 2014 wurde die-

se abgewiesen. Nun steht fest, dass Schavan nicht in Berufung gehen wird. Am 11. April

bat Schavan die Freie Universität Berlin außerdem um die Freistellung von ihrer Honorarprofessur. Am gleichen Tag wurde ihr

von der Universität Lübeck die Ehrendok-

torwürde verliehen. Studierendenvertreter

kritisierten die Auszeichnung scharf. Wäh-

rend ihrer Amtszeit als Bildungsministerin hatte Schavan die Universität durch finan-

zielle Transaktionen zwischen dem Bund

und Schleswig-Holstein vor der Schließung bewahrt.

akg

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Manchmal ist es an der Humboldt-Universit채t schwer, etwas zu bewegen.


Un Aufgefordert 04 | 2014 Titel

Von Engagement bis Empörung Viele Studierende bringen sich an der Humboldt-Universität hochschulpolitisch ein. Dabei stoßen sie häufig auf Hindernisse. Über Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation. Text: Hannes Schrader, Johannes Metternich, Sebastian Beug Fotos: Sebastian Beug

Als es endlich losging, war das Erstaunen allseits groß ange-

Listen über zahlreiche Spaßfraktionen bis zu politischen Grup-

torium Maximum der Humboldt-Universität zu Berlin (HU)

scher Studenten“ oder den Liberalen, denen Dietzsch angehört.

sichts der Menschenmenge, die sich Ende Januar im Audieingefunden hatte. Nur wenige Tage zuvor hatte der Refe-

rent_innenRat (RefRat) zu der studentischen Vollversammlung aufgerufen, auf der über die problematische Haushaltslage der

HU informiert und debattiert werden sollte. In einem mit rund

1000 Studierenden übervollen Hörsaal wurden Reden gehalten und Fragen gestellt, Standpunkte dargelegt und verteidigt, ge-

bannt zugehört und laut applaudiert. Trotz des kurzfristigen Termins fanden sich so viele Studierende wie seit Jahren nicht

mehr im Audimax ein, weil sie die Entwicklungen an ihrer Universität nicht unkommentiert lassen wollten. Ähnliches

pierungen wie den “Jusos“, dem “Ring Christlich-DemokratiIhre Motivation kann sie klar beschreiben: „Die studentische

Selbstverwaltung ist nichts, was sich Leute aus Spaß ausge-

dacht haben, sondern sie ist ein wichtiger Bestandteil der Uni und funktioniert nicht, wenn es keine Leute gibt, die sich engagieren.“

Das StuPa hat 470.000 Euro im Jahr zur Verfügung.

ereignete sich bereits im Dezember des Vorjahres, als etwa 150

aufgebrachte Studierende aus Protest gegen die Haltung der Universitätsleitung in der Debatte um die Fakultätsreform eine

Die studentische Selbstverwaltung umfasst alle Organisati-

Diese Studierenden zeigten so, dass sie die Entwicklungen an

schaft, also die Studierenden selbst, zusammenfindet, um sich

Sitzung des Kuratoriums per Sitzblockade verhindern wollten.

ihrer Universität nicht nur passiv beobachten, sondern verstehen wollen und, falls notwendig, zum Wohle ihrer selbst und

ihrer Kommilitonen versuchen zu beeinflussen. Jedoch lassen

sich bestehende Strukturen und Studienbedingungen nicht

allein mit einer Versammlung oder einer Demonstration verändern. Mit welchen Möglichkeiten und welchen Grenzen also

können sich Studierende an der HU einbringen, um etwas für sich zu bewegen? Und warum sollten sie das, trotz all der hehren Ziele, neben Uni-, Arbeits- und Freizeitstress überhaupt tun?

"Jeder kann sich auf seine Art irgendwo einbringen."

onen und Organe, in denen sich die Verfasste Studierendenan ihrer Universität zu engagieren und auf die Situation an der

HU Einfluss zu nehmen. Wichtigstes Organ ist das StuPa, das die Verwaltung und Verteilung der Mittel der Verfassten Studierendenschaft zur Hauptaufgabe hat. Diese Mittel ergeben sich aus den sieben Euro, die Studierende in ihrem Semester-

beitrag bezahlen – für die Zwecke der Studierenden. Bei derzeit gut 33.500 eingeschriebenen Studierenden ergibt dies eine

Summe von rund 470.000 Euro im Jahr, über die das StuPa verfügen kann, allerdings nicht komplett frei: Ein Drittel dieses

Geldes geht für die Arbeit der zahlreichen Fachschaftsinitiativen und Fachschaftsräte ab, die sich an ihren Instituten mit

diesem Geld zum Beispiel um die Erstsemesterbetreuung kümmern, Partys, Fahrten, Filmabende und Diskussionsrunden organisieren und so für ein lebendiges Studentenleben sorgen.

Ein weiteres Drittel des Geldes ist fest für Aufwandsentschädigungen und Projekte des Referent_innenRats (RefRat) einge-

„Für mich gehört es einfach dazu, sich zu informieren, wo man sich vor Ort engagieren kann. Jeder kann sich auf seine Art irgendwo einbringen“, meint Josephine Dietzsch. Die 24-Jährige studiert an der HU nicht nur Ethnologie im zweiten Masterse-

mester, sondern ist für die Liste “Liberale Humboldt-Pinguine“ (LHG) im StudentInnenparlament (StuPa) vertreten – und

macht dort mit 59 weiteren Abgeordneten Politik von Studie-

renden für Studierende. Das StuPa ist das beschlussfähige Or-

gan, also die Legislative der studentischen Selbstverwaltung,

welches jährlich zu Jahresbeginn von allen Studierenden und Doktoranden der HU gewählt wird. Dort einziehen kann jede und jeder eingeschriebene Studierende der HU, sofern sie oder er sich zuvor von einer der Listen zur Wahl hat aufstellen las-

sen. Deren Spektrum reicht von Fachschaftsinitiativen, freien

plant. Der RefRat fungiert an der HU als das, was an anderen deutschen Universitäten als Allgemeiner Studierendenaus-

schuss (AStA) bekannt ist und stellt somit, neben dem StuPa als Legislative, die Exekutive der studentischen Selbstverwaltung dar. In derzeit 16 Ressorts, Referate genannt, kümmern

sich vom StuPa direkt gewählte Referenten um allerlei studentische Belange. So gibt es unter anderem zahlreiche Sozial-, Antidiskriminierungs- und Studienberatungsangebote sowie

eine eigene Fahrradwerkstatt, ein spezielles Sportangebot für Frauen, Lesben und Transgender und sogar einen eigenen Kin-

derbetreuungsladen für Studierende mit Kindern, die “Humbolde“, die Studierende in ihrem oft mit Herausforderungen

gespickten Alltag unterstützen. Weiterhin werden vom RefRat zum Beispiel das studentische Café “Krähenfuß“ im Ostflügel

des Hauptgebäudes unterhalten, Kunstaustellungen oder Po-

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Un Aufgefordert 04 | 2014 Titel

diumsdiskussionen veranstaltet und die Zeitung “HUch!“ herausgegeben.

"Man braucht einen langen Atem und Durchsetzungsvermögen."

dene politische Ansichten vertreten sind, herrscht natürlich nicht bei jedem Tagesordnungspunkt Einigkeit. Die Zusammensetzung des Parlaments aus Mitgliedern linker ebenso wie konservativer Listen verspricht hitzige Debatten. Besonders, wenn es darum geht, eine weitere maßgebliche Aufgabe des

StuPas wahrzunehmen: die Stellungnahme zu universitären und hochschulpolitischen Themen, beispielsweise gegenüber dem Präsidium oder dem Akademischen Senat. „Als vor einem

Obwohl der RefRat selbst einiges an Gestaltungsfreiheit besitzt

und viel Verantwortung übernimmt, bleibt das StuPa der Ort,

in dem über die Projekte des RefRats und die Verwendung des

übrigen Drittels der Gelder der Verfassten Studierendenschaft entschieden wird. Das geschieht in teils langwieriger, stun-

denlanger Sitzungsarbeit. „Man braucht einen langen Atem, Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen. Und wie oft in der

Politik sind viele Dinge einfach juristische Angelegenheiten. Ich hätte vor meiner Zeit im StuPa nie gedacht, dass ich mal sage: Vielleicht wären zwei Semester Jura gar nicht so schlecht gewesen“, meint Dietzsch, die auch schon für zwei Jahre Bundesvorsitzende der LHG war. Dass studentisches Engagement

Jahr der damalige Bundesminister für Verteidigung Thomas de Maizière von einer Gruppe Studierender an seiner Rede vor den Studierenden der Humboldt-Universität zur Aufgabe der Bun-

deswehr gehindert wurde, wurde im StuPa sehr kontrovers dis-

kutiert, wie das zu werten sei“, berichtet Czoch. Damals habe sich das StuPa, gegen heftigen Widerspruch zum Beispiel von

Seiten des Rings Christlich-Demokratischer Studenten, per Abstimmung darauf geeinigt, die Verhinderung der Rede für gut zu befinden. „Generell ist es eher ein kritisches Beäugen gerade

der Listen, die stark verschiedene politische Ansichten vertreten, es ist dabei aber meistens konstruktiv“, so Czoch.

