UnAufgefordert Nr. 238

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U n A u f :

UnAufgefordert — Dezember 2016 Unabhängige Studierendenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin, seit November 1989

er d n o v s o Alle Fot Expedition Irland- line! on

#238 Wer bleibt und wer ge ht, Zwischen Kaffeesatz dünger & Essensresten, Liberalisierung in Nord- & Südirland, Ein Gefühl der Heimatlosigkeit, Selbstfahrnde Autos Tandemsprung, etc.

Bleiben, Gehen, Vorausgehen


bitte beachten: irland ist nicht die komplette Insel, sondern nur ein teil davon!

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UNAUF #238 4 In eigener Sache

12 Portrait: Dr. Nil Mutluer

5 Kolumne: Meine WG & die Lampe

13 Drei Fragen an & Parlamentsreport Die Linke. SDS

8 Bleiben, Gehen, Vorausgehen 14 Zwischen Kaffeesatzdünger und 9 Liberalisierung in Nord- und Südirland

Essensresten 15 Gebäude der HU

10 Wer bleibt und wer geht

Diesmal: Erwin-Schrödinger Zentrum 11 Ein Gefühl der Heimatlosigkeit 16 Die Zukunft digitaler Lehre

Interview mit dem Philosophieprofessor Joseph Cohen

Wissenschaftsschranke 52a

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Einmal im Leben Diesmal: Tandemsprung

18 Glosse:

23 Zwischen Ideal und Realität Das Humboldtsche Bildungsideal

Auf dem Präsentierteller Powerpoint-Präsentationen

19 Monitor & Glossar

24 Heiligabend, die Kirche und wir Interview mit einem Pfarrer

Privatdozent*in, der*die 20 Unter Beobachtung

25 Super Jut & Post aus... Maastricht, Niederlande

Diesmal: Selbstfahrende Autos 21 Mehr Lohn für studentische Beschäftigte?

26 Endstation Mit der S47 nach Spindlersfeld


Liebe Leserinnen und Leser, im September dieses Jahres machten sich drei UnAuf-Redakteure und -Redakteurinnen auf den Weg nach Irland um die Insel zu erkunden. Stadttouren, Museumsbesuche und Interviews brachten ihnen die irische Kultur näher und so entstanden fünf Seiten für das Heft, das ihr gerade in den Händen haltet. Politischen wie wirtschaftlichen Konflikten, gesellschaftlicher Spaltung und Liberalisierung in Nord- und Südirland widmen wir uns ab Seite sechs. Für die regelmäßigen Mensagänger unter euch hat unsere Redakteurin Alexandra das Essen zurück verfolgt, das ihr jeden Tag auf euren Tellern seht. Zwischen Kaffeesatzdünger und Essensresten erfahrt ihr, wo und was gekocht wird. Mehr dazu auf Seite 14. Ein wohl unverständliches Hin und Her scheint die derzeitige Moodle-Krise zu sein. Die zu verstehen ist einfach unmöglich? Versucht es dennoch, auf den Seiten Seite 16. 16. In unserer Rubrik „Unter Beobachtung“ widmen wir uns dieses Mal selbstfahrenden Autos: Chauffeur ohne Gewissen oder zuverlässiger Komfort? Auf Seite 24 unterhält sich unsere Redakteurin Juliane mit einem Pfarrer über die Bedeutung von Weihnachten und den Besuch der Kirche an Heiligabend in der heutigen Zeit. Des Weiteren halten wir euch in diesem Heft über die Verhandlungen zum Tarifvertrag studentischer Beschäftigter auf dem Laufenden, berichten über das Humboldtsche Bildungsideal und bringen euch mit der S47 nach Spindlersfeld. Außerdem lebt Yeti, unsere Illustratorin dieser Ausgabe, entgegen der Gerüchte über Sichtungen im Himalaya und so weiter, in Berlin und arbeitet momentan an Zeichnungen, Anekdoten und Buchprojekten, die unter: www.yetiartz.de begutachtet werden können. Viel Vergnügen beim Lesen und eine erholsame Winterpause, Birthe, Sophia und Vanessa

eise R r e r unse . Bilder nauf.de unter u .com/unauf fb & auf


Meine WG & die Lampe Manche Dinge verraten viel. Viel über die Menschen, die ihr Leben um diese Dinge herum fristen. Über ihre Macken und ihre Leidenschaften, ebenso über die Banalitäten ihres Alltages. Manche Dinge verraten so viel, dass sie zu einem philosophischen Diskurs einladen. Die Autorin bringt Licht ins Dunkel dieser Gegenstände: Ein Jahr lang stellt sie uns jeweils ein Ding aus ihrer WG vor. Dein Name war LYKTA. Lykta, die Orangene. Im Winter des Jahres 2008 erblicktest du, wie viele deiner Brüder und Schwestern, das Licht der Welt. Du warst nicht einmal einige Stunden alt, da begann für dich eine lange Reise. Sicher verpackt machtest du dich mit dem Schiff auf den Weg nach Dortmund. Dort sahst du als eine der ersten das neue, glänzende europäische Zentrallager. Aber kaum warst du angekommen, ging deine aufregende Reise schon weiter. 500 Kilometer quer durch Deutschland bis du schließlich in einer blau-gelben Filiale ankamst. Ich erinnere mich noch, wie wir dich das erste Mal sahen. Wir suchten eigentlich einen neuen Stuhl für den Balkon. Und da standest du. Seelenruhig, versteckt in einer Ecke. Kaum einer schien dich zu beachten – so sanft und unscheinbar warst du. Doch wir sahen dich und es war Liebe auf den ersten Blick. Wir kauften dich für zwölf Euro. Doch das Licht, das du seither in unseren Alltag brachtest, war unbezahlbar. Im Schutz deiner Wärme haben wir gekocht, geredet und gelacht. Du warst immer da: Im tristen Winter spendetest du uns Licht. In lauen Sommernächten schufst du Gemütlichkeit. Erst im Lichte deines warmen Lächelns wurde unsere Küche ein Zuhause. Meine liebe Lykta, viel zu früh bist du aus diesem Leben gerissen worden! Unter mysteriösen Umständen, in schummriger Nacht und dem Nebel des Alkoholkonsums. Alles geschah so schnell. Ein Kabel, ein Fuß, und plötzlich: Scherben. Da lagst du, dein wunderschönes rot-orangenes Glas, verstreut auf unserem grauen Küchenboden. So also endete deine abenteuerliche Reise, wie die Reise so vieler anderer Dinge, im Grabe unserer Mülltonne. Liebe Lykta, du wirst ersetzt, aber niemals vergessen werden. Das dachten wir zumindest. Aber dein allmächtiger Erschaffer hat uns ein Schnippchen geschlagen. Es gab eine Zeit, da machte ich mich über die Menschen lustig, die sich bei deinem Großkonzern beschwerten, weil Regale im Laufe von 50 Jahren Unternehmensgeschichte andere Maße bekamen. Damals verspottete ich all diejenigen, die einer bestimmte Farbe oder einem bestimmten Modell hinterher trauerten. Aber heute weiß ich es besser, heute kenne ich diesen Schmerz. Denn die Willkür des Großkonzerns hat auch unseren Alltag vergiftet! Lykta die Orangene ist nicht nur gestorben, sie ist endgültig fort. Ihr Abbild wurde aus dem Katalog, nein, aus der Welt getilgt. Heute gibt es nur noch eine weiße Lykta. Keiner deiner Brüder und Schwestern konnte dich ersetzen. Heute herrscht triste Leere, wo einst dein warmer Schein unsere Küche erhellte. Leidlich haben wir uns sowohl an das schrille Deckenlicht, als auch an die große Dunkelheit gewöhnt. Aber bisweilen durchzuckt es uns: Wir wohnen nur noch, und leben nicht mehr. (21,Kultur Kulturund undPhilosophie) Technik, Philosophie) Lena Fiedler (21,

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Wir befinden uns im Jahr 2016 Ganz Großbritannien verlässt d Ganz Großbritannien? Ja! Auch das zum Königreich gehöre auf der Nachbarinsel. Auf ihr be ein zweiter Staat, die Republik Jugendlflucht, Arbeitslosigkeit Daneben eine grüne Naturidylle rotschöpfigen Guinessliebhaber Assoziationen unserer Redaktion Viel los also auf der grünen I Wer und was sich wie be w egt,


2016 n. Chr. sst die EU.

ehörende Nordirland hr befindet sich außerdem blik Irland. keit, gleichgeschle cht l i c h e Ehe. ylle und der M yth o s von abern. Sow ei t d ie ers ktion zu I t e r n l a nd. In sel.

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fanden wir im September für euch heraus.


Bleiben, Gehen, Vorausgehen Die irische Insel erzählt eine Geschichte von politischen Konflikten, Wirtschaftskrisen und gesellschaftlicher Spaltung. In unserem diesjährigen Auslandsprojekt haben sich drei Redakteur_innen vor Ort ein Bild gemacht und die Hauptstädte der beiden Staaten auf der Insel besucht.

