Artothek Steiermark 2019

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Neue Galerie Graz

Artothek Steiermark 2019 Kunst aus dem Museum für zu Hause 08. 11. – 01. 12. 2019

Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum Joanneumsviertel, 8010 Graz T +43–316/8017-9100, Dienstag–Sonntag, 10–17 Uhr joanneumsviertel@museum-joanneum.at, www.neuegaleriegraz.at



Sehr geehrte Damen und Herren! Seit 2016 richtet die Neue Galerie Graz nunmehr jeweils im Herbst eine Artothek ein. Einige Wochen lang präsentiert sie auch in diesem Jahr eine Ausstellung mit einer Auswahl von Kunstwerken aus dem Museumsbestand, die das Publikum anschließend für zehn Monate gegen eine geringe Leihgebühr entlehnen kann. So wird interessierten Menschen die Möglichkeit geboten, sich über einen längeren Zeitraum hinweg mit qualitativ hochstehender Kunst auseinanderzusetzen, die sonst nur im Museum zu erleben ist. Originalwerke temporär im privaten Umfeld zu beherbergen, gibt allen Interessierten die Gelegenheit zu intensiver Begegnung mit der bildenden Kunst. Darüber hinaus ist die Artothek auch ein Beitrag zu einem meiner großen kulturpolitischen Anliegen: die Verbindung zwischen den Steirerinnen und Steirern und den Kulturinstitutionen unseres Landes weiter zu stärken und zu intensivieren. In der Hoffnung, dass Sie dieser tägliche Umgang mit Kunst im eigenen unmittelbaren Umfeld auch neugierig machen wird, weitere Ausstellungen im Museum zu besuchen, lade ich Sie herzlich ein, dieses Angebot anzunehmen und sich Ihr Kunstwerk auf Zeit mit nach Hause zu nehmen.

Christopher Drexler Landesrat für Kultur, Gesundheit, Pflege und Personal


Artothek Steiermark – Kunst aus dem Museum für zu Hause Nun ist die alljährliche Präsentation von Kunstwerken, die für ein interessiertes Publikum zur privaten Entlehnung bereitgestellt werden, fast schon zur Tradition geworden. Erneut wurden aus der Sammlung der Neuen Galerie Graz am Universalmuseum Joanneum Gemälde und Skulpturen ausgewählt, mit denen man sich im Rahmen der Artothek Steiermark zehn Monate lang zu Hause intensiv beschäftigen kann. Die Zusammenstellung der Werke folgt dabei einerseits der Struktur der Museumssammlung, andererseits will man den Interessierten eine möglichst große Bandbreite an internationalen und heimischen, an älteren und jüngeren, an prominenten und (noch) unbekannteren Künstlerinnen und Künstlern bieten. Auch die künstlerischen Richtungen sind historisch wie inhaltlich breit gestreut: Die expressive, gegenständliche Gestaltung ist etwa durch die Gemälde von Richard Larsen oder Werner Augustiner vertreten, während die Bilder von Walter Eckert, Friedrich Ehrbar, Bernhard Eisendle und Gerhard Lojen unterschiedliche Aspekte der Abstraktion bringen. Beide Strömungen wiederum stehen in starkem Kontrast zu den rational-konstruktiven Objekten von Walter Kaitna oder Ugo La Pietra. Der „Neuen Malerei“, die sich in der Sammlung der Neuen Galerie Graz mit umfangreichen Beständen qualitativ hochwertig repräsentiert findet, sind die Bilder von Gunter Damisch, Johannes Deutsch, Angela Flois und Alfred Klinkan zuzurechnen. Das Bild von ABLEO hingegen, die Fotodrucke von Bazon Brock oder die Bildserie von Helga Knöbl könnte man bei aller Unterschiedlichkeit unter dem Überbegriff einer konzeptionellen Kunst erfassen. Überlegungen zu Bild, Objekt und Skulptur finden sich in den Arbeiten von Róza El-Hassan, Dominique Figarella, Stefan Glettler und Heribert Michl umgesetzt. Die Idee von Artotheken ist nicht neu. Seit dem 19. Jahrhundert wurden sie, zunächst meist im Verbund mit Bibliotheken oder Buchhandlungen, mit der Intention eingerichtet, die Bildung zu befördern. Die repräsentative Ausstattung von Privaträumen stand dabei durchaus im Hintergrund. Vielmehr sollten die Artotheken zu einem intensiven Verständnis für Kunst bei einem breiten Publikum beitragen und dieses fördern. Heute bieten Museen, Galerien, Offspaces, Auktionshäuser und diverse andere Präsentationsorte wie Wirtschaftsunternehmen, Kanzleien oder gastronomisch-touristische Betriebe (von Hotels bis zu Thermalbädern) eine nahezu überreiche Palette an Möglichkeiten sowohl zur Präsentation als auch zur Rezeption unterschiedlicher Formulierungen von Kunst bzw. Nichtkunst. Grundsätzlich soll der kreative Anteil einer bzw. eines jeden von uns gefördert und nach


Möglichkeit auch weiterentwickelt werden. Dazu braucht es Urteilsvermögen, Qualitätsbewusstsein und vor allem Offenheit nicht nur in Bezug auf künstlerische Formulierungen. Das Museum als Institution, die sich genau mit diesen Fragen befasst, kann hier impulsgebend und als Korrektiv wirken. Verunsicherte Kunstkonsumentinnen und -konsumenten, Kunstbetrachter/ innen und Kunstliebhaber/innen werden solcherart unterstützt. Mit der Artothek Steiermark soll auch die Problematik vermindert werden, dass Kunst stets mit einer monetären Besserstellung zu tun haben muss. Die Kunst wie das Museum werden hier zu etwas sehr Niederschwelligem. Trotzdem bleibt die Möglichkeit der geistigen Auseinandersetzung gleichermaßen bestehen, so wie die Dimension des visuellen Genießens eine neue Qualität erfährt. In Zeiten der allgemeinen visuellen Flut ist eine derartige Aktivität des Museums durchaus als Taktik der Verlangsamung, der Entschleunigung zu begreifen. Nicht Beginn- oder Öffnungszeiten bzw. aufzusuchende Orte sind bestimmend für den Kunstgenuss, sondern der eigene Wohnbereich wird gleichsam zum Museum und bietet auch im gesellschaftlichen Zusammenhang eine reizvolle Perspektive. Der soziale Austausch im eigenen Haus wird so zu etwas Besonderem, vielleicht fällt auch das eine oder andere Mal ein Satz zur Kunst ganz allgemein oder zum geliehenen Kunstwerk im Speziellen. Einen derartigen Demokratisierungsprozess einzuleiten, ist für das Museum auch deswegen wünschenswert, weil es dadurch näher an sein Publikum herankommt und ihm die Bedürfnisse, Wünsche und Ansichten seiner Besucher/innen nähergebracht werden. Formen der Kunst im öffentlichen Raum – auch im medialen Raum – leisten Ähnliches, aber auf völlig unterschiedliche Art und Weise. Die Artothek konfrontiert nicht mit dem einen und ausschließlichen Kunstwerk, sondern erweitert die Partizipation um den Bereich der subjektiven Selektion. Die Möglichkeiten für die Connaiseuse, den Connaisseur sind in der Artothek der Neuen Galerie Graz ebenfalls in hohem Maße gegeben, sind doch sehr qualitätsvolle und prominente Werke zur Auswahl gestellt. Bereits getätigte eigene Sammelaktivitäten lassen sich so auch temporär ergänzen bzw. um wesentliche Aspekte erweitern. Die Anregung zu geben, sich eines Tages selber ein derartiges Kunstwerk zu kaufen, sollte die Artothek auch zu leisten imstande sein. Das Museum hat es sich grundsätzlich zur Aufgabe gemacht, seinem Publikum die Welt zu zeigen. Die Welt durch die Kunst zu zeigen, mag andere Sichtweisen auf die Realität ermöglichen, ja sogar fördern. Die Artothek ermöglicht es allen Interessierten, das Museum nicht nur geistig bereichert, mit Erkenntnissen gut ausgestattet, sondern auch mit dem Kunstwerk unter dem Arm zu verlassen. Gudrun Danzer, Günther Holler-Schuster, Peter Peer


