100 Jahre Grenze II: 1919–1945. Leben an der Grenze

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100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln

1919 –1945 Leben an der Grenze



Helmut Konrad Petra Greeff

100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln

1919–1945 Leben an der Grenze

Museum für Geschichte Universalmuseum Joanneum www.museumfürgeschichte.at


Impressum 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln 1919–1945 Leben an der Grenze Autor/in Helmut Konrad Petra Greeff Herausgeberin Bettina Habsburg-Lothringen, Leiterin Museum für Geschichte Lektorat Jörg Eipper-Kaiser Grafische Gestaltung Leo Kreisel-Strauß Druck Medienfabrik Graz Umschlagbild Panzersperren bei Šentilj/St. Egidi als Hindernis gegen die deutsche Wehrmacht Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ

Graz 2018


Inhalt Vorwort Helmut Konrad 100 Jahre Grenze II: 1919–1945 Text- und Bildteil im Wechsel

Radkersburg, Murbrücke. Undatiert, Fotograf unbekannt, Multimediale Sammlungen/UMJ

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Herzlich willkommen! Wir möchten als Museum für Geschichte und Teil eines großen Landesmuseums einen Betrag dazu leisten, die Geschichte der Steiermark ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Mit der Ausstellungs­trilogie 100 Jahre Grenze, die wir vom April 2018 bis zum Mai 2019 in der Hofgalerie unseres Museums zeigen, wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auf den Süden des Landes und seine wechselhafte Entwicklung im 20. und frühen 21. Jahrhundert lenken. Regionale Geschichte steht immer in Beziehung zu überregionalen und europäischen Ereignissen: ­politischen Vorgängen, wirtschaftlichen Bewegungen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Und sie wird von Menschen geprägt, die sich in sozialen, ökonomischen und herrschaftlichen Abhängigkeiten befinden, aber Gegebenheiten nicht nur hinnehmen und reproduzieren, sondern auch infrage stellen, ­verändern und so ihre Lebenswelt aktiv mitgestalten. Blickt man auf zeitgeschichtliche Entwicklungen, also die jüngere Vergangenheit, fällt auf, dass diese wie Magma nur allmählich zu Geschichte gerinnt und gerade dort über Jahrzehnte „heiß“ bleibt, wo sie von Krisen, Brüchen und Widersprüchen bestimmt wird. Geschichte ist hier zähe Verhandlungsmasse, präsent und lebendig gehalten u. a. von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die ihre Erfahrungen in den öffentlichen Diskurs sowie in das Gedächtnis ihrer Familien einweben, unmittelbar, persönlich und in einer Weise berührend, dass die Berichte der wissenschaftlichen Expertinnen und Experten dagegen oft blass und 4


distanziert erscheinen. Im Museum kann beides aufeinandertreffen und in Dialog gebracht werden. Eben dies, das subjektiv Erlebte mit dem dokumen­ tierten Ereignis in Zusammenhang zu bringen, versuchen wir auch im zweiten Teil der Ausstellungsreihe 100 Jahre Grenze. Unter dem Titel Leben an der Grenze: 1919–1945 zeichnen wir die Zwischenkriegszeit im Gebiet zwischen Soboth und Bad Radkersburg, die Zeit des Nationalsozialismus sowie die unmittelbare Nachkriegszeit nach. Der Einsatz privater Fotografien und historischer Filmaufnahmen sowie die Einbeziehung von Zeitzeug/inn/en-Berichten erlauben es dabei, Geschichte nah am Menschen und ihrem Alltag zu vermitteln, ohne das politisch Verstörende oder wirtschaftliche und soziale Konflikte auszusparen. Das Zustandekommen der Ausstellung verdankt sich – wie auch schon im Falle des ersten Teilprojekts – dem Engagement privater Sammlerinnen und Sammler aus der Region sowie der Mithilfe lokaler Museen und Archive. Ihnen sei an dieser Stelle für ihre Unterstützung herzlich gedankt! Mein abschließender Dank gilt erneut Helmut Konrad, dem „inhaltlichen Kopf“ und Kurator der Ausstellung, sowie Petra Greeff aus dem Team der Multimedialen Sammlungen für die wissenschaftliche Mitarbeit! Bettina Habsburg-Lothringen Leiterin Museum für Geschichte 5


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Helmut Konrad

100 Jahre Grenze II: 1919–1945

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ei der letzten Volkszählung in der Donaumonarchie hatten im Gebiet der Untersteiermark etwa 15 % oder gut 73.000 Personen Deutsch als ihre Umgangssprache angegeben. Diese deutschsprachige Bevölkerung lebte vorwiegend in den Städten und stellte in Maribor/ Marburg, Celje/Cilli und Ptuj/Pettau gut 80 % der Bevölkerung. Ökonomisch war diese Gruppe in der Untersteiermark dominant und kulturell verstand sie sich zweifelsfrei als überlegen. Die slowenischsprachige Bevölkerung hatte auf dem flachen Land des Gebietes und insgesamt betrachtet in der ganzen Untersteiermark quantitativ die eindeutige Dominanz. Angesichts dieser Gemengelage war es unmöglich, eine Trennlinie zu ziehen, die von allen als fair empfunden werden sollte. Das Ergebnis des Ersten Weltkrieges machte es aber notwendig, eine neue Grenze zu ziehen. Nach der definitiven Grenzziehung durch die Bestimmungen des Friedensvertrages von Saint Germain, die die Untersteiermark zu einem Teil des SHS-Staates machte, wurden die meisten deutschsprachigen Schulen südlich der neuen Grenze auf slowenischsprachig umgestellt und die deutschsprachigen Beamten der Verwaltung entlassen. Die deutschsprachigen Vereine wurden aufgelöst. Tausende deutschsprachige Untersteirer verließen daraufhin das Gebiet, manche freiwillig, andere unter oft massivem direkten oder indirekten Druck. Bei der Volkszählung von 1921 gaben nur noch 22.500 Menschen Deutsch als ihre Umgangssprache an, 1931 waren es nur mehr 12.400. Obwohl diese Sprachenerhebungen kein unbeeinflusstes Bild zeigen (in Kärnten kreuzten 8

