Wir und Passarowitz 300 Jahre Auswirkungen auf Europa
Wir und Passarowitz 300 Jahre Auswirkungen auf Europa 6. April bis 4. November 2018
Inhalt
4 Bettina Habsburg-Lothringen Vorwort 6 Harald Heppner Thema und Ausstellungskonzept 10
Claudia Reichl-Ham Der Türkenkrieg von 1716 bis 1718
24 Ernst Petritsch Die internationalen Beziehungen zur Zeit des Vertragswerkes von Passarowitz 38
Harald Heppner Wirtschaftliche Beziehungen einst und jetzt
42 Nikolaus Reisinger Die Verkehrsentwicklung zwischen Mittel- und Südosteuropa seit dem 18. Jahrhundert 52 Harald Heppner Das Werden der diplomatisch-konsularischen Infrastruktur 56 Sabine Jesner Grenzschutz im und gegenüber dem Südosten 62 Michaela Wolf und Clara Schmickl-Reiter Dolmetschen zwischen Imperien: Multiple Rollen der Sprachmittler 68
Christian Promitzer Der Balkan im Erfahrungshorizont deutschsprachiger Reiseschriftsteller/innen (1719-1913)
76 Helmut Eberhart Der fremde Blick. Konstantinopel im Spiegel seiner Darstellungen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert 88
Harald Haslmayr „Alla Turca“. Das türkische musikalische Idiom in der Wiener Klassik
94 Hannes Galter Passarowitz und die Anfänge der Orientalistik in Österreich 102 Daniel Modl Die Reise Erzherzog Johanns nach Südrussland, Konstantinopel und Griechenland im Jahr 1837 108
Florian Bieber Was kommt nach dem Krieg? 300 Jahre Friedenspläne in Südosteuropa
114 Harald Heppner Die Stationen der Ausstellung
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Vorwort
Das Landeszeughaus ist ein historischer Ort und eines der bedeutenden Baudenkmäler der Stadt. Es ist Zeuge einer konfliktreichen Zeit und seit seiner Musealisierung ein wichtiger Teil des Landesgedächtnisses. Jährlich beeindruckt die Geschlossenheit und ästhetische Wirkung seiner Sammlung sowie die Atmosphäre des Raums Zehntausende Besucherinnen und Besucher. Die Präsentation von Krieg bedeutete für einen Gutteil der Museumsgeschichte technische Dokumentation, Rechtfertigung von militärischer Auseinandersetzung und Gedenken an heldenhafte Kämpfer. In der Vermittlungsarbeit rund um das Landeszeughaus lag der Fokus in den letzten Jahrzehnten auf den waffentechnischen und kunsthandwerklichen Meisterleistungen, die hinter den gezeigten gut 30.000 Rüstungen und Waffen stehen.
In voller Anerkennung seiner Bedeutung als Kulturdenkmal bemühen wir uns heute, diesen Zugang zu erweitern und – ausgehend vom spezifischen Ort und der „sensiblen Sammlung“ – die Aufmerksamkeit des Publikums auf zusätzliche Themen zu lenken: So widmen wir uns in Veranstaltungen und Vermittlungsprogrammen der Geschichte und Funktionalität der Architektur oder der Technik- und Wirtschaftsgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts. Wir zeigen die Sozialgeschichte der Waffenproduktion und den Alltag des Krieges. Wir interessieren uns für die wechselnden Konzepte von Macht und Politik, von Diplomatie und Friedenssicherung. Vor diesem Hintergrund ist für uns die Ausstellung Wir und Passarowitz. 300 Jahre Auswirkungen auf Europa ein wichtiges Projekt. Sie thematisiert nicht nur Frieden und Austausch als Alternativen zu Krieg und Abschottung. Die Verträge von 1718 rühren auch an die Geschichte der Institution, insofern, als erst der dauerhafte Friede ihre Existenz als Waffenlager obsolet werden lässt. Die Ausstellung Wir und Passarowitz gäbe es nicht ohne die Initiative und das Engagement von Harald Heppner. Ihm sei an dieser Stelle für all seine Bemühungen in den letzten eineinhalb Jahren und für die ausgezeichnete Zusammenarbeit herzlich gedankt! Bettina Habsburg-Lothringen Leiterin Landeszeughaus
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Thema und Ausstellungskonzept Harald Heppner
„[…] Nach langen Verhandlungen Durchbruch erfolgt […] Friede geschlossen […] Osterweiterung geglückt […]“. Wenn es 1718 schon Nachrichtenagenturen gegenwärtigen Zuschnitts gegeben hätte, wären wohl ähnliche Schlagzeilen zu lesen gewesen. Sie wären allerdings nicht so wie heute rasch im Wust ununterbrochen in die Redaktionen hereinkommender Nachrichten untergegangen, weil Nachrichten damals nicht binnen Sekunden die ganze Welt erreichen konnten, sondern es noch „reitender Boten“ bedurfte, um Handgeschriebenes oder Gedrucktes von Ort zu Ort zu transportieren. Die Menschen im frühen 18. Jahrhundert konnten nicht wissen, welche ihrer Taten spätere Generationen betreffen würden, und sie interessierten sich wohl auch nicht dafür. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass so manches, was unsere Gegenwart mitbestimmt, vor rund 300 Jahren seinen Anfang genommen hat. Mit „wir“ sind all jene gemeint, die bereit sind, sich der Geschichte rund um das Stichwort Passarowitz zuzuwenden – nicht bloß zum Zeitvertreib, sondern auch aus dem Bedürfnis, hinter die Kulissen dessen zu blicken, was „die Welt im Innersten zusammenhält“. Dies erfordert, Vergangenheit und Geschichte zu unterscheiden: Vergangenheit existiert, einerlei ob wir uns mit ihr beschäftigen oder nicht, denn dieser Begriff deckt alles ab, was nicht mehr zum Jetzt zählt. Geschichte hingegen umschreibt die Summe des Wissens über die Zusammenhänge zwischen der zwangsläufig immer länger werdenden Vergangenheit (gestern), einer immer nur kurzen Gegenwart (heute) und einer bevorstehenden Zukunft (morgen). Zum historischen Wissen kommt tagtäglich etwas hinzu, das zu überprüfen und einzuordnen ist; danach kann es zu unterschiedlichen Anlässen für das breitere Publikum aufbereitet werden. Jedes einzelne historische Faktum hat, für sich genommen, keinerlei Bedeutung: Erst im Zusammenhang mit anderen Fakten ist eine Antwort möglich, die Aufmerksamkeit verdient. Daher hat auch das vorliegende Thema keinen nennenswerten Belang, solange es keine Zuordnung erfährt – entweder zu einem größeren Ganzen innerhalb der Epoche oder zur Gegenwart (2018). Nimmt man das vorliegende Thema in Augenschein, wird man reichlich belohnt, denn die Auswirkungen von Passarowitz bis in die Gegenwart liegen auf der Hand – nicht nur in Österreich, sondern auch in Italien, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Albanien, Makedonien, Montenegro, Serbien, Bosnien und auch in der Türkei, also in einem erheblichen Teil des europäischen Kontinents. Der Name Passarowitz (in der Landessprache Požarevac) bezeichnet eine Stadt im Nordosten Serbiens, die keine große Geschichte aufzuweisen hat – außer dass der erste serbische Fürst Miloš Obrenović dort eine Zeit lang residiert hat und der serbische Politiker Slobodan Milošević dort geboren worden ist. Allerdings fand hier im Jahr 1718 eine internationale Konferenz statt, deren Ergebnis darin besteht, dass zwei bis dahin verfeindete Nachbarn aufeinander zugingen: Der Friedens- sowie der Handels- und Schifffahrtsvertrag beruhen auf der Einigung zwischen dem Habsburgerherrscher Karl VI. (1685–1740) als Kaiser des Deutschen Reiches und dem osmanischen Sultan Ahmed III. (1673–1736). Symbolisch repräsentierte der eine die Welt der Christenheit, der andere die Welt des Islam, doch ging es letztlich darum, westliche Denk- und Organisationsprinzipien auf den benachbarten Südosten auszudehnen, und zwar auf Augenhöhe, d. h. mit reziprokem Nutzen. Freilich trafen sich die beiden Monarchen nicht selbst, sondern hatten Vertreter nominiert und instruiert, die nach wochenlangen und zähen Unterredungen bei brütender Sommerhitze handelseins wurden.
8 — 9 Harald Heppner
Links: Kaiser Karl VI. (Alte Galerie, UMJ) Rechts: Sultan Ahmed III. (Wikipedia)
Den Anstoß, dieses Kapitel der Geschichte im Jahr 2018 aufzugreifen und zum Gegenstand einer Ausstellung und von Vorträgen, Diskussionen und Medienberichten zu machen, liefert nur vordergründig die 300-jährige Wiederkehr des Datums, sondern der Gedanke, an einem Beispiel vorzuführen, dass vieles von dem, was uns heute umgibt und unsere Lebensbedingungen mitträgt, nicht allein auf die jüngsten Generationen zurückgeht, sondern oftmals eine wesentlich längere Laufzeit aufweist und dennoch Aktualität behalten kann. Trotz vieler Unterschiede im Einzelnen herrschte im frühen 18. Jahrhundert nämlich eine ähnliche Situation wie heute – es ging um einen neuartigen Umgang zweier unterschiedlicher kultureller Welten und nicht nur um die Beziehungen zwischen zwei Machtblöcken. Es ist kein Zufall, dass die Ausstellung im Landeszeughaus präsentiert wird, denn das Passarowitz-Thema ist auch Teil der Geschichte des Hauses. Das Zeughaus hatte vom 16. bis zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Rüstkammer der innerösterreichischen Stände gedient, die für die Versorgung der Militärgrenze in Kroatien zuständig waren. Diese Maßnahme war notwendig geworden, um den Raubzügen osmanischer Krieger aus Bosnien Einhalt zu gebieten. Mit dem geopolitischen Wandel, der 1718 eintrat, fiel die Erfordernis zu einem speziellen Schutz der Steiermark, Kärntens, Krains etc. weg. Die Regie für die zukünftige Sicherheitspolitik im Grenzraum zum Osmanischen Reich lag nun in den Händen des Hofkriegsrates in Wien, und so war das in Graz stationierte Arsenal nicht mehr vonnöten. Die Ausstellung Wir und Passarowitz. 300 Jahre Auswirkungen auf Europa setzt sich aus vier Stationen zusammen, die auf die vier Stockwerke des Landeszeughauses in der Grazer Herrengasse verteilt sind. Der beschränkt vorhandene Platz erlaubt keine umfassende Schau all dessen, was das Thema enthält, weshalb sich das Dargebotene auf wesentliche Bausteine konzentriert – auf die beiden Verträge und die wichtigsten Zweige ihrer Auswirkungen. Während ein einleitender Text in den Stationsinhalt einführt, behandelt das an und bei den Säulen Gezeigte historische Fallbeispiele oder etwas, das der Gegenwart bzw. jüngsten Vergangenheit zuzuordnen ist. Bestandteil jeder Station ist außerdem die Vorstellung einer ausgewählten historischen Person, um anzudeuten, dass zu jedem Kapitel unzählige Einzelschicksale
gehören. Der Vertiefung des Ausstellungsinhaltes dienen weiters einige Fragen an die Besucherinnen und Besucher, deren Antworten sich entweder aus dem Gezeigten oder mittels eigenständigem Kombinieren ableiten lassen. Der Katalog setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Der erste Teil besteht aus Beiträgen, die entweder die unmittelbare Vorgeschichte und die Begleitumstände des Vertragswerks von Passarowitz näher erläutern oder einzelne Themen der Ausstellung vertiefen. Der zweite Teil des Katalogs gibt in gebotener Kürze die wichtigsten Komponenten der vier Stationen wieder.
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Der Türkenkrieg von 1716 bis 1718 Claudia Reichl-Ham
1. Einleitung Die Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich stand ab dem 16. Jahrhundert im Fokus der habsburgischen Politik. Während die Habsburger bis 1683 in der Defensive waren, trat mit der erfolgreichen Abwehr der Osmanen vor Wien ein Umschwung ein, der sich im sogenannten „Rollback“, der „Rückeroberung“ der nichthabsburgischen Teile Ungarns durch die Kaiserlichen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, manifestierte. Im Frieden von Karlowitz/Sremski Karlovci 1699 konnten im Großen und Ganzen jene Gebiete in Südosteuropa gesichert werden, die die Habsburger seit 1526 beanspruchten: Ungarn (ohne das Banat), Siebenbürgen sowie große Teile Kroatiens. Das „Abendland“ hatte den „Erbfeind der Christenheit“ in die Balkanhalbinsel zurückgedrängt und ihm enorme territoriale Einbußen aufoktroyiert. Die aggressive Expansionspolitik der Osmanen hatte damit ein Ende gefunden; sie befanden sich fortan zunehmend in der Defensive. Es war für die osmanische Führung eine neue Erfahrung, dass die territoriale Integrität des eigenen Reiches infrage gestellt wurde; dazu kam noch, dass der Verfall des Feudal- und des Devşirme-Systems (Knabenlese) sowie die mangelnde Bereitschaft zu technologischer Innovation und kapitalistischer Wirtschaft zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Desintegration, zu Missständen und Rebellionen und damit auch zum kontinuierlichen Abstieg des einst mächtigen Staates führten. In weiten Teilen Europas war man der Ansicht, dass Österreich die Osmanen nun als ernsthaft geschwächt ansehen und nur auf den richtigen Moment warten werde, um sie noch weiter zurückzudrängen oder ganz aus Südosteuropa zu vertreiben, doch die Wahrnehmung am Wiener Hof war eine andere: Die Angst vor einem Wiedererstarken des Osmanischen Reiches, das noch immer über genügend militärische Schlagkraft verfügte, um zumindest die verlorenen Gebiete zurückerobern zu können, blieb in den maßgeblichen politischen und militärischen Kreisen bestehen. Nach dem Frieden von Karlowitz trat zunächst die Frage der Erbfolge in Spanien in den Vordergrund, weshalb der östliche Kriegsschauplatz vorerst an Bedeutung verlor. Die habsburgische Außenpolitik beschränkte sich daher vornehmlich auf die Wahrung friedlicher Beziehungen zum Nachbarn im Südosten. Den Osmanen kam diese Haltung durchaus gelegen, da sie selbst zu jener Zeit an einer anderen Front in Kämpfe verwickelt waren. Durch die Flucht Karls XII. von Schweden ins Osmanische Reich und dessen Unterstützung im Kampf gegen Russland war man in den Nordischen Krieg hineingezogen worden. Der Sieg in der Schlacht am Pruth gegen Russland im Juli 1711 ermutigte den ehrgeizigen Großwesir Silahdar Damad Ali Pascha, eine Revision des Karlowitzer Friedens anzustreben, weshalb er umfassende militärische Vorbereitungen treffen ließ, die dem kaiserlichen Residenten in Konstantinopel, Anselm von Fleischmann, nicht verborgen blieben: In seinen Berichten vom Sommer und Herbst 1714 erwähnte er wiederholt die Rüstungen der osmanischen Armee. Der Wiener Hof sah sich daher unmittelbar nach der Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges genötigt, seine Außenpolitik erneut auf den Südosten Europas zu konzentrieren. Da man die friedlichen Beziehungen zum Osmanischen Reich vorerst nicht aufs Spiel setzen wollte, bot man über den kaiserlichen Residenten zunächst Vermittlerdienste an, allerdings vergeblich, denn der Großwesir reagierte auf das Vermittlungsangebot mit Hohn und Spott und ließ Fleischmann wissen, dass sich Konstantinopel durch nichts von seinen Plänen abhalten lassen werde: „Man habe geschworen, die Unbill zu rächen, welche Venedig verübt, und die an die Republik abgetretenen Länder wiederzugewinnen“.
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In einem Schreiben an den Prinzen Eugen von Savoyen betonte Damad Ali Pascha jedoch, dass er mit der Habsburgermonarchie weiterhin friedliche Beziehungen pflegen wolle, und kündigte die Entsendung eines eigenen Sondergesandten nach Wien an. 2. Der Türkenkrieg von 1716 bis 1718 2.1 Vermittlungsversuche Am 8. Dezember 1714 erklärte die Hohe Pforte, wie die zeitgenössische Bezeichnung für die osmanische Regierung lautete, der Republik Venedig unter dem Vorwand, dass venezianische Händler unrechtmäßige Handlungen begangen hätten, den Krieg, doch begannen die Kampfhandlungen erst im Frühsommer 1715. Ende Juni drang eine 40.000 Mann starke osmanische Armee auf die Halbinsel Morea/Peloponnes vor, die sich im Besitz Venedigs befand, während eine Flotte mit 80 Schiffen unter dem Kapudan Pascha Canım Hoca Mehmed Pascha auf der Insel Cerigo/Khytira vor der Südostspitze der Peloponnes landete. Die Venezianer leisteten kaum Gegenwehr und verteidigten de facto nur ihre festen Plätze auf der Peloponnes, sodass die Osmanen binnen weniger Monate den größten Teil davon besetzen konnten. Unter Berufung auf die Heilige Liga von 1684 wandte sich die Republik nun an Kaiser Karl VI., Papst Clemens XI. und andere europäische Mächte um Hilfe. Auf Anraten des Prinzen Eugen – der für einen Krieg gegen das Osmanische Reich und ein Bündnis mit Venedig eintrat, aber zuerst die notwendigen Kriegsvorbereitungen treffen wollte – griff die Habsburgermonarchie nicht sofort zugunsten des einstigen Verbündeten ein, denn es galt, die Kriegsbereitschaft der kaiserlichen Armee unauffällig wiederherzustellen. Zu jener Zeit verfügte die Habsburgermonarchie über 45 Infanterie- und 42 Kavallerieregimenter, die allerdings in allen Erblanden zerstreut waren und ihren Sollstand von 137.000 Mann (160 bis 170.000 Mann inklusive der Truppen der Militärgrenze) bei Weitem noch nicht erreicht hatten. Die kaiserliche Armee sowie deren Ausrüstung befanden sich in einem schlechten Zustand, manche Regimenter hatten noch immer Soldrückstände aus dem letzten Krieg, die Magazine waren leer und es mangelte an Verpflegung. Prinz Eugen wandte sich daher im Februar 1715 in einer „Denkschrift über die Rüstungen“ an den Kaiser, um ihm die unbedingt notwendigen Vorkehrungen zur Herstellung der Kriegsbereitschaft der kaiserlichen Armee und den Bau einer Donau-Flottille in einem Zehn-Punkte-Programm darzulegen. Ausgehend von diesem Programm versuchte er in der Folge, die Rüstungen nach Möglichkeit zu beschleunigen, doch scheiterten raschere Mobilmachungsmaßnahmen am eklatanten Geldmangel. Generell stellte die Finanzierung eines neuen militärischen Konflikts ein großes Problem dar, denn die Finanzen waren aufgrund des eben erst beendeten Krieges erschöpft – die Kriegskassen leer. Der Kaiser erließ daher ein Schreiben an die Reichsfürsten und -stände zur Einhebung der üblichen Türkensteuer, doch musste er sich bis Ende August 1716 gedulden (der Krieg war zu diesem Zeitpunkt schon im Gang), ehe er 50 „Römermonate“ bewilligt erhielt. Für einen Römermonat waren rund 128.000 Gulden veranschlagt, d. h. für die 4.000 Reiter bzw. 20.000 Fußsoldaten, für die das Reich aufkommen musste, je zwölf bzw. vier Gulden (diese Summe wurde allerdings nie zur Gänze erreicht). Zu Beginn des Jahres 1716 fehlte es zur Operationsfähigkeit der kaiserlichen Armee noch an vielem: Es mangelte an Ausrüstung und Munition, an Proviant- und Zeltwagen
sowie an Material zum Brückenbau. Die Donauflottille verfügte weder über eine ausreichende Zahl von Schiffen, noch waren genug Mann zu deren Bedienung rekrutiert worden; auch die Auffüllung der Magazine verlief nur stockend. Der Wiener Hof fürchtete zudem, dass Spanien den Abzug der kaiserlichen Truppen und deren Bindung auf dem Balkan zu einem Angriff auf die habsburgischen Besitzungen in Italien und zu einer Besetzung Neapels nützen könnte. Venedig musste sich daher in dem Bündnisvertrag vom 13. April 1716 verpflichten, im Fall eines Angriffes auf Mailand oder Etrurien 6.000 Mann und auf Neapel acht Schiffe und 3.000 Mann zu stellen. Papst Clemens XI. schloss sich diesem Bündnis an. Er stellte Subsidienzahlungen in der Höhe von 200.000 Gulden in Aussicht und war bestrebt, die Heilige Liga in erweiterter Form wiederauferstehen zu lassen, der abgesehen von Venedig, der Toskana und Genua auch Spanien und Portugal angehören sollten. Die Erklärung des spanischen Premierministers Kardinal Giulio Alberoni über eine bewaffnete Intervention in neapolitanischen Gewässern zum Schutz des (spanienfreundlichen) Papstes trug jedoch nicht gerade zur Beruhigung des Wiener Hofes bei. Außerdem stellte sich die Frage, ob Russland für einen gemeinsamen Waffengang gewonnen werden sollte: Nach intensiven Beratungen in der Geheimen Konferenz nahm man von einem Bündnisangebot Abstand, weil man fürchtete, dass der Zar zu hohe Forderungen stellen könnte. Zudem bedrohte die von Zar Peter I. betriebene Expansion nach Süden mit dem strategischen Ziel, einen Zugang zum Schwarzen Meer zu erlangen, nicht nur das Osmanische Reich, sondern wurde auch als Kampfansage an die Habsburgermonarchie betrachtet. Prinz Eugen war zudem der Ansicht, dass das Zarenreich bei einem günstigen Verlauf des Krieges von sich aus die Initiative ergreifen und sich als Bündnispartner ins Spiel bringen werde, was für den Kaiser von Vorteil sei. Dies war dann auch tatsächlich der Fall, doch lehnte der Wiener Hof das Bündnisangebot des Zaren ab. Gründe dafür waren nicht nur die Verwicklung Russlands in den Nordischen Krieg (dieser dauerte bis 1721 an), sondern auch die Affäre um den russischen Thronfolger Aleksej: Dieser war wegen unüberbrückbarer Differenzen mit seinem Vater, Zar Peter I., 1716 aus Russland an den Wiener Hof zu seinem Schwager Kaiser Karl VI. geflohen. Von dort wurde er nach Schloss Ehrenberg in Tirol und nach der Ausfindigmachung seines Aufenthaltsortes durch russische Spione weiter nach Castel Sant’ Elmo bei Neapel gebracht. Der Gesandte des Zaren, Peter Graf Tolstoj, überredete ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Rückkehr nach Moskau, wo er gefangen genommen, gefoltert und vor Gericht gestellt wurde. Bevor man ihn wegen Hochverrates hinrichten konnte, starb er jedoch an den Folgen der harten Folter. Diese Vorgehensweise verstärkte die bereits bestehenden Spannungen zwischen Kaiser und Zar und ließ ein gemeinsames Vorgehen gegen das Osmanische Reich nicht in Betracht kommen. Anfang Mai 1715 traf der osmanische Sondergesandte Ibrahim Ağa in Wien ein und wurde von Prinz Eugen empfangen. Obwohl er erneut die Bereitschaft zum Frieden mit dem Habsburgerreich beteuerte, zeigte man sich am Wiener Hof besorgt, dass die Osmanen, durch die Erfolge gegen Venedig ermutigt, Feldzüge nach Dalmatien und in das Venezianische Albanien unternehmen und sich in der Folge dann doch gegen den Kaiser wenden könnten, um die im Frieden von Karlowitz an Österreich verloren gegangenen Gebiete zurückzuerobern. Mehrere Berichte Fleischmanns aus Konstantinopel schienen diesbezügliche Absichten der Hohen Pforte zu bestätigen: Der Internuntius meldete u. a., „dass wahrhafftig der durch die Pruthische Begebenheit unerträglich aufgeblasenen Pforte, wie ich schon […] berichtet, Intention sei, alle die im letzten Krieg verlorenen Länder zu reoccupiren und sobald sie mit Venedig fertig, auch Ungarn
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zu attaquiren […].“ Ein erneutes Vermittlungsangebot des kaiserlichen Residenten und Vermittlungsversuche der Seemächte England und Holland waren inzwischen vonseiten der Osmanen zurückgewiesen worden, sodass sich der Wiener Hof schlussendlich gezwungen sah, die Initiative zu ergreifen, auch wenn Prinz Eugen stets betonte, dass er die Rüstungen nur für den Fall eines Angriffes des Osmanischen Reiches vorantreibe. 2.2 Kriegseintritt des Habsburgerreiches Mit kaiserlichem Handschreiben vom 26. Februar 1716 wurde Prinz Eugen zum Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen ernannt. Feldmarschall Johann Graf Pálffy erhielt den Befehl über die Kavallerie und wurde vom Prinzen zu dessen Stellvertreter bestimmt, während Feldmarschallleutnant Sigbert Graf Heister mangels anderer Alternativen die Infanterie befehligen sollte. Prinz Eugen entwarf umgehend einen Aufmarschplan, der eine Konzentrierung der Kräfte in der Ebene zwischen Futak und Peterwardein vorsah, um von dort den Hauptschlag gegen die Osmanen zu führen. Ziel war die Eroberung Belgrads, das von den Kaiserlichen bereits 1688 erfolgreich eingenommen worden, 1690 aber wieder in die Hände der Osmanen gelangt war. Der Hohen Pforte waren die Kriegsvorbereitungen der kaiserlichen Armee in Ungarn und Siebenbürgen nicht verborgen geblieben, weshalb der Großwesir von Fleischmann sowohl Anfang Februar als auch Mitte April eine Erklärung dafür einforderte. Der Wiener Hof hatte aber bereits am 6. April 1716 ein auf bloß sechs Wochen befristetes Ultimatum an den Sultan abgesandt, in dem der Kaiser die Räumung der Halbinsel Morea und Schadenersatz für Venedig forderte. Der kaiserliche Resident sollte das Ultimatum dem Großwesir gemeinsam mit einem Schreiben des Prinzen Eugen in seiner Funktion als Hofkriegsratspräsident überreichen und diesen auch über seine Abberufung informieren. Da diese Forderungen für die Hohe Pforte unannehmbar waren, unterbreitete Großwesir Damad Ali Pascha dem Diwan – dem Staatsrat bzw. der Ratsversammlung – in einer Sitzung am 27. April 1716 den Vorschlag, das Ultimatum als Kriegserklärung anzusehen, den einige hohe osmanische Würdenträger jedoch ablehnten, weil sie der Meinung waren, dass die Aggression nicht vom Sultan ausgehen solle. Folglich wollte man abwarten, was die Kaiserlichen tatsächlich zu tun beabsichtigten, doch ließ man ein Heer nach Belgrad marschieren sowie die Tataren sich in Chotin versammeln. Zwischenfälle sollten fürs Erste vermieden werden. In einem Brief warnte der Großwesir den Prinzen Eugen vor einem Friedensbruch. Der kaiserliche Resident Fleischmann, der dem Sultan nach dem Vorrücken der osmanischen Truppen nach Adrianopel, dem traditionellen Sammelplatz des osmanischen Heeres, zu folgen hatte, wurde von den Osmanen zunächst in Semendria/Smederevo, dann in Belgrad festgehalten und erst 1717 freigelassen. Als Prinz Eugen Anfang Juli 1716 im kaiserlichen Feldlager bei Futak eintraf, standen die osmanischen Truppen unter dem Großwesir Damad Ali Pascha bereits marschbereit in Adrianopel. Obwohl im Diwan beschlossen worden war, die Feindseligkeiten nicht von sich aus zu eröffnen, sondern dies den Kaiserlichen zu überlassen, ergriff Damad Ali nun die Offensive. Im Kriegsrat bei Belgrad kam man überein, die Festung Peterwardein/Petrovaradin anzugreifen, die man nur schwach besetzt glaubte. Bei Semlin/ Zemun setzten die osmanischen Truppen von 26. bis 28. Juli über die Save, passierten Slankamen und drangen am 2. August gegen Karlowitz vor. Aus strategischer Sicht war der Übergang über die Save für die Osmanen von Nachteil: Hätten sie den Angriff des Gegners abgewartet, hätte Prinz Eugen mit seiner Streitmacht vor den Augen des Feindes selbst über die Save gehen müssen, was zu einer äußerst gefährlichen Situation für die Kaiserlichen hätte führen können.
2.3 Der Feldzug von 1716 – Die Schlacht bei Peterwardein und die Belagerung von Temesvár Von dem Plan, Belgrad anzugreifen, hatte Prinz Eugen angesichts der ständigen Verzögerungen bei der Aufstellung der Armee und den sich rasch nähernden osmanischen Truppen bereits Abstand genommen. Für den Prinzen kam die Offensive der Osmanen zwar überraschend, doch stützte sie de facto das Argument, man rüste nur, um einem Angriff der Osmanen zuvorzukommen. Zur Erkundung der Absichten des Feindes entsandte Prinz Eugen ein etwa 3.000 Mann starkes Kavalleriedetachment unter Pálffy zum Fruška-Gora-Gebirge unweit von Karlowitz, doch wurde dieses auf dem Weg dorthin von einer berittenen Vorhut der Osmanen in ein vier Stunden dauerndes Gefecht verwickelt. Die Kaiserlichen mussten der osmanischen Übermacht weichen, und der Rückzug wurde zur Niederlage, da die kaiserliche Reiterei in dem unwegsamen Gelände ihre Ordnung auflösen musste und schwere Verluste (696 Mann und 689 Pferde) erlitt. Am Abend des 2. August erreichte die etwa 150.000 Mann starke osmanische Armee Peterwardein und schlug dort ihr Lager auf. Nach einem weiteren Kriegsrat beschloss man, unverzüglich an die Belagerung der Festung zu schreiten, zu welchem Zweck der Großwesir einen Parlamentär mit einer schriftlichen Aufforderung in die Festung schickte, Peterwardein kampflos zu übergeben. Nachdem Prinz Eugen die Übergabeaufforderung an den Kommandanten der Festung, Generalfeldzeugmeister Georg Wilhelm Freiherr von Löffelholz-Kolberg, mit der Bemerkung zurückgewiesen hatte, „der Grossvezier möge thun, was er wolle und könne, an einer Entgegnung zur rechten Zeit werde es nicht fehlen“, begann die osmanische Armee sogleich mit den Belagerungsarbeiten. Janitscharen hoben, vor allem in der Nacht, Laufgräben aus und trieben sie bis auf 50 bis 100 Schritt an die südlich vor der Festung errichteten bzw. verstärkten Verteidigungslinien der Kaiserlichen (Verschanzungen, Retranchements) heran. Mit einzelnen vorgezogenen Batterien aus der schweren Artillerie beschossen die osmanischen Artilleristen diese Verschanzungen, doch ließ Prinz Eugen das Feuer nur durch wenige Kanonenschüsse erwidern. Bald waren die dort vorhandenen kaiserlichen Truppen halbkreisförmig eingeschlossen (ungefähr 60 Bataillone lagerten zwischen und hinter den verschanzten Linien). Prinz Eugen entschied sich daraufhin, nicht den Angriff des Feindes in dem engen Raum vor der Festung abzuwarten, sondern selbst die Osmanen anzugreifen, und entwarf in diesem Sinne einen detaillierten Schlachtplan. Es war diese gründliche Vorbereitung vor einer Schlacht, die stets eine wesentliche Grundlage der Siege des Prinzen Eugen darstellte. Um seine Angriffspläne nicht vorzeitig zu verraten, wollte er die Kavallerie nicht früher als unbedingt nötig in den engen Bereich zwischen Festung und Verschanzung holen und beließ diese sowie Teile der Infanterie daher bis zum 4. August noch am anderen Ufer der Donau. In der Nacht zum 5. August erhielt zunächst die Kavallerie den Befehl, auf das andere Ufer überzusetzen. Kaum hatte man mit der Überquerung der Donau begonnen, kam es zu einer brenzligen Situation, als zwei der Brücken durch mehrere im Fluss treibende Schiffsmühlen, die sich vom Ufer gelöst hatten, aus der Verankerung gerissen wurden. Mit größten Anstrengungen gelang es, die beiden Brücken notdürftig auszubessern und mit dem Übergang fortzufahren. Bei der osmanischen Armee waren die Vorbereitungen, die Prinz Eugen getroffen hatte, nicht unbemerkt geblieben, weshalb der Großwesir am Morgen des 5. August den Befehl zur Herstellung der vollen Gefechtsbereitschaft gab.
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In der Aufstellung des Prinzen Eugen bildete die Infanterie, die in den Verschanzungen stand, das Zentrum. Am linken Flügel standen 21 Kavallerieregimenter unter Pálffy, am rechten Flügel lediglich vier. Feldzeugmeister Alexander Prinz von Württemberg sollte mit sechs Infanteriebataillonen gleichsam als Verbindung zwischen dem Zentrum und dem linken Flügel agieren. Mit der Reserve standen Eugen nun insgesamt 64 Infanteriebataillone und 187 Kavallerieeskadronen sowie 80 Geschütze zur Verfügung, d. h. 51.000 Infanteristen und 27.000 Berittene. Württemberg war es, der gegen 7 Uhr morgens die Schlacht eröffnete. Er führte seine Bataillone zwischen den Verschanzungen und der Kavallerie vor, drang über eine kleine Anhöhe zum rechten Flügel der Osmanen vor und überraschte diese völlig. Die Janitscharen flohen zum Teil in die rückwärtigen Linien, zum Teil suchten sie in den Laufgräben Schutz oder wichen nach links aus. Die kaiserliche Infanterie im Zentrum brach nun ebenfalls aus den Verschanzungen hervor und griff die Janitscharen in den Laufgräben an. Es entwickelte sich ein harter und erbitterter Kampf mit heftiger Gegenwehr des Feindes. Durch den Angriff des Prinzen von Württemberg waren die Osmanen nach links gedrängt worden, weswegen sie auf dem linken osmanischen Flügel plötzlich in der Übermacht waren und den rechten Flügel der Kaiserlichen vehement attackierten. Auch im Zentrum konnten sie den Angriff stoppen und die habsburgischen Soldaten in die innere Verschanzung zurückdrängen. Dadurch gingen Ordnung und Geschlossenheit in der Gefechtslinie der Kaiserlichen verloren. Da sich die Bataillone des Prinzen Alexander gegen die heftigen Angriffe der Osmanen behaupten und so maßgeblich zum Sieg der kaiserlichen Truppen beitragen konnten, gelang es Prinz Eugen schließlich, die zurückweichenden eigenen Truppen im Zentrum neu zu ordnen. Durch einen massiven Gegenangriff auf den linken Flügel der Osmanen kam es nun zur Verwirrung bei den Janitscharen und zum jähen Stopp von deren Vorstoß. Damit begann sich die Situation erneut zugunsten der Kaiserlichen zu wenden. In wilder Flucht und großer Unordnung versuchten die Osmanen, in den Laufgräben zu entkommen; viele kamen darin um. Vergeblich bemühten sich die osmanischen Anführer, ihre Soldaten zum Halten der Stellung und zum Sammeln zu bewegen. Das ganze osmanische Heer befand sich in Auflösung. Großwesir Damad Ali Pascha, der den Verlauf der Schlacht von seinem Zelt aus verfolgt hatte, versuchte daraufhin, die Fliehenden aufzuhalten. Er wurde, nachdem er sich mit seinen letzten Getreuen auf sein Pferd geschwungen hatte und den Kaiserlichen entgegengeritten war, von einer Kugel in den Kopf getroffen. Zwar konnte er von seinen Mitstreitern vom Schlachtfeld weggebracht werden, doch starb er bei Karlowitz auf dem Weg nach Belgrad. Während sich die osmanischen Reiter in Sicherheit bringen konnten, erlitten die Janitscharen schwere Verluste. Um 12 Uhr mittags, nach fünf Stunden harten Ringens, war die Schlacht zu Ende. Die Verluste der Armee Karls VI. beliefen sich auf 2.122 Tote und 2.357 Verwundete, darunter 206 Offiziere; 1.574 Pferde kamen bei diesem Kampf um. Die Verluste der Osmanen sind schwer zu bestimmen, doch waren sie aller Wahrscheinlichkeit nach weitaus größer als jene des Gegners – manche Quellen sprechen von bis zu 30.000 Toten. Das Lager und die gesamte Artillerie der Osmanen fielen in die Hände der Sieger und brachten reiche Beute ein: die gesamte osmanische Zeltstadt, fünf Rossschweife, 156 Fahnen, Artillerie, Munition, Pferde, Büffel, Kamele, 12.000 Sack Reis, 2.500 Fässer Mehl, 1.000 Wagen Hafer, 500 Wagen Kaffee, 500 Wagen Zwieback und noch vieles mehr. Zu Ehren dieses Sieges ließ der Papst alle Glocken Roms läuten und sandte Prinz Eugen einen geweihten Hut samt Schwert.