Wie alles begann Ein historisches Referendum im Sommer dieses Jahres erschüttert die EU. Der Brexit kommt, die Briten gehen. Doch nicht nur die Briten, das gesamte Vereinigte Königreich, wie es korrekterweise heißen muss. Dazu gehört auch ein Teil der irischen Nachbarinsel: Nordirland. Der andere Teil dieser Insel, die Republik Irland, bleibt in der EU und hatte ein Jahr zuvor ein genauso historisches Referendum: 2015 entschied erstmals ein Volk und kein Parlament über die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Damit gehen die Iren, was die demokratische Liberalisierung betrifft, mit gutem Beispiel voran. Allerdings gehen die Iren nicht nur voraus, sondern vor allem weg. Arbeitslosigkeit und wenig Perspektiven als Folge wirtschaftlicher Krisen bewegen die junge Bevölkerung häufig zum Verlassen der Insel. Doch was genau lassen sie eigentlich hinter sich? Und welchen Eindruck vermitteln uns die beiden Hauptstädte auf der Insel? Grüne Gelassenheit Auf den ersten Blick erscheint Dublin, obwohl Hauptstadt der Republik Irland, wie eine kleinere Version von London: Im Stadtzentrum drängelt sich ein nicht abreißender Menschenstrom an Baustellen und Fastfood-Ketten in zerfallenen Backsteinhäusern und modernen Prachtbauten vorbei. Aber der Unübersichtlichkeit der pulsierenden Hauptstadt entkommen wir leicht. Nur eine Nebengasse weiter erstrahlt das Stadtbild im saftigen, satten Grün der Parks und schenkt uns einen Moment der Ruhe. Im Wesen der Iren spiegelt sich der gelassene und herzliche Charme der Parks wider. Schnell kommen wir auf der Straße ins Gespräch und gewinnen so erste Eindrücke über das Leben in Dublin. Immer wieder werden die gesellschaftlichen Entwicklungen und die wirtschaftliche sowie politische Situation geschildert. Seit der Finanzkrise 2008 leidet das Land immer noch unter den Folgen. Vor allem die Lebensmittelpreise sind im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch, wie wir selbst beim täglichen Einkauf merken. Doch weder unsere Gesprächspartner_innen noch das beobachtete Fußvolk wirkt dadurch bedrückt. Im Gegenteil: die irische Bevölkerung scheint gelassen und optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Nach vier Tagen in Dublin empfängt uns das weniger hektische, aber nicht minder beschauliche Belfast, Hauptstadt von Nordirland. Der Weg ins Zentrum führt zwangsläufig an dem imposanten Bau der City Hall vorbei. Ein prächtiges Monument von Queen Victoria auf dem geräumigen Vorplatz ist nur ein erstes Vorzeichen, dass wir uns auf britischem Terrain befinden. Bei einer Busfahrt durch die Stadt fallen immer wieder britische Flaggen an privaten Wohnhäusern und öffentlichen Laternen auf. Letztere sind teilweise mit Kameras bestückt: Big Britain is watching you. Zu Ordnung und Gehorsam mahnen auch die an fast jedem Zaun oder Pfahl angebrachten Alkoholverbotsschilder. Wie uns die benachbarte Tanzbar hörbar erweist, hält das junge Leute und Studierende aber nicht von der allabendlichen Feierei ab. Außerhalb der Innenstadt zeugen die Peace Walls noch von dem nationalen Trauma des Nordirland-Konflikts zwischen 1969 und 1998. Aber nicht nur dort, in der gesamten Stadt sind fast alle großflächigen Mauern und Häuserwände mit bunten Bildern oder Malereien versehen. Sie sind Ausdrucksform der jungen Kreativen, die sich nicht länger mit der Vergangenheit auseinandersetzen wollen, sondern nach vorne schauen. Zwischen Mülleimern und verfallenen Fassaden ergänzen die Stadtmalereien die barocken, viktorianischen Bauten zu einem kunstvollen Stadtbild. Nur die Menschen erschließen sich uns nicht so leicht. Während in Dublin die herzliche Geselligkeit spürbar war, wirken die Belfaster eher herb. In Gesprächen sind sie durchaus höflich, aber gleichzeitig reserviert. Wie beschreibt sich die irische und nordirische Bevölkerung selbst? Welche Auswirkungen haben die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse auf die jungen Iren und Nordiren? Diese Fragen stellten wir Studierenden, Professor_innen und Passant_innen. Ihre Antworten lest ihr auf den folgenden Seiten. Vanessa Zutz (27, Historische Linguistik, Griechisch-römische Archäologie) Lena Fiedler (21, Kultur und Technik, Philosophie)

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Liberalisierung in Nord- & Südirland Zurzeit treibt die irische Studierendengeneration die Liberalisierung des Landes voran. Davon könnten sich die Nordiren einiges abgucken. In den 1950er Jahren reiste der Schriftsteller Heinrich Böll nach Irland und hielt seine Eindrücke in seinem „Irischen Tagebuch“ fest. Er beschreibt darin sowohl die offene und liebenswerte Art der Iren, als auch die wirtschaftliche Armut des Landes sowie die große Bedeutung der christlichen Religion. 60 Jahre später erscheint Irland als ein von der Globalisierung stark verändertes und modernisiertes Land. Von 1995 bis 2007 wuchs das Bruttoinlandsprodukt pro Jahr um sechs Prozent, weshalb Irland als „keltischer Tiger“ bezeichnet wurde. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung haben in den letzten Jahren vor allem gesellschaftlich-kulturelle Veränderungen Einzug gehalten. So ist Irland zwar immer noch sehr christlich geprägt, doch die junge Generation ist gerade drauf und dran alte Strukturen und konservative Denkmuster zu überwinden. Nachdem bereits 2004 das Rauchen in öffentlichen Räumen verboten und 2015 die gleichgeschlechtliche Ehe per Referendum eingeführt wurde, entfachen junge politische Aktivisten derzeit eine öffentliche Debatte über das strenge Abtreibungsgesetz. Irland geht voraus, Nordirland zögert Ähnlich gut wie die irische hat sich auch die nordirische Wirtschaft weiterentwickelt. Auf gesellschaftlicher Ebene lässt sich jedoch nichts Vergleichbares beobachten. Dabei hat das Land eine ebenso junge und schnell wachsende Bevölkerung wie Irland – 50 Prozent seiner Einwohner sind jünger als 30 Jahre. Doch scheinbar regt sich in dieser jungen Generation kein starker Widerstand gegen die konservativen Gesetze ihres Landes. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist nach wie vor verboten und das Abtreibungsgesetz ist eines der strengsten weltweit. Wir fragten viele nordirische Studierende nach ihrer politischen Meinung und die meisten gaben an, dass sie ihr Land als tendenziell zu konservativ sehen. Auf die gleichgeschlechtliche Ehe angesprochen, wünschten sich fast alle eine Liberalisierung der Gesetze. Gefragt, warum sich in diesem Bereich noch nichts geändert hat, waren viele entweder ratlos oder meinten, das politische System des Landes lasse Veränderungen nur schwer zu. „Das Parteiensystem ist stark religiös orientiert und in katholisch und protestantisch aufgeteilt“, antwortete uns ein Student in Belfast. Bei Wahlen müsse man sich notgedrungen für „the lesser of two shits“ entscheiden. Dieses Gefühl erklärt zum Teil das politische Desinteresse vieler Studierenden. Bezeichnend hierfür ist die Aussage eines Grafik-Studenten, der sich aufgrund seines Studienfachs als ungeeigneter Gesprächspartner für das Thema erachtete und uns den Rat gab, die Befragung doch lieber beim Institut für Politikwissenschaften durchzuführen. Weiterhin fällt auf, dass die Studierenden im Allgemeinen eher andere Probleme wahrnehmen, wie etwa die Nachwirkungen des Nordirland-Konflikts, bei dem von 1969 bis 1998 englischstämmige Protestanten und irische Katholiken einen blutigen Kampf gegeneinander ausfochten. Auch wenn die dunkle Vergangenheit Nordirlands fast zwei Jahrzehnte zurückliegt, sind die Spannungen und Vorurteile immer noch nicht vollständig überwunden. Vereinzelt können die Studierenden auch aus persönlicher Erfahrung davon berichten. Neuerdings kommt ein weiterer gesellschaftlicher Unruhestifter hinzu: Rassismus. Die zuletzt erhöhte Anzahl an rassistischen Vorfällen wird unter anderem auf den Brexit und die im Wahlkampf forcierte Fremdenfeindlichkeit zurückgeführt. Ein Student mit algerischen Wurzeln berichtet uns: „Seit dem Wahlkampf fühle ich mich noch mehr mit rassistischen Vorur-

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urteilen konfrontiert.“ Eine Ausgabe der Studierendenzeitung „Affinity“ der Ulster University, widmete sich ausschließlich dem Thema „Enjoying cultural diversity“. So scheint es, dass sich in Nordirland wohl auch in naher Zukunft nur wenig auf gesellschaftlicher Ebene ändern wird. Neben den derzeitigen Problemen schaut das Land nun mit dem Brexit-Votum außerdem einer ungewissen Zukunft entgegen. Auch wenn die meisten Studierenden das gelassen sehen, birgt unter anderem die bisher frei passierbare Grenze zu Irland, die nach dem Brexit zur EU-Außengrenze wird, viel politisches Konfliktpotential. In Irland werden diese Sorgen geteilt, das hindert jedoch nur wenige Iren daran, gleichzeitig für die Liberalisierung des Landes auf die Straße zu gehen. Florian Schmiedler (25, Deutsche Literatur)


Wer bleibt & wer geht? In Nordirland bleiben die Studierenden lieber in ihrer Heimat. Deshalb ist auch der EU-Austritt für die nordirischen Studierenden nicht weiter beunruhigend: Sie Verlassen zwar die EU, bleiben aber Teil des Vereinigten Königreiches. Bei den Studierenden der Irischen Republik herrscht hingegen Aufbruchsstimmung. In der irischen Hauptstadt besuchen wir sowohl das historische Trinity College, als auch die Lehrstätten Dublin City University (DCU) und University College Dublin (UCD). An allen Universitäten begegnen wir herzlichen und neugierigen jungen Menschen. Schnell wird deutlich, dass unter ihnen Aufbruchsstimmung herrscht. Die Meisten wollen Irland zumindest für einen gewissen Zeitraum verlassen. Zum einen wollen sie neue Erfahrungen sammeln und andere Kulturen kennen lernen. Aber auch die schlechten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sind für viele junge Einheimische ein Grund, nicht in ihrem Geburtsland zu bleiben. 2008 brach Irlands Wirtschaft zusammen und viele Iren verloren ihre Arbeit. Obwohl sich die wirtschaftliche Lage seitdem wieder gebessert hat, liegt die Arbeitslosenquote im Jahr 2016 noch immer bei rund 8,4 Prozent. Dazu kommen nun auch noch die ungewissen Folgen des Brexit. Sowohl die wirtschaftlichen Konsequenzen, als auch die allgemeine Ungewissheit verunsichern die irischen Studierenden und veranlassen sie zu gehen. Irland bleibt also in der EU, die Iren aber bleiben nicht in Irland. Dabei spielen nicht nur wirtschaftliche Faktoren eine Rolle. Vielmehr scheint es, dass das Fortgehen eine irische Tradition hat. Heute leben schätzungsweise über 80 Millionen Menschen irischer oder nordirischer Herkunft außerhalb der grünen Insel. Zum Vergleich, in Irland und Nordirland leben insgesamt ca. 6,8 Millionen Menschen.