viele Menschen aus slowenischsprachigen Familien Deutsch an und es ist der spiegelverkehrte Prozess zur Untersteiermark zu beobachten) und daher nicht als absolute Größenangaben zu werten sind, ist dieser Rückgang doch erheblich. Er war den neuen politischen Machtverhältnissen geschuldet, zeigt aber auch deutlich, dass Sprache kein Kriterium ist, um nationale oder gar ethnische Zuordnungen vornehmen zu können. Sprache ist nicht nur „Muttersprache“, sondern auch voluntaristisch gewähltes Kommunikationsmittel, wechselbar, freiwillig oder aber durch gelebte Alltagspraxis oder den (erhofften) sozialen Aufstieg zumindest für die nächste Generation. Der SHS-Staat hatte in Saint Germain zugesichert, dass die nationalen (gemeint: die sprachlichen) und religiösen Minoritäten einen Mindestschutz erhalten sollten. Zudem sollten sie auf eigene Kosten Bildungseinrichtungen und soziale Institutionen betreiben können. Wenn auch beiderseits der Grenze die Behörden nicht gerade minderheitenfreundlich agierten, gelang es dennoch einigen deutschsprachigen Industriellen, ihre wirtschaftliche Stellung in Slowenien zu bewahren. Sie waren als private Unternehmer nicht unmittelbar von der Schließung der Schulen oder den Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst betroffen. In der Südbahngesellschaft trafen ← Vorherige Doppelseite Straße im Steirischen Grenzland, undatiert, Fotograf unbekannt, Multimediale Sammlungen/UMJ Rechts Radrundfahrt in Spielfeld im Sommer 1927, Fotograf unbekannt, Multimediale Sammlungen/UMJ, ­Schenkung Kriegl


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hingegen diese Entlassungen die Menschen besonders hart, da bereits die mangelhafte Kenntnis der slowenischen Sprache als Entlassungsgrund ausreichend war. Insgesamt aber war Slowenien durchaus noch von der rechtsstaatlichen Tradition der österreichischen Reichshälfte der Monarchie geprägt, was zu einem relativ berechenbaren Vorgehen der Machthaber führte. Man kann zweifellos sagen, dass beiderseits der Grenze zumindest dann, wenn man Kärnten und die an die dortige slowenischsprachige Bevölkerung gemachten Versprechen und die Zusagen seitens der Kärntner Landesregierung, die für die Volksabstimmung von 1920 gemacht wurden, mit einbezieht, eine Art des Gleichgewichts der Ungerechtigkeiten zwischen Österreich und Jugoslawien erreicht worden war. Die Ungerechtigkeiten hatten die jeweiligen sprachlichen Minoritäten in den Grenzregionen zu tragen. Obwohl also auf beiden Seiten der neuen Grenze die jeweiligen Minoritäten unter großem Assimilationsdruck standen, entwickelte sich entlang der Grenze für einige Jahre eine gewisse Normalität. Die Mur, nunmehr Grenzfluss, war bald wieder beliebtes Ausflugsziel und ein Ort, an dem etwa Wassersport betrieben werden konnte. An den Murbrücken standen jeweils die Grenzkontrollen der beiden Staaten und man musste, wenn man die Grenze passierte, vor allem darauf achten, dass man in Österreich damals im Gegensatz zu Jugoslawien noch auf der linken Straßenseite zu fahren hatte. Aber an der „grünen Grenze“ gab es einen bemerkenswerten kleinen Grenzverkehr, die ökonomischen Bedürfnisse und auch die alten Nachbarschaftsfreundschaften waren oft stärker als die neuen Grenzkontrollen. Es gab Nachbarschaftshilfen, viele Ernte­ arbeiter überschritten die Trennlinie und es gab einen gewissen Warenaustausch. Passierscheine ermöglichten legale Grenz10

übertritte, die notwendig geworden waren, weil die neue Grenze ja manchmal funktionierende alte ökonomische Einheiten durchschnitten hatte. Das Leben an der Grenze schien sich trotz aller Belastungen und menschlichen Verwundungen, die die Grenzziehung als Resultat der Kriegsniederlage Österreichs im Ersten Weltkrieg mit sich gebracht hatte, einzupendeln. Als im Juli 1934 Teile der österreichischen Nationalsozialisten einen Putsch gegen die österreichische Bundesregierung unternahmen, in dessen Verlauf Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet wurde, war nach dem Scheitern des Aufstandes, der in den südlichen Bundesländern zwar nur kurz, aber besonders heftig war, Jugoslawien das bevorzugte Rückzugsland für die geschlagenen und flüchtenden nationalsozialistischen Putschisten, die dort freundliche Aufnahme in Sammellagern fanden und auch die Gelegenheit nutzen konnten, von Jugoslawien aus nach Deutschland zu gelangen, um dort die „österreichische Legion“ zu bilden, die im weiteren Verlauf der Geschichte noch eine Rolle spielen sollte, nicht zuletzt beim Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich im März 1938. Rechts oben Wahrscheinlich 1933 oder 1934: „Zu sehen ist der LKW der Fa. Josef Wurzer in Ehrenhausen, Hauptstraße Nr. 30, mit dem Chauffeur Johann Ackerl (1900–1969) – meinem Vater – und einem Lehrling. Das Unternehmen bestand aus einem Kaufhaus, einer Bäckerei, einer ­Kaffeerösterei und seit 1933 auch einem konzessionierten Lastentransport-Gewerbeunternehmen. Josef Wurzer war auch Beistand von Johann Ackerl bei der Hochzeit mit der Weinbauerntochter Justine Dietrich aus Eckberg 9 im Juli 1941 in Gamlitz.“ Bildbeschreibung durch Hannes Ackerl, Ehrenhausen, Foto: Sammlung Dietrich/Ackerl, Ehrenhausen Rechts unten Mit dem Faltboot auf der Mur unterwegs zwischen Weitensfeld und Spielfeld, 24.07.1934, Fotograf unbekannt, Sammlung Walter Feldbacher, Weinburg


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Radlpass 1930: Gasthaus Fritz zum „Höchwirt“ und SHS-Zollhaus, Fotograf unbekannt, Sammlung Herbert Blatnik, Eibiswald

Mauthnereck bei St. Oswald ob Eibiswald, Fotograf: Nikolaus Strametz, Foto: Sammlung Thürschweller, Aibl

