Wunder Tier 1 Motiv und seine Bedeutungen
1
Impressum Herausgeber: Universalmuseum Joanneum GmbH, Mariahilferstraße 2-4, 8020 Graz Für den Inhalt verantwortlich: Helga Hensle-Wlasak (Mittelalter): S. 2–6, 8 Christine Rabensteiner (Neuzeit): S. 7–16 Karin Leitner-Ruhe (Graphik): S. 17–20 Lektorat: Jörg Eipper-Kaiser Grafische Gestaltung und Layout: Karin Buol-Wischenau Abbildungen: N. Lackner, u. a./UMJ Druck: Medienfabrik Graz Abbildungen: Umschlag Vorderseite: Details von ausgewählten Objekten aus der Sammlung der Alten Galerie: v. l. n. r.: S. 3, S. 20, S. 9, S. 8, S. 20, S. 7, S. 18 Umschlag Rückseite: Glasgemälde Jona und der Wal, S. 6 © Universalmuseum Joanneum, 2016 Für fachliche Auskünfte danken wir folgenden Kolleginnen und Kollegen: Maria Garlova, Eremitage, St. Petersburg Claudia Ekelhart-Reinwetter und Christof Metzger, Albertina, Wien Ernst Ebermann, Karl-Franzens-Universität Graz Ulrike Hausl-Hofstätter, Ursula Stockinger und Peter Sackl, Zoologie, UMJ www.altegalerie.at
Wunder Tier 1 Motiv und seine Bedeutungen Dem Jahresmotto des Joanneums 2016 folgend, widmet auch die Alte Galerie ihren Themenschwerpunkt den Tieren. Seit jeher war das Tier für den Menschen ein wichtiger Teil seines Lebens und seiner Existenz. In den ausgestellten Kunstwerken wird diese Beziehung deutlich. Die Palette der Tierdarstellungen reicht vom Guten und Bösen über das Nützliche und die Schönheit bis zum Studienobjekt. Einzelne Tiere werden in ihrer Symbolik und Bedeutung vom Mittelalter bis in die Neuzeit vorgestellt, andere in einem historischen oder erzählerischen Zusammenhang präsentiert. Themen wie Heiligenlegenden, die Schöpfungsgeschichte, das Tierstillleben und das Hirtenbild zeigen die große Bandbreite der künstlerischen Darstellungen. Bei Ihrem Besuch in der Alten Galerie finden Sie eigens gekennzeichnete Kunstwerke, auf die sich dieses Begleitheft bezieht. Erstmals ist auch eine Graphikvitrine in die Dauerausstellung integriert. Nachdem Arbeiten auf Papier nicht länger als zwölf Wochen dem Licht ausgesetzt werden dürfen, werden die Blätter im Laufe des Jahres zweimal ausgetauscht werden.
Schloss Eggenberg Alte Galerie 26. März bis 30. Oktober 2016
Tiere als Verkörperung von Gut und Böse im Mittelalter Die bildende Kunst des Mittelalters diente der Verherr lichung Gottes und seiner Schöpfung. So wie alles auf Erden, wurden auch die Tiere als ein Abbild der Schönheit Gottes verstanden. Dies führte zu einer symbolischen Naturauslegung, wobei die Tiere mit christlichen Tugen den oder Christus selbst in Verbindung gebracht wurden. Im sogenannten Physiologus, einem aus Alexandrien stammenden Text des 2. Jahrhunderts n. Chr., wurde diese Betrachtungsweise erstmals verschriftlicht. Der anonym gebliebene Verfasser liefert darin die Beschrei bung und frühe christliche Deutung von ausgewählten Tieren in griechischer Sprache: Die Taube zum Beispiel, der fünf von 48 Abschnitten des Physiologus gewidmet sind, verweist dort auf die Liebe Gottes, der Elefant auf das göttliche Gesetz. Auch Wunderwesen wie das Ein horn und das Seeungetüm „Säge“ werden aufgezählt. In der Folge übernahmen die sogenannten Bestiarien und enzyklopädische Naturkundewerke die Verbreitung des immer größer werdenden zoologischen Wissens. Von den guten Tieren In der mittelalterlichen Ästhetik war all das gut und schön, was Gott gefällt oder ihm zu gefallen sucht. Von den Tieren waren es vorerst die mächtigen und starken, die eine wichtige Rolle im christlichen Glauben überneh men. So zählen der Löwe, der Stier und der Adler zu den ältesten und aussagekräftigsten Tiermotiven des Chris tentums. Sie wurden den Evangelisten Markus, Lukas und Johannes als Attribute zugeordnet. In dieser Eigenschaft sind sie geflügelte kosmische Lebewesen, die in den Visio nen des Ezechiel und des Johannes (Apk 4, 1–11) ihren frühen Ursprung haben. Ihre kanonische Zuteilung an die Evangelisten geht auf den heiligen Hieronymus zurück, zuvor existierten allerdings schon verschiedene Zuwei sungen vonseiten anderer Kirchenväter (zum Beispiel wurde der Löwe von Augustinus an Matthäus vergeben).
Hl. Florian wird von einem Adler bewacht Steiermark Um 1490 Tempera auf Holz, 84 × 86,5 cm Raum 4
2
Die Evangelistensymbole werden häufig als Zeichen der vier wichtigsten Lebensstadien Christi gedeutet, wobei der auf Matthäus bezogene Mensch auf das erste große Ereignis, die Inkarnation (Menschwerdung), verweist. Der Stier ist im jüdischen Glauben ausschließlich ein Opfertier und wird
gedanklich mit dem Opfertod Christi in Verbindung gesetzt. Der Löwe ist dank seiner Stärke und Macht zum Sinnbild für den auferstandenen und siegreichen Christus geworden. Der Adler gehört mit seiner großen Spannweite zu den majestätischen Symbolen der Liebe Gottes. Als solches brei tet er schützend seine Flügel über Märtyrer, die wegen ihres Glaubens zu Tode gekommen sind wie der heilige Florian. Stier und Löwe als Vertreter für die Evangelisten Lukas und Markus sind auch auf den Vorderseiten des ThomasBecket-Altars zu sehen. Die Tiere ruhen majestätisch auf einem Wiesengrund und sind für die Bildfläche überdi mensional proportioniert. Ihr Blick ist eigenartig ver menschlicht – ein durchaus beabsichtigter Eindruck, der beim Markus-Löwen durch die Haupt- und Barthaare noch intensiviert wird. Die aufgeschlagenen Bücher sind detailgetreu wiedergegeben und weisen auf die Bedeu tung der Worte der Evangelien hin.