ABLEO (Carmine Limatola) Plein Air, 1980 Öl auf Jute 50 × 50 cm Inv.-Nr. I/1928

1944 geboren in Salerno, Italien Studium am Istituto Statale d’Arte di Salerno 1969 Luci astratte, Libreria Einaudi, Salerno (solo) 1971 Pesi simulati, Galleria 2000, Bologna (solo) 1980 Riquadro, Galerie Insam, Wien (solo) 1980 XV. Internationale Malerwochen, Neue Galerie Graz 1991 Transitions, Christopher John Gallery, Santa Monica, California (solo) 2008 Viaggio in Italia, Neue Galerie Graz 2010 da Thanatos all’ideale, Parco Urbano ex Salid, Salerno (solo) Lebt und arbeitet in Salerno www.carminelimatola.com


Die Anfänge des süditalienischen Künstlers, der in seiner Heimatstadt Salerno auch als Ausstellungskurator und Kulturpublizist hervorgetreten ist, liegen im Umfeld der Arte Povera (dieser Begriff, der „arme Kunst“ bedeutet, wurde 1967 von dem italienischen Kunstkritiker und Kurator Germano Celant für eine Kunst aus „armen“, also sozusagen gewöhnlichen Materialien geprägt) und seines Künstlerkollegen Michelangelo Pistoletto. Das Werk von ABLEO kann man der nachkonzeptuellen Malerei zurechnen. Die hier präsentierte Arbeit Plein Air ist 1980 während der von der Neuen Galerie Graz veranstalteten XV. Internationalen Malerwochen in der Steiermark entstanden. ABLEO kombiniert darin Elemente der Malerei (das Bildgeviert mit Rahmen, das Material und die Technik – Ölfarbe auf Jute) mit solchen der visuellen Poesie (die Buchstaben und der sprachliche Begriff). Mit beiden nimmt er auf die Tradition der Malerei, hier speziell der Landschaftsmalerei, Bezug, ohne uns aber eine bestimmte oder auch eine idealisierte Landschaft vor Augen zu führen. Das französische „en plein air“ bedeutet „im Freien“ und steht in der Kunstgeschichte für den Beginn der realistischen bzw. der direkt vor Ort geschaffenen Landschaftsmalerei. Der Begriff ist eng mit der Malerkolonie im französischen Barbizon bei Paris verbunden, wo diese Form der Malerei in den 1830er-Jahren erfunden wurde. Die sogenannte „Schule von Barbizon“ gilt als Vorläufer und Ursprung des Impressionismus. ABLEO wendet sich mit seinem Gemälde an die Fantasie und Vorstellungskraft seines Publikums: Mit dem Blau des Himmels und dem Schriftzug „PLEIN AIR“ lässt er uns an jede mögliche Landschaft denken und an jedes mögliche Gemälde, das im Freien nach der Natur entstanden ist oder entstehen könnte. (GD)


Werner Augustiner Blumenstillleben, 1958/59 Öl auf Leinwand 90 × 70 cm Inv.-Nr. I/1220

1922 geboren in Graz 1936–1940 Kunstgewerbeschule Graz 1940–1943 Meisterklasse für Malerei (Rudolf Szyszkowitz) 1943–1950 Akademie der bildenden Künste Wien (Karl Sterrer, Albert Paris Gütersloh) 1950 Aktpreis Boeckl 1954 Rom-Stipendium des Bundesministeriums für Unterricht 1960 Medaille der Stadt Graz 1982 Ehrenmedaille der Stadt Graz 1986 gestorben in Graz


Werner Augustiner hat in der österreichischen und steirischen Kunst der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine besondere und eigenständige Position inne. Geprägt durch die Meisterklasse von Rudolf Szyszkowitz an der Grazer Ortweinschule blieb er zeitlebens auch dessen Kunstidealen – im Wesentlichen der Gegenständlichkeit – treu. Augustiner war ein christlich-gläubiger Mensch, der jedoch der offiziellen Kirche kritisch gegenüberstand. Aus dieser Haltung bezog er seine Auffassung von der Kunst und vom Künstler. Er sah die künstlerische Begabung als etwas von Gott Gegebenes an, das den Künstler dazu verpflichtet, seinem Talent zu folgen und „es rein zu erhalten“, wie er selbst schrieb. Entsprechend führte er das Leben eines Bohemiens, vor allem während seiner oftmaligen langen Aufenthalte in Süditalien und in Paris. Stilistisch ist die Malerei Augustiners einem späten Expressionismus zuzuordnen. Seine Vorbilder waren Vincent van Gogh und Henri Matisse bzw. die französische Malergruppe der Fauves, für seine zahlreichen weiblichen Akte unverkennbar auch Amadeo Modigliani. Das Blumenstillleben vom Ende der 1950er-Jahre zeichnet sich durch eine kontrastreiche, frische Farbigkeit aus. Augustiner legt hier wenig Wert auf die detaillierte Ausführung oder Abbildung seiner Gegenstände. Vielmehr scheinen die Gefäße, die Muschel, das Tuch und die Blumen in schnellen Pinselzügen mit großer Sicherheit auf die Leinwand gebracht worden zu sein. Entstanden ist ein farbenfrohes, fröhliches Gemälde, das den Betrachterinnen und Betrachtern die Freude an der Vielfalt und Schönheit der bunten Blüten zu vermitteln imstande ist. (GD)


Bazon Brock Friedrich Nietzsche in Amerika, 1969/2006 Computerdruck auf Leinwand 42 × 42 cm Inv.-Nr. I/2716

Warum wird man Historiker?, 2006 Computerdruck auf Leinwand 42 × 42 cm Inv.-Nr. I/2717

1936 geboren in Stolp in Pommern (heute Polen) 1957–1965 Studium der Germanistik, Philosophie, Politikwissenschaften und Kunstgeschichte in Hamburg, Frankfurt und Zürich Ab 1959 erste Happenings (mit Hundertwasser, Alan Kaprow, Nam June Paik, Joseph Beuys) In den 1960er-Jahren Entwicklung der Methode des „Action Teachings“ 1965–1978 Professor für nichtnormative Ästhetik an der Hochschule für bildende Künste Hamburg 1978–1981 Professor für Gestaltungslehre an der Hochschule für angewandte Kunst Wien 1981–2001 Professor für Ästhetik/Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal 1992 Ehrendoktorwürde der ETH Zürich 2001 Gründung der Forschungsgruppe „Kunst und Strategie e.V.“ 2004 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse 2006 Durchführung von „Lustmärschen durchs Theoriegelände“ in elf großen Museen, darunter die Neue Galerie Graz 2012 Ehrendoktorwürde der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe 2014 Honorarprofessur für Prophetie an der HBKsaar in Saarbrücken 2016 Von-der-Heydt-Preis der Stadt Wuppertal 2017 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse 2011 Gründer der „Denkerei/Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand“ mit Sitz in Berlin (Mitglieder: Arno Bammé, Roland Brock, Peter Sloterdijk, Wolfgang Ullrich, Peter Weibel) Lebt und arbeitet in Wuppertal-Cronenberg https://bazonbrock.de; www.denkerei-berlin.de