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Nach einem erfolgreichen Traubenerntetag im Herbst 1936 bei einem vollen Traubenbottich auf dem Fuhrwagen vor dem Pressgebäude der Weinbauernfamilie Ignaz und Maria Dietrich, Kastralgemeinde Eckberg Nr. 9, Marktgemeinde Gamlitz in der Südsteiermark. Vorne links der Besitzer Ignaz Dietrich III., seine Gattin Maria, Sohn Ignaz IV., Tochter Margarethe, Knecht Josef Eselberger, x, Franzl Schreiner (gefallen im 2. WK), x, Tochter Justine. Bildbeschreibung durch Hannes Ackerl, Ehrenhausen, Foto: Sammlung Dietrich/Ackerl, Ehrenhausen

Grenzkarte 1935, Vor- und Rückseite, Sammlung Herbert Blatnik, Eibiswald

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Traubenernte im Herbst 1936 im Weingarten der Familie Dietrich in Eckberg 9. Im Bild: Die beiden damals noch ledigen TÜchter Margarethe links und Justine vorne, hinten Lesehelferinnen und als junger Buttenträger Franzl Schreiner. Bildbeschreibung durch Hannes Ackerl, Ehrenhausen, Foto: Sammlung Dietrich/Ackerl, Ehrenhausen Familie Unger bei einem kleinen Zollamt, undatiert, Fotograf unbekannt, Multimediale Sammlungen/UMJ, Schenkung Kriegl

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Das „Grenzlandtreffen“ in Radkersburg, 07.08.1938, Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ

→ Nächste Doppelseite Panzersperren als Hindernis gegen die deutsche Wehrmacht bei Šentilj/St. Egidi, Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ

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ugoslawien hatte sich ab 1934 politisch dem nationalsozialistischen Deutschland angenähert. Mit dem auch durch die Hilfe Englands gestoppten Versuch der italienischen Truppen, Griechenland zu erobern – am 28. Oktober 1940 griffen vom italienisch besetzten Albanien 155.000 Mann Griechenland an und provozierten damit das Eingreifen der britischen Truppen an der Seite Griechenlands – wurde die Lage am Balkan militärisch für alle Seiten immer komplizierter und verworrener. Das hatte Folgen für die Nachbarstaaten Griechenlands. Deutschland hatte in Bulgarien einen Verbündeten, und dieses Land trat am 1. März 1941 dem Dreimächtepakt bei. Die Möglichkeit eines Angriffs auf Griechenland von Bulgarien aus war damit vorbereitet. Jugoslawien trat drei Wochen später, am 25. März 1941, ebenfalls dem Dreimächtepakt bei. Griechenland sah sich dadurch von drei Seiten – von Bulgarien, von Jugoslawien und von Italien – in die Zange genommen. Aber schon zwei Tage nach der Unterzeichnung des Beitritts Jugoslawiens zum Dreimächtepakt putschten in Belgrad jugoslawische Offiziere gegen die deutschfreundliche Regierung und setzten den erst siebzehnjährigen Peter II. auf den Thron des Königreiches. Die alte Regierung wurde umgehend verhaftet. Jugoslawien hatte damit die Seiten gewechselt und war für das nationalsozialistische Deutschland nunmehr ein Hindernis auf dem Weg zu einem militärischen Eingreifen in Griechenland. Vor diesem Hintergrund startete am 6. April 1941 der deutsche Feldzug gegen Jugoslawien und Griechenland. Ohne Kriegserklärung marschierten die deutschen Truppen von Bulgarien aus in Griechenland ein, und von Graz aus wurde der Feldzug gegen Jugoslawien koordiniert. Ebenfalls ohne vorherige Kriegserklärung erhielt die deut18

sche Luftwaffe am Morgen des 6. April den Befehl, Belgrad anzugreifen. Kommandiert wurde der Einsatz von Alexander Löhr, der 1945 in jugoslawische Kriegsgefangenschaft geriet und 1947 in Belgrad als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet wurde. Mit über 700 Bombern und Stukas wurde dieser überraschende und zerstörerische Luftangriff auf Belgrad und auf die jugoslawischen Flughäfen geflogen. Gleich darauf überschritten die Truppen die Grenzen und in nur vier Tagen war Zagreb eingenommen. Zwei Tage später fiel auch Belgrad und am 17. April 1941 musste der jugoslawische Oberbefehl die bedingungslose Kapitulation unterschreiben. Etwa 350.000 Mann gerieten in Kriegsgefangenschaft, der junge König und seine Regierung verließen das Land. Jugoslawien wurde aufgeteilt. Die dramatische Geschichte Südosteuropas war um ein Kapitel angewachsen und die Folgejahre sollten ein weiteres hinzufügen.

Rechts oben Die am 07.04.1941 von den jugoslawischen Truppen vor dem deutschen Einmarsch zerstörte Marburger Reichsbrücke, Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ Sogenannte „General-Gercke-Brücke“ in der Nähe von Maribor/Marburg, benannt nach Rudolf Ernst Otto Gercke, 1884–1947 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, ab Oktober 1939 Chef des Feldtransportwesens und 1942 General der Infanterie, Fotograf: Alfred ­Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ Rechts unten April 1941: Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Maribor/Marburg, Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ


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Maribor/Marburg, gesprengte Draubrücke, April 1941, Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ

Hölzerne Behelfsbrücke über die Drau in Maribor/Marburg, April 1941, Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ

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Hölzerne Behelfsbrücke über die Drau in Maribor/Marburg, 1941, Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ

Vormarsch der deutschen Wehrmacht durch Leutschach, 1941, Foto: Julius Pinnitsch, Leutschach

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Linke und rechte Seite St. Veit am Vogau, Durchzug der 125. Infanterie-Division (auch „Wiesel-Division“ genannt), 1941, Foto: Gemeindearchiv Marktgemeinde St. Veit in der Südsteiermark

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Vormarsch der deutschen Wehrmacht durch Leutschach, 1941, Foto: Julius Pinnitsch, Leutschach

Vormarsch der deutschen Wehrmacht durch Leutschach, 1941, Foto: Julius Pinnitsch, Leutschach

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Unteroffizier der deutschen Wehrmacht auf der Hauptstraße in Križevci pri Ljutomeru/Kreuzdorf, 1942, Sammlung Walter Feldbacher, Weinburg