Gleichzeitig fühlen sie sich aber auch ihrem Heimatland eng verbunden. „Ich habe das Gefühl, ich gehöre zu Irland und Irland gehört zu mir“, schildert ein Student sein Verhältnis zum Geburtsland. Darüber hinaus ist auch die Bindung zur Familie sehr stark. Über die Hälfte der Studierenden wohnt noch bei den Eltern. Die Verbindung aus Heimatliebe und Weltbürgertum fasst ein Student der UCD zusammen „Man muss zunächst einmal Ire sein, um dann auch noch Europäer zu werden. Ich bin beides.” Ganz anders sieht es in Nordirland aus. Die Nordiren sind eher verschlossen. Die meisten Studierenden, die wir an der Queens University und Ulster University befragten, hatten kaum Zeit mit uns zu reden. Ein Studierender, der sich doch Zeit nimmt für ein Gespräch, erklärt, warum er seine Heimatstadt nicht verlassen will: „Meine Familie lebt hier, alles ist fußläufig zu erreichen und ich fühle mich sicher.“ Eine andere Studierende antwortet auf die Frage, ob sie sich vorstellen könne Belfast für einen längeren Zeitraum zu verlassen: „Nein, ich fühle mich wohl, wo ich bin.“ Wenn überhaupt wollen die nordirischen Studierenden für ein Auslandssemester weg. Und auch dafür wollen sie am liebsten innerhalb des Vereinigten Königreichs bleiben. Die enge Verbindung zu England spiegelt sich auch in der Haltung zum Brexit wieder. Die Studierenden sind nicht sonderlich besorgt über den Austritt aus der EU – gilt für sie doch ohnehin: „Ich fühle mich eher britisch, als europäisch.“ Für sie ist der Austritt weniger ein Gehen aus der EU, als vielmehr ein Bleiben im Vereinigten Königreich. Lena Fiedler (21, Kultur und Technik, Philosophie)

Dieses Weltbürgertum schlägt sich auch in der Haltung zur EU nieder. Über 80 Prozent der von uns befragten Studierenden fühlen sich als EU-Bürger. „Ich bin Europäer“, erklären viele irische Studierende stolz.

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Ein Gefühl der Heimatlosigkeit Joseph Cohen ist Professor für Philosophie am University College Dublin (UCD). Der gebürtige Franzose lebt und unterrichtet seit acht Jahren in Dublin. In einem Interview erzählt uns der Professor über seine Eindrücke von Studium und Lehre in Irland. Aber auch über irische Traditionen und das Nationalgefühl der grünen Insel unterhalten wir uns. Seit wann sind Sie in Irland und was für Eindrücke haben Sie seitdem von Dublin gewonnen? Ich bin 2008 nach Irland gekommen, um als Professor der Philosophie am UCD zu unterrichten. Dublin ist eine sehr dynamische Stadt und schwer zu erfassen. Nach acht Jahren möchte ich nur so viel sagen: Es ist eine sehr schöne Stadt, die vor allem von den vielen jungen Menschen geprägt wird. Sie haben als Gastdozent auch schon in Deutschland unterrichtet. Was unterscheidet deutsche Universitäten von denen in Irland? Iren zahlen bis zu 6.000 Euro Studiengebühren im Jahr. Diese Gebühren ermöglichen eine andere Art des Unterrichts: Es gibt mehr Professoren, die eine größere Anzahl an Lehrveranstaltungen anbieten. Deshalb sitzen in einem Seminar weniger Studierende und es kommen oft intensivere Diskussionen zustande. Außerdem sind Einrichtung und Ausstattung meiner Erfahrung nach besser als in Deutschland. Es ist natürlich eine Menge Geld, aber es gibt viele verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten, sodass im Prinzip allen ein Studium offensteht. Ist die christliche Lehre besonders präsent, wenn man Philosophie in Irland studiert? Die christliche Lehre spielt eine große Rolle in Irland. Sie hat die Kultur bis heute stark geprägt. Dementsprechend ist sie auch im Philosophiestudium an der UCD präsent – wahrscheinlich mehr als an deutschen Universitäten. Vor 25 Jahren bestand das Philosophiestudium in Irland praktisch nur aus christlicher Philosophie. Langsam fangen wir an, uns von der christlichen Fokussierung wegzubewegen. Ich finde es grundsätzlich gut, sich mit der christlichen Philosophie auseinanderzusetzen. Denn Philosophie ist immer auch die Lehre von Traditionen, die unsere Kultur prägen. Gleichzeitig ist es mir aber vor allem wichtig, meine Studierenden dazu zu ermutigen, diese Traditionen kritisch zu hinterfragen und über sie hinaus zu denken. Was verstehen Sie unter irischer Tradition? Das ist eine schwierige Frage. Die irische Vergangenheit ist von vielen Verlusten geprägt. Die Hungersnot in den Jahren 1845 bis 1849 zum Beispiel, als die Bevölkerung um fast die Hälfte schrumpfte. Aber auch die Beherrschung und Unterdrückung durch die Engländer, seit dem 12. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert hinein, hat sich tief eingeprägt in die irische Kultur. Die irische Tradition ist gezeichnet von einem Gefühl der Heimatlosigkeit: Zum einen haben all diese Schwierigkeiten die Iren immer wieder dazu gezwungen, fortzugehen und ihr Glück woanders zu suchen. Zum anderen fühlen sich die Iren bisweilen noch immer fremd im eigenen Land, vielleicht weil es noch nicht sehr lange ihres ist. In der Philosophie geht es ja oft um das „Gute Leben“. Bei dem Philosophen Friedrich Nietzsche hingegen geht es viel eher um das „Über-Leben“. Auch das, denke ich, ist irische Tradition. Wann immer es Probleme oder Krisen gab – zuletzt die sehr harte Wirtschaftskrise 2008 – haben sich die Iren diesen Schwierigkeiten angepasst. Sie kennen das „Über-Leben“ und wissen, wie man damit umgeht.

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Haben die Iren ein starkes Nationalgefühl? Einerseits sind die Iren stolz auf ihre heutige Unabhängigkeit. Andererseits sind sie sehr selbstironisch und unsicher in Bezug auf ihre Nationalität. Was denken die Iren über den Brexit? Sie haben große Angst. Angst davor, was jetzt mit Europa passieren wird. Für uns alle war es ein Schock. Es ist einfach komisch: Eine europäische Außengrenze mitten durch die Insel? Was kann die EU von Irland lernen? Die Mitgliedsländer der Europäischen Union sollten begreifen, dass die EU keine Selbstverständlichkeit ist. Sie ist nicht in Stein gemeißelt und sie funktioniert nicht ohne eigenes Bemühen. Ich denke, die Iren haben das verstanden. Sie sind stolz auf die EU und wollen daran und dafür arbeiten. Das sollte die EU von diesem kleinen Land lernen. Lena Fiedler (21, Kultur und Technik, Philosophie)


Die Intellektuelle Dr. Nil Mutluer, 41 Soziologin Nil Mutluer musste ihre Heimat hinter sich lassen und Istanbul und die Türkei verlassen. Das Unterzeichnen einer Petition war der Auslöser dafür. Mutluer war eine von 1.128 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die das Dokument „academics for peace“ unterschrieben hat, welches die türkische Regierung dazu aufruft, die zunehmende Gewalt in den kurdischen Provinzen zu beenden und den dortigen und internationalen Gesetzen sowie dem Menschenrechtskodex zu folgen. Bis dahin war Mutluer an der privaten Nişantaşı-Universität in Istanbul Vorsitzende des Soziologie-Instituts, schrieb Artikel und veröffentlichte beispielsweise Bücher über „States of gender: The Intersectional borders of gender in Turkey“. Nil Mutluer redet offen über ihre Kritik an dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und wirft ihm vor, dass er anstatt den Intellektuellen zuzuhören, sie als Terroristen diffamiere. Wie viele andere türkische Universitätsangestellte verlor auch sie ihre leitende Stelle. Mithilfe des Philipp-Schwartz-Stipendiums konnte sie nach Berlin kommen. Für zwei Jahre kann sich die Mutter einer Tochter nun am Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung mit Fragen zum Thema der „Masculine Voice of Political Authority in Turkey“ befassen. Das Stipendium ist speziell für Forschende gedacht, deren Lehre in Gefahr ist. Das Leben in Berlin ist ein ganz anderes als in Istanbul. Hier gibt es mehr politischen Freiraum und einen funktionierenden Rechtsstaat. Doch Mutluer ist nicht nur erleichtert der willkürlichen Justiz der Türkei entkommen zu sein. Als hochpolitische, regierungskritische Menschenrechtsaktivistin und Feministin kann sie das Schicksal Vieler, nicht nur in der Türkei, schwer hinnehmen. Sophia Sorge (23, Europäische Ethnologie und Sozialwissenschaften) Foto: Melisa Önel


Drei ParlamentsFragen an: report Die Linke. SDS

Innenansichten der Studierenvertretung

Carl Manzey sprach mit Fanni Stolz, Rhonda Koch und Jasper Stange vom sozialistisch demokratischen Studierendenverband HU Berlin.

Bei der dritten Sitzung des 24. Studierendenparlaments am 19. Oktober und der vierten Sitzung am 21. November wurden weniger die Anträge als vielmehr die Grundsätze der Verfassten Studierendenschaft diskutiert.

Was steht auf eurer hochschulpolitischen Agenda ganz oben? Unser Schwerpunkt liegt gerade auf der Anti-Rassismus-Arbeit. Wir sind zum Beispiel Teil vom Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“, das einen Gegenpol zur AfD bilden möchte. Wir haben auch ein Projekt, in dem wir StammtischkämpferInnen ausbilden, um typischen Stammtischparolen schnell und rhetorisch etwas entgegenzusetzen. Steht ihr in einer Tradition mit dem historischen SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund der 68er-Bewegung? Der SDS war mittragend für viele der Anti-Vietnam-Demos in Deutschland. Das waren Demos, die die ganze Bundesrepublik politisiert haben. An dieser Art von dynamischer Politik wollen wir uns orientieren. Die studentische Selbstverwaltung ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Recht, das erkämpft wurde. Leider sind die studentischen Gremien in ihrer Handlungsfähigkeit extrem eingeschränkt. Die Themen sind oft eng auf Abläufe innerhalb der Hochschule fokussiert, sodass es kaum möglich ist, übergreifende Entscheidungen zu beeinflussen. Wir wollen Politik auf die Straße bringen, Studis auf die Straße bringen und sie politisieren. Ihr seid als SDS der Studierendenverband der Linkspartei beziehungsweise steht Ihr dieser zumindest nahe. Was haltet Ihr von einer Rot-Rot-Grünen Koalition in Berlin? Wir freuen uns natürlich, dass die Linkspartei ein vergleichsweise gutes Wahlergebnis in Berlin bekommen hat. Dennoch steht der Großteil von uns einer Regierungsbeteiligung im Rahmen von Rot-Rot-Grün negativ gegenüber. Die Regierungsbeteiligung von der Linkspartei steht der Idee entgegen, die Gesellschaft von unten zu verändern. Eigentlich ist unsere Überzeugung, dass wir gesellschaftliche Veränderungen nicht im Parlament durchsetzen, sondern auf der Straße.