Da die kaiserliche Armee erschöpft war, kam es nicht zur Verfolgung der flüchtenden feindlichen Soldaten. Prinz Eugen sandte noch am Schlachttag vom Zelt des Großwesirs aus, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, an den Hofkriegsrat einen Kurzbericht von der siegreichen Schlacht. Dem Kaiser ließ er durch den Generaladjutanten Oberst Ludwig Andreas Graf Khevenhüller Meldung erstatten. Am 5. und 6. August lagerte die Armee in den eroberten Stellungen und marschierte am 7. August auf das linke Donauufer zurück. Prinz Eugen wollte seinen Sieg unbedingt strategisch nützen, doch war für eine Belagerung der Festung Belgrad die Jahreszeit zu weit fortgeschritten. Außerdem war die Armee noch zu schwach, und es fehlte das unbedingt nötige Schiffsmaterial. Also beschloss der Oberbefehlshaber, noch die rund 150 km entfernte Festung Temesvár/Timişoara anzugreifen. Deren Festungswerke waren im 15. und 16. Jahrhundert verstärkt worden und mussten im 17. Jahrhundert, nachdem die Festung wiederholt zum Angriffsziel geworden war, von den Osmanen erneuert werden. Die eigentliche Stadt sowie das Schloss und die davorliegende Insel, die sogenannte Kleine Palanka, waren aufgrund von Morästen von Westen, Süden und Osten her schwer zugänglich; im Norden war die Vorstadt, die Große Palanka, zu einer starken Festung ausgebaut worden. Die Zahl der Verteidiger belief sich auf etwa 10.000 bis 15.000 gut ausgebildete osmanische Soldaten unter deren Kommandanten Mustapha Pascha. Bei Zenta überschritt Prinz Eugen am 15. und 16. August die Theiß und begab sich bei großer Hitze und – sieht man von einem kurzen Gefecht mit osmanischen Streifscharen ab – ohne auf großen Widerstand zu stoßen in Richtung Temesvár. Am 25. August war die kaiserliche Armee vollständig im wenige Tausend Schritt westlich der Festung befindlichen Lager eingelangt. Von 27. bis 31. August, während man noch auf die Ankunft weiterer Geschütze aus Peterwardein wartete, begann man mit dem Einschließen von Temesvár. Ab Anfang September ließ Prinz Eugen unter heftigem Beschuss und Ausfallsversuchen vonseiten der Verteidiger Laufgräben an die Festung vortreiben, in der Hoffnung, die Festung noch vor Ankunft eines osmanischen Entsatzheeres erobern zu können. Während die Belagerungsarbeiten in vollem Gang waren, unternahmen die Osmanen am 14. September einen Ausfall gegen das Lager der Kavallerie, wurden aber mit beträchtlichen Verlusten in die Stadt zurückgetrieben. Am 23. September langte das rund 28.000 Mann starke osmanische Entsatzheer vor den Toren der Festung Temesvár ein und versuchte in das Lager der Kaiserlichen vorzudringen, wurde aber von der kaiserlichen Kavallerie unter Feldmarschall Johann Graf Pálffy zurückgedrängt und in die Flucht geschlagen. Prinz Eugen drängte nun zu einer Entscheidung, doch war ein erster Sturm der kaiserlichen Armee nicht möglich, da die Verteidiger die Galerien durch Granaten und durch auf Brettern herabgerollte Bomben in Brand setzten bzw. zerstörten und Wasser in die Gräben eindrang. Nach Beendigung der Arbeiten und dem Ableiten des Wassers begann am 1. Oktober der entscheidende Sturmangriff. Unter dem heftigen Beschuss der osmanischen Artillerie und großen Verlusten (455 Tote und 1.492 Verwundete) stürmte die kaiserliche Infanterie unter dem Kommando von Feldzeugmeister Alexander von Württemberg innerhalb weniger Stunden die Große Palanka.
Johann Philipp Gerhart, Neuster Plan der kaiserlichen Attacke auf Temeswar 1716 (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
In den folgenden Tagen wurde diese befestigt und wurden Geschützstellungen in ihr errichtet. Nachdem am 7. Oktober weitere Geschütze aus Ofen eingelangt waren, ließ man diese unverzüglich in Stellung bringen und nahm die Festung unter heftigen Beschuss, der den Verteidigern schwere Verluste beibrachte. Die Festungswerke wurden in Trümmer gelegt, und in der Stadt brachen Feuer aus. Am Mittag des 12. Oktober hisste der Festungskommandant Mustapha Pascha schließlich die weiße Fahne und bot die Kapitulation an: Damit war Temesvár nach 164-jähriger osmanischer Herrschaft in kaiserlicher Hand, und der Weg ins ehemals zu Ungarn gehörende Banat stand weit offen. General der Kavallerie Claudius Florimund Graf Mercy wurde zum Kommandanten der neuen Provinz ernannt. Um die kaiserlichen Truppen bald in ihre Winterquartiere verlegen zu können und weil zudem eine Fieberepidemie unter den Soldaten ausgebrochen war, erklärte sich Prinz Eugen bereit, den Verteidigern milde Bedingungen zuzubilligen: Er gewährte ihnen freien Abzug mit all ihrer Habe und kehrte nach Wien zurück. Bereits im Sommer 1716 war eine osmanische Flotte mit 20.000 bis 30.000 Mann Landungstruppen auf der Insel Korfu gelandet, die sofort mit der Belagerung der gleichnamigen Hauptstadt begannen. Ein Sturm der Osmanen Mitte August wurde von Generalfeldmarschall Johann Matthias von der Schulenburg, der den Oberbefehl über die venezianische Landarmee hatte, abgewehrt. Ein Gegenangriff sowie die Kunde von der verlorenen Schlacht bei Peterwardein führten zum Abbruch der Belagerung und zum Abzug der Osmanen. Der Vorschlag eines Waffenstillstandes vonseiten der Osmanen wurde von Prinz Eugen mit der Begründung abgewiesen, dass die Hohe Pforte die Zeit nur dazu nützen werde, um ungestört nachrüsten zu können; auch ein erneutes Vermittlungsangebot der Seemächte wurde ausgeschlagen. Der neue Großwesir Chalil Pascha sah sich daher gezwungen, einen Plan für einen neuerlichen Feldzug zu entwerfen, der Operationen von drei Armeen vorsah. Er selbst wollte nach Belgrad oder Temesvár gehen, die zweite Armee unter dem Seraskier Redscheb Pascha sollte in Siebenbürgen einfallen und die dritte, unter dem Pascha von Bosnien, Numan Koprili, nach Kroatien marschieren.
Für eine Dreiteilung der Kräfte war die osmanische Armee nicht mehr stark genug (es dürfte sich „nur mehr“ um etwa 100.000 Mann gehandelt haben). Daraufhin erhielt der Pascha von Bosnien den Befehl, sich mit der Hauptarmee zu vereinigen, und Redscheb Pascha hatte in das Banat vorzustoßen. Der Tataren-Khan entsandte schließlich noch weitere rund 30.000 Mann zur Armee des Großwesirs. Der abgelaufene Feldzug hatte auch den kaiserlichen Truppen bedeutende Verluste zugefügt, sodass Prinz Eugen bereits während der Belagerung von Temesvár den Hofkriegsrat angewiesen hatte, mit der Rekrutierung neuer Truppen und der Aufbringung frischer Pferde zu beginnen. Der Kräftebedarf für den Feldzug 1717 war mit 100.000 Mann an Streitkräften, 100 Feld- und 200 Belagerungsgeschützen sowie einer Donauflottille von 10n Kriegsschiffen und 50 Transportbooten berechnet worden. Die Kriegsschiffe sollten mit je ca. 50 Geschützen ausgestattet sein und hatten die Aufgabe, Belgrad von der Flussseite her zu beschießen, den Nachschub an Munition und Verpflegung zu schützen, der größtenteils über die Donau abzuwickeln war, und die Donaubrücken gegen eine mögliche Zerstörung durch die Osmanen abzusichern. Geldmangel verzögerte erneut die Vorbereitungsarbeiten und verhinderte die Komplettierung der Armee, deren Zahl sich schließlich auf etwa 80.000 Mann belief. 2.4 Der Feldzug von 1717 – Belagerung und Schlacht von Belgrad Im Mai 1717 begab sich Prinz Eugen wieder nach Futak zu seinen Truppen; das ins Auge gefasste primäre Angriffsziel war nun die Grenzfestung Belgrad. Noch bevor alle Truppen versammelt waren, marschierte er am 9. Juni 1717 mit circa 70.000 Mann los und wollte möglichst rasch mit der Belagerung beginnen, um die Festung noch vor Eintreffen des osmanischen Entsatzheeres zu erobern. Dies war kein leichtes Unterfangen, denn Stadt und Festung liegen auf einer nach Südosten offenen Halbinsel, am Zusammenfluss von Save im Westen und Donau im Norden. Mit dieser strategisch günstigen Lage hatte sie sowohl für die Habsburger als auch für die Osmanen die Schlüsselstellung auf dem Balkan inne. Zudem war Belgrad mit starken Festungswerken, festen Mauern und breiten Gräben versehen. Die Besatzung der Festung Belgrad bestand aus über 30.000 Mann, darunter 20.000 Janitscharen, 3.000 Sipahis (Kavallerie) und 2.000 Tataren, denen rund 300 Geschütze mit reichlich Munition zur Verfügung standen. In der Stadt lebten zudem etwa 10.000 zivile Einwohner. Zum Schutz der Festung hatten die Osmanen dort die Donauflottille unter Ibrahim Pascha stationiert. Sie bestand aus ca. 70 Schiffen mit insgesamt 200 Geschützen und rund 3.000 Mann Schiffsbesatzungen. Da eine Belagerung bzw. ein Sturm daher nur von Süden bzw. Südosten aus erfolgen konnte, erschien dem Prinzen ein Heerlager südlich der Donau im Raum Višnica vorteilhafter als in Semlin/Zemun. Zu diesem Zweck musste aber entweder die Save oder die Donau überquert werden. Nach sorgfältiger Besichtigung des Terrains machte Graf Mercy den Vorschlag, die Armee nicht über die kleine, aber reißende Save im Osten, sondern über die große Dunavica, einen Donauarm außerhalb der Reichweite der Festungsbatterien, in den Raum Pancsova/Pančevo zu bringen. So marschierte die kaiserliche Hauptarmee über die Theiß und dann ostwärts der Temes in den Raum Pancsova, setzte am 15. Juni unter dem Schutz der Donauflottille östlich von Belgrad über eine Schiffsbrücke aus Pontons ohne nennenswerten Widerstand auf das südliche Donauufer über und bezog das Lager bei Višnica. Das später bekannt gewordene „Lied vom Prinzen Eugen“ hält diesen Übergang in seinen einleitenden Zeilen fest: „Prinz Eugen, der edle Ritter,/ wollt’ dem
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Belagerungsplan von Belgrad (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
Kaiser wied’rum kriegen/ Stadt und Festung Belgerad;/ er ließ schlagen einen Brucken,/ daß man kunnt’ hinüberrucken/ mit der Armee wohl vor die Stadt!“ In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 1717 begann die Belagerung mit dem Marsch auf die vorgesehenen Stellungen, mit denen die durch die beiden Flüsse gebildete Halbinsel von der Landseite her völlig eingeschlossen werden sollte, und der Herstellung der vollen Gefechtsbereitschaft. Innerhalb von drei Wochen wurde auf diese Weise zwischen Donau und Save ein Belagerungsring um die Festung gezogen. Feindliche Ausfälle und heftiges Geschützfeuer seitens der Verteidiger konnten die Kaiserlichen nicht davon abhalten, Artilleriestellungen anzulegen, Laufgräben gegen die Festung voranzutreiben sowie Schanzen zu errichten, um eine Beschießung der Festung von der Landseite vornehmen zu können. Gleichzeitig ließ der Prinz auch eine Verschanzung Richtung Süden und Südosten im Rücken des Heeres errichten, denn laut Berichten war ein osmanisches Entsatzheer mit rund 200.000 Mann unter Großwesir Chalil Pascha im Anmarsch. Die Festung musste daher so schnell wie möglich erobert werden, um einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden. Diese Verschanzungen wurden übrigens später auch als die Eugenischen Linien bezeichnet; ihre Anlage und Ausführung galt als ein Meisterstück der damaligen Befestigungskunst. Als Mercy vergeblich versuchte, nördlich von Belgrad eine kleine Insel im Strom zu besetzen, erlitt er plötzlich einen Schlaganfall, der ihn kurzfristig erblinden und taub werden ließ, doch erholte er sich überraschend schnell und konnte nach wenigen Tagen wieder seine Position einnehmen. Nach einigen weiteren Problemen konnte man ab Mitte Juli an ein systematisches Vorgehen gegen Belgrad denken: Konzentrierte Beschießungen sollten zunächst die Inseln und die Vorstädte sturmreif machen; erst dann sollten Laufgräben vorgetrieben werden. Ab 23. Juli wurden die sogenannte Wasserstadt, ein Stadtviertel Belgrads,
und die Festung unter Beschuss genommen, der seitens der Verteidiger eine heftige Gegenwehr auslöste. Nach zwei Tagen hatte es bereits den Anschein, als ob ein Großteil der Stadt sowie eine Seite der Burg in Schutt und Asche lägen, doch dauerte die Belagerung an. Anfang August trat dann jenes Ereignis ein, das Prinz Eugen mit allen Mitteln hatte verhindern wollen: Die osmanische Entsatzarmee unter Chalil Pascha traf vor Belgrad ein. Sie griff die kaiserlichen Truppen aber nicht an, sondern begann ihrerseits, nachdem sie sich äußerst günstig auf einer Anhöhe postiert hatte, Schanzen und zahlreiche Geschützstellungen anzulegen, von wo aus sie den Gegner unter Dauerbeschuss nahm, und Laufgräben voranzutreiben. Die Belagerer wurden nun selbst zu Belagerten, die zwischen dem Entsatzheer im Osten und der Festung bzw. den Flüssen im Westen und Norden eingeschlossen waren. Ausfälle der Verteidiger der Festung, Beschießungen von zwei Seiten und der Ausbruch des sogenannten Sumpffiebers – heute als Malaria bekannt – führten zu großen Verlusten unter den Kaiserlichen. Die Munitionsvorräte gingen langsam zur Neige, und der Nachschub mit Lebensmitteln stockte, da es den Osmanen gelungen war, nördlich von Belgrad einige kaiserliche Transportschiffe zu kapern. Außerdem war die Nachricht im kaiserlichen Lager eingelangt, dass Redschab Pascha mit etwa 30.000 Mann im von den Kaiserlichen besetzten Banat eingefallen sei und Mehadia erobert habe. Damit war die Verbindung zum Banat völlig abgeschnitten, die Lage der Kaiserlichen drohte verzweifelt zu werden, doch kam den Belagerern in jenem Moment ein Zufall zu Hilfe.
Zehnpfündiger stehender Mörser, Wien 1714 (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
Am Morgen des 14. August 1717 schlug eine Mörsergranate in das Hauptmunitionslager der Festung ein und verursachte eine gewaltige Explosion. Ein Großteil der Wasserstadt und Teile der Befestigungsanlagen wurden zerstört, große Verluste – mehr als 3.000 Tote – waren zu beklagen, Chaos war die Folge. Durch die Explosion aufgeschreckt, vermutete Chalil Pascha einen Überraschungsangriff des Prinzen und ließ seine Truppen in Schlachtordnung aufstellen, während Prinz Eugen dies als Vorbereitung der Osmanen zu einer Schlacht verstand und ebenfalls in Schlachtordnung antreten ließ. Als jedoch kein Angriff der Kaiserlichen erfolgte, zog der Großwesir seine Truppen wieder zurück; Prinz Eugen hingegen war nun fest entschlossen, die Entscheidung zu suchen. Am Nachmittag des 15. August berief er seine Generäle zu sich und teilte ihnen seinen Entschluss zum Angriff auf das osmanische Heer mit. Um eine frühzeitige Aufdeckung seiner Absichten zu verhindern, ließ er die entsprechende Schlachtdisposition mit den taktischen Anordnungen jedoch erst am Abend ausgeben. Am 16. August, kurz nach Mitternacht, rückte Feldmarschall Graf Pálffy mit einem Teil der am rechten Flügel postierten Kavallerie aus den Verschanzungen ins Freie, die Kavallerie des linken Flügels folgte, und um drei Uhr morgens formierte sich auch die Infanterie vor den Schanzen. Rund ein Drittel seiner Truppen, also etwa 20.000 Mann Infanterie und Kavallerie, hielt Prinz Eugen – den Führungsgrundsatz beherzigend – zunächst zurück, um die Reserve beim Auftreten von krisenhaften Situationen zielgerichtet einsetzen zu können. Weitere 10.000 Mann waren zur Bewachung der Festung und der Brücken zurückgeblieben. Diese nächtliche Operation fand unter strengster Geheimhaltung statt, denn die osmanischen Truppen sollten unmittelbar bei Tagesanbruch angegriffen werden und es sollte ihnen keine Zeit mehr bleiben, sich zu formieren. Dies barg jedoch die Gefahr in sich, dass einzelne Truppenteile in der dunklen Nacht bei dichtem Nebel die Orientierung verlieren könnten, was auch tatsächlich der Fall war. Der rechte Flügel unter Pálffy
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Prinz Eugen in der Schlacht bei Belgrad 1717 (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
wurde bereits gegen vier Uhr in ein Gefecht mit Janitscharen verwickelt, driftete dabei zu weit nach rechts ab und verlor so den Kontakt zur Infanterie im Zentrum. Beim Versuch, zu Pálffy wieder aufzuschließen, geriet der rechte Teil des Zentrums unter Feldzeugmeister Maximilian Graf Starhemberg ebenfalls zu weit nach rechts, konnte aber, trotz heftiger Gegenangriffe der Janitscharen, mithilfe der Reservebataillone unter Feldmarschallleutnant Friedrich Heinrich Graf Seckendorff die Osmanen gegen sechs Uhr morgens aus den Laufgräben vertreiben. Gemeinsam mit der Kavallerie stürmten sie die Anhöhe empor, wo sich das osmanische Lager befand, und verjagten den Gegner aus seinen Stellungen. Der linke Teil der im Zentrum aufgestellten Infanterie unter Feldmarschall Alexander Prinz von Württemberg und Feldzeugmeister Johann Joseph Graf Harrach verlor im dichten Nebel die Orientierung und geriet beim Versuch, Anschluss an Starhemberg zu finden, zu weit nach rechts, sodass sie ihr eigentliches Angriffsziel, die Bajdina-Anhöhe mit der osmanischen Batteriestellung, verfehlte und stattdessen in den Laufgräben landete und dabei in Unordnung geriet. Auch die am linken Flügel kämpfende Kavallerie unter General der Kavallerie Montecuccoli hatte beim Vorrücken die Orientierung verloren und sah sich bald von Feinden umringt, die ihnen große Verluste beibrachten. Beim Angriff war zudem die Verbindung zwischen dem Zentrum und dem linken Flügel komplett verloren gegangen. Die Angegriffenen erkannten die klaffende Lücke, und sofort drangen osmanische Reiter in diese Öffnung ein, doch leistete Alexander von Württemberg heftigen Widerstand. Als sich gegen acht Uhr die Nebel lichteten, bemerkte auch Prinz Eugen die große Lücke zwischen linkem Flügel und Zentrum. Er schickte nun seine Reservebataillone in die Lücke und begab sich selbst an der Spitze seiner Kürassiere in das Schlachtgetümmel. Mit einer wuchtig vorgetragenen Kavallerieattacke gelang es, den osmanischen Gegenangriff abzuwehren und die osmanischen Artilleriestellungen und Schanzen auf der Bajdina-Anhöhe einzunehmen. Die Geschütze wurden sofort gewendet und gegen den Feind eingesetzt. Die Ordnung der osmanischen Armee löste sich daraufhin auf, und der Großwesir musste den Rückzug anordnen. Um 10 Uhr morgens hatten die Kaiserlichen die Schlacht gewonnen. Aufgrund der Tatsache, dass der Sieg gegen die „Ungläubigen“ am Tag nach Mariä Himmelfahrt errungen worden war, schrieb man ihn der Hilfe der Jungfrau Maria zu, der als
Mittlerin des Gebets von Mensch zu Gott damals eine besondere Rolle zukam. Dieses religiöse Motiv – eine Muttergottes mit Kind auf den Wolken – befindet sich auf einem Bild im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien. Die Osmanen waren durch den Nachtangriff völlig überrascht worden, er stellte damals ein absolutes Novum dar. Aufgrund der schweren Verluste, die die Angreifer erlitten hatten – 5.338 Tote und Verwundete, 585 während der Belagerung –, sah Prinz Eugen von einer Verfolgung ab. Die kaiserlichen Truppen setzten nur so weit nach, um sicherzugehen, dass die Osmanen, die entlang der Morava unter Aufgabe der besetzten Stützpunkte an der Donau nach Niš zurückmarschierten, sich nicht neuerlich formierten. Genaue Verlustzahlen der Osmanen sind nicht bekannt; den Angaben von Josef von Hammer und Alfred Arneth zufolge beliefen sie sich auf 13.000 bis 15.000 Tote und Verwundete sowie rund 5.000 Gefangene. In dieser Schlacht hatte Prinz Eugen erneut alle jene Fähigkeiten unter Beweis gestellt, für die er von Offizieren und Mannschaft gleichermaßen verehrt wurde: Er besaß die Gabe, Situationen richtig einzuschätzen, hatte eine rasche Entscheidungskraft und zeigte ein hohes Maß an persönlicher Tapferkeit. Im Anschluss an den Kampf galt das Hauptaugenmerk der Eroberung der Festung selbst. Der Verteidigungswille der Belagerten hatte bereits zwei Tage zuvor durch die gewaltige und verlustreiche Explosion einen gehörigen Dämpfer erfahren. Die Besatzung hatte daher auch nicht in die Entscheidungsschlacht eingegriffen, sondern sich ruhig verhalten. Am Morgen des 17. August gaben die Osmanen die bisher so hartnäckig verteidigte Donauinsel an der Save-Mündung auf, und der Kommandant Mustapha Pascha richtete an den Prinzen Eugen ein Kapitulationsangebot, worauf zwei Tage nach der Schlacht die Kapitulation abgeschlossen und unterzeichnet wurde. Die noch verbliebenen 20.000 Mann Besatzung durften abziehen, mussten aber sämtliches Kriegsmaterial zurücklassen. Der am 21. Juli 1718 geschlossene Frieden von Passarowitz trug der militärischen Situation Rechnung: Das Osmanische Reich musste das Banat, Syrmien und die Kleine Walachei, Nordserbien und einen Grenzstreifen in Nordbosnien an Kaiser Karl VI. abtreten. Zudem wurde ein für das Habsburgerreich äußerst günstiger Handelsvertrag abgeschlossen. Die Halbinsel Morea allerdings blieb in der Hand der Osmanen.
Ausgewählte Literatur Österreichisches Staatsarchiv/Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, Staatenabteilungen, Türkei I, K. 180–185. Österreichisches Staatsarchiv/Kriegsarchiv, Wien, Alte Feldakten, K. 339–345a, 349–354, 361–363, Türkenkrieg 1716–1718. Otto Fenzl, Zustandekommen, Vorbereitung und Durchführung des Türkenkrieges 1716–1718, phil. Diss., Wien 1950. Klaus Kempf, Prinz Eugen von Savoyen. Die Schlachten bei Peterwardein, Temesvár und Belgrad 1716– 1717, http://www.batsch-batschka.de/Eugen.htm [Zugriff: 13.11.2017]. Ludwig Matuschka (Bearb.), Der Türkenkrieg 1716–18 (= Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen, hg. v. Kriegsgeschichtliche Abteilung des k. und k. Kriegs-Archivs, Bde. 16–17 [II/VII – VIII]), Wien 1891. Karl A. Roider, Jr., Austria’s Eastern Question, 1700–1790, Princeton 1982. Andreas Stupka, Schlacht um Belgrad 1717, https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/schlacht-um-belgrad-1717/ [Zugriff: 13.11.2017].
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Die internationalen Beziehungen zur Zeit des Vertragswerkes von Passarowitz Ernst D. Petritsch
Als das Osmanische Reich unter dem Vorwand, Venedig habe die geforderte Auslieferung montenegrinischer Rebellen verweigert, der Republik im Dezember 1714 den Krieg erklärte, schien mit diesem Schritt kein allzu großes Risiko für die osmanische Armee verbunden gewesen zu sein: Die Dogen-Republik hatte ihre einstige militärische Bedeutung eingebüßt und galt als schwach. Venedigs Verbündete Polen und Russland in der „Heiligen Allianz“ waren im sogenannten Großen Nordischen Krieg engagiert; außerdem hatte Sultan Ahmed III. erst im Juni 1713 mit Russland Frieden geschlossen. Österreich hatte in den Verträgen von Utrecht, Rastatt und Baden 1714 den Spanischen Erbfolgekrieg zwar formell beendet, seine Finanzen waren infolge des Kriegs allerdings erheblich geschwächt. Der ehrgeizige Großwesir Silahdar Damad Ali Pascha konnte daher aus gutem Grund hoffen, zumindest eine teilweise Revision des von den Osmanen als demütigend empfundenen Friedens von Karlowitz (1699) erreichen zu können. Im Laufe des Jahres 1715 konnten überlegene osmanische Flottenverbände und Bodentruppen die Halbinsel Peloponnes/Morea endgültig den Venezianern entreißen. Als Papst Clemens XI. reichliche Hilfsgelder zur Verfügung stellte, erneuerte Karl VI. im April 1716 die Heilige Allianz mit Venedig: Das Eingreifen der österreichischen Armee unter dem Oberkommando des Hofkriegsratspräsidenten Prinz Eugen von Savoyen im Jahr 1716 brachte rasch den Umschwung. Die siegreiche Schlacht von Peterwardein, in der auch Großwesir Ali Pascha sein Leben verlor, die Einnahme von Temesvár/ Timişoara und vor allem die Eroberung der Festung Belgrad im August 1717 trugen wesentlich dazu bei, dass die osmanische Staatsführung Waffenstillstandsverhandlungen zustimmte, die schließlich im Juli 1718 nahe dem Dorf Passarowitz vertraglich fixiert werden sollten. Die gewaltigen Gebietsverluste im Vertrag von Karlowitz und der damit einhergehende Prestigeschwund hatten zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Osmanischen Reich Unzufriedenheit mit den als korrupt geltenden Eliten ausgelöst. Auslösendes Moment war ein Aufstand der Waffenschmiede wegen ausbleibender Soldzahlungen, die Rebellen setzten Sultan Mustafa II. (reg. 1695–1703) ab und inthronisierten seinen jüngeren Bruder Ahmed III. Nachdem dieser seine Herrschaft gefestigt hatte, ließ er die Anführer des Aufstands, die ihn auf den Thron gehievt hatten, liquidieren.
Zeitgenössische Karte von 1739 mit den habsburgischen Territorialgewinnen (Österreichisches Staatsarchiv/ Kriegsarchiv, Wien)
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Trotz der erheblichen Gebietsverluste spielte das Osmanische Reich in der Europäischen Politik weiterhin eine nicht unbedeutende Rolle, indem Sultan Ahmed III. etwa König Karl XII. von Schweden nach dessen Niederlage in der Schlacht von Poltava (1709) politisches Asyl gewährte; allerdings verscherzte sich der König bald die Gunst des Sultans, er wurde im Februar 1713 nahe seinem Hauptquartier bei Bender am Dnjestr gefangen und in ehrenvolle Haft genommen: Die Festnahme Karls XII. erleichterte den Abschluss des erwähnten osmanisch-russischen Friedens von Edirne/Adrianopel vom Juni 1713. Mit Genehmigung Ahmeds III. durfte Karl XII. im November 1714 nach Schwedisch-Pommern zurückkehren. Auch dem ungarischen Magnaten und Anführer des anti-habsburgischen „Kuruzzen“Aufstands der Jahre 1703–1711, Ferenc (Franz) II. Rákóczi, wurde nach der Niederschlagung des Aufstands von 1717 bis zu seinem Tod (1735) politisches Asyl gewährt; den Aufstand selbst hatten die Osmanen freilich weder direkt noch indirekt unterstützt. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang Claude-Alexandre Comte de Bonneval (1675–1747), erfolgreicher General im Türkenkrieg 1716–1718 und enger Vertrauter des Prinzen Eugen, bis die sogenannte „Affäre Prié“ (Streit zwischen Offizieren) die beiden einander entfremdete und dem Grafen neben dem Verlust seiner Ämter eine einjährige Haft eintrug. Nach seiner Freilassung wurde Bonneval nach Venedig abgeschoben. 1729 bot er den Osmanen seine Dienste an, konvertierte zum Islam und nahm den Nahmen Ahmed an; im Rang eines Paschas stellte er eine moderne, schlagkräftige Artillerie-Truppe auf, die im Krieg 1737–1739 erheblich zur Niederlage der österreichischen Armee beitragen sollte. Ein anderer Renegat, der aus Siebenbürgen stammende İbrahim Müteferrika, erhielt 1727 die offizielle Genehmigung zur Errichtung der ersten Druckerpresse: Die ab 1729 in arabischen Lettern gedruckten nichtreligiösen Werke trugen nicht unwesentlich zur kulturellen Blüte des Osmanischen Reichs im 18. Jahrhundert bei. Die Regierungszeit Ahmeds III. (1703–1730) war von einer kulturellen Öffnung nach Europa sowie einer immer weiter fortschreitenden Auflösung des sozioökonomischen Gefüges des Reichs geprägt. Die auf der Balkanhalbinsel jahrhundertelang praktizierte Institution der „Knabenlese“ – die Auswahl junger Christen zugunsten der osmanischen Armee oder Staatsverwaltung – ging zu Ende, die höchsten Würdenträger in der Hauptstadt des Osmanischen Reichs und in der Provinzverwaltung, die gleichzeitig Militärverwaltung war, rekrutierten sich bald nicht mehr aus geborenen Christenknaben. Dies führte zu einer allmählichen Entmilitarisierung des osmanischen Verwaltungswesens, gleichzeitig wurden immer häufiger ethnische Türken mit führenden Verwaltungsposten betraut. Die ebenfalls aus dem Reservoir der Knabenlese stammenden Janitscharen, die als „Yeni çeri“ (Neue Truppe) in der Blütezeit des Osmanischen Reichs die Elitetruppe gebildet hatten, durften nunmehr heiraten und ihre Posten an die Söhne vererben. Gleichzeitig wurde mithilfe ausländischer, meist französischer Militärberater der Aufbau einer regulären stehenden Armee in Angriff genommen.Obwohl manche Stimmen eine Rückkehr zu den traditionellen muslimischen Idealen der Blütezeit des Osmanischen Reichs unter Sultan Süleyman I. (reg. 1520–1566) forderten, machte sich in der Oberschicht der osmanischen Gesellschaft eine ausgeprägte Neigung zu europäischer Lebensart bemerkbar. Sultan Ahmed III. und sein Hofstaat feierten pompöse Feste, man ergötzte sich an Poesie und Musik und legte nach französischem Vorbild Gärten an; besonderer Vorliebe erfreute sich die in Mode gekommene Tulpe. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hatte der habsburgische Gesandte Ogier Ghislain de Busbecq unter anderem Tulpenzwiebeln aus der Türkei nach Wien gebracht. In Busbecqs niederländischer Heimat wurde die Tulpe weitergezüchtet, von wo sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts ins Zentrum des Osmanischen Reichs als wahre Mode-
blume zurückkehrte. Diesem Umstand ist zu verdanken, dass die Epoche Ahmeds III. und besonders die außergewöhnlich lange Regierungszeit des Großwesirs Nevşehirli Damad Ibrahim Pascha (reg. 1718–1730) von der türkischen Historiografie des 20. Jahrhunderts „Tulpenzeit“ („Lâle devri“) genannt wurde. So wie sie begonnen hatte, ging die Regierungszeit Ahmeds III. 1730 in einer Revolte zu Ende. Nach einer schweren Niederlage der osmanischen Truppen gegen die iranische Armee wurde der Sultan gezwungen, zugunsten eines seiner Neffen Mahmud I. (reg. 1730–1754) abzudanken. Zur Zeit der Friedensverhandlungen von Passarowitz wurde im nördlichen Europa bereits seit 18 Jahren der sogenannte Große Nordische Krieg um die Vorherrschaft im Ostseeraum geführt. Nachdem Karl XII. Ende 1697 im Alter von nur 15 Jahren den Thron des Königreichs Schweden bestiegen hatte, schlossen August II. „der Starke“ von Sachsen-Polen-Litauen, König Friedrich IV. von Dänemark und Norwegen sowie Zar Peter I. „der Große“ von Russland ein Offensivbündnis gegen den jungen, unerfahrenen König. Im März 1700 überfielen die Alliierten überraschend Schweden, Russland erklärte Schweden erst im August 1700 den Krieg. Nach anfänglichen militärischen Erfolgen der schwedischen Armee brachte der Russlandfeldzug Karls XII. 1708–1709 die Wende im Nordischen Krieg: Nach der vernichtenden Niederlage bei Poltava im Juli 1709 floh der schwedische König mit einem kleinen Rest seiner Armee auf osmanisches Territorium, auf dem Schlachtfeld und beim Rückzug gerieten insgesamt fast 30.000 schwedische Soldaten in russische Kriegsgefangenschaft; das schwedische Kernland war nun weitgehend vom Schutz durch eigene Truppen entblößt. Wie bereits erwähnt, gewährte Sultan Ahmed III. dem König Asyl, ließ ihn jedoch 1713 nahe dem schwedischen Hauptquartier gefangen nehmen, genehmigte allerdings im November 1714 die Entlassung aus der Ehrenhaft. Im Eilritt kehrte Karl XII. nach Schwedisch-Pommern zurück und setzte den de facto bereits verlorenen Krieg fort; ein Jahr darauf musste er in seine schwedische Heimat fliehen. Während 1716 auf dem Balkan Prinz Eugens Truppen militärische Erfolge gegen die osmanische Armee errangen, waren Karls Bemühungen zur Wiederherstellung seines Reichs vergeblich, als er versuchte, Christiania – das heutige Oslo – zu erobern. In einem zweiten Feldzug in das von dänischen Truppen besetzte und kontrollierte Norwegen kam Karl XII. am 11. Dezember 1718 – nach dem gregorianischen Kalender – bei der Belagerung von Frederikshald durch eine Gewehrkugel ums Leben. Mit seinen Kriegen hat Karl das schwedische Königreich, das er von seinem Vater als gefestigtes Staatswesen mit sanierten Staatsfinanzen übernommen hatte, in den finanziellen und wirtschaftlichen Ruin geführt. Im Frieden von Nystad – 10. September 1721 zwischen Schweden und Russland – wurden die russischen Gebietsgewinne im Baltikum bestätigt, Russland hatte Schweden endgültig als europäische Großmacht abgelöst. In Russland plante Peter I. „der Große“ (1672–1725), seit 1682 Zar und Großfürst, die Öffnung seines Reiches nach Westeuropa. Diesem Bestreben wie auch den russischen Handelsinteressen stand das Fehlen eines Zugangs zur Ostsee entgegen; um die schwedische Vormachtstellung in der Ostsee zu brechen, beteiligte sich Russland am Großen Nordischen Krieg. In den Jahren 1701–1703 konnten russische Truppen und eine kleine, neu aufgebaute Flotte die schwedischen Verteidiger bis zum Finnischen Meerbusen zurückdrängen. An der Nevamündung ordnete Peter der Große 1703 den Bau einer neuen Stadt an, die bereits im Jahr 1711 unter dem Namen Sankt Petersburg neue russische Hauptstadt werden sollte. Nach der vernichtenden Niederlage der Schweden bei Poltava im Juli 1709 und der Flucht Karls XII. nach Bender verlangte der Zar von Ahmed III. die Auslieferung des Schwedenkönigs, eine Forderung, welche der Sultan im November 1710 mit der Kriegserklärung an Russland beantwortete. Daraufhin fiel Peter I. mit seiner Armee in das Fürstentum Moldau ein, wo sie am Fluss Pruth von
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den Truppen des Großwesirs Mehmed Pascha eingekesselt wurden. Um sich selbst und seiner Armee ungehinderten Abzug zu ermöglichen, musste der Zar im Frieden vom Pruth vom 23. Juli 1711 demütigende Bedingungen akzeptieren: Er verpflichtete sich, die erst 1696 eroberte Festung Asov am Don, sieben Kilometer vor der Mündung ins Asovsche Meer gelegen, wieder an das Osmanische Reich abzutreten und einige erst vor Kurzem errichtete Grenzfestungen zu schleifen. Nach der Festnahme Karls XII. von Schweden in dessen Hauptquartier am Dnjestr bestätigte Sultan Ahmed III. am 27. Juni 1713 in Edirne den mit dem Zaren geschlossenen Frieden vom Fluss Pruth. Anfang Februar 1716 verließ Peter der Große die neue Hauptstadt Sankt Petersburg und brach zu seiner zweiten Europareise auf, um mit den Alliierten das weitere Vorgehen gegen Schweden zu erörtern. Zunächst traf er am 12. Mai in Schwerin als Gast des Herzogs Karl Leopold von Mecklenburg (1678–1747) ein, der kurz zuvor – am 19. April – in Danzig Katharina Ivanovna, eine Nichte Peters des Großen, geheiratet hatte. Bei seinem Treffen mit König Friedrich IV. von Dänemark und Norwegen (1671–1730, reg. 1699–1730) Ende Mai wurden die Invasionspläne noch weiter vertieft; im September 1716 wurde eine 30.000 Mann starke russische Armee von Warnemünde in Mecklenburg aus nach Seeland verschifft. Die alliierte Invasionsflotte, bestehend aus dänischen Linienschiffen, verstärkt durch russische, britische und holländische Flottengeschwader, stand nun für die Invasion bereit. Doch dann sagte der Zar die schon fest geplante Landung auf Schonen überraschend ab und weckte dadurch erneut das Misstrauen der Verbündeten, die weiter argwöhnten, er habe seine Invasionspläne lediglich als Vorwand für eine Ausweitung der russischen Stützpunkte in Norddeutschland benützt. Die tatsächliche Stationierung russischer Truppen in Mecklenburg-Schwerin während des Winters 1716/17 sollte noch zu schwerer Verstimmung und diplomatischen Interventionen führen, nicht nur im Heiligen Römischen Reich. Peter der Große selbst hielt sich von Dezember 1716 bis März 1717 in Amsterdam auf. Im Frühjahr 1717 reiste er über Brüssel weiter nach Paris. In Versailles sorgte er für einige protokollarische Verlegenheit, indem er den siebenjährigen, noch unmündigen König Ludwig XV. buchstäblich auf den Arm nahm, denn einen französischen König durfte man nicht einmal anfassen. Der Versuch des Zaren, ein französisch-russisches Bündnis zustande zu bringen, blieb hingegen erfolglos. Über Amsterdam, Berlin, Danzig und Königsberg kehrte er heim nach Sankt Petersburg, wo er im Oktober 1717 eintraf. Während seiner Europareise setzte sich Peters ältester und einzig überlebender Sohn aus erster Ehe, Zarewitsch Aleksej Petrovič (1690–1718) in das Heilige Römische Reich ab; am 21. November 1716 traf er in der kaiserlichen Reichshaupt- und Residenzstadt Wien ein. Eine persönliche Audienz bei Karl VI. wurde ihm verweigert, obwohl er Schwager des Kaisers war: Karl III. von Spanien (1685–1740) hatte 1708 in Barcelona Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel (1691–1750) geheiratet; Aleksej war 1711 in Torgau an der Elbe mit ihrer jüngeren Schwester Charlotte Christine (1694–1715) vermählt worden. Aleksej war bereits Witwer, nachdem seine Gemahlin Anfang November 1715 am Kindbettfieber verstorben war. Anlass und Grund der Flucht des Zarewitsch war, dass er auf Betreiben des Fürsten Alexander Danilovič Menšikov (1673–1729), des engsten Vertrauten Peters des Großen, zugunsten seines Halbbruders aus zweiter Ehe, Peter Petrovič (1715–1719) auf die Thronfolge verzichten sollte; von seinem Schwager Karl VI. erhoffte er sich Unterstützung bei der Durchsetzung seines Erbrechts. Niemand konnte damals ahnen, dass Peter Petrovič bereits 1719 sterben würde, dass die zweite Gemahlin Peters I., Ekaterina Aleksejevna (1684–1727), als Zarin Katharina I. 1725 selbst den Thron besteigen und dass der Sohn von Zarewitsch Aleksej, Peter Aleksejovič (1715–1730) im Jahr 1727 als Peter II. seinem Großvater Peter I. dem Großen auf den Zarenthron folgen würde.