„Wir müssen lernen, in Bildern zu denken“, fordert Bazon Brock 1977 und moniert in dieser prädigitalen Zeit bereits, dass in den Schulen nur Wortsprachen vermittelt würden. Er gründet deshalb die „Besucherschule“, die einen Beitrag zum Erlernen der Bildsprachen leisten will. Es gilt die zentrale Frage – die spätestens seit Anbeginn der Verbreitung der Fotografie gestellt wurde – nach dem Wirklichkeitsanspruch der Bilder, wobei Brock im engeren Sinn mediale Bilder meint. Besonders interessiert haben ihn dabei die Bilderwelten aus der Werbung. Sieht man sich die beiden Arbeiten an, fällt auf, dass Brock mit der Inszenierung von Bild und Text spielt, indem er seine Mitteilungen als Interpretation und Lesemöglichkeit der reproduzierten Abbildung mitgibt. „Warum wird man Historiker? Um mit den Toten zu sprechen!“, textet Brock, der sich im Profil in einer Porträtausstellung ablichten lässt, auf (geschlossener) Augenhöhe und im Dialog mit einer historischen Persönlichkeit. Was Friedrich Nietzsche mit einem historischen Cowboy zu tun hat, der der Zähmung eines wilden Pferdes gerecht werden will, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Dafür muss man die (bezweifelbare, aber berühmte) Anekdote über Friedrich Nietzsche kennen, die davon erzählt, wie er an einem Jännermorgen 1889 in Turin ein geschlagenes Droschkenpferd umarmt haben soll. Die intensive Mitleidsregung der festen Umklammerung mündet im Zusammenbruch des Denkers, dessen Leben von da an in völliger Umnachtung Fortsetzung findet. Wie in seinen frühen Arbeiten des Fluxus, als dessen bedeutender Vertreter Bazon Brock gilt, stellt er nicht die Ausführung des Werkes in den Vordergrund, sondern seine Idee, die im Wechselspiel von Kunst und Leben als Diskussionsbeitrag verstanden werden kann. (MHK)


Gunter Damisch Weißfeld, 1989 Öl auf Papier auf Leinwand 45 × 39,5 cm Inv.-Nr. I/2920

1958 geboren in Steyr, Oberösterreich 1977–1983 Akadamie der bildenden Künste Wien (Max Melcher, Arnulf Rainer) 1983 Römerquelle Kunstpreis 1985 Otto-Mauer-Preis 1985 Max-Weiler-Preis 1992 Gastprofessur an der Akademie der bildenden Künste Wien 1995 Preis der Stadt Wien 1996 Anton-Faistauer-Preis für Malerei des Landes Salzburg 1998 Ordentliche Professur an der Akademie der bildenden Künste Wien 1998 Preis bei der 2. Internationalen Graphiktriennale, Prag 1998 Oberösterreichischer Landeskulturpreis für Graphik 2011 Würdigungspreis Land Niederösterreich 2016 gestorben in Wien www.gunter-damisch.at


Kraftvoll-pastose, expressive Gesten verdichtet Gunter Damisch zu dunklen Farbakkumulationen. Wie ausgefranste Zellen besiedeln sie das weiße Feld der Leinwand. Sie wirken wie Mikroorganismen, die den Ursprung eines möglichen Seins bilden, wie Keimzellen, aus denen Größeres wird. Langsam ist die Malweise, in der die Bilder entstehen. In vielen Schichten lagern sich Farben über Farben. Das Weiß scheint als letzte Schicht alles zuzudecken, um darauf erneut Farbzellen entstehen zu lassen. Das Malen wird vergleichbar mit einem organischen Prozess, die Bildwerdung zum Wachstum von Farben, an der Oberfläche sichtbar pastos verdichtet, um zum Schluss zum Weiß zurückzukehren, mit dem die Malerei auf der weißen Leinwand ihren Anfang nahm. Gunter Damisch wollte das „Alles“ malen, das „Alles“ als das Gegenüber des „Nichts“, schreibt Rainer Metzger. Vielleicht ist das „Alles“ die Summe jeden Werdens und in gewisser Weise hier der Kreislauf der Malerei selbst. Das Weißfeld erscheint nicht als fertiges oder abgeschlossenes Werk. Vielmehr ist es von einer Offenheit geprägt, mit der nicht nur Malprozess oder Bildgrenzen gemeint sind, sondern Raum für Verinnerlichung, Sensibilität, Gefühl und Sinnesfreude. Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre griffen eine Reihe junger Maler wieder zu Pinsel und Palette und ließen die totgesagte Malerei wiederauferstehen. Wilfried Skreiner, zu jener Zeit Leiter der Neuen Galerie Graz, förderte die sogenannten „Jungen Wilden“, zu denen auch Gunter Damisch oder Alfred Klinkan zu zählen sind. In dieser Szene der „Neuen Malerei in Österreich“ ging man auf Distanz zum vorangegangenen Wiener Aktionismus und der Selbstzerstörung. Es wurde wieder – vielfach auch großformatig – gemalt und den vorangegangenen Strömungen mit lebendiger, unbekümmerter und unmittelbarer Malerei entgegengetreten, die lebensbejahend an den Expressionismus der französischen Fauves anschloss. (MHK)


Johannes Deutsch Der Gottarmhalter, 1987 Öl auf Leinwand 100 × 80 cm Inv.-Nr. I/2313

1960 geboren in Linz 1975–1980 Höhere Lehranstalt und Meisterschule für Kunst und Design an der HTBLA in Linz 1984–1989 Kustos am Sigmund Freud Museum in Wien 1988 3. Preis des 8. Römerquelle-Kunstwettbewerbs 1990 Auslandsstipendium des OÖ. Landeskulturbeirats 1990–1992 Postgraduate-Studium an der Städelschule – Institut für neue Medien, Staatliche Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt/Main 1994 Preis des Landes Oberösterreich beim 24. Österreichischen Graphik-Wettbewerb Lebt und arbeitet in Wien www.johannes-deutsch.at


Von 1984 bis 1989 war Johannes Deutsch Kustos des Sigmund Freud Museums in Wien. In dieser Zeit arbeitete er in seiner Malerei mit Themen, die ihm im Museum begegneten. Intensiv beschäftigte er sich „mit den visuellen Aspekten des Traumes, des Witzes, der Wortspiele und Phantasien“. Die damals entstandene Werkserie subsumiert er unter der Überschrift Der konstruierte Inhalt. Er skizzierte nicht, sondern malte spontan und änderte viel in seinen Bildern. Mit diesem sehr unmittelbaren Verständnis von Malerei lud ihn Wilfried Skreiner, Förderer der „Neuen Malerei in Österreich“ und damaliger Leiter der Neuen Galerie Graz, zu den XXII. Internationalen Malerwochen in der Steiermark ein. Damit verbunden war 1987 auch die erste Ausstellungsbeteiligung von Johannes Deutsch, über die Der Gottarmhalter in die Sammlung der Neuen Galerie Graz einging. Ein Kopf- oder vielmehr ein einarmiger Gesichtsfüßer mit ernstem Blick hält in seiner überdimensionalen Hand einen Arm, dessen Hand das hell erleuchtete Gesicht Gottes umrahmt. Der dunkelgrüne Arm durchbricht in seiner vertikalen Ausrichtung nicht nur die rot-orange Aura des gelben Kopfes, sondern teilt auch das Bild fast diagonal in zwei Hälften. Wie aus der tiefen Nacht scheint die Hand in den Himmel nach Gott zu greifen, ihn einzufangen, kann ihn aber doch nicht ganz fassen. Während in den Darstellungen, die der Bibel folgen („Siehe, des Herrn Arm ist nicht zu kurz, dass er nicht helfen könnte“, Jes. 59,1), es die Hand Gottes ist, die sich machtvoll und hilfreich den Gläubigen annähert, ist es bei Deutsch der menschenlose Arm, mit dem der kopfschwere Mensch Gott vom Himmel zu holen scheint – oder ihn vielleicht einfach auch nur festhält. (MHK)


Walter Eckert Ohne Titel (Kopf), 1992 Mischtechnik auf Leinwand 65 × 50,5 cm Inv.-Nr. I/2770

1913 geboren in Leobersdorf, Niederösterreich 1935–1939 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Herbert Boeckl) 1939–1945 Einberufung als Soldat im Zweiten Weltkrieg und französische Kriegsgefangenschaft Ab 1945 freischaffender Künstler in Wien Ab 1952 Mitglied der Wiener Secession 1965–1968 Präsident der Wiener Secession 1967–1983 Professur für Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien (1967–1969 Rektor) 2001 gestorben in Wien