Evangelistensymbole Stier und Löwe Michael Pacher (Bruneck, um 1430/35 – Salzburg, 1498), Umkreis Um 1470/80 Tempera auf Zirbenholz, je 44 × 43,5 cm Raum 7
Geburt Christi mit Ochs und Esel Steiermark Um 1490 Tempera auf Holz, 84 × 86,5 cm Raum 4
Weil der Löwe seine große Macht auch negativ ausspielen konnte, ist seine Symbolik doppeldeutig: Der räuberische und reißende Löwe wird in der mittelalterlichen Kunst, etwa in der Portalplastik, oft zu einem Sinnbild des Satans. Im Leben Jesu spielen Haustiere eine besondere Rolle. Ochs und Esel gehören seit dem 4. Jahrhundert zu den traditionellen Geburtsdarstellungen, obwohl nur das apo kryphe Evangelium des Pseudomatthäus von ihnen berichtet. Die Tiere beten bekanntlich das Kind in der Krippe an und wärmen es mit ihrem Hauch. Als erste Zeugen der Menschwerdung Christi sind sie symbolhaft für das Judentum (Ochse als Opfertier) und das Heiden tum (Esel als Reitertier der Mythologie) zu verstehen. Seit Franz von Assisi stehen der Ochs und der Esel für das gesamte Tierreich, das Christus huldigt. Der Esel gilt seit der Antike als faul, störrisch und dumm. Diese Geringschätzung führte dazu, dass er im Mittelalter zum Symbol für Trägheit, Wollust und zum Reittier der Synagoge wurde. Im Gegensatz dazu wird der Esel in den biblischen Erzählungen als Besitz und Reittier der Rei chen und Herrschenden positiv bewertet. Christus beauf tragt zu Beginn der Passionswoche zwei Jünger, eine Eselin mit ihrem Füllen zu holen, um damit in die Stadt Jerusalem einziehen zu können (Mt 21, 7). Auch der vom Charakter her gutmütigere Maulesel, eine Kreuzung aus Pferdehengst und Eselstute, ist ein wichtiger Helfer beim Erlösungswerk. Er unterscheidet sich vom Esel durch 3
seinen Pferdeschwanz und seine Stimme. Er bringt die Heilige Familie nach der Geburt Christi nach Ägypten, wo sie vor den Verfolgungen durch König Herodes sicher ist. Ein mittelalterliches Tafelbild zeigt Maria mit dem einge wickelten Kind im seitlichen Sitz auf dem Tier reitend. Josef führt es dem Weg entlang rund um einen Felsblock, der sich unvermittelt in der Natur erhebt.
Flucht nach Ägypten Meister von Uttenheim (tätig in Brixen von 1450 bis 1490) Um 1470 Tempera auf Holz, 43 × 41,5 cm Raum 4
Die ikonographische Geschichte des Rindes hat eine ebenso lange Tradition. In Sagen und Legenden, die bis in die Antike zurückgehen, wird von Ochsen erzählt, die sich nach einem langen Weg ermattet niederlegen. Dies wurde als göttliches Zeichen gedeutet, dass an dieser Stelle ein Heiligtum errichtet werden sollte. Auch die christliche Florianslegende berichtet von einem Ochsen paar, das die Leiche des Heiligen auf einem Karren zieht und an einer wundertätigen Quelle Stärkung findet. Dar über soll das Stift St. Florian errichtet worden sein. Die Taube hat in der christlichen Ikonographie eine zent rale Bedeutung als Christus- und Friedenssymbol sowie als Erscheinungsform des Heiligen Geistes. Ein in der Gotik besonders geschätztes Motiv ist die Taube in der Hand des Jesuskindes, die auf seine künftige Geisttaufe hinweist, wie bei der Admonter Madonna.
Witwe Valeria und die Leiche des hl. Florian Steiermark Um 1490 Tempera auf Holz, 84 × 86,5 cm Raum 4
Admonter Madonna (Detail) Oberrhein Um 1300/10 Holz, gefasst, Höhe 144,5 cm Raum 2
4
Im jüdischen Glauben wurden Tauben als Opfertiere ver wendet, wie dies für das Fest der Darbringung im Tempel überliefert ist: 40 Tage nach der Geburt mussten die Knaben mit einem Dankopfer in den Tempel gebracht werden. Konnten sich die Eltern kein Opferlamm leisten, dann wurden zwei Tauben oder Turteltauben (3. Mose, 12) dem Priester überreicht, eine zum Brand-, die andere zum Sündopfer. Zoologisch gesehen gehören auch die Turteltau ben zu den echten Tauben, die im Mittelalter zahlreich gezüchtet wurden. Das abgebildete Taubenpaar auf dem gotischen Altarbild hat zwar ein unnatürlich struppiges Federkleid, wird aber tatsächlich farblich unterschieden. Es wird von der Prophetin Hanna überbracht, während Maria und Josef das Jesuskind am Altar darbieten. Vögel haben prinzipiell große Bedeutung in der christ lichen Symbolik, da ihr Lebensraum die Lüfte sind und sie wie Christus dem Licht entgegenfliegen. Viele Arten werden mit Christus selbst gleichgesetzt, wie etwa der Phönix, der aus seiner Asche aufersteht, oder mit positi ven Deutungen auf ihn bezogen (zum Beispiel der Wiede hopf, der seine Eltern pflegt).
Darbringung im Tempel (Detail) Steiermark/Kärnten Um 1425–30 Tempera auf Holz, 75 × 72 cm Raum 4
Die Jagd auf Tiere wurde im christlichen Mittelalter in Zusammenhang mit Heiligenlegenden thematisiert. Eus tachius, ein römischer Feldherr, trifft zum Beispiel auf einen Hirsch, in dessen Geweih der Gekreuzigte erscheint und der so die Bekehrung des Heiden herbeiführt. Dem heiligen Ägidius (gest. 720), der als Einsiedler in der Pro vence lebte und sich von der Milch einer Hirschkuh ernährte, werden seit dem 15. Jahrhundert eine Hindin (= weiblicher Hirsch) und ein Pfeil als individuelle Attri bute beigegeben. Der Pfeil bezieht sich auf einen Jagdun fall, bei dem Ägidius der Legende nach vom Gefolge des Westgotenkönigs Wamba angeschossen wurde. Dieser hat als Wiedergutmachung die Klostergründung St-Gilles in der Provence gefördert, wo Ägidius zum ersten Abt ernannt wurde. Er gehört zu den volkstümlichsten Heili gen des Mittelalters und wurde als Nothelfer bei Unfruchtbarkeit, Aussatz und Epilepsie angerufen. Er ist Patron der Bogenschützen, Pferdehändler und vieler europäischer Städte wie Toulouse und Nürnberg sowie Landespatron von Kärnten und der Steiermark. Von den bösen Tieren Auch das Böse und das Hässliche hatten ihren festen Platz in der gottgewollten universalen Ordnung. Nach Augustinus wird erst durch sie das Gute und Schöne der Schöpfung ersichtlich. Einige Tiere wurden mit negativen Eigenschaften versehen, da sie nach christlicher Vorstel lung das Böse auf die Welt brachten. Hinzu gehört in erster Linie die Schlange, die im Paradies das erste Men schenpaar dazu verführt, von den verbotenen Früchten zu essen, und die seit damals ihrer positiven Merkmale beraubt wurde.