Karl VI. wollte mitten im Türkenkrieg kein Zerwürfnis mit dem einst in der Heiligen Liga verbündeten Zaren Peter riskieren, deshalb wurde Zarewitsch Aleksej zusammen mit seinem kleinen Gefolge, darunter seiner – als Page verkleideten – schwangeren Geliebten Efrosinija bald aus Wien abgeschoben, freilich in ehrenvoller Haft gehalten: Zunächst im niederösterreichischen Schloss Weyerburg, das Reichvizekanzler Friedrich Karl Graf Schönborn erst im Jahre 1715 käuflich erworben hatte, vom 5. Dezember 1716 bis 4. Mai 1717 auf Burg Ehrenberg bei Reutte in Tirol; zuletzt war er bis Mitte November in Kastell Sant’ Elmo bei Neapel inhaftiert. Zar Peter I. hatte inzwischen herausgefunden, wo Aleksej sich aufhielt, er forderte seine Auslieferung, übte dabei auf den Wiener Hof immer massiveren Druck aus, dem Kaiser Karl VI. schließlich nachgeben musste: Am 21. Dezember 1717 wurde der Zarewitsch in Brünn den Agenten des russischen Zaren übergeben. In Moskau ließ Peter I. seinen Sohn von einem eigens zu diesem Zweck einberufenen Gerichtshof wegen Hochverrats zum Tode verurteilen. Aleksej starb jedoch noch vor der Vollstreckung des Todesurteils am 5. Juli 1718 an den Folgen der Foltern – etwa zwei Wochen vor Unterzeichnung des Friedensvertrags von Passarowitz. Großbritannien hatte sich aus dem Großen Nordischen Krieg gänzlich herausgehalten. Erst nachdem Kurfürst Georg von Hannover (1660–1727, Kurfürst seit 1698) am 20. Oktober 1714 als Georg I. zum König von Großbritannien gekrönt worden war, unterstützte die britische Flotte die antischwedische Allianz mit ihrer starken Flotte und schützte gemeinsam mit holländischen Kriegsschiffen gleichzeitig die englischen und holländischen Handelsschiffe in der Ostsee. Die englisch-holländische Flotte griff auch aktiv in das Kriegsgeschehen ein, indem sie sich im Juli 1715 der dänischen Kriegsflotte anschloss, um Stralsund zu belagern. Als Gegenleistung musste Friedrich IV. dem diplomatischen Druck der Verbündeten nachgeben und die seit 1648 schwedischen, nun von Dänemark besetzten Herzogtümer Bremen und Verden 1715 gegen eine Ausgleichszahlung an Hannover abtreten; das Kurfürstentum erlangte dadurch den lang ersehnten Zugang zur Nordsee. Um die befürchtete russische Dominanz in der Ostsee zu verhindern und um das Zarenreich diplomatisch zu isolieren, schloss König Georg I. von Großbritannien (reg. 1714–1727) mit den Niederlanden und mit Frankreich eine Tripelallianz. Die Bestimmungen des Rastatter Friedens zwischen Frankreich und Österreich vom März 1714 brachten Kaiser Karl VI. erheblichen Machtzuwachs; er musste zwar auf die Krone Spaniens verzichten, dafür erwarb Österreich die Spanischen Niederlande und Sardinien sowie die früher zur spanischen Krone gehörenden Länder in Italien, das Königreich Neapel und die Lombardei mit den Herzogtümern Mailand und Mantua. Zwischen den eigentlichen Kontrahenten, Karl VI. und Philipp V. von Spanien, war hingegen noch nicht Frieden geschlossen worden. Als der Ausbruch eines neuen Türkenkrieges absehbar und zu befürchten war, dass Spanien die Österreich zugesprochenen Gebiete in Italien gleichzeitig angreifen würde, nahm Karl VI. nach längeren Verhandlungen das Bündnisangebot König Georgs I. von Großbritannien an: Vertraglich verpflichtete man sich Anfang Juni 1716 im Kriegsfall zu gegenseitigem Beistand – ausgenommen war lediglich der Türkenkrieg. Allerdings war im April 1716 mit der Festnahme des kaiserlichen Residenten Franz Anselm von Fleischmann, der ein Angebot Karls VI. nach einem friedlichen Vergleich überbracht hatte und daraufhin als Gefangener im osmanischen Heer mitgeschleppt wurde, der Kriegszustand ohnedies bereits gegeben. Mithilfe der päpstlichen Hilfsgelder konnte Karl endlich ein ansehnliches Heer gegen die Osmanen aufstellen. Überdies versuchte der Papst dem Kaiser eine Garantie für die Sicherheit der italienischen Besitzungen zu verschaffen; auf päpstlichen Druck gab Philipp V. von Spanien schließlich die Erklärung ab, für die Dauer des Türkenkrieges keinen Angriff
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auf die habsburgischen Länder in Italien zu unternehmen. Trotz dieser Zusage landeten im November 1717 spanische Truppen auf Sardinien; zu diesem Zeitpunkt war der Krieg Österreichs gegen die Osmanen bereits siegreich zu Ende gegangen, als Reaktion begnügte man sich mit einer Verstärkung der Defensivkräfte im Königreich Neapel. Am 11. September 1717 hatte Prinz Eugen ein Schreiben des früheren Kommandanten von Belgrad, Mustafa Pascha, erhalten, worin dieser signalisierte, dass die osmanische Staatsspitze zu Friedensverhandlungen bereit wäre. Auch Kaiser Karl VI. war nicht abgeneigt, Friedensgespräche aufzunehmen, bereits am 23. September erteilte er Prinz Eugen von Savoyen die Vollmacht, mit Sultan Ahmed III. Waffenstillstand oder Frieden auszuhandeln und zu unterzeichnen. Zuvor galt es allerdings noch einige Probleme zu lösen und Differenzen zu beseitigen. Die Gesandten der verbündeten Seemächte an der „Hohen Pforte“ in Konstantinopel boten sich als Vermittler bei den Friedensverhandlungen an, so wie bereits der Friede von Karlowitz/Karlovac 1699 mit britischer und niederländischer Vermittlung zustande gekommen war. Der von König Georg I. zur Friedensvermittlung entsandte Diplomat Sir Edward Wortley Montagu wurde von der österreichischen Seite abgelehnt, da er den Anschein erweckte, allzu sehr Partei zugunsten der Osmanen zu ergreifen. An seiner Stelle wurde der britische Diplomat Sir Robert Sutton zum Vermittler beim künftigen Friedenskongress ernannt. Seitens der niederländischen Generalstaaten („Staten-Generaal“) wurde, wie bereits 1698/99 bei Karlowitz, der erfahrene Diplomat Jacob Graf Colyer bestimmt. Im Oktober 1717 traf schließlich Ferenc (Franz) II. Rákóczi aus seinem Exil in Paris in Konstantinopel ein; er versuchte – vergeblich –, die Friedensverhandlungen zu hintertreiben und den neuen Großwesir Nişancı Mehmed Pascha für eine Fortsetzung des Kriegs zu gewinnen. Nachdem alle Hindernisse aus dem Weg geräumt waren, stimmte die Geheime Konferenz in Wien am 4. Februar 1718 dem Plan eines Friedenskongresses zu, jedoch unter der Voraussetzung, dass das Prinzip des „uti possidetis“ eingehalten werden müsse; dieses Prinzip besagt, dass die Kriegsgegner sämtliche Territorien behalten sollten, die sie im Krieg erobert und zum Zeitpunkt des Friedensvertrags in Besitz haben. Die kaiserliche Friedensdelegation wurde von Damian Hugo Graf Virmont – der aus der niederrheinischen Adelsfamilie Viermund-Neersen stammte und sich als General in den Türkenkriegen ausgezeichnet hatte, 1706 in den Reichsgrafenstand erhoben worden war und während des Großen Nordischen Kriegs als Gesandter am schwedischen und am preußischen Hof, zuletzt in Polen, diplomatische Erfahrungen gesammelt hatte – gemeinsam mit Hofkriegsrat Michael von Talman angeführt, der von 1703 bis 1713 habsburgischer Gesandter in Konstantinopel gewesen war. Franz Anselm von Fleischmann, Botschafter Karls VI. im Osmanischen Reich von 1711 bis 1716, erhielt den Auftrag, einen Handelsvertrag abzuschließen. Die Republik Venedig war schon wie 1698/99 bei Karlowitz durch den bewährten Diplomaten Carlo Ruzzini vertreten; in den Jahren von 1732 bis zu seinem Lebensende 1735 sollte Ruzzini als Doge die Republik regieren. Die osmanische Delegation wurde von Silihdar Ibrahim Ağa und Artillerieoberst Mehmed Ağa geleitet; aus diesem Anlass war Ibrahim Ağa zum zweiten und Mehmed Ağa zum dritten Defterdar (Schatzmeister) ernannt worden; Seyfullah Efendi erhielt den Auftrag, einen Handelsvertrag abzuschließen. Zum Verhandlungsort bestimmte Prinz Eugen das Dörfchen Požarevac/Passarowitz in Serbien, etwa 60 Kilometer Luftlinie südöstlich von Belgrad, nahe der Mündung des Flusses Morava in die Donau gelegen. Als seit Beginn des Monats Mai 1718 die Delegationen nach und nach bei Passarowitz eintrafen, waren immer noch militärische Aktionen im Gange: Ein osmanisches Heer
Verhandlungszelt, 1718 (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
war von Edirne in Richtung Sofia aufgebrochen, und die kaiserliche Armee stand bei Semlin/Zemun bereit, gegen Vidin und Niš vorzustoßen. Und obwohl Rákóczi wie auch der spanische und der französische Gesandte die osmanische Staatsspitze zur Fortsetzung des Krieges drängten, konnten die Vertreter der vermittelnden Seemächte die verantwortlichen osmanischen Würdenträger schließlich davon überzeugen, dass nur ein Friedensabkommen im Interesse des Osmanischen Reichs liegen konnte. Da in den Beglaubigungsschreiben für die osmanischen Delegierten – letztlich unwesentliche – Fehler entdeckt wurden, verzögerte sich der Beginn der Friedensgespräche um einen weiteren Monat. Am 6. Juni 1718 wurde der Friedenskongress in einem von Österreich zur Verfügung gestellten Zelt feierlich eröffnet; Prinz Eugen nahm an den Verhandlungen nicht persönlich teil, er instruierte die Gesandten jedoch mittels schriftlicher Weisungen und sogar in persönlichen Treffen über die Verhandlungsstrategien: Nach dem Grundsatz des „uti possidetis“ sollte mit unberechtigten Gebietsforderungen keine kostbare Zeit vergeudet werden. Gleichzeitig verhandelte die venezianische Delegation mit den osmanischen Vertretern, wobei die britischen und niederländischen Vermittler gelegentlich schlichtend eingreifen mussten. Am 21. Juli konnte das Friedensabkommen verkündet und die Urkunde mit 20 Vertragspunkten feierlich unterfertigt werden. Die ersten sechs Artikel enthielten territoriale Bestimmungen; der erste Punkt betraf die Abtretung der westlich des Flusses Alt gelegenen Gebiete der Walachei, also das „Banat von Temesvár“; der Alt-Fluss sollte von Booten beider Seiten benutzt werden dürfen, Schiffmühlen durften hingegen nur an solchen Stellen ankern, wo sie die allgemeine Schifffahrt nicht behinderten. Die Artikel 2–6 enthielten sehr vage klingende Bestimmungen über den künftigen Grenzverlauf zwischen der Donaumündung des Timok entlang der Flüsse Una und Save, unklar definiert durch Formulierungen wie „etwa zehn Stunden landeinwärts“ oder „in einiger Entfernung vom Fluss“. In Artikel 7 wurde bestimmt, die Grenze binnen zweier Monate oder in noch kürzerer Frist durch deutlich erkennbare Zeichen und Grenzsteine zu markieren: De facto zog sich die Grenzziehung jedoch über viele Monate hin; die Markierung bestand lediglich aus primitiven Steinkegeln, die rund um markante Bäume oder um einfache Holzstöcke errichtet werden sollten, also keineswegs vergleichbar mit Grenzzäunen des 20. oder des 21. Jahrhunderts. In Artikel 8 wurden bei Missachtung dieser Grenzmarkierungen strenge Strafen angedroht, im neunten Artikel wurden Zwistigkeiten jeder Art einer Entscheidung von nicht näher definierten Kommissionen zugewiesen, die entscheidende letzte Instanz kam dem jeweiligen Monarchen zu. Artikel 10 trug den örtlichen Befehlshabern auf beiden Seiten unter Strafandrohung auf, die Einhaltung der Vertragsbestimmungen
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in ihrem Amtsbereich zu kontrollieren, Zuwiderhandelnde auszuforschen und streng zu bestrafen. In Artikel 11 wurde den christlichen Untertanen des Sultans ungehinderte Religionsausübung und der Schutz der religiösen Stätten im Osmanischen Reich garantiert. Artikel 12 regelte die Freilassung und den Austausch von Kriegsgefangenen, Artikel 13 den Handelsverkehr. In Artikel 14 wurde vereinbart, keine Rebellen, Räuber und Verbrecher der Gegenseite aufzunehmen, gemäß Punkt 15 mussten Rákóczi und die übrigen ungarischen Asylanten aus den grenznahen Gebieten ins Landesinnere verbracht werden. Artikel 16 besagte, dass Polen etwaige Grenzstreitigkeiten direkt mit der osmanischen Pforte zu verhandeln habe. Artikel 17 sah vor, den Friedensabschluss durch gegenseitige Großbotschaften mit würdigen Geschenken zu bekräftigen, Artikel 18 betraf die Freiheiten der habsburgischen Diplomaten und Agenten im Osmanischen Reich. Gemäß Artikel 19 sollten die von den Monarchen unterfertigten Ratifikationsurkunden binnen 30 Tagen nach Vertragsunterzeichnung durch die vermittelnden Gesandten an der Grenze ausgewechselt werden. In Artikel 20 verpflichteten sich beide Seiten schließlich, ihre Untertanen und Verbündeten zur Einhaltung des mit 24 Mondjahren befristeten Traktats anzuhalten und Zuwiderhandelnde strengstens zu bestrafen. Am 21. Juli 1718 unterzeichneten die beiderseitigen Delegierten und die Friedensvermittler Sutton und Colyer den Vertrag von Passarowitz. Kaiser Karl VI. ratifizierte am 12. August 1718 in Wien den Vertrag und ließ ihn in lateinischer Sprache drucken; die Ratifikation Sultan Ahmeds III. in osmanisch-türkischer Sprache war im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr aufzufinden. Gleichfalls am 21. Juli wurde auch zwischen Venedig und dem Osmanischen Reich Frieden geschlossen; die Republik musste demnach endgültig die Halbinsel Peloponnes/ Morea abtreten, behielt aber ihre Besitzungen in Dalmatien. Die Habsburgermonarchie erreichte hingegen ihre weiteste Ausdehnung auf dem Balkan gegen das Osmanische Reich: Österreich erwarb endgültig das Banat von Temesvár; die „Kleine Walachei“, in Serbien Belgrad und sieben Distrikte sowie in Bosnien das „Uskoker Land“ entlang der Save und der Distrikt an der Una sollten im Frieden von Belgrad 1739 wieder an das Osmanische Reich verloren gehen. Nach dem Tod Prinz Eugens im April 1736 verfügte die österreichische Armee im Türkenkrieg 1737 über keinen Feldherrn mehr, dessen Talent nur einigermaßen an jenes von Prinz Eugen von Savoyen herangereicht hätte. Der Friedensschluss von Passarowitz bot Kaiser Karl VI. Gelegenheit, der Tripelallianz zwischen Großbritannien, den Generalstaaten der Niederlande und Frankreich beizutreten, – ein Antrag, den James Earl Stanhope, der Berater König Georgs I. von Großbritannien, bereits 1714 dem Kaiser in Wien vorgetragen hatte. Karl VI. war erst bereit, das britische Bündnisangebot anzunehmen, als er erkennen musste, dass er nur mit Unterstützung durch die britische Flotte in den Besitz der reichen Insel Sizilien gelangen konnte; doch erst im April 1718 war Karl VI. endgültig bereit, auf die Krone Spaniens zu verzichten. So wurde am 2. August 1718, nur zweieinhalb Wochen nach Abschluss des Friedens von Passarowitz, in London der Vertrag von den britischen und französischen Gesandten unterzeichnet, kaiserlicherseits durch den Gesandten Karls VI. in Paris, Christoph Penterriedter, der für seine ausgezeichneten Leistungen im diplomatischen Dienst ein Jahr später in den Freiherrnstand erhoben werden sollte. Der Beitritt der Generalstaaten der Niederlande zur Quadrupelallianz wurde niemals angezweifelt, sodass sie als Vertragspartner in die Urkunde aufgenommen wurden; tatsächlich traten sie der Quadrupelallianz – de facto – erst später bei. Nach der Besetzung der damals noch zu Savoyen gehörenden Insel Sizilien durch spanische Truppen im Juli 1718 entsandte Großbritannien eine starke Flotte zum Schutze seiner Handelsschiffe in das Mittelmeer; am 11. August wurde die spanische Armada vor der Südspitze
Siziliens von der britischen Flotte beinahe vollständig zerstört, sodass die spanischen Truppen auf Sardinien und Sizilien nicht mehr mit Nachschub versorgt werden konnten; im Laufe des Jahres 1719 eroberten österreichische Truppen Sizilien. Nach der Kriegserklärung Großbritanniens, Frankreichs und zuletzt auch der Niederlande sah Spanien sich schließlich außerstande, gegen die Übermacht der Quadrupelallianz den Krieg fortzusetzen; im Friedensvertrag von Den Haag am 20. Februar 1720 konnte Österreich, so wie 1718 in London versprochen, endgültig die Insel Sizilien in Besitz nehmen. Wie in Artikel 17 des Vertrags von Passarowitz vorgesehen und wie es in den bilateralen Beziehungen zwischen Habsburgern und Osmanen seit dem Frieden von Zsitvatorok (1606) üblich war, wurden nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden beiderseits Großbotschaften abgefertigt, um gegenseitig Geschenke zu überbringen, die „eines Monarchen würdig“ waren. Im Laufe der Zeit wuchs nach jeder Friedenserneuerung das jeweilige Gefolge stetig an, sodass die Bezeichnung „Großbotschaften“ durchaus gerechtfertigt war. Diese Großbotschaften hatten lediglich zeremonielle Aufgaben zu erfüllen, auf diesem Gebiet versuchten beide Seiten einander durch Prachtentfaltung, den materiellen Wert der Geschenke etc. zu übertrumpfen. Politische Angelegenheiten gehörten hingegen nicht zu ihren Agenden, so war beispielsweise der habsburgische Großbotschafter 1719/20 keineswegs beauftragt, das Asyl für die ungarischen Rebellen um Ferenc Rákóczi anzusprechen. Als Großbotschafter wurden von beiden Seiten die jeweils leitenden Unterhändler bei den Friedensverhandlungen bestimmt, habsburgischerseits Damian Hugo Graf Virmont, osmanischerseits Ibrahim Ağa, der aus diesem Anlass in den Rang eines Paschas erhoben wurde. Graf Virmont verließ am 6. Mai 1719 die Haupt- und Residenzstadt Wien, die Auswechslung mit der osmanischen Großbotschaft an der gemeinsamen Grenze bei Parakin/Paraćin erfolgte am 19. Juni. In Virmonts Gefolge, dessen Gesamtzahl nicht genau bekannt ist, befanden sich zahlreiche Experten wie Ärzte und Apotheker, Uhrmacher, aber auch Militärfachleute, Altertumskenner und Maler, Geistliche, Dolmetscher und einige „Sprachknaben“, die in Konstantinopel die türkische Sprache und den praktischen Umgang mit der osmanischen Hofgesellschaft erlernen und üben sollten. Köche, eine große Musikkapelle und die Leibwache des Grafen Virmont ergänzten die Großbotschaft. Besonderes Interesse galt jedoch dem Schutz der christlichen Untertanen im Osmanischen Reich, auf Betreiben Graf Virmonts wurde etwa der Freikauf christlicher Sklaven in die Wege geleitet. Nach mehrmonatigem Aufenthalt in Konstantinopel und nach der abermaligen Auswechslung mit der osmanischen Großbotschaft am 17. Juni 1720 traf Virmont mit seinem Gefolge am 11. Juli wiederum in Wien ein. Die osmanische Großbotschaft war ab dem Grenzübertritt während des gesamten Aufenthalts auf habsburgischem Gebiet bis zur Rückkehr an die Grenzen Gast des Kaisers. Das heißt, dass die kaiserliche Hofkammer für die Verpflegung und Unterbringung der Staatsgäste aufzukommen hatte: Der osmanische Großbotschafter Ibrahim Pascha wurde von 763 Personen begleitet; 645 Pferde, 180 Kamele und 100 Maultiere waren fast genau ein Jahr lang mit ausreichend Futter zu versorgen. Untergebracht waren Mensch und Tier vom 14. August 1719 bis zum 9. Mai 1720, 269 Tage lang, in mehreren Gasthöfen in der Wiener Leopoldstadt. Neben dem Brennholz für die mitgebrachten türkischen Küchen und Bäder wurde in der kalten Jahreszeit zusätzlich Holz zum Heizen der Öfen benötigt. Für die Verpflegung der osmanischen Großbotschaft wurden täglich 1125 Pfund Schaffleisch, 12 Lämmer, 2 Kälber, je 30 alte und junge Hühner, 6 Truthähne, 4 Enten, 3 Gänse und 10 Tauben gefordert, weiters 850 Brotlaibe, 45 Pfund Semmeln, 1012 Pfund Reis, 85 Pfund feines Mehl, 90 Pfund Salz und fast 80 Pfund Kaffee. Dazu kamen weiters noch Schmalz und Butter, Obst, Käse, Milch und
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Tee, Oliven und kostbare Gewürze. Für die Armenier, Griechen und Juden wurden Wein, Bier und Branntwein verlangt, für die Last- und Tragtiere Gerste, Heu und Stroh. Der prunkvolle Einzug in die Stadt Wien am 14. August 1719 führte an der kaiserlichen Sommerresidenz „Favorita“ vorbei, wo der Kaiser und seine Familie Gelegenheit hatten, den Zug heimlich zu beobachten. Die feierliche Antrittsaudienz fand am 4. September in der „Favorita“ statt, dabei überreichte Ibrahim Pascha sein Beglaubigungsschreiben. Als Geschenke brachte Ibrahim Pascha Teppiche, persische Seide, Zobelpelze, arabische Pferde mit wertvollem Zaumzeug und auch einen Löwen für den Tiergarten im Schloss Neugebäude mit; eine weitere Audienz fand auch bei Prinz Eugen von Savoyen statt. In den kommenden neun Monaten unternahmen der Großbotschafter und sein engeres Gefolge Besichtigungstouren in und um Wien, er empfing Botschafter und Vertreter des Hochadels, nahm an Veranstaltungen, Redouten und Theateraufführungen teil. Nach der Abschiedsaudienz beim Kaiser und beim Hofkriegsratspräsidenten verließ die osmanische Großbotschaft am 9. Mai 1720 Wien, bis Belgrad reiste man auf Donauschiffen; am 17. Juni betrat Ibrahim Pascha wieder osmanisches Territorium. Eine weitere wichtige Aufgabe nach dem Friedensschluss war mit der Markierung der südlich der Save verlaufenden neuen Grenzen in Bosnien und Serbien zu erfüllen: In gewissen Abständen wurden Steinhaufen rund um markante, einzeln stehende Bäume angelegt; wo keine Bäume zur Verfügung standen, wurden die Steinhaufen mittels Holzpflöcken gekennzeichnet, also nicht vergleichbar mit den auf der Balkanhalbinsel vor Kurzem errichteten Grenzzäunen. Ein ganzes Jahr benötigten die bilateralen Grenzziehungs-Kommissionen, um ihre aufwendige Arbeit zu beenden, im Oktober 1719 tauschten sie die Ergebnisse ihrer Tätigkeit mittels wechselseitiger Protokolle aus. Nur sechs Tage nach dem Friedensschluss, am 27. Juli 1718, wurde in Passarowitz ein Handelsvertrag zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich abgeschlossen. Dieser Vertrag wurde nicht durch die Seemächte vermittelt, er wurde offensichtlich ohne ihr Wissen abgeschlossen, wohl aus dem Grund, dass er ihren eigenen Handelsinteressen konträr entgegenstand. Artikel 13 des – von den Seemächten vermittelten – Friedensvertrags von Passarowitz enthielt zwar schon allgemein formulierte Handelsfreiheiten, wie sie in ähnlicher Weise bereits in früheren Friedensverträgen enthalten waren. In Passarowitz arbeiteten Franz Anselm von Fleischmann und Nişanci Seyfullah erstmals auch einen separaten Handelsvertrag aus, wie zuvor bereits andere europäische Staaten mit dem Osmanischen Reich Handelsverträge, sogenannte Kapitulationen, abgeschlossen hatten. Der Handelsvertrag von Passarowitz enthielt so wie der Friedensvertrag 20 Artikel. Artikel 1 sicherte Österreich vollkommene Freiheit des Handels und der Schifffahrt zu, ausgenommen war lediglich der Handel mit Kriegsmaterial. Laut Artikel 2 durften die kaiserlichen Donauschiffe allerdings nicht in das Schwarze Meer einfahren, die Waren mussten auf türkische Schiffe umgeladen werden (dadurch sollte verhindert werden, dass verkappte Kriegsschiffe in das Schwarze Meer eindringen konnten). Artikel 3 sah einen einmalig zu entrichtenden Ein- und Ausfuhrzoll von höchstens drei Prozent vor; Artikel 4 enthielt die übliche Meistbegünstigungsklausel. In Artikel 5 wurde Österreich das Recht gewährt, an jenen Orten Konsuln zu bestellen, wo andere Nationen ebenfalls über dieses Recht verfügen; österreichische Untertanen genossen Abgaben- und Religionsfreiheit und unterstanden bei Streitigkeiten untereinander der Gerichtsbarkeit des Konsuls. Vice versa räumte Artikel 6 dem Osmanischen Reich das Recht ein, in den habsburgischen Territorien Konsuln mit dem Titel „Schah-bender“ (wörtlich: „Herr des Stapelplatzes“) zu ernennen. Laut Artikel 7 und 8 wurde den unter österreichischer Flagge fahrenden Schiffen Verkehrsfreiheit und Hilfe bei Gefahr und Schiffbruch
Osmanische Urkunde des Handels- und Schifffahrtsvertrages (Österreichisches Staatsarchiv/ Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien)
gewährleistet; gemäß Artikel 9 hatte „die Pforte“ Schadenersatz zu leisten für jeden Schaden, der österreichischen Schiffen auf dem Mittelmeer durch Piraten zugefügt worden war. Von türkischen Kaufleuten auf österreichischen Schiffen sollten laut Artikel 10 keine höheren Tarife gefordert werden; nach Artikel 11 durften österreichische Schiffe zu keinem Transport von Waren gezwungen werden. Gemäß Artikel 13 konnten sich österreichische Untertanen im Osmanischen Reich ungehindert bewegen, Artikel 14 beschränkte die Rechte jüdischer Zwischenhändler. In Artikel 16 wurde die Prozedur im Falle eines Übertritts österreichischer Untertanen zum Islam geregelt, in Artikel 18 die Vorgangsweise gegenüber fremden Handelsleuten im Falle eines bevorstehenden Krieges. Für den österreichischen Transithandel mit dem Iran wurde laut Artikel 19 ein Transitzoll in der Höhe von fünf Prozent eingehoben. Große Sorgen bereitete dem Wiener Hof anscheinend die Absicht der osmanischen Regierung, aufgrund Artikel 6 des Handelsvertrages tatsächlich einen „Schah-bender“ in Wien einzusetzen. Erster Bewerber um diesen Posten war Ömer Ağa, Oberstkämmerer von Ibrahim Pascha und Teilnehmer an dessen Großbotschaft nach Wien in den Jahren 1719/20. Ömer Ağa wurde trotz seines unentwegten Drängens erst im dritten Anlauf, in der Sitzung des Staatsrates (Divan) vom 12. August 1725, zum „Schah-bender“ ernannt. Über die Entstehung und die weitere Entwicklung des ersten osmanischen Generalkonsulats in Wien hat Heinrich Christoph Penkler einen detaillierten Bericht hinterlassen; Penkler war als Sprachknabe im Gefolge von Großbotschafter Graf Virmont 1719 erstmals nach Konstantinopel gekommen, er stand seit 1727 als Hofdolmetsch in kaiserlichen Diensten, wurde 1740 in den österreichischen Ritterstand erhoben und war mit einer Unterbrechung von 1741 bis 1766 österreichischer Internuntius an der „Hohen Pforte“ in Konstantinopel. Nach seinen Schilderungen versuchte der Wiener Hof – zunächst freilich vergeblich – den „Schah-bender“ bald wieder loszuwerden, und verweigerte ihm das in Passarowitz vertraglich eingeräumte Recht, osmanische Vizekonsuln in Triest und weiteren Hafenstädten zu ernennen. Der Hofkriegsrat, dem auch Penkler angehörte, wollte in Ömer Ağa nicht mehr als einen Gesandten, dessen Aufgaben zeitlich befristet waren, anerkennen und war bestrebt, das von ihm ausgeübte Amt eines „Schah-bender“ so rasch wie möglich und endgültig zu beseitigen. Ömer Ağa wurde polizeilich überwacht; Penkler machte ihm allerlei Unregelmä-
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ßigkeiten zum Vorwurf und erreichte damit nach jahrelangen, beharrlich vorgebrachten Anschuldigungen 1732 endlich die Abberufung von Ömer Ağa, ohne dass ein Nachfolger für diesen ernannt worden wäre. Der Handelsvertrag enthielt natürlich auch Bestimmungen, die sich als durchaus vorteilhaft für den österreichischen Handel, besonders für die Handelsschifffahrt auf dem Mittelmeer erweisen sollten. So war in Artikel 9 ein gewisser Schutz vor Piraterie durch die nordafrikanischen Barbareskenstaaten vorgesehen; auch die seit 1714 unter kaiserlicher Flagge segelnden Handelsschiffe des Königreichs Neapel sollten davon profitieren. Zusätzliche Sicherheit erhoffte sich der Wiener Hof von der Möglichkeit, Konsulate in den nordafrikanischen Hafenstädten einzurichten. Und da offensichtlich auch die unter osmanischer Suzeränität stehenden Länder (Vasallenstaaten) an guten Handelsbeziehungen interessiert zu sein schienen, schloss der Kaiserhof am 23. September 1725 mit dem Bey von Tunis und am 1. August 1726 mit dem Bey von Tripolis jeweils Handels- und Freundschaftsverträge ab. Kaiser Karl VI. war am Ausbau der Handelsbeziehungen der von ihm regierten Länder zweifellos außerordentlich interessiert. Erfolge der Ostindischen Kompanien in Großbritannien und in den Vereinigten Niederlanden hatten seit 1713 einige Handelshäuser in Antwerpen, Gent und Ostende in den österreichischen Niederlanden veranlasst, ebenfalls mit Indien und China Handel zu treiben. Ohne geringste Erfahrung auf diesem Gebiet gründete der Kaiser im Dezember 1722 die Handelskompanie von Ostende, die damit in direkte Konkurrenz zur britischen „East India Company“ trat. Letztlich aus diesem Grund sollte die Handelskompanie von Ostende auch nur fünf Jahre bestehen. Karl VI. musste dem massiven Druck der Seemächte nachgeben, auf deren Unterstützung er angewiesen war, um in Europa politisch nicht isoliert zu werden. Bereits im Mai 1727 war er gezwungen, die Zulassung der Kompanie für die nächsten sieben Jahre auszusetzen, im März 1731 musste er die Kompanie endgültig auflösen: Als Gegenleistung für die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion, worin die Nachfolge der Kaisertochter Maria Theresia in den österreichischen Erblanden geregelt wurde, erreichte Großbritannien im sogenannten Zweiten Wiener Vertrag vom 16. März 1731 die Auflösung der Handelskompanie von Ostende.
Ausgewählte Literatur Leopold Auer, „Das europäische Staatensystem im Zeitalter Prinz Eugens“, in: Erich Zöllner, Karl Gutkas (Hg.): Österreich und die Osmanen – Prinz Eugen und seine Zeit (Schriften des Instituts für Österreichkunde 51/52), Wien 1988, S. 69–87. Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie – Internationale Beziehungen 1700–1785 (Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen 4), Paderborn 1997. Numan Elibol-Abdullah M. Küçükkalay, „Implementation of the Commercial Treaty of Passarowitz and the Austrian Merchants, 1720–1750“, in: Charles Ingrao, Nikola Samardžić, Jovan Pešalj (ed.), The Peace of Passarowitz, 1718, West Lafayette 2011, S. 159–178. Harald Heppner, Daniela Schanes, „The Impact of the Treaty of Passarowitz on the Habsburg Monarchy“, in: Ingrao, Samardžić, Pešalj 2011, S. 53–62. Klaus Kreiser, Der osmanische Staat 1300–1922 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 30), München 2008. Rudolf Neck, Helmut Nader, Christiane Vonwiller, Österreich und die Osmanen. Gemeinsame Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek und des Österreichischen Staatsarchivs, Katalog, Wien 1983. Oswald Redlich, Das Werden einer Großmacht. Österreich von 1700 bis 1740, Wien 41962, (digitalisiert 2009). Karl Vocelka, Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat (Österreichische Geschichte 1699–1815, hg. von Herwig Wolfram), Wien 2001.