Rassismus und Rassismuskritik im Bildungssystem Für eine hitzige Debatte sorgte der Antrag auf finanzielle Unterstützung von rund 12.500 Euro für ein mehrtägiges Seminar zu Rassismus und Rassismuskritik im Bildungssystem. Hinterfragt wurden die Kosten sowie die Einplanung eines Livestreams und einiger Dolmetscher. Schnell entwickelte sich eine Grundsatzdiskussion über Diskriminierung und Veranstaltungsplanung. Schlussendlich wurde der Antrag angenommen. Wahlankündigungen Kontrovers diskutierte das StuPa am 19. Oktober über einen Antrag auf eine Satzungsänderung, nach der Wahlen zu den ordentlichen Referaten nur bei einer Ankündigung vier Wochen vor der Wahl stattfinden können. Die Antragssteller hoffen auf mehr Bewerber, die Kritiker fürchten ohne eine lange Einarbeitungszeit schlechter vorbereitete Kandidaten. Haushalt und Finanzen Mit 5.000 Euro wird die Arbeit der Historischen Kommission der HU unterstützt. Aus einigen Fragen zur Arbeitsweise und den Schwerpunkten entbrannte ein Streit über die Auseinandersetzung mit der DDR- und der NS-Vergangenheit. Das StuPa unterstützt mit 800 Euro eine Verfassungsklage, die sich gegen Kontingentenvereinbarungen der Berliner Hochschulen richtet. Wer an zwei Hochschulen eingeschrieben ist und einen Studienplatz aus einem Kontingent belegen will, das die Hochschulen einander gegenseitig einräumen, kann nicht gegen einen Ablehnungsbescheid klagen. Bundeswehr-Werbung an der HU Die IYSSE beantragte die Ablehnung jeglicher BundeswehrWerbung an der HU. Das StuPa verabschiedete daraufhin folgenden Text: „Das Studierendenparlament lehnt jede Form der Werbung für die Bundeswehr an unserer Hochschule ab und fordert das Studentenwerk Berlin und die Universitätsleitung auf, keine Werbemaßnahmen der Bundeswehr auf dem Campus der HU zuzulassen.“ Maria-Mercedes Hering (23, Sozialwissenschaften)

Richtigstellung In unserer Ausgabe 236 wurde über den Haushaltsausschuss des StuPas berichtet. An dieser Stelle möchten wir richtigstellen, dass dieser Ausschuss eine kontrollierende Funktion hat und nicht über die Verwendung der Gelder entscheidet.

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Zwischen Kaffeesatzdünger & Essensresten

Jeden Tag gehen zigtausende Studierende in ihr ein und aus. Sie ermöglicht uns, wenigstens einmal am Tag eine warme Mahlzeit zu uns zu nehmen. Doch was steckt eigentlich hinter unserer Mensa? Was ist in unserem Essen drin und wer kocht es? – Eine Darstellung in Zahlen. 37.000 Mahlzeiten werden im Durchschnitt in den 32 Mensen des Studentenwerks Berlin pro Tag verkauft. Im Jahr beläuft sich die Anzahl der verkauften Speisen auf etwa 9 Millionen. Morgens um 6 Uhr beginnen in den Mensen die Vorbereitungen für die Essensausgabe, damit spätestens um 10.30 Uhr die ersten Ausgaben mit Essen befüllt werden können. Täglich frisch wird das Essen in den Küchen zubereitet, die sich in einem nicht einsehbaren Bereich der jeweiligen Mensa befinden. So liegt die Küche der Mensa Süd beispielsweise im Untergeschoss. Mit einem Aufzug werden die fertiggestellten Speisen hoch zur Ausgabe transportiert. Ist der Küchenbereich einer Mensa zu klein, wie an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen und an der Kunsthochschule Weißensee, beliefert eine in der Nähe befindliche Mensa sie mit Essen. Mit 12 Firmen arbeitet des Studentenwerk zusammen. Diese wenden sich als Zwischenhändler an die Produzenten und beziehen von ihnen die Lebensmittel für die Mensen. Die Händler werden jedes Jahr neu ausgeschrieben und wechseln damit auch jährlich. Derzeit befinden sie sich in Berlin und Umgebung, einer kommt aus Sachsen. Im Studentenwerk sind 4 Mitarbeiter für die Beschaffung der Lebensmittel für 55 Einrichtungen (Mensen, Coffeebars und Cafeterien) verantwortlich. 51,69 Euro beträgt aktuell der Sozialbeitrag für das Studentenwerk, der in den Rückmeldegebühren enthalten ist. Damit werden in Verbindung mit Zuschüssen des Landes Berlin Teile des Mensa-Angebots subventioniert, wodurch die kostengünstigen Essenspreise für Studierende zustande kommen. Die Preise für Hochschulangehörige ohne Studierendenstatus werden nicht subventioniert und decken lediglich die Kosten. Nur die Preiskategorie für Gäste ist so kalkuliert, dass ein Gewinn erwirtschaftet wird. 6 Kriterien liegen der Erstellung des Speiseplans prinzipiell zugrunde, auch wenn nicht in allen Mensen alle Varianten verfügbar sind:

1. Das Tellergericht. Das Tellergericht ist ein sehr günstiges Komplettessen. Dazu zählen beispielsweise die Eintöpfe oder der Milchreis. 2. Das Bio-Essen. Ein Komplettessen, das sich aus einer Hauptkomponente, einer Gemüsebeilage und einer Sättigungsbeilage zusammensetzt, deren Bestandteile alle gemäß Bio-Zertifizierung aus ökologischen Erzeugnissen bestehen. Das Bio-Essen wird mit dem Bio-Symbol gekennzeichnet, das ein weiß umrissenes Blatt in einem hellgrünen Rechteck zeigt. 3. Zwei Angebote an Hauptkomponenten im sogenannten „Freeflow System“. Sie bestehen aus einer vegetarischen, veganen, Fleisch- oder Fischkomponente. Darunter fallen unter anderem das Hähnchenbrustfilet oder die vegetarische Frühlingsrolle. 4. Das Klimaessen. Dieses Gericht ist immer ein veganes Komplettessen, dessen Hauptbestandteile aus regionaler und saisonaler Feldwirtschaft stammen. Auf Lebensmittel mit einer hohen CO2-Bilanz (Fleisch, Konserven, Tiefkühl- und Trockenprodukte) wird verzichtet. Das Klimaessen wird gekennzeichnet mit einem Baum auf blauem Grund. 5. Die Gemüse- und Sättigungsbeilagen. Die gibt es in konventioneller sowie in Bio-Variante. 6. Ergänzt wird das Angebot durch Vorspeisen, Suppen, die Salatbar, Aktionsstände und Dessertauswahl. Wie vollwertig die Gerichte aus medizinisch-ernährungsphysiologischer Sicht sind, geben die Ampelfarben an, mit denen die Speisen auf den Monitoren oder auf der Webseite versehen sind. Je mehr grüne Speisen in der Auswahl auf unserem Teller sind, desto gesünder ist die Zusammenstellung. Verschwindend gering sollen die Mengen an Essen sein, die am Ende eines Tages übrig bleiben. Alle Speisen werden nämlich nach Bedarf produziert, es wird also je nachdem, wie stark die Nachfrage ist, neues Essen nachgekocht. Bleibt an der Essensausgabe nach 14.30 Uhr doch noch etwas übrig, wird die Restmenge abgeholt und einer Biogasanlage zugeführt, die daraus Strom erzeugt. Kostenlos ist der Kaffeesatz, der seit Sommer dieses Jahres in den Mensen von allen Interessierten abgeholt und als natürlicher Dünger verwertet werden kann. Alexandra Ratke (20, Rechtswissenschaft)

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Gebäude der HU: Erwin-SchrödingerZentrum Die Humboldt-Universität besteht aus unzähligen Gebäuden und hinter jedem Einzelnen steckt eine Geschichte. An dieser Stelle wollen wir sie erzählen. Das Erwin-Schrödinger-Zentrum ist das Herz auf dem Gelände des Campus Adlershof. Wer die Person ist, nach dem das Gebäude benannt wurde, weiß jeder der die Serie „The Big Bang Theory“ gesehen hat: Erwin Schrödinger wurde nicht nur mit seinem Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“ berühmt, sondern gilt auch als einer der bedeutendsten Physiker. Für ein Gebäude, das seit 2003 Herberge für sechs mathematisch-naturwissenschaftliche Institute ist, scheint er somit ein geeigneter Namensgeber zu sein. Über 6.000 Mathematik-, Geographie-, Biologie-, Physik-, Psychologie- und Informatik-Studierende finden in der „RUD 26“ – der Rudower Chaussee 26 – ihre Hörsäle, Konferenzund Seminarräume, einen Computer- und Medienservice und die Zweigbibliothek Naturwissenschaften. Diese kann einen beachtlichen Bestand von mehr als 500.000 Medien vorzeigen und bietet Raum zum Lernen. Wer nach der ganzen Arbeit mal eine Pause braucht, kann sich einen Kaffee im Tim’s Canadian Deli gönnen oder in der benachbarten Fachbuchhandlung schmökern.