Ein Punkt hingegen, der Josephine und ihm Sorgen bereitet,

ist die geringe Beteiligung der Studierenden bei der Wahl des

sehr zeitintensiv sein kann, bestätigt auch Peter Czoch, der

StuPa. Seit Jahren werden dabei unter den Studierenden der HU

studiert. Er ist als gewählter Vertreter der “Offenen Liste Kri-

im Januar 2014 stimmten nur 8,6 Prozent ab. Wie lässt sich bei

26 Jahre alt ist und seit zwölf Semestern Sozialwissenschaften tischer Studierender“ im StuPa, hat in seiner Studienzeit je-

doch schon diverse Aufgaben in Gremien und Kommissionen

übernommen. „Dass ich schon so lange studiere, hat sicher wesentlich mit meinem Engagement in den Gremien zu tun.“ Jedoch bestimmt nicht immer das Ausmaß an studentischem

Engagement den Zeitplan des restlichen Lebens. Umgekehrt ist

das mindestens genauso der Fall, meint Dietzsch: „Natürlich gibt es Zeiträume, in denen haben wir Delegierten eher mehr Zeit und können viel machen, aber natürlich gibt es dann auch Phasen, in denen der eine sein Staatsexamen macht und die

andere ihre Abschlussarbeit schreibt. Je nachdem gibt es bei uns mal mehr, mal weniger Aktivität.“

In einem Parlament wie dem StuPa, in welchem viele verschie-

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keine zweistelligen Prozentwerte erreicht, bei der letzten Wahl solch einer Wahlbeteiligung ein Parlament ausreichend legi-

timieren? Czoch wirkt angesichts des geringen Interesses für die Wahl ratlos. „Vielen Studierenden ist vielleicht einfach

nicht bewusst, was das StuPa mit seinen Mitteln beschließen kann und was aktuell bei uns verhandelt wird“, meint er. Doch trotz niedriger Wahlbeteiligung – das StuPa und die studen-

tische Selbstverwaltung müsse es geben. „Wir Studierenden

sind die größte Gruppe an der Universität. Deshalb brauchen wir auch eine Stimme, um uns vertreten zu können“, sagt Josephine Dietzsch. Und außerdem: „Die Universität ist ein Ort, an dem sich Lehrende und Studierende auf gleicher Ebene begegnen sollten.“ Diese gleiche Ebene können StuPa und

RefRat allerdings nicht für sich beanspruchen. Denn bei allen


Un Aufgefordert 04 | 2014

titel

Möglichkeiten, die den Studierenden hier offen stehen: Weder

jeweiligen Statusgruppen vor. So sind die Wissenschaftlichen

scheidungen der akademischen Gremien, die die Strukturen der

mit jeweils vier Delegierten vertreten, während die Professoren

das StuPa, noch der RefRat können direkt und bindend auf Ent-

Universität verändern dürfen, Einfluss nehmen. Ihr konkreter

Handlungsspielraum ist auf die Verwaltung und den Einsatz der ihnen zustehenden Gelder beschränkt. Alle weiteren Erklärungen und Stellungnahmen des StuPas und des RefRats zu univer-

sitären Themen, wie zum Beispiel der Fakultätsreform oder den Haushaltsplänen, bleiben letztendlich immer nur Worte, die von

der Universitätsleitung oder den akademischen Gremien häufig

unerhört bleiben. „Natürlich ist es manchmal frustrierend, dass wir keinen direkten Einfluss auf solche Themen haben“, meint Czoch. „Auf der anderen Seite ist es jedoch auch nicht Aufgabe

der verfassten Studierendenschaft, Entscheidungen für die gesamte Uni zu treffen.“ Um die Studierenden in solchen Belangen angemessen zu vertreten, sind andere zuständig.

Professoren verfügen über die Stimmenmehrheit im AS.

Mitarbeiter, die sonstigen Mitarbeiter und die Studierenden 13 Mitglieder stellen und somit im Zweifel bei allen Entscheidungen über die absolute Mehrheit verfügen. Und auch im

Kuratorium sind die Studierenden unter den neun Mitgliedern

mit nur einer Vertreterin repräsentiert. Ist also gerade hier, auf der höchsten universitären Entscheidungsebene, die Hoffnung

auf eine Begegnung zwischen Studierenden und Professoren auf Augenhöhe vergeblich?

Tobias äußert diese Bedenken. „Miteinander reden kann

man natürlich grundsätzlich immer. Allerdings ändert Reden schlussendlich nichts am Abstimmungsverhalten. Die größte Gruppe weiß, dass sie die größte Gruppe ist, und setzt, wenn

es darauf ankommt, dementsprechend die Entscheidungen nach ihrem Willen durch.“ Die Professoren müssten von dieser

Möglichkeit aber nur selten Gebrauch machen. „Grundsätzlich sind sich im Akademischen Senat in einem Großteil der

Entscheidungen alle einig. Nur bei sehr speziellen Themen, wie Beschlüssen zu Studien- und Prüfungsordnungen oder

der Fakultätsreform, kracht es manchmal.“ Wenn es dann

allerdings kracht, sind die Studierenden gegen die geballte Wie zum Beispiel Tobias Roßmann. Der Student der Geschichte

und der Sozialwissenschaften im 22. Semester ist seit 2008 einer von vier ständigen studentischen Vertretern im Akademischen

Stimmkraft der Professoren unterlegen. „Was uns dann bleibt, Anzeige

Senat (AS). Der Akademische Senat ist das zentrale Beschluss-

organ der HU und trifft somit Entscheidungen, die die gesamte Universität mit all ihren Mitgliedern betreffen. Deshalb sind Delegierte aus allen vier sogenannten Statusgruppen, die es an der

Universität gibt, vertreten, um ihre Interessen in die Entscheidungsfindung einzubringen: die Professoren, die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die sonstigen Mitarbeiter und die Studieren-

den. Die Delegierten des meist öffentlich tagenden Gremiums werden im Zweijahrestakt von allen Mitgliedern ihrer jeweiligen Statusgruppe, im Falle der Studierenden also von allen Studierenden, gewählt. Zur Wahl aufstellen lassen kann sich jeder. Mit-

glieder im Akademischen Senat mit Antrags- und Stimmrecht

können außerdem Personen in besonderen Positionen sein, wie unter anderem die Mitglieder des Präsidiums, die Dekane oder auch die Frauenbeauftragte der Universität.

Der Akademische Senat ist Bestimmungsort der meisten maßgeblichen Entscheidungen der Universität. Bestätigt werden Beschlüsse in letzter Instanz vom Kuratorium, einer Art Aufsichtsrat, bestehend aus Vertretern von Universität, Wirtschaft und Politik. In diesen beiden Gremien wird über den Haushalt, neue

Fakultäten, Studiengänge oder Prüfungsordnungen, neu zu berufende Professuren und vieles mehr beraten und entschieden.

Zusätzlich gibt es im Akademischen Senat derzeit neun Kommissionen, wie zum Beispiel die Kommission für Lehre und Studium oder für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, in

denen Entscheidungen des Gremiums vorbereitet werden sollen.

„Ich habe mich damals sehr darüber geärgert, wie in meinem Studiengang der Wechsel vom Magister zum Bachelor- und Mastersystem gestaltet wurde“, begründet Tobias seine Motivation,

in die Gremienarbeit einzusteigen. „Deshalb habe ich mich zunächst in der Kommission für Lehre und Studium engagiert, bevor ich zwei Jahre später schließlich auch ständiges Mitglied des

Akademischen Senats geworden bin.“ Anders als das StuPa setzt

sich der Akademische Senat nicht aus verschiedenen Listen zusammen, sondern sieht eine feste Verteilung der Mandate an die

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Titel  Un Aufgefordert 04 | 2014

Vorsicht! Die Welt zu verändern, ist manchmal gar nicht so einfach.

ist, die Leitung durch Anfragen und Anträge zu kontrollieren,

um eine Sache inhaltlich zu besprechen und durch Argumente

wieder anzusprechen“, so Tobias. Machtvollstes Mittel ist ein

terhin merkt er an: „Wenn man die Abstimmungen, egal in

die Studierenden zu informieren und gewisse Themen immer Statusgruppenveto. Stimmen alle vier Mitglieder der weniger

stark vertretenen Gruppen gegen einen Beschluss, wird dieser

trotz etwaiger Mehrheit nicht angenommen und ein Vermitt-

lungsausschuss zur weiteren Beratung eingesetzt. Erst in der nächsten Sitzung darf erneut abgestimmt werden, hier hat ein

Gruppenveto dann keine Wirkung mehr. Letztendlich werden Entscheidungen damit aber nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Dass die Studierenden wie auch die wissenschaftlichen und

die anderen Mitglieder des Gremiums zu überzeugen.“ Wei-

welchem Gremium, anschaut, ist es selten so, dass es die eine Professorenstimme mehr ist, die sich durchsetzt.“

Bei ihrem Engagement stoßen Josephine, Peter und Tobias immer wieder an Grenzen.

sonstigen Mitarbeiter im Akademischen Senat somit vom Wohlwollen der Professoren abhängen, kann auch Martin Heger nicht abstreiten. „Rechnerisch ist das so, ja“, gibt er zu. Heger

Gerade die Debatte aber, die Heger als so wichtig hervorhebt,

Europäisches Strafrecht und Neuere Rechtsgeschichte und ist

der Professoren im Zweifel übergangen werden. So glaubwür-

lehrt an der HU am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, seit 2010 ständiges Mitglied des Akademischen Senats für die

Statusgruppe der Professoren. „Nach meinem Empfinden wirkt

die Atmosphäre im Akademischen Senat oft konfrontativer, als sie in Wirklichkeit hinter den Kulissen ist. Das mag dem Druck der Öffentlichkeit, gerade durch die Medienpräsenz in den Sit-

zungen, geschuldet sein, sodass dann bei den verschiedenen

Statusgruppen eine Art Wagenburgmentalität entsteht.“ Heger erkennt das Entscheidungsmonopol der Professoren und die dadurch nachteilhafte Lage der anderen Statusgruppen an,

stellt aber eine andere Tätigkeit des Akademischen Senats als

das Abstimmen in den Vordergrund: die Debatte. „Viel wichtiger als die bloßen Abstimmungen sind die Diskussionen in den

Gremien, sei es im Akademischen Senat oder im Kuratorium,

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kann, wie Tobias Roßmann sagt, durch die Stimmenmehrheit dig Hegers Appell an die Kraft des besseren Arguments wirken

mag, das Dilemma der Studierenden löst er nicht. Und auch das Statusgruppenveto als Mittel der Minderheiten gegen die Übermacht der Professoren ist nur bedingt wirksam, wie im

Dezember vergangenen Jahres demonstriert wurde: In einer

Sitzung des Akademischen Senats legten die Studierenden ein Veto gegen den Beschluss zur Fakultätsreform ein, das sie

nach heftigen Attacken von Seiten der Professoren sowie dem vorübergehenden Rücktritt von Präsident Jan-Hendrik Olbertz

wieder zurücknahmen. Gehen Josephine Dietzsch, Peter Czoch und Tobias Roßmann ihrem Engagement auch mit Überzeu-

gung und viel Freude nach, so stoßen sie doch immer wieder an Grenzen.


Un Aufgefordert 04 | 2014  Politik

POLITIK Meinungssache

Für viel Aufsehen hat in den letzten Monaten eine Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts gesorgt. Die Drei-Prozent-Hürde für die Wahl wurde abgeschafft. Wird das Parlament jetzt mit Abgeord-

Interview: Niklas Maamar

neten von kleinen Splitterparteien überflutet? Das Bundesverfassungsgericht hat die machtpolitische Reali-

Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld

Foto: Privat

Direktor des Centrums für angewand-

te Politikforschung der Universität München

UnAufgefordert: Am 25. Mai sind die Wahlen zum Europäischen Par-

lament. 2009 lag die Beteiligung in Deutschland bei nur 43%. Warum sollten Studierende dieses Mal den Weg zur Wahlurne antreten? Werner Weidenfeld: Europa ist nicht mehr bloß ein politi-

sches Beiwerk. Inzwischen ist die Europäische Union zu einem

Schlüsselstück der Entscheidungsfindung geworden. Davon kann man sich überrollen lassen - oder über die Stimmabgabe

tät des Europäischen Parlaments noch nicht erfasst. Das Bild, das vom Gericht gezeichnet wird, entspricht der Lage und der

Struktur von vor vielen Jahren. Trotzdem geht von dem Urteil keine Gefahr aus. In der Konsequenz wird das Europäische Parlament in seiner Zusammensetzung noch bunter als bisher.