→ Nächste Doppelseite Pfarrer Josef Kurzmann in geselliger Runde im kühlen Schatten der Kirche von Sv. Barbara v Halozah in Čirkulane/St. Barbara bei Pettau. In einem Schreiben an das bischöfliche Ordinariat, in dem er um die Anstellung eines jungen Priesters für die große Pfarre bat, meinte er: „[…] Wie überhaupt die Bevölkerung, gerade in Kollos [sic!], gut katholisch ist an ihren Priestern hängt, auch an uns deutschen Priestern. Der Priester ist für sie doch ein Gesandter Gottes und da sehen sie über seine Nationalität hinweg. […] Slovenisch braucht er ja nicht zu können, darf ja eigentlich nicht können. Die Bevölkerung versteht uns schon […].“ Diözesanarchiv Graz-Seckau, Personalakte Josef Kurzmann, Foto: Multimediale Sammlungen/UMJ

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roatien, erweitert um Slawonien, ­Syrmien, große Teile Dalmatiens sowie Bosnien und Herzegowina, wurde zu einem Vasallenstaat Hitlerdeutschlands, in dem die Ustascha-Bewegung am Ruder war. Diese Regierung nahm in der Folge an der Seite der deutschen Wehrmacht an der Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden auf dem Balkan teil und die grausame Behandlung der serbischen Bevölkerung ist Teil der bis heute nicht wirklich bewältigten wechselseitigen Verwundungsgeschichte in dieser Weltregion. Nicht nur in den Kriegen im Zerfallsprozess Jugoslawiens in den Neunzigerjahren brachen die alten wechselseitigen Vorwürfe wieder auf, sondern auch in der Alltagskultur oder im Sport zeigen sie sich bis heute. Die Region um die slowenische Hauptstadt Ljubljana/Laibach und die slowenische Adriaküste überließen die siegreichen deutschen Truppen den Italienern. Der Nordosten Sloweniens fiel an die Ungarn. Vier Gemeinden des Übermurgebiets/Prekmurje wurden der Steiermark eingegliedert. Das Deutsche Reich selbst kontrollierte gut 10.000 Quadratkilometer zwischen Radkersburg und der kroatischen Grenze, ein Gebiet, in dem etwa 800.000 Menschen lebten und das sich verwaltungstechnisch in die Untersteiermark und Oberkrain teilte. Für Oberkrain war der Kärntner Gauleiter Rainer zuständig, die Untersteiermark wurde vom Gauleiter der Steiermark, Siegfried Uiberreither, als CdZ (Chef der Zivilverwaltung) zur Verwaltung übernommen. Vertreten wurde er in Maribor/ Marburg durch den Regierungspräsidenten Müller-Haccius. Die vollständige Eingliederung der Untersteiermark in den Gau Steiermark war zwar geplant, wurde aber bis Kriegsende nicht vollzogen. In der Wahrnehmung der deutschsprachigen Steirerinnen und Steirer war trotzdem die alte Landes28

einheit wiederhergestellt. Das CdZ-Gebiet wurde allerdings noch um einige Gemeinden erweitert, sodass die Grenzen nur teilweise den alten Kronlandgrenzen entsprachen. Das CdZ-Gebiet gliederte sich in den Stadtkreis Marburg und die Landkreise Celje/ Cilli, Maribor/Marburg-Umgebung, Ptuj/ Pettau, Ljutomer/Luttenberg, Brezice/Rann und Trbovlje/Trifail. Ihnen stand jeweils ein deutscher politischer Kommissar vor. Obwohl also die formelle Eingliederung der Untersteiermark in den Gau Steiermark und damit die weitgehende Wiederherstellung der alten Landeseinheit aus der Zeit der Habsburgermonarchie formal nicht vollzogen wurde, hatte die Grenzlinie, die 1919 durch das Land gezogen wurde, für einige Jahre ihre politische und emotionale Funktion verloren. Sie war nur noch verwaltungstechnisch sichtbar. Die Steiermark hatte sich im Selbstverständnis ihrer Bewohner praktisch in der alten Form von 1918 neu konstituiert. Und es ist nicht zu bestreiten, dass der größte Teil der deutschsprachigen Bevölkerung der Grenzregion diese neue Situation nachdrücklich begrüßte. Auch die deutschsprachige Minorität der Untersteiermark zählte zu den heftigsten Befürwortern der politischen Änderung. Der National­ sozialismus fand hier heftige Unterstützer. Aus dem Milieu der deutschsprachigen Oberschicht in den untersteirischen Städten, oft verbunden mit einem Studium der jungen Männer an den Universitäten in Graz,

Rechts Überdeckung slowenischer Straßenschilder im April 1941 mit deutschen Bezeichnungen. Hier in der Ulica kneza Koclja/Knez-Kocelj-Straße, Maribor/Marburg, April 1941, Foto: Adolf K ­ ristan, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor


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war auch eine ganze Reihe von führenden österreichischen Nationalsozialisten hervorgegangen, was durch das Selbstverständnis der deutschsprachigen Eliten dieser Region, ein „Grenzposten“ deutscher Kultur zu sein, erklärbar ist. Uiberreither betrieb im CdZ-Gebiet eine rücksichtslose Germanisierungspolitik. In kürzester Zeit mussten alle topografischen Aufschriften und die Aufschriften an Geschäftsportalen von Slowenisch auf Deutsch geändert werden. Schon am 20. Oktober 1941 erließ er als Chef der Zivilverwaltung einen Erlass über die deutsche Schreibweise der Vor- und Familiennamen. Dieser Erlass legte fest, dass nur die deutsche Schreibweise der Namen zulässig ist: „Slowenische Vornamen, denen ein deutscher Vorname entspricht, dürfen nur in der deutschen Form gebraucht werden.“ Auch die Familiennamen mussten eingedeutscht werden, so wurde etwa Majster zu Meister. Das galt für alle amtlichen Dokumente wie Geburten- und Sterberegister, Familienbücher und alle Verträge. Slowenisch hatte aus der Wahrnehmung zu verschwinden. Das gesamte Erscheinungsbild der Untersteiermark unterlag diesen Bestimmungen. Alles war penibel durch Erlässe geregelt. Für die Slowenen begann eine Zeit der Verfolgung und Deportation. Die neuen nationalsozialistischen Herren siedelten jene Slowenen, die als „nicht eindeutschungsfähig“ klassifiziert wurden, nach Kroatien oder Serbien aus. Etwa 36.000 Sloweninnen und Slowenen, denen Rassenforscher einen Anteil „deutschen Blutes“ zuschrieben, wurden zwischen Oktober 1941 und Juli 1942 ins „Altreich“ verschleppt, wo sie in Lagern darauf zu warten hatten, als Grenzbauern im Osten Europas angesiedelt zu werden. Man sprach in diesem Zusammenhang von einer 30