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Wirtschaftliche Beziehungen einst und jetzt Harald Heppner
Wenn die Habsburgermonarchie zu Beginn des 18. Jahrhunderts bemüht war, das Einzugsgebiet des Osmanischen Reiches wirtschaftlich zu erschließen, dann aus zweierlei Gründen: Erstens verschafften die von Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736) erzielten Siege von 1716 und 1717 ausreichenden politischen Nachdruck (siehe hierzu den Beitrag von Claudia Reichl-Ham in diesem Band), um den Osmanen Zugeständnisse abzuringen, die den europäischen Seemächten (Venedig, Frankreich, England, Holland, Schweden) längst gewährt worden waren. Zweitens galt es, die orientalischen Märkte in zentraleuropäische ökonomische Kreisläufe einzubinden. Die Initiative ging von Wien aus, wogegen Konstantinopel keine auf Ausbau ausgerichtete Wirtschaftspolitik verfolgte: Der Sultanshof wandte dem Segment Ökonomie gerade so viel Aufmerksamkeit zu, um damit den Versorgungsbedarf der Hauptstadt und der politisch-militärischen Infrastruktur des über drei Kontinente ausgedehnten Reiches zu decken; alles, was darüber hinausging, wurde zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht gefördert. Am Ausbau des Handels interessierte nichtmuslimische Kreise innerhalb des Osmanischen Reiches gab es jedoch sehr wohl, doch taten sich jene schwer „ins Geschäft zu kommen“, wenn es keine günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen gab. Die Bestimmungen des Handels- und Schifffahrtsvertrages von Passarowitz (siehe hierzu den Beitrag von Ernst Petritsch in diesem Band) eröffneten neue Perspektiven: Nun gab es eine benachbarte Großmacht, die an der Erweiterung des Handels interessiert war und auch noch in Aussicht stellte, sich dafür konsularisch einzusetzen. Diese Voraussetzung bewirkte, dass griechische, aromunische und armenische Kaufmannsfamilien aus den Balkanländern nach und nach ihre „Lebensmittelpunkte“ in die Städte Ungarns und Siebenbürgens, aber auch nach Wien und Triest verlagerten, d. h. sich dem kaiserlichen Schutz unterzogen, Handelshäuser gründeten und die „orientalischen“ Geschäfte in die Hand nahmen. Kirchen, Palais und Friedhöfe an vielen Orten erinnern heute noch an diese zahlenmäßig nicht sehr starken, aber funktional wichtigen Immigrantenfamilien.
Das Handelsnetzwerk des Dimitrios Manos
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Der wirtschaftliche Aufschwung im mittleren Donauraum geht jedoch auch auf die namhafte Zuwanderung sowohl aus der osmanischen Nachbarschaft (Serbien) als auch aus dem südlichen und mittleren Deutschland (vor allem aus Schwaben und Hessen) sowie auf eine Reihe innovatorischer Maßnahmen vonseiten des Staates zurück (Bergbau, Verkehrsausbau, Urbanisierung, Wirtschaftsstatistik usw.). Die habsburgische Seite konnte innerhalb des Orienthandels mit Fertigprodukten punkten, was den zahlreichen Hammerwerken in den Ostalpenländern zugutekam: Sie exportierten nach und nach Zigtausende Sensen, Sicheln, Hacken und ähnliche Eisenwaren, die über den Zwischenhandel im Osmanischen Reich bzw. über dessen Terrain in Russland landeten. Die osmanische Seite hingegen verfügte über viele Naturalien (vor allem Schafwolle, Baumwollgarne, Färbemittel für Stoffe, Gewürze, Leder, Vieh, Wein, Öl, Tabak), die für den wachsenden Bedarf innerhalb der Habsburgermonarchie gebraucht wurden. Den Handel zwischen Zentral- und Südosteuropa belebten im 19. Jahrhundert zusätzlich die Industrialisierung, die mehr Ressourcen benötigte, aber auch mehr Produk tionsvolumen hervorrief, die Urbanisierung, weil nun der Bedarf nach vielem stieg, der zwar noch am Dorf, aber nicht mehr in der und für die Stadt zu decken war. Auch die Zahl der Bevölkerung wuchs merklich an, weshalb es nicht nur mehr Arbeitskräfte, sondern auch mehr Konsumenten und Konsumentinnen gab. Auch das Transportwesen (siehe den Beitrag von Nikolaus Reisinger in diesem Band) belebte den wirtschaftlichen Austausch. Obwohl die internationale Konkurrenz im Lauf des 19. Jahrhunderts stark zunahm, bewahrte sich die Habsburgermonarchie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges allemal einen Vorteil: Die Transportdistanzen zwischen den Balkanländern und Österreich-Ungarn waren kurz und kamen den aus dem osmanischen Machtkomplex hervorgehenden Nationalstaaten (vor allem Serbien und Rumänien) zugute, um einen sicheren Absatz für landwirtschaftliche Produkte (Getreide, Vieh) zu haben und mit technischen Produkten versorgt zu werden. Der Erste Weltkrieg, die Zwischenkriegszeit, der Zweite Weltkrieg und auch die Lage im Kalten Krieg veränderten die Rahmenbedingungen fundamental, weshalb bei den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und den Ländern im Südosten Europas keine Kontinuität vorliegt. Ein Neuanfang erfolgte ab den 1960er-Jahren, als die Alpen republik mit ihrem Neutralitätsstatus punkten konnte. Ein Durchbruch erfolgte jedoch erst, als die kommunistischen Systeme gefallen waren und Österreich 1995 Mitglied der Europäischen Union geworden war. Der Sektor Handel nimmt angesichts der globalen Konkurrenz zwar keine so große Rolle mehr ein wie bis 1914, doch spielt er dennoch eine Rolle: In die Westbalkanländer exportierte Österreich im Jahr 2016 Produkte im Wert von 2,5 Mrd. Euro und importierte im Gegenzug Waren im Umfang von 1,6 Mrd. Während einst ein deutliches Gefälle zwischen Fertigwaren im Export gegen Rohstoffe im Import bestand, ist dies heute viel ausgewogener zwischen Maschinen, chemischen Produkten, Rohstoffen und verarbeiteten Nahrungsmitteln. Im Gegensatz zur Zeit der Monarchie hat der Dienstleistungssektor erhebliches Gewicht bekommen: Zahlreiche österreichische Firmen kooperieren mit Firmen innerhalb der südosteuropäischen Länder, Versicherungen und Banken haben viele Filialen im südöstlichen Ausland errichtet und österreichische Firmen sind mitunter auch im Rahmen von EU-geförderten Strukturprojekten (z. B. Straßenbau) tätig.
Die Grazer Wechselseitige in den Ländern Südosteuropas (Grafik: GRAWE)
Unterstützung erhalten diese Initiativen durch die Wirtschaftskammer Österreich, die an folgenden Standorten „AußenwirtschaftsCenter“ unterhält: in Athen, Belgrad, Budapest, Bukarest, Istanbul, Sarajevo, Sofia und Zagreb.
Ausgewählte Literatur Felix Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart, 2. Aufl., Wien, Köln, Weimar 2011. Waltraud Froidorfer, Knill. Chronik einer erfolgreichen Firmengruppe, Weiz 2001, S. 95, 123, 128, 135. David F. Good, Der wirtschaftliche Aufstieg des Habsburgerreiches 1750–1914, Wien, Köln, Weimar 1986, S. 19–41. Harald Heppner, „Steirisches Eisen in der Moldau“, in: Blätter für Heimatkunde, Jg. 56 (1982), S. 58–59. Olga Katsiardi-Hering, „The Allure of red cotton yarn, and how it came to Vienna“, in: Suraya Faroqhi, Gilles Veinstein (Eds.), Merchants in the Ottoman Empire, Paris, Louvain-Dudley/MA 2008, S. 97–131. Olga Katsiardi-Hering, Maria Stassinopoulou (Eds.), Across the Danube. Southeastern Europe and their Travelling Identities (17th–19th c.), Leiden, Boston 2017. Patrimonio culturale (ed.), Maria Teresia e Trieste. Storia e culture della città e del suo porto, Trieste 2017. Jovan Pešalj, „Making a Prosperous Peace: Habsburg Diplomacy and Economic Policy at Passarowitz“, in: Charles Ingrao, Nikola Samardžić and Jovan Pešalj (ed.), The Peace of Passarowitz, 1718, West Lafayette 2011, S. 141–158. Othmar Pickl, „Der Eisenhandel und seine Wege“, in: Paul W. Roth (Hg.): Erz und Eisen in der grünen Mark, Eisenerz 1984, S. 345–365. Paul W. Roth: „Die Eisenwarenproduktion im Zeitalter der Industrialisierung“, in: Paul W. Roth (Hg.): Erz und Eisen in der grünen Mark, Eisenerz 1984, S. 309–316.
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Die Verkehrsentwicklung zwischen Mittel- und Südosteuropa seit dem 18. Jahrhundert Nikolaus Reisinger
Für die seit dem 18. Jahrhundert verstärkte verkehrstechnische Anbindung Südosteuropas und insbesondere der Balkanländer an den mitteleuropäischen Raum – und damit auch an das Territorium der Habsburgermonarchie – bedeutsam sind vor allem jene politischen Entwicklungen, welche die Habsburgermonarchie ab dem Ende des 17. Jahrhunderts zur europäischen Großmacht werden ließen: Mit den militärischen Erfolgen über das Osmanische Reich im sogenannten „Großen Türkenkrieg“ (1683– 1699) sowie dem „Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieg“ (1714–1718) und den jeweils darauffolgenden Friedensschlüssen von Karlowitz/Sremski Karlovci (1699) und Passarowitz/Požarevac (1718) erweiterte sich das Territorium der Habsburgermonarchie längerfristig bis weit in die südliche Pannonische Tiefebene. Damit rückte das Habsburgerreich territorial bis in den Großraum um Belgrad/Beograd vor, wo sich aus mitteleuropäischer Sicht in weiterer Folge am Kreuzungspunkt alter Verkehrswege am Zusammenfluss zweier schiffbarer Flüsse – der Save und der Donau – eine für die Erreichbarkeit der Balkanländer mit Zielrichtung Konstantinopel verkehrstechnisch zentrale Drehscheibe entwickelte. Diese Routen ermöglichten sowohl über Land- als auch über Flussverbindungen im Laufe der Zeit die Optimierung verbesserter Verkehrsmöglichkeiten in den Raum der Adria, des Mittelmeeres und der Schwarzmeerregion. Nicht zuletzt spiegelt sich dies in der Bezeichnung Belgrads als „Pforte des Balkans“ oder als „Tor Mitteleuropas“ wider. Belgrad war und ist somit jener verkehrsgeografisch zentrale Punkt, von dem aus man entweder dem Verlauf der Donau folgend durch die Walachei (heutiges Südrumänien) ans Schwarze Meer oder über Niš nach Thessaloniki bzw. Konstantinopel reiste. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist das Becken von Niš, in dem die wichtigsten Verkehrswege aus dem Norden und Südosten zusammentreffen: Der Ägäis hafen Thessaloniki kann nur durch die Täler der Morava und des Vardar erreicht werden (Verbindung Donauraum–Ägäis), wohingegen die direkte Verbindung von Mitteleuropa über die Länder der Habsburgermonarchie mit der Hauptstadt des Osmanischen Reiches entweder über die Linie Wien–Budapest–Belgrad oder über die seit der Antike als „Via Militaris“ (auch „Via Diagonalis“) bestehende Verbindung, die von Pettau/Ptuj an der Drau über Sirmium/Sremska Mitrovica an der Save nach Belgrad führte, von wo diese über Niš durch die Täler der Nišava, des Iskar und der Marica über Sofia, Philippopel/Plovdiv und Adrianopel/Edirne bis Konstantinopel verlief. Auf diesem auch als „königliche Route der Byzantiner“, „thrakische Straße“, „Istanbuler Straße“ oder „Konstantinopler Straße“ bezeichneten Verkehrs- und Handelsweg marschierten römische Legionäre und Kreuzfahrer wie auch die in den Jahren 1529, 1532 und 1683 gegen Wien ziehenden osmanischen Truppen. Auf ihr bewegten sich die Handelskarawanen ebenso wie die europäischen Gesandtschaften, die zur Hohen Pforte reisten. Als Verbindung zwischen dem Balkankernraum und der östlichen Adriaküste bzw. als Fortsetzung der aus Ungarn, Siebenbürgen, der Walachei sowie vom Schwarzen Meer und von Konstantinopel Richtung Westen verlaufenden Verkehrswege waren neben den Longitudinalverbindungen folgende Transversalrouten von Wichtigkeit: Die bedeutendste davon war die um 130 nach Chr. ausgebaute „Via Egnatia“, die als Verlängerung der „Via Appia“ zur Verbindung Roms mit seinen östlichen Provinzen diente und vom heute albanischen Hafen Durazzo/Durrës durch das Tal des Skhumbin/Shkumbini über Ochri/Ohrid und Monastir/Bitola nach Thessaloniki und von hier über Adrianopel weiter nach Konstantinopel verlief. Als Verbindung des dalmatinischen Küstenlandes – vor allem der Hafenstädte Ragusa/Dubrovnik und Cattaro/Kotor – mit den inner balkanischen Handelswegen diente neben der sogenannten „Zeta-Straße“ (Ragusa– Dulcigno/Ulcinj–Prizren/Prizreni–Amselfeld/Kosovo Polje–Priština/Prishtinë durch das Tal der Toplica ins Nišer Becken) eine südlicher verlaufende Verbindung von Ragusa
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über Antivari/Bar, Skutari/Skhodër und Prizren nach Skopje und weiter nach Thessaloniki. Weiter nördlich bestand die Möglichkeit, von Ragusa durch das Neretvatal über Mostar und Sarajevo entweder nach Niš oder durch das Bosnatal nach Slavonski Brod an die Save zu gelangen. Noch weiter nördlich gewährleisteten im Zuge des 18. und frühen 19. Jahrhunderts ausgebaute Transversalen die Verbindung zwischen Adria und Binnenland: die ab 1726 unter Karl VI. erbaute sogenannte „Karolinenstraße“, die Fiume/Rijeka über Karlstadt/Karlovac mit dem kroatischen bzw. ungarischen Hinterland verband, sowie die ab 1775 erbaute „Josephinenstraße“, die ab 1784 Gospitsch/ Gospić mit dem Hafen Karlobag verbindende „Theresiana“ sowie die ab 1809 angelegte „Luisenstraße“, die mit der „Josephinenstraße“ ebenfalls von Karlstadt nach den Häfen Buccari/Bakar, Porto Rè/Kraljevica, Zengg/Senj und Fiume/Rijeka führten. Die innerbalkanischen Nord-Süd-Verbindungen besaßen im Unterschied zu diesen „internationalen“ Verkehrswegen vor allem überregionale Bedeutung. Dazu gehörten unter anderen die „bosnische Straße“, die von Skopje über das Amselfeld nach Sarajevo führte, und die „epirotische Straße“ von Santa Qaranta, Ioannina bzw. Preveza nach Monastir/Bitola. Insgesamt war die Anlage und Erhaltung von Landverkehrswegen insbesondere im Bereich der Balkanländer seit jeher aufgrund der verkehrsgeografisch ungünstigen Geländeverhältnisse technisch gesehen ein schwieriges Unterfangen, weshalb sich der Mittel- und Südosteuropa verbindende, kontinentale Verkehr in Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten grundsätzlich an den vielfach seit der Antike bestehenden Routen orientierte. Dies zeigt sich vor allem an jenen Wegen, die aus dem innerösterreichischen Raum gegen Südosten führen, indem die wichtigsten Binnenverkehrswege einschließlich der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Eisenbahntrassen den Flusstälern beziehungsweise Flussläufen von Donau, Drau, Save und Mur folgten, um in weiterer Folge an die großen Transitrouten anzuknüpfen, wobei der Intensivierung der Donauschifffahrt vom zentraleuropäischen Raum ins Schwarze Meer stets besonderes Augenmerk geschenkt wurde. Angesichts der schwierigen Gegebenheiten benützten Balkan- bzw. KonstantinopelReisende über das gesamte 18. Jahrhundert hindurch bis zur Einführung regelmäßiger Verbindungen zu Wasser und zu Land – insbesondere bis zum Bau der Eisenbahnen – vor allem die Routen durch den topografisch insgesamt verkehrsfreundlicheren Ostbalkan. Dementsprechend wählte man von Wien oder Budapest entweder die Route über Belgrad–Niš–Konstantinopel oder jene durch Ungarn und das Banat (Temesvár/ Timișoara) nach Siebenbürgen, und von dort aus über Hermannstadt/Sibiu, den Rotenturmpass/Pasul Turnu Roșu bzw. über Kronstadt/Brașov und den Tömöscher Pass/ Predealpass/Pasul Predeal zunächst in die dem Osmanischen Reich tributpflichtige Walachei (heutiges Rumänien). Von dort aus galt es, den wichtigen Donauübergang an der heute rumänisch-bulgarischen Grenze bei Giurgevo/Giurgiu bzw. Rustschuk/ Ruse zu erreichen. Die meisten Konstantinopel-Reisenden wählten die Route Rustschuk–Rasgrad/Razgrad–Schumla/Šumen–Varna, von wo sie je nach Wetterlage mit dem Schiff in vier bis acht Tagen Konstantinopel erreichten. Entschied man sich für den Landweg, so benötigte beispielsweise ein auch in der Nacht reitender Kurier für die Route Rustschuk–Rasgrad–Schumla–Aidos/Aitos–Kirkkilisse/Kirklareli–Konstantinopel ca. sieben bis acht Tage. Mit einem sogenannten „Lehnwagen“ – einem einfachen, nicht überdachten, lediglich mit Stroh ausgelegten und von zwei bis vier Pferden gezogenen Leiterwagen, auf dem höchstens eine Person äußerst unbequem Platz fand – war man auf der Strecke Rustschuk–Konstantinopel 12 bis 14, mit einer Karawane ca. 14 Tage unterwegs. Insgesamt dauerte eine Reise von Wien bis Konstantinopel auf der oben beschriebenen ostbalkanischen Route im günstigsten Falle Kurierdienst ungefähr drei Wochen. Für die Strecke von Thessaloniki nach Wien benötigte man auf der Route über
Seres/Serrai–Melnik–Sofia–Orschowa/Orșova–Temesvár–Pest–Wien ca. 35 Tage. Die unterschiedlichen Reisegeschwindigkeiten spiegeln sich in folgenden Angaben wider: Ein Individualreisender benötigte für die Strecke Belgrad–Konstantinopel ca. 30, Eilkuriere 15 und außerordentliche Kuriere von „besonderer Schnelligkeit“ für die Hin- und Rückreise sogar nur 8 bis 10 Tage. Mit den sich im Schritttempo bewegenden Karawanen reiste man nach zeitgenössischer Beurteilung etwa ein Drittel langsamer als zu Pferde – bei einer durchschnittlichen Reitgeschwindigkeit von 6 bis 10 km/h –, wobei diese Angaben allerdings stark differieren. Dabei waren die Reisezeiten insbesondere auf dem Landweg stets in besonderem Maße vom Straßenzustand und von den Witterungsverhältnissen abhängig. Auch die Aufenthalte in den an den Grenzen befindlichen Quarantänestationen – die bedeutendste war jene am ungarisch-serbischen Grenzort Semlin/Zemun –, die bei Seuchengefahr oder auch routinemäßig zur Reinigung des Postgutes verordnet waren, trugen regelmäßig zu Reiseverzögerungen bei. Eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsverbindungen sowie der Reisemodalitäten erfolgte allmählich ab dem Beginn des 18. Jahrhunderts durch ein unter der Regierung Karls VI. für das gesamte Habsburgerreich initiiertes Straßen(aus)bauprogramm, und insbesondere während der Regierung Maria Theresias und Josephs II. durch die Einrichtung und den sukzessiven Ausbau regelmäßig verkehrender Postkurse. 1745 verkehrte der Briefpostkurs zwischen Wien und Belgrad zweimal wöchentlich. 1746 bestimmte Maria Theresia, dass zwischen Wien und Konstantinopel die Post einmal monatlich befördert werde, und bereits 1752 eine Verdoppelung dieses Postkurses, der auf der „Konstantinopler Straße“ in eine Richtung ca. 20 Tage unterwegs war. Mit der Einrichtung einer fahrplanmäßig organisierten Adria- und Donauschifffahrt wurde auch diese zunehmend für den Postverkehr genutzt.
Poststationen (schwarze Punkte) westlich von Belgrad (Ausschnitt aus Blatt SlawonienSyrmien, Reilly-Atlas, 1789)
In den 1830er-Jahren betrug die Beförderungsdauer zwischen Wien und Konstantinopel auf dem Landweg durchschnittlich 13–16 Tage. 1841 benötigte der Postverkehr bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit der Kutschen von 8 bis 15 km/h auf der „Konstantinopler Straße“ im Sommer 10 und im Winter 12 Tage. 1849 betrug die Lauffrist einer Postsendung von London über Ostende beziehungsweise von Berlin über
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Wien nach Konstantinopel jeweils nur 13 ½ Tage. Unter Miteinbeziehung der ersten Eisenbahnlinien im südosteuropäischen Raum betrug die Beförderungsdauer im Jahre 1860 dann gerade noch 5 Tage. Tatsächlich waren bis zum Bau der Eisenbahnen auch im südosteuropäischen Raum die Flussläufe den Landverbindungen aufgrund ihrer größeren Leistungsfähigkeit im Waren- und Personentransport grundsätzlich überlegen, wobei jedoch jahreszeitlich bedingte Witterungsverhältnisse, insbesondere im Winter, sowie die nicht immer gegebene Schiffbarkeit der Flussläufe – etwa durch Flussengen, zeitweise zu niedrige Wasserstände oder aber auch Stromschnellen – einen ungehinderten, sicheren und damit regelmäßigen Verkehr verhinderten. Konnten bei Talfahrten am Tag je nach Strömung 40 bis 60 Kilometer zurückgelegt werden, so waren stromaufwärts im Schleppverkehr, je nach dem Ladungsgewicht und der Beschaffenheit der Treidelwege (Routen entlang der Gewässer zum Flussaufziehen), nur zwischen 15 und 25 Kilometer möglich. Der seitens einer „Schifffahrtskompagnie“ im Jahre 1782 auf der Donau initiierte Versuch einer regelmäßigen Verbindung nach Konstantinopel scheiterte im Bereich des „Eisernen Tores“ (serbisch-rumänischer Grenzraum) aufgrund der Stromschnellen zwischen Orșova und Turnu Severin, die erst später reguliert wurden, sodass eine fahrplanmäßige Verbindung zwischen dem mittel- und südosteuropäischen Raum nach Konstantinopel zunächst ab 1834 und unter vollständiger Beseitigung sämtlicher Untiefen schließlich erst seit 1896 möglich geworden ist. Mit der Einführung regelmäßiger Fahrdienste auf der Donau durch die 1829 gegründete „Erste k. k. privilegierte DonaudampfschiffahrtGesellschaft“ (DDSG) erfolgte somit ab 1834 eine definitive Verbesserung der Verbindung von Wien bis in die Hauptstadt des Osmanischen Reiches sowie via Schwarzes Meer auch mit Russland. Gleichzeitig wurde die DDSG bereits ab ihrer Gründung in den Postverkehr miteinbezogen. Ähnliches zeigt sich hinsichtlich der Adriaschifffahrt. Eine Forcierung unmittelbar nach dem Friedensschluss von Passarowitz war mit der Erhebung der Häfen von Triest und Fiume gegeben, als Kaiser Karl VI. diese Städte 1719 zu Freihäfen erhob, wodurch einerseits die allgemeine Attraktivität und Bedeutung der Adriaschifffahrt wesentlich gefördert wurde und andererseits die istrischen und später auch dalmatinischen Adriahäfen zu wichtigen Schnittstellen für den Verkehrsanschluss an das jeweilige Hinterland wurden. Auf dem Seeweg erfuhr die verkehrstechnische Anbindung Mittel- und Zentraleuropas an den südosteuropäischen Raum insbesondere durch die Gründung des „Lloyd Austriaco“ – 1833 als Versicherungsgesellschaft gegründet und ab 1836 auch als Schifffahrtsgesellschaft fungierend – eine weitere bedeutsame Aufwertung, da die Linien des „Österreichischen Lloyd“ in weiterer Folge zu einer sichtbaren Verkehrsverdichtung im adriatischen, im mittelmeerischen und darüber hinaus im levantinischen Raum führte. Dies bedingte nicht zuletzt auch eine systematische Erschließung des habsburgischen Territoriums im Bereich der dalmatinischen Küste, deren Hinterland am Beginn des 19. Jahrhunderts verkehrstechnisch nur unzulänglich erschlossen war. Wie die DDSG, so wurde auch der „Österreichische Lloyd“ verhältnismäßig rasch in den Postverkehr miteinbezogen, indem schon 1837 zwischen jenem und der Postverwaltung ein Vertrag abgeschlossen wurde. Auch hinsichtlich der Fahrtzeiten war die Einführung der Dampfschifffahrt von enormer Bedeutung. Um 1832 waren Dampfschiffe in der Lage, in einer Stunde ca. neun Seemeilen – ca. 16,7 km – zurückzulegen, sodass eine Postsendung von Marseille nach Konstantinopel über die ungefähre Distanz von 2.800 km nur sieben Tage benötigte. Von Paris bis Konstantinopel war eine Briefsendung 13 Tage und von London nach
Auszug aus dem Lloyd-Fahrplan, 1912 (Privatbesitz)
Konstantinopel 15 Tage unterwegs – so lange, wie auch die Post aus Belgien oder Holland nach Konstantinopel benötigte. Innerhalb der Habsburgermonarchie war die Post nach Konstantinopel im Jahr 1832 zwischen 22 und 25 Tage unterwegs. Dies änderte sich, nachdem ab 1834 die Donau fast durchgehend schiffbar und die DDSG 1837 in die Postbeförderung miteinbezogen war. 1845 erhielt der „Lloyd“ den Status einer staatlichen Postanstalt. 1901 benötigte das einmal wöchentlich zwischen Triest und Konstantinopel verkehrende Schiff unter fahrplanmäßiger Einbindung der Adriahäfen Brindisi, Korfu, Patras und Piräus noch immer eine knappe Woche für diese Strecke. Mit den einmal wöchentlich betriebenen Linien zwischen Konstantinopel und dem rumänischen Hafen Constanţa – auch die bulgarischen Häfen Varna und Burgas wurden angefahren – sowie dem russischen Odessa schloss sich mit der Erreichbarkeit des Donaudeltas der Verkehrskreislauf zwischen der Donau- und der Seeschifffahrt. Die „Donaudampfschiffahrt-Gesellschaft“ wie auch der „Österreichische Lloyd“ dienten zunächst – vor allem in Form des Postverkehrs – vorrangig der Intensivierung des Nachrichtendienstes und damit insbesondere den diplomatischen Beziehungen des Habsburgerreichs mit dem Osmanischen Reich. Die Modernisierung der Transportmittel durch den immer stärker wahrnehmbaren Einfluss der Dampfschifffahrt, deren enorme Transportkapazitäten sowie die damit verbundenen Transportzeitverkürzungen ermöglichten in weiterer Folge eine zunehmende Verdichtung der Handelskontakte. Bezüglich des Personenverkehrs – verbunden mit dem allmählichen Entstehen touristischer Destinationen – lässt sich ab den 1840er-Jahren eine sichtbare Intensivierung beobachten.
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Verstärkt wird dieser Trend schließlich insbesondere durch die Fertigstellung der „Südbahn“ 1857, wodurch erstmals eine direkte Verbindung der Haupt- und Residenzstadt Wien mit dem wichtigsten Hafen der Habsburgermonarchie – Triest – gegeben war. Aus dem Freihafen von 1719 war ab 1857 neben Wien der wichtigste internationale Verkehrs- und Handelsknotenpunkt innerhalb des Kaisertums Österreich geworden. Auch im Bereich der Donauschifffahrt schritt die Internationalisierung des Reiseverkehrs durch den regelmäßigen Fahrdienst der DDSG ab den 1830er-Jahren und dessen Anbindung bzw. Verknüpfung an die ab den 1860er-Jahren im südosteuropäischen Raum entstehenden Eisenbahnlinien zügig voran. Die Einführung und Kommerzialisierung des Eisenbahnwesens im gesamten mittel- und südosteuropäischen Raum stellt bis zur Einrichtung des Flugverkehrs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus verkehrs- und transportgeschichtlicher Perspektive sicherlich die wichtigste und wirkungsgeschichtlich folgenreichste verkehrstechnische Innovation dar – auch wenn in der Anfangszeit des Eisenbahnbaus zunächst ausnahmslos Einzelstrecken errichtet wurden, die – je nach topografischen Verhältnissen – nach Möglichkeit erst in weiterer Folge eine systematische Vernetzung erfuhren. Bezogen auf den südosteuropäischen Raum bedeutet dies, dass sich aufgrund der verkehrstechnisch schwierigen Geländeverhältnisse auch der Verlauf der Eisenbahntrassen an den bereits genannten Straßentrassen orientierte. Hinsichtlich des Ausbaus der Eisenbahnverbindungen aus dem Zentral- in den südosteuropäischen Raum ist evident, dass im Zeitraum zwischen 1829 und 1836 – in jenem Zeitraum, in dem die „Donaudampfschiffahrt-Gesellschaft“ und der „Österreichische Lloyd“ entstanden waren – im Kaisertum Österreich mehrere Planungen vorgelegt wurden, die auf die verkehrstechnische Erschließung und damit auf eine systematische, regelmäßige und auch sichere Erreichbarkeit des gesamten Kaisertums ausgerichtet waren. Schon 1836 wurde eine Eisenbahnlinie von Wien über Budapest durch Westungarn an die Adria und von dort weiter nach Mailand (Milano) konzipiert, von welcher eine sogenannte Flügelbahn nach Slawonien (Ostkroatien) und Syrmien (zwischen Donau und Save) reichte. Erste konkrete Umsetzungen dieser Planungen waren jedoch erst mit dem Bau der ersten aus dem Bereich der Habsburgermonarchie nach Südosten verlaufenden Eisenbahnlinien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ersichtlich, von welchen die Fertigstellung der schon erwähnten „Südbahn“ von Wien über das heutige Slowenien nach Triest (1857) sowie die Verbindung von Wien nach Pest (1851) zunächst die wesentlichsten waren. 1856 wurde seitens der „k. k. privilegierten Kaiser-FranzJoseph-Orientbahn“ der Bau einer Linie Wien–Ödenburg/Soprón–Groß-Kanischa/Nagykanizsa–Esseg/Osijek–Semlin (der damaligen österreichische Grenzstation zu Serbien, heute ein Stadtteil Belgrads) und von dort über Belgrad bis nach Thessaloniki geplant, doch wurde das Projekt in seiner ursprünglichen Form als „Orientbahn“ nie realisiert. Erfolgreicher war die Umsetzung einer Eisenbahnverbindung zwischen Wien und dem Schwarzen Meer, als angesichts der Ereignisse während und der politischen Konstellationen nach Ende des Krimkrieges (1853/56) im Anschluss an die 1856 fertiggestellte „Kaiser Ferdinands-Nordbahn“ mit dem Endpunkt Krakau (Kraków) über die Linie Lemberg/Lviv (1861)–Czernowitz/Černivci (1866)–Suczawa/Suceava–Pașcani (1869)–Jassy/ Iaşi (1870)–Ungheni (1874) und Bender/Tighina (1877) nach dem Hafen Odessa (1877) via Eisenbahn eine direkte Verbindung der Monarchie mit dem Schwarzen Meer hergestellt war.
Eine durch den südosteuropäischen Zentralraum führende durchgehende Eisenbahnverbindung zwischen Mittel- und Zentraleuropa wurde erst nach dem Ende des russisch-osmanischen Krieges von 1877/78 im Gefolge des (Vor-)Friedens von San Stefano sowie der Beschlüsse des Berliner Kongresses von 1878 möglich. Diese schufen nicht nur die politischen Voraussetzungen zur Entwicklung souveräner, vom Osmanischen Reich unabhängiger Balkanstaaten – Rumänien, Serbien, Montenegro bzw. später auch Bulgarien –, sondern initiierten unter starker Einflussnahme vor allem Englands, Frankreichs, Deutschlands und Österreich-Ungarns neue verkehrspolitische Perspektiven. Jene waren besonders auf die Errichtung von Eisenbahnlinien ausgerichtet, wodurch die allmähliche Anbindung des gesamten südosteuropäischen Raumes an das mitteleuropäische Eisenbahnnetz im Verbund mit den Straßenverbindungen sowie den über die Donau und die Adria geführten Verkehr abermals und bis heute verkehrstechnisch optimiert wurde. Es dauerte allerdings fünf Jahre, ehe ab 1883 ein durchgehender Eisenbahnverkehr von Wien über die Linien Budapest–Belgrad–Niš–Sofia–Adrianopel nach Konstantinopel bzw. von Niš über Skopje nach Thessaloniki möglich war. 1883 war der Streckenabschnitt von Maria Theresiopel/Subotica über Semlin und Belgrad sowie 1888 jener von Belgrad über Niš (1884) bis zur türkischen Grenze bei Ristovac fertiggestellt. Via Südbahn war Belgrad jedoch erst ab 1891 über die bei Steinbrück/Zidani Most abzweigende Linie nach Agram/Zagreb–Sisak (1862) und von dort weiter über die dem Savetal folgende Hauptverkehrsachse Sisak–Slavonski Brod–Vinkovci–Sremska-Mitrovica–Indija nach Belgrad durchgehend erreichbar, womit die bis heute bestehenden Eisenbahnlinien im zentralsüdosteuropäischen Raum fertiggestellt waren – die Stadt Požarevac ist übrigens erst seit 1920 ans Eisenbahnnetz angeschlossen. Pars pro toto für die Internationalisierung des Verkehrswesens in den Balkanländern und die dadurch gegebene Einbindung des südosteuropäischen Raumes an Mittel europa durch die Eisenbahn ist wohl der „Orient-Express“, an dessen Beispiel sich die Verkürzung der Reisezeiten durch die Eisenbahn besonders gut zeigen lässt. Belief sich 1868 die Gesamtfahrtdauer einer Reise von Paris nach Konstantinopel auf 108 Stunden (viereinhalb Tage), so beanspruchte die Reise 1883 mit dem „Orient-Express“ – Streckenlänge 2.650 km – ca. 81 Stunden und 40 Minuten bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 35 km/h. Da die wegen der Verbindung nach Thessaloniki beabsichtigte Verbindung über den serbisch-bulgarischen Raum noch nicht fertig gestellt war, verlief die Streckenführung bis Juli 1888 über den heute rumänischen Raum über Bukarest/Bucureşti, wobei das letzte Teilstück von Varna bis Konstantinopel via Schiff zurückgelegt werden musste. Dabei beanspruchten die Teilstrecken Paris–Wien ca. 28, die Strecke Wien–Varna ca. 40 sowie die Schiffsreise von Varna nach Konstantinopel ca. 14 Stunden. Ab August 1888 hatte sich die Fahrzeit trotz der längeren Route über Belgrad–Niš–Sofia (3.050 km) bereits auf 67 Stunden 35 Minuten verkürzt; 1914 wurde die Strecke in 61 Stunden 46 Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 55 bis 65 km/h bewältigt. Darüber hinaus steht der „Orient-Express“ aber auch als Metapher und Ausdruck einer ambivalenten Beurteilung des Orients als imaginärer Ort des Fernwehs, als Projektionsfläche für verschiedenste Wünsche und Fantasien, die im europäischen Kontext – etwa eines „viktorianischen Zeitalters“ – nur schwer auszuleben waren. Revolutioniert und damit vorerst abgeschlossen wurde die verkehrstechnische Verbindung Südosteuropas mit Mitteleuropa schließlich durch die Einführung eines regelmäßigen Flugverkehrs. Erste Ansätze einer zivilen Luftfahrtverbindung gehen bereits
Streckenplan des Orient-Express 1883…1914 (https://commons.wikimedia. org/wiki/File:OrientExpress_1883-1914-3.png)
auf die Zeit des Ersten Weltkrieges zurück, als 1917 das von einem deutsch-österreichisch-ungarischen Konsortium (Internationale Luftverkehrsaktiengesellschaft) vorgeschlagene Projekt einer Linie von Stockholm über Berlin, Wien und Budapest nach Konstantinopel angedacht war, das jedoch aufgrund der Kriegslage 1918 zunächst nicht realisiert werden konnte. 1922 eröffnete dann die „Compagnie franco-roumaine de navigation aérienne“ eine täglich beflogene Linie von Paris über Straßburg/Strasbourg, Prag/Praha, Wien und Budapest, die noch im selben Jahr über Bukarest nach Konstantinopel verlängert wurde; hiermit war erstmals eine regelmäßige Flugverbindung zwischen Mittel- und Südosteuropa eingerichtet. Wien erlangte im internationalen Luftverkehr aufgrund seiner verkehrsgeografischen Lage in weiterer Folge als sogenanntes „Luftkreuz Südost“ besondere Bedeutung – eine Bezeichnung, die Wien bis in die 1960er-Jahre zugesprochen wurde, nachdem sich die Flughäfen Wien-Aspern (bis zum Zweiten Weltkrieg) und danach Wien-Schwechat durch eine hohe Zahl internationaler Destinationen nach Ost- und Südosteuropa auszeichneten, was nach 1945 nicht zuletzt aufgrund des „Kalten Krieges“ besonders bemerkenswert war.