Die Zahl der europaskeptischen Abgeordneten wird wachsen. Mit dem Druck, die Zusammenarbeit zwischen den großen,

traditionellen Parteien intensivieren zu müssen, um Mehrheiten zu schaffen, wird das Parlament seine Machtarchitek-

tur noch besser ausbalancieren als bisher. Dadurch wird kein wirklich ernstes Problem entstehen.

Wenn Sie entscheiden könnten: Welches Problem in der Europäischen Union würden Sie als Erstes angehen?

die Chance zur Mitgestaltung wahrnehmen.

Zuerst steht an, die politische Union als handlungsfähigen Seit einigen Woche hat die heiße Phase des Wahlkampfs begonnen. Die meisten Plakate lassen sich kaum von denen zur Bundestagswahl unterscheiden. Warum spielen bei der Europawahl europäische Themen so eine untergeordnete Rolle? In der Politikwissenschaft hat man vor diesem Hintergrund der Wahl zum Europäischen Parlament den Titel ‚Second-Order-

Rahmen für die Wirtschafts- und Währungsunion endlich zu verwirklichen. Sobald dann die Krise in der Währungspolitik

reduziert ist, wird sich ein anderes Mega-Thema stellen: Die

europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Die Wahrnehmung weltpolitischer Mitverantwortung wird als die große

Herausforderung zur Zukunft Europas erkannt und strategisch umgesetzt werden.

Election’ gegeben. Die Bürger lassen primär ihrer innenpoliti-

schen Stimmung freien Lauf. Entsprechend wird die Kampagnenführung der Parteien von solchen nationalen, regionalen

oder kommunalen Stichworten geprägt. Die Europapolitik hat es bisher nicht geschafft, das europäische Drama zur Abstim-

Wie bitte?

mung zu stellen. Das ist ein Kommunikations- und Deutungsdefizit.

»Jedenfalls weiß ich, dass, wer viele Jahre an seiner Doktorarbeit sitzt, sich darin auch verirren kann.«

Die Parteien haben zum ersten Mal gesamteuropäische Spitzenkandidaten aufgestellt, die zu einer Personalisierung des Wahlkampfes führen. Welche Bedeutung hat es, dass nur noch über Martin Schulz und JeanClaude Juncker geredet wird, während beispielsweise die Eurokrise oder

Jede Form einer an Wahlen orientierten Politik muss Personalisierung betreiben. Es geht um Komplexitätsreduzierung. Und

das ist unvermeidlich – sonst begreifen noch weniger Menschen die Probleme, Herausforderungen und Lösungsangebote.

Foto: Laurence Chaperon

Asylpolitik hinten anstehen?

Annette Schavan (CDU) ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, zu den Täuschungsvorwürfen gegen Karl-Theodor zu Guttenberg

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Politik  Un Aufgefordert 04 | 2014

Leerstellen An der HU wird nach Millionenlöchern im Haushalt die Notbremse gezogen. Was war da los? Text: Annika Koch, Katharina Stökl Illustration: Janne Adolf

S

chnell und leise verbreitet sich die Nachricht Anfang des

Jahres unter Studierenden und Lehrenden an der Hum-

boldt-Universität zu Berlin (HU). Das Geld wird knapp, es gibt Einsparungen in der Lehre. Als der Referent_innenRat Ende Januar eine Vollversammlung zur Haushaltskrise an der HU

einberuft, kommen etwa 1000 Studierende ins überfüllte Audimax – die höchste Zahl seit Jahren.

Ausgangspunkt der prekären Situation war der Abschluss der

Hochschulverträge für die Jahre 2014 bis 2017. Wie die meisten Bundesländer schließt auch Berlin mit seinen Hochschulen Verträge über die Finanzierung ab, damit diese unabhängig

von parlamentarischen Haushaltsverhandlungen Planungs-

sicherheit haben. Für die kommenden vier Jahre wurden der HU dabei zwar mehr Mittel zugewiesen als in den Jahren zuvor,

die zusätzlichen Gelder sind wegen gestiegener laufender Kosten für Strom und einen neuen Tarifvertrag aber schon aufge-

braucht. Zudem führen die Fakultätsreform und mehrere Bauprojekte zu höheren Ausgaben.

Die Haushaltskrise spitzte sich schließlich in einer Sitzung des Akademischen Senats (AS) Mitte Januar zu. Im vorgelegten

Doppelhaushalt 2014/2015 wurden bis zu 10 Millionen Euro weniger für Gehälter eingeplant, als bei gleichbleibender Besetzung benötigt werden. Bereits im Vorfeld der Sitzungen waren

Befürchtungen laut geworden, dass im Bereich des Mittelbaus,

also bei wissenschaftlichen Mitarbeitern und Doktoranden, massiv gespart werden müsse. Als Konsequenz aus der schwie-

rigen Haushaltslage verteilte das Präsidium der HU ab Jahresbeginn keine weiteren Personalmittel mehr. Dadurch hätten

auslaufende Stellen nicht neu besetzt und befristete Verträge

Erste Rückmeldungen legen nahe, dass es den meisten Fakul-

setzungssperre gleichkommt.

nur wenige Angestellte die HU verlassen müssen. Die meisten

nicht verlängert werden können, was faktisch einer Stellenbe-

Welche Stellen von möglichen Kürzungen betroffen sein wür-

den, war zunächst unklar. Aus Protest plakatierten Mitarbei-

ter in einer Aktion mit der Gewerkschaft ver.di ihre Sorgen im Hauptgebäude der HU. „Bis gestern saß hier Susanne: Meine Habilitationsstelle am Institut für Psychologie ist ausgelaufen und wird nicht verlängert“, hieß es da etwa.

Am 21. Februar verkündete das Präsidium jedoch per E-Mail

an einen HU-Verteiler: „Im Ergebnis steht fest, dass alle angemeldeten Bedarfe für die Jahre 2014 bis 2017 berücksichtigt

werden können." Tatsächlich werde aber nur der Minimalbedarf gedeckt, erklärt Larissa Klinzing, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Akademischen Senat sitzt. „Für eine volle

Ausstattung hätten die Fakultäten mehr als doppelt so viele Personalmittel gebraucht.“

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täten dennoch gelungen ist, ihre Gelder so zu verteilen, dass Institute müssen wenige Stellen für einige Monate unbesetzt

halten, um Gehälter einzusparen. Eine solche verspätete Besetzung von freigewordenen Stellen ist an den beiden anderen

Berliner Universitäten allerdings bereits seit Jahren vorgesehen. Wesentlich härter trifft es das neugegründete Institut

für Agrar- und Gartenbauwissenschaften. „Bis 2017 können im Bereich des Mittelbaus zwölf Stellen nicht nachbesetzt werden“, sagt der kommissarische Verwaltungsleiter der Lebens-

wissenschaftlichen Fakultät, Peter Kannegießer. Derzeit hat das Institut 24 Stellen, binnen vier Jahren würde die Hälfte der Mitarbeiter wegfallen.

„Unser großes Problem ist, dass wir immer mehr Studierende

aufnehmen müssen. Dabei können wir schon jetzt kaum mehr den Arbeitsaufwand mit unseren Kapazitäten bewältigen“, er-


Un Aufgefordert 04 | 2014  Politik

Kommentar: An die wurzel

klärt auch Martin Klepper, Professor für Amerikanische Literatur und

Kultur am Institut für Anglistik und Amerikanistik. Für sein Institut ist weniger die ausbleibende Neubesetzung von Stellen, als vielmehr

die sogenannte Halteverpflichtung dramatisch. Die HU hat sich in den

Hochschulverträgen dazu bekannt, die Zahl der Studienanfänger kon-

stant auf dem Rekordniveau von 2012 zu halten. Pro Jahr müssen 750 Studierende im ersten Hochschulsemester über die eigentlichen

Kapazitäten hinaus aufgenommen werden. „Im Bachelorstudiengang Englisch haben vor ein paar Jahren noch 55 Studierende

jedes Jahr angefangen, jetzt sind es 105", so Klepper. Er fürchtet sich vor den Folgen, die eine Verstetigung des einst zeit-

lich begrenzt gedachten Aufwuchses haben könnte: „Lernen, wissenschaftlich zu arbeiten, braucht Zeit.“ Davon hat er für

jeden einzelnen Studierenden immer weniger.

Im Gegenzug für die Aufnahme zusätzlicher Erstsemester be-

kommen die Institute pro Studienplatz fünf Jahre lang jeweils

1000 Euro. Davon lassen sich meist nicht einmal genügend zu-

sätzliche Stellen finanzieren. Stattdessen müssen immer häufiger

Lehrbeauftragte engagiert werden, die noch kürzere Vertragslaufzei-

ten haben und geringere Kosten verursachen.

Obwohl Michael Kämper-van den Boogaart, Vizepräsident für Studium und Internationales, derartige Effekte der Hochschulverträge als

sehr problematisch einstuft, stellt er fest: „Da kann man nichts machen. Wenn wir die Halteverpflichtung nicht garantieren, können wir 2016/17 in eine Abwärtsspirale geraten, die es in sich hat. Für jeden nicht angebotenen Studienplatz kann uns der Senat 12.000 Euro ab-

ziehen. Das würde Verluste von mehrstelligen Millionenbeträgen

nach sich ziehen".

„Es reicht nicht, mit dem Finger auf politische Entscheidungen zu zeigen“, meint dagegen die wissenschaftliche Mitarbeiterin Larissa

Klinzing. Hochschulpolitische Entscheidungen müssten hinterfragt

werden. Sie führt die geringen Personalkontingente auf die schlechte

interne Verteilung finanzieller Mittel zurück. Entscheidungen des Prä-

sidiums würden oft solange vertagt, bis den Mitgliedern der Gremien keine andere Möglichkeit bliebe, als zuzustimmen. Als einen der wich-

tigsten Einflussfaktoren der derzeitigen Kürzungen benennt Klinzing außerdem die hohen Ausgaben für die Exzellenzinitiative, einem bun-

desweiten Wettbewerb zur Verbesserung der Forschung an deutschen Hochschulen. Nach der Auszeichnung als Exzellenzuniversität vor zwei Jahren hat die HU für diesen Wettbewerb neue Forschungsprojekte ge-

schaffen. Weil die Exzellenzinitiative diese nur anteilig finanziert, wendet die HU zusätzlich eigene Gelder auf. Diese fehlen nun im Rest des Haushalts.