„Rückvolkung“. Die Einsatzstelle Südost des Rasse- und Siedlungs-Hauptamtes SS evaluierte die Bevölkerung und ordnete sie drei Gruppen zu: „V“ bedeutete den erlaubten Verbleib in der Untersteiermark, „E“ stand für Evakuierung, die die Zwangsaussiedlung nach Kroatien oder Serbien bedeutete, und „A“ bedeutete die Deportation ins „Altreich“. Besonders dramatisch stellte sich die Situation für viele Kinder aus den Familien mit slowenischer Umgangssprache dar. Sie wurden vielfach von ihren Eltern getrennt und mussten ein Leben in der anderen Sprache führen lernen. Für viele Familien waren das traumatische Erfahrungen. Aus der Untersteiermark wurden nicht weniger als 15.000 Menschen allein im Sommer 1941 nach Serbien oder Kroatien verschleppt, nur mit jenem Teil ihres Besitzes, den sie persönlich zu tragen in der Lage waren. Ein „Umsiedlungsstab“ in Maribor/ Marburg unter der Leitung der dortigen Befehlshaber des Sicherheitsdienstes und der Polizei deportierte die gesamte slowenische Intelligenz sowie jene Menschen, die „offensichtlich ein Bild artfremden Bluteinschlags“ abgaben, in Richtung Süden. Das waren jene Menschen, bei denen die Nationalsozialisten keine Möglichkeit für eine „Rückvolkung“ sahen, da bei ihnen kein Anteil „deutschen Blutes“ zu erkennen war. Vor allem aber waren dies Menschen, die man als „deutschfeindliche Exponenten“ bezeichnete, womit nicht nur Politiker, sondern die gesamte slowenischsprachige Intelligenz gemeint war. Insgesamt wurden rund 80.000 Menschen aus- oder umgesiedelt, darunter etwa über 90 % der slowenischsprachigen Priester und 84 % der Ingenieure.


24.10.–19.11.1941: 23.000 Personen werden in 34 Transporten ins „Altreich“ deportiert, nach: Niederschlesien (24.10.–4.11., 12 Transporte) Brandenburg (29.10.–1.11., 4 Transporte) Hanover (2.–4.11., 3 Transporte) Thüringen (6.–9.11., 4 Transporte) Sachsen (10.–19.11., 11 Transporte)

23.11.–9.12.1941: 9.500 Personen werden in 19 Transporten nach Baden-Württemberg deportiert. 21.1.–5.2.1942: Deportation von 2000 Menschen nach Baden 26.3.–30.7.1942: 4 Transporte von 2000 Personen nach Thüringen

Ungarn

Österreich Maribor Slovenska Bistrica

Ptuj

Velenje Kranj

Italien

Sammellager Dobrova, Transport nach Rajhenburg/Reichenburg Dobrova

Trbovlje

Ljubljana Švet Vid

Celje

7. Juni–4. Juli 1941: 11 Transporte von Maribor nach Arandželovac, Serbien. Insgesamt wurden 48091 Personen deportiert

Rajhenburg

Nova Gorica

Slowenien

7. Juli 1941: Deportation von Slowenen von Slovenska Bistrica nach Arandželovac, Serbien

Novo mesto

11.–26.7.1941: Deportation von 9833 Personen nach Slavonska Požega, Kroatien Koper

6.–10. Juli 1941: 2337 Personen vom Lager Švet Vid nach Slavonska Požega

Kroatien Kroatien

Deportation von Slowenen in das „Altreich“: Zwischen Frühling und Sommer 1941 „begutachtete“ die nationalsozialistische Administration in Slowenien fast die gesamte Bevölkerung sowohl politisch als auch „rassisch“. Man versuchte, alle „deutschfeindlichen Personen“ zu eliminieren. Die rassische Erfassung diente der Erhebung ­„rassenfremder Elemente“. Die politische Evaluation verteilte Noten von 1 bis 5, rassische Beurteilungen rangierten von I bis IV, die „Bestnote“ war demnach „I,1“. Jede Person wurde geprüft, danach wurde die gesamte Familie „rassisch“ bewertet. Daraus ergaben sich drei Kategorien: „E-Fälle“ („Evakuierungsfälle“) wurden zur Deportation nach Serbien oder in das damals unabhängige Kroatien bestimmt, „V“ stand für „verbleibt“, „A“ für die Deportation ins „Altreich“. Vom 24.04. bis 15.09.1941 überprüfte die „Einsatzstelle Südost des RSHA-SS“ (Reichssicherheitshauptamt der SS) insgesamt 312.252 Personen. Karte erstellt von Petra Greeff, MMS/UMJ, grafische Umsetzung: Leo Kreisel-Strauß, UMJ Vgl. Damjan Hančič, Renato Podbersič, „Totalitarian Regimes in Slovenia in the 20th Century“, in: Crimes comitted by totalitarian regimes. Crimes and other gross and large scale human rights violations committed during the reign of totalitarian regimes in Europe: crossnational survey of crimes committed and of their remembrance, recognition, redress, and reconciliation. Reports and proceedings of the 8 April European public hearing on „Crimes committed by totalitarian regimes“, organised by the Slovenian Presidency of the Council of the European Union (January–June 2008) and the European Commission, S. 39–60, hier S. 45 f.

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April 1941: Ehemalige Landwehrkaserne Maribor/Marburg, Sammellager für Kriegsgefangene (späteres Stalag 306 - Stalag XVIII D), Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor August 1942: Ehefrauen und Kinder von Männern, die bei Massenerschießungen hingerichtet wurden, warten in einem Schulhof in Celje/Cilli auf den Transport in ein Konzentrationslager. Wenig später werden Kinder von ihren Müttern getrennt. Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor

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Angehörige einer Rassenkommission untersuchen 1941 die Bevölkerung von Šmartno na Pohorju/St. Martin in Windisch Bühel, Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor Das hier gezeigte Bild zeigt eine Familie aus Bezena (heute Gemeinde Ruše) vor der Untersuchung durch die ­Rassenkommission des „Steirischen Heimatbundes“, 1941, Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor

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ür die etwa 36.000 Sloweninnen und Slowenen aus der Untersteiermark, die in der Sprache der Nationalsozialisten für eine „Rückvolkung“ infrage kamen und in die Lager der „Volksdeutschen Mittelstelle“ im Deutschen Reich zwangsumgesiedelt worden waren, holte man gut 11.000 Menschen aus der Gottschee in die verlassenen Dörfer und Höfe. Die Gesamtstatistik für die Untersteiermark und Krain zählt 45.000 Menschen, die nach Deutschland verschleppt wurden, 10.000 wurden nach Kroatien deportiert, 7.500 nach Serbien. 17.000 Personen flohen ins Ausland und nicht weniger als 15.000 wurden in Konzentrationslager eingewiesen. 4.500 wurden als Feinde hingerichtet. Und der Großteil der kleinen jüdischen Gemeinde von etwa 550 Menschen verlor das Leben in den Vernichtungslagern. Besonders wichtig war Uiberreither die Änderung der Unterrichtssprache in den Schulen. Schon am 19. Mai 1941 meldete er an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, in Berlin: „Vorhanden sind 394 Volksschulen und 26 Bürgerschulen mit zusammen 2255 Klassen. Ich habe aus dem Gau Steiermark bisher insgesamt 482 Lehrer und Lehrerinnen nach hierher abgeordnet und ziehe in den nächsten Wochen noch rund 500 Lehrerinnen aus dem Gau Steiermark heraus, sodass mit Ende Mai rund 1000 Lehrkräfte hier in Verwendung sein werden.“ Es tat sich also ein breites Berufsfeld vor allem für weibliches Lehrpersonal aus dem Gau Steiermark auf, zudem es neben den Grundschulen auch um Gymnasien, Fachschulen und eine Lehrerbildungsanstalt in Maribor/Marburg ging. Für viele Lehrerinnen, aber auch für manche Lehrer war das eine Chance, ja oftmals die erste Gelegenheit, 36

ihren Beruf auszuüben, weshalb sich genügend Lehrpersonal fand. Zudem wurden die slowenischen Bibliotheken vernichtet, die meisten Bücher eingestampft. Die meisten deutschsprachigen Personen der Untersteiermark meldeten sich als Mitglieder zum „Steirischen Heimatbund“, der letztlich weit über 300.000 Mitglieder zählte und unter der Führung von Franz Steindl stand. In dieser Organisation bündelte sich die rücksichtslose Germanisierungspolitik. Gegen diese politischen Praktiken regte sich Widerstand, gegen den die deutschen Behörden hart durchgriffen. Sogenannte „Banditen“ wurden hingerichtet, es gab Gruppenerschießungen und Sperrzonen für Gebiete, in denen sich Widerstandsnester gebildet hatten. Plakate in beiden Sprachen dokumentieren dieses harte und oft grausame Durchgreifen der Behörden. Aber der Widerstand kam dadurch nicht zum Erliegen und er wurde schließlich zum Nukleus für eine organisierte Form des Kampfes gegen die deutsche Herrschaft auch in der Untersteiermark. Für die deutsche Wehrmacht galt die Untersteiermark

← Vorherige Doppelseite Slowenische „Auswanderer“ auf dem Weg vom Anhaltelager Landwehrkaserne in Maribor/Marburg zum Bahnhof Maribor/Marburg in den frühen Julitagen 1941. Rund 11.000 dieser „abgesiedelten“ (= deportierten) Menschen wurden mit Bahntransporten in die Länder Baden und Württemberg transportiert. In Baden wurden sie in 16 Lagern untergebracht, in Württemberg in 23. Fotograf unbekannt, Foto: Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor Vgl. Martin Grasmannsdorf, „Slowenen in Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle in den Gauen Württemberg-Hohenzollern und Baden“, in: VII. Das Magazin der Sloweninnen und Slowenen in der Steiermark, Band 2017/18, S. 141–151, hier 143.


Deutsche Sammellager für Slowenen 1941 Ungarn

Österreich Brestrnica

Maribor

Smartno Ptuj

Schloss Borl/ Ankenstein b. Cirkulane

Velenje Kranj

Italien

Trbovlje

Celje

Šentvid

Kroatien

Ljubljana Nova Gorica

Slowenien

Novo mesto

Koper

Kroatien

1941 entstanden vor allem im Norden des heutigen Slowenien Sammellager, in denen rund 80.000 Slowenen konzentriert und schließlich deportiert wurden. Karte erstellt von Petra Greeff, MMS/UMJ, grafische Umsetzung: Leo Kreisel-Strauß, UMJ

Maribor/Marburg, April 1941: Teilnehmer/ innen eines vom „Steirischen Heimatbund“ organisierten Deutschkurses. Das Foto wurde in der Tageszeitung „Die Tagespost“ im April 1941 gedruckt. Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor

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als „bandenverseucht“. So galt es auch als sinn- und aussichtsloses Vorhaben, hier einen Schutzwall zu bauen. Aus den Mitgliedern des „Steirischen Heimatbundes“ rekrutierte man „Wehrmannschaften“, die einerseits den Südostwall bauen helfen sollten, anderseits aber auch zur Bekämpfung der Partisanen eingesetzt wurden. Insgesamt waren über 66.000 Mann in diesen Wehrmannschaften organisiert, darunter auch die meisten Lehrer, die in den Ferien ihren Dienst ableisteten. Dennoch gelang es den Wehrmannschaften nicht entscheidend, etwa die Region um den Bachern/Pohorje bei Maribor/Marburg militärisch zu kontrollieren. Und der geplante Südostwall blieb in der Untersteiermark nur Stückwerk. In der Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 hatten sich die alliierten Mächte darauf verständigt, dass die Wiedererrichtung Österreichs in den Grenzen von 1938 eines der Kriegsziele zu sein hatte. Diese Erklärung besagte, „dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll“. Auf diesen Satz gründete sich der „Opfermythos“, der den Folgesatz, in dem formuliert wird, dass Österreich „für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann“, geflissentlich ignorierte. Und auch der Satz, der festhielt, dass die Behandlung Österreichs nach dem Krieg auch davon abhängen würde, „wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird“, wurde rasch verdrängt. Für die Südgrenze bedeutete das zweierlei: Die Untersteiermark würde also wieder dem südslawischen Staat zugeschlagen werden, aber Ansprüche Jugoslawiens auf Gebiete Österreichs lagen außerhalb der alliierten 38