Ausgewählte Literatur Monika Burri, Kilian T. Elsasser, David Gugerli, Die Internationalität der Eisenbahn. Eisenbahn 1850– 1970, Zürich 2003. Anthony Burton, The Orient Express. The History of the Orient Express Service from 1883 to 1950, London 2001. Andre Gingrich, „Grenzmythen des Orientalismus – Die islamische Welt in Öffentlichkeit und Volkskultur Mitteleuropas“, in: Orientalische Reise. Malerei und Exotik im späten 19. Jahrhundert, Wien 2003, S. 110–129. Andreas Helmedach, Das Verkehrssystem als Modernisierungsfaktor. Straßen, Post, Fuhrwesen und Reisen nach Triest und Fiume vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum Eisenbahnzeitalter (= Südosteuropäische Arbeiten 107), München 2002. Harald Heppner, „Die großen Wasserstraßen und ihre Bedeutung“, in: Harald Heppner, Der Weg führt über Österreich. Zur Geschichte des Verkehrs und Nachrichtenwesens von und nach Südosteuropa (18. Jahrhundert bis zur Gegenwart) (= Zur Kunde Südosteuropas II/2, hg. vom Institut für Geschichte der Universität Graz, Abteilung für Südosteuropäische Geschichte, Karl Kaser), Wien, Köln, Weimar 1996, S. 91–106. Peter Jordan, „Die Entwicklung des Eisenbahnnetzes auf dem Gebiet des heutigen Jugoslawien (bis 1918)“, in: Richard E. Plaschka, Anna M. Drabek und Brigitta Zaar (Hg.), Eisenbahnbau und Kapitalinteressen in den Beziehungen der österreichischen mit den südslawischen Ländern (= Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Bd. 19), Wien 1993, S. 13–30. Wolfram Lenotti, Ruppert Reichel, „Der Aufbau des österreichischen Luftverkehrs nach Ost- und Südosteuropa“, in: Harald Heppner, Der Weg führt über Österreich. Zur Geschichte des Verkehrs und Nachrichtenwesens von und nach Südosteuropa (18. Jahrhundert bis zur Gegenwart) (= Zur Kunde Südosteuropas II/2, hg. vom Institut für Geschichte der Universität Graz, Abteilung für Südosteuropäische Geschichte, Karl Kaser), Wien, Köln, Weimar 1996, S. 171–195. Andreas Patera, „Die Rolle der Habsburgermonarchie für den Postverkehr zwischen dem Balkan und dem übrigen Europa“, in: Harald Heppner, Der Weg führt über Österreich. Zur Geschichte des Verkehrs und Nachrichtenwesens von und nach Südosteuropa (18. Jahrhundert bis zur Gegenwart) (= Zur Kunde Südosteuropas II/2, hg. vom Institut für Geschichte der Universität Graz, Abteilung für Südosteuropäische Geschichte, Karl Kaser), Wien, Köln, Weimar 1996, S. 37–89. Nikolaus Reisinger, „Österreichs Eisenbahnwesen als Bindeglied zwischen Zentraleuropa und den Balkanländern“, in: Der Weg führt über Österreich. Zur Geschichte des Verkehrs und Nachrichtenwesens von und nach Südosteuropa (18. Jahrhundert bis zur Gegenwart) (= Zur Kunde Südosteuropas II/2, hg. vom Institut für Geschichte der Universität Graz, Abteilung für Südosteuropäische Geschichte, Karl Kaser), Wien, Köln, Weimar 1996, S. 107–142. Nikolaus Reisinger, „Franz Riepl und die Anfänge des österreichischen Eisenbahnwesens. Am Beispiel seines Entwurfes zum Bau, eines die gesamte Monarchie umfassenden transeuropäischen Eisenbahnnetzes von Brody bis Mailand/Milano“, in: Herwig Ebner, Paul W. Roth, Ingeborg WiesfleckerFriedhuber (Hg.), Forschungen zur Geschichte des Alpen-Adria-Raumes. Festgabe für Othmar Pickl zum 70. Geburtstag (= Schriftenreihe des Instituts für Geschichte, Bd. 9, hg. vom Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, Schriftleitung: Herwig Ebner), Graz 1997, S. 307–331. Nikolaus Reisinger, „Vivat! – Es lebe die Eisenbahn ...“. Die Anfänge des Eisenbahnbaus in Österreich, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung an der Universitätsbibliothek der Karl-Franzens-Universität Graz, Graz 2002. Nikolaus Reisinger, „Orient-Express – Ex Oriente Luxus! – Oder: Reisen in den Orient als Ausflug ins Paradies?“, in: Alles Paradies, Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung an der Universitätsbibliothek der Karl-Franzens-Universität Graz, Graz, 2003, S. 91–108. Nikolaus Reisinger, „Die frühe Eisenbahnreise: Geschwindigkeitsrausch – Wahrnehmung – Angstlust und Aneignung“, in: Ursula Dorfner, Valentina Ljubic, Wolfgang Tobisch, Gabriele, Zuna-Kratky, Lok Motive, Wien 2008, S. 8–14. Werner Sölch, Orient-Express. Glanzzeit, Niedergang und Wiedergeburt eines Luxuszuges, Düsseldorf 1983. Günther Wimmer, „Orientreisen und Orientbilder“, in: Orientalische Reise. Malerei und Exotik im späten 19. Jahrhundert, Wien 2003, S. 18–29.
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Das Werden der diplomatischkonsularischen Infrastruktur Harald Heppner
Dem Vertragswerk von Passarowitz (siehe auch den Beitrag von Ernst Petritsch in diesem Band) kommt deshalb bleibende Bedeutung zu, weil es die wichtigste juridische Grundlage für das Entstehen und den Ausbau der diplomatisch-konsularischen Infrastruktur innerhalb der südosteuropäischen Länder einerseits und der Habsburgermonarchie bzw. Österreichs andererseits darstellt. Mit deren Einrichten und Betreiben ist zweierlei gegeben: Das Gastgeberland erklärt sich bereit, das Wahren ausländischer Interessen im eigenen Hoheitsbereich zuzulassen und das Gastnehmerland stellt in Aussicht, den eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern im Ausland im Bedarfsfall hilfeich zur Seite zu stehen. Dies setzt die Existenz mehrerer Faktoren voraus – das Vorhandensein gefestigter Staaten, die Verbindlichkeit einer Staatsführung für ihre Angehörigen und die Einsicht in die Sinnhaftigkeit derartiger Praktiken zwischen Staaten zu beiderseitigem Nutzen. Bis zum frühen 18. Jahrhundert waren solche Voraussetzungen aber erst teilweise vorhanden: Die Staaten als Organismen wiesen noch nicht jene betriebliche, territoriale und mentale Konsistenz auf wie später, die Bindung von Menschen an periphere Räume (Provinzen) war noch mindestens so stark wie an übergeordnete Größen (Staaten), und auch Absprachen zugunsten eines gediegenen Umgangs mit Menschen „im Ausland“ gab es erst in rudimentärer Form. Es ist bezeichnend, dass die kaiserlichen Verhandler, die nicht nur die Länder des „Hauses Österreich“, sondern des ganzen Deutschen Reiches vertraten, in dem Vertragswerk von Passarowitz der osmanischen Seite Fairness im Umgang mit den Untertanen aus Zentraleuropa abverlangten, denn eine solche war bis dahin nicht gesichert: Je nach Belieben überstanden Reisende ins Osmanische Reich die Tour „ungeschoren“ oder nicht. Die Bestimmung, dass hinfort auch Konsulate und Agentien auf osmanischem Boden eingerichtet werden dürften, um die Interessen der (damals noch vorwiegend nur) Kaufleute zu vertreten, signalisiert nicht nur das rege wirtschaftliche Interesse der Wiener Regierung an den Märkten des benachbarten Südostens, sondern auch die Einsicht, dass eine einzige Dienststelle in Konstantinopel („Internuntiatur“) nicht genüge, um den „langen Arm des Gesetzes“ bis in die osmanischen Provinzen sicherzustellen. Die Besonderheit des Einzugsgebietes ist auch daran zu ersehen, dass die amtliche Zuständigkeit für die Konsularämter auf dem Boden des Osmanischen Reiches in den Händen des Außenamts lag, während diejenigen in westlichen Ländern den jeweiligen handelspolitischen Zentralbehörden unterstanden. Dazu kommt, dass man bis ins 18. Jahrhundert über nicht genügend eigenes und geschultes Personal verfügte, um derartigen Aufgabenstellungen im Ausland zufriedenstellend gerecht zu werden (Sprachkenntnis, Ortskenntnis, kulturelle Kompetenzen usw.), weshalb man sich teilweise Einheimischer bediente, die aber nicht immer dem entsprachen, was man sich erhofft hatte. Dies ist der Hauptgrund für die Einrichtung der Orientalischen Akademie im Jahr 1754 (siehe die Beiträge von Hannes Galter bzw. Michaela Wolf und Clara Schmickl-Reiter in diesem Band), die die Lage zwar nicht sofort, aber doch nach und nach deutlich verbesserte. Das tatsächliche Einrichten dauerhaft bestehender Konsulate, Vizekonsulate etc. ließ jedoch auf sich warten, und zwar aus zwei Gründen: Erstens liefen die Handelsbeziehungen mit den Balkanländern, der Levante und dem Schwarzen Meer nur zögerlich an, weshalb ein zusätzlicher Bedarf nach Auslandsvertretungen nicht rasch gegeben war; zweitens wollte sich der Wiener Hof nicht mehr Probleme aufhalsen, als ohnehin permanent vorhanden waren. Die Staatskanzlei („Außenministerium“) wartete daher ab, bis Russland die ersten Konsuln etabliert hatte, um in dessen Windschatten rasch
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nachzuziehen, und selbst diese ersten Auslandsbehörden befanden sich nicht auf osmanischem Staatsboden, sondern in den Hauptstädten der Vasallenländer Moldau und Walachei, d. h. in Iaşi und in Bukarest. Diese Auslandsvertretungen hatten mehrere Aufgaben zu erfüllen: Handelsinteressen vertreten, Untertanenschutz gewähren, Repräsentationspflichten erfüllen, Konsulargerichtsbarkeit ausüben, offenen und zuweilen auch diskreten Nachrichtendienst versehen.
K.u.k. Gesandtschaft in Belgrad (Haus Krsmanović) (Foto: Vasuti, 1916)
Zäsuren in der Entwicklung der diplomatisch-konsularischen Infrastruktur gab es mehrere. Mit der Zunahme der Wirtschaftsbeziehungen im Lauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs der Geschäftsaufwand und daher auch der Bedarf an Dienststellen. Dabei spielte eine Rolle, dass nun nicht mehr nur Handelsleute, sondern auch Touristen ins Spiel kamen. Das nicht nur politische, sondern auch juridische Spektrum der internationalen Beziehungen erweiterte sich und erforderte Anpassungen. Mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches entstanden nach und nach nationale Staaten wie Serbien, Griechenland, Montenegro, Bulgarien, Rumänien, Albanien und die Türkei, wodurch die Wiener Regierung statt mit bloß einem großen „Partner“ im Südosten sukzessive mit einer sich mehrenden Zahl kleinerer „Partner“ Absprachen und Übereinkünfte zu schließen hatte. Dieser Wandel zog nach sich, dass in Wien nicht nur ein Vertreter der (osmanischen) Türkei residierte, sondern sich solche der jungen Balkanstaaten hinzugesellten. Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges war, wie die Tabelle zeigt, das Netz der österreichischungarischen Auslandsvertretungen in den südöstlichen Ländern enorm gewachsen: Staat Standorte Albanien Durrës, Shkodër, Vlorë Bulgarien
Alexandroupolis, Burgas, Plovdiv, Ruse, Sofia, Varna, Vidin
Griechenland
Athinai, Chania, Kérkyra, Janina, Patras, Piraios, Thessaloniki
Montenegro Bar Osmanisches Reich Aleppo, Bagdad, Beirut, Bursa, Damaskus, Edirne, Istanbul, Jaffa, Jerusalem, Izmir, Trabzon Rumänien Brăila, Bucureşti, Constanţa, Craiova, Galaţi, Giurgiu, Iaşi, Ploeşti, Sulina, Turnu-Severin Serbien
Beograd, Mitrovica, Monastir, Niš, Prizren, Šabac, Skopje
Am Aufgabenspektrum derartiger Institutionen hat sich nichts Grundsätzliches geändert: Noch immer geht es darum, dem jeweils eigenen Staat und dessen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern im Ausland zur Seite zu stehen, den Kontakt zu den örtlichen Behörden und führenden Kreisen zu pflegen und Berichte „nach Hause“ zu senden. Der
Rahmen hat sich seit 1918 jedoch erheblich gewandelt. Die Großmacht ÖsterreichUngarn gibt es nicht mehr, denn aus dem ehemaligen Imperium ist eine Reihe neuer Staaten hervorgegangen. Das Ausmaß juridischer, technischer, ökonomischer, gesellschaftlicher und auch kultureller Verzahnung hat enorm zugenommen. Hauptstädte haben fallweise ihre Standorte gewechselt, und auch innerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen lebt nicht mehr die gleiche Gesellschaft wie vor Generationen. Außerdem stellt die vergleichsweise junge Europäische Union einen normativen Denk- und Handlungsraum dar, der mit dem europäischen „Westen“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht vergleichbar ist, und der Kontinent als Ganzes nimmt global eine andere Rolle ein als vor dem Ersten Weltkrieg.
Österreichische Botschaft in Sofia (Foto: BMEIA)
Griechische Botschaft in Wien (Foto: Harald Heppner)
Zu den klassischen Botschaften bzw. Gesandtschaften und Konsulaten Österreichs sind neue Formen der Präsenz im Ausland hinzugekommen. Dazu gehören die österreichischen Kulturforen in Zagreb, Belgrad, Bukarest, Budapest, Laibach und Istanbul, die Österreich-Institute in Budapest, Sarajevo, Belgrad sowie die an örtlichen Universitäten angedockten Österreich-Bibliotheken in Albanien (Shkodër), Bosnien (Banja Luka, Sarajevo, Tuzla), Bulgarien (Sofia, Ruse, Veliko Tărnovo), Kosovo (Prishtinë), Kroatien (Zagreb, Rijeka, Osijek, Zadar), Makedonien (Bitola), Rumänien (Bucureşti, ClujNapoca, Iaşi, Timişoara), Serbien (Beograd, Novi Sad), der Türkei (Istanbul, Samsun) sowie Ungarn (Budapest, Debrecen, Pécs, Szeged, Szombathely). Auch der dem Wissenschafts- bzw. Bildungsministerium zugeordnete Österreichische Auslandsdienst (ÖAD) gehört an dieser Stelle genannt, zu dessen Aufgaben die Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung zählt. Vergleichbare kulturpolitische Initiativen ostmittel- und südosteuropäischer Staaten innerhalb von Österreich gibt es nur in Wien: das Collegium Hungaricum, das Bulgarische Forschungsinstitut (Österreichisch-bulgarisches Forum, Verein der Freunde des Hauses Wittgenstein) sowie das Rumänische Kulturinstitut. Ansonsten befinden sich in der Hauptstadt der Republik Österreich die Botschaften bzw. Konsulate jener Länder, die aus dem Hoheitsgebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches hervorgegangen sind: Albanien, Bulgarien, Griechenland, Kosovo, Makedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien und die Türkei. Ausgewählte Literatur Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (Hg.), Austria Kultur International. Jahrbuch der Österreichischen Auslandskultur 2016, Wien 2017. Rudolf Agstner, Elmar Samsinger (Hg.), Österreich in Istanbul. K. (u.) k. Präsenz im Osmanischen Reich, Wien, Berlin 2010. Harald Heppner, Österreich und die Donaufürstentümer. Ein Beitrag zur habsburgischen Südost europapolitik, Graz 1984. Leopold Kammerhofer, „Das Konsularwesen der Habsburgermonarchie (1752–1918). Ein Überblick mit Schwerpunkt auf Südosteuropa“, in: Harald Heppner (Hg.), Der Weg führt über Österreich. Zur Geschichte des Verkehrs- und Nachrichtenwesens von und nach Südosteuropa (18. Jahrhundert bis zur Gegenwart), Wien, Köln, Weimar 1996. Erwin Matsch, Geschichte des auswärtigen Dienstes von Österreich(-Ungarn) 1720–1920, Wien, Köln, Graz 1980. Zeitreise in die Österreichisch-Türkische Vergangenheit/Türkiye-Avusturya İlişkilerinde Zamana Yolculuk, Istanbul 2006. Renate Zedinger, „Vom ‚Sprachknaben‘ zum Internuntius. Freiherr Heinrich Christoph von Penckler (1700– 1774) im diplomatischen Dienst an der Hohen Pforte“, in: Ulrike Tischler-Hofer, Renate Zedinger (Hg.), Kuppeln, Korn, Kanonen. Unerkannte und unbekannte Spuren in Südosteuropa von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Innsbruck, Wien, Bozen 2010, S. 215–242.
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Grenzschutz im und gegenüber dem Südosten Sabine Jesner
Am Pestkordon der Grenzsoldat Mit der Muskete steht, Jenseits des Stroms auf blum’gem Pfad Das Türkenmädchen geht. Dazwischen hin die Donau zieht, Dem Strom des Todes gleich, Der Sel’ge und Lebend’ge schied Und Erd- und Geisterreich. (Anastasius Grün, Der Grenzsoldat, 1837)
Die Expansion des Osmanischen Reiches Richtung Nordwesten gab den Anstoß, einen Schutz für die Grenzen der Habsburgermonarchie zu errichten. Die von Anastasius Grün (Anton Alexander Graf von Auersperg, 1806−1876) verfassten Verse über den Grenzsoldaten schildern eine Situation an der Grenze, die zur Mitte des 16. Jahrhunderts ihren Anfang nahm und bis ins 19. Jahrhundert andauerte. Die drohende militärische Gefahr des als Erzfeind der Christenheit wahrgenommenen Osmanischen Reiches verfestigte das Sicherheitsbedürfnis und führte zum Ausbau einer Verteidigungsstrategie mit nachhaltigem Charakter. Das Konzept der Militärgrenze Die Militärgrenze ist in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung phasenweise pathetisch als Schutzwall Europas, Bollwerk der Christenheit oder des Hofes Grenzzaun bezeichnet worden. Die Vorstöße osmanischer Streifscharen, welche über Kroatien fallweise auch nach Krain, Kärnten und in die Steiermark vorstießen und dort brandschatzten und plünderten, erzwangen Gegenmaßnahmen. Der 1564 eingerichteten innerösterreichischen Verwaltung (Steiermark, Kärnten, Krain, Görz, Triest und Inneristrien) oblag es in weiterer Folge, die Verantwortung für den Betrieb der Militärgrenze zu übernehmen. Hauptsächlich ging es dabei um die Bereitstellung der finanziellen Ressourcen, der Organisation und der Leitung der erforderlichen Infrastruktur wie Festungen, Wehrtürme und Versorgung. Auch die Errichtung des Landeszeughauses in Graz gehörte zu diesen Maßnahmen; die museal aufbereiteten und präsentierten Waffen und Objekte sind Relikte jener kriegerischen Periode. Am 5. Juni 1535 verlieh Ferdinand I. den ersten aus dem Osmanischen Reich gekommenen Flüchtlingen (Uskoken) rund um Sichelburg/Žumberak Privilegien, sie erhielten Grund und Boden als erbliches Lehen und im Gegenzug mussten sie Militärdienst leisten. Nach und nach kamen immer neue Gruppen hinzu und wurden auf analoge Weise „angestellt“. Karl Kaser hat das Dualsystem treffend mit „Freier Bauer und Soldat“ tituliert. Bis zu ihrer Auflösung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Militärgrenze, die bis zum frühen 18. Jahrhundert nur einen kroatisch-slawonischen Grenzabschnitt enthielt, um einen Banater und einen Siebenbürgischen erweitert: Ab Mitte der 1760er-Jahre erstreckte sich das Militärgrenzterritorium von der nördlichen Adria bis zu den Ostkarpaten und erreichte seine größte Ausdehnung. Je nach Gefahrenstufe verrichteten bis zu 11.000 Grenzsoldaten ihren Dienst am Grenzkordon. Die Errichtung der habsburgischen Militärgrenze beruhte die längste Zeit allein auf militärischen Motiven, doch änderte sich mit der Zeit die Lage der Grenzer: Verfügten die Uskoken noch über ein höheres Maß an Freiheiten, wurde das Leben der Grenzergesellschaft nach und nach von immer mehr Regelungen und Pflichten eingeengt, die die Betroffenen als Bürde empfanden. Im Kern bestand ihr Dienst am Grenzkordon im ständigen Patrouillieren zur Aufdeckung heimlicher Grenzübertritte, was sie von ihrer Tätigkeit als Landwirte zur Versorgung ihrer Familien abhielt.
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Die habsburgische Militärgrenze inkl. Quarantänestationen um 1770 (Jesner)
Der Friedensvertrag von Passarowitz/Požarevac vom 21. Juli 1718 und der auf sechs Tage später datierte Handels- und Schifffahrtsvertrag führten zu zentralen Änderungen des grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehrs. So war für den Grenzschutz besonders Paragraf 13 des Friedensvertrages von Bedeutung. Darin wurde vereinbart: „Bederseits Kaufleuthe sollen / vermög vorherigen Friedens-Capitulationen / in denen Gebiethen beeder Kaisertummen die Handelschaft frey / sicher / und friedsam treiben“. Der Vertrag eröffnete habsburgischen Händlern ein erweitertes Absatzgebiet, welches ihnen bis dato großteils verschlossen oder nur unter erschwerten Bedingungen zugänglich war. Im Handels- und Schifffahrtsvertrag erfolgte eine Vertiefung der Thematik, denn es wurde im Paragrafen 1 festgelegt, „Zwischen beede / des Römische und Ottomanischen Reichs-Unterthanen ist ein freyes und Universal-Commercium, zu Wasser und Lande / aussgerichtet wor- den / dergestelten / daß unter dem Nahmen Ihro Röm. Kayl. und Königl. Cathol. Majestät Unterthanen verstadanden / die Teutsche / Hungarn / Wälsche / Nieder länder / wasserley Geschlecht und Religion / die so würklichen Römisch. König licher Herschung unterworffen / oder auff einigerley Zeit / Weise / und Schein untergeben seyn müssen; diese sollen ihre Waaren (ausser Gewehr, Pulver und andern verbottenen Sachen) in allen Ottomannischen Gebiethen verkauffen / und freye Handelschafft üben können.“ Diese Vereinbarungen zur Verbesserung der Handelskonditionen zwischen den beiden Imperien sowie die Gewährleistung der persönlichen Sicherheit osmanischer und habsburgischer Kaufleute hatte eine Intensivierung des Handels zur Folge. Fortan sah sich der Wiener Hof aus ökonomischen, aber auch sanitätspolitischen Rücksichten gezwungen, den seit dem Friedensvertrag anwachsenden Grenzverkehr stärker zu regulieren und intensiver zu überwachen. Als dienliches Werkzeug fungierten dabei die Grenzsoldaten, welche durch ihre Patrouillen an der mit kaiserlichen Adler-Emblemen definierten Grenzlinie einen Teil des Grenzschutzes ausmachten. Allein dies erschien dem Wiener Hof aber nicht ausreichend zu sein. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts bedienten sich die habsburgischen Zentralstellen daher des Instruments einer (in)direkten Regulierung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, um merkantilistische Wirtschaftskonzepte zum Vorteil des Gesamtstaates zu implementieren. Der Import von bestenfalls auch im Inland vorhandenen Rohstoffen sollte möglichst limitiert und primär veredelte Produkte exportiert werden.
Grenzlinie, Quarantänestation, Grenzposten um Csik Ghymes an der siebenbürgischen Militärgrenze (Josephinische Landesaufnahme, Siebenbürgen, Blatt Nr. 164)
Die im Paragrafen 3 des Handels- und Schifffahrtsvertrags festgelegten Zollregelungen, „Die Kaufleuthe beeder Reiche / sollen vor die Waaren / welche auff denen Flüssen /zu Land und Wasser geführet werden / an einem Zoll oder Wechsel orth / nemlichen einmal wan die Waaren gebracht / und zum andernmal wann ander hinweg geführet werden / für einen Zoll 3. per centum bezahlen“, hatten die Händler vor möglichen Repressalien zu schützen, wirkten sich auf einige Sparten des habsburgischen Handels jedoch negativ aus. Solche Normen erfolgten staatlich gesteuert etwa mittels großangelegter Einfuhrverbote ganzer Warengattungen. In Ergänzung dazu erlangte ein im Interesse der Gesundheitspolitik initiierter Maßnahmenkatalog beträchtlichen Einfluss auf die Steuerung des Warenverkehrs. Vom Cordon Militaire zum Cordon Sanitaire Der Maßnahmenkatalog zur Gesundheitsprävention führte zur Einrichtung von Quarantänestationen (Kontumazen), die an bestimmten Verkehrspunkten im Militärgrenzgebiet platziert wurden. Die Notwendigkeit für derartige Anlagen geht auf die wirtschaftliche Öffnung zurück, die eine Verschlechterung der hygienischen Rahmenbedingungen herbeigeführt hatte: Die zeitgenössischen Zuschreibungen des Osmanischen Reiches und dessen Vasallen als „der schmutzige Balkan“ oder „Pestherd“ waren nicht unbegründet, denn z. B. die Beulenpest war im Istanbul des 18. Jahrhunderts beinahe stets präsent. Ende der 1730er-Jahre erfolgte der Auftrag zur Erbauung von permanenten Quarantänestationen, wodurch sich bis Mitte der 1740er-Jahre ein Netz von Kontumazen entlang der gesamten Militärgrenzzone spannte, mit dem Ziel, Infektionskrankheiten frühzeitig zu erkennen. Eine Einreise aus osmanischer Richtung in die Monarchie war nur über diese Quarantänestationen gestattet, und Personen, Tiere, Waren sowie Briefe mussten eine umfassende Quarantäneprüfung durchlaufen, bevor sie ihren Weg fortsetzen durften. Die verordnete Aufenthaltsdauer in den Quarantänen orientierte sich am Gesundheitsstand in den angrenzenden Gebieten. Inkubationszeit, Infektionszyklus und Übertragung der Beulenpest waren zu jenem Zeitpunkt noch nicht erforscht, was zur Folge hatte, dass der verpflichtete Quarantäneaufenthalt 21, 28 oder gar 42 Tage andauern konnte – lange Zeiträume, während derer die Reisenden isoliert waren, sich selbst versorgen und für ihre mitgeführten Handelsgüter Reinigungstaxen zahlen mussten. Dadurch war die verpflichtende Isolationshaft mit finanziellen Einbußen und Zeitverlust verknüpft. Den Unmut der Kaufleute riefen daher vor allem die oftmals in der Zeit der Quarantäne verdorbenen Waren oder liegengebliebenen Lieferungen hervor. Die
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Die Rotenturmer Kontumazgebäude, aquarellierte Federzeichnung, um 1820 (Bildarchiv, Österreichische Nationalbibliothek)
propagierten Reinigungsmethoden umfassten das Umschütten von Reis und Getreide in neue Säcke, das Abwaschen von Metall und Geld oder das händische Durchbohren von Strohballen, um diese zu durchlüften und von schädlichen Gasen (Miasmen) zu befreien, durch welche sich das Pestgift nach zeitgenössischer Wahrnehmung weiterverbreiten hätte können. Briefe wurden unter bestimmten Voraussetzungen vereinzelt geöffnet, mittels einer Ahle durchstochen und durch ein Essig-Schwefel-Gemisch geräuchert. Vieh wurde in einem zumeist in der Nähe der Quarantäneanlage befindlichen Fluss geschwemmt. Die notwendige medizinische Untersuchung der einreisewilligen Personen führte ein Chyrurg oder Physicus unter der Oberaufsicht des Kontumazdirektors durch, wogegen mit der Reinigung der Handelsgüter eigenes Reinigungspersonal betraut war. Das Kontumazareal setzte sich aus strikt separierten Unterkünften für die Kontumazierenden und das Personal wie Direktor, Arzt, Warendiener, Reinigungsknechte, Pfarrer einschließlich einer Kirche sowie diversen Warenlagern und Ställen zusammen. Das Areal, auf dem sich Gebäude für die Grenzsoldaten, ein Friedhof sowie ein Gasthaus befanden, war von hohen Palisaden umgeben, um sowohl die forcierte Isolation innerhalb des Areals als auch die Abgrenzung nach außen hin zu gewährleisten. Um die aufwendige Quarantäne durchlaufen zu dürfen, bedurfte es der Mitführung eines gültigen Passes, der Aufschluss über Herkunft und Reiseroute geben musste, um die drohende Pestgefahr einschätzen zu können. Die skizzierten Maßnahmen behielten, abgesehen von kleinen Modifikationen, bis ins 19. Jahrhundert ihre Gültigkeit.
Ausgewählte Literatur Anastasius Grün, „Der Grenzsoldat“, in: ders., Gedichte, Leipzig 1844, S. 399–402. Harald Heppner, Daniela Schanes, „The Impact of the Treaty of Passarowitz on the Habsburg Monarchy“, in: Charles Ingrao, Nikola Sarmadžić, Jovan Pešaj (Hg.), The Peace of Passarowitz, 1718, Indiana 2011, S. 53–62. Sabine Jenser, „The Physician Adam Chenot. Reshaping Plague Control in the Austrian Cordon Sanitaire (Approx. 1770–1780)“, in: Banatica 25 (2015), S. 283–300. Sabine Jesner, Habsburgische Grenzraumpolitik in der Siebenbürgischen Militärgrenze (1760–1830). Verteidigungs- und Präventionsstrategien, Graz, Diss., 2013. Karl Kaser, Freier Bauer und Soldat. Die Militarisierung der agrarwirtschaftlichen Gesellschaft an der kroatisch-slawonischen Militärgrenze (1535–1881) (Zur Kunde Südosteuropas II/22), Wien, Köln, Weimar 1997. Erna Lesky, „Die österreichische Pestfront an der k.k. Militärgrenze“, in: Saeculum 8 (1957), S. 82–106. Hans Medick, „Zur politischen Sozialgeschichte der Grenzen in der Neuzeit Europas“, in: SOWI. Sozialwissenschaftliche Informationen 20, 3, Sonderheft Grenzen (1991), S. 157–163. Vivian Nutton, „The Seeds of Disease: An Explanation of Contagion and Infection from the Greeks to the Renaissance“, in: Medical History 27 (1983), S. 1–34. Daniel Panzac, Quarantaines et lazarets. l’Europe et la peste d’Orient (XVIIe–XXe siècles), Aix-enProvence 1986. Jovan Pešalj, „The Mobility Control of the Ottoman Migrants in the Habsburg Monarchy in the Second Half of the Eighteenth Century“, in: Harald Heppner, Eva Posch (Hg.), Encounters in Europe´s Southeast. The Habsburg Empire and the Orthodox World in the Eighteenth and Nineteenth Centuries, Bochum 2012, S. 55–64. Gunther Rothenberg, „The Austrian sanitary cordon and the control of bubonic plague: 1710–1871“, in: Journal of the history of medicine and allied sciences 28 (1973), S. 15–23.
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Dolmetschen zwischen Imperien: Multiple Rollen der Sprachmittler Michaela Wolf und Clara Schmickl-Reiter
Die von vielschichtigen Konflikten dominierten osmanisch-habsburgischen Beziehungen des 16. und 17. Jahrhunderts fanden spätestens im Gefolge des Friedens von Passarowitz (1718) zu einer weitgehenden Entspannung, die neben der politischen auch die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit vorantrieb. Bereits nach dem Ende des Königreichs Ungarn als selbstständige Macht nach der Schlacht von Mohács 1526 waren das Osmanische und das Habsburgische Reich zu Nachbarn geworden, was für administrative und ähnliche Belange vielfältige Kommunikationsmechanismen auf den Plan rief. Zusätzlich erforderte die fortschreitende Ausdifferenzierung der diplomatischen Beziehungen bereits in einer Frühphase der Kontakte zwischen den beiden Imperien die Notwendigkeit, auf Sprachmittler zurückzugreifen, da die in Europa fast durchgehend verwendete Diplomatensprache des Lateinischen bei den Osmanen nicht zum Einsatz gebracht werden konnte. Der folgende Beitrag nimmt sich daher der Ausgestaltung der sprachmittlerischen Beziehungen im Detail an. Von Wien über Konstantinopel nach Wien In multiethnischen Gesellschaften – wie im Osmanischen Reich oder in der Habsburgermonarchie – spielte die Praxis des Übersetzens und Dolmetschens eine bedeutende und dennoch oft unterschätzte Rolle; im Zusammenspiel internationaler Kräfte mutierte sie zu höchster Brisanz, die besonderes diplomatisches Geschick erforderte. Zur Überwindung der Sprachbarrieren wurden auf beiden Seiten unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. Bereits für die Mitte des 16. Jahrhunderts (1541) kann für den Wiener Hof die Arbeitsstelle eines „türkischen Tulmätschen“ nachgewiesen werden. Die Kenntnisse im Osmanisch-Türkischen hatten diese ersten Dolmetscher in mehrjähriger Kriegsgefangenschaft erlernt, doch mussten sie in der Praxis bei Hof ihr Auskommen ohne Wörterbücher finden; dennoch wird ihnen eine beträchtliche sprachliche Fertigkeit attestiert. In Konstantinopel wiederum stellte sich spätestens nach der Einrichtung eines ständigen habsburgischen Residenten (1547) die Frage nach dem Einsatz polyglotter Mittlerpersonen zur Unterstützung des Internuntius. Zunächst wurde auf in der osmanischen Hauptstadt lebende Christen – zumeist Griechen oder Italiener – zurückgegriffen. Einige dieser Dolmetscher fanden so zeitweise in osmanischen und kaiserlichen Diensten zugleich Verwendung. Das mangelnde Vertrauen, das diesen „unentbehrlichen Miethlingen“ aufgrund ihres Dienstes gegenüber zweier Herren entgegengebracht wurde, löste den Ruf nach „eingeborenen Landeskindern“ aus, doch sollte es noch einige Zeit dauern, bis dieser Ruf erhört wurde. Erst ab 1674 entsandte Wien „Sprachknaben“ nach Konstantinopel, damit diese dort unter der Aufsicht des jeweiligen diplomatischen Residenten Türkisch, Persisch und auch Arabisch erlernten. Zusätzlich sollten die Lehrlinge regen Austausch mit der einheimischen Bevölkerung üben, etwa durch den Besuch von Märkten und Gerichtshöfen, um die erforderlichen sprachlichen Fertigkeiten zu erwerben: Die Ausbildung in Konstantinopel beschränkte sich nicht auf die Sprache, sondern umfasste ebenso „die Türckische[n] Staatsmaximen und Gesäze“, den „humor, und modus tractandi negotia“ der Osmanen. Sukzessiv auftretende Probleme – mangelnde Aufsichtspflicht vonseiten des jeweiligen Internuntius, negative Einflüsse auf die Zöglinge, mangelnde Sprachkenntnisse trotz langer Aufenthalte in Konstantinopel – stellten den Wiener Hof vor die Frage, ob eine professionelle Ausbildung der Sprachmittler, die den fachlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen der Tätigkeit besser entspräche, angebracht wäre. Daher erfolgte
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1754 auf Vorschlag von Staatskanzler Graf Kaunitz durch Maria Theresia in Wien die Gründung der „Orientalischen Akademie“, die unter diesem Namen bis 1898 Bestand hatte. Vom Diplomatenlehrbuben zum Hofdolmetscher Vor dem Hintergrund der Probleme, die im Zusammenhang mit den Sprachknaben an der Pforte aufgetreten waren, sowie zwecks Sicherstellung ihrer Loyalität kam es im Laufe des 17. Jahrhunderts zur graduellen Etablierung des Hofdolmetscheramts. Clara Schmickl-Reiter verortet im Zuge ihrer Auswertung der Hofschematismen zwei Gruppen von Hofdolmetschern: Während die erste Gruppe dem Hofstaat des bzw. der Herrschenden unterstellt war und Dolmetscher der russischen, polnischen, englischen und schwedischen Sprache umfasste – nach 1769 verschwand diese Gruppe aus dem Bereich des Hofstaates –, bildet die zweite, umfangreiche Gruppe die Hofdolmetscher für „orientalische Sprachen“: Türkisch, Arabisch und Persisch. Zur Ausübung dieses Hofamts musste die entsprechende Person vom Kaiser per Dekret ernannt werden, das die exakte Beschreibung der jeweiligen Stelle enthielt.
Johann Amadeus Franz de Paula von Thugut (1736–1818), Internuntius, Staatsmann, Hofdolmetscher (Porträtsammlung der ÖNB, PORT_00161687_02)
Die Entlohnung der Hofdolmetscher kann mit der von mittleren Beamten des Hofes verglichen werden, was zeigt, dass ihnen durchaus Bedeutung beigemessen wurde. So betrug etwa das jährliche Hofdolmetschergehalt von Franz de Paula von Thugut (1736–1818, Internuntius 1769–1776, „Minister der auswärtigen Geschäfte“ 1793– 1800) 1.500 fl., was etwa einem Drittel des Gehalts eines Wirklichen Hofrates entsprach. Zusätzlich erhielten sie für ihre Tätigkeit beim Besuch von Gesandtschaften Sonderzahlungen, Kostgeld und auch Geschenke; in manchen Fällen konnten sie sogar mit der Erhebung in den Adelsstand rechnen. Als Folge der im 16. Jahrhundert einsetzenden Konzentration und personellen Verdichtung von Hof und Behörden kam es zu einer Ausdifferenzierung des Hofzeremoniells, das nicht zuletzt der Demonstration von Macht diente. Die Dolmetscher waren in dieses Hofzeremoniell massiv eingebunden, trugen sie doch maßgeblich dazu bei, im Zuge der sprachlich relevanten Ausverhandlung des Zeremoniells Missverständnissen vorzubeugen und gebührendem sozialen Status Geltung zu verschaffen. Die Tätigkeitsfelder der Sprachmittler waren vielfältig. Der Hof machte zwar in der Bezahlung einen Unterschied, nicht jedoch in der Zuweisung der Aufgaben zu Hofdolmetschern und nicht verbeamteten Dolmetschern. Zu den Arbeitsbereichen zählten u. a. (sprachrelevante) Betreuung von Gesandtschaften; Auslandsreisen; Translation diplomatischer Korrespondenz und wissenschaftliche Tätigkeit. Letztere ist nur bedingt mit translatorischen Fragen zu verknüpfen und wird hier nicht näher behandelt (vgl. den Beitrag von Hannes Galter im vorliegenden Band). Besuche von Gesandtschaften stellten ein zentrales Element in der habsburgisch-osmanischen Diplomatie dar. Nach verschiedenen Friedensschlüssen wie Passarowitz 1718 oder Belgrad 1739 erreichten die gegenseitigen Großgesandtschaften ihren Höhepunkt: 1740 entsandten die Habsburger ca. 1.000 Mann nach Konstantinopel, die osmanische Gegenbotschaft umfasste 922 Köpfe, 900 Pferde, 170 Maultiere und 135 Kamele. Die Dolmetscher übernahmen bei Gesandtschaftsbesuchen die Doppelrolle als Sprachmittler und Kontaktperson. Sie zeigten den osmanischen Würdenträgern deren Quartiere, geleiteten sie zu offiziellen Empfängen und übersetzten diplomatisch relevante Schriftstücke. Den am Sultanshof verfassten Schreiben wurden zwar zumeist deutschsprachige, von den Pfortendolmetschern angefertigte Übersetzungen mitgeliefert, doch war es dem Wiener Hof ein Anliegen, die Übersetzungen zu überprüfen.