Es ist schlecht bestellt um den Haushalt der HU. So schlecht, dass an vielen Instituten die zeitlich befristeten Stellen im akademischen Mittelbau vorerst nicht verlängert werden. Das ist zum einen schlimm für diejenigen, die damit ihre Anstellung – möglicherweise während ihrer akademischen Ausbildung – verlieren, zum anderen aber auch für die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die fehlende Stellen mit mehr Arbeit auffangen müssen. Letzteres hat auch Folgen für die Qualität der Lehre und betrifft nicht zuletzt deshalb die Studierenden. Doch darin liegt auch eine Chance. Denn seit der Vollversammlung im Januar und der Gründung des Bündnisses “Bildungsstreik an der HU“ wird deutlich, dass Studierende und Angehörige des Mittelbaus sich gemeinsam gegen die Kürzungen wehren wollen. Die Basis für einen großen Protest ist also da. Vor diesem Hintergrund sollte man auch bei der Wahl des Adressaten der Kritik groß denken und sich gegen das Land Berlin richten. Denn nur das Präsidium der HU verantwortlich zu machen, wäre zu kurz gegriffen. Sicherlich, auch hier sind viele Fehler gemacht worden, beispielsweise bei der Informationspolitik, die zuweilen eher eine gewisse Ratlosigkeit vermittelte. Und auch wenn Präsident Jan-Hendrik Olbertz immer wieder betont hat, dass die Fakultätsreform die HU im Wettbewerb um Fördergelder besser stellen werde, so sendet sie gerade in der derzeitigen Lage doch ein unglückliches Signal. Denn sie vermittelt das Bild, dass die Lehre eine untergeordnete Rolle spielt. Aber es ist Aufgabe des Landes Berlin – ansonsten mit öffentlichen Geldern ja auch nicht gerade sparsam – für eine angemessene Finanzierung der Hochschulen zu sorgen. Schließlich profitiert auch Berlin von vielen gut ausgebildeten jungen Menschen, gerade als Forschungsstandort. Schon allein deshalb sollte es nicht das Ziel sein, die Zahl der Studienanfänger zu verringern. Berlin muss zeigen, dass Bildung dem Land mehr bedeutet. Die breite Basis aus Studierenden und Mittelbau hat die Möglichkeit, mit ihrem Protest dort – an der Wurzel – anzusetzen.

Auch Martin Klepper wendet sich gegen die Exzellenzinitiative. An sei-

nem Institut gab es dadurch zwar Neueinstellungen, doch diese Mitar-

beiter sind nur mit der Forschung beschäftigt. „Es gibt in Deutschland

die Tendenz, Reagenzgläser zu vergolden und die Seminarräume ver-

elenden zu lassen", fasst er die Diskrepanz in der Bedeutung von Lehre und Forschung zusammen.

ändern, ist unklar. Genauso weiß derzeit vermutlich niemand, wie es tatsächlich um den Haushalt steht und welche Einschnitte notwendig

sind. Es ist nicht auszuschließen, dass irgendwann das nächste Raunen durch die HU geht.

Foto: Privat

Wie sich die Studienbedingungen im nächsten Wintersemester ver-

Benjamin Knödler, 22 studiert Philosophie und Sozialwissenschaften an der HU Berlin.

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Politik  Un Aufgefordert 04 | 2014

Die schweigende Mehrheit Die Türkei wird nach den Protesten auf dem Taksim-Platz durch einen Korruptionsskandal erschüttert. Zwischenzeitlich ließ die Regierung sogar Twitter und YouTube sperren. Ein Erlebnisbericht aus Istanbul. Text: Jasper Riemann Foto: Zsombor Lacza, Flickr

E

s ist wie eine mathematische Gleichung, die schlicht nicht

ist Sevin eigentlich politisch nicht sehr engagiert, die Gezi-

= 0 Effekt. Erdoğans Politik beruht nicht auf den Gesetzen ra-

Sevins und Buraks Ansichten unterscheiden sich kaum noch

aufgeht. 1 + 1 = 0. Gezi-Park-Proteste + Korruptionsskandal

tionaler Logik. „Auch wenn morgen drei Millionen Menschen

auf dem Taksim-Patz demonstrieren gehen, würde das nicht die Meinung der Mehrheit ändern, die Erdoğan wählt. Und das

sind 20 Millionen." Dieser Satz eines 19-jährigen Studenten

aus Istanbul trifft das Gefühl einer ganzen Generation: Machtlosigkeit, Resignation, Verzweiflung.

Doch von vorne. Am 30. März waren Kommunalwahlen in der Türkei, die ersten Wahlen nach den regierungskritischen

Protesten im Sommer. Dort, wo der Taksim-Platz zum Symbol des Widerstands gegen einen autokratischen und gleichzeitig

islamisch-konservativen Premierminister wurde. Dort, wo die Unzufriedenheit zigtausender Bürger in einer Welle der Solidarität gegen Erdoğan kulminierte, die niemand hatte kommen

sehen. Nach den Protesten blieb vor allem eins: Hoffnung auf Veränderung. Die Korruptionsskandale der letzten Monate und

die repressiven Gesetze, vor allem gegen die sozialen Medien, ließen die Erwartungen an die Wahlen steigen. Die zahlreichen auf Youtube hochgeladenen Tonmitschnitte, die Erdoğan als

korrupten Machtmenschen darstellen, waren wohl der Grund für eine vorübergehende Sperre der Videoplattform.

Doch es brauchte nicht einmal mehr als zwei Zahlen, um alle Hoffnung zu zerschlagen. 43% für die regierende Partei AKP,

nur 26% für die Opposition, die CHP. Besonders die Studierenden sind von den Ergebnissen der Kommunalwahlen am 30. März ernüchtert. Burak Kocomis, 19, Sevin Evyapan, 19, und Deniz Kızıltan, 23, können sich die Ergebnisse nicht erklären.

Park-Proteste waren ihre erste Demonstration.

von denen der linksradikalen Gruppen. Im Kampf gegen die Regierung sind sie sich einig. So erklärt Deniz Kızıltan, Mitglied

der linken Studierendenorganisation "Ögrenci Kolektifleri"

(Studentenkollektive): „Die Universitäten sind gegen Erdoğan. Wenn AKP-Mitglieder auf den Campus kommen, sind wir da und vertreiben sie." Seinen Namen schreibt er auf ein Stück Pa-

pier, weil er ihn aus Furcht vor der Polizei nicht ins Tonbandge-

rät sprechen möchte. „Wir werden nicht aufhören zu kämpfen.

Wir werden Erdoğan zerstören und mit ihm die AKP." Denn, so

Deniz: „Sie sind Mörder, Killer und Diebe." Damit spielt er auf die acht Opfer an, die den Demonstranten zufolge während der Gezi-Park-Proteste durch Polizeigewalt ums Leben gekommen

sind. Und auf die Korruption. Neben den Linken gibt es noch einige islamisch-konservative Gruppen auf dem Campus. Die Regierung unterstützt keiner.

Burak hat den Glauben an den Protest auf der Straße verloren.

Weitere Demonstrationen würden nichts bringen. Dennoch müsse Erdoğan gestoppt werden: „Es ist nicht wichtig, wer die Alternative ist. Hauptsache, es ändert sich etwas." Wie,

weiß er auch nicht. Dabei ist er durchaus politisch engagiert. Bei den Kommunalwahlen hat er freiwillig mitgeholfen, die

Stimmabgaben in seinem Wahlbezirk zu kontrollieren und Manipulation zu verhindern. Die zahlreichen Wahlbetrugsvorwürfe ließen ihn einen letzten Funken Hoffnung verspüren.

Zumindest in Ankara werde es zu einer Neuauszählung der

Stimmen kommen, war er sich sicher. Mittlerweile wurde die-

Burak studiert Chemical Engineering an der Bogazici Univer-

se Forderung abgelehnt.

abnormal", findet er. Die meisten Studierenden seien traurig

Anhänger zum Umdenken bewegen kann. Anti-Erdoğan ist

sity. „Sogar für türkische Verhältnisse sind diese Ergebnisse und verlören ihre Hoffnung auf einen Wandel. So auch Sevin,

die an derselben Universität International Trade studiert. Nach den Kommunalwahlen habe ihre Mutter ihr unter Tränen gera-

ten, das Land zu verlassen. Es gebe keine andere Lösung. Dabei

16

Keiner weiß, wie man die schweigende Mehrheit der Erdoğaneine Selbstverständlichkeit unter Studierenden. Es ist nichts, worüber man noch diskutieren muss. Vielleicht ergibt 1+1 in

der Politik manchmal einfach nicht zwei. Rationale Logik hin oder her.


Un Aufgefordert 04 | 2014

studieren

STUDIEREN Foto: Privat

…und was macht man dann damit?

Glosse

Geheime Signale text: Claudio rizzello illustration: Milena bassen

mARTIN KIWUS, 64 Germanistik und Politik auf Lehramt

iNHAbEr VoN zWEi PLAttENLÄDEN Als ich 1970 in einer niedersächsischen Kleinstadt mein Abitur machte, war mein Berufswunsch Publizist. Ich war Redakteur der

Schülerzeitung. In Göttingen habe ich dann mit dem PublizistikStudium begonnen, aber schnell gemerkt, dass das Fach nicht meinen Interessen entsprach. Ich entschied mich stattdessen für die

Sozialwissenschaften. Doch dann kam die Hürde Statistik, schon

zu Schulzeiten war Mathematik nicht mein Fall. Nach zwei Semes-

tern bin ich auf das Lehramtsstudium in den Fächern Germanistik und Politik umgestiegen und habe mein erstes Staatsexamen ge-

Jetzt ist es raus. Übereinstimmenden Medienberich-

examen vorzubereiten. Bald war mir klar: Du kannst als Lehrer

nicht gut Kirschen essen. Zu dieser überraschenden

macht. 1980 kam ich nach Berlin, um mich auf das zweite Staatsnicht glücklich werden!