Hl. Ägidius mit Hindin Altartafel mit den 14 Nothelfern (Detail) Steiermark Um 1500 Tempera auf Holz, 133 × 114 cm Raum 7
Der Drache wird zur Symbolfigur des Bösen und des Teufels schlechthin. Die Schlange leiht dem Fantasie wesen ihre Gestalt. Diese wird durch Flügel, Raubtier pranken, Hörner, Rückenkamm, Feuerzungen und andere Zutaten monsterartig entstellt. Nur christlichen Streite rinnen und Streitern gelingt es, das Untier zu besiegen und niederzustrecken. Zu den bekanntesten Drachen tötern zählt der Erzengel Michael. In einem eindrucksvol len Bildwerk der Alten Galerie kniet er auf dem Drachen und holt mit dem Schwert zum tödlichen Schlag aus. Diesem Bildtypus liegt der Sieg Michaels über den apoka lyptischen Drachen zugrunde, wie es in der Offenbarung des Johannes (Apk 12, 7ff.) geschildert wird. In seiner 5
egs Unter w
Hl. Michael mit dem Drachen Steiermark Um 1430–40 Holz, Höhe 110 cm Raum 7
Linken hat Michael ursprünglich die Seelenwaage gehal ten, die mit der Vorstellung verbunden ist, dass der Erzengel die Seelen vor dem Teufel rettet und sie himmel wärts trägt. Seine zarten Züge stehen im krassen Gegen satz zu dem Drachenkopf, dessen Zunge aus dem gefletschten Maul herausragt. Solche grausamen Szenen wurden im Mittelalter nicht tabuisiert, sondern gerne zu dramatisch-anziehenden Themen gestaltet. Weitere berühmte Drachenkämpfer sind der heilige Georg, der nach der Legenda Aurea eine Königstocher in der Stadt Silena in Lybia vor dem Drachen rettet. Die heilige Margarete führt den gedemütigten Drachen meist an der Leine, nachdem sie ihn mit dem Kreuzeszeichen gezähmt hat. Der Wal, der den Propheten Jona verschlingt (Jona 1–2), spielt eine wichtige Rolle in der typologischen Bibelaus legung. Drei Tage und drei Nächte musste Jona im Bauch des Ungeheuers verbringen, weil er sich der Sendung nach Ninive widersetzt hat. So wurde er zu einem Vorbild Christi. Die Gestaltung des Tieres mit dem Gebiss und Körper eines Raubfisches, wie dies in der Glasscheibe aus St. Lambrecht geschehen ist, entspricht dem Physiologus. Dort ist die Rede von einem riesenhaften, teuflischen Walfisch, der die Schiffer in das Höllenfeuer reißt. Die heutige Bibelforschung vermutet hinter der JonaGeschichte einen Hai. Die Menschen im Mittelalter glaubten an die Existenz von Dämonen im Sinne von bösen Geistern. Vor allem Tiere, die die Menschen oder ihre Ernten bedrohten (zum Bei spiel Maikäfer), wurden dämonisiert und sogar in gericht lichen Prozessen verurteilt.
Jona und der Wal (Detail) Meister der St. Lambrechter Scheiben Um 1440 Glasmalerei, 71 × 42 cm Raum 3
Teufelsaustreibung Sog. Kleiner Mariazeller Wunderaltar (Detail) Donaulande Dat. 1512 Tempera auf Holz, 39,5 × 49,5 cm Raum 7
6
Waren Menschen von Dämonen besessen, dann wurden diese von Exorzisten ausgetrieben. Auf Tafelbildern wie den beiden vielteiligen Wunderaltären von Mariazell sehen wir, wie psychisch Kranke mithilfe von Kreuzzei chen oder anderen religiösen Mitteln von vielen kleinen tiergestaltigen Wesen befreit werden. Es sind meist schwarze Insekten – darunter Spinnen, Skorpione und Ameisen –, teilweise mit Fledermausflügeln, die aus den Mündern der Besessenen fahren. Dass gerade Insekten und Kleingetier dem diabolischen Bereich zugezählt werden, ist weiter nicht verwunderlich. Schon Augustinus gesteht, dass er nicht weiß, weshalb Mäuse und Frösche, Fliegen und Würmer überhaupt erschaffen worden sind (De genesi contra Manichaeos I 16, 25f.).
Tiermotive in neuzeitlicher Malerei Die Erschaffung der Tiere
Teodoro Ghisi (Mantua, 1536 – Mantua, 1601) Apostolisches Glaubensbekenntnis (Detail: Schöpfungsgeschichte) Bezeichnet: Theodorus Ghisius Mantuanus fecit 1588 Öl auf Leinwand, 221,5 × 177 cm Raum 9
Die Schöpfungsgeschichte steht im Zentrum des Apostolischen Glaubensbekenntnisses von Teodoro Ghisi. Gottvater hat bereits die Erde mit allen Geschöpfen entstehen lassen. Mit Sorgfalt schildert Ghisi die verschiedensten Tiere im Paradies und platziert die exotischen Arten in der Mitte. Er hat sich dabei an einem berühmten handschriftlichen Tierbuch orientiert, dessen Autor Pier Candido Decembrio (1399–1477) ist und das vor 1530 von einem unbekanntem Maler illustriert wurde (Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Urbinas Latinus 276). Am Beispiel der Giraffe lässt sich das Vorbild gut ablesen: Die Löwen, die friedlich mitten unter Tieren ruhen, die sie eigentlich fressen, sind nach Jesaja 11,6 f. als Hinweis auf die paradiesische Eintracht zu verstehen. Der Sündenfall kündigt sich in der sich selbst umwindenden Schlange am linken unteren Bildrand an. Sie wird Eva dazu verlocken, den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu pflücken. Damit ist sie Sinnbild für listige Verführung und Sünde. Die Tiere im Vordergrund kann man auf das erste Menschenpaar beziehen: Die Katze bedeutet sexuelle Lust oder auch Liebreiz und unvergäng liche Lebenslust. Die Hasen werden mit Fruchtbarkeit, der Hahn mit dem Geschlechtstrieb in Zusammenhang gebracht. Der hinter Adams Kopf erscheinende Bär bezieht sich ebenfalls auf die menschliche Begierde oder Zorn. Ganz in Bildmitte befindet sich ein Lamm als Vorausschau auf die kommende Erlösung des Menschen durch Christus.