Die vielfältigen Aufgaben der Dolmetscher im habsburgisch-osmanischen Kommunikationsraum können am Beispiel des sogenannten Grenzdolmetschers Franz von Dombay illustriert werden. Dombay wurde 1758 in Wien geboren und absolvierte die Orientalische Akademie. Nach einem Aufenthalt als Lexikograf und Dialektforscher im marokkanischen Tanger wurde er 1792 als „Grenzdolmetscher“ in das Generalkommando von Agram/Zagreb entsandt. Sein hauptsächliches Aufgabengebiet war die Mitarbeit an der Implementierung des 1791 zwischen den Habsburgern und den Osmanen abgeschlossenen Friedens von Sistova/Svištov. Dombays Teilnahme an der Grenzkommission im Rahmen dieses Friedensschlusses erforderte neben Translationskompetenz sowohl diplomatisches Geschick als auch detaillierte Kenntnisse über die Hintergründe des Friedensschlusses. Seine insgesamt neunjährige Tätigkeit in Agram/Zagreb bewies, dass seine Tätigkeit erfolgreich war. In seiner alltäglichen Arbeit als Grenzdolmetscher war er mit Überfällen, Versklavung von Kindern, Desertion und vielen anderen Wechselfällen konfrontiert. Dombay wurde aufgrund seiner Verdienste 1801 zum Hofdolmetsch in Wien ernannt, wo er 1810 verstarb.
Das Grab von Franz von Dombay in Weidling
Andere Hofdolmetscher konnten auf eine lange Karriere an der Hohen Pforte zurückblicken, so etwa Joseph von Penckler (1700–1774), der 1719 als Sprachknabe nach Konstantinopel geschickt wurde. 1726 erfolgte die Ernennung zum Dolmetscher an der Pforte, nach acht Jahren Dienst wurde er schließlich als Hofdolmetsch nach Wien berufen. 1741 wurde er zum Internuntius erhoben und übte diese prestigebehaftete Tätigkeit über zwei Jahrzehnte aus, was ihm schließlich „aus eigener Bewegniß“ der Kaiserin den Freiherrenstand verschaffte. Vom (Hof-)Dolmetscher zum „Würcklichen Hof-Rath“ Die wechselhaften Aufgaben der im osmanisch-habsburgischen Kommunikationsfeld tätigen Dolmetscher hatten über die Jahrhunderte eines gemeinsam – ihre absolute Loyalität zum Kaiserhaus. Daran änderte auch der sukzessive, sich im Zuge der verstärkten Befriedung der habsburgisch-osmanischen Beziehungen vollziehende Wandel zu einem „Versorgungsposten“ nichts. Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856) ist ein beredtes Beispiel für diese Entwicklung: Er strebte eigentlich den Internuntiusposten an, der ihm jedoch zeit seines Lebens verwehrt blieb. Erst die Ernennung zum „Würcklichen Hof-Rath“ im Rahmen seiner herausragenden wissenschaftlichen Tätigkeiten als Orientalist wurde von ihm als Karrieresprung interpretiert. Mit Ottokar Maria von Schlechta (1825–1894) endet im Jahr 1884 das Amt des Hofdolmetschs für orientalische Sprachen, denn der Schwerpunkt in der Begegnung zwischen den beiden Imperien war zu diesem Zeitpunkt längst von der Sprach- und Kulturvermittlung auf die Geschäfte von Diplomatie und Handel übergegangen.
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Ausgewählte Literatur Christoph Augustynowicz, „Tatarische Gesandtschaften am Kaiserhof des 17. Jahrhunderts – Protokoll und Alltag“, in: Marlene Kurz, Martin Scheutz, Karl Vocelka, Thomas Winkelbauer (Hg.), Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, Wien, München 2005, S. 315–340. Boro Bronza, „Austrian Diplomats from the Vienna Oriental Academy on the Balkan Peninsula During the Second Half of the Eighteenth Centur“, in: Maria Baramova, Plamen Mitev, Ivan Parvev, Vania Racheva (Eds.), Power and Influence in South-Eastern Europe, 16th–19th Century, Zürich, Berlin 2013, S. 329–338. Alexander H. de Groot, „Die Dragomane 1700–1869. Zum Verlust ihrer interkulturellen Funktion“, in: Marlene Kurz, Martin Scheutz, Karl Vocelka, Thomas Winkelbauer (Hg.), Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, Wien, München 2005, S. 473–490. Franz von Dombay, Grabstein in Weidling, in: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Franz_von_ Dombay_stele,_Weidling,_2016.jpg [Zugriff: 23.02.2018] Alexandra Joukova, „,Ein Glück für jeden fremden Mann, der selbst mit Türken sprechen kann.‘ Zur Sprachausbildung vor und kurz nach Etablierung der Orientalischen Akademie“, in: Oliver Rathkolb (Hg.), 250 Jahre. Von der Orientalischen zur Diplomatischen Akademie in Wien, Innsbruck 2004, S. 29–46. Jovan Pešalj, „Early 18th-Century Peacekeeping: How Habsburgs and Ottomans Resolved Several Border Disputes after Karlowitz“, in: Plamen Mitev, Ivan Parvev, Maria Baramova, Vania Racheva (Eds.), Empires and Peninsulas. Southeastern Europe between Karlowitz and the Peace of Adrianople, 1699–1829, Berlin, Münster 2010, S. 29–42. Viktor Petioky, „Zur nichtliterarischen Übersetzungstätigkeit in der Donaumonarchie“, in: Dieter Huber, Erika Worbs (Hg.), Ars transferendi. Sprache, Übersetzung, Interkulturalität, Frankfurt am Main 1998, S. 351–372. Ernst Dieter Petritsch, „Die Wiener Turkologie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“, in: Klaus Kreiser (Hg.), Germano-Turcica. Zur Geschichte des Türkisch-Lernens in den deutschsprachigen Ländern, Bamberg 1987, S. 25–40. Clara Reiter, „,… wo der Dollmetsch allzeit interpretirt.‘ Das Hofdolmetscheramt am Wiener Hof: Vom Karrieresprungbrett zum Abstellgleis“, in: Lebende Sprachen, 2013, S. 197–220. Ian Schmidt, „Franz von Dombay, Dragoman on the Bosnian Border, 1792–1800“, in: Markus Köhbach, Gisela Procházka-Eisl, Claudia Römer (Hg.), Acta Viennensia Ottomanica, Wien 1999, S. 319–321. Karl Teply, „Türkische Gesandtschaften nach Wien (1488–1792)“, in: Österreich in Geschichte und Literatur, 1976, S. 14–32. Victor Weiß von Starkenfels, Die kaiserlich-königliche orientalische Akademie zu Wien, ihre Gründung, Fortbildung und gegenwärtige Einrichtung, Wien 1839. Constant von Wurzbach, „Penkler, Joseph Freiherr“, in: Constant von Wurzbach (Hg.), Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Band 21, Wien 1870, S. 452–454. Renate Zedinger, „Vom ‚Sprachknaben‘ zum Internuntius. Freiherr Heinrich Christoph von Penckler (1700– 1774) im diplomatischen Dienst an der Hohen Pforte“, in: Ulrike Tischler-Hofer, Renate Zedinger (Hg.), Kuppeln, Korn, Kanonen. Unerkannte und unbekannte Spuren in Südosteuropa von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Innsbruck, Wien, Bozen 2010, S. 215–242.
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Der Balkan im Erfahrungshorizont deutschsprachiger Reiseschriftsteller/innen (1719–1913) Christian Promitzer
Wenn auf wenigen Seiten ein knapper Überblick über die deutschsprachige Reiseliteratur über den Balkan vom frühen 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg gegeben wird, so kann Vollständigkeit nicht das Ziel sein; auch mag die Auswahl als subjektiv wahrgenommen werden. Hervorzuheben ist, dass angesichts der oft schwierigen Quellenlage für die einzelnen Regionen und Länder des südöstlichen Europas Reiseberichte eine oft unschätzbare Materialsammlung nicht nur für die Wahrnehmungsmuster der einzelnen Autoren sind, sondern, wenn man jene kritisch reflektiert, zum Teil auch Einsichten in die lokalen politischen Verhältnisse und in das Alltagsleben eröffnen. Wenn wir uns hier auch auf das vorletzte und das vorvorletzte Jahrhundert beschränken, so sei nicht verschwiegen, dass es einen frühneuzeitlichen Vorläufer gibt: den 1531 veröffentlichten Bericht über die im Jahr zuvor auf dem Landweg über die Balkanhalbinsel erfolgte Gesandtschaftsreise an den Hof des Sultans. Dessen Autor war der um 1490 in der slowenischen Steiermark geborene Dolmetscher und Diplomat Benedict Curipeschitz, der seine Aufzeichnungen im Stil der humanistischen Itinerarien verfasste und damit ein Vorbild für spätere Reiseberichte lieferte. Für das Habsburgerreich schien die Situation nach dem Ende des sechsten Türkenkriegs vielversprechend zu sein, denn der Friedensvertrag von Passarowitz/Požarevac schien den Weg nach Süden unmittelbar zu öffnen. Für wenige Jahrzehnte fiel nun, zusätzlich zu den in Ungarn und Siebenbürgen gewonnenen Gebieten, auch ein bisher relativ wenig bekannter Landstreifen südlich der Donau (Serbien) in den Besitz der Habsburger. Die Gelegenheit für neue Kenntnisse, die das vorübergehende Zurückdrängen des osmanischen Herrschaftsbereiches bot, wurde zwar genützt, doch gelangten die neu gewonnenen Erkenntnisse noch kaum in die erst im Entstehen begriffene bürgerliche Öffentlichkeit. So blieb der 1721 zuerst in lateinischer Sprache veröffentlichte Reisebericht des aus Köln stammenden Exjesuiten Gerhard Cornelius Driesch, der gleich nach Beendigung des Krieges als kaiserlicher Gesandtschaftssekretär auf dem Landweg von Belgrad über Niš, Sofia und Plovdiv nach Konstantinopel gereist war und allerlei Einzelheiten vermerkt hatte, ein Einzelstück. Zeugnis über die geringe Kenntnis von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Balkanhalbinsel legt die berühmte, aus dem Ausseer Gebiet stammende Völkertafel von 1727 ab: Auf dieser konnte ein Repräsentant der Bevölkerung der Balkanhalbinsel gegenüber den Vertretern aller anderen Völker Europas nicht eindeutig benannt werden und wurde schlicht als „Tirk oder Griech“ bezeichnet, so als ob sich der Künstler des Werkes zu einer eindeutigen Aussage über die Identität des Abgebildeten mangels besseren Wissens nicht hatte hinreißen können. Reisenden, die diesen Mangel an Wissen hätten beheben können, stand tatsächlich manches entgegen, darunter die Anfang der 1730er-Jahre begonnene Abschottung des Osmanischen Reiches durch die „Pestfront“, wodurch der freie Verkehr zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich im Handel, ganz zu schweigen von Reisen zu Bildungszwecken und zum Erkenntnisgewinn, wesentlich gehemmt wurde. 1739 gingen die südlich der Donau gelegenen Gebiete den Habsburgern ohnehin wieder verloren, und auch der letzte „Türkenkrieg“ von 1788/91 mit österreichischer Beteiligung sollte an den Grenzen nichts mehr ändern. Wenn damals und in den Jahrzehnten danach Aufzeichnungen ohnehin nur aus der Feder von aufnahmebereiten und ökonomisch besser gestellten, zumeist adeligen Männern stammten, bezogen sich jene zumeist auf Italien, das als traditionelles Ziel von Kavalierstouren galt. Sicherlich bereisten Handwerker, Viehhändler, Kaufleute, Kuriere und Diplomaten – Letztere vor allem auf dem Weg nach und von Konstantinopel – zu dieser Zeit die Balkanländer. Sogar Kaiser Joseph II. reiste bis an die osmanische Grenze. Auch jenseits davon mag sich der eine oder andere Abenteurer verirrt haben, doch nur selten veröffentlichte jemand wie etwa Nikolaus Ernst Kleemann (1736–1801),
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ein Kaufmann, der in den späten 1760er-Jahren u. a. die untere Donau bereiste, seine Erfahrungen tatsächlich. Zu erwähnen sind auch die auf Reisen nach Kroatien, Dalmatien und Bosnien-Hercegovina gewonnenen grundlegenden Einsichten des gebürtigen Franzosen und in Laibach lehrenden Belsazar Hacquet (1739/40–1815) über die Südslawen und ihre Lebensweisen. Die überragende Gestalt unter den Reisenden, die ihre ersten Erfahrungen bereits am Übergang zum 19. Jahrhundert machte, war jedoch der umfassend gebildete, aus Graz gebürtige Diplomat und Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856): Seine bei Reisen ins Osmanische Reich und nach Griechenland gewonnenen Erkenntnisse und Wahrnehmungen sollten in seine zahlreichen Bücher einfließen (siehe den Beitrag von Hannes Galter in diesem Band). Trotz vorhandener eindeutiger Erkenntnisse über die Topografie der Balkanhalbinsel hielt sich bis weit ins 19. Jahrhundert der Irrglaube, dass sich in den europäischen Provinzen des Osmanischen Reiches die Kette des Balkangebirges vom Schwarzen Meer bis fast an die Adria hinziehe. Noch Anfang der 1840er-Jahre mussten der in Göttingen lehrende Mediziner und Botaniker August Grisebach (1814–1879), der kurz zuvor über den Landweg auf dem Balkan nach Kleinasien gereist war, sowie Ami Boué (1794–1891), ein in Österreich lebender französischer Arzt, Geologe und Autor eines mehrbändigen Werks über die „Europäische Türkei“, darauf dringen, dass das „Balkanhalbeiland“ – wie es vom Berliner Geografen August Zeune (1778–1853) im Jahr 1808 erstmals genannt worden war –, nicht durchgehend von dem namengebenden Gebirge geprägt war, sondern jenes auf den östlichen Teil der Region beschränkt war. Zu diesem Zeitpunkt – dies offenbart die Gleichzeitigkeit von Wissen und Unkenntnis geografisch benachbarter Einzelheiten – war es bereits möglich, die Donau von Mitteleuropa bis zu ihrer Mündung, unter Umgehung der Stromschnellen im Bereich des Eisernen Tors auf dem Landweg mit regelmäßig verkehrenden Dampfschiffen zu befahren. Die aus der Sicht einer allein reisenden Frau interessantesten Schilderungen einer solchen Donaufahrt stammen aus der Feder der Wienerin Ida Pfeiffer (1797–1858), die 1842 von der Donaumündung weiter übers Schwarze Meer nach Konstantinopel und von dort ins Heilige Land reiste. Mit dem „Mythus einer west-östlichen Centralkette“ musste sich übrigens selbst noch der Jurist und Diplomat Johann Georg von Hahn (1811–1869) auseinandersetzen, als er 1858 „die Südosthalbinsel […] in eine westliche und eine östliche Hälfte theilende Rinne“ von Belgrad bis Thessaloniki bereiste, um ihre mögliche wirtschaftliche Bedeutung für das Kaisertum Österreich zu eruieren. Hahn hatte sich schon zuvor durch die systematische Bereisung und Erforschung Albaniens einen Namen gemacht und gilt als Begründer der Albanologie. Mit Boué, Grisebach und Hahn befinden wir uns bereits in einem Zeitalter, das in Mittelund Westeuropa von der beginnenden Industrialisierung, auf dem Balkan jedoch vom anhaltenden Niedergang des Osmanischen Reiches und dessen krampfhaften ebenso wie unvollständig durchgesetzten Reformen geprägt war. Die überkommene Frontstellung der Habsburgermonarchie zur „Europäischen Türkei“ änderte sich insofern, als der Sultan und seine Regierung neben französischen, englischen und preußischen Experten (wie z. B. den Offizier Helmuth von Moltke d. Ä., 1800–1891) u. a. auch Österreicher für ihre Reformbemühungen anheuerten. Unter den Letzteren ist der Arzt Lorenz Rigler (1815–1862) zu nennen, der seine Erfahrungen im Osmanischen Reich 1852 festhielt. An der nun vermehrt betriebenen Erforschung der Welt jenseits des Mittelmeers und in Übersee beteiligte sich das österreichische Kaisertum, doch richtete sich sein politisches und wirtschaftliches Interesse am „Orient“ vor der eigenen Haustür aus – diesen galt es reisend zu erforschen. Das mittlere Drittel des 19. Jahrhunderts war daher
die Blütezeit des Genres des wissenschaftlichen Reiseberichts, der sowohl literarisch befriedigen als auch neue Erkenntnisse geografischer, ethnografischer und historischer Natur auf authentische Weise vorstellen und damit unterschiedliches Lesepublikum ansprechen sollte. Eine eigentümliche Lust, den langsamen Niedergang des Osmanischen Reichs zu studieren, aber auch die erstaunte Wahrnehmung der Aufstände in Serbien und vor allem die philhellenische Begeisterung an der Revolution in Griechenland machten die Balkanhalbinsel – über die bereits erwähnten Personen hinaus – zu einem lohnenden Ziel von Reisen wissenschaftlichen Charakters. Man denke an den in Graz geborenen Diplomaten Graf Anton Prokesch von Osten (1795–1876), der in den 1830er-Jahren drei Bände „Denkwürdigkeiten und Erinnerungen“ u. a. über die Europäische Türkei herausbrachte. Darin befindet sich auch eine ungewöhnliche Episode, die sich im Kreis einer muslimischen Frauengesellschaft aus besser gestelltem Hause auf den Höhen über Thessaloniki ereignete und anlässlich derer ihn die Damen baten, ihnen den Puls zu fühlen, da sie in allen „Franken“, also Westeuropäern und Deutschen, angeblich einen Arzt vermuteten. Das durch Aufstände autonom gewordene Serbien des Jahres 1829 war hingegen das Ziel der Reisen des pommerschen Offiziers Otto von Pirch (1799–1832) und zwei Jahrzehnte später der im leichten literarischen Stil gehaltenen „Südslawischen Wanderungen im Sommer 1850“ des aus Prag stammenden Arztes Siegfried Kapper (1820–1879). Übertroffen wurden diese Arbeiten vom Werk des in Budapest geborenen Lithografen Felix Kanitz (1829–1904), der 1859 seine erste Reise nach Serbien antrat und dessen 1868 erschienener Bericht über Serbien in der zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienenen Auflage bereits drei Bände ausmachte. Entfacht hatte sich Kanitz’ Interesse am Balkan im Jahr zuvor an den Vorgängen in Montenegro, dessen Kämpfer sich gerade in einer ihrer vielen Waffengänge mit dem Osmanischen Reich befanden und in deren Heimat sich der wissbegierige Zeichner begab. Da sein mitgebrachtes Skizzenbuch lebhaftes Interesse unter dem deutschsprachigen Publikum erweckte, begann er seine Erfahrungen nun auch schriftlich aufzuzeichnen. Kanitz war nicht der erste, der das kleine montenegrinische Fürstentum bereiste, das wenige Jahre zuvor noch von einem Fürstbischof regiert worden war. Zu seinen Vorgängern gehört der aus Bremen stammende Reiseschriftsteller Johann Georg Kohl (1808–1878), der eindrucksvolle Schilderungen der damals noch üblichen Blutrache festhielt. Der Geologe Ferdinand Hochstetter (1829–1884) hatte durch die Erforschung Neuseelands, das er als Teilnehmer der Novara-Expedition 1858 erreicht hatte, von sich reden gemacht und war danach zum Professor an die Technischen Hochschule in Wien berufen worden. Als solcher war er 1869 Mitglied einer von Konstantinopel aufbrechenden Expedition, die topografische Vermessungen für die mögliche Trasse einer Bahnlinie zwischen der osmanischen Hauptstadt und Zentraleuropa anstellen sollte. Seine Reisenotizen, die vor allem Thrakien betreffen, sollte er in den „Mittheilungen der Geographischen Gesellschaft in Wien“ veröffentlichen, einer Zeitschrift, die neben den deutschen Magazinen „Das Ausland“, „Globus“, sowie „Petermann's Mitteilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt“ zu den wichtigsten Quellen für kürzere deutschsprachige Reiseberichte zählt. Die Region nördlich davon, das sogenannte Donau-Bulgarien, wurde vom bereits genannten Felix Kanitz umfangreich beschrieben: Dessen Schilderungen, mit eigenhändigen Skizzen versehen, waren derart detailreich und informativ, dass sie auch ins Russische übersetzt wurden, zumal Russland selbst geostrategische Interessen im östlichen Balkanraum hatte. Über die russische Ausgabe erhielt auch das embryonale bulgarische Bildungsbürgertum Zugang zum Werk von Kanitz; so besaß z. B. der bulgarische Nationalrevolutionär Ljuben Karavelov in seiner Bibliothek ein Exemplar von „Donau-Bulgarien“. Weniger bekannt als das Werk
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von Kanitz sind die 1876 in der „Wiener Abendpost“ in Fortsetzungen erschienenen „Reiseskizzen aus Bulgarien und dem Balkan“ aus der Feder von Franz Toula (1845– 1917), Ferdinand Hochstetters Schüler und Nachfolger auf dessen geologischer Lehrkanzel in Wien. Deckte Kanitz mit seinen Werken über Serbien und Bulgarien einen größeren Teil der Balkanhalbinsel ab, so hatte er in Amand von Schweiger-Lerchenfeld (1846–1910) einen Nachahmer: Vielleicht produktiver als Kanitz – sofern dies noch möglich war –, jedoch auch oberflächlicher und ohne dessen Skizzen, bereiste und beschrieb jener von den 1870ern bis in die 1890er-Jahre den gesamten Raum des Osmanischen Reichs und des östlichen Mittelmeeres. An dieser Stelle ist auch der gebürtige Triestiner Spiridon Gopčević (1855–1928) zu erwähnen, der sich in jenen Jahren gleichfalls, jedoch mit stärkerem politischem Akzent – nicht ohne Kritik aus der zeitgenössischen Öffentlichkeit, die die Authentizität seiner Schilderungen bezweifelte – mit der Situation in den einzelnen Ländern und Regionen der Balkanhalbinsel auseinandersetzte. Mit den letzten beiden Autoren haben wir auch schon jene politische Umgestaltung der bisherigen Europäischen Türkei berührt, die infolge des russisch-osmanischen Krieges von 1877/78 und des Berliner Kongress von 1878 realisiert wurde: Sie bestand in der nunmehrigen Unabhängigkeit der bisher autonomen Balkanstaaten, der Gründung des autonomen Fürstentums Bulgarien und in der durchaus nicht uneigennützigen Okkupation Bosnien-Hercegovinas durch Österreich-Ungarn. Das bulgarische Fürstentum war das Ziel des tschechischen Historikers und Slawisten Konstantin Jireček (1854–1918), der dort 1879/84, relativ jung, in verschiedenen öffentlichen Ämtern – auch als Minister – tätig war. Damals hatte er die Gelegenheit, Bulgarien in seinen damaligen Grenzen sowie die benachbarte osmanische Provinz Ostrumelien – die 1885 mit Bulgarien vereint werden sollte – zu besuchen und seine Wahrnehmungen im zweiten Band seiner monografischen Darstellung des Fürstentums festzuhalten. Der erwähnte Franz Toula unternahm 1892 eine geologische Reise in die rumänische Dobrudscha, über die er im darauffolgenden Jahr dem Publikum des Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse berichtete. Obwohl primär geologisch orientiert, enthält der Bericht zahlreiche Passagen über das wirtschaftliche und soziale Leben dieses Landstrichs, wobei die Beschreibungen über die dort lebenden deutschen Siedler ins Auge springen. Für Österreich-Ungarn weitaus interessanter war die allseitige Erkundung der neu akquirierten Provinz Bosnien-Hercegovina. Schon in den 1860er-Jahren hatte der Militärschriftsteller Major Johann Roskiewicz (1831–1902) umfangreiche Reisen in die für die Donaumonarchie strategisch interessante osmanische Provinz Bosnien-Hercegovina unternommen und darüber publiziert. 1878 beteiligte sich der klassische und prähistorische Archäologe Moriz Hoernes (1852–1917) als Reserveoffizier an der Okkupation des Landes und unternahm in den folgenden beiden Jahren ausführliche Studienreisen quer durch diese Provinz, die er 1888 unter dem Titel „Dinarische Wanderungen“ veröffentlichte. Ein Jahr später wurde sein ebenfalls auf seinen Reisen beruhender Bosnien-Band in die von Friedrich Umlauft herausgegebene ethnografische Reihe über die Monarchie aufgenommen, wodurch die „symbolische Einverleibung“ dieser Provinz in das Habsburgerreich vollzogen wurde. Als Reiseberichte im erweiterten Sinn, da sie vielfältiges, auf Amtsreisen gewonnenes ethnografisches Material enthalten, sind auch die in Wiener medizinischen Zeitschrif-
ten veröffentlichten Rechenschaftsberichte der in Bosnien in österreich-ungarischen Diensten eingesetzten ersten Amtsärztinnen zu sehen. Die Monarchie hatte, obwohl das Frauenstudium der Medizin noch nicht erlaubt war, auf Ärztinnen zurückgreifen müssen, da es fremden Männern nicht erlaubt war, muslimische Frauen medizinisch zu untersuchen. Neben den in den 1850er- und 1860er-Jahren gemachten Balkanreisen der Britinnen Adeline Paulina Irby (1831–1911) und Georgina Muir Mackenzie (1833–1874) sowie den ab der Jahrhundertwende erfolgten Reisen von Edith Durham (1863–1944) in diese Region sind die Berichte der Amtsärztinnen wichtige Quellen über Wahrnehmungen der Verhältnisse auf dem Balkan aus weiblicher Sicht. Sarajewo war der Stützpunkt des 1904 von Carl Patsch (1865–1945) gegründeten „Bosnisch-Herzegowinischen Instituts für Balkanforschung“, das die Buchreihe „Zur Kunde der Balkanhalbinsel: Reisen und Beobachtungen“ herausgab. Diese brachte es bis 1918 auf 20 Bände, von denen stellvertretend hier die „Albanischen Wanderungen“ von Baron Franz Nopcsa (1877–1933) und die „Makedonischen Fahrten“ von Adolf Struck (1877–1911) genannt seien. Der hier getätigte, notgedrungen lückenhafte Überblick hat sich in erster Linie an den publizierten wissenschaftlichen Reiseberichten orientiert, die versuchten, „weiße Flecken“ auf den materiellen und geistigen Landkarten der Donaumonarchie zu tilgen. Eine umfassende Betrachtung müsste jedoch auch die Vielzahl zeitgenössischer Reiseführer einbeziehen, die das geregelte und sichere Reisen in das südöstliche Europa per Donaudampfer, mit den Schiffen des Lloyd Austriaco oder, ab 1888, mit dem von Wien nach Konstantinopel durchgehend fahrenden Orient-Express beschreiben und für Vergnügungsreisen der adeligen und bürgerlichen Kreise der Monarchie eröffnet haben (siehe hierzu auch den Beitrag von Nikolaus Reisinger in diesem Band). An dieser Stelle ist an die literarisch-ethnografischen Reisen von Karl Emil Franzos (1848–1904) ins „Halb-Asien“ der südöstlichen Kronländer der Monarchie oder an die Betrachtungen des Hermann Bahr (1863–1934) über seine Reise nach Dalmatien zu erinnern. Um das Bild abzurunden, müsste man für die Retrospektive auch die in Feldpostbriefen und Tagebüchern der k. und k. Soldaten massenhaft festgehaltenen Wahrnehmungen und Erfahrungen einbeziehen, die ab 1914 zwangsweise auf „Reisen“ in den Balkan gingen, wo sie die österreichisch-ungarische Besatzungsmacht in Serbien, Montenegro und Albanien repräsentierten. Dies muss jedoch einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben.
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Ausgewählte Literatur Karin Almasy, „Pătuvaneto po Dunav ot Vienna do Konstantinopol na Ida Pfeiffer“, in: Bălgarska Etnologija 2 (2014), S. 144–156. Veronika Bernard, Österreicher im Orient. Eine Bestandsaufnahme österreichischer Reiseliteratur im 19. Jahrhundert (= Literatur aus Österreich und Bayern 9), Wien 1996. Wendy Bracewell (Hg.), Under Eastern eyes: a comparative introduction to East European travel writing on Europe (= East looks West 2), Budapest 2008. Wendy Bracewell (Hg.), Balkan departures: travel writing from Southeastern Europe, New York 2009. Milorad Ekmečić, „Das Bild Bosniens und der Herzegowina in der europäischen Reiseliteratur der Jahre von 1850-1878“, in: Boris I. Krasnobaev, Gert Robel, Herbert Zeman (Hg.), Reisen und Reisebeschreibungen im 18. und 19. Jahrhundert als Quellen der Kulturbeziehungsforschung (= Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 6), Essen 1987, S. 195–214. Wolfgang Geier, Südosteuropa-Wahrnehmungen. Reiseberichte, Studien und biographische Skizzen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert (= Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund 39), Wiesbaden 2006. Siegfried Gruber, „Austrian Contributions to the Ethnological Knowledge of the Balkans since 1850“, in: Ethnologia Balkanica, Journal for Southeast European Anthropology 2 (1998), S. 209–224. Harald Heppner, Edith Riepl (Hg.), Reisen und Geschichte verstehen: Leitfaden für eine neue Weltsicht, Wien 2007. Božidar Jezernik, Das wilde Europa: der Balkan in den Augen westlicher Reisender, Wien, Köln, Weimar 2016. Zoran Konstantinović, Deutsche Reisebeschreibungen über Serbien und Montenegro (= Südost europäische Arbeiten 56), München 1960. Đorđe S.Kostić (Hg.), Beograd u delima evropskih putopisaca/Belgrade in the works of european travel writers (= Balkanološki institut, Posebna izdanja 80), Belgrad 2003. Aleksandar Matkovski (Hg.), Makedonija vo delata na stranskite patopisci, 11 Bde, Skopje 1991–2008. Miloš Okuka, „Zwischen Orient und Okzident: Deutsche Reisebeschreibungen über Bosnien-Herzegowina 1530–1999“, in: Ulrich Obst, Friedrich Scholz, Gerhard Ressel (Hg.), Balten – Slaven – Deutsche: Aspekte und Perspektiven kultureller Kontakte, Münster 1999, S. 205–215. Christian Promitzer, „Austria and the Balkans: Exploring the Role of Travelogues in the Construction of an Area“, in: Christian Promitzer, Siegfried Gruber, Harald Heppner (Hg.), Southeast European Studies in a Globalizing World, Wien 2015, S. 189–206. Ivan Snegarov, Balgarskite zemi prez pogleda na chuzhdi pateshestvenitsi: 1828–1853, Sofia 1997. Daniel Stößl, Reisen in den europäischen Orient zwischen 1830 und 1930 als Kapitel der Balkanrezeption, Graz, unveröff. Dipl.-Arb., 2005. Vladimir Stojančević, Viđeni stranci o Srbiji i Srbima 19. i početkom 20. veka, Beograd 1998. Maria Todorova, Die Erfindung des Balkans. Europa bequemes Vorurteil, Darmstadt 1999. Mihail P. Yonov, Nemski i avstrijski patepisi za Balkanite XVII – sredata na XVIII v. (= Chuzhdi patepisi za Balkanite 6), Sofia 1986. Mirna Zeman, Reise zu den „Illyriern“. Kroatienstereotype in der deutschsprachigen Reiseliteratur und Statistik (1740–1809) (= Südosteuropäische Arbeiten 147), München 2013. Tanja Zimmermann, Der Balkan zwischen Ost und West: mediale Bilder und kulturpolitische Prägungen, Wien, Köln, Weimar 2014. Amira Žmirić, Austrijski i njemački putopisi o Bosni i Hercegovini do 1941. godine, Banja Luka 2012.
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Der fremde Blick Konstantinopel im Spiegel seiner Darstellungen (16.–19. Jahrhundert) Helmut Eberhart
Die Beschreibungen und bildlichen Darstellungen der Stadt am Bosporus, die vor dem 18. Jahrhundert im Habsburgerreich bekannt waren, standen noch unter dem Eindruck des Schreckens, den die Heere des Sultans hervorgerufen hatten. Dies sollte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts radikal ändern, und die Wahrnehmung von „Konstantinopel“ und den „Türken“ verwandelte sich nicht zuletzt durch den Friedensvertrag von Passarowitz am 21. Juli 1718, die folgenden Handelsverträge und den Austausch von Gesandten zwischen Habsburgern und Osmanen nachhaltig ins Positive. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde Konstantinopel mehr und mehr zum Zauberwort für Reisende und Künstler aus dem Abendland. Der folgende Beitrag soll anhand weniger ausgewählter Beispiele auf den veränderten Blick auf die Stadt am Bosporus und deren Bewohner verweisen, die sich vor allem durch die neuen Zugänge zum Osmanischen Reich besonders nach 1718 ergaben. Wenn man den westlichen Blick auf Konstantinopel beschreiben und vor allem verstehen will, scheint es geboten, einen Blick in die Zeit vor dem Vertragswerk von Passarowitz zu werfen und die ersten Bilder der Stadt zu nennen, die lange vorher im Abendland bekannt geworden waren. Die erste Abbildung der Metropole verdanken wir dem italienischen Franziskanermönch Christoforo Buondelmonti (1386–ca. 1430), der in seinem 1420 entstandenen Liber insularum Archipelagi eine Abbildung der Stadt aus der Vogelperspektive zeigt. Diese Draufsicht stellt die einzige Abbildung Konstantinopels vor der Eroberung durch die Osmanen 1453 dar. Abschriften dieser illustrierten Handschrift entstanden noch bis Ende des 15. Jahrhunderts, wobei die Stadtansicht von Konstantinopel mehrfach aktualisiert wurde. Die perspektivische Sicht auf die Stadt sollte für die folgenden Jahrhunderte bestimmend bleiben, auch wenn die Himmelsrichtung wechseln konnte, aus der die jeweiligen Zeichner und Grafiker auf die Stadt blickten. Wissenschaftliche Analysen der Zeichnung Buondelmontis ergaben, dass zwar die einzelnen Bauwerke fantasievoll gezeichnet sind, sich aber im Wesentlichen identifizieren lassen. Buondelmontis Konstantinopel wird auch in den mit Sicherheit nach 1453 entstandenen Abschriften noch immer als byzantinische Stadt dargestellt – ein Anachronismus, den wir auch in der ersten druckgrafischen Präsentation der Stadt entdecken können: in Hartmann Schedels (1440–1514) „Weltchronik“ von 1493. Obwohl Schedels Werk erst Jahrzehnte nach der Eroberung von Konstantinopel erschienen ist, verweisen Details wie der Adler von Byzanz auf den Stadttoren noch auf das vorosmanische Konstantinopel. Im 16. und 17. Jahrhundert mehren sich die Stadtansichten und Beschreibungen und damit auch die Kenntnisse über die Stadt. Als einer der ersten Chronisten, der sein Werk auch reichlich mit Holzschnitt-Illustrationen ausstattet, gilt der protestantische Pastor Salomon Schweigger (1551–1622). Er war als geistlicher Begleiter des Gesandten von Kaiser Rudolf II. ab Dezember 1577 für vier Jahre in Konstantinopel und lieferte eine bemerkenswert detaillierte Beschreibung der Hauptstadt und des alltäglichen Lebens, die allerdings erst 1608 in einer ersten Auflage im Druck erschien (Ein newe Reysbeschreibung auss Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem). Zahlreiche weitere Auflagen folgten und verhalfen dem Werk und dem darin vermittelten Bild der „Türken“ zu entsprechender Bekanntheit. Schon Jahrzehnte zuvor entstand das erste detailliert gezeichnete Panorama von Konstantinopel, das Melchior Lorichs (Lorck) (1527–1594) wohl zwischen 1555 und 1560 anfertigte und das heute im Besitz der Universität Leiden ist. Der Künstler schuf mit dieser ca. 12 m langen Zeichnung eine zweite ikonische Darstellung des heutigen Istanbul: eine Ansicht, die von der Serailspitze im Südosten bis zur Landmauer im Nordwesten und weiter bis Eyüb reicht. Reisende kennen diesen faszinierenden Anblick
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Constantinopel, Kupferstich in: Sebastian Münster, Cosmographia, 1544 (Original: Sammlung des Autors)
heute noch: Es ist jener vom Galataturm im Peraviertel. Die langgestreckte Lage der Stadt zwischen dem Goldenen Horn und dem Marmarameer bot dafür ideale Voraussetzungen. Wie noch zu zeigen sein wird, folgen Künstler und Fotografen bis in die heutige Zeit diesem Vorbild. Lorichs hielt sich vom Jahresende 1555 bis Herbst 1559 als Mitglied einer Gesandtschaft im Auftrag Kaiser Ferdinands I. am osmanischen Hof auf. Ihm und seinem Interesse an der Stadt und deren Leben verdanken wir über diese beeindruckende Zeichnung hinaus zahlreiche weitere Detailansichten von Moscheen, archäologischen Denkmälern, weiteren Objekten sowie teils sehr fiktive Porträts von Sultanen, Militärangehörigen und Zivilpersonen. Sein reich mit Holzschnitten ausgestattetes Werk über die Osmanen und ihre Hauptstadt erschien allerdings erst Jahrzehnte nach seinem Tod in erster Auflage 1626. Schweiggers und Lorichs’ Ansichten sollten die Vorstellungen von Konstantinopel im Westen für lange Zeit prägen. Noch Eberhard Werner Happel (1647–1690) verwendete die Holzschnitte Lorichs in seinem Werk „Thesaurus Exoticorum“ (1688). Happel widmet das umfangreichste Kapitel seines Buches der „Beschreibung von Türkey“ und bietet seiner Leserschaft neben einer Ansicht der osmanischen Hauptstadt zahlreiche Holzschnitte von Lorichs. Er übernimmt von diesem nicht nur die Herrscherporträts, sondern gibt auch Menschen aus dem Alltag (z. B. einen Wasserträger auf S. 5 oder einen „Türkischen Marquetenter“ auf S. 87) sowie Gegenstände wieder (z. B. „Unterschiedliche Arthen Türkische Standarten und Fahnen“, doppelseitig vor S. 65). Happels kleinformatige Ansicht von Konstantinopel folgt übrigens der Vogelperspektive und geht auf den bekannteren und größeren Holzschnitt von Sebastian Münster (1488–1552) zurück, der die Stadtansicht in seine zwischen 1544 und 1628 in zahlreichen Ausgaben erschienene „Cosmographia“ aufgenommen hatte.