In den Frusttagen der Lehramtsausbildung wuchs beim Stöbern in

Plattenläden meine Plattensammlung. Beim Handel mit Exemplaren aus meiner Sammlung auf dem Flohmarkt kam ich dann

mit einem Freund auf die Idee, einen eigenen Plattenladen zu eröffnen. 1985 fanden wir in einem Hinterhof in Charlottenburg ein Ladenlokal. Der Freund ist nach zwei Jahren ausgestiegen, so habe ich den Laden alleine weitergeführt und 2002 noch einen Second-

Hand-Laden für CDs eröffnet. 2008 bin ich schließlich in Rente gegangen und habe die beiden Läden geschlossen. Im Laufe der Jahre ist mir klar geworden, dass ich kein Beamter sein muss, um ein gesichertes Leben zu führen. Eine gute, beruhigende Erfahrung.

AUfgeZeICHNeT VON ANN-KRISTIN gROBe

ten zufolge ist mit Wladimir Wladimirowitsch Putin Erkenntnis kommt “Body Leads“, ein Projekt des Of-

fice of Net Assessment (ONA) der Vereinigten Staaten, welches sich mit der Entschlüsselung unbewusster Äußerungen in Mimik und Gestik befasst.

Der Mann mit der verspiegelten Sonnenbrille hat

sich selbst verraten. Nicht etwa, weil er gerne mal

mit nacktem Oberkörper auf Bärenjagd geht oder Oppositionelle verkloppen lässt. Nein! Er leckt sich

während seiner Reden zu oft über die Lippen - untrügliches Zeichen für einen trockenen Mund, ergo

Nervosität. Ertappt! Doch die James-Bond-Gleichung

geht nicht restlos auf, denn auch die Amis haben’s faustdick hinter den Ohren und solange Zar Wladimir bei seinen Reden keiner weißen Katze auf seinem

Schoß den Rücken krault, bleibt die Frage nach Gut

Damals unter den Linden

und Böse vorerst offen.

Zu den herausragenden, jedoch in Vergessenheit geratenen Stu-

das ONA über die ominöse Merkel-Raute? In kons-

dierenden der Humboldt-Universität zählt Karl Heinrich Ulrichs (1825 – 1895). Der studierte Theologe, Jurist und Historiker forsch-

te noch Jahre nach seinem Universitätsabschluss, allerdings auf einem ganz anderen Gebiet: Er beschäftigte sich mit der Sexual-

wissenschaft, speziell mit der gleichgeschlechtlichen Liebe und

forderte schon damals ihre rechtliche Gleichstellung. Nicht nur Ulrichs Pionierarbeit auf diesem Feld diente als Grundlage für spä-

tere Wissenschaftler, auch sein öffentlicher Appell 1867, die antihomosexuellen Gesetze abzuschaffen, wirkte lange nach. Als sich

statt einer Lockerung eine Verschärfung der Situation von Homosexuellen abzeichnete, zog es ihn ins Exil nach Italien, wo er bis zu seinem Tode blieb.

elISA VON HOf

Ob die mächtigste Frau der Welt schon ins Visier

der US-Dechiffrierbehörde geraten ist? Was weiß pirologischen Kreisen ist es schließlich längst kein Geheimnis mehr, dass Merkel mit dieser Geste Außerirdische über die Geschehnisse auf Mutter Erde informiert. Glücklicherweise gibt es in diesen wirren

Zeiten noch Menschen, die Verstand walten lassen. So fragt der Kabel-1-Teletext, ob der Ukraine-Konflikt

zum 3. Weltkrieg führt. Etwa ein Fünftel der Befrag-

ten sagt ja, 16,4% nein, 6,8% haben angerufen, um zu sagen, dass sie es nicht wissen und mehr als die Hälf-

te der Menschen, die sonst gerne “Ghost Whisperer“ gucken, haben für 25 Cent pro Anruf mit „Mir egal“

abgestimmt. Kann es eigentlich auch - wir haben die Aliens auf unserer Seite. Mutti sei Dank.

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Studieren  Un Aufgefordert 04 | 2014

Gefährdet Jedes Jahr werden an der HU mehrere tausend Liter Chemikalien verwendet. Zum Schutze aller gibt es zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen.

Text: Ronja Nehls, Sebastian Beug Fotos: Sebastian Beug

Kittel, Schutzbrille, Handschuhe – wenn Sara Neumann studiert, gelten

für sie andere Regeln als für Kommilitonen mit Gesetz- oder Geschichts-

buch. Die Studierenden, Mitarbeiter

und Professoren der Naturwissenschaften müssen sich an besondere Vorschriften halten – nicht nur zu ih-

rem eigenen Schutz. Dafür beschäf-

tigt die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) Beauftragte für

Ein Diebstahl von radioaktivem Material wie 2001 aus einer

terhält sogar ein eigenes Gefahrstofflager in Adlershof. Sara

nicht möglich, ist sich Szdzuy sicher. „Im Strahlenschutz ha-

Strahlenschutz, Arbeitssicherheit und Sonderabfall und unNeumann studiert Molekulare Lebenswissenschaften im ers-

ten Mastersemester am Institut für Biologie. Nebenbei arbeitet sie als studentische Hilfskraft in der Mikrobiologie. Sie kennt sich aus im sicheren Umgang mit Chemikalien, die sie täglich

im Labor benutzt. „Für unsere Experimente sind unter anderem Ethanol und Methanol als organische Lösungsmittel von

Bedeutung. Außerdem benötigen wir Laugen und Säuren, zum Beispiel um pH-Werte von Lösungen einzustellen.“

Sara arbeitet in einem Labor der biologischen Schutzstufe S1. Hier hat sie in der Regel mit Organismen zutun, die keine Ge-

fahr für den Menschen darstellen. Dennoch ist ein Schutzkittel Pflicht. Essen, Trinken, Rauchen und sogar Schminken sind

im Labor strengstens verboten. Die höchsten Sicherheitsvor-

kehrungen gelten für die Stufe S4. Diese Labore sind hermetisch abgeriegelt, und das aus gutem Grund. Ausgerüstet sind

sie für die Forschung an tödlichen, sich schnell ausbreitenden Krankheitserregern wie den Pockenviren.

Auch für radioaktives Material gelten strenge Regeln. Röntgenstrahlung, Elektronenmikroskope, offene und umschlos-

sene radioaktive Quellen – all das muss eine Landesbehörde genehmigen. Erhard Szdzuy, Strahlenschutzbevollmächtigter der HU, reicht die entsprechenden Anträge ein. Außerdem hat

jede Einrichtung einen eigenen Strahlenschutzbeauftragten. Experiment und verwendete Mengen werden protokolliert, die

Forscher müssen sich vor dem Labor umkleiden und nachher

waschen und dekontaminieren. Von der Lieferung der Stoffe

über die Lagerung bis zur Entsorgung sind alle Schritte genauestens vorgeschrieben und werden von spezialisierten Firmen durchgeführt. Nichts bleibt dem Zufall überlassen.

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Wiederaufbereitungsanlage in Karlsruhe wäre an der HU ben wir ein gutes Sicherungssystem.“

Doch wohin mit den Überresten eines Experimentes? Ver-

brauchte Lösungsmittel, kontaminierte Handschuhe, verseuchte Keramik – den Abfall der Forschung und den, der

beim Betrieb technischer Anlagen anfällt, verwahrt Umwelt-

beauftragter Thomas Hoffmann. Die HU hat den promovierten Chemiker unter anderem mit ihrem Sondermüll betraut. Neben Chemikalien werden im Gefahrstofflager in Adlershof

auch andere Problemabfälle gelagert. „Die Entsorgung muss

nicht von den Instituten gezahlt werden“, sagt Hoffmann. Dadurch wolle man erreichen, dass niemand aus finanziellen Gründen Abfälle illegal entsorgt.

Hoffmann ist stolz auf sein Lager. Nicht alle Universitäten

hätten ein so professionelles Entsorgungssystem. Das Gebäude ist ein Haus aus Stahlbeton, voll mit Warn-, Lüftungs- und Sicherheitstechnik. Hinter Türen in mintgrün, flieder, rosé und lachs verbergen sich verschiedenste Gefahren. Sicher-

heit hatte beim Bau Priorität, die Brandschutztüren waren das einzige Interieur, bei dem der Architekt gestalterische

Freiheit hatte. Über den Regalen voller Säuren, Laugen und Laborchemikalien surrt in der dritten Etage die Haustechnik, von außen durch die verglaste Fassade gut sichtbar.

„Wenn hier der Alarm losgeht, verlassen Sie freiwillig das Haus“, verspricht Hoffmann. Das Gefahrstofflager wird ständig mit Wärmemeldern überwacht. Brennt es, lö-

sen sie automatisch die Löschanlage aus und alarmieren über eine Standleitung die Rettungskräfte. Bisher sei noch

nie etwas passiert, aber die Berliner Feuerwehr hat schon mehrfach in dem Gebäude den Umgang mit gefährlichen


Studieren  Un Aufgefordert 04 | 2014

Stoffen nach Unfällen oder Havarien geübt. Das Lager in Adlershof ist neben der Entsorgung auch die zentrale

Schaltstelle für Gefahrstoffe. Frische Chemikalien kommen hier an, verbrauchte und Restbestände werden zurückgenommen. Physiker, Biologen, Psychologen und

Chemiker – letztere mit dem höchsten Bedarf – werden aus Adlershof mit Stoffen versorgt. 200-Liter-Fässer, gekennzeichnet mit orangen Warnhinweisen oder Totenköpfen,

reihen sich aneinander. Pro Semester verwendet die HU

alleine 7.000 Liter der verschiedensten Lösungsmittel wie Aceton oder Diethylether.

Was Biologen, Chemiker und Co. bestellen können, steht in Katalogen, dicker als einst die von Quelle. Viele gängi-

ge Chemikalien können von Hochschulabsolventen oder ausgebildeten Facharbeitern im Unibetrieb bestellt wer-

den. Auch Studierende wie Sara dürfen mit einer speziellen Ausbildung, umgangssprachlich die „Giftprüfung“

genannt, bestimmte Stoffe kaufen. Nur die gefährlichsten

Die Basis für Crystal Meth ist beispielsweise eine Substanz

werden.

Kenntnisse hat, etwas herstellen, aber er kann nicht groß

Substanzen müssen von Hoffmann und Szdzuy überwacht Doch die Giftprüfung ist kein Freifahrtschein. Walter

White aus “Breaking Bad“ hätte es an der HU schwer.

„Stoffe für die Synthese von Drogen sind genehmigungsund nachweispflichtig“, erklärt Thomas Hoffmann. Selbst

der Anbau von THC-armen Hanf in der Landwirtschaft-

lich-Gärtnerischen Fakultät wird streng kontrolliert: Die Pflanzen müssen mit Ende der Experimente nachweislich vernichtet werden. Häufig aber lassen sich gefähr-

liche Drogen mit frei erhältlichen Mitteln herstellen.

aus Hustentropfen. „Sicherlich könnte jemand, der die ins Geschäft einsteigen“, so Hoffmann.