7
Das Pferd
König Ludwig I. auf einem Schimmel Votivtafel von St. Lambrecht (Detail) Um 1430 Tempera auf Holz, 79 × 165,5 cm Raum 2
Francesco Simonini (Parma, 1686 – Venedig oder Florenz, 1753 oder 1755) Offizier zu Pferde im Luchspelz Öl auf Leinwand, 98,5 × 81,3 cm Raum 7a
Philips Wouwerman (Haarlem, 1619 – Haarlem, 1669) Kavallerie mit Tross (Detail) Bezeichnet: PHL. (ligiert) W. Öl auf Holz, 33 × 40,5 cm Raum 14
8
Das Pferd findet erst seit Hrabanus Maurus (780–856) Eingang in das christlich ausgelegte Schrifttum. Als Reit tier symbolisiert es die Kirche bzw. ihre Glaubensstreiter sowie die Himmelfahrt der Seelen. Erst im Zusammen hang mit der Idee des Ritters, der den Kampf gegen die Bedrohungen des Christentums aufnimmt, ist es zu einem unverzichtbaren Herrschaftszeichen geworden. Eine nochmalige Erhöhung erfährt das weiße Pferd, der Schimmel, der eine Insignie des siegreichen Herrschers ist und das gute Prinzip verkörpert. In diesem Sinne ist auch der Schimmel auf der Votivtafel von St. Lambrecht zu verstehen, der mit seinem Reiter, König Ludwig von Ungarn, als Idealbild des siegreichen Christentums gegen die barbarischen Ungläubigen gesehen werden kann. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit hatten Pferde für gehobene Gesellschaftsschichten eine enorm große Bedeutung. Hoch zu Ross präsentierten sich Würdenträ ger, viele Pferde vor die Kutsche spannen zu können, hieß, Reichtum und Macht zu demonstrieren. Nicht umsonst waren Reiterdenkmäler seit der Antike ein zen trales Thema der Kunst, das in Renaissance und Barock zur Blüte gelangte. Der Zucht edler Pferde galt die Leiden schaft vieler Könige und Adeliger. In der Symbolsprache des Barock wird das Pferd mit edler Haltung und Erzie hung der Jugend in Verbindung gebracht. Als Nutztiere hatten Pferde im Krieg einen hohen Stellenwert. Von ihnen hing zum Großteil der Ausgang von Schlachten ab. Francesco Simonini lässt in seinem Gemälde Offizier zu Pferde sowohl den Offizier als auch das Reittier beinahe in monumentaler Präsenz erscheinen. Der Reiter, dessen Justaucorps (Rock) mit kostbarem Pelz gefüttert ist, trägt Degen und Kommandostab. Locker lenkt er das Pferd mit den Zügeln. Dieses entspricht den Idealen, die für das Pferd im Barock angestrebt wurden: zum einen die weiße Färbung, zum anderen der Ramskopf, den eine deutlich nach außen gebogene Nasenpartie auszeichnet. Unter den niederländischen Pferdemalern ragte beson ders Philips Wouwerman hervor. Schon zu Lebzeiten konnte er seine Gemälde zu Höchstpreisen verkaufen. Er verstand es, Pferde in äußerst natürlicher Bewegung darzustellen.
Hirtenidylle
Philipp Peter Roos, gen. Rosa da Tivoli (Frankfurt a. M., 1657 – Rom, 1706) Hirtenmädchen mit Herde Öl auf Leinwand, 72,3 × 96 cm Raum 12
Nach dem Dreißigjährigen Krieg, der Deutschland in großer Not hinterlassen hatte, kamen besonders Gemälde von Haustieren, vor allem in Verbindung mit Hirten, in Mode. Der Pfälzer Johann Heinrich Roos (1631–1685) und sein Sohn Philipp Peter Roos, gen. Rosa da Tivoli, waren die beliebtesten Schöpfer derartiger pastoraler Gemälde. Johann Heinrich konnte das Hirtenbild in Amsterdam kennenlernen. Dem Holländer Paulus Potter (1625–1654) wird die Erfindung des Hirtenstückes zuge schrieben, in dem die Tiere in ursprünglicher Natürlich keit auf der Weide geschildert werden. Rosa da Tivoli widmete sich fast vollständig der Tiermale rei und übertraf seinen Vater an Berühmtheit. Adelshäu ser bis Russland und Schweden suchten seine Gemälde für Herrenhäuser und Landsitze zu erwerben, oft wurde er kopiert. Das Leben des Künstlers ist von einer romanti schen Note geprägt. Zunächst finanzierte ihm Landgraf Ernst von Hessen-Kassel 1677 eine Studienreise nach Rom, wo er offenbar die Landschaftsgemälde von Salvator Rosa und Gaspar Dughet kennenlernte. Angeb lich bewohnte er in der Nähe von Tivoli ein großes bau fälliges Haus und hielt Herdentiere, die er zeichnete. Mitglieder der niederländischen Schildersbent (Malerver einigung) sollen diesen Wohnort als „Arche Noah“ ver spottet haben. Er selbst wurde wegen seiner Schnellmalerei „Merkurius“ genannt.
Philipp Peter Roos, gen. Rosa da Tivoli (Frankfurt a. M., 1657 – Rom, 1706) Junger Stier mit Ziege und Schaf (Detail) Öl auf Leinwand, 120 × 146 cm Raum 12
Mit großer Kunstfertigkeit setzt sich Rosa da Tivoli mit Tier und Mensch auseinander: Es ist, als ob wir direkt vor dem jungen Stier oder den Ziegen und Schafen auf der Wiese lägen und sie gerade im Dösen gestört hätten. Zwi schen dem Hirtenmädchen und dem Vieh ist eine natürli che Verbindung fühlbar. In ärmlicher und schmutziger Kleidung, mit groben Gesichtszügen, gebräunt und mit struppigem Haar wird das Kind völlig ungeschönt beschrieben. Der oftmals gelobte Maler variierte seine Tierstudien gerne für mehrere Gemälde. So gibt es zum Beispiel in der Eremitage, St. Petersburg, einen sehr ähnlichen Jungen Stier mit Ziege und Schaf von ihm.