Der 1913 in Leobersdorf geborene und 2001 in Wien verstorbene Maler Walter Eckert gehört einer Generation von Künstlerinnen und Künstlern an, die den Krieg und die Nazigräuel direkt erlebt haben. Die traumatischen Erlebnisse haben sich in dieser Generation zu einem massiven Auslöser für Kunst als Überwindung des Schreckens ergeben. Die informelle Formensprache, der auch Eckert anhing, bildete international betrachtet die zentrale Chance, den Wahnsinn der unmittelbaren Vergangenheit visuell zu erfassen, sich ein wie auch immer geartetes Bild vom Unsäglichen zu machen. Eckert, der als Student auf der Wiener Akademie bei Boeckl sowohl die expressive Formensprache als auch die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper für sein weiteres Werk entdeckte, ist ein typischer Vertreter dieser künstlerischen Sprache. Seine „Köpfe“ – allesamt anonymisierte Opfer – wurden berühmt. Er setzte sie bis an sein Lebensende weiter fort. Blutend und zerstört sehen sie aus und lassen das Publikum erschrecken. Man ist häufig erinnert an den höchst sensibel arbeitenden Wols, dessen informelle Strukturen auch oft an Organisches bzw. an Köpfe erinnern. Eckart war nicht nur als Maler bedeutend. Sein Weg war auch ein institutioneller. So war er von 1967 bis 1969 Rektor der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ab 1952 war er Mitglied der Wiener Secession und von 1965 bis 1968 deren Präsident. (GHS)


Friedrich Ehrbar Landschaft, 1960 Öl und Acryl auf Leinwand 60 × 79,5 cm Inv.-Nr. I/2861

1923 geboren in Köflach, Steiermark Schüler von Friedrich Aduatz und in der Lehrerbildungsanstalt in Graz von Franz Zach 1941 Matura und Einberufung als Soldat im Zweiten Weltkrieg 1946 Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft 1954 und 1955 Meisterschüler bei Kurt Weber Ab 1954 Mitglied der Sezession Graz Zahlreiche Ausstellungen, vor allem im Rahmen der Sezession Biobauer, Pferdezüchter, Handballpräsident 1977 Wandgestaltung, Eingangsbereich der Sporthalle Bärnbach 2008 Haptisch, Gekippt, Monochrom, Kunsthaus Köflach (solo) 2018 Eröffnung seiner Galerie in Bärnbach 2018 gestorben in Bärnbach


Im Vorjahr verstarb der Köflacher Künstler Friedrich Ehrbar im 95. Lebensjahr. Er war Privatschüler von Fritz Aduatz, Meisterschüler von Kurt Weber und ab 1955 Mitglied der Sezession Graz. Als solcher war er eingebunden in die künstlerischen Entwicklungen der unmittelbaren Nachkriegszeit. Eine zaghafte, gemäßigte Moderne kontrastierte damals mit der traditionellen, sogar reaktionären Kunsteinstellung der Jahre davor, die immer noch wirksam war. Die Totalzerstörung durch den Krieg, das unsägliche Leid, das damit und mit der Naziherrschaft verbunden war, fand auch in der bildenden Kunst ihren Niederschlag. Das Informel als Sinnbild der Zerstörung, der Auflösung und des Existenzialismus der Zeit ließ sehr viele Künstler ihre traumatischen Erlebnisse der unmittelbaren Vergangenheit bewältigen. So auch Friedrich Ehrbar. Seine „Mauerbilder“, seine „gekippten Landschaften“ sind keine Darstellungen der Idylle, des besseren Lebens oder der Hoffnung. Vielmehr sind es Anklagen, Protokolle des Schreckens und emotionale Zuspitzungen. Die Landschaft ist hier eine verbrannte, eine aufgerissene. In der Abstraktion besteht allerdings die Chance, dem Elend zu entkommen, sich der Ästhetisierung dessen anzuschließen, was real nicht fassbar ist und nicht bewältigt werden kann. Ehrbar geht in der Folge weiter und stellt, neben den sogenannten „haptischen Bildern“, in seinem späteren Werk hochinteressante Bezüge zwischen Zwölftonmusik und bildender Kunst her – das Akustische gleichsam ins Visuelle zu transformieren, war sein großes Ziel dabei. (GHS)


Bernhard Eisendle Wasserfall, 2018 Öl und Wachs auf Leinwand 80 × 80 × 4,5 cm Inv.-Nr. VIII/1229

1939 geboren in Lienz, Osttirol Künstlerische Ausbildung in München und Stuttgart Seit 1966 freischaffender Maler Ausstellungen in Österreich, Frankreich, Schweden, Holland und Belgien Drei Jahre Mitglied der International Arts Guild Lebt und arbeitet in Graz


Der ursprünglich aus Osttirol stammende Künstler lebt seit 1982 in Graz. Seine Malerei hat er aus seiner zweiten großen Begeisterung entwickelt – der Beobachtung und dem Sich-Einfühlen in die Natur, dem Sich-Aufhalten im Freien. Im Besonderen hat Eisendle viele Jahre lang den Segelsport ausgeübt, und zwar nicht nur auf dem oft sanften Mittelmeer, sondern gerne auch auf der rauen Nordsee. Voraussetzung für die Liebe zu diesem Sport ist eine bestimmte Haltung zur Natur bzw. zu den elementaren Kräften auf unserer Erde: Diese muss der Segler gut kennen, mit ihnen vertraut sein – sich ihnen wohl auch gerne aussetzen –, damit er ihnen standhalten und sie für seine Fortbewegung nutzen kann. Auf dieser genauen Kenntnis der Natur und ihrer Kräfte – auf dem Meer, aber auch auf dem Land und in den Bergen – beruht die Malerei Eisendles, die fast immer Landschaftsmalerei ist. Stilistisch kann man sie als Naturabstraktion bezeichnen, eine Richtung, die in Österreich eine große und variantenreiche Tradition hat. Eisendle bildet die von ihm ausgewählten Naturausschnitte nicht detailgetreu und quasi realistisch ab. Vielmehr übersetzt er den sinnlichen Eindruck, den er durch seine Einfühlung empfängt, in abstrahierender Weise mit Farbe auf Leinwand. Nur hin und wieder definiert er eine Landschaft näher durch die eindeutigen Formen etwa eines Hauses oder einer Baumgruppe. Bei unserem Bild erscheint das Naturvorbild – ein Wasserfall – in ineinan­ dergeschobene, teilweise durchscheinende Farbformen aufgelöst. Das Bild wirkt wie ein Nachhall des frischen, sprudelnden Wassers, in das man eine längere Weile geblickt hat. Durch eine spezielle Technik, die Eisendle in den letzten Jahren entwickelt hat und bei der er die Ölfarbe mit Wachs kombiniert, erhält die Bildoberfläche einen besonderen Glanz und eine zusätzliche Tiefe. (GD)


Róza El-Hassan Stretched Objects/Stretched Tangle, 1995 Eisen, Kabel 25 × 60 × 20 cm Inv.-Nr. III/586

1966 geboren in Budapest 1972–1984 in Westfalen, Deutschland 1987 Rückkehr nach Budapest 1987–1990 Malereistudium an der Akademie der bildenden Künste, Budapest 1991 Städelschule – Staatliche Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt/Main 1991–1992 Intermedia Department, Akademie der bildenden Künste, Budapest 2001 Gastkünstlerin am Collegium Helveticum, ETH Zürich 2003–2007 Dozentin am Intermedia Department, Akademie der bildenden Künste, Budapest 2008–2011 Dokoratsabschluss an der Akademie der bildenden Künste, Budapest 2017 Studio-Stipendium (Iaspis) in Stockholm Lebt und arbeitet in Budapest www.roza-el-hassan.hu


„Ich zeichne unaufhörlich: Ich fühle mich nur gut, wenn ich den Tag mit Zeichnen beginne“, sagte Róza El-Hassan 1997, als sie den ungarischen Pavillon bei der Biennale in Venedig mit einer Serie von 18 „Knäuelzeichnungen“ ausstattete. Zentral war dabei ein Wandbild, das ein Liniennetz auf der Wand verdichtete und mit Drähten in den Raum hinaus fortsetzte. Knäuel sind flexibel, nicht so fest wie Knoten oder Verstrickungen. Oft kulminieren sie im Chaos, wie auch der Stretched Tangle von 1995. Unterschiedliche Kabel und Drähte formen einen verwickelten und verdichteten Knäuel, der mit Eisenfedern an die Wand gehängt wird und damit gewissermaßen als dreidimensionales Liniengewächs in den Raum hinausragt. Die Arbeit ist Teil einer ganzen Serie von Stretched Objects, die die Künstlerin in den 1990er-Jahren über Ungarn hinaus international bekannt gemacht haben. Sessel, Gläser, Steine oder andere Alltagsobjekte sind es, die sie dabei mit Stahlseilen an die Wand hängt, als wolle sie sie auseinanderziehen. In dieser sehr konzeptuellen Arbeitsweise tanzt der Knäuel als abstraktes Liniengeflecht aus der Reihe. Die verdichtete und konzentrierte Zeichnung im Raum scheint eher die Arbeit für die Biennale vorwegzunehmen. (MHK)