Chemikalien wie etwa Chloroform, das im Studium zum Extrahieren von DNA benutzt wird und in keinem guten Krimi

als Betäubungsmittel fehlen darf, unbemerkt aus der Uni

zu schmuggeln, hält auch Sara für nahezu unmöglich. „Darauf wird sehr geachtet“, sagt sie. „Die Chloroformflaschen werden am Ende der Arbeit noch einmal genau nachgezählt

und überprüft.“ Für Saras Studium gelten eben besondere Regeln.

Anzeige

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studieren

Un Aufgefordert 04 | 2014

Hier könnte Ihre Werbung stehen Jeden Monat werden hunderttausende gratiszeitungen an deutschen Hochschulen verteilt – oft mit fragwürdigem inhalt. An der grenze zur schleichwerbung versuchen Unternehmen, sich in das richtige Licht zu rücken. text: Niklas Maamar Foto: Niklas Maamar, Unicum beruf 04/2013

“Vier Buchstaben, viel dahinter. Karriere bei KPMG“. Vom Titelbild der Zeitung lächeln vier Gesichter in Hochglanz-

optik. Stolz präsentieren sie die Firme-

nidee: Kollegen, Persönlichkeiten, Menschen, Gewinner. Auch auf den zweiten

Blick verschwindet das Gefühl nicht, eine übergroße Werbebroschüre in der

Hand zu halten. Tatsächlich ist es eine Ausgabe der Hochschulzeitung “Uni-

cum Beruf“, die KPMG als einzigartiges Vorzeigeunternehmen mit spannenden Jobs und sympathischen Mitarbeitern

beschreibt. Ein Link mit weiteren Infos

zu den Karrieremöglichkeiten bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

wird

gleich mitgeliefert. Überschrieben ist

der Artikel mit „Special“ – in der Welt

der Hochschulzeitungen nur ein anderes Wort für Werbung.

seien unbezahlt. Kein Wunder, Vorstand von meinProf e.V. ist

gabe der Unicum enthält eine vierseitige Reportage über Aus-

Doch kostenlose Werbung dürfte die Ausnahme sein. Tatsäch-

Die Kooperation mit KPMG ist kein Einzelfall. Die Januarauslandsaufenthalte im Rahmen der Kampagne “Go out!“, die

Reise der Autoren wurde vom Initiator des Programmes, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gesponsert. Im Februar und März wiederholt sich die Serie, jeweils

flankiert von Werbeanzeigen des DAAD. Auch im aktuellen Exemplar der Unicum Beruf wurde ein Artikel über Trainees bei

E.ON offenbar von der Firma selbst bezahlt. Der Text enthält keinen Autor, dafür aber ein großes Firmenlogo.

Neben der Unicum ist die Zeitschrift “Audimax“ der große

Platzhirsch unter den Hochschulzeitungen, mehr als 400.000

Exemplare werden von jeder Ausgabe verteilt. Das Programm

des DAAD wird hier schon im Intro gelobt, zwei Werbeanzeigen folgen. „Wir halten den DAAD für eine äußerst unterstützenswerte Institution und vermitteln seine vielfältigen und

kreativen Aktionen deshalb immer gerne“, erklärt die ehemalige Chefredakteurin Barbara Bialas auf Anfrage. Ähnliches gelte auch für meinProf.de. Seit mehr als einem halben Jahr hat die Bewertungsplattform durchgehend einen Platz auf der

ersten Seite der Zeitschrift sicher – jedes Mal als Neuigkeit des

Monats. Dennoch, so schreibt Barbara Bialas, werde die Unab-

hängigkeit der Redaktion bei der Audimax grundsätzlich nicht verkauft. „Glaubwürdigkeit ist oberstes Gebot. Wer Werbung

bei uns kaufen will, muss diese bezahlen und wir kennzeichnen das entsprechend.“ Alle Erwähnungen von meinProf.de

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Oliver Bialas, Gründer und Verleger der Audimax.

lich finanzieren sich die beiden Hochschulzeitungen fast ausschließlich über Gelder von Werbekunden. Anzeigen kosten bis

zu 20.000 Euro pro Seite, für einen Aufschlag werden auch sogenannte Advertorials angeboten. Advertorial ist die aus dem Englischen stammende Wortkreuzung von Werbung und Artikel. Die Botschaften des Werbekunden werden aufbereitet und

optisch so dargestellt, als seien sie Teil des Zeitungsinhalts. So profitiert die Werbung von dem Vertrauen des Lesers in die

Glaubwürdigkeit der redaktionellen Arbeit. Zum Teil werden die Texte auf Anweisung des Kunden sogar tatsächlich von der

Redaktion geschrieben, um sich möglichst wenig von den nor-

malen Artikeln zu unterscheiden. Die Artikel über KPMG und Haribo erinnern stark an ein solches Format.

Dabei ist der Einsatz von Advertorials durchaus umstritten. Nina Köberer, Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Medienethik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, pro-

movierte über Sonderwerbeformen in Jugendzeitschriften. In ihrer Doktorarbeit kommt sie zu dem Schluss, Advertorials seien aus medienethischer Perspektive sehr problematisch.

Unternehmen würden sich die Glaubwürdigkeit der Presse zu Nutze machen, um gezielt Werbeinformationen als Wahrheit erscheinen zu lassen. Wenn Journalismus und PR immer mehr verschwimmen, leide am Ende das Vertrauen in die Seriosität

des gesamten Mediums. Trotzdem öffnen sich immer mehr


Un Aufgefordert 04 | 2014

studieren

Zeitungen für Werbeformen neben der klassischen Anzeige.

listische Tugenden: genaue Recherche, treffende Information,

henden redaktionellen Orientierung an Werbekunden stehen

Häufig lässt sich der Unterschied zwischen redaktionellem In-

„Aufgrund des Finanzierungsdrucks und der damit einherge-

journalistische Qualitätsansprüche immer öfter hinten an“, stellt Köberer fest. Gesichert werden soll die unabhängige Ar-

beit von Printmedien in Deutschland durch den Pressekodex. In Ziffer sieben legt dieser fest, dass redaktionelle Arbeit nicht

durch finanzielle Interessen beeinflusst werden darf. Journa-

listen sollen objektiv und unvoreingenommen berichten. Die

Einhaltung wird vom Presserat, einer Art Selbstkontrolle der Presse, überwacht. Jährlich gehen dort mehr als eintausend

Beschwerden über Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften ein, die durch einen Kreis von Journalisten geprüft werden. Stellen diese einen Verstoß gegen die selbst auferleg-

ten Regeln fest, können Zeitungen zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtet werden.

Auch Audimax und Unicum waren bereits Gegenstand von Be-

schwerden und wurden vor einigen Jahren wegen Verstößen gegen das Verbot der Schleichwerbung gerügt. Unter dem Titel „Studenten beweisen Geschmack“ hatte Unicum den „ultima-

tiven Geschmackstest“ präsentiert, unterstützt und bezahlt von Coca Cola. Arno Weyand, der für das Trennungsgebot zu-

ständige Mitarbeiter beim Presserat erklärt aber, dass „die Prü-

fung dieser Hochschulzeitungen ein einmaliger Vorgang war“. Für gewöhnlich prüfe man keine Anzeigenblätter oder ähn-

liche kostenlose Veröffentlichungen. „Das Geschäftsmodell dieser Zeitschriften läuft einem unserer Grundsätze konträr

entgegen. Wenn sie dem Pressekodex unterlägen, würde ihre Geschäftsgrundlage wegfallen“.

Im Gegensatz zu klassischen Werbeblättern definieren sich die

Hochschulzeitungen allerdings durchaus als journalistisches Medium. Im Leitbild von Unicum heißt es dazu: „Unicum

orientiert sich an den Werten Freiheit, Verantwortung und Aufklärung. Deshalb betont die Redaktion klassische journa-

packende Darstellung.“

halt und Werbung kaum noch feststellen. Nina Köberer kommt in ihrer Doktorarbeit zu dem Ergebnis, dass Leser Advertorials

aufgrund ihrer gestalterischen Ähnlichkeit kaum von gewöhn-

lichen Artikeln unterscheiden können. Von mehr als 200 be-

fragten Jugendlichen erkannten in den meisten Fällen weniger als die Hälfte ein Advertorial als Werbung. Am Ende, so erklärt Köberer, leide darunter die Glaubwürdigkeit.

Aus diesem Grund müssen Journalisten dem Gesetz nach offenlegen, wenn sie von einem Unternehmen für ihre Artikel

bezahlt werden. Genauso wie im Fernsehen ein Hinweis auf

“Product Placement“ vorgeschrieben ist, sind auch Zeitungen zu einer Kennzeichnung verpflichtet. In der Praxis wird diese Pflicht häufig vernachlässigt, auch, weil es viele Möglichkeiten gibt, Werbung zu verschleiern.

Kreative Lösungen haben es aber immer schwieriger. Das deut-

sche Presserecht setzt enge Vorgaben, die nun noch weiter konkretisiert wurden. Erst kürzlich mussten der Bundesgerichts-

hof und später der Europäische Gerichtshof entscheiden, ob der Zusatz „Sponsored by“ zur Kennzeichnung einer bezahlten Ver-

öffentlichung ausreicht. Den Richtern zufolge kann nur durch einen eindeutigen Hinweis auf den Werbecharakter die Objek-

tivität und Neutralität der Presse garantiert werden. Geschützt werde dadurch letztlich die Presse- und Informationsfreiheit. Seit dem Urteil ist klargestellt, dass eine bezahlte Veröffentli-

chung mit dem Zusatz "Anzeige" gekennzeichnet oder klar als

solche erkennbar sein muss. Umschreibungen wie Special,

Sonderveröffentlichung oder Promotion sind nicht mehr erlaubt. Das dürfte auch der Grund für einen Sinneswandel bei der Unicum sein. In der aktuellen Ausgabe finden sich Texte die

als "Anzeige" ausgewiesen sind – versteckt oben rechts in der Ecke. Manchmal lohnt sich der zweite Blick eben doch.