9
Jagdstücke
Jan Fyt (Antwerpen, 1611 – Antwerpen, 1661) Enten im Uferschilf von Hunden angegriffen Öl auf Leinwand, 115 × 169,5 cm Raum 12
In der Jagd kommt die Inbesitznahme des Tieres durch den Menschen am deutlichsten zum Ausdruck. Die Jagd war seit dem späten Mittelalter in den meisten Ländern Europas ein Privileg des Adels. Eine Ausnahme bildeten die Niederlande, wo auch das gehobene Bürgertum jagen durfte. Vor allem in diesen Ländern entwickelte sich eine spezielle Tiermalerei. Oftmals sind Tiere als Jagdbeute oder Schlachtvieh das Thema. Die Schönheit von Gottes Kreatur wird uns vor Augen geführt, das Angebot von Nahrung wird gelobt, gleichzeitig jedoch die Vergänglich keit des Lebens aufgezeigt. Die enge Verknüpfung von Sinneseindrücken wird von diesen Künstlern auf die Spitze getrieben: Sie verstehen es hervorragend, die Materialität auf die Leinwand zu bannen, sodass wir meinen, die Felle, Federn, Klauen etc. regelrecht fühlen und die Tiere riechen zu können. Einer der bedeutendsten Tiermaler Flanderns war Jan Fyt. In der Frühzeit stand er im Einfluss von Frans Snyders, in dessen Atelier er sehr wahrscheinlich gearbei tet hatte. Fyt spezialisierte sich auf Jagdstücke. Dabei erfand er Stillleben mit totem Wild, das von lebenden Tieren – Hunden, Katzen, Papageien – begleitet wird. Manchmal ordnet er es im Freien an. Solche Gemälde erfreuten sich im 17. Jahrhundert großer Beliebtheit. 10
In diesem Jagdstück schildert Fyt sehr anschaulich, wie Jagdhunde Wasservögel im Uferschilf aufstöbern. Er zeigt sich als genauer Beobachter der verschiedenen Arten: Eine Brandgans ist oben auszumachen, sitzend in der Mitte sind domestizierte Moschusenten identifizierbar, links im Wasser ein Mittelsägermännchen. Die beiden Vorstehhunde stürmen mit aller Kraft heran. So wird größtmögliche Unmittelbarkeit und Dramatik hervorgerufen.
Franz Werner Tamm (Hamburg, 1658 – Wien, 1724) Jagdstillleben Bezeichnet: Fr..z W. Tam fe. A° 1716 Öl auf Leinwand, 96,7 × 133,4 cm Raum 12
Philipp Ferdinand de Hamilton (Brüssel, um 1667 – Wien, 1750) Sperber, einen Stieglitz schlagend Bezeichnet: Philip F. de Hamilton = S. R. M. C. p. 1743 Öl auf Leinwand, 63,5 × 71,5 cm Raum 12
Auch Franz Werner Tamm strebt in seinem Jagdstillleben nach möglichst großer Wirklichkeitsnähe. Die erlegten Tiere sind vor einem Baumstamm abgelegt und leicht zu erkennen: In der Bildmitte dominiert das Reh, umgeben von einem Fasanenpaar, Specht, Eichelhäher, Finken und Rebhuhn. Eine Blauracke fällt mit ihrem charakteristisch gefärbten Gefieder auf. Tamm ist ein Meister in der Schil derung von Fell und Federkleid der Tiere. Auch sein Talent als Blumenmaler offenbart sich in der Windenblüte rechts oben. Tamm, der aus Hamburg stammte und in Rom wichtige Impulse erhielt, konnte seine Gemälde international gut verkaufen. Nachdem er zunächst Historien und Porträts gemalt hatte, war er mit seiner Spezialisierung auf Blumen- und Früchtestillleben sowie Jagdstücke sehr erfolgreich. Schließlich wurde er von Kaiser Leopold I. nach Wien berufen. Philipp Ferdinand de Hamilton war gebürtiger Brüsseler und entstammt einer schottischen Familie. Ab 1705 ist er als Kammermaler von Kaiser Joseph I. in Wien nachweis bar, wo er den Hof und Adelshäuser mit Jagd-, Tier- und Blumenstillleben belieferte. Er war somit ein Konkurrent von Franz Werner Tamm. Seine Spezialität ist die äußerste Präzision in der Darstellung von lebenden und toten Tieren. Als Lieferant von regelrechten Tierporträts, etwa von Prinz Eugens Zootieren, wurde er geschätzt. Allerdings haftet seinen akribischen Schilderungen auch etwas Starres an. Im Gemälde mit dem Sperber wollen verschiedene heimi sche Singvögel den raubenden Sperber vertreiben. Die Szenerie, die mit einigen genau bestimmbaren Vogelarten bestückt ist, könnte auch in der Natur so vorkommen.
11
Tierqual
Jan Peter van Bredael d. J. (Antwerpen, 1683 – Wien, 1735) Flusslandschaft mit Staffage Öl auf Kupfer, 39 × 54 cm Raum 15
Laut Genesis erhielten Adam und Eva die Tiere als ihre Untertanen: „Gott segnete sie [Adam und Eva] und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.“ Die Pflege, Zucht, aber auch Jagd und Verwertung der Tiere war für die Entwick lung der Menschheit von enormer Bedeutung. Anderer seits gab und gibt es Tierquälerei in allen Kulturen und zu allen Zeiten. Die beiden Tafelbilder von Jan Peter van Bredael d. J. präsentieren das Zusammenleben von Tier und Mensch im Barock. Die Volksbelustigung, in der das Tier öffentlich und in der Gemeinschaft der Jahrmarkt besucher gequält wird, ist als besonders negative Art, sich das Tier zu unterwerfen, zu betrachten. Jan Peter van Bredael d. J. war ein flämischer Maler von Schlachten, Jagdstücken, Blumenstillleben und Land schaften mit reicher Staffage. Er verbrachte einige Lebenszeit in Prag und Wien.