Beschlüsse. Zudem verspielte Jugoslawien in der Person von Josip Broz Tito durch den Bruch mit Stalin die Unterstützung der Sowjetunion bei seinen Gebietsansprüchen. Die Grenze in dem im Wesentlichen in Saint Germain festgelegten Verlauf war also die Realität, auf die man sich bei Kriegsende einzustellen hatte. Das bedeutete, dass die deutschsprachige Bevölkerung der CdZ-Zone, die ja teilweise erst nach 1941 angesiedelt worden war, sich bei Kriegsende außerhalb des von der provisorischen österreichischen Bundesregierung beanspruchten und vertretenen Staatsgebiets befand, obwohl sie bis zum Kriegsende ja verwaltungstechnisch und wohl auch emotional Steirer im deutschen Herrschaftsgebiet waren und somit Deutsche. Dass in den umkämpften Mischgebieten die Erwartungshaltung, sich auch politisch für die Nationalsozialisten zu exponieren, besonders groß gewesen war, machte diese Menschen zu Feindbildern für die slowenischsprachigen Freiheitskämpfer gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Eine Fluchtbewegung nach Norden setzte ein, Menschen, die im Selbstverständnis „Reichsdeutsche“ waren, waren nun „Volksdeutsche“, also Deutschsprachige, die im jugoslawischen Ausland ihren Wohnsitz gehabt hatten und nun aus Furcht vor der Vergeltung flohen. Und die Vergeltung setzte ein, teilweise mit Grausamkeit. Das Unrecht und die Brutalität des Jahres 1941 und der drei Folgejahre fand seine spiegelverkehrte Entsprechung in den Wochen und Monaten um das und nach dem Kriegsende.


Angehörige der deutschen Wehrmacht erschießen Mitglieder und Sympathisanten der Befreiungsbewegung im Hof des Gefängnisses von Celje/Cilli, 22.07.1942. Links im Bild: Menschen, deren Augen für die Erschießung verbunden sind. Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor Porträt des Partisanenführers Jože Lacko (1894– 1942), der rund um Ptuj/Pettau die Partisanen organisiert hatte. Nach seiner Gefangennahme durch die deutsche Besatzungsmacht wurde er gefoltert und verprügelt. Er musste ein Schild tragen mit der Aufschrift: „Ich bin der Mörder und Banditenführer Josef Latzko“. Sein „slawischer“ Name wurde dabei eingedeutscht. Jože Lacko wurde durch die Straßen von Ptuj/Pettau getrieben. Er starb am 18.08.1942 im Gefängnis von Ptuj/Pettau an den Folgen der Folter. Am 21.12.1951 wurde er zum jugoslawischen Nationalhelden erklärt. Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor

→ Nächste Doppelseite Der Priester Jože Lampret (1903–1969) trägt verwundete Angehörige der 14. Partisanendivision am 19.02.1944 in Paški Kozjak. Lampret war ab 13.09.1943 Priester in der 14. Partisanendivision.Fotograf: Jože Petek, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor

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ie vorrückenden Einheiten der Volksbefreiungsarmee (NOV), also die Titopartisanen, sahen nicht nur die Deutschen als Gegner, sondern auch jene Slowenen, die teils freiwillig, teils gezwungen mit den Deutschen kollaboriert hatten, sowie jene, die aus ideologischen Gründen in den Partisanen nicht primär die Befreier sahen. Ihr Kampf richtete sich daher auch gegen die slowenische Heimwehr (Domobranzen). Militärisch gelang den Partisanen am 9. Mai die Gefangennahme von Alexander Löhr. Die Kämpfe gingen auch nach Kriegsende weiter, vor allem mit den Angehörigen der kroatischen Ustascha. Die Titotruppen überschritten die nunmehr wieder gültige Grenzlinie und besetzten das Land bis zur Sulm. Gemeinsam mit den Bulgaren kontrollierten sie für einige Zeit die Südsteiermark fast bis Wildon. Das Gebiet ging erst am 24. Juli 1945 in die inzwischen britisch besetzte Steiermark über. Die Briten hatten die Steiermark im Juli 1945 von den Sowjets übernommen. Steiermark und Kärnten bildeten in der Folge bis 1955 die britische Besatzungszone in Österreich. Gebietsansprüche Jugoslawiens wurden seitens der Alliierten nicht unterstützt. Im neuen Jugoslawien südlich der alten und neuen Grenzlinie sah sich die deutschsprachige Bevölkerung schwersten Repressionen ausgesetzt. Viele machten sich auf den Weg nach Norden, aber immer wieder wurden die Flüchtlingstrecks angehalten. So wurden etwa einige Hundert Gotscheer aus dem Ranner Dreieck, die mit dem Zug nach Österreich gelangen sollten, von den deutschen Behörden bis zum Tag der Kapitulation am 8. Mai 1945 festgehalten, ehe die Evakuierung gelang. Vielen gelang die Flucht nicht. 42

1942 hatten die deutschen Besatzer in Strnišče/Sterntal ein Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter eingerichtet, um sie in der Aluminiumproduktion einzusetzen. Dieses Lager verwendeten die siegreichen Truppen der Titoarmee nun, um die deutschsprachige Bevölkerung in einem Konzentrationslager zu sammeln. Das Lager, das für maximal 2.000 Personen gebaut war, musste in den Folgemonaten eine Vielzahl aufnehmen und war ständig mit 8.000 bis 12.000 Insassen belegt. Um die 5.000 Menschen fanden allein in diesem Lager den Tod. Daneben gab es noch weitere Lager in Teharje/Tüchern, Hrastovec/Gutenhag, Tecna, Brestrnica, Karnica und Studenci, alle mit ähnlich schlechten Lebensbedingungen. Aus Apače/Abstall traten etwa 2.500 Menschen die Flucht an, wurden aber nicht über die von den Briten gesperrte Murgrenze gelassen. Sie kamen mit dem Zug über Ungarn bis nach Wien, wurden aber zurückgewiesen. An der ungarisch-jugoslawischen Grenze erneut angehalten, starben 77 Menschen in den abgesperrten Viehwaggons. Nicht nur die deutschsprachige Bevölkerung der Untersteiermark sah sich Terror und Verfolgung ausgesetzt. In der Untersteiermark lag auch eines der drei slowenischen Konzentrationslager für die Angehörigen der slowenischen Heimwehr, und zwar in Teharje/Tüchern bei Celje/ Cilli. Das Lager Sterntal wurde ab 1949 als politisches Umerziehungslager geführt. In Brestnica und Studenci befanden sich zeitgleich Zwangsarbeiterlager. Die ungarische ­Minorität fand sich 1945 in drei Konzentrations­lagern (Filovce, Strnišče/ Sterntal und Hrastovec/Gutenhag) wieder.