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Technik-Interessierte sind hier, im Kern Adlershofs, genau richtig – schließlich befindet man sich auf einem der ersten Motorflugplätze Deutschlands. Dieser wurde zwischen 1909 und 1995 genutzt. Zudem kann man eine Sammlung historischer IT-Technik begutachten, die im Gebäude ausgestellt ist. Wen das alles nicht interessiert, kann sich auch einfach an der Architektur des 13 Jahre alten Neubaus erfreuen. Da ein Großteil der Umgebung freie Fläche ist, sticht das Erwin-Schrödinger-Zentrum als schwarze Erhebung geradezu ins Auge. Obwohl es bloß zwei für die Öffentlichkeit zugängliche Etagen hat, wirkt es durch seinen dunklen Hauptkomplex sehr groß. Wunderbar kann man dort die naturwissenschaftliche Atmosphäre genießen, indem man sich hinsetzt und den Leuten zuhört, wie sie sich über Algorithmen, Gesetze, Beweise und ihre Hausaufgaben unterhalten. Juliane Köhler (21, Informatik) Foto: Juliane Köhler


Die Zukunft digitaler Lehre §52a UrhG definiert eine sogenannte Wissenschaftsschranke; eine Beschränkung des Urheberrechts für die Zwecke der Wissenschaft. In diesem Sinne wird der digitalen Veröffentlichung und Vervielfältigung kleinerer Teile eines Werkes in einem geschlossenen Rahmen, wie beispielsweise einem Seminar, zugestimmt. Die Vertreter von Verlagen und Autoren sehen in dieser Beschränkung jedoch eine Enteignung der Urheber. Wie diese Positionen zur Moodle-Krisen führten: „Holen Sie sich, was Sie jetzt noch kriegen können. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, was ab Januar mit den Texten auf Moodle passiert.“ Das ist die Antwort, die man seit Wintersemester 2016/17 von dem eigens eingeführten Moodle-Support52a bekommt. Der Mitarbeiter Andreas Voller arbeitet seit 2002 für den Computer- und Medienservice der HU. Damals war gerade eine Arbeitsgruppe zu „Lehren und Lernen mit digitalen Medien“ gegründet worden. Ein Jahr später präsentierte sie das erste an einer deutschen Hochschule genutzte Online-Lehrmanagementsystem: Moodle. Dieser Veränderung im universitären Betrieb passte sich die Justiz ebenfalls 2003 mit einer Ergänzung des bereits bestehenden Urheberrechtsgesetzes an. §52a UrhG „Öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung“ wurde verabschiedet. Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort kümmern sich um die Umsetzung dieses Paragraphen: Stellvertretend für Verlage und Autoren fordern sie deren Urheberinteressen ein. Bislang funktionierte die Abfindung der Urheber über eine Pauschalvergütung. Die einzelnen Länder zahlten feste Beträge für ihre Hochschulen. Die GEMA sowie die VG Bild & Kunst bleiben diesem Modell auch weiterhin treu. Änderungen erfolgen jetzt ausschließlich für die Vergütung von Schriftwerken, deren Verwaltung bundesweit der VG Wort unterliegt. Zukünftig sollen Texte einzeln gemeldet und in einer Gesamtrechnung, die sich aus jedem einzeln gemeldeten Text zusammensetzt, bezahlt werden. Die komplizierte Regelung lässt sich auf eine seit 2013 geltende rechtliche Situation zurückführen: Mehrere große Verlage klagten damals gegen die Fernuniversität Hagen, da diese digitalisiertes Material für Kurse mit über tausend Teilnehmern online zur Verfügung stellte. Die Studierenden kauften daraufhin nicht die gedruckten Exemplare, sondern bedienten sich im Online-Angebot ihrer Hochschule. Gegenstand dieser Klage wurde die Frage nach der laut §52a UrhG „geschlossenen Benutzergruppe“. Als letzte Instanz fällte der Bundesgerichtshof (BGH) im März 2013 schließlich folgendes für alle Hochschulen geltendes Urteil: bis zu 12 Prozen eines Werkes, höchstens jedoch 100 Seiten sowie Zeitschriftenbeiträge in ihrer Vollständigkeit und kleinere Werke, die 26 Seiten in ihrer Gesamtheit nicht überschreiten, dürfen seitdem veröffentlicht werden. Gleichzeitig zu dieser Mengenbegrenzung berechtigte der BGH die VG Wort dazu, Vergütungen per Einzelmeldungen abzurechnen, wenn es denn verhältnismäßig sei. Um die Praktikabilität einer solchen Einzelerfassung des Einsatzes von Lehrmaterialien in elektronischer Form zu evaluieren, wurde ein Pilotprojekt von der VG Wort in Kooperation mit der Universität Osnabrück im Wintersemester 2014/2015 durchgeführt. Während die VG Wort diese Machbarkeitsstudie in mehreren Pressemitteilung als erfolgreich betitelte, hieß es von der Universität Osnabrück, dass die technischen und infrastrukturellen Voraussetzungen für eine solche Eingabe der Einzelnutzungen derzeit an keiner Hochschule in Deutschland erfüllt seien.

Mit der Einzelmeldepflicht wird an vielen Stellen eine neue Grenze gezogen. Deckte die Pauschalrechnung noch die Vergütung ausufernder Zitate, z.B. auf Präsentationsfolien, ab, so muss nun auch von Studierenden genau unterschieden werden, was dem Zitationsrecht und was dem meldepflichtigen Urheberrecht zuzuordnen ist. Zusätzlich stellen sich bürokratische Fragen: Wird die Endrechnung der Einzelerfassungen gesamt von der Hochschule oder von den jeweiligen kostenverursachenden Instituten getragen? Wie funktioniert die Meldung von vergriffenen historischen Büchern? Wie weit erstreckt sich überhaupt das Vertretungsrecht der Verwertungsgesellschaft, vor allem im Bezug auf ausländische Titel? In einer offiziellen Stellungnahme äußerte die VG Wort, dass die Eingabe der Werkdaten über eine eigens angefertigte Maske nur vier Minuten dauere und durchaus verhältnismäßig sei. Umsetzbarkeit von Einzelfallerhebungen und nutzungsgerechte Vergütung sind die Positionen, die gegeneinander abzuwägen sind, um zu entscheiden, nach welchen Vergütungsregeln künftig verfahren werden sollte. Dennoch haben die VG Wort und die Kultusministerkonferenz als Vertreter der Hochschulen im September 2016 auf Grundlage des BGHUrteils einen Rahmenvertrag ausgehandelt, der die Einzelmeldepflicht in Stein meißelt. Die Problematik wächst dabei über eine „Moodle-Krise“ hinaus: Der formale Anspruch dieses neuen Rahmenvertrages ist allumfassend, greift damit auch in den Forschungsbetrieb massiv ein. Der neue Rahmenvertrag soll zum 1. Januar 2017 in Kraft treten, doch es haben noch längst nicht alle Länder unterschrieben. Nach Niedersachsen erklärten Anfang November auch Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, MecklenburgVorpommern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und SchleswigHolstein ihren Entschluss, dem Rahmenvertrag nicht beizutreten. Angestrebt wird eine Neuverhandlung. Der Status Quo für Verhandelnde, Lehrende und Studierende geht in die nächste Runde und vielleicht sogar ins nächste Jahr. Was dann passiert kann niemand voraussagen. Vielleicht bleibt der große Knall aus. Eine andere Alternative sieht vor, dass die rebellierenden Hochschulen auf ihre digital bereitgestellten Texte ganz verzichten müssen und sich wieder auf Bibliotheken (die mittlerweile auch über elektronische Lizenzen und Open Access verfügen) und analoge Reader zurückbesinnen. Ein Schritt, nicht nur in eine ungewisse Zukunft der Freiheit von universitärer Lehre und Forschung, sondern auch ein falscher Kampf „ausgetragen auf dem Rücken derer, die davon in keiner Weise betroffen sein sollten, die Studierenden“, meint zumindest Andreas Vollmer. Er glaubt an einen Kompromiss und gesteht: „Die VG Wort hat einen eigentlich guten Ruf zu verlieren. Man sollte den Ansatz der Pauschalvergütung wieder aufnehmen und sich gemeinsam auf eine angemessene Form von Erhebungsmethode zur Bezahlungsregelung einigen.“ Moodle wird wohl am 1. Januar 2017 nicht aufgegeben werden, aber eventuell starken Einschränkungen unterliegen. Carina-Rebecca Pansch (19, Deutsche Literatur, Geschichte)

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Glosse:Auf dem Präsentierteller Zugeben muss ich es wohl: Generell ist so eine Powerpoint-Präsentation sinnvoll. Der Vortrag wirkt strukturierter, außerdem weiß die Zuhörerschaft, wo man sich im Referat befindet und wie lange es noch dauert. Wer seine Aufmerksamkeit kurz seinem Handy gewidmet hat, findet danach anhand der Stichpunkte leicht wieder den Anschluss. Wenn die Folien später für alle Studierenden aus dem Kurs zum Lernen verfügbar sind, umso besser. Soweit der Idealfall. Viele Studierende werden mir aber zustimmen, dass dieses Ideal nur selten erreicht, oft vergessen und manchmal ins Gegenteil verkehrt wird – nicht nur bei Referierenden aus den eigenen studentischen Reihen, denen Wohlwollende entschuldigend mangelnde Erfahrung unterstellen. Auch Dozierende sind gegen die gefährlichen Reize der Animationen und Schriftarten, Übergänge und Farbschemen nicht immun. Denn klar ist: Punkt eins „Begrüßung“ und eine letzte Folie mit einem herzlichen „Vielen Dank für die Aufmerksamkeit“ sind nur die Spitzen des Eisbergs. Da sitzt man also nichts Böses ahnend in einem Seminar und findet sich urplötzlich in einer beinahe Oscar-reifen Kamerafahrt wieder: So schnell huschen die Folien über die Wand, rotieren und zerfallen in lustige kleine Würfel oder Scherben, dass sich kein Mensch mehr auf den Inhalt konzentrieren kann. Den Inhalt? Oft lässt sich der gar nicht so leicht herausfiltern. Wer zur Kurzsichtigkeit neigt, kann ohnehin nur die Überschriften auf so mancher vollgepackten Folie entziffern. Zum Glück lesen viele Vortragende dieselben Sätze von großen Zetteln ab, die sie hinter Karteikarten tarnen. Oder aber jemand entscheidet sich bei einem Text, der sich sehr handlich in Punkte und Unterpunkte, Aufzählungen und Farbschemata gliedern ließe, zu einer vereinfachten Präsentation mit Bildern, ohne Worte. Da sind dann oft auch die Zuhörenden: ohne Worte. Was lernen Studierende aus diesen Perlen der Powerpoint-Unterhaltungskultur? Das Auge isst mit. Wer alle Optionen heranziehen will, landet schnell auf dem Präsentierteller. Maria-Mercedes Hering (23, Sozialwissenschaften)


Monitor Das Neueste aus der Bildungspolitik. Rot-Rot-Grüne Koalition SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt und stellen die neue Regierung in Berlin. In Sachen Bildungspolitik soll sich zukünftig die Entwicklung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen stärker an dem Bedarf der wachsenden und sich ausdifferenzierenden Stadt orientieren. So sollen beispielsweise Studienangebote ausgebaut werden, insbesondere in den Bereichen der Gesundheitsberufe, Pädagogik und der Sozialen Arbeit. Den Theologien, weltanschauungs- und religionsbezogenen Studien wird eine wichtige Integrations- und Inklusionsfunktion zugeschrieben. Sie sollen daher ausgestaltet und weiterentwickelt werden. Die Koalition fördert die Digitalisierung der Wissenschaft. Sie unterstützt Open-Access-Publikationen, digitale Lehr- und Lernformate sowie die Entwicklung der Infrastruktur und Ressourcen von Hochschulbibliotheken als digitale Wissensspeicher. „Lesemaut“ der Verwertungsgesellschaft Wort Ab Januar 2017 sollen durch einen neuen Rahmenvertrag der VG Wort mit deutschen Hochschulen digital zur Verfügung gestellte Texte anders abgerechnet werden als bisher: einzeln statt pauschal. (Weitere Informationen im Heft auf Seite 16). Verständigt haben sich darauf die Kultusministerkonferenz, die VG Wort und der Bund. Der neue Vertrag scheint demnach nicht nur zwischen Hochschulen und der VG Wort Uneinigkeiten zu schaffen, sondern auch zwischen Bund und den einzelnen Bundesländern, welche sich in Stellungnahmen größtenteils gegen die neue Form der Abrechnung von Textmaterialien aussprachen. Birthe Berghöfer (25, Gender Studies)