Jan Peter van Bredael d. J. (Antwerpen, 1683 – Wien, 1735) Jahrmarkt Bezeichnet: van. Breda 1715 Öl auf Kupfer, 35 × 52,5 cm Raum 15
12
Die beiden Landschaften sind mit reicher Staffage ausge stattet. Einmal tummelt sich viel Volk an einem Fluss. Mit offensichtlicher Begeisterung wird das Nebeneinander von Tätigkeiten geschildert: das Tränken von Pferden und Vieh, Baden und Spiel der Kinder, die Heimkehr eines Jägers. Das Treiben auf dem Jahrmarkt reicht von einer Theaterbühne bis zu einem Wirtshaus. Rechts, zwischen den beiden Bäumen, belustigen sich die Menschen bei einem äußerst grausamen Spiel, dem sogenannten „Gän seziehen“ (auch „Gänseschlagen“, „Gänsereiten“ u. a.). Eine lebende Gans ist an den Beinen an das Seil zwischen den Bäumen gebunden. Ein Mann, der auf einem Fass sitzt, das von einem Pferd gezogen wird, versucht, die Gans bzw. ihren Kopf zu erhaschen und herunter zu reißen. Gelingt es ihm, gehört sie ihm. Dieses tierquäleri sche Spiel wurde fast in ganz Europa ausgeführt. In den wenigen Gebieten, wo es heute noch gemacht wird, wird nach einer toten Gans geschlagen. Am Haus am rechten Bildrand ist auch die Zucht von Vögeln zu beobachten. Sie werden mit einem Brett, Käfig und Tongefäßen an der Mauer dazu angelockt, hier zu nisten. So können ihre Jungen leicht zum Verzehr entnommen werden.
Naturstudien
Franz Michael Siegmund Purgau d. Ä. (Linz, 1678 – Wien, 1754) Stillleben mit Mohnblumen Öl und Tempera auf Holz, 18 × 24 cm Raum 12
Die beiden kleinen Stillleben bezeugen das Interesse, das man im 18. Jahrhundert der Natur entgegenbrachte. Purgau, der vermutlich seine Kinder Maria Juditha Maximiliana und Franciscus Josephus an diesen Arbeiten beteiligte, stellte hier sehr ansprechende Ausschnitte von Wiesen mit Pflanzen und Kleintieren zusammen. Er knüpft damit an Traditionen aus Renaissance und Barock an – etwa Albrecht Dürers Rasenstücke sowie niederlän dische Vorbilder wie die Waldbodenstillleben von Otto Marseus van Schrieck (um 1619/20–1678). Die Insekten erweisen sich bei genauerer Betrachtung als Fantasiepro dukte. Purgau hat vermutlich keine eigenen Tierstudien vorgenommen, sondern sich an graphischen Vorlagen ori entiert. Kupferstiche von Wenzel Hollar (1607–1677), einem äußerst ertragreichen Entwerfer solcher Insekten studien, könnten ihm dazu gedient haben.
Wenzel Hollar (Prag, 1607 – London, 1677) Schnecke, Raupen und Larven rechts unten: WHollar fecit ex Collectione Arundeliana Ao 1646 aus der Serie: Muscarum Scarabeorum, Antwerpen 1646, Radierung, 8,2 × 12 cm Raum 12
Franz Michael Siegmund Purgau d. Ä. (Linz, 1678 – Wien, 1754) Stillleben mit Skabiose und Kleintieren Signiert: F:M:S: v. Purgau Fecit Öl und Tempera auf Holz, 18 × 24 cm Raum 12
13
Tierstillleben
Süddeutsch, Ende des 17. Jahrhunderts Fruchtstillleben mit Affe und Papagei Öl auf Leinwand, 57 × 84 cm Raum 16
Die niederländische Kunst brachte das Stillleben zu beson derer Blüte. Verschiedene Typen wurden entwickelt, die immer die Bedingtheit des menschlichen Daseins ausdrü cken. Häufig werden Köstlichkeiten gezeigt, die Adeligen und reichen Patriziern zur Verfügung standen. Ärmere hatten keinen Zugang zu derartigen Speisen. Trotzdem wird in Stillleben mit ausgelegten Tieren, Früchten und Backwaren die Natur gelobt, die scheinbar immerwährend für die Ernährung des Menschen sorgt. Im Fruchtstillleben mit Affe und Papagei, das eindeutig ein flämisches Vorbild hat, findet sich eine solche dekorative Präsentation von exotischem und einheimischem Obst mit orientalischem Porzellangeschirr in einer Parklandschaft. Ein Ungehaub ter Kapuzineraffe hat eine Frucht erhascht und frisst, wäh rend ihn ein Graupapagei beobachtet. Derartige Tierszenen sind sinnbildhaft gemeint: Der Affe, der dem Menschen ähnlich die Frucht halten kann, verdeutlicht den Tastsinn. Gleichzeitig wird ihm Gier, unangemessene Neugier, Geilheit und Boshaftigkeit zugeschrieben. Er zeigt somit die Verlockung zu weltlicher Sinnenlust auf, der Menschen ausgesetzt sind. Auch der Papagei ist als Hinweis auf die Torheit des Menschen, der sein Seelenheil vernachlässigt, zu verstehen. Vor dem Tod in Sünde warnen auch die schnell welkenden Blumen. Das mensch liche Sein ist endlich und bedarf der Buße. 14
Das Tier als Sinnbild für das Böse
Pieter II Stevens (Mecheln, um 1567 – Prag, um 1624) Christus als Guter Hirte Öl auf Kupfer, 21,3 × 27 cm Raum 13
Giacomo Francesco Cipper, gen. Todeschini (Feldkirch, 1664 – Mailand, 1736) Scherenschleifer und Wahrsagerin Öl auf Leinwand, 226 × 180 cm Raum 17
Der als Hofmaler von Kaiser Rudolf II. bekannte Pieter Stevens malte mehrere Bilder mit religiöser, bäuerlicher und Landschaftsthematik in der Tradition Bruegels. In dieser kleinen Tafel ist der Bezug zur Bibel offenkundig: Jesus ist nicht nur mit Hirtenhut und -stab, sondern auch mit einem Nimbus ausgezeichnet. Er bekämpft den schwarzen Wolf, der ein Lamm gerissen hat. Im Mittel grund dagegen hütet ein Hirte eine Herde, von der gerade einzelne Tiere weglaufen. Eindeutig lässt sich diese Szene mit Joh 10, 1–16 in Verbindung bringen, in der Jesus sagt: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. […] Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, lässt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander.“ Mit dem Schaf ist der Gläubige gemeint, mit dem Wolf das Böse. Es ist bezeich nend, dass er schwarz gefärbt ist. In vorchristlichen Zeiten konnte der weiße Wolf positive Bedeutung haben. Giacomo Francesco Cipper, ein gebürtiger Vorarlberger, reüssierte in Mailand mit seinen Genrebildern und Still leben. Gemälde mit dem Leben der armen Leute waren seine Spezialität. In der Nachfolge von Caravaggio sowie Adriaen Brouwer und anderen Niederländern entstanden derartige Szenen. Auch diese Themen wurden von zeit genössischen Adeligen für ihre Galerien gesammelt. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein junger Mann, dem eine Wahrsagerin aus der Hand liest. Eine zweite Frau hält ein Fläschchen mit einem vermeintlichen Liebes elixier hoch. Es ist offenkundig, dass ihm erotische Aben teuer in Aussicht gestellt werden. Vom Affen wurde schon im Mittelalter gemeint, dass er den Menschen nachahmt wie der Teufel Gott. Sowohl der Affe in der Nische als auch das Kind rechts vorne halten Äpfel hoch. Beim Kind bedeutet der Apfel Unschuld, beim Affen jedoch wollüs tige Sünde. Diese Konnotation wird von den Enten, die sexuelle Aktivität aufzeigen, unterstrichen.