Constantinopel, Kupferstich von Matthäus Merian, 1635 (Original: Sammlung des Autors)
Deutlich ist bei diesen Ansichten zu erkennen, dass sie auf ein „Urbild“ zurückgehen und in identer oder ähnlicher Form kopiert und immer wieder für Illustrationen herangezogen worden sind. So ist erkennbar, dass die Darstellung bei Münster wiederum auf einen wohl zwischen 1520 und 1530 in Venedig gedruckten Holzschnitt von Giovanni Andrea Vavassore (1518–1572) zurückgeht. Weiter lässt sich diese Ansicht, die wir immer neu abgewandelt noch im 18. Jahrhundert finden, allerdings nicht mit Sicherheit zurückverfolgen, doch datiert Arne Effenberger in seiner Einleitung zur FaksimileAusgabe der Düsseldorfer Handschrift von Buondelmonti das unbekannte „Urbild“ von Vavassores Grafik zwischen 1478 und 1490. In diesem Zusammenhang ist auch auf eine der bedeutendsten topografischen Publikationen dieser Zeit zu verweisen, die ebenfalls auf den bekannten Topos zurückgreift: Georg Brauns (1541–1622) und Frans (Franz) Hogenbergs (1535–1590) Civitas Orbis terrarum oder Beschreibung und Contrafaktur der vornembsten Stät der Welt, erschienen in sechs Bänden zwischen 1572 (lateinisch) bzw. 1576 (deutsch) und 1617. Als bedeutendste Stiche des 17. Jahrhunderts, die die Panorama-Ansicht von Lorichs wieder aufgreifen, sind u. a. die Panoramen von Wilhelm Dilich (1571–1650) von 1606 und Matthäus Merian (1593–1650) von 1637 zu erwähnen. Dilich und Merian stellen die Stadt aus einer Position hinter dem Galataturm dar, der auf ihren Stichen deutlich zu erkennen ist. Damit wird das Peraviertel, der europäische Teil der Stadt, mehr als nur Staffage für das Panorama der Altstadt. Besonders für Merian gilt: Das alte genuesische Viertel Pera ist akkurat gezeichnet, während die bedeutende Altstadt in den Hintergrund tritt und uns zudem mehr als überzeichnete Stadt der Minarette erscheint. Der Stich Dilichs dient nicht nur Merian als Modell, der auch Details übernimmt, wie die deutlich erkennbare Rauchsäule rechts im Bild, die wohl auf einen der vielen Brände in der Stadt verweisen sollte. 1685 finden wir diese Ansicht auch bei Johann Christoph Wagner (1640–?) wieder. Der Kopist übernimmt zwar nicht die Rauchsäule, dafür aber die türkischen Jäger mit Hunden, die bereits als Staffage bei Münster zu sehen sind. Der Bedarf an Informationen über das Osmanische Reich und speziell über die Hauptstadt stieg nach dem Frieden von Passarowitz im Habsburgerreich sprunghaft an. Bereits ein Jahr danach erschien 1719 das umfangreiche Werk von Charles de Ferriol (1652–1722) Wahreste und neueste Abbildung des Türkischen Hofes in einer ersten deutschen Übersetzung. Ferriol war zwischen 1692 und 1711 französischer Gesandter am osmanischen Hof und galt als exzellenter Kenner der Verhältnisse. Die erste deutsche
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Auflage enthielt 65 Kupfertafeln, die nicht nur einen Blick auf die Herrscherfamilie, sondern auch alltägliche Szenen aus dem Leben in der Hauptstadt zeigte. Seine Publikation kann man wohl zu Recht als bedeutende und informative Skizze des Hofes und des Lebens in der Stadt bezeichnen. Die anschaulichen Tafeln gehen auf den flämisch-französischen Maler Jean-Baptiste Vanmour (1671–1737) zurück, der ihn ab 1699 auf seiner Mission begleitete. Er gilt mit seinen Gemälden und zahlreichen Kupferstichen, mit denen er das Leben im Palast und in der Stadt festhielt, bis heute als einer der bedeutendsten Protokollanten des Geschehens am osmanischen Hof und in der Hauptstadt im frühen 18. Jahrhundert. Seine ca. 100 gemalten Porträts ließ Ferriol nach seiner Rückkehr nach Paris in Kupfer stechen und bereits 1714 in einem Prachtwerk, dem sogenannten Recueil Ferriol, veröffentlichen. Diese Publikation wirkte nicht nur durch die Übersetzungen weit über Frankreich hinaus, sondern hatte nachhaltige Wirkung auf die abendländische Kunst und die Orientfantasien des Adels. U. a. griffen François Boucher (1703–1770) und Francesco Guardi (1712–1793) auf Ferriol zurück, ohne selbst je im Orient gewesen zu sein. Vor allem die schwülstigen Haremsfantasien waren es, die in der europäischen Kunst im 18. Jahrhundert Einzug hielten und bis ins 20. Jahrhundert fortwirkten. Das Interesse des Abendlandes galt somit einerseits mehr und mehr den gezielten und umfassenden Informationen über das Osmanische Reich – nicht zuletzt auch aufgrund der Handelsverträge –, andererseits spielte der exotische Blick auf das fremdartig Erscheinende eine wesentliche Rolle und bestimmte die Bildvermittlung des Orients im Okzident. „Alla turca“ wurde zum Begriff in der Musik, ebenso wie „à la turque“ zum Modebegriff des Adels geriet. Adelige Frauen ließen sich gerne in türkischer Kleidung porträtieren, darunter auch Madame Pompadour, deren Abbild von Carle Vanloo (Charles André van Loo, 1705–1765) als Orientalin um 1750 diese Mode endgültig hoffähig machte. Angelika Kauffmann (1741–1807) ließ sich als Malerin ebenfalls in den Bann der schwülstig-erotischen Orientfantasien ziehen. Das Gemälde Eine junge Dame, das Bild ihres Liebhabers betrachtend (1773) mag hier als Beispiel stehen. Die gebotene Kürze des Beitrags verbietet es, näher auf Turquerie und Orientalismus in Kunst und Mode des 18. und 19. Jahrhunderts einzugehen; beides wurde in den letzten Jahren durch Kunstbände und Ausstellungskataloge ausführlich vermittelt. Jenseits dieser Modeströmungen hielt aber auch das Interesse an Informationen über Land und Leute im Laufe des 18. Jahrhunderts nicht nur an, sondern steigerte sich. Dementsprechend erschienen während dieses Jahrhunderts weitere Publikationen und speziell in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche, teils aufwendig gestaltete und reich illustrierte Werke, die z. T. aufgrund ihrer Ausstattung nur für wenige leistbar waren. Sie spiegeln aber sehr deutlich das Interesse des Westens am Osmanischen Reich, insbesondere an seiner Hauptstadt, wider. Zunächst soll hier auf einige bedeutende Arbeiten des 18. Jahrhunderts verwiesen werden, darunter eine Beschreibung des osmanischen Militärwesens von Luigi Ferdinando Marsigli (1658–1730) L’État Militaire de L’Empire Ottoman (1732). Die Veröffentlichung stand durchaus noch unter dem Eindruck der Türkenkriege, und ihr Autor rief das christliche Abendland abschließend zur Wachsamkeit auf. Marsiglis Buch ist mit bemerkenswerten Abbildungen versehen, die jenseits der üblichen Klischeebilder vom romantischen Orient einen erstaunlich detaillierten Eindruck vom Militär vermitteln. An dieser Stelle sei es erlaubt, auf ein nicht illustriertes Werk zu verweisen, das aber dennoch zu den bedeutenden Quellen zur Kenntnis des osmanischen Hofes und der Hauptstadt gehört: die Briefe der Mary Wortley Montagu (1689–1762), die als Gattin des britischen Botschafters zwischen 1716 und 1718 in Konstantinopel lebte. Diese umfangreiche Korrespondenz, in der sie ihre Beobachtungen notierte, wurde bereits
ein Jahr nach ihrem Tod in drei Sprachen (Englisch, Französisch und Deutsch) erstmals veröffentlicht (1763). Ihre Briefe zählen nicht nur zu den wichtigsten einschlägigen Quellen des 18. Jahrhunderts, Mary Wortley Montagu war darüber hinaus die erste Frau, der wir authentische Schilderungen aus der Hauptstadt verdanken. Der hohe Stellenwert der Texte für die Geschichte der Osmanen und ihrer Hauptstadt im frühen 18. Jahrhundert wird auch durch zahlreiche Auflagen bis in die Gegenwart sichtbar. Nicht im Kontext von Passarowitz, aber doch nur wenige Jahre danach, erschien die erste Ausgabe des berühmten Architekturwerkes von Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656–1723), der Entwurff Einer Historischen Architectur (Wien, 1721). Er nahm in den dritten Band auch vier Bauwerke aus Konstantinopel auf, darunter drei Moscheen und die antike Yerebatan-Zisterne. Während Fischer seine Stiche in einen weltweiten architekturgeschichtlichen Kontext stellte, bildeten üblicherweise das Osmanische Reich und seine Hauptstadt den Kontext der zunehmend genauer werdenden Darstellungen osmanischer Architektur. Daneben ist aber mehr und mehr zu beobachten, wie spätere Künstler auf bestimmte Topoi zurückgriffen. Insbesondere wurden die Darstellungen des Alltags mehr und mehr zum Klischee, das die Vorstellungen des Westens vom Osmanischen Reich prägte. Dies gilt z. B. für türkische Friedhöfe, tanzende Derwische, Wasserträger, Händler usw., aber immer auch für die Kleidung, wobei hier nicht nur fantasievolle Ansichten die Modeströmungen im Westen beeinflussten. Darüber hinaus waren es bemerkenswert exakte Abbildungen von Hofbeamten, Militärangehörigen, Geschäftsleuten usw., die im Westen ein umfassendes Bild des türkischen Habitus vermitteln sollten. Aus der beträchtlichen Zahl großformatiger Bildbände, die mit kolorierten Stichen ausgestattet waren und nach 1800 erschienen, seien hier nur wenige angeführt. Zunächst sind es zwei farbig illustrierte Foliobände, die im Westen Kenntnisse über türkische Trachten und Uniformen vermitteln sollten: The Costume of Turkey (1802) von Octavien Dalvimart (17??–18??) und The Military Costume of Turkey (1818) von Thomas Charles Wageman (1787–1863). Beide prächtig ausgestatteten Bände fügen sich in eine Reihe ähnlicher Bücher ein, die mit ihrer exakter werdenden Darstellung allgemeinen oder speziellen Themen gewidmet waren oder ein möglichst umfassendes Bild der Hauptstadt und deren Umgebung anstrebten. Zu den Letzteren gehört das wohl berühmteste einschlägige Werk des frühen 19. Jahrhunderts: Antoine Ignace Mellings (1763–1831) Voyage pittoresque de Constantinople et de rives du Bosphore (1819). Der Verfasser versuchte mit einer umfassenden Darstellung der Stadt und des Alltags in Wort und Bild ein möglichst genaues Bild Konstantinopels zu vermitteln. Er verband dabei einerseits alltägliche Szenen mit der Präsentation von Bauwerken (Tafel 22: Markttreiben rund um einen Brunnen in Top Hane), andererseits bezog er sich auf spektakuläre Umzüge (Tafel 19: Türkischer Hochzeitszug). Auf diese Weise erhielten die Betrachter nicht nur vom Alltag losgelöste Impressionen verschiedener Bauwerke, sondern gewannen zumindest teilweise auch einen Eindruck vom alltäglichen Leben. Melling isolierte damit nicht mehr ausschließlich einzelne Gestalten, um Kleidung, Uniformen und Typen zu zeigen. Er galt als ausgezeichneter Kenner der Verhältnisse, lebte einige Jahre in Konstantinopel und war auch als Architekt jahrelang im Dienst von Sultan Selim III (reg. 1789–1807). Melling renovierte in dessen Auftrag einige historische Gebäude, darunter den Palast von Selims Schwester in Ortaköy. Weitere großformatige Ansichtswerke erschienen in den folgenden Jahrzehnten: Zu erwähnen sind insbesondere der im Folioformat gedruckte Prachtband von John Frederick Lewis (1805–1876) mit lithografierten Ansichten (Lewis‘ Illustrations of Constantinople, 1838) sowie das mehrbändige Buch L’orient (1853) von Eugène Flandin
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Interior of the Harem, Plate 1 aus: Lewis’s Illustrations of Constantinople, 1838, Faksimile, ed. by Işil Ateş (www.denizlerkitabevi.com), Istanbul, o. J.
(1809–1889), das unter den insgesamt 200 Lithografien auch zahlreiche Abbildungen von Konstantinopel enthält. Während bei Flandin jedoch die dargestellten Menschen den Charakter einer Staffage haben, meist undeutlich gezeichnet sind und leblos wirken, kann Lewis für sich einen durchaus ethnografischen Quellenwert in Anspruch nehmen: Seine Figuren, eingebunden in die Umgebung der dargestellten Architektur, wirken lebendig und realistisch. Diesbezüglich steht Lewis in der Tradition von Melling bzw. geht über ihn sogar hinaus. Die Darstellung zweier „Haremsdamen“ gleich zu Beginn der Bildfolge über Konstantinopel bekundet aber auch bei ihm ein Zugeständnis an das vorausgesetzte Interesse westlicher Betrachter an den „Geheimnissen“ des Orients. Es ist davon auszugehen, dass keiner der Zeichner je Zutritt zum streng abgeschirmten Harem hatte; genau dies beflügelte die Fantasien westlicher Betrachter zusätzlich. Nach Mellings bedeutender und einflussreicher Veröffentlichung kommt es – parallel zu den Arbeiten von Lewis und Flandin – zu einer neuen und entscheidenden Publikationsphase. In beträchtlicher Anzahl erscheinen nun in England, Frankreich und Deutschland reich illustrierte Bücher in kleineren Formaten, die sich bewusst an ein breiteres Publikum wenden, wenn auch diese Bände ihren elitären Anspruch nicht verleugnen können. Der Reigen beginnt zunächst mit zwei Werken ohne nennenswerte Bildausstattung: Narrative of a Journey from Constantinople to England (1828) von Robert Walsh (1772–1852) und The City of the Sultan (1836) von Julia Pardoe (1806–1862). Sehen wir von den veröffentlichten Briefen Mary Wortley Montagus ab, betritt mit Pardoe erstmals auch eine Frau als Autorin die Bühne der Chronisten des Osmanischen Reiches. Während ihr erstes Buch noch weniger Popularität erlangte, gilt für ihr zweites Werk das Gegenteil: 1838 veröffentlichte sie The Beauties of the Bosphorus, illustriert mit über 80 Stahlstichen nach Zeichnungen von William Bartlett. Etwa zeitgleich (1838/39) erschien ein ähnliches Werk wiederum von Robert Walsh: Constantinople and its Environs, ausgestattet mit über 90 Stahlstichen nach Zeichnungen von Thomas Allom (1804–1872). Beide Werke sollten das ganze 19. Jahrhun-
dert hindurch die Vorstellung der Stadt und der weiteren Umgebung prägen. Betrachtet man die Stahlstiche, so ist einerseits eine weitgehend exakte Darstellung der zentralen Thematik zu konstatieren, andererseits erkennen wir einen deutlich romantischen Zug in den Stichen, der insbesondere durch die Einbindung der Umgebung mit idealisiert gezeichneten Menschen zum Vorschein kommt und der das Orientbild des 19. Jahrhunderts prägte. Dies gilt insbesondere für das Werk von Walsh, das bereits 1841 in deutscher Sprache erschien, und zwar sowohl im Gesamtumfang als auch in einer billigeren und verkleinerten Version mit nur 30 Stichen. Während im deutschsprachigen Raum diese Übersetzungen den Markt beherrschten, erschienen z. B. in Frankreich 1855 zwei weitere mit Abbildungen ausgestattete Werke über Konstantinopel und die weitere Umgebung: La Turquie pittoresque. Histoire – Mœurs – Description von William Alexander Duckett (1805–1873) und Constantinople et la Mer Noire von Joseph Méry (1797–1866). Beide Bücher waren reichlich mit Stahlstichen versehen, die den britischen Veröffentlichungen durchaus nahestanden. Zu den bedeutenden Beschreibungen der Stadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte auch das weit verbreitete Werk Constantinopoli von Edmondo de Amicis (1846–1908). 1878 erschien das italienische Original, bald darauf folgten Übersetzungen in Englisch, Französisch und Deutsch. Bereits vor 1900 waren die Folgeauflagen mit Fotografien illustriert! Besonders die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war aber auch geprägt von einer ernsthaften wissenschaftlichen Hinwendung des Westens zur osmanischen Hauptstadt, die überwiegend der Architektur galt. Die Autoren befassten sich einerseits mit dem byzantinischen Erbe Konstantinopels (z. B. Wilhelm Salzenberg, 1803–1887, Alt-Christliche Baudenkmäler von Constantinopel, Berlin 1854; Charles Jules Labartes, 1797–1880, Le Palais Impérial de Constantinople, Paris 1861), andererseits mit der osmanischen Architektur der Hauptstadt (z. B. Léon Parvillée, 1830–1885, Architecture et décoration turques au XVe siècle, Paris 1874). Der Franzose Parvillée war u. a. als Architekt in Bursa tätig und galt als profunder Kenner der osmanischen Architektur. Erwähnt werden soll hier noch das schon nach 1900 als „Nachzügler“ dieser Architekturstudien erschienene Werk über Die Baukunst Konstantinopels (Berlin 1912) von Cornelius Gurlitt (1850–1938). Eine Sonderstellung innerhalb der Tafelwerke über die osmanische Baukunst nimmt weiters das berühmte Ansichtswerk Aja Sofia, Constantinople von Gaspare Fossati (1809–1883) ein. Der Italiener Fossati wurde 1847 von Sultan Abdulmecid I. (reg. 1839–1861) mit der Restaurierung der Hagia Sofia beauftragt und schuf in diesem Zusammenhang eine Reihe von Zeichnungen, die 1852 in Auswahl als kolorierte Lithografien veröffentlicht wurden. All diese Arbeiten zeugen einerseits vom großen Interesse des Westens an der Architektur der osmanischen Hauptstadt, andererseits auch von konkreten Aufträgen des osmanischen Herrscherhauses an europäische Architekten. Es waren besonders diese Werke, die im Westen ein Bild Konstantinopels jenseits romantischer Orientvorstellungen vermittelten. Von ganz anderen Interessen geprägt war die Reise Erzherzog Johanns von Österreich (1782–1859), die ihn 1837 auch nach Konstantinopel führte. Die von seinem Kammermaler Thomas Ender (1793–1875) während dieses Aufenthaltes angefertigten Skizzen und Aquarelle der osmanischen Hauptstadt sind leider bis heute nur in Teilen publiziert und harren noch einer umfassenden Bearbeitung. In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann die erste Blütezeit des KonstantinopelTourismus, und es galt zunehmend den Bedarf nach Ansichten der Stadt und seiner Umgebung zu befriedigen. Dies traf umso mehr für die Jahre ab 1890 zu, als der Orient-Express durchgehend von Paris nach Konstantinopel fuhr und zusätzliche Gäste in die Stadt brachte. Die rapide zunehmende Zahl an Reisenden führte zu einem
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Pascal Sebah: Kaffeehausszene, Fotografie um 1880 (Original: Sammlung des Autors)
erhöhten Bedarf an Bildern von der Stadt, die als Erinnerung nach Hause mitgebracht werden konnten. Dies wiederum führte zur Produktion erster Souveniralben, die sich – unter weitgehendem Verzicht auf kritische Kontexte – auf die Wiedergabe von Bildern konzentrierten, die nur die Erwartungen der frühen Orienttouristen zu erfüllen hatten. Als eines der ersten dieser Alben erschien bereits 1846 das Album malerischer Ansichten von Konstantinopel und den Inseln des mittelländischen Meeres mit 30 Stahlstichen. Es war naheliegend, dabei eine entsprechende Auswahl vorzunehmen und sich besonders auf die idealisierten Zeichnungen von Thomas Allom zu stützen, von dem fast die Hälfte der Bilder stammte. Es waren nun nicht mehr nur Mode, Musik und Malerei, die Europas Idee vom Orient im 18. Jahrhundert weitgehend bestimmt hatten. Der Orient und besonders die nahe erscheinende Hauptstadt Konstantinopel wurden im Abendland generell zur Projektionsfläche adeliger und bürgerlicher Sehnsüchte. Die Erfüllung dieser Sehnsüchte führte schließlich zu einem rasch steigenden Bedarf an entsprechenden Bildern, die in der Lage waren, den „erwünschten“ Orient zu vermitteln. Die Bildproduktion beschritt aber bald neue Wege, die auch neue Realitäten schuf. Den Beginn der touristischen Nutzung der Fotografie macht wohl das vom Lloyd Triestino um 1860 herausgegebene Album Souvenirs de Constantinople – eine Sammlung von 30 Stahlstichen, die zu einem großen Teil auf Fotografien von James Robertson (1813–1888) zurückgingen, die in den 1850er-Jahren entstanden waren. Die Fotografie hatte Konstantinopel bereits sehr früh erreicht. Kurz nach der Einführung der Daguerreotypie (1839) in Frankreich erreichten die ersten Fotografen die Stadt. Der damalige Sultan Abdulmecid I. zeigte sich an dieser neuen Technologie sehr interessiert, und es kam zu einem raschen Zuzug westlicher Fotografen und zur Eröffnung zahlreicher Fotoateliers, die sich vor allem im europäischen Viertel der Stadt entlang der damaligen Grand Rue de Péra (heute İstiklâl Caddesi) ansiedelten. Nach der Einführung der Fotografie waren es zwar zunächst überwiegend Reisende, die die neue Technik in Konstantinopel anwendeten, aber bereits wenige Jahre nach dem Bekanntwerden der Daguerreotypie ließ sich 1845 Carlo Naya (1816–1882) mit seinem Bruder Giovanni (18??–1857) in der osmanischen Hauptstadt nieder. Die Brüder betrieben ihr Studio bis zum Tod Giovannis, ehe Carlo wieder nach Venedig zurückkehrte. Die beiden befassten sich ausschließlich mit Daguerreotypie, die aber um 1850 schon überholt war und von der Möglichkeit abgelöst wurde, Papierabzüge auf Salzpapier und dann
Detail der Abbildung auf einer Blechdose für Tabakwaren, Ende des 19. Jhs. (Original: Sammlung des Autors)
auch als Albuminprints herzustellen. Während die erste fotografische Technik das Bild nur als Unikat ermöglichte, war es bald darauf möglich, beliebig viele Papierabzüge von einem Negativ zu produzieren. Als einer der wichtigsten frühen Fotografen kann der bereits erwähnte James Robertson gelten, der 1841 nach Konstantinopel kam und hauptsächlich als Graveur für die osmanische Münze tätig war. Seine Arbeit als Fotograf betrieb er als Nebentätigkeit, die ihn aber letztlich berühmt machen sollte. Ab den 1860er-Jahren erfolgte die Ansiedlung weiterer Fotografen, die das heutige Istanbul in vielen Facetten ablichteten: Porträts, Fotos von Moscheen, Straßenzügen, einzelnen Gebäuden und Panoramen, und (zunächst noch meist gestellten) Szenen des Alltags entstanden in großer Zahl. Daneben übte auch der Orientalismus weiterhin eine große Faszination aus. Als Beispiel dafür sei hier auf eine Stereo-Daguerreotypie verwiesen, die eine Frau in lasziver Haltung mit fast entblößter Brust zeigt. Die ersten Fotografen in der Stadt kamen über Westeuropa – unter ihnen heute bekannte Namen wie Pascal Sébah (1825–1886), Vichen (1820–1902), Hovsep (1830–1908) und Kevork Abdullah (1839–1918), die unter der Firmenbezeichnung Abdullah Frère ab 1863 als Hoffotografen für die Sultane Abdülaziz (reg. 1861–1876), Mahmud II. (1876) und Abdülhamid II. (reg. 1876–1909) tätig waren. Als Hoffotografen wirkten auch Vassilaki (Basile) Kargopoulo (1826–1886) und später sein Sohn Konstantin. Mit dem Einzug der Fotografie und der Entwicklung des Fotodrucks erreichten die Bilder der osmanischen Hauptstadt den Westen als erschwingliches Massenprodukt. Von den Fotografen wurden für den Verkauf an die Reisenden eigens Fotoalben mit Originalabzügen produziert, um 1900 dann auch gedruckte Alben und Ansichtskarten in großer Zahl: Sie bezeugen nicht nur den Blick des Westens auf Konstantinopel und dessen Bewohner, sondern auch die große Sehnsucht westlicher Reisender nach dem Orient, den man unverfälscht in der osmanischen Hauptstadt zu finden glaubte. Unzählige Ansichtskarten wurden ab dem Ende des 19. Jahrhunderts gedruckt und von den frühen Touristen verschickt. Das thematische Spektrum umfasste alle nur möglichen Varianten, vom Leporello mit Panoramaansicht oder Einzeldarstellungen bis zu den zahlreich umherstreunenden Hunden, die ebenfalls als Fotomotiv auftauchen. Auch die Wirtschaft griff für Werbezwecke auf bekannte Motive zurück, wie die folgenden Beispiele zeigen: Pascal Sébah verdanken wir das bekannte Foto
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einer Kaffeehausszene, die später nicht nur auf Ansichtskarten auftaucht, sondern u. a. auch auf Zigarettendosen türkischer Provenienz erscheint. Eine österreichische FezFabrik warb u. a. mit einer chromolithografischen Ansicht der Galatabrücke, um damit den Export ihrer Produkte in die Türkei zu forcieren. Zahlreiche Abbildungen widmen sich auch dem Teppichhandel, der bereits im 19. Jahrhundert eine beträchtliche Rolle spielte: Einschlägige Darstellungen von Händlern, Geschäften und Produktionsstätten finden ihren Niederschlag in Fotografien, Ansichtskarten und Büchern und wurden so zu Werbeträgern für den türkischen Teppichmarkt um 1900. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der Blick auf das heutige Istanbul und seine Bewohner nicht zuletzt durch den Friedensvertrag von 1718 radikal veränderte. Die Angst vor dem Fremden, vor dem unbekannten und einst gefürchteten Osmanischen Reich wich einem zunehmend verklärten Blick, der die Welt des Orients mehr und mehr idealisierte und in Form von Turquerie und Orientalismus einen bedeutenden Einfluss auf Literatur, Malerei, Musik und Mode des Okzidents ausübte. Die suggestive Kraft des visualisierten Orients beherrschte das 18. und 19. Jahrhundert hindurch die Vorstellungen der westlichen Gesellschaft. Die gerade im Habsburgerreich intensive wirtschaftliche und dann auch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Türkei blieb zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung im Hintergrund.
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„Alla Turca“ Das türkische musikalische Idiom in der Wiener Klassik Harald Haslmayr
In der legendären Inszenierung von Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail von Jean-Pierre Ponnelle am Opernhaus Zürich im Jahr 1985 bekamen die verdutzten Zuseher zu den Klängen der Ouvertüre folgendes Bild zu sehen: Kaiser Joseph II. – unter dessen Regentschaft die „Entführung“ am 16. Juli 1782 im Wiener Burgtheater nicht zuletzt zur musikalischen Stärkung des aktuell geplanten Bündnisses zwischen Österreich und Russland gegen das Osmanische Reich zur Uraufführung gelangt war –, betrat die Bühne und verkleidete sich zu den Klängen von Mozarts türkischer Musik in den osmanischen Bassa Selim. Die folgende Handlung stellte sich auf der Opernbühne also ausdrücklich aus der Perspektive der aufgeklärt-josephinischen Toleranzideen dar. Diese szenische Interpretation von Mozarts Türkenmusik trifft insofern einen zentralen Nerv im Verhältnis zwischen dem „aufgeklärten Okzident“ und dem „osmanischen Orient“, als sich mit der Rückeroberung Belgrads 1717 und dem Frieden von Passarowitz 1718 eine symptomatische Trendwende abzuzeichnen und in weiterer Folge durchzusetzen begann, nämlich die Ablösung der schieren künstlerischen Angstverarbeitung der unmittelbaren militärischen Bedrohung durch eine raffinierte Ästhetisierung gleichsam „aus der Distanz“. Da es im mitteleuropäischen Raum militärisch nun nicht mehr ständig um Leben und Tod ging, milderte sich die antiosmanische mentale Großwetterlage deutlich ab, was sich in der Wandlung des Feindbildes vom türkischen Antichristen in jenes eines liberalen Sultans deutlich zeigt. Aus dem jahrhundertelangen Angsttrauma, das durch die osmanische Expansion im kollektiven Bewusstsein hervorgerufen worden war, entwickelte sich die sogenannte „Türkenmode“, wie wir sie aus der Architektur, Malerei, Literatur und auch von der Musik kennen: Die lockende Vorahnung der erotisch-exotisch prickelnden Düfte der Welt von tausendundeiner Nacht hielt in Europa Einzug. Die Vertreter der westlichen „Kunstmusik“ waren mit jener der Osmanen allerdings nur peripher vertraut und begnügten sich daher damit, die Militärmusik der Janitscharen in ihre eigene Tonsprache zu adaptieren. So gab es an einigen europäischen Höfen eigene Janitscharenkapellen, und auch in die sich gerade herausbildenden „modernen Orchester“ wurden an markanten Stellen die „türkischen“ Instrumente eingesetzt, im Wesentlichen folgende drei: erstens das Triangel, das in Europa bereits seit dem 14. Jahrhundert belegt ist und charakteristisch silbrige Klänge erzeugt. Erstmals im Kontext eines Orchesters erscheint dieses Instrument 1779 in Christoph Willibald Glucks Iphigénie en Tauride, um die exotische Atmosphäre auf der Krim zu illustrieren; zweitens die Tschinellen der Janitscharen, die kleine, schalenförmige, aus Bronze gegossene Instrumente mit einem tellerartigen Rand waren und dumpfe, aggressive Geräusche produzierten. Diese „türkischen“ Becken wurden ab dem 19. Jahrhundert allerdings von den amerikanischen abgelöst, die jedoch wesentlich größer sind und heller klingen, weil bei ihnen jener Kamelmist fehlt, den die Osmanen der Bleilegierung stets hinzufügten, um den metallischen Klang einzudunkeln. Es ist jammerschade, immer wieder Aufführungen erleben zu müssen, im Zuge derer die Türkenmusik der Wiener Klassiker mit amerikanischen Becken in einem völlig harmlos-anämischem Sound erklingt. Drittens kam der Tamburo grande zum Einsatz, ein anderer Name für die Große Trommel, die im Vergleich zu ihrer beträchtlichen Höhe einen geringen Durchmesser aufweist. Nikolaus Harnoncourt, der Dirigent der eingangs erwähnten Züricher Produktion der Entführung aus dem Serail schreibt: „Der Trommler hat das Instrument quer vor sich und schlägt mit der rechten Hand mit einem schweren keulenartigen Schlegel und mit der linken Hand mit einer Gerte oder Rute. Der Schlag mit der Keule muss trocken und dumpf sein – so, dass er sich genügend deutlich von den gleichzeitig gespielten Pauken abhebt. Die Rute oder Peitsche muss ein hell klatschendes Geräusch
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hervorbringen. Hört man dies Trommel allein, so drängt sich die Assoziation auf, ein Mensch werde geschlagen und ausgepeitscht.“
Zu diesen typischen drei Instrumenten kommt gelegentlich noch die Piccoloflöte, deren Ursprung zwar nicht in der Türkei liegt, deren aggressiv-pfeifender, stechender Klang aber Assoziationen an die Militärmusik hervorruft. Die bereits angedeutete Wandlung des antichristlichen Feindbildes des Türken zum liberalen Sultan lässt sich exemplarisch an den Süleyman-Opern ab der Mitte des 18. Jahrhunderts belegen. Dessen Tod vor Szigetvár in Ungarn im Jahr 1566 sollte bekanntlich nicht nur den ungarisch-nationalistischen Zriny-Mythos speisen, denn der prächtige Sultan avancierte schon im 18. Jahrhundert zu einer Art Kultfigur auf der europäischen Opernbühne, wie folgende Kompositionen beweisen: Johann Adolf Hasses Solimano II (Dresden 1753), Paul-César Giberts Soliman le second (Paris 1761), David Perez’ Solimano (Lissabon 1768), Giuseppe Sartis Soliman den anden (Kopenhagen 1770), Joseph Martin Kraus’ Soliman II. eller De tre sultaninnorna (Stockholm 1789, diese Oper enthält die berühmte „Marcia dei Giannizzari“) und des Mozart-Schülers Franz Xaver Süßmayr Soliman der Zweite oder die drei Sultaninnen (Wien 1799). Den ersten ästhetischen Höhepunkt des Genres Türkenoper markiert La Rencontre imprévue oder Die Pilger von Mekka von Christoph Willibald Gluck (Wien 1764), dessen Libretto elf Jahre später auch von Joseph Haydn für das Opernhaus in Eszterháza (Fertőd) vertont werden sollte. Bis heute im Repertoire gehalten hat sich ohne Unterbrechung Die Entführung aus dem Serail („Alles unser Bemühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die ‚Entführung aus dem Serail‘ schlug alles nieder.“ – J. W. v. Goethe, Italienische Reise, November 1787), für deren Ouvertüre – die als ein Minidrama im Kampf der Kulturen gehört werden kann – Nikolaus Harnoncourt eine überaus plastische Beschreibung gefunden hat: „Als dann aber Mozart und Haydn die türkischen Instrumente einsetzten, kamen völlig neue human-ethische Momente hinzu; das nette Prickeln und das bloß modische Spiel waren nicht ihre Sache. In der Natur der Schlaginstrumente ist Konfrontation, ja Aggression: es gibt immer jemanden f ü r und jemanden g e g e n den getrommelt wird. Die Hörer der ‚Entführung‘ müssen zutiefst erschrocken sein als nach acht freundlich erregten C-Dur-Takten im piano plötzlich das unerbittliche militärisch brutale Arsenal der türkischen Instrumente losbrach. Es wird klanglich ein Ort geschildert, an dem Menschen geschlagen werden, ein Ort des Schreckens. Unmittelbar und unerwartet folgt der c-moll-Mittelteil der Ouvertüre, musikalisch hoffnungslos den Text der ersten Ariette Belmontes vorwegnehmend: H i e r soll ich dich den sehen – also da, wo die Brutalität herrscht, wo Menschen geschlagen werden. Dieser Mittelteil wird wie eine zarte Pflanze von den beiden C-Dur-Blöcken gleichsam zermalmt, zerschlagen. Nachdem das Triangel wie eine letzte Drohung verklungen ist, erklingt nun die Melodie des Mittelteiles in C-Dur, die Betonung liegt jetzt auf ,s e h e n‘, Wiedersehen, auch musikalisch voll Hoffnung.“
Immer wieder kam Mozart auf das Idiom alla turca zurück, wie es der letzte Satz der A-Dur-Klaviersonate KV 331, das „Trio alla turca“ aus dem A-Dur-Violinkonzert oder das Opernfragment Zaide, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen, anschaulich illustrieren. In Joseph Haydns Symphonie Nr. 100 G-Dur, der sogenannten „Miltärsymphonie“, die er für seinen zweiten London-Aufenthalt 1794/95 komponiert hatte, findet sich der heftigste Affektkontrast, den die Tonsprache der Wiener Klassiker auszudrücken vermochte: Im langsamen Satz komponiert Haydn eine abendlich-pastorale Idylle tiefsten Friedens – wir vernehmen dies am gutmütigen Gedudel von Oboe, Klarinette, Fagott und Horn, d. h. der klassischen Serenadenbesetzung –, ein Abendbild mild-leuchtenden
Notenbeispiel 1, Mozart
Notenbeispiel 2, Haydn
Notenbeispiel 3, Beethoven
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Friedens im Stil von Claude Lorrain. Genau in diese kontemplative Stimmung kracht nun aus heiterem Himmel ein C-moll-Schlag des vollen Orchesters, verstärkt durch die drei türkischen Instrumente Triangel, Becken und Große Trommel – reine Geräuschinstrumente, wie wir bereits wissen. Dieser destruktive Schock des Lärmhaft-Gewaltsamen wurde bereits von den Zeitgenossen überaus drastisch wahrgenommen: So berichtet J. F. Reichhardt 1803 aus Paris, die Trommel sei „recht hoch frei aufgehängt, damit sie frei durch den Saal schallen solle und in die ein Kerl aus Leibeskräften hineinschlug“, und hatte überdies den Eindruck von einer „unausstehlich starken Janitscharenmusik“. Doch Haydn gibt sich mit diesem musikalischen „Einhieb“, wie Heimito von Doderer es formuliert hätte, noch keineswegs zufrieden: Nachdem sich der türkische Marsch schwerfällig über das devastierte Land gewälzt hat, kommt er nach und nach zum Stehen. Der Satz müsste eigentlich hier schließen, doch in diese unheimliche Stille platzen auf einmal knatternde Triolen der Solotrompete als ein so roher wie unerbittlicher Ruf zum Militär; der Krieg hat nun endgültig alle Zuhörer erfasst. Die nun folgende Reaktion ist die gewiss radikalste Stelle der gesamten Wiener klassischen Musik: Ein Pianissimo-Paukenwirbel mündet nach zwei Crescendo-Takten in einen FortissimoAufschrei des gesamten Orchesters, der jäh die drei konstituierenden Parameter der abendländischen Musik gewaltsam niederreißt. Es gibt nämlich weder eine erkennbare Harmonie noch einen feststellbaren Rhythmus, geschweige denn eine Melodie – sechs Takte lang röhrt die Musik ihr Entsetzen hinaus. Was noch folgt, ist ein banges Nachspiel von nur mehr wenigen Takten, ein ratloses Nachbeben. Es dürfte sich kaum ein besseres Beispiel dafür finden, was die französische AnnalesSchule als das mentalitätsgeschichtliche Phänomen der longue durée herauszuarbeiten versuchte: Beinahe ein Jahrhundert nach der unmittelbaren militärischen Bedrohung des „habsburgischen Mitteleuropa“, die mit dem Frieden von Passarowitz endete und im „Kleinen Türkenkrieg“ von 1788/91 nur mehr ein fernes Nachspiel fand, war die Semantik der türkischen Instrumente nicht nur noch immer vollkommen verständlich, sondern auch in der Lage, radikale Affektkontraste nicht nur zu illustrieren, sondern aus eigener Kraft herzustellen. Und so kommen wir abschließend im Wiener Kärntnertortheater an, wo am 7. Mai 1824 die Uraufführung von Ludwig van Beethovens IX. Symphonie in einem rasenden bacchantischen Taumel, begleitet von den drei türkischen Instrumenten, enden sollte. Doch auch hier benutzte Beethoven, der sich bereits in seiner Komposition Ruinen von Athen op. 113 aus dem Jahr 1811 mit dem „Tanz der Derwische“ und der „Marcia alla turca“ als souveräner Kenner des türkischen Idioms erwiesen hatte, die türkischen Instrumente nicht als exotischen Aufputz, sondern platzierte sie ins Zentrum des Finalsatzes: Nach der großen Fermate des Chores auf „Und der Cherub steht vor Gott“ schreibt Beethoven eine Generalpause: Was könnte nach der mystischen Gottesschau jetzt noch kommen? Zur allergrößten Überraschung intonieren Fagotte, Kontrafagott und die große Trommel in geradezu bruitistischer Grobheit einen singulären Sturz ins Irdische, der nach und nach Marschcharakter annimmt und nach zwölf Takten durch Triangel und Becken verstärkt wird: Die Zuhörer geraten unvermittelt mitten in einen türkischen Marsch, den Beethoven bereits in den allerfrühesten Skizzen als „türkische Musik“ charakterisiert hatte. Dieser führt in den trunkenen Schlachtengesang des Tenors („Froh wie seine Sonnen fliegen durch des Himmels prächt’gen Plan, laufet, Brüder, eure Bahn, freudig, wie ein Held zum Siegen“). Ja, wir hören richtig – diese epochale Einssetzung der sphärenharmonisch fliegenden Sonnen mit einem bacchantisch aufgeputschten, kriegerischen Hymnus erklingt mittels „türkischer“ Instrumente, die das summum opus dann auch beschließen.