Dominique Figarella Ohne Titel, 1994 Holzplatte, Holzleiste, Kaugummi 50 × 50 × 4 cm Inv.-Nr. I/2492

1966 geboren in Chambéry, Savoyen, Frankreich 1987 Studium an der Villa Arson, école nationale supérieure d’art, Nizza 1994 Artist in Residence, Neue Galerie Graz Seit 2001 Professor an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris (ENSBA) 2018 Bienvenue, Cité internationale des arts, Paris 2019 Pardon my French, Galerie Anne Barrault, Paris (solo) 2019 One Way or Another, La Box, Bourges Lebt und arbeitet in Paris und Jacou bei Montpellier (Hérault), Frankreich


Der junge französische Künstler Dominique Figarella war 1994 in der Neuen Galerie Graz als „Artist in Residence“ zu Gast. Sein künstlerischer Zugang entwickelte sich aus der Malerei. Es war, den 1990er-Jahren entsprechend, keine konventionelle Malerei mit klassischen Materialien, sondern eine Hybridform der Kunst. Die Werke Figarellas sind mehrschichtig. Das kann man inhaltlich, aber genauso gut auch materialtechnisch sehen. Einerseits sind diese Arbeiten zwischen Bild und Objekt angesiedelt, andererseits versuchen die verwendeten Materialien auch Inhalte zu generieren. Nicht das armselige Material (Arte Povera) oder die Warenästhetik einer Pop-Art-Rezeption (Kaugummi) ist hier gemeint. Es ist ein allgemeiner Zugang zum Material und zum Bild. Die einzelnen Gegenstände, die der Künstler ins Werk einbaut, sind nicht zu einem neuen Ganzen zusammengeführt. Es geht dem Künstler darum, die Objekthaftigkeit des Werkes zu unterstreichen. Daher sind beispielsweise Kissen, Fetzen, Bälle, Kaugummi, Holzstücke so angebracht, dass sie von einer Plexiglasschicht, die am Ende über die gesamte Bildoberfläche geschraubt wird, in ihrer Existenz nicht bedroht sind. Sie werden nicht zu etwas anderem, sondern sie vollziehen den Abstraktionsprozess mit, sind Akzente in der Bildkomposition. Figarellas Bilder, Objekte sind analytisch. Sie lassen das Publikum am Abstraktionsprozess gleichsam teilhaben. Was wird aus inhaltlich stark festgelegten Materialien, Gegenständen (Kaugummi, Tennisbälle)? Sie sind austauschbar, sie sind Akzente innerhalb der Gestaltung. Ebenso sind sie auch im Prozess der Transformation vom Gegenständlichen ins Abstrakte wie eingefroren. Damit ist die Malerei natürlich nicht mehr nur Darstellung, sondern der Bereich, in dem Sehen und Wahrnehmen stattfindet. (GHS)


Angela Flois Rauhes Grau, 1994 Öl auf Leinwand 60 × 50 cm Inv.-Nr. I/2534

Geboren in Grafendorf bei Hartberg, Steiermark Ausbildung zur AHS-Lehrerin, Bildnerischen Erzieherin und Museumspädagogin an der Pädagogischen Akademie in Graz-Eggenberg Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz Studium der Kunstgeschichte und Soziologie an der Universität Graz Studium der Malerei an der Europäischen Akademie für bildende Kunst in Trier 1982 Preis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst (Kunstpreis Köflach) Lebt und arbeitet in Graz


Man mag der Farbe Grau nicht einmal zugestehen, dass sie überhaupt eine ist. Gilt Grau doch als Ausdruck der Neutralität schlechthin. Angela Flois, die seit den 1980er-Jahren, damals im Zuge der „Neuen Malerei“, künstlerisch hervorgetreten ist, geht hier sehr behutsam mit dem Material um. Mit wenigen Farbnuancierungen erreicht sie eine höchst spannende und gar nicht farblose Komposition, die natürlich sofort an kosmische Weiten denken lässt. Mikro und Makro sind hier keinesfalls definiert. Man ist als Beschauer/in hin- und hergerissen. Die abstrakte Komposition ist nicht als Zeugnis eines gestischen Ausbruchs zu sehen. Vielmehr bekommt man den Eindruck des organisch oder auch kosmisch Wachsenden, des sich langsam Entwickelnden. Der fleckige Farbauftrag lässt die Bildoberfläche sehr dynamisch erscheinen, bildet Schatten und lässt die kleinen, zaghaften Farbakzente leuchtend hervortreten – Sterne, Blüten, Luftspiegelungen. Man muss sich auch nicht mit Naturanalogien beschäftigen, um das Bild in einen scheinbar lesbaren Zustand bringen zu können. Die Abstraktion kann auch einfach akzeptiert und entsprechend behandelt werden. Das kosmische Rauschen und die abstrakte Vorstellung davon stehen hier in perfekter Proportion. (GHS)


Stefan Glettler fruit dancer, 2016 Epoxidharz, Beton 150 × 36 × 36 cm Inv.-Nr. III/997

1980 geboren in Graz 2000–2005 Studium der Malerei und Grafik an der Akademie der bildenden Künste Wien (Walter Obholzer) 2012 Artist in Residence, Bukarest, Land Steiermark 2016 Walter Koschatzky Kunst-Preis Stipendium, Rotary Club Wien-Albertina 2016 Artist in Residence, Budapest, Stadt Wien Lebt und arbeitet in Wien und der Steiermark https://www.stefanglettler.com


Fast lebensgroß ist der fruit dancer von Stefan Glettler, der still auf seinem Sockel ruht. Als Tänzer will er bewegt werden, angestoßen wie ein Stehaufmännchen, und frei im Raum schwingen. Wie die Passstücke von Franz West wollen die organischen Formen mit dem menschlichen Körper in Beziehung treten, verlangen nach improvisierter Interaktion. Das Werk vollendet sich der Intention nach nicht in der Betrachtung, sondern in der Verschmelzung mit den Interagierenden. Auf den Sockel gestellt jedoch wird es zum musealen Objekt, das den Einzelnen überdauern will. Aus diesem Dilemma heraus wird ihm eine reife Erhabenheit zuteil, die ihm seine Zukunft sichert. Wenig spricht Stefan Glettler über seine Kunst, seine Intentionen und Motivationen. Auffallend jedoch ist die Intensität der Farbe, in die der Maler und Bildhauer seinen „Tänzer“ getaucht hat. Unmittelbar rückt er damit auch die Materialität in den Vordergrund und verstärkt die räumliche Präsenz der abstrakten Frucht, deren Verlockung süß und reif wie eine malerische Geste in den Raum hinausgreift. (MHK)


Walter Kaitna Kräftesystem 28, 1963 Stahlstäbe, Aluminium, Textil 51,3 × 14,8 × 9,9 cm Inv.-Nr. III/668

1914 geboren in Wien 1936–1942 Bauingenieurwesen, Technische Universität Wien 1946–1977 Chefingenieur und Technischer Direktor in der Bau- und Baustoffindustrie 1952 Olympische Spiele in Helsinki, Hockey, 7. Platz 1963 Atelier Ernst Hartmann, Mödling, Niederösterreich (solo) 1978 Logische Kunst, Wiener Secession 1979 Kräftesysteme und Gleichgewichtsordnungen, Neue Galerie Graz (solo) 1980 Ein Künstler – ein Prinzip, Museum moderner Kunst, Wien 1983 Exakte Tendenzen 1983, Schloss Buchberg, Niederösterreich 1984 Kräftekonstellationen. In Memoriam Walter Kaitna, Museum des 20. Jahrhunderts, Wien (solo) 1996 Jenseits von Kunst, Ludwig Múzeum, Budapest, Neue Galerie Graz, MuHKA Antwerpen 1983 gestorben in Wien www.walterkaitna.at