15
Das Tier in antiker Mythologie
Cornelis de Vos (Hulst, 1584/85 – Antwerpen, 1651) Diana und Aktäon Datiert: 1623 Öl auf Leinwand, 117,5 × 157,5 cm Raum 8
Antike Mythen zählten in Renaissance und Barock zu den häufigsten Themen der Künste. Cornelis de Vos bezieht sich in diesem Gemälde auf die Metamorphosen von Ovid (3, 138–253). Dieses Thema erfreute sich im Barock äußerster Beliebtheit. Diana, die jungfräuliche Göttin der Jagd, wird vom Jäger Aktäon beim Bad mit ihren Gefährtinnen überrascht. Damit er nicht davon sprechen könne, sie nackt gesehen zu haben, verwandelt sie ihn in einen Hirsch. Seine Jagd hunde zerreißen ihn daraufhin. Diese Szene ist rechts im Hintergrund zu sehen. Die bei der Göttin stehenden Hunde dokumentieren die Zucht dieser Tiere im Flandern des 17. Jahrhunderts.
16
26.03.– 016 12.06.2
Aus dem Kupferstichkabinett Lasterhafte Tiere Heinrich Aldegrever zählt zu den sogenannten „Klein meistern“, einer Gruppe von deutschen Kupferstechern im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts, die vor allem im Kleinformat arbeiteten.
Heinrich Aldegrever (Paderborn, 1502 – Soest, 1555 bis 1561), Der Hochmut, links unten: Monogramm AG und datiert 1552, Radierung, 10,2 × 6,1 cm Raum 12
Der Streit zwischen Tugenden und Lastern geht auf eine Dichtung des christlichen Autors Prudentius am Anfang des 5. Jahrhunderts zurück, die sogenannte Psychomachia, was so viel bedeutet wie „Kampf der Seele“. Das Epos beschreibt die Schlacht in sieben Einzelkampfepisoden, die mit dem Sieg der Tugenden endet. So bezwingt unter anderem die Geduld den Zorn, die Tapferkeit die Feigheit und die Keuschheit die Wollust. Antiken Vorbildern fol gend, werden die personifizierten Eigenschaften von weib lichen Gestalten übernommen. Aldegrever hat sich in seinem Spätwerk zweimal mit diesem Thema auseinan dergesetzt. In seinem zweiten Zyklus 1552 fügte der Künstler eine aufwendige Zusammenstellung von Tieren ein. Die personifizierten Laster reiten auf Tieren, die ihnen symbolisch zuordenbar sind: der Hochmut auf einem sich aufbäumenden Pferd oder der Neid auf einem stacheligen Mischwesen. Oder sie sind gerade im Begriff, auf solche aufzusteigen: die Faulheit tritt den Esel. In ihren Händen halten sie ein Banner, das weitere symbolhafte Tiere zeigt. Jeweils in einer Ecke ist ein fantasievolles Wappen, beste hend aus Schild und Bekrönung, mit Tieren hinzugefügt.
Heinrich Aldegrever (Paderborn, 1502 – Soest, 1555 bis 1561), Der Neid, links oben: Monogramm AG und datiert 1552, Radierung, 10,3 × 6,2 cm Raum 12 Heinrich Aldegrever (Paderborn, 1502 – Soest, 1555 bis 1561), Detail aus Die Wollust Radierung, 10,2 × 6,2 cm Raum 12
17
15.06.– 016 04.09.2
Die Tierwelt bei Albrecht Dürer
Die Faszination der Kunst Albrecht Dürers (1471–1528) geht nicht zuletzt von seinen Tierdarstellungen aus. Wäh rend seiner Lehrzeit war er noch dem spätgotischen Stil verpflichtet. In der väterlichen Goldschmiedewerkstatt und beim Maler Michael Wolgemut (1434–1519) hat er das Arbeiten nach Musterbüchern kennengelernt. Diese Vorlagensammlungen wurden im Mittelalter lange Zeit von den Künstlern einer Werkstätte für Bilder verschie denster Themen verwendet. Dürers Tierstudien nach der Natur setzten mit seinem ersten Aufenthalt in Italien um 1494/95 ein. Dort war es schon länger üblich gewesen, Skizzen nach lebenden Tieren anzufertigen. Neben den konstruierten Proportionsskizzen sind gerade Dürers akribisch durchdachte Federzeichnungen weltberühmt. Diese Studienobjekte – wie z. B. ein Rasenstück oder der Feldhase – erhielten erstmals Raum für sich. Die Umge bung ist ausgespart, während das Dargestellte mit geziel ter Lichtführung an Bildhaftigkeit und Plastizität gewinnt. Es wird berichtet, dass Dürer selbst Tiere besaß und sie zeichnete. Er legte diese Studien nicht gezielt als Vorlagen an – vielmehr interessierte ihn das Erkennen und Erfassen der Natur. Dabei ging es ihm nicht um das reine Abbilden, sondern wie bei einem Porträt um das Widerspiegeln psychologischer und charakterlicher Eigenschaften. So lag bei den Tierbildern nicht der natur wissenschaftliche Aspekt im Vordergrund, sondern eine Wesenserfassung. In späteren Werken nahm Dürer diese Motive teilweise in seine Stiche und Gemälde auf. Albrecht Dürer (Nürnberg, 1471 – Nürnberg, 1528), Maria mit der Meerkatze, in der Mitte unten: Monogramm AD, um 1498, Kupferstich, 19,2 × 12,4 cm Raum 12
So verwendete Dürer kurz nach der ersten Italienreise für den Kupferstich Maria mit der Meerkatze eine seiner Naturstudien. Der in der Symbolik negativ behaftete Affe steht hier für den Sünder, der an die Kette gelegt wurde. Das Christuskind, der Überwinder der Sünde, lockt mit einem Saugbeutel einen Singvogel an. Dieser verkörpert die befreite Seele, die zum Himmel aufsteigt und zu Gott gelangt. In seinem Stich Adam und Eva von 1504 greift Dürer auf zahlreiche Studien zurück, befinden sich doch in dem Bild insgesamt acht Tiere. Elch, Rind, Hase und Katze ver körpern nach der mittelalterlichen Lehre die vier Tempe ramente: den Melancholiker, den Phlegmatiker, den
18
Albrecht Dürer (Nürnberg, 1471 – Nürnberg, 1528), Adam und Eva, Monogramm und Datierung auf der am Baum hängenden Tafel: ALBERT9 DVRER NORICVS FACIEBAT AD [= Dürermonogramm] 1504 (Albrecht Dürer aus Nürnberg schuf es), Kupferstich, 24,9 × 19,3 cm Raum 12
Sanguiniker und den Choleriker. Vor dem Sündenfall standen diese im Gleichgewicht zueinander und beein flussten den Menschen nicht. Danach gewannen sie laut der mittelalterlichen Mystikerin Hildegard von Bingen (um 1098–1179) Einfluss auf den Menschen, der sich je nach Gewichtung des Temperaments zur animalischen Triebhaftigkeit und Manipulation verleiten ließ. Der Papa gei, der der Szene demonstrativ den Rücken zukehrt, gilt als Sinnbild der Klugheit im Gegensatz zur listig verführe rischen Schlange. Die friedlich im Vordergrund zu den Füßen des Urelternpaares schlummernde Katze hat die Maus vor sich noch nicht wahrgenommen. Die beiden Tiere symbolisieren die Spannung zwischen den Geschlechtern und den Temperamenten sowie den Aus blick auf den Ausgang der unheilvollen Geschichte, die sich gerade über ihnen ereignet: das Ende eines idealen Urzustandes.