Kolonne der slowenischen Šercer-Brigade bei den Ruinen des „Senjor“-Hauses am Pohorje/Bachern, Mitte 1944, Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor

Der Arzt Dr. Jože Benigar (1909–1981) bei seiner Tätigkeit als Zahnarzt bei einer Partisaneneinheit, Pohorje/Bachern, 16.08.1944, Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/Nationales Befreiungsmuseum Maribor

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Links oben Kriegsgefangene deutsche und kroatische Soldaten auf dem Todesmarsch durch Maribor/Marburg, Foto: Wikipedia Links unten Gruppe von Partisanen am 09.05.1945 in Ruše, Fotograf unbekannt, Muzej narodne osvoboditve Maribor/ Nationales Befreiungsmuseum Maribor. Die weiße Nummerntafel weist auf eine Ausgabe derselben vor 1945 durch den Landrat Maribor/Marburg hin. (Auskunft von Dr. Christian Klösch, Technisches Museum Wien)

Rechts oben und unten Partisanenporträts: Nach dem Kriegsende 1945 ließen zahlreiche Partisanen im Fotostudio Fauth in St. Peter im Sulmtal ein Erinnerungsfoto machen. Die Multimedialen Sammlungen sind im Besitz dieser einzigartigen Zeitdokumente. Multimediale Sammlungen/UMJ

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as Unrecht, die Grausamkeit, die Vertreibungen, Verfolgungen und Vernichtungen, die die Hitlerarmee unter bedeutsamer Teilnahme von Menschen aus der Steiermark im Gebiet der Untersteiermark an der ­slowenischsprachigen Bevölkerung und unter Vernichtung der jüdischen Bevölkerung begangen hatte, wurde also mit spiegelverkehrter Grausamkeit beantwortet. Die Grenze befand sich aber seit September 1945 wieder dort, wo sie 1919 gezogen worden war. Allerdings hatte sie nun ihren Charakter verändert. Sie war nunmehr ein

Teilstück jenes „Eisernen Vorhangs“ geworden, der Europa von der Ostsee bis zur Adria durchschnitt und der die Lebenswelten in Ost- und Westeuropa für Jahrzehnte voneinander abschottete. Spielfeld war nun in Westeuropa, Šentilj war in Osteuropa. Dass die nationalsozialistischen Truppen bei ihrem Rückzug noch die Eisenbahnbrücke in Radkersburg sprengten, machte symbolisch deutlich, dass die Mur in diesem Abschnitt zu einem Grenzfluss geworden war, der ­Welten trennte.

11.174 Personen siedeln sich im Süden der Steiermark an.

Ungarn

Österreich Maribor

Ptuj

Velenje Kranj

Trbovlje

Italien

Celje

Ljubljana Nova Gorica

Brežice

Slowenien

Novo mesto

14.11.1941-20.1.1942: Volksdeutsche aus Kočevje/Gottschee werden nach Brežice umgesiedelt

Koševje Koper

Kroatien Kroatien

Umsiedlung sogenannter „Volksdeutscher“ aus der Gottschee, Karte erstellt von Petra Greeff, MMS/UMJ, grafische Umsetzung: Leo Kreisel-Strauß, UMJ

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Konzentrationslager für Volksdeutsche (1945) Ungarn

Österreich Kamnica Hrastovec/Gutenhag Tecno Studenci Maribor

Velenje Kranj

Trbovlje

Italien

Strnišče/ Sterntal

Ptuj

Teharje/Tüchern Celje

Kroatien

Ljubljana Nova Gorica

Slowenien

Novo mesto

Koper

Kroatien

Im Frühjahr 1945 wurden in Strnišče/Sterntal, Hrastovec/Gutenhag, Studenci, Brestrnica, Kamnica/Kamnik, Tezno und Teharje/Tüchern Konzentrationslager für sogenannte „Volksdeutsche“ errichtet. Diese Lager waren völlig überbelegt, die hygienischen Bedingungen katastrophal. Bald brachen Krankheiten wie Ruhr und Typhus aus. Das Lager Strnišče/Sterntal war für 2.000 Personen ausgelegt, wurde aber mit 8.000 bis 12.000 Personen belegt. Die genaue Zahl der Todesopfer von Strnišče/Sterntal ist noch unbekannt, Schätzungen liegen zwischen 800 und 5.000 Menschen. Karte erstellt von Petra Greeff, MMS/UMJ, grafische Umsetzung: Leo Kreisel-Strauß, UMJ

Exhumierte Überreste von ca. 700 Menschen – Soldaten und Zivilisten – aus drei Massengräbern in Košnica/ Koschnitz bei Celje/Cilli. Diese wurden dort im Mai und Juni 1945 von Tito-Partisanen ermordet. Im September 2015 förderte die österreichische Bundesregierung aufgrund eines Entschließungsantrages die Exhumierung „altösterreichischer Nachkriegsopfer kommunistischer Partisanen“ [1051/A(E) XXV. GP – Entschließungsantrag (elektr. übermittelte Version)]. Foto: Roman Leljak, für die Ausstellung zur Verfügung gestellt von Dr. Ingeborg Mallner, Obfrau des Vertriebenen-Verbandes der Deutschen Untersteirer

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Oben Ansicht des FlĂźchtlingslagers Wagna kurz vor dessen AuflĂśsung, Fotos vom 24.09.1955, Fotograf: Egon Blaschka, Multimediale Sammlungen/UMJ Unten Salzburg, Lager Lehen, Februar 1953, Fotograf unbekannt, Foto: Sammlung Dr. Gabriela Stieber, Hitzendorf

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Oben Die aus Gablonz vertriebene Familie Appelt in der ­Gleinker Siedlung in Steyr, Fotograf unbekannt, Foto: Sammlung Dr. Gabriela Stieber, Hitzendorf Unten Barackenlager Kapfenberg, Kßche der Familie Tursky, Sammlung Dr. Gabriela Stieber, Hitzendorf

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Oben links und rechts Ansichten des FlĂźchtlingslagers Wagna kurz vor dessen AuflĂśsung, Fotos vom 24.09.1955, Fotograf: Egon Blaschka, Multimediale Sammlungen/UMJ Unten links Weingarten direkt an der Staatsgrenze 1945, Foto: Familie Gross, Ratsch

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Museum fĂźr Geschichte Universalmuseum Joanneum www.museumfuergeschichte.at


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