„Die Verbindung von Grundfragen künstlerischer Gestaltung mit mathematisch beschreibbaren, gesetzmäßigen Zusammenhängen ist keine Erfindung unseres Jahrhunderts. In der europäischen Kulturgeschichte begegnen wir diesem Denken in regelhaften Beziehungsgefügen bereits in der altgriechischen Philosophie. […] Die Quelle des Schönen wird schon hier als mathematische Beziehung erkannt. Forschendes Interesse, mathematisches Denken und schöpferisches Gestalten gehen seither oft eine enge Verbindung ein. […] In der Kunst unseres Jahrhunderts findet die Diskussion um das Verhältnis des Schönen zum rational Verstehbaren vor allem im Rahmen der konstruktiven Bewegung statt.“ (Dieter Bogner, „Intuition und Kalkül“, in: Ausstellungskatalog Walter Kaitna, Kräftesysteme, NÖART Galerie, Wien 1982, o. S.) Die künstlerischen Gestaltungen – Gemälde und räumliche Objekte – des Bauingenieurs Walter Kaitna haben in diesen konstruktiven Überlegungen ihre Grundlage. Mit seinen Objekten aus gebogenen Stahlstäben, die er seit Anfang der 1960er-Jahre konstruierte, versuchte er, sinnlich nicht wahrnehmbare Kräfte anschaulich zu machen. So entstanden zarte, ästhetische Objekte, die er seit 1963 verschiedentlich auf Ausstellungen präsentierte. Er selbst schrieb dazu: „Durch die Beschränkung auf ein einheitliches Element, den in eine Bodenplatte eingespannten und durch eine angreifende Kraft elastisch gekrümmten Stahlstab, dessen einzige Variabilität im Grad seiner Krümmung besteht, werden Kräfte sichtbar. Die kooperative Wechselwirkung von Gesetz und Freiheit manifestiert sich an der räumlichen Lage der unteren und oberen Stabenden. Die Spitzen der Stäbe sind durch die innere Struktur der jeweiligen Kräftekonstellation festgelegt. Die Lage der Fußpunkte kann ich frei entscheiden. Auf diese Weise entwickle ich das gesamte Formenrepertoire für meine räumlichen Objekte.“ (a. a. O., o. S.) (GD)


Alfred Klinkan Pictor Gryllorum, 1986 Öl auf Leinwand 100 × 70 cm Inv.-Nr. I/2981

1950 geboren in Judenburg, Steiermark 1970–1974 Akademie der bildenden Künste Wien (Josef Mikl, Wolfgang Hollegha) 1976 Kunstpreis des Landes Steiermark 1976–1977 Auslandsstipendium für die Koninklijke Academie voor Schone Kunsten, Antwerpen 1977 Österreichisches Staatsstipendium für Bildende Kunst 1979–1981 und 1984 Aufenthalt vorwiegend in Antwerpen 1981 Otto-Mauer-Preis 1994 gestorben in Wien alfred.klinkan.net


Es ist eine Besonderheit Klinkans, sich immer wieder auf andere Menschen, Künstlerkollegen und auch auf Tiere so einzulassen, dass man in vielen Fällen sogar von Identifikation sprechen kann. So geschah es auch mit Adriaen Brouwer (genannt: „Gryllorum Pictor“, der „Maler der Grillen“), einem flämisch-niederländischen Meister des „Low-Life“. Klinkan bezog sich Mitte der 1980er-Jahre sehr explizit auf Brouwers Szenen vom Leben in den Schenken, in denen allerlei getrieben wurde – Genuss von Tabak, Alkohol, Raufhändel, Baderei und andere Verrichtungen des Alltags, des Lasters und des Ausdrucks einer dunklen Volksseele fanden dort statt. Klinkan identifizierte sich nicht nur mit der Person des Malers, sondern auch mit den Protagonisten der derben Szenen. Diese vermischt er oft mit eigenen Charakteren – z. B. aus der Fabelbzw. Tierwelt – und lässt so einen eigenen Kosmos entstehen, der weder in das 17. Jahrhundert Brouwers passen will noch in die Entstehungszeit des Gemäldes. Alfred Klinkan ist damit auch typisch für die „Neue Malerei“ der 1980er-Jahre, die gerade in der Neuen Galerie Graz so vehement von ihrem damaligen Leiter, Wilfried Skreiner, propagiert wurde. Wenn er in seinen Bildern neue, sehr persönliche, aber an allgemeingültige Mythologien erinnernde Erzählstrukturen erfindet, trifft er den Zeitgeist genauso, wie er höchst subjektiv bleibt. Klinkan ist sicherlich der erzählerischste der „Neuen Maler“ der 1980er-Jahre. Entsprechend umfangreich ist sein Werk. Der 1994 so jung verstorbene Künstler hat mehrere Tausend Werke hinterlassen und damit einen eigenen Kosmos geschaffen. Selbstverständlich gelten dort auch eigene Gesetze … (GHS)


Helga Knöbl Goldbild 2–4, 2012 Blattgold auf Faserplatte in Holzrahmen, 3 Stück je 38,2 × 28,4 × 3,5 cm Inv.-Nr. I/2854, 1–3

1962 geboren in Graz 1981–1987 Studium der Germanistik und Soziologie in Wien und Zürich 1989 Teilnahme an den Österreichischen Filmtagen Wels 1993 Preisträgerin beim Förderungspreis des Landes Steiermark für zeitgenössische bildende Kunst 1994 Sappi-Europe Bronzemedaille 2001 Preisträgerin Biennale Florenz – Internationale dell’arte contemporanea 2002 Award-Women’s Congress – El Paso, Texas Lebt und arbeitet in Graz helgaknöbl.at


Die Bandbreite der künstlerischen Medien und der Gestaltungsfelder, in denen Helga Knöbl arbeitet und ihre Ideen zum Ausdruck bringt, ist enorm. Sie ist als Porträt- und Landschaftsmalerin tätig, hält ihre Überlegungen in programmatischen Gemälden fest, widmet sich der Kunstpädagogik, machte – in den 1980er- und 1990er-Jahren – Videoinstallationen und Filme, lotete in ihrer Ausbildung zur „Clownin“ ihre schauspielerischen Fähigkeiten aus und erprobt diese im Kontakt mit ihrem Publikum. Dabei liegt ihren künstlerischen Gestaltungen und Tätigkeiten immer die wache und kritische Beobachtung der gesellschaftlichen Bedingungen für das Leben und die Entfaltungsmöglichkeiten der/des Einzelnen zugrunde sowie ein sensibles Einfühlungsvermögen in und großer Respekt für die Menschen. Die Serie der Goldbilder hat Helga Knöbl 2012 gestaltet. Es handelt sich hier um eine konzeptuelle Arbeit mit Tiefgang und Humor: Auf Holzfaserplatten hat sie rechteckige Felder mit abgerundeten Ecken aus Blattgold angebracht. Die Platten wurden mit profilierten Zierrahmen aus Holz gerahmt und mit Hängevorrichtungen versehen, sodass sie wie Gemälde an der Wand montiert werden können. Damit nimmt sie Bezug auf die Mechanismen des Kunstmarktes, wo der oft enorme Preis eines Kunstwerkes nicht unbedingt seiner Qualität entsprechen muss, wo es häufig nicht um Inhalte, sondern um andere, außerhalb der eigentlichen Kunst liegende Kriterien geht. So zieht die Künstlerin den Schluss und präsentiert statt anderer Inhalte das Gold selbst als Inbegriff bzw. Symbol für das Kostbare, den hohen Preis – und das auf einem ganz billigen, banalen Material, den Holzplatten. Die Wirkung der Arbeit lebt von diesem Kontrast. (GD)