Genau zu dieser Zeit komponierten Gioacchino Rossini (Il Turco in Italia, L’taliana in Algeri) oder Carl Maria von Weber (Abu Hassan, Oberon) weiter im Genre der Türkenoper, doch haben wir es dabei bereits mit Nachspielen einer Entwicklung zu tun, deren vier Etappen man holzschnittartig etwa so resümieren könnte: 1. Vom Beginn der Türkenkriege bis zum Frieden von Passarowitz aggressive Gegenpropaganda, 2. durch die Jahrzehnte bis zur Entführung aus dem Serail Ästhetisierung und Exotisierung im Zusammentreffen mit den Ideen der Aufklärung, 3. bei den drei Wiener Klassikern Vordringen zu drängend existenziell-humanen Botschaften im Umkreis von Kriegs- und Gewalterfahrungen und schließlich 4. romantisierender Ausklang im Stil von Tausendundeiner Nacht.
Ausgewählte Literatur Nikolaus Harnoncourt, „Bemerkungen zu dieser Aufführung von Mozarts Entführung aus dem Serail“, Beiheft zur Schallplatten- Gesamtaufnahme, TELDEC 1985. Harald Haslmayr, Joseph Haydn. Werk und Leben, Wien 1999. Die Steiermark. Brücke und Bollwerk, Katalog zur Steiermärkischen Landesausstellung auf Schloss Herberstein 1986, Graz 1986.
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Passarowitz und die Anfänge der Orientalistik in Österreich Hannes Galter
Die Orientalistik entwickelte sich im Habsburgerreich anders als beispielsweise in Frankreich oder Deutschland. Die direkte Nachbarschaft zum Osmanischen Reich schuf gänzlich andere Voraussetzungen, denn der machtpolitische Konkurrenzkampf der beiden Reiche führte in Kriegs- wie in Friedenszeiten zu intensiven direkten Kontakten und einem lebhaften interkulturellen Austausch. Der Friede von Passarowitz vom 21. Juli 1718 beendete den Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieg und normalisierte die Kontakte zum Osmanischen Reich. Es kam zum Austausch von Gesandtschaften, Handelsverträge wurden abgeschlossen und Wirtschaftstreibende genossen freien Zugang zu den Märkten. All dies verlangte nach gut ausgebildeten Dolmetschern und Übersetzern für den diplomatischen Dienst. Sprachbegabte junge Männer wurden daher zur Ausbildung nach Konstantinopel geschickt (siehe den Beitrag von Michaela Wolf und Clara Schmickl-Reiter in diesem Band). Die Orientalische Akademie Aufgrund der aus Wiener Sicht inakzeptablen Assimilation und „Orientalisierung“ dieser „Sprachknaben“ trat Wenzel Anton Graf Kaunitz 1753 mit dem Vorschlag an Maria Theresia heran, die Ausbildung in Wien, in einer Zweigstelle der neu geschaffenen Hof-und Staatskanzlei, selbst durchzuführen. Die Regentin griff diese Idee auf und gründete am 1. Jänner 1754 die „Kaiserlich-königliche Akademie für orientalische Sprachen“. Dort sollten angehende Diplomaten und Beamte die vorderasiatischen Verkehrssprachen Türkisch, Arabisch und Persisch sowie ihre europäischen Äquivalente erlernen und „in allen Wissenschaften, die sie zur Bewahrung der kommerziellen und politischen Interessen Österreichs im Oriente geschickt machen möchten, von eigens dazu bestellten Lehrern unterrichtet und gebildet werden.“ Nach einer fünfjährigen Ausbildung sollten die Absolventen als Dolmetscher, Diplomaten, Beamte in levantinischen Seehäfen oder Konsuln in den Grenzprovinzen am Balkan eingesetzt werden. Die Umsetzung des ehrgeizigen Projekts legte Maria Theresia in die Hände des ersten Direktors, des Jesuiten-Paters Joseph Franz (1704–1776). Er war der Erzieher des späteren Kaisers Joseph II. und beherrschte Türkisch aus seiner Zeit als Sekretär des Gesandten Anton Graf Uhlfeld in Konstantinopel. Von 1785 bis 1883 war die Akademie im Jakoberhof in der heutigen Riemergasse in Wien beheimatet, in unmittelbarer Nähe der alten Universität. Erst danach zog sie in den Gartentrakt des Theresianums. Die Zöglinge, die in der Regel mit elf oder zwölf Jahren ihren Unterricht begannen, waren einem fast klösterlichen Tagesablauf unterworfen und mussten ein hohes Arbeitspensum absolvieren. Sie hatten an der Akademie Kost und Unterkunft, durften diese nur zu bestimmten Zeiten verlassen und konnten nur zu festgesetzten Terminen Besuch empfangen. Es gab einen eigenen Friseur, medizinische Versorgung, ein Billardzimmer, eine Sporthalle und eine Bibliothek. Das Projekt war so erfolgreich, dass das Habsburgerreich am Ende des 18. Jahrhunderts alle notwendigen Ämter mit eigenen, gut ausgebildeten Beamten besetzen konnte. Dies förderte nachhaltig die Beziehungen zum Osmanischen Reich und es ist nicht verwunderlich, dass die erste osmanische Botschaft in Europa 1791 in Wien eingerichtet wurde. An der Akademie fand aber nicht nur Unterricht statt, sondern es wurden auch orientalistische Studien betrieben. 1780 kam es unter der Direktion von Franz Höck zu einer Neuauflage des Wörterbuchs orientalischer Sprachen von Franz de Mesgnien-Meninski (1624–1698).
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Titelbild des Wörterbuchs von Mesgnien-Meninski (Privatbesitz)
Dieser hatte ab 1671 unter Leopold I. als kaiserlicher Dolmetsch am Wiener Hof gearbeitet und zwischen 1680 und 1687 das monumentale Werk Thesaurus linguarum orientalium herausgegeben. In fünf Bänden umfasste es Wörterbücher der türkischen, arabischen und persischen Sprache, ins Lateinische übertragen, eine türkische Grammatik samt Lehrbuch sowie ein lateinisch-türkisches Wörterverzeichnis. Das Werk stellte einen Meilenstein der frühen Orientalistik dar und markierte gleichzeitig den Beginn der wissenschaftlichen Befassung mit dem Orient in Österreich. Die Neuauflage des Werks stand unter der Leitung von Bernhard von Jenisch (1734–1807), einem der ersten acht Absolventen der Orientalischen Akademie. Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall Auch der wichtigste Pionier der österreichischen Orientwissenschaften, Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (1774–1865) wurde an der Orientalischen Akademie ausgebildet. Er kam als ältestes von zehn Kindern eines Gubernialbeamten in Graz zur Welt. Der Vater stammte aus kleinen Verhältnissen und hatte sich als Landesbeamter hochgearbeitet. 1788 fand Hammer Aufnahme in der Orientalischen Akademie. Nach einer kurzen Episode als Dolmetscher in Konstantinopel wurde er 1801 nach Ägypten entsandt und nahm an den Verhandlungen zwischen Osmanen, Engländern und Franzosen teil, die den Ägyptenfeldzug Napoleons beendeten. Danach kehrte Hammer als Legationssekretär nach Konstantinopel zurück. Doch bereits 1806 schickte man ihn nach Jassy in die Moldau, von wo er im folgenden Jahr nach Wien zurückgerufen wurde. Den Orient sollte er nie mehr betreten.
Joseph von Hammer-Purgstall, Stich von Thomaso Benedetti (UMJ)
Meinungsverschiedenheiten mit Clemens Fürst Metternich machten eine weitere diplomatische Karriere Hammers unmöglich. Seine Beamtenlaufbahn verlief ohne große Höhepunkte. 1811 wurde er zum Hofdolmetsch ernannt und durfte 1819 die persische Gesandtschaft, die auf dem Weg nach London in Wien Station machte, diplomatisch betreuen. Damit hatte er die Spitze seiner Karriereleiter erreicht. Dafür begann eine unglaubliche wissenschaftliche Schaffensperiode, die über 700 Publikationen, davon 69 Bücher, zahllose Aufsätze, Übersetzungen in und aus orientalischen Sprachen sowie eigene literarische Werke hervorbrachte. Seine wissenschaftlichen Arbeiten umfassten historische Schriften, philologische und literaturhistorische Arbeiten sowie staatsrechtliche und kulturhistorische Werke. Seine zehnbändige Geschichte des Osmanischen Reiches, 1833 erschienen, ist und bleibt ein Standardwerk, das auch ins Türkische übersetzt wurde und bis heute verlegt wird. Es waren vor allem Hammers Übersetzungen, die einen Brückenschlag zwischen den Kulturen bewirkten. Seine Übertragung von Hafis Diwan aus dem Persischen ins Deutsche war die erste Gesamtübersetzung überhaupt; ihre Bedeutung beruht vor allem darauf, dass sie dieses Meisterwerk orientalischen Literaturschaffens einem großen Kreis europäischer Leser zugänglich machte. Sie inspirierte auch Johann Wolfgang von Goethe zu seiner letzten großen Gedichtsammlung, dem West-östlichen Divan. Zwischen 1809 und 1818 gab Hammer die Fundgruben des Orients heraus, die in erster Linie der Veröffentlichung arabischer, türkischer, persischer und kurdischer Literatur dienten. Dazu kamen Arbeiten zur arabisch-islamischen Welt und zu den Kulturen der Osmanen, Juden, Perser, Inder und Chinesen. Verschiedene Wissenschafter befassten
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sich mit den Schriften des alten Ägyptens bzw. mit der babylonischen Keilschrift. Hammer selbst beschäftigte sich eingehend mit der Darstellung des ägyptischen Totengerichts, der deutsche Arzt Ulrich Jasper Seetzen veröffentlichte die ersten altsüdarabischen Inschriften aus dem Jemen. Unter den Autoren der Fundgruben findet sich auch Claudius James Rich, der 1811 als erster Europäer Grabungen in Babylon durchführte. Bereits zwei Jahre später konnte er diese in den Fundgruben publizieren. Durch diese Publikation wurden die Funde, kaum dass sie in Europa angelangt waren, der wissenschaftlichen Welt zugänglich gemacht und gaben gleichsam den Auftakt für eine intensive Beschäftigung mit dem Alten Orient. Aus Dankbarkeit überließ Rich dem österreichischen Kaiserhaus die Hälfte seiner Sammlung: 17 mesopotamische Siegel gingen an das kaiserliche Kabinett in Wien und 42 Siegel an das neu gegründete Joanneum in Graz. Die Fundgruben formierten ein internationales Netzwerk an Forschern aus ihrem Umfeld, verschafften Hammer internationalen Ruf und führten darüber hinaus zu einem Popularitätsschub der jungen Wissenschaft. Die Akademie der Wissenschaften Hammers letzter wichtiger Impuls war die Gründung der Akademie der Wissenschaften in Wien. Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte Gottfried Wilhelm Leibniz die Errichtung einer gelehrten Gesellschaft in Wien nach dem Vorbild der Royal Society in England oder der von ihm selbst ins Leben gerufenen Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften angeregt. Der Plan kam aber – genauso wie spätere Versuche durch Johann Christoph Gottsched oder Max Hell – infolge finanzieller Schwierigkeiten des Kaiserhauses nicht zur Ausführung. 1810 griff Joseph Freiherr Hormayr von Hortenburg (1781/82–1848) den Gedanken einer Akademie der Wissenschaften in Wien wieder auf. Er zog neben Friedrich Schlegel auch Joseph von Hammer zu den Beratungen hinzu. Hammers Ernennung zum Hofdolmetsch im folgenden Jahr machte aus ihm eine zentrale Figur dieses Vorhabens. Es sollte allerdings noch Jahrzehnte dauern, bis sich ein Erfolg einstellte. Die Sache drohte lange am Widerstand der Staatspolizei und an der Interesselosigkeit Kanzler Metternichs zu scheitern. Im Dezember 1845 unternahmen Hammer und der Botaniker Stephan Endlicher einen letzten Versuch. Inzwischen hatte sich auch die Regierung selbst mit der Gründung einer Akademie angefreundet, einen Plan ausgearbeitet und die Zustimmung des Kaisers erhalten. Am 14. Mai 1847 erfolgte die Gründung der „Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien“ durch ein Patent Kaiser Ferdinands, und im Juni wurde Joseph von Hammer zum Präsidenten gewählt. Sein größtes Anliegen, die Zensurfreiheit, blieb jedoch unerfüllt. Bald schon übernahm die Akademie weitgesteckte Forschungsaufgaben. Im Bereich der Geisteswissenschaften begann sie mit der Erforschung und der Herausgabe wichtiger österreichischer Geschichtsquellen (z. B. die Quellenedition Fontes rerum Austriacarum). Sie leitete archäologische Ausgrabungen entlang des römischen Limes und führte Forschungsreisen nach Kleinasien, Süd-Arabien und Nubien durch. Gerade im ersten Jahrzehnt trat die Akademie mit Pionierleistungen wie der Gründung der Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus im Jahr 1851 oder der Erdumsegelung der „Novara“ im Jahr 1857 hervor.
Hammers eigenwillige Art führte immer wieder zu Konflikten mit den anderen Präsidiumsmitgliedern. Er sah sich gezwungen, am 28. Juni 1849 sein Präsidentenamt niederzulegen. Der Institution blieb er aber weiter verbunden. Er verfasste etwa 50 wissenschaftliche Arbeiten in den Schriften der Akademie und hielt bei der zweiten feierlichen Sitzung am 2. Mai 1852 einen viel beachteten Festvortrag „Über Vielsprachigkeit“. Hammer starb am 23. November 1856 in Wien und wurde auf dem Friedhof von Weidling bei Klosterneuburg beigesetzt. Auch nach Hammers Tod wurden die orientalistischen Forschungen an der Akademie weitergeführt. Alfred von Kremer legte eine umfangreiche Studie über islamische Reiche vor und führte Hammers Sammlung orientalischer Handschriften fort. Der gebürtige Grazer Joseph Ritter von Karabacek (1845–1918) gilt als Neubegründer der arabischen Paläografie. Er veröffentlichte schon mit 20 Jahren seine ersten Artikel zur orientalischen Numismatik und entzifferte die 1881–1883 durch Erzherzog Rainer erworbenen ägyptischen Papyri aus El-Faijum. Er wurde 1888 zum wirklichen Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften gewählt und arbeitete ab 1898 als Sekretär der philosophisch-historischen Klasse. In dieser Funktion gehörte er gemeinsam mit Leo Reinisch der Südarabischen Kommission an, die zur Vorbereitung der Südarabien-Expedition der Akademie gegründet wurde. Diese zwischen November 1898 und April 1899 durchgeführte Forschungsreise stand jedoch von Beginn an unter keinem guten Stern. Die k. k. Marine konnte kein passendes Schiff zur Verfügung stellen, der ursprüngliche Plan einer Erforschung der antiken Hauptstadt des Hadramaut, Schabwa, wurde von den lokalen Behörden verhindert, und die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Leitern der Expedition, David Heinrich Müller und Carlo Graf Landberg, führten zu einem frühzeitigen Ende des Unternehmens. Dennoch erbrachte es zahlreiche wissenschaftliche Ergebnisse, allen voran die erste Dokumentation der sogenannten Mahra-Sprachen Mehri, Schauri und Soqotri, überlebende Reste der altsüdarabischen Sprachen. Orientalistik an österreichischen Universitäten Mit David Heinrich Müller betreten wir den Boden der universitären Erforschung des Orients. Diese begann in Österreich erst relativ spät, im Rahmen der Neugestaltung des Universitätswesens nach 1848, als das Lehrfach „Vergleichende Sprachforschung, Orientalische Philologie und Altertumskunde“ an der Wiener Universität eingerichtet wurde. Zwar fanden schon vorher Lehrveranstaltungen über orientalische Sprachen statt, doch erst in den 1860er-Jahren setzte die erste Blütezeit der österreichischen Orientalistik ein. 1872 wurde Eduard Sachau ordentlicher Professor für semitische und orientalische Sprachen in Wien. Er setzte als Erster methodisch-didaktische Prinzipien im ArabischUnterricht ein. Bei ihm begann auch David Heinrich Müller seine Sprachstudien. Er hatte darüber hinaus auch bei dem großen deutschen Orientalisten Theodor Nöldeke in Straßburg studiert. Als dieser 1879/80 den Ruf an die Wiener Universität ablehnte, erhielt Müller die dafür ausgeschriebene Stelle. Er begründete 1886 das Orientalische Institut an der Universität Wien. Dass es über diesen Akt kaum Unterlagen gibt, dürfte mit dem eher zufälligen Charakter dieser Gründung zu tun haben. Im Jänner 1886 fand der 7. Internationale Orientalisten-Kongress in Wien statt, und das Organisationskomitee erhielt von der Universität dafür Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Diese wurden dann im März desselben
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Jahres in das „Orientalische Institut“ umgewandelt und mit einer Jahresdotation ausgestattet, die den Aufbau einer Fachbibliothek und die Herausgabe der Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes ermöglichte. Der Lehrplan umfasste neben historischen und kulturkundlichen Lehrveranstaltungen auch Unterricht in Arabisch, Türkisch, Sanskrit, Hebräisch, Aramäisch, Äthiopisch, Syrisch, Assyrisch-Babylonisch, Sabäisch, Altägyptisch und Koptisch. David Heinrich Müllers besonderes Interesse galt Südarabien, und hier vor allem den epigrafischen Denkmälern. Gemeinsam mit Alfred Jahn konnte er 1898/99 auf der Südarabien-Expedition der Akademie der Wissenschaften zahlreiche Texte aufnehmen und einen Einheimischen zu Sprachstudien nach Wien mitnehmen. Seine altsüdarabischen Studien wurden in der Folge von seinem Schüler Nikolaus Rhodokanakis und dessen Schülerin Maria Höfner in Graz weitergeführt. Nikolaus Rhodokanakis (1876–1945) wurde in Alexandria geboren und erhielt seine Schulbildung in Triest. An der Universität Wien studierte er zuerst Rechtswissenschaften, wechselte aber nach einem Semester zur philosophischen Fakultät, wo er neben klassischer und semitischer Philologie auch Kunstgeschichte, Ägyptologie und islamische Geschichte studierte. Anschließend an seine Ausbildung war Rhodokanakis als unbesoldeter Volontär in der k. k. Hofbibliothek tätig. 1903 habilitierte er sich in Wien für semitische Philologie und übernahm im folgenden Jahr die neu geschaffene Lehrkanzel an der Universität Graz. Er spezialisierte sich auf die südsemitischen Sprachen Altsüdarabisch und Äthiopisch und beteiligte sich ab 1911 auf Anregung seines Lehrers David Heinrich Müller an der Edition des umfangreichen wissenschaftlichen Nachlasses von Eduard Glaser. Glaser war ebenso Schüler von Müller und unternahm ab 1880 eigenständig Forschungsreisen nach Südarabien. Von seinen vier Expeditionen brachte er zahllose archäologische Pläne, epigrafische Umzeichnungen und Abklatsche von Inschriften mit. Nach Glasers Tod erstand die Akademie der Wissenschaften in Wien seinen umfangreichen Nachlass und beauftragte David Heinrich Müller mit deren wissenschaftlicher Edition. Nach Müllers Tod führte Nikolaus Rhodokanakis diese Arbeiten, wie von Müller gewünscht, fort. Damit wurde er zum Begründer der Sabäistik als eigenständige Forschungsdisziplin.
Ausgewählte Literatur Wolfdieter Biel, Orientalistik an der Universität Wien. Forschungen zwischen Maghreb und Ost- und Südasien. Die Professoren und Dozenten, Wien 2009. Hannes D. Galter, „Fundgruben des Orients. Die Anfänge der Orientforschung in Österreich“, in: Hannes D. Galter, Siegfried Haas (Hg.), Joseph von Hammer-Purgstall. Grenzgänger zwischen Orient und Okzident, Graz 2008, S. 87–102. Hannes D. Galter, „Joseph von Hammer-Purgstall und die Anfänge der Orientalistik“, in: Karl Acham (Hg.), Kunst und Geisteswissenschaften aus Graz. Werk und Wirken überregional bedeutsamer Künstler und Gelehrter: vom 15. Jahrhundert bis zur Jahrtausendwende, Wien, Köln, Weimar 2009, S. 457–470. Hermann Hunger, „Orientalistik“, in: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften, Bd. 4, Geschichte und fremde Kulturen, Wien 2002, S. 467-480. Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein, „Die Orientalische Akademie in Wien. Vorbild für die Nachfolgenden: Konsularakademie und Diplomatische Akademie“, in: Hannes D. Galter, Siegfried Haas (Hg.), Joseph von Hammer-Purgstall. Grenzgänger zwischen Orient und Okzident, Graz 2008, S. 175–182. Oliver Rathkolb (Hg.), 250 Jahre: Von der Orientalischen zur Diplomatischen Akademie in Wien, Innsbruck 2004. Erich Schlöss, „Von den Sprachknaben zu den Anfängen der Orientalischen Akademie“, in: Wiener Geschichtsblätter 56 (2001), S. 70–76. Gertraud Sturm, David Heinrich Müller und die südarabische Expedition der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 1898/99 (= Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse der Akademie der Wissenschaften in Wien 480), Wien 2015. Victor Weiss von Starkenfels, Die kaiserlich-königliche orientalische Akademie zu Wien, ihre Gründung, Fortbildung und gegenwärtige Einrichtung, Wien 1839. Marie de Testa, Antoine Gautier, „L'Académie Orientale de Vienne, 1754–2002, une création de l'Impératrice Marie-Thérèse et Liste des jeunes de langues d'Autriche (1719–1903)“, in: Marie de Testa, Antoine Gautier (Hg.), Drogmans et diplomates européens auprès de la Porte ottomane (= Analecta Isisiana, Bd. 71), Istanbul 2003, S. 53–75. Sybille Wentker, „Orientalistik in Wiener Zeitschriften“, in: Christine Ottner, Gerhard Holzer, Petra Svatek (Hg.), Wissenschaftliche Forschung in Österreich 1800–1900: Spezialisierung, Organisation, Praxis, Göttingen 2015, S. 197–214.
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Die Reise Erzherzog Johanns nach Südrussland, Konstantinopel und Griechenland im Jahr 1837 Daniel Modl
Am 19. Juni 1837 wird Erzherzog Johann (1782–1859) ein Handbillet vom österreichischen Monarchen Ferdinand I. (reg. 1835–1848) übergeben, das ihn anweist, seinen kaiserlichen Neffen bei Großmanövern in der südrussischen Steppe zu vertreten, daraufhin den Zaren auf die Krim zu begleiten und den Rückweg auf See über Konstantinopel und Griechenland anzutreten. Da die militärischen Übungen bereits Ende August beginnen sollten, fing der Wiener Hof umgehend mit den Reiseplanungen und -vorbereitungen an: Sie begannen mit der Anforderung von Geldmitteln, Reisewagen und des damals modernsten Kriegsschiffes der österreichischen Marine, des Raddampfers „Marianne“, setzten sich in einem minutiösen Entwurf des Reiseprogramms und der Benachrichtigung der diplomatischen Vertretungen in Konstantinopel und Athen fort und fanden einen vorläufigen Abschluss in der Auswahl des unmittelbaren Gefolges des Erzherzogs und der militärischen Repräsentanten. Da Erzherzog Johann von Kindheit an gewohnt war, Aufzeichnungen zu führen, existiert von dieser Reise ein 668-seitiges Tagebuch aus seiner Hand, das im Steiermärkischen Landesarchiv in Graz aufbewahrt wird und eine lückenlose Rekonstruktion von Ablauf und Route erlaubt. Insgesamt sollte Erzherzog Johann im Zuge dieser Reise über 5.000 km auf dem Land- und Seeweg zurücklegen, wobei zwischen seiner Abfahrt in Wien am 22. August und seiner Rückankunft in Triest am 20. November lediglich 91 Tage lagen. Ergänzt wird das Reisetagebuch des Erzherzogs durch 337 Aquarellblätter, die dramatische Ereignisse, Sehenswürdigkeiten, Stadtansichten sowie Berg- bzw. Küstenpanoramen zeigen. Sie wurden zum größten Teil von seinem mitgereisten Kammermaler Thomas Ender (1793–1875) angefertigt und befinden sich heute im Privat besitz der Familie Meran. Als Erzherzog Johann am 22. August seine 6-spännige Kutsche bestieg, war er sich der politischen Brisanz seiner Reise wohl bewusst, denn er war nicht nur offizieller Repräsentant des österreichischen Kaiserstaates in Russland, beim Sultan an der Hohen Pforte und im jungen Königreich Griechenland, sondern auch Vertreter der vitalen Interessen der Habsburgermonarchie am Balkan. Die politische Lage war höchst angespannt, da die Griechen erst wenige Jahre zuvor in einem blutigen Krieg ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erkämpft hatten, der „kranke Mann am Bosporus“ nun mehr als nur ein persiflierendes Sprichwort zu sein schien und das Zarenreich in das entstandene Machtvakuum drängte. Am Ballhausplatz war man dagegen an der Eindämmung des russischen Einflusses und am Erhalt des Mächtegleichgewichts in Südosteuropa interessiert, und Staatskanzler Klemens Wenzel von Metternich (1773– 1859) sah in Erzherzog Johann einen passenden Vertreter des Kaiserhauses, der über genug Autorität verfügte, um in der Region zum Wohle des Kaisertums Österreich diplomatisch zu agieren, jedoch aufgrund seiner politischen Bedeutungslosigkeit bei Frankreich und England kein Misstrauen zu erregen. Von Wien aus gelangte Erzherzog Johann über Brünn/Brno, Olmütz/Olomouc, Lemberg/ Lviv, Brody und Uman am 3. September nach Wosnessensk, wo ihn eines der größten Manöver der damaligen Zeit mit mehreren Zehntausend Soldaten erwartete, an dem auch Abordnungen aller europäischen Heere mit Ausnahme Frankreichs und Spaniens teilnahmen. In den nächsten zwei Wochen folgte ein dicht gedrängtes Programm aus militärischen, politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, zu denen Erzherzog Johann mehrmals selbst von Zar Nikolaus I. (1796–1855) abgeholt wurde und dabei Gelegenheit zu mehreren Gesprächen mit ihm hatte. Dieser persönliche Kontakt mit dem Zaren intensivierte sich im Verlauf der Weitereise über Nikolajev/ Mykolajiv, Odessa, Sewastopol und Jalta, als Erzherzog Johann u. a. die Zarenfamilie im Residenzpalast der Khane, im Baktschi-Sarai/Bachtschyssaraj, besuchte oder mit
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der russischen Kaiserin die mittelalterliche Festungsstadt Tschufut-Kale/Çufut Qale besichtigte. Als passionierter Bergsteiger verzichtete Erzherzog Johann auch nicht auf die Besteigung des zweithöchsten Gipfels des Krimgebirges, des Tschatirdag/ChatyrDag. Am Morgen des 1. Oktobers schiffte sich Erzherzog Johann im Hafen von Jalta auf die „Marianne“ ein, um seine Reise Richtung Bosporus fortzusetzen. Da ahnte er freilich noch nicht, dass er bereits am nächsten Tag mitsamt der Besatzung in einen gewaltigen Sturm auf dem Schwarzen Meer geraten sollte. Die Katastrophe blieb zwar aus, doch erreichte die „Marianne“ nur mit Mühe und an den Masten und Aufbauten schwer beschädigt am 3. Oktober den Hafen von Konstantinopel/Istanbul, wo sie gründlich überholt werden musste. Währenddessen kam Erzherzog Johann seinen Repräsentationspflichten nach: Es reihten sich Audienzen beim Sultan, politische Gespräche, gesellschaftliche Anlässe und Besichtigungstouren innerhalb der Stadt und in der näheren Umgebung aneinander. So besuchte er u. a. den Topkapi-Palast, die Hagia Sophia, die Blaue Moschee und die Yerebatan-Zisterne/Cisterna Basilica sowie auf der anderen Seite des Goldenen Horns, in Pera, den Galata-Turm und ein Derwisch-Kloster. Besonders fasziniert zeigte sich der Habsburger vom geschäftigen Treiben und den orientalischen Erzeugnissen im großen Bazar, wo er als Produktproben oder Reisemitbringsel Kajal, Henna und ein Enthaarungspulver kaufte. Was den Aufenthalt Erzherzog Johanns in Konstantinopel wirklich bemerkenswert macht und zu einem Akt der frühen Völkerverständigung werden lässt, sind die Gunstbezeugungen, die Sultan Mahmud II. (1785–1839) seinem Besucher erwies, als er diesen als erstes Mitglied des Hauses Österreich im Serail empfing und einen sehr persönlichen Umgang mit ihm pflegte. Konkret ist damit ein 33-gängiges Menü mit zehn Wein- und elf Sorbetsorten gemeint, für dessen musikalische Untermalung der ältere Bruder des berühmten Opernkomponisten Gaetano Donizetti sorgte. Erzherzog Johann war sich der Bedeutung des Augenblicks wohl bewusst, wenn er in sein Tagebuch schreibt: „Ein Erzherzog von Österreich – keiner vor ihm – war in diesen Regionen des Sultans gewesen. Man machte mich auf den Umstand aufmerksam, daß noch nie ein Osmanischer Herrscher in seinem Serail ein ähnliches Gastmahl, weder Fremden noch Großen seines Reiches, ja selbst Mitgliedern seiner eigenen Familie gegeben, daher dieses Beispiel einzig in den Annalen der Geschichte dasteht. Friede, Freundschaft zwischen zwei Mächten, welche in früheren Zeiten solange blutige Kriege miteinander geführt hatten.“ Erzherzog Johanns zweiwöchiger Aufenthalt in Istanbul endete am 17. Oktober mit der Ausschiffung, worauf er drei Tage später in Smyrna/Izmir eintraf. Dort ließ er sogleich Kohle bunkern, um am 21. Oktober seine Reise in Richtung Athen fortzusetzen. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt auf der ägäischen Insel Syra/Syros, – wo er ursprünglich mit seinem Freund Anton Prokesch von Osten (1795–1876), dem österreichischen Gesandten in Athen, zusammentreffen wollte – nahm die „Marianne“ Kurs auf Piräus. Im dortigen Hafen ging das Schiff am 24. Oktober vor Anker, worauf eine 9-tägige Quarantäne gehalten werden musste. Dank einer nachsichtigen Sanitätskommission konnte Erzherzog Johann die Zeit jedoch mit kleineren Ausflügen füllen, bei denen er u. a. die Inseln Ägina und Poros besuchte. Nun stieß auch Prokesch von Osten zu ihm, der in den folgenden Tagen in Athen sein „Cicerone“ sein sollte und mit dem er zahlreiche antike Sehenswürdigkeiten besuchte, darunter die Akropolis, die Hügel Philopappos,
Ansicht des Parthenon von Nordwesten, Aquarell von Thomas Ender, November 1837 (Privatbesitz)
Pnyx und Areopag, das Hephaisteion, die Hadriansbibliothek, den Turm der Winde und den Tempel des Olympischen Zeus mit dem Hadrianstor. Besonders beeindruckt zeigte sich Johann von den Bauten auf dem Akropolis-Felsen und an dessen Hangfuß, allen voran vom Parthenon, wovon einerseits seine fünf Seiten lange und mit kleinen Skizzen versehene Beschreibung im Reisetagebuch zeugt, aber auch ein Bestand von insgesamt zehn Aquarellen aus der Hand Thomas Enders. Zusammen bilden diese Quellen eine überaus wertvolle archäologische Bestandsdokumentation für die Athener Akropolis während der dort einsetzenden Aufräumungs- und Restaurierungsarbeiten. Auch für Erzherzog Johann, der auf der ganzen Reise immer auf Nutzen und Zeitökonomie Bedacht nahm, wurde die Besichtigung der Akropolis zu einem persönlichen Erlebnis. Er notiert in sein Tagebuch: „Ich trennte mich schwer von dem Parthenon, es ist das schönste, was Athen, was Griechenland aus der Vorzeit zu zeigen hat; dazu noch alles was die Acropolis enthält; und die herrliche Lage derselben, die ferne Aussicht über den Piraeus und das Meer.“ Mit Weitblick erkannte der Reisende auch das wissenschaftliche und touristische Potenzial des Athener Burgbergs, wenn er schreibt: „[…] kein tag vergehet, ohne daß etwas gefunden wird; hier ist nichts anderes zu thun, als Erde und Schutt bis auf den festen Felsboden aufzuräumen, die Fünde zusammen zu tragen, die Trümmer bey den Gebäuden, wohin sie gehören, aufzustellen […]; alles einmal aufgeräumet, so glaube ich zuversichtlich […], daß man mit geringen Ergänzungen