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Glossar e i D * r n e i * d t n e z o d t a v i Pr Nachwuchswissenschaftler mit dem Ziel einer Professur müssen sich in Deutschland in der Regel zunächst habilitieren lassen. Mit der Habilitation erlangen sie die Lehrbefähigung, die wiederum Voraussetzung für die Beantragung einer Lehrberechtigung ist (auch „Venia Legendi“, „Erlaubnis zu lesen“). Beide Hürden überwunden, kann man sich auf ausgeschriebene Professorenstellen bewerben, für die es je nach Fach und Universität allerdings viele Mitbewerber gibt. Was also, wenn es bei hoher Konkurrenz nicht klappt mit der Professur? Dann kann einem habilitierten Wissenschaftler von der Universität der Titel des Privatdozenten (PD) verliehen werden. Das hat den Vorteil, dass der eigene Name in Verbindung mit einer Institution steht: Man kann sich von dieser Position aus auf Lehrstühle bewerben oder Drittmittel für Projekte beantragen. Anders als der Universitätsprofessor steht der Privatdozent allerdings nicht im Staatsdienst. Sein Titel ist keine offizielle Berufsbezeichnung, sondern ein Ehrengrad. Lehren muss der PD trotzdem, denn schon nach zwei Semestern ohne angebotene Veranstaltungen kann der Titel aberkannt werden und die Lehrberechtigung verfällt. Luise Mörke (20, Kunst- und Bildgeschichte, Klassische Archäologie)

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Unter Beobachtung: Selbstfahrende Autos Gefühlt leben wir schon in der Zukunft. Den Entwicklungsprozess künstlicher Intelligenz nehmen wir als so rasant wahr, dass aktualisierte Versionen der Science-FictionPhantasien des letzten Jahrhunderts fast greifbar scheinen. Die Einführung selbstfahrender Autos ist seit einigen Jahren eine besonders populäre Vision. Haben wir den Gipfel des technischen Fortschritts bald erreicht? Seit 2006 forschen die AutoNOMOS Labs des Dahlem Center for Machine Learning and Robotics an der Freien Universität zu autonomen Fahrzeugen. Ein unter der Leitung von Professor Raúl Rojas und Professor Daniel Göhring entwickelter Prototyp absolvierte letztes Jahr erfolgreich eine Testfahrt über 2.400 Kilometer von der US-Grenze nach Mexico-City. Das Fahrzeug greift einerseits auf abgespeicherte Karten zurück, um möglichst vorausschauend fahren zu können und verwendet zusätzlich Kameras, Laserscanner und Radarsensoren zur genauen Erfassung der Umgebung. Die Technik ist bereits weit fortgeschritten. Informatik-Professor Daniel Göhring sieht Entwicklungsbedarf vor allem bezüglich der Preise der teuren Sensorik. Des Weiteren müsse an der Zuverlässigkeit hinsichtlich Ausfallsicherheit der Systeme und deren Funktionsfähigkeit bei schlechten Außenbedingungen, wie der Verdeckung der Spurmarkierungen bei Schneefall, gearbeitet werden, so Göhring.

Da mit der Einführung von Fahrzeugen ohne Eingriffsmöglichkeiten nicht so bald zu rechnen ist, bleibt die Entscheidungsgewalt zunächst dem menschlichen Fahrer überlassen. Die mit einem „Autopilot“ ausgestatteten Modelle von Tesla etwa verlangen trotz Assistenzsystem Konzentration und Achtsamkeit vom Fahrer. Bis das erste Auto ohne Lenkrad und Pedale für den Innenstadtverkehr zugelassen wird, vergehen wohl noch mindestens zehn Jahre. Neue Autos werden in den nächsten Jahren vermehrt mit leistungsfähigen Assistenzsystemen ausgestattet. Bis zur Vollautomatisierung des Fahrens in jeder Situation wird aber noch einige Zeit vergehen – verhindern werden die erwähnten Probleme, technischer als auch ethischer Natur, diese Entwicklung voraussichtlich nicht. Wenn es einmal soweit ist, stellt sich auch die bisher weniger beachtete Frage: Wird die bislang von einigen so gepflegte Vernarrtheit in die vier Räder gedämpft werden, wenn wir das Auto nicht mehr selbst lenken? Lukas Sonnabend (23, Kunst- und Bildgeschichte)

Anzahl der Unfälle soll drastisch gesenkt werden Die autonomen Fahrzeuge meistern Autobahnen schon jetzt durchaus zuverlässig. Das selbstfahrende Auto bringt dem menschlichen Insassen nicht nur Komfort, es ist ihm in vielerlei Hinsicht sogar überlegen: Der Computer wird nicht müde, unaufmerksam oder wütend. Die Hoffnung von Entwicklern und Politikerinnen ist es, durch den Einsatz von selbstfahrenden Autos die Zahl der Unfälle bis zu 90 Prozent zu senken und die Zahl der Verkehrstoten von 3.475 (Stand 2015) auf nahezu Null zu reduzieren. Wer sich um den Wegfall des individuellen Fahrstils sorgt, kann sich damit trösten, dass die Wissenschaftler der FU der Fahrerin eine Auswahl zwischen verschiedenen Fahr-Modi überlassen, je nachdem ob man gemütlich oder sportlich unterwegs sein möchte. Wird Ethik einprogrammiert? Von den technischen Hindernissen abgesehen, muss sich die Gesellschaft vor allem Problemen anderer Art stellen: Etwa die Haftungsfrage bei durch autonome Fahrzeuge verursachten Schäden. Ebenfalls erfährt die Betrachtung klassischer ethischer Dilemmata mit dem technischen Fortschritt Konjunktur: Wenn ein Unfall unvermeidlich ist, sollte eher die alte Dame überfahren werden oder das junge Kind? Sollte auf die kleinere anstatt die größere Gruppe umgelenkt werden, um mehr Menschen das Leben zu retten? Ethische Paradigmen erleben durch die Einführung selbstfahrender Autos im Straßenverkehr zwar keine Veränderung, brisant ist allerdings, dass hier im Vorfeld festgelegt wird, welche Entscheidung das Auto im Zweifelsfall trifft – wenn es überhaupt eine treffen soll. Im Gespräch verweist Daniel Göhring auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2006, demzufolge die Aufrechnung von Menschenleben gegeneinander nicht mit der im Grundgesetz verankerten Würde des Einzelnen vereinbar sei. Das AutoNOMOS-Fahrzeug bremse bei Hindernissen auf der Straße so früh wie möglich, Ausweichmanöver fahre es nicht. Zudem sei die Software bisher nicht in der Lage, einen älteren von einem jüngeren Menschen zu unterscheiden.

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Mehr Lohn für studentische Beschäftigte Der Tarifvertrag für studentische Beschäftigte in Berlin feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Die schlechte Nachricht: Seit 15 Jahren stagniert der sogenannte TV Stud II. Deshalb wurde bereits vor einem Jahr eine Tarifinitiative gegründet, bestehend aus studentischen Mitgliedern der ver.di und der GEW, die sich darauf vorbereitet, den Vertrag neu zu verhandeln. Zum Start der Verhandlungen fehlen jedoch mehr gewerkschaftlich organisierte studentische Beschäftigte.

Steigende Mieten und höhere Mobilitätskosten haben die Lebenshaltungskosten in Berlin in den letzten 15 Jahren enorm verteuert. Trotzdem verdienen studentische Beschäftigte nach aktuellem Tarifvertrag mit 10,98 Euro Stundenlohn exakt dasselbe wie im Jahr 2001, als die letzte Lohnanpassung vorgenommen wurde und aus dem TV Stud I der aktuelle TV Stud II wurde. Im Mittelpunkt der Diskussion über Forderungen, die in einem erneuerten Tarifvertrag, dem TV Stud III, realisiert werden sollen, steht deswegen die Lohnerhöhung auf 13,75 Euro. Die TV Stud Initiative beschränkt sich in ihren Ansprüchen jedoch nicht auf die Lohnerhöhung: Um der Gefahr vorzubeugen, dass der Lohn nach neuen Verhandlungen für die nächsten Jahren wieder einfriert, wird eine Dynamisierung gefordert. Konkret bedeutet das eine automatische Anpassung an die Lohnsteigerungen im TV-L, dem Tarifvertrag der nicht-studentischen Beschäftigten an den Hochschulen. Auch was die Jahressonderzahlung, wie beispielsweise Weihnachtsgeld angeht, fordert die Initiative eine Gleichbehandlung mit dem nicht-studentischen Kollegium. Denn während diesen seit 2011 im TV-L eine solche Zuwendung zugestanden wird, erhalten die studentischen Beschäftigten seit 2004 keine mehr. Neben weiteren Punkten, die die Initiative fordert, spricht sie sich deutlich gegen verschiedene Lohnstufen nach Qualifizierung aus, sodass B.A.-Absolvent*innen für dieselbe Tätigkeit denselben Lohn wie studentische Beschäftigte mit einem M.A.-Abschluss bekommen würden. So weit so gut, die Forderungen stehen. Sogar eine Tarifkommission, bestehend aus jeweils neun regulären Mandaten und fünf Ersatzmandaten aus den Gewerkschaften ver.di und GEW, wurde Anfang November in Vorbereitung auf kommende Tarifverhandlungen aus dem Kreise der bereits gewerkschaftlich organisierten studentischen Mitglieder gewählt. Diese Tarifkommission wäre im Fall der Fälle unter anderem zuständig für die Kündigung des alten Tarifvertrags, die Aufstellung von Forderungen, die Annahme bzw. Ablehnung der Verhandlungsergebnisse und schlussendlich auch für den Abschluss des Tarifvertrags. Die Aufnahme von Verhandlungen wird jedoch erst dann beginnen, wenn insgesamt 1.000 studentische Beschäftigte neu in eine Gewerkschaft eingetreten sind. Dieser hohe Organisationsgrad sei nötig, um genügend Druck auf die Hochschulen ausüben zu können. Ansonsten würden die Verhandlungen schnell an mangelnder Relevanz scheitern. So geschehen im Jahr 2011 bei dem Versuch, den Tarifvertrag mit ähnlichen Forderungen zu erneuern. Die Mobilisierung Studierender wird damit aktuell zur zentralen Aufgabe und entscheidet vermutlich darüber, ob die Arbeit des letzten Jahres sich in Form von erfüllten Forderungen in einem erneuerten Tarifvertrag auszahlt, oder ob ein weiteres Scheitern aufgrund eines zu niedrigen Organisationsgrads hingenommen werden muss. Mehr Informationen für Interessierte zu den konkreten Forderungen, nächsten Schritten und zu Unterstützungsmöglichkeiten wie auch dem Gewerkschaftsbeitritt gibt es auf www. tvstud.berlin.de. Loretta Gomell (20, Public und Nonprofit-Management)