Anzeige

21


Leben

Un Aufgefordert 04 | 2014

Der Koch, der keiner ist AIHOK TelYAKAR, 56

Immer wenn Aihok Telyakar das Wort “Studenten“ hört, lässt er

seine Schultern leicht sinken, seufzt kurz und tauscht sein bestän-

diges, herzensgutes Lächeln gegen einen trübseligen, fast schon

kummervollen Gesichtsausdruck ein. „Die müssen sparen“, sagt er dann, fast so als tue es ihm Leid, dass er die Hoffnung auf stu-

Foto: Peter Kraus

Foto: Niklas Maamar

LEBEN

Rüschtisch jut: Volksküche

dentische Kundschaft in einem der italienischen Restaurants, für

Es ist Mittwoch, 11 Uhr. Die Helfer der Volksküche ha-

ernster Miene auf die Mensa Süd: „Die essen in ihrer Kantine ihr

Universität Berlin versammelt. Das Kochen beginnt,

die er seit drei Jahren arbeitet, aufgegeben hat. Dann deutet er mit

Schwarzbrot und einen kleinen Salat.“ Basta, mehr ist eben nicht drin.

Der 56-Jährige sieht aus wie ein Koch aus dem Bilderbuch. Als HU-

Student hat man sich längst an sein äußeres Erscheinungsbild ge-

wöhnt, denn der Koch, der in Wahrheit gar keiner ist, wirbt meist

im akademischen Dreieck zwischen Bahnhof Friedrichstraße, Grimm-Zentrum und Hauptgebäude für seine exzellente Pizza.

Touristen finden ihn, der in voller Kochmontur und mit seinem

dicken Bauch behäbig über die Friedrichstraße bummelt, meist eher kurios und beanspruchen Aihok für das eine oder andere

Foto. Er sieht ja auch ulkig aus, mit der lustigen Kochmütze, der

roten Schürze, der schneeweißen Kochjacke und dem grünen Einstecktuch - die Farben Italiens. Dabei ist er, auch wenn stereotypische Wortfetzen das vermitteln sollen, gar kein Italiener.

Trotzdem ist Aihok so etwas wie ein wandelnder Kundenmagnet.

Niemand, der hungrig aussieht, kommt an ihm vorbei, ohne ei-

nen Blick auf die frische Pizza werfen zu müssen, die vor dem Laden ausgestellt ist. Außer Studenten natürlich.

ClAUDIO RIZZellO

ben sich in der Zwille im Z-Gebäude der Technischen um 13 Uhr soll serviert werden.

Jeden Mittwoch in der Vorlesungszeit bietet eine lose

Gruppe von Studierenden ein Mittagsmenü auf Spendenbasis an, eine Volksküche. Die Mitarbeit ist freiwil-

lig, und jeder, der mitessen will, ist eingeladen. Damit wirklich alle ihren Hunger stillen können, wird vegan

gekocht. Alle bekommen etwas: Von Minestrone, Falafel und Apfelkuchen, über Pasta mit Pesto bis Salat und Brownies sind der Auswahl keine Grenzen gesetzt.

Nicht nur das Kochen beruht auf Solidarität und Ver-

trauen, auch das Aufräumen, Saubermachen und Be-

zahlen. Alle sorgen gemeinsam dafür, das benutzte

Geschirr nicht dreckig zu hinterlassen. Auch über den

Preis entscheidet jeder selbst, die Tageskasse ist allen zugänglich.

Der Slogan der Zwille lautet „Offen für alle, die offen

sind“, und so treffen hier die verschiedensten Men-

schen aufeinander. Für die nötige Gemütlichkeit beim Essen sorgen ein Kicker, eine Hängematte, Musik und

die Tischgespräche. Es wird diskutiert, neue Projekte

Wo ist das?

werden ins Leben gerufen. Und so findet sich hier Jede BIlDeRSUCHe AN DeR HU.

mit Jedem zurecht. Keine Zwänge, aber gutes Essen –

alles auf Vertrauensbasis. Es funktioniert, irgendwie. Und das finden wir Rüschtisch jut!

Foto: Niklas Maamar

PeTeR KRAUS

VoLKsKÜCHE JEDEN MittWoCH Ab 13 UHr, iN DEr VorLEsUNgszEit FAsANENstrAssE 1, 10623 bErLiN Die Auflösung findet ihr im nächsten Heft. Lösung UnAuf 222: gullideckel in der Universitätsstraße Ecke Dorotheenstraße

22

z-gEbÄUDE, 3. obErgEsCHoss


Un Aufgefordert 04 | 2014

Selbstbildnis

Zeitzeugnis

Ai Weiwei scheitert am eigenen Anspruch.

“Untergetaucht“ schildert die beeindruckende geschichte vom Leben im Untergrund.

Das Bild der 6000 Hocker, die an die chinesische Landflucht

Marie Jalowicz Simon ist 20 Jahre alt, als sie sich im Juni 1942

seiner Ausstellung “Evidence“ nicht nach Berlin reisen durf-

tertaucht. Bis zum Ende des Krieges lebt sie im Untergrund,

te, haben seine Gehilfen die Hocker für Pressefotos mit ihm

in seinem Atelier in Peking aufgebaut. Sie hätten dort bleiben

sollen. Handschellen aus Jade, eine Überwachungskamera oder die von Japan und China beanspruchten Diaoyu-Inseln

aus Marmor – viele Objekte, die Ai Weiwei für den MartinGropius-Bau entwarf, schlagen in dieselbe Kerbe. China unter-

drückt, China überwacht, China hat imperialistische Ambitionen. Aber eine Handlungsmaxime bietet Weiweis Kunst uns – dem Westen, der mit China beste Geschäfte macht – nicht.

Vielmehr ereilt den Betrachter stets das Gefühl, die Weiwei Ausstellung stellt den Künstler zur Schau. So hat der chinesi-

sche Künstler die Zelle, in der er 81 Tage lang bei ständiger Beleuchtung gefangen gehalten wurde, nachgebaut. Im Martin-

Gropius-Bau kann man nun anstehen, um sich wie Ai Weiwei zu fühlen. Seine politischen Aktionen mögen beachtenswert sein, die Schau im Martin-Gropius-Bau ist es eher nicht.

der Verhaftung durch die Gestapo entzieht und in Berlin un-

mit der ständigen Angst vor Verrat und Entdeckung. Doch Marie Jalowicz Simon hat Glück, sie überlebt den Krieg und das Naziregime. Erst kurz vor ihrem Tod im Jahr 1998 erzählt sie ihrem Sohn Hermann Simon

von ihrem Leben im Untergrund. Gemeinsam mit Irene

Stratenwerth hat Hermann

Simon diese auf Tonband gesprochenen

Schilderungen

seiner Mutter bearbeitet und

nun unter dem Titel “Unter-

getaucht. Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940-1945“ herausgegeben. Entstanden

ist ein schonungslos offener Bericht über den Alltag im

Untergrund und das beein-

SeBASTIAN BeUg

druckende Zeugnis des unbändigen Überlebenswillens

Ai WEiWEi "EViDENCE"

Foto: Promo

erinnern sollen, ist weltbekannt. Da Ai Weiwei zur Eröffnung

einer klugen, gewitzten jun-

3.APriL bis 7.JULi 2014 MittWoCH bis MoNtAg 10-19 UHr, DiENstAgs gEsCHLossEN

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Leben

gen Frau, die sich gegen die Verfolgung durch die Nazis wehrt. Behütet wächst Marie Jalowicz Simon in einem jüdischen, bildungsbürgerlichen Elternhaus in Berlin auf. Doch ihre Eltern sterben früh, mit 19 Jahren ist sie Waise. Von nun an ist

Gesundheit in besten Händen.

Jalowicz Simon auf sich allein gestellt und trifft eine mutige Entscheidung: „Ich will mich retten. Ich werde nicht mitge-

hen, ohne mich zu wehren. Denn das wäre der sichere Tod.“

Nachdem sie untergetaucht ist, lebt sie in permanenter Abhängigkeit vom Wohlwollen und der Hilfe anderer, muss sich

anpassen und verstellen, um zu überleben. Es sind dabei vor allem einfache Leute, Arbeiter und Kleinbürger, die ihr helfen.

Nüchtern und sachlich, manchmal fast distanziert schildert

Jalowicz Simon ihre Erlebnisse in “Untergetaucht“: So berich-

tet sie beinahe emotionslos von den sexuellen Gefälligkeiten,

mit denen sie sich zum Teil die Hilfe oder das Schweigen von Mitwissern erkaufen muss. Doch sie erlebt auch echte Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit in diesen unmenschlichen Zeiten.

Nach dem Krieg bleibt Marie Jalowicz Simon in Berlin, studiert

an der Humboldt-Universität Soziologie und Philosophie und

erhält hier einen Lehrstuhl für Antike Literatur- und Kultur-

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geschichte.

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Leben  Un Aufgefordert 04 | 2014

Leben woanders: Taiwan Ein Student berichtet von großen Abenteuern auf einer kleinen Insel.

Protokoll: Lena Fiedler Illustration: Lena Marie

M

ein sechsmonatiger Studienaufenthalt in Taipeh war eine

sehr offen und löcherten mich mit Fragen. Als Gegenleistung

über Taiwan, dessen Hauptstadt Taipeh ist, aber so gut wie gar

Allerdings blieb nicht immer genügend Zeit, um vollends in die

Reise ins Ungewisse. Ich wusste zwar einiges über China,

nichts.

Kein Wunder: Die Insel Taiwan ist nur halb so groß wie der

Freistaat Bayern. So habe ich Taiwan stets mit China in Ver-

bindung gebracht. Aber obwohl Taiwan offiziell als “Republik

China“ bezeichnet wird, unterscheidet sich der Inselstaat deutlich von der Volksrepublik China, worauf die Taiwanesen auch großen Wert legen.

Im Spätsommer 2013 machte ich mich auf den Weg nach Tai-

peh. Nach 18-stündiger Reise kam ich bei aufgehender Sonne und 33 Grad im Schatten an. Anfangs fiel es mir schwer, mich

zurecht zu finden. Der erste Eindruck war schlicht überwältigend: Doppelt so dicht besiedelt wie Berlin, beeindruckt die

Stadt mit zahlreichen Hochhäusern, neben denen der Fernsehturm fast schon mickrig wirkt. Auf den Straßen und Bahnhö-

fen tummelten sich die Menschenmassen, es war heiß, bunt

und laut. Zu meinem Glück war alles bestens ausgeschildert,

und die Taiwanesen außergewöhnlich hilfsbereit. So fand ich schließlich den Weg zu meinem Hostel.

Nach einigen Tagen zog ich in ein Studentenwohnheim um,

keine fünf Gehminuten von meiner Universität – der National Taiwan University in Taipeh – entfernt. Den Platz im Wohnheim hatte ich ohne Probleme bekommen, ich konnte direkt zum Semesterbeginn einziehen. Neben einer Matratze enthielt

das kleine Zimmer nur das absolut Lebensnotwendige: Bettge-

stell, Schreibtisch und einen Schrank. Trotz der spartanischen

Einrichtung konnte ich mich glücklich schätzen, denn Wohnraum ist in Taipeh knapp bemessen - die meisten meiner Kommilitonen wohnten noch bei ihren Eltern.