Albrecht Dürer (Nürnberg, 1471 – Nürnberg, 1528), Der verlorene Sohn, in der Mitte unten: Monogramm AD, um 1496, Kupferstich, 24,8 × 19,2 cm Raum 12
Schweine wurden seit jeher als unrein angesehen. Im Stich Der verlorene Sohn (Lukasevangelium 15, 11–32) sind sie gemeinsam mit dem büßenden jungen Mann pro minent in den Vordergrund gerückt. Der am Misthaufen scharrende Hahn und der links aus dem Bild schreitende Stier verweisen auf das sündhafte Leben des Sohnes, der sein Erbe u. a. im Bordell verprasste. 19
07.09.– 016 30.10.2
Die wissenschaftliche Tierdarstellung
Mit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit wurde sich der Mensch immer mehr seines Selbst bewusst und wandte sich verstärkt dem Diesseits zu. Damit waren humanistische Studien, Naturbeobachtung und ein neuer Forschergeist verbunden. Die Graphik stellte dafür das ideale Medium dar, dokumentierte sie doch die Entde ckungen fremder Länder und Kontinente inklusive deren Fauna und Flora. Deutsch, um 1600, Wasserfrosch, Aquarell, 3,1 × 3,8 cm Raum 12
Wenzel Hollar (Prag, 1607 – London, 1677), Schmetterlinge und Käfer, links unten: WHollar fecit ex Collectione Arundeliana, aus der Serie: Muscarum Scarabeorum, Antwerpen 1646, Radierung, 8,1 × 12 cm Raum 12
Art des Jacques de Sève (tätig um 1742– 1788), Stachelschwein, Feder in Grau, 7,6 × 6,3 cm Raum 12
Anonym, Stachelschwein (Detail) aus Encyclopédie Méthodique. Histoire naturelle des Animaux, Paris 1782, Radierung, 19 × 25,5 cm Raum 12
20
Die Wissenschaftler der Renaissance sahen ihre Aufgabe hauptsächlich darin, antike Schriften zu interpretieren. Es ist erstaunlich, dass der Beginn eines wissenschaftli chen Stils bei Tier- und Pflanzendarstellungen von Künst lerpersönlichkeiten wie Leonardo da Vinci oder Albrecht Dürer ausging. Die Zeichnungen zweier Wasserfrösche sind in der Art des Nürnberger Malers Dürer zu verstehen und stammen von einem unbekannten deutschen Künst ler um 1600. Das Interesse an enzyklopädischem Wissen setzte sich im 17. Jahrhundert fort. Naturwissenschaftliche Dokumenta tion und künstlerische Darstellung von Tieren und ande ren Naturalien lagen eng beieinander. Wenzel Hollar, einer der bedeutendsten Kupferstecher seiner Zeit, ging es stets um die wirklichkeitsgetreue Schilderung und Cha rakterisierung von Naturformen und Materialstrukturen. Dies beweisen auch zwei Blätter aus seiner zwölfteiligen Serie Muscarum Scarabeorum, die zoologisch identifizier bare Insekten zeigen. Seit der Renaissance versuchten Wissenschaftler, ein nachvollziehbares Klassifizierungssystem für Pflanzen und Tiere aufzustellen. Tatsächlich gelang das im 18. Jahrhundert erst dem schwedischen Naturforscher Carl von Linné. Im Gegensatz dazu lehnte George Louis Leclerc, Comte de Buffon, ein künstliches System ab und vertrat den Entwicklungsgedanken der Arten. Unter seiner Herausgeberschaft erschien ab 1749 in Paris die 36-teilige Publikation Histoire naturelle, générale et particulière. Die Vorzeichnung eines Stachelschweins entstand für eine Radierung des 1782 erschienenen ersten Bandes der Encyclopédie Méthodique, einer aktualisierten Aus gabe der Histoire naturelle.
Führungen und Veranstaltungen: Natur, Symbol, Mythos: Das Animalische in der Kunst Führung im Rahmen der Reihe „Bilderreisen“ Sonntag, 26.06., 14:30 Uhr Treffpunkt: Shop, Schloss Eggenberg Kosten: 2,50 €/Person (exkl. Eintritt) Keine Anmeldung erforderlich! Schweine, Meerkatze und Papagei. Die Tierwelt bei Albrecht Dürer Führung im Rahmen der Reihe „Bilderreisen“ Chefkuratorin Karin Leitner-Ruhe Sonntag, 28.08., 14:30 Uhr Treffpunkt: Shop, Schloss Eggenberg Kosten: 2,50 €/Person (exkl. Eintritt) Keine Anmeldung erforderlich! Open House Kuratorinnenführungen sowie Kinder- und Familienprogramm Sonntag, 07.08., 10–17 Uhr Eintritt frei Finissage zur Sonderausstellung „Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen“ Sonntag, 23.10., 10–17 Uhr Mit Führungen „Tiere in der Kunst“ in der Alten Galerie, 11 und 14 Uhr Treffpunkt: Shop, Schloss Eggenberg Kosten: 2,50 €/Person (exkl. Eintritt) Keine Anmeldung erforderlich! Weitere Führungen nach Voranmeldung: info-eggenberg@museum-joanneum.at 0316/8017-9560
www.altegalerie.at