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Einmal im Leben: Tandemsprung Ständig reden wir von Dingen, die wir ausprobieren wollen. Viel zu oft bleibt es bei dem Gedankenspiel. In unserer Rubrik „Einmal im Leben“ ändern wir das. Hoch hinaus und sich frei wie ein Vogel fühlen. Für mich ging dieser Traum in Erfüllung. Schon lange hatte ich den Wunsch zu Paragleiten. Der Reiz ins Nichts zu rennen, den Boden unter den Füßen zu verlieren, sich vom Wind treiben zu lassen und zu hoffen, dass man wieder sicher landet. Klingt für Manche nach Horror. Ist für Andere aber pures Adrenalin. Dafür reiste ich nach Südtirol. Beim Gleitschirmfliegen ist man durch Gurtzeug und Leinen mit dem Gleitschirm verbunden. Der Gurt sieht aus wie ein Rucksack und funktioniert als Sitz. Aufgrund mangelnder Erfahrung durfte ich nur zusammen mit einem ausgebildeten Piloten fliegen. Außerdem muss natürlich auch der Wind stimmen - nach sieben Tagen hatte das Warten auf die richtigen Wetterbedingungen endlich ein Ende. Am Berghang auf einer Höhe von 2.200 Metern befand sich unser Startplatz. Der Pilot breitete den Gleitschirm aus, legte mir die Ausrüstung an, gab mir einen Helm und schnallte mich zu sich an den Schirm. „Bis zu diesem Strauch müssen wir rennen, damit sich der Gleitschirm öffnen kann.“ Wir rannten los und der Schirm zog mich erst mal nach hinten. Mit aller Kraft hielt ich dagegen, bis ich den Boden unter den Füßen verlor. Ich war in der Luft. Nervosität verwandelte sich in Adrenalin und in diesem Moment war ich frei von allem. Es ist, als würde man in einem Sessel sitzen und über eine Landschaft aus Bäumen und Wiesen schweben. Der Wind pfiff mir um die Ohren und es nieselte ein wenig. Zwei Mäusebussarde leisteten uns Gesellschaft und begleiteten uns ein Stück. Nach etwa einer halben Stunde peilten wir den Landeplatz an. Ich streckte meine Beine nach vorne, winkte noch ein paar Schaulustigen und dann schlitterten wir sanft die Wiese entlang. Nach der Landung war ich noch eine ganze Weile voller Adrenalin und überwältig von diesem einmaligen Erlebnis. Günstig war der Tandemflug zwar nicht - für 30 Minuten zahlte ich 110 Euro - aber für dieses außergewöhnliche Abenteuer hat es sich absolut gelohnt. Sophia Förtsch (23, Kunstwissenschaft)


Zwischen Ideal und Realität Wilhelm von Humboldt - Dieser Gelehrte hat vor knapp 200 Jahren die Humboldt-Universität zu Berlin mitgegründet. Seine Vorstellung von Bildung war geprägt von Begriffen wie Freiheit, Individualität und Ganzheitlichkeit. Doch ist sein Bildungsideal immer noch gegenwärtig? Ein Kommentar. Die Universität als Stätte der Freiheit, als Förderin ganzheitlicher und anforderungsunabhängiger Persönlichkeitsbildung und des lebenslangen Lernens. Dies stellte sich Wilhelm von Humboldt unter einer optimalen Universität vor. Eine Utopie oder kommt Studierenden das bekannt vor? Beherrschen diese Ideen unseren Studienalltag an der HU? Das sollten sie zumindest, wenn die Humboldt-Universität heute noch den Bildungsidealen ihres Namensgebers Wilhelm von Humboldt gerecht werden will. Als Vertreter des neuhumanistischen Bildungsideals, das in Anlehnung an die Antike die freiheitliche und harmonische Entfaltung der menschlichen Kräfte zu einem Ganzen vorsieht, stand Humboldt nicht alleine da. Auch Persönlichkeiten wie Herder, Goethe oder Schiller bekannten sich dazu. Jedoch gelang es allein Humboldt im Jahre 1809/10, als damaliger Leiter der preußischen Kultus- und Unterrichtsverwaltung, wirksam eine Bildungsreform zugunsten seiner Bildungsmaxime durchzuführen. Im Zuge dessen wurde auch die Universität zu Berlin (heute die HU) gegründet. Betrachtet man die Grundpfeiler seines Ideals, fragt man sich, ob Humboldt angesichts des heutigen Hochschulsystems in Frieden ruht oder sich nicht viel eher im Grabe umdreht „Brauchen wir das für die Prüfung?“, dieser Satz fällt oft in Vorlesungen und Seminaren. Das hört sich nicht nach Lernen um des Lernens willen, sondern eher nach reiner Zweckorientierung an. Ist das gewollt? Humboldt, der die Universität als Ort der Persönlichkeitsentfaltung anpries, würde das wohl verneinen. Die Bologna-Reformer würden es vermutlich auch nicht bejahen. Aber die Angleichung des hiesigen Hochschulsystems an internationale Standards und die Anforderungen des Arbeitsmarkts hat ein prüfungsintensiveres Studium mit strengeren Lerneinheiten geschaffen. Von Unabhängigkeit der Lehre oder ganzheitlicher Persönlichkeitsbildung kann hier kaum noch die Rede sein. Und trotzdem scheint die Persönlichkeitsentwicklung ebenso gefordert. Paradoxerweise bekommt man als Studierende*r immer wieder zu hören: Auch der Arbeitsmarkt fordert von Bewerbern Individualität, mehr Persönlichkeit, mehr Menschenbildung.

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Es wäre falsch zu behaupten, dass mit Bologna ein Schritt weiter in Richtung Humboldts Bildungsvision gegangen wurde, aber hat die zunehmende Arbeitsmarktorientierung im Rahmen der Reform wirklich zu einer Unterwanderung des alten Bildungsideals geführt? Immerhin finden einige in Humboldts Werk „Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin“ entwickelten Ideen für die Gestaltung von Universitäten auch heute noch Anwendung. Betont werden durchgängig der hohe Stellenwert der Einheit der Forschung und der Lehre. Zweckfrei und unabhängig vom Staat soll sie sein, die „äußere Muße und inneres Streben“ der Antrieb. Ohne Zweifel ist die Bedeutung der Forschung heutzutage sehr hoch. Die Frage aber, ob die Forschung in Anbetracht des Drittmittelzwangs als frei und unabhängig bezeichnet werden kann, ist ein Feld für sich. Der Begriff der Einheit von Forschung und Lehre ist nichtsdestoweniger aktuell relevant: Dozierende forschen und lehren zugleich. So wird verhindert, dass die Lehre nicht von einem staubigen Lehrbuch ausgeht, sondern von einem belebten Austausch zwischen Forschenden und Studierenden. Für einen solchen Austausch bietet sich auch heutzutage noch das Seminar an – eine Lehrveranstaltungsform, die ebenfalls von Humboldt hervorgebracht wurde. Auch wenn die perfekten Voraussetzungen für eine weitere Annäherung an das humboldtsche Bildungsideal nicht gegeben sind, ist die Möglichkeit dazu an der HU und auch an anderen Hochschulen noch nicht gestorben. Es obliegt den Studierenden, Lehrenden und Bildungspolitikern, dass dieses Ideal zukünftig lebendig gehalten wird. Loretta Gomell (20, Public und Nonprofit-Management)

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Heiligabend, die Kirche und wir Interview mit einem Pfarrer Für viele Menschen ist Weihnachten das schönste Fest des Jahres. Traditionen wie Weihnachtsbäume, Weihnachtslieder, Gottesdienstbesuch und das Beschenken haben sich, zumindest im europäischen Raum, etabliert. Allerdings feiern alle auf unterschiedliche Weise: Für meinen Kommilitonen Ján zum Beispiel hat Weihnachten eher eine kommerzielle Bedeutung. Mit seinen japanischen, slowakischen und deutschen Wurzeln ist ihm unsere Art des Feierns eher fremd. Zwar sitzt auch seine Familie an Heiligabend ein paar Stunden zusammen und tauscht Geschenke aus, aber so richtig ausgeprägt waren die Feierlichkeiten nie, erzählt er. Ján war auch noch nie in einer Kirche. Ganz im Gegensatz dazu stehen wohl die Festtage meiner Familie. Mein Vater, Thomas Köhler, arbeitet seit 21 Jahren als Pfarrer der evangelischen Kirche. Ich bat ihn, mir für die UnAufgefordert ein paar Fragen zu beantworten: Ein großer Teil der Deutschen geht ausschließlich an Heiligabend in die Kirche. Scheint das zu einem klassischen Ablauf an Weihnachten zu gehören oder geht es den Meisten um den Glauben an die Geburt Jesu? Ich finde zwar schade, dass es so ist, aber nicht schlimm. Mir ist es wichtig, dass die Menschen sich in der Kirche wohl fühlen. Wenn es an Heiligabend für sie dazugehört von der Weihnachtsgeschichte zu hören, dann freue ich mich darüber. Das scheint mir schon mehr als nur ein Ablauf zu sein. Ich denke, ihnen geht es um Trost und den Glauben, wenn sie an Weihnachten in die Kirche gehen. Ist es wichtig, dieses Fest mit der eigenen Herkunft zu verbinden, vielleicht sogar eher als mit der Kirche? Das Weihnachtsfest ist vielmehr eine Frage der Kultur als eine Frage der Kirche. Wir sollten wissen, warum wir Feste wie Weihnachten feiern. Wie wichtig das ist, merkt man gerade jetzt. Geflüchtete, die zu uns kommen, bringen ihre Kultur mit und erzählen uns davon. Es ist wichtig, dass auch wir über unsere Kultur und unsere Feste Bescheid wissen, davon erzählen und erklären können, warum wir Weihnachten so feiern, wie wir es feiern.

