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Widerstand – Verfolgung – Befreiung

WIDERSTAND VERFOLGUNG BEFREIUNGEin antifaschistisches Wanderbuch

Der Alpenraum gilt spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Sehnsuchtsort und wichtiger Marker für Identität und Zugehörigkeit. Er schuf verbindende Elemente und zementierte Trennendes.

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Von Carolina Forstner

Im Buch Widerstand – Verfolgung – Befreiung. Zeitgeschichtliche Wanderungen präsentieren die Autoren Thomas Neuhold und Andreas Praher einen zeitgeschichtlichen Wanderführer in dem 35 Wander- und Spazierrouten von einer bis zu acht Stunden über Gipfel und Hügel im Salzburger Land, Oberösterreich, Südostbayern und dem Ausseerland vorgestellt werden. Das alles mag wie Material von zig anderen Regional-Wanderführern klingen, ist es aber nicht, denn Widerstand – Verfolgung – Befreiung. Zeitgeschichtliche Wanderungen ist ein politisches Buch, ein antifaschistischer Wegweiser.

„Sehnsucht habe ich nach Euch und den Bergen“ schrieb die 23-jährige Linzerin Rosa Hoffmann in ihrem Abschiedsbrief. Die kommunistische Widerstandkämpferin wurde im März 1943 in Berlin enthauptet. Ihre Geschichte und zahlreiche andere Täter-, Opfer-, wie Widerstandsbiografien werden im Wanderführer erzählt und mit einer thematisch passenden Route verbunden.

Das Buch bietet detailreiche Beschreibungen von Routen, die in Verbindung mit historischen Stätten des Naziterrors im „Dritten Reich“ stehen, samt Fotos, passender Kartenskizzen und der benötigten Ausrüstung. Im Falle von Hoffmann kann man sich auf einen Spaziergang durch das rote Salzburg begeben und mithilfe der detaillierten Erzählungen rund um die Widerstandskämpferin sozialistischen und kommunistischen Widerstand gegen die Nazi-Diktatur in einem Stadtspaziergang erleben. Eine weitere leichte Wanderung in der Landeshauptstadt führt die Leser*innen zum Beispiel auf einen Spaziergang in den Stadtteil Leopoldskron-Moos, wo hunderte Roma und Sinti im sogenannten „Zigeunerlager Maxglan“ unter unmenschlichen Bedingungen und strenger Bewachung weggesperrt wurden.

Neben Orten wie dem Stefan-ZweigWanderweg über den Kapuzinerberg, den viele Salzburger*innen schon kennen, erzählen die Autoren Geschichten, die sich meist abseits der Stadt Salzburg auf den Gipfeln im Hochgebirge abspielen. Bei der Auswahl der Geschichten setzten Neuhold und Praher, bis auf den bekannten Franz-Jägerstätter-Gedenkweg im oberösterreichischen St. Radegund, auf eher unbekannte Orte und erzählen penibel und mithilfe von historischen Abrissen, persönliche Schicksale aus den Alpen.

„Die Alpen wurden zum Fluchtgelände. Sie wurden zum Experimentierfeld für das nationalsozialistische Terrorregime und zur Versuchsanstalt einer erbar-

mungslosen Todesmaschinerie“, schreiben die Buchautoren und behandeln alle Facetten der Verfolgung. Dabei befassen sie sich mit Schicksalen von Befreier*innen, Kriegsgefangenen und Deserteuren und zeichnen die Jagd auf NS-Kriegsverbrecher nach, die sich oftmals in schwer erreichbare Orte des Salzkammerguts absetzten, um sich aus der Verantwortung zu stehlen und still und heimlich der Nachkriegsjustiz zu entfliehen.

Die abenteuerliche Flucht des Widerstandskämpfers Sepp Plieseis, der eine zentrale Persönlichkeit des Widerstands im Inneren Salzkammergut war, führte von Hallein quer durch die Osterhorngruppe bis zur Postalm. Die längste Route des Wanderführers führt ins Ausseer Land, wo sich NS-Schergen wie Ernst Kaltenbrunner und Adolf Eichmann in Almhütten nahe des Toten Gebirges versteckten. In der Vorgeschichte zur Wanderung, wird das Aufspüren Kaltenbrunners durch den USGeheimdienst geschildert. Special Agent Robert Eliott Matteson kämpfte sich am 11. Mai 1945 durch meterhohe Schneefelder auf die auf 1.525 Metern Seehöhe gelegene Wildenseealm und überraschte den Kriegsverbrecher Kaltenbrunner im Schlaf. Wer Mattesons Spuren folgt, begibt sich auf eine acht bis zehnstündige Wanderung, die mitten auf das Plateau des Toten Gebirges führt.

Widerstand – Verfolgung – Befreiung. Zeitgeschichtliche Wanderungen ist ein Wanderbuch, das die Leser*innen nicht nur mit seinen genauen Routenbeschreibungen, sondern auch mit interessanten Erzählungen und Biografien fesselt und einem die Komplexität des Lebensraums Alpen bildlich vor Augen führt. Zusätzlich illustriert das Buch auch wichtige Aspekte österreichischer Geschichte seit Beginn des 20. Jahrhunderts und zeigt, wie viel Geschichte in kargen Felsen und glasklaren Gebirgsseen steckt. Widerstand – Verfolgung – Befreiung bietet auf 248 Seiten 35 Wanderrouten voller spannender Geschichten. So erfahren die Leser*innen über die Sommerfrische im Salzburger Ort Mattsee, der sich schon 1921 als „judenfrei“ rühmte und lernen Menschen kennen, die vom NS-Terrorregime verfolgt und als Kriegsgefangene geschunden und getötet wurden. Das Buch führt außerdem zu NS-Kriegsverbrechern, die in abgelegenen Orten ihrer Schuld zu entfliehen suchten, bis hin zu den Alpen als Sinnbild für Freiheit, als jüdische Überlebende des Holocausts 1947 die Krimmler Tauern überquerten. Mit diesen erlebbar gemachten Geschichten aus der Geschichte liefert Widerstand – Verfolgung – Befreiung eine packende Gesamtsicht auf Austrofaschismus, die NS-Schreckensherrschaft und den mutigen Widerstand gegen ein faschistisches Regime.

Um mit den Autoren Neuhold und Praher zu schließen: „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“

Zeitgeschichtliche Wanderungen Thomas Neuhold, Andreas Praher Anton-Pustet-Verlag

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