Die Nähe zur Uni war auch deshalb angenehm, weil der Cam-

pus wunderschön ist: Geschmückt mit einem langen Palmen-

boulevard und mehreren Seen wirkt er so malerisch, dass regelmäßig Hochzeitspaare vorbeischauten, um ihr Hochzeitsfoto zu schießen.

Ebenso wie der Campus war auch die Universität sehr schön

und architektonisch aufwendig gebaut. Die National Taiwan University in Taipeh zählt zu den besten Universitäten Tai-

wans und ist über die Landesgrenze hinaus bekannt. Und das zu Recht: Die Universität ist technisch perfekt ausgerüstet, die

Dozenten vermitteln ihre Fächer mit Leidenschaft und Charme und von überfüllten Hörsälen hat man hier höchstens in Erzählungen gehört. Es ist eine internationale Universität, die Stu-

dierende aus der ganzen Welt anlockt. Deshalb fand ein Großteil der Vorlesungen auf Englisch statt.

Englisch war auch das Verständigungsmittel mit meinen taiwanesischen Kommilitonen. Sie begegneten mir allesamt

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brachten sie mir Kultur, Tradition und Leben in Taipeh näher. taiwanesischen Gepflogenheiten einzutauchen, denn die Uni hielt mich ganz schön auf Trab. Die Vorlesungen und Klausuren waren sehr viel anspruchsvoller, als ich es aus Berlin gewohnt war. Doch auch das gemeinsame Lernen bot einen Einblick in die taiwanesische Mentalität: Obwohl meine Kommilitonen immer fröhlich und ausgelassen waren, hegten sie auch einen großen Ehrgeiz. Sie lernten unglaublich konzentriert - auch das war mir aus Lerngruppen in Deutschland eher unbekannt. Nach getaner Arbeit konnte man sich wunderbar auf dem keine fünf Minuten von meinem Studentenwohnheim entfernten Nachtmarkt vergnügen. Der Anblick glich einem Volksfest: Buden, Stände

und Restaurants reihten sich endlos an-

einander. Es wurde Flitterkram feilgebo-

ten, zahlreiche Spiele – wie beispielswei-

se “Angele den Shrimp“ – gespielt und von allen Seiten ein gewaltiges kulinarisches Angebot angepriesen. Das ist in Taipeh keine Besonderheit: In einer Stadt, in der so gut wie niemand kocht, sondern alle außer Haus speisen, ist die nächste Essgelegenheit nie weit entfernt. In meinen sechs Monaten in

Taipeh stand auch ich kein einziges

Mal am Herd. Das wäre auch gar nicht

möglich gewesen, denn das Studentenwohnheim hatte keine Küche.

Asiatische Länder sind bei uns für ihre unge-

wohnten und teilweise skurrilen Essgewohn-

heiten bekannt; Taiwan bildet da keine Aus-

nahme. Die taiwanesischen Küche schmeckt

ölig, scharf - und meistens auch sehr lecker.

Doch ich konnte manch merkwürdiges Menü nicht

vermeiden, so zum Beispiel das taiwanesische Natio-

nalgericht “Stinky Tofu“; Tofuwürfel, die mariniert und

teilweise über Monate hinweg fermentiert werden. Im 17. Jahr-

hundert ursprünglich als günstiger Imbiss entwickelt, gibt es heute sogar reine Stinky Tofu-Restaurants. Der widerliche Ver-

wesungsgeruch schreckt zumindest europäische Nasen noch aus 20 Metern Entfernung ab. Der Neugierde halber probierte ich dennoch – und verdiente mir den Respekt meiner Kommilitonen, weil ich mich nicht übergeben musste.

Wenn ich die überfüllten Straßen entlanglief, an denen sich


Un Aufgefordert 04 | 2014  Leben

Wie komme ich hin?

Stand an Stand reihte

Es gibt keinen Direktflug von Berlin nach Taiwan. Über Amsterdam dauert die Reise etwa 18 Stunden und kostet ca. 800 Euro.

und mit exotischem oder gewöhnlichem,

scharfem oder süßem

Essen lockte, musste ich

Wie komme ich unter?

immer nebenbei auf das Ver-

kehrschaos achten. Fußgänger

nahmen keine Rücksicht auf Motorräder, und Motorräder

keine Rücksicht auf Fuß-

gänger – mittendrin fuhren

die Fahrradfahrer Kamikaze!

Nach dem Essen traf ich mich

Im sauberen und schönen Studentenwohnheim kann man zum Spottpreis von 180 Euro im Monat wohnen. In Taiwan gibt es aber auch sehr günstige Hostels, die zwar wenig Komfort, aber doch alles Lebensnotwendige bieten.

mit Freunden zum Nationalge-

tränk, dem Tee. Dieser wurde in

einer klassischen Zeremonie ser-

viert, die sich über zwei Stunden

Was muss ich beachten?

hinziehen kann. Die Teezubereitung

ist sehr komplex und beruht, einer

Jahrtausende alten Tradition folgend,

auf strengen Regeln. Wir saßen dabei

auf dem Boden um einen niedrigen Tisch

herum, der mit liebevoll verzierten Fin-

gerhuttassen gedeckt war. Die Stimmung

war sehr entspannt und in der Luft lag der

Geruch der Teeblätter.

Tee gab es aber nicht nur aufwendig und tra-

Ein Visum ist nicht nötig – wenn man alle drei Monate das Land verlässt, erneuert sich die Aufenthaltserlaubnis von selbst. Für eine kurze Erkundungsreise muss man sich deshalb nicht darum kümmern. Absolut empfehlenswert ist es, sich vor der Abreise ein Konto einzurichten, damit man jederzeit kostenlos und sicher Geld abheben kann.

ditionell in Teehäusern serviert. Man konn-

te ihn auch in abgefüllten Flaschen kaufen.

Zuerst fand ich das merkwürdig, aber mit der

Zeit gewöhnte ich mich daran und lernte auch

Was muss ich mir anschauen ?

den kalten Tee als schmackhaftes und vor allem

erfrischendes Getränk schätzen.

Neben Essen und Trinken haben die Taiwanesen

auch eine große Liebe zu Kitsch. Alles Bunte und

Schrille, was es auf der Welt nur so gibt, kann man

in Taiwan kaufen. So habe ich zum Beispiel einen

String-Tanga für mein iPhone erstanden.

Zu Weihnachten – ein Fest, welches in der taiwanesi-

Wer Taiwan richtig kennenlernen will, muss unbedingt ein paar Wanderungen in der atemberaubenden Landschaft unternehmen. Ebenfalls ein Muss sind die wunderschönen Tempel, die überall zu finden und Zeugnisse einer gänzlich anderen Kultur sind.

schen Tradition eigentlich gar nicht auftaucht – übertraf

sich Taipeh selbst: Weihnachtsmänner in blau,

gelb und rot und manchmal auch mal ein verirrter

Anzeige

Osterhase waren sich in der ganzen Stadt verteilt. Al-

les glitzerte, sang, tanzte – und es wurde eifrig gekauft.

In Taipeh trifft Tradition auf Popkultur. Die Taiwanesen

sind für jeden Firlefanz zu haben, gleichzeitig halten sie aber

an jahrtausendealten Traditionen fest – wie dem traditionellen

Neujahrsfest. Jedes Jahr zum zweiten Neumond nach der Winter-

sonnenwende liegt die Millionenstadt wie ausgestorben da. Kein

einziges Geschäft hat geöffnet, kein Zug fährt, kein Mensch ist auf

der Straße. Man feiert mit seiner Familie das neue Jahr – 2014 ist das

Jahr des Pferdes. Es steht für zwölf Monate voller Abenteuer und neuen Erlebnissen.

Genau das waren die sechs Monate Auslandssemester in Taiwan für

mich: Ein großes Abenteuer. Mit offenen Armen luden die Taiwane-

sen mich ein, an ihrer Kultur teilzuhaben. Und wer den exotischen

Speisen und fremden Traditionen mit Offenheit begegnet, wird mit

großartigen Erlebnissen belohnt.

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Leben  Un Aufgefordert 04 | 2014

Worauf wartest du? Studierende warten immer und überall. Was bewegt uns dabei wirklich? Diesmal: Volksentscheid „100% Tempelhofer Feld“ am 25. Mai Protokoll und Foto: Johannes Metternich

Mena Lüsse, 21, studiert Sozialwissenschaften an der HU

Für die begeisterten Joggerinnen und Jogger unter den Berlinern ist das Tempelhofer Feld ein einzigartiger Ort. Nirgend-

staltung der Fläche nicht über die Köpfe der Berliner hinweg

spüren, während man seine Runden dreht. Auch ich schnüre

ist ein großer Erfolg, für den sich viele Menschen mit großem

wo sonst in Berlin kann man solch eine Freiheit und Weite mindestens zweimal in der Woche meine Turnschuhe und laufe die endlos langen Rollbahnen rauf und runter. Allerdings

gibt es von Seiten der Senatsverwaltung Pläne, Teile des Feldes mit Wohnungen, Gewerbegebäuden, einer Schule und auch einer Bibliothek zu bebauen. Über diese Pläne wird am 25. Mai in einem Volksentscheid abgestimmt. Dass über die Ge-

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im Senat entschieden wird, sondern wir dazu befragt werden, Engagement eingesetzt haben. Gleichzeitig stehen wir Bürger

dadurch in der Verantwortung, diese Möglichkeit der Gestaltung unserer Stadt zu nutzen, uns zu informieren und an der

Abstimmung teilzunehmen. Bis dahin werde ich sicher noch

einige Male auf dem Feld meine Runden machen – auch, um dabei in Ruhe nachzudenken, wie ich denn abstimmen soll.


UnAuf International

Torun Warschau

Krakau

NÄCH

BE A G S U STE A

Wir erforschen für euch das

:

Studierendenleben in drei polnischen Städten - zu lesen in der

N E L PO L

Mai-Ausgabe der UnAufgefordert und auf unauf.de.

IA Z E P S

Seid schon während der Recherche in Echtzeit dabei: Die Redakteure halten euch mit einem Blog auf dem Laufenden.

Keine Sorge, das Neueste von der Humboldt-Universität kommt natürlich trotzdem nicht zu kurz.

www.unaufinpolen.wordpress.com Oder folgt uns bei: www.facebook.com/unauf www.twitter.com/UnAuf



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