Ugo La Pietra Progressione multipla, 1969 Plexiglas 27 × 27 × 7,7 cm Inv.-Nr. III/314

1938 geboren in Bussi sul Tirino, Italien 1957–1964 Architekturstudium am Politecnico di Milano Seit 1964 Lehrtätigkeit für Architektur und Design in Mailand, Pescara, Palermo, Turin und Venedig, am Politecnico di Milano, am Istituto d’arte in Monza u. a. 1968 Gestalter des Ambiente Audiovisivo bei der XIV Triennale di Milano 1969 Premio Termoli, Premio Joan Miró, Premio Cesare da Sesto (für Malerei) 1972 Italy: The New Domestic Landscape, MoMA, New York 1973 Gestalter des Films La grande occasione 1975 1. Preis beim Nancy Film Festival 1979 Premio Compasso d’Oro für das Projekt L’occultamento 1981 Kurator von Lo spazio scenografico nella televisione italiana, XVI Triennale di Milano 1992 Kurator von La vita tra cose e natura, sezione naturale virtuale, XVIII Triennale di Milano 2009 Professor am Politecnico di Milano (Design) und an der NABA in Mailand 2016 Premio Compasso d’Oro für sein Lebenswerk Lebt und arbeitet in Mailand https://ugolapietra.com


Der italienische Künstler, Architekt, Designer, Wissenschaftler, Journalist, Experimentalfilmer und Ausstellungskurator ist zweifellos als „Homo universalis“ anzusprechen. Seine künstlerische Vielfalt und Flexibilität leitet sich nicht nur von der Tradition des Konkreten ab, die im Italien der 1960er- und 1970er-Jahre besonders bedeutend war, sondern auch von sozialen Konzepten und den radikalen Überlegungen der „Situationistischen Internationale“. Ugo La Pietra, der mit Lucio Fontana eng befreundet war, hat seine Kunstwerke immer in Zwischenbereichen, in Übergangsbereichen angesiedelt. So ist auch das Objekt Progressione multipla ein vielschichtiges Kunstwerk. Man möchte es als Designobjekt (Aschenbecher) einordnen, vermisst aber sofort den funktionellen Teil. Dieser vollzieht sich offenbar nur visuell. Das Objekt demonstriert eine physikalische Gesetzmäßigkeit – die der gegenläufigen Zuund Abnahme von im Plexiglasblock befindlichen Bohrungen. Die offensichtliche Ästhetik der industriellen Produktion erlaubt es, den Bogen von „Minimal Art“ bis „Konkreter Kunst“ zu spannen. Keine individuelle künstlerische Handschrift lässt das Werk besonders aussehen, sondern eine kühle technoide Anonymität zeichnet es aus. Es scheint kein Geheimnis in sich zu bergen und für jeden Techniker nachvollziehbar und wiederholbar zu sein. Genau das waren auch die zentralen Forderungen der „Konkreten Kunst“ – Wissenschaftlichkeit, Funktionalität, industrielles Design und fehlende individuelle Handschrift. Somit erübrigen sich die klassischen kategorischen Zuordnungen zu Skulptur oder Bild. Dieses Kunstwerk ist zweifellos beides und noch einiges mehr. (GHS)


Richard Larsen (Larsenson) Die kleine Bucht, um 1952 Öl auf Holzfaserplatte 49 × 58 cm Inv.-Nr. I/1121

1897 geboren in Sinj, heute Kroatien 1913 und 1920–1921 Besuch der Kunstschule Graz bei Alfred Schrötter-Kristelli (Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg) 1922–1926 Studium an der Kunstgewerbeschule Wien bei Berthold Löffler, danach Direktor und Lehrer an der Berufsschule für das grafische Gewerbe 1924 Verleihung der Silbermedaille der Stadt Graz 1924 Beteiligung an der Eröffnungsausstellung der Sezession Graz Mitglied im Künstlerbund Graz und in der Vereinigung bildender Künstler Steiermarks 1950 Beteiligung an der Kollektivausstellung des Künstlerbundes Graz Ab 1960 Beteiligungen an (Kollektiv-)Ausstellungen vor allem in Graz 1975 gestorben in Graz


Richard Larsen (Larsenson) war in beiden Weltkriegen eingerückt, beide Male an der Front mit anschließender Kriegsgefangenschaft. Während es ihm in der Zwischenkriegszeit gelang, als Maler Fuß zu fassen und auch als Lehrer tätig zu werden, blieb ihm als Kriegsoffizier Letzteres nach 1945 verwehrt. So erklärt sich, dass Richard Larsen sich in vielen seiner Bilder mit dem Erlebnis des Krieges auseinandersetzte. Er scheute auch nicht die realistische und durchaus neusachliche Darstellung sozialer Probleme, von denen er besonders nach dem Zweiten Weltkrieg auch persönlich sehr gezeichnet war. Die kleine Bucht scheint diesbezüglich auf den ersten Blick unverfänglicher zu sein. Doch auch wenn man Larsen die Liebe für den Impressionismus und dessen Farbigkeit nachsagt, hängt der dunkle Himmel hier tief. In rascher und gestischer Malweise fängt er den Eindruck der Bucht ein. Schemenhaft reihen sich die Häuser in die Landschaft ein, während zwei kleine Segelboote in der Bucht Schutz zu suchen scheinen. Das Bild Die kleine Bucht war 1952 bei der Eröffnungsausstellung des Künstlerhauses zu sehen und wurde im Zuge dessen von der Neuen Galerie Graz erworben. (MHK)


Gerhard Lojen Ohne Titel, um 1961/62 Öl auf Leinwand 81 × 58 cm Inv.-Nr. I/2785

1935 geboren in Graz 1954–1962 Architekturstudium an der TU Graz 1958–1977 Mitglied der Sezession Graz 1960 Ankaufspreis des BMfU beim Joanneums-Kunstpreis 1976 Kunstpreis der Stadt Köflach 1977 Mitbegründer der Künstlergruppe 77 in Graz 1987–2000 Leiter der Meisterschule für Malerei an der Grazer Ortweinschule 1990 Wettbewerb Johannes-Kepler-Denkmal in Graz: 1. Preis und Ausführung 1999 Würdigungspreis des Landes Steiermark für bildende Kunst 2005 gestorben in Graz www.lojen.at


Gerhard Lojen zählt als Künstler wie als Pädagoge zu den prägenden Persönlichkeiten des steirischen Kulturlebens der zweiten Hälfte des 20. Jahr­­hunderts. Durch seine frühen Materialbilder gehört er zu den wichtigsten Vertretern der abstrakten Malerei in Österreich nach 1945. Während seines Architekturstudiums an der Grazer Technischen Hochschule schloss er Freundschaft mit zwei Menschen, deren Haltung und Werk für ihn grundlegend wurden – mit seinem Lehrer Kurt Weber, der den Studenten die internationale Moderne, damals vor allem das Informel und den Tachismus nahebrachte, und mit seinem Mitstudenten Hans Bischoffshausen. Letzterer gab das Studium der Architektur bald zugunsten der bildenden Kunst auf, fand in Paris Anschluss an die dortige Avantgarde und wirkte als deren Vermittler in die steirische Provinz. Im Zuge des lebenslangen freundschaftlichen und künstlerischen Austausches mit Bischoffshausen kam es in den 1980er-Jahren zu einer Zusammenarbeit der beiden Künstler an einer Reihe von gemeinsamen Werken auf Papier. Das frühe Bild von Gerhard Lojen, das hier präsentiert wird, entstand zu Beginn der 1960er-Jahre und zeigt bereits seine intensive Auseinandersetzung mit der Abstraktion. Er versteht ein Gemälde nicht als Abbildung einer außerhalb desselben liegenden Realität, sondern als autonome Gestaltung. In etliche andere Bilder dieser Zeit hat er natürliche Materialien wie Sand, Textilien oder Steine integriert. Hier beschränkt er sich allein auf die Farbe, die aber eben nicht repräsentativ eingesetzt wird. Sie steht für sich, sie selbst ist das Material – und wird sehr pastos aufgetragen. Die verschiedenen Farben wirken wie geknetet und erhalten auf diese Weise eine eigene Körperlichkeit. Sie scheinen sich geradezu aus dem blauen, sie begrenzenden Feld nach vorne in den realen Raum herauszudrängen. Das abbildende Gemälde ist hier zum für sich stehenden Objekt geworden. (GD)