Ein Pfarrer ist an Weihnachten viel unterwegs. Was für Aufgaben hast Du an diesem Tag? Viele Pfarrer haben mehrere Gottesdienste zu halten. Sie gehen zum Beispiel ins Seniorenheim oder kümmern sich um das Krippenspiel. Weiterhin gibt es Familien-Christvespern und Nachtgottesdienste. Die Gottesdienste sind alle unterschiedlich in ihrer Gestaltung. Dafür muss vieles geplant und abgesprochen sowie Predigten vorbereitet werden. Bei mir ist es so, dass am Vormittag sowohl berufliche, als auch familiäre Vorbereitungen getroffen werden. Von 14 Uhr bis ungefähr 19.30 Uhr sind dann die Christvespern. Anschließend essen wir Zuhause gemeinsam Abendbrot. Wenn wir es schaffen, gibt es vor dem Nachtgottesdienst die Bescherung - ansonsten danach. Das klingt nach viel Stress. Bist Du froh, wenn Heiligabend endlich vorbei ist oder kannst du den Tag auch genießen? Ein bisschen von beidem. Ich genieße diesen schönen Tag total und bin glücklich, dass ich Menschen eine Freude machen kann. Andererseits ist es natürlich auch anstrengend. Wenn der Tag dann vorbei ist, bin ich auch froh. Welche Bedeutung hat Weihnachten für Dich? An Weihnachten wird die Geburt Jesus Christus, Gottes Sohn, gefeiert. Er ist Mensch geworden. Es ist für mich aber vor allem ein Fest der Freude, das man mit Freunden und Familie verbringt. An Heiligabend wird einem die Grundaussage der Weihnachtsgeschichte „Fürchtet Euch nicht. Euch ist heute der Retter der Welt geboren“ deutlich, und ich finde es wunderbar, diesen Trost weiterzugeben. Besonders liebe ich die Weihnachtslieder, die von dieser frohen Botschaft singen. Viele denken, dass ich als Pfarrerstochter auf ominöse, geheimnisvolle Weise meinen Heiligabend verbringe. Dabei sind wir vermutlich wie jede andere christliche Familie auch. Während mein Vater arbeiten muss, packen wir die letzten Geschenke ein, kochen und dekorieren, bevor wir abends in den Gottesdienst gehen. Genug Familienzeit haben wir trotz allem. Auch für mich persönlich gehört Kirche einfach dazu und darüber bin ich froh. Juliane Köhler (21, Informatik)

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Super Jut:

Post aus...

Forum (Café und Weinbar)

Sophia Sorge (23, Europäische Ethnologie und Sozialwissenschaften)

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Maastricht, Niederlande Kurz hinter Aachen liegt die Universitätsstadt Maastricht im südlichsten Zipfel der Niederlande. So weit südlich, dass es hier gar den höchsten Berg Hollands mit stolzen 322 Metern zu bestaunen gibt. Mit mir studieren hier sehr viele Deutsche, der Großteil Wirtschaftswissenschaften oder Medizin. Tatsächlich ist Internationalität eine der zentralen Zielsetzungen der Universität, deshalb gibt es an der Maastricht University besonders viele internationale Studierende und Austauschprogramme, insbesondere mit den USA und Australien. Es ist das Lernkonzept, welches viele nach Maastricht lockt: praxisnahe Fälle die in kleinen Gruppen gelöst werden, Coachings für soziale Kompetenzen und bessere Betreuungsmöglichkeiten durch mehr Personal als in vielen der deutschen Hochschulen. Gerade in Fachgebieten mit vielen Studierenden wird so ein kritischer Diskurs mit den Professoren über die Studieninhalte überhaupt erst möglich. Doch das hat auch seinen Preis: Anwesenheitspflicht, weniger Freiheit bei der Kurswahl und eine hohe Arbeitsbelastung verteilt über das ganze Jahr. Hier habe ich viele Freiheiten, die wir an der HU haben, erst schätzen gelernt. Bei unseren niederländischen Nachbarn hat mich kein großer Kulturschock erwartet, auch weil die Region im Dreiländereck ein sehr multinationales Flair hat. Interessant ist es zu beobachten, dass die Holländer durchaus noch stärkere Bierliebhaber sind als wir. Gerade hier in der Region Limburg, die für ihre Bierbraukunst berühmt ist. Bei den regelmäßig stattfindenden und traditionellen Karaoke-Partys der einheimischen Studierendenverbindungen, dem sogenannten Cantus, gibt es unbegrenzt Bier und feuchtfröhliche Unterhaltung. Es lässt sich also sehr gut studieren, hier in der „kleinsten Metropole Europas“ - wie die Stadt von ihren Einwohnern auch genannt wird. Martin Wischnath (21, Bebtriebswirtschaftslehre)

(niederländisch: Leben)

Viele sprechen fälschlicherweise von der Weinerei, meinen jedoch das Forum in der Fehrbelliner Straße 57, schräg gegenüber des dazugehörigen Weinladens „Weinerei“. Das Forum ist Café und Weinbar zugleich. Dort gibt es neben Kuchen und Suppen preisgünstige, schmackhafte Weine, die man vor dem Kauf auch verkosten darf. Ab 20 Uhr allerdings wird das Café abrupt zur Bar und die ganze Atmosphäre verändert sich: Zuerst brechen Kämpfe um die letzten freien Tische aus und diejenigen die schon sitzen, halten an ihren fest. Doch dann breitet sich eine angenehme, ausgelassene Stimmung aus. Das könnte daran liegen, dass sich ab dieser Uhrzeit die Tresenmitarbeiter zurückziehen und die Weinverkostung und das Einschenken den Gästen selbst überlassen wird. Ausgewählte Weine aus der Weinerei stehen den „angehenden Weinenthusiasten“ zur Verfügung. Die Weinerei bezieht ihre Produkte vom Familienweingut und von befreundeten Weingütern, aber hat auch europäische und internationale Weine im Regal stehen. Bei Nachfragen zu den einzelnen Sorten kann man die herumschwirrenden Mitarbeiter auch gerne um Beratung bitten. Ein weiterer Unterschied zu anderen Weinbars liegt darin, dass man jetzt selbst entscheiden darf, wie viel einem das Getränk wert war. Bei so viel Wein, der gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre und den vielen Gesprächen ist die Gefahr jedoch hoch, dass man am Ende nicht ganz sicher sein kann, ob das jetzt zwei, drei oder gar vier Gläser waren. Also gibt man zwei, sechs oder acht Euro? Oder doch lieber drei, neun oder zwölf Euro – weil es vielleicht so nett und behaglich war? Das muss jeder für sich entscheiden, kommt dem knappen Geldbeutel Vieler aber sehr entgegen. Ab Mitternacht endet der Abend jäh und man wird freundlich, aber bestimmt gebeten, die Bar zu verlassen. Strenge Augen kontrollieren dabei, ob man auch einen angemessenen Betrag in die Spendenbox tut. Bevor jedoch alle Weinliebenden-UnAuf-Leser und -Leserinnen den Laden stürmen, muss ich davor warnen, dass dieser unkontrollierte Weingenuss in philosophischen Debatten über Religion, Liebe oder – wie in meinem Fall – Süßigkeiten enden kann und man das dringende Bedürfnis verspürt, ausgiebig zu diskutieren, warum man entweder Marzipan oder Lakritze, aber niemals beides gleichzeitig lieben kann.


Endstation Wir machen uns auf den Weg an das Ende unserer Welt. Zurückbleiben bitte! Heute: Mit der S47 nach Spindlersfeld. Wenn man gerade auf die Ringbahn wartet, ist die S47 nach Spindlersfeld für die meisten Berliner genau die Bahn, die man am liebsten nicht auf der Anzeigetafel sehen will. Nachdem sich Ringbahn und S47 zwischen Westend und Neukölln die Strecke teilen, fährt die S47 ab Neukölln weiter Richtung Südost-Berlin. Der Endbahnhof Spindlersfeld ist keiner der typisch historischen Berliner S-Bahnhöfe. Ein einziges unüberdachtes Gleis, ein Kiosk in einer zerfallenen Laube und nicht einmal eine elektronische Anzeigetafel. Doch der Spaziergang durch den Ortsteil, wo Dahme und Spree zusammenfließen, lohnt sich. Spindlersfeld verdankt seinen Namen dem Unternehmer Wilhelm Spindler, der sich dort mit einem der ältesten Berliner Startups niederließ. Er entwickelte als erster Deutscher ein Verfahren zur chemischen Reinigung. Durch die Lage am Wasser wurde Spindlersfeld ab 1870 zur größten Wäscherei Berlins. Noch heute schmücken Industriegebäude die Straßen und erinnern an das Zeitalter des deutschen Kaiserreichs.

S47 Doch auch hier ist Gentrifizierung an der Tagesordnung: Eine Baufirma errichtete am malerischen Spreeufer reihenweise Lofts mit Bootsanleger. Läuft man weiter über die „Lange Brücke“, von der man einen fantastischen Blick auf die Müggelspree hat, erreicht man die Köpenicker Altstadt, die wohl die charmantesten Straßen Berlins beherbergt. Schicke Galerien, kleine Boutiquen und nette Cafés in engen gepflasterten Straßen, die Namen wie „Freiheit“ oder „Kietz“ tragen. Im „Kietz“ befinden sich slawische Fischerhäuser aus dem 13. Jahrhundert und eine Tafel erklärt die Bedeutung des Ortswappens: Die zwei Fische sollen an den Fischfang erinnern, der einst der wichtigste Erwerbszweig „Copenics“ war und ein Schlüssel symbolisiert Petrus, den Schutzherrn der Fischer. Weiter die Straße hinab befindet sich versteckt zwischen Booten und einem kleinen Hotel eine Strandbar, in der man nach einem winterlichen Spaziergang mit einer heißen Schokolade oder einem Glühwein herzlich empfangen wird. So schnell möchte ich Spindlersfeld dann doch nicht mehr verlassen. Vilma-Lou Sinn (23, Volkswirtschaftslehre) Foto: Vilma-Lou Sinn

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Offene Redaktion! Impressum Die Studierendenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin. Erstmals erschienen am 17. November 1989. Beste deutschsprachige Studierendenzeitung 2005 und 2008.

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