Heribert Michl N.O.T. (aus der Werkgruppe Faltbilder), 2007 Acryl auf Leinwand auf Leinwand 100 × 100 cm Inv.-Nr. VIII/1148

1938 geboren in Köflach, Steiermark Studium der Pädagogik, Soziologie, Kunstgeschichte und Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz Mitglied der Künstlergruppe 77 2010 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse 2017 gestorben in Graz https://www.heribertmichl.at


Heribert Michl war zeit seines Lebens auf der Suche nach neuen experimentellen, ästhetischen und künstlerischen Erfahrungen. Eine persönliche künstlerische Handschrift, die sein Werk kennzeichnet, war ihm dabei nicht wichtig. Das lässt sich in seinen Arbeiten, die stets in größeren Werkgruppen entstehen, gut nachvollziehen, zumal sie in sich ästhetisch verbunden sind, untereinander aber jeweils sehr unterschiedlich ausfallen können. Heribert Michl war der Meinung, dass Kunst im Kopf erzeugt wird und meinte damit, dass die Betrachtenden Kunst definieren und nicht die Kunstschaffenden selbst. Zentral war für ihn dabei die Frage nach den Möglichkeiten der Kunst, persönlichkeitsbildende und darüber hinaus auch gesellschaftliche Wirkung zu erzeugen. In der Offenheit gegenüber Neuem in der Kunst liegt somit das Potenzial, das Interesse am Anderen im Allgemeinen zu wecken. Aus philosophischer Sicht hängt er einem radikalen Konstruktivismus an und meint damit seine Überzeugung, dass es die eine Wirklichkeit nicht gibt. Schon gar nicht eine, die sich auch abbilden ließe. Heribert Michl strebt nach einfachen, klaren Formen, das zeigen besonders seine Arbeiten, bei denen er Farbe und Form auf ein Minimum reduziert. Beim Falten des Malgrundes kommt dann noch die dritte Dimension dazu, das Bild wird zum Relief, die Falte zur Linie, der Faltenwurf zur schattierten Fläche. Das Bild tritt in Dialog mit dem Raum, mit der Architektur und wird für Michl zur „Poetisierung des Raumes“. N.O.T. – noch ohne Titel nennt Heribert Michl nicht nur dieses Bild, sondern auch die ganze Werkgruppe der Faltbilder, denen im Museum der Wahrnehmung in Graz 2007 auch eine gleichnamige Ausstellung gewidmet war. In der NOT liegt für Heribert Michl die Aufforderung zur Selbstermächtigung des Publikums, sich auf die Kunst einzulassen und damit die eigenen kreativen Kräfte in Gang zu bringen. Was ist es, was ich sehe, was löst die Bildbetrachtung in mir aus? (MHK)


Worauf Sie bei Kunstwerken achtgeben sollten! Zu viel LICHT, WÄRME, FEUCHTIGKEIT sowie ZUGLUFT können dem Werk schaden! UV-LICHT (als Teil des natürlichen Sonnenlichtes) schadet nicht nur dem Menschen. Setzen Sie das Objekt daher nicht dem direkten Sonnenlicht aus, z. B. unmittelbar vor einem Fenster. Materialien altern im UV-Licht schneller als sonst, sie bleichen aus und werden spröde. Suchen Sie eine Wand aus, die nicht von der Sonne beschienen wird. WÄRME ist Energie! Hängen Sie das Objekt nicht direkt über eine Wärmequelle wie beispielsweise einen Heizkörper oder einen Heiz­strahler. Dadurch kann es zu Ausdehnungen und Schrumpfungen kommen, wodurch die Festigkeit des Materials auf Dauer nachlässt. Sprünge und Absplitterungen sind die Folge. Überheizte Räume sind für das Kunstwerk ebenso schädlich wie für ihre Bewohner/innen. FEUCHTIGKEIT, dazu zählt auch Luftfeuchtigkeit, dringt in das Kunstwerk ein und kann bei hoher Intensität zu Quellungen der Grundierung führen. Wie bei zu großer Wärme, kann es auch hier zu Ausdehnungen und Schrumpfungen kommen, welche die Festigkeit und Haltbarkeit des Materials beeinflussen. Feuchtigkeit fördert zudem das Schimmelwachstum – auch bei Kunstwerken.


ZUGLUFT: Schützen Sie das Objekt vor Zugluft. Keilrahmen können sich durch Zugluft verziehen, und außerdem trocknen die Objekte aus, was Folgeschäden mit sich bringt. SAUBERKEIT: Greifen Sie das Objekt nur mir sauberen und trockenen Händen an. Benutzen Sie dazu nach Möglichkeit die beigepackten Baumwollhandschuhe. MANIPULATION: Halten Sie Gemälde immer mit beiden Händen und seitlich am Rahmen fest. Heben Sie Gemälde niemals an der oberen Rahmenleiste hoch. REINIGUNG: Grundsätzlich sollten Sie das Reinigen des Objektes unterlassen. Sie können aber bei Bedarf den Rahmen eines Gemäldes mit einem neuen, sauberen, trockenen und weichen Staubtuch vorsichtig mit wenig Druck abwischen. Bei verglasten Arbeiten können Sie auch das Glas auf diese Weise vorsichtig reinigen. Wischen Sie nie direkt über die Bildfläche!


Ablauf und Bedingungen des Verleihs der Kunstwerke Besichtigung und Reservierung Während der Ausstellungsdauer können Interessierte beim Info-Point im Foyer des Joanneumsviertels maximal zwei Werke reservieren. Durch die Bezahlung der Leihgebühr von 50 € für 10 Monate wird diese Reservierung verbindlich. In dieser Gebühr sind die Bearbeitungskosten sowie die Versicherung des Kunstwerks inkludiert. Abholung Die reservierten Kunstwerke stehen am 2. und 3. Dezember 2019 von 9 bis 14 Uhr (nach Terminvereinbarung) im Ausstellungsraum der Artothek zur Abholung bereit. Nach Vorlage von Lichtbildausweis und Meldezettel sowie nach der Unterzeichnung des Leihvertrages ist die Ausleihe gültig. Bei der Verpackung der Leihgaben sind das Aufbau- und Restaurierungsteam des Universal­museums Joanneum behilflich und stellen Verpackungsmaterial bereit. Die Leihnehmer/innen sorgen für den Transport und für die Aufstellung bzw. Aufhängung der Werke in ihren Wohnräumen. Rückgabe Die Rückgabe der entlehnten Werke erfolgt am 16. und 17. November 2020 in der Zeit zwischen 8 und 14 Uhr (nach Terminvereinbarung) im Studien- und Sammlungszentrum des Universalmuseums Joanneum, Weinzöttlstraße 16, 8045 Graz. Kontaktadresse Eventuelle Fragen zur Organisation der Ausleihe beantworten Ihnen gerne unsere Registrarinnen Astrid Mönnich (Tel.: 0699/1500 6674, E-Mail: astrid.moennich@museum-joanneum.at) und Doris Psenicnik (Tel.: 0664/8017 9220, E-Mail: doris.psenicnik@museum-joanneum.at)



Impressum Dieses Heft erscheint anlässlich der Ausstellung Artothek Steiermark 2019 der Neuen Galerie Graz im Joanneumsviertel, Graz, 08.11.–01.12.2019 Leitung Neue Galerie Graz Peter Peer Kuratiert von Gudrun Danzer, Günther Holler-Schuster Kuratorische Assistenz Petra Maier Registratur Astrid Mönnich Texte Gudrun Danzer (GD), Günther Holler-Schuster (GHS), Monika Holzer-Kernbichler (MHK), Karin Buol-Wischenau (Biografien) Korrektorat Jörg Eipper-Kaiser, Birgit Pachler Fotos N. Lackner/UMJ Layout Karin Buol-Wischenau Druck Universitätsdruckerei Klampfer, St. Ruprecht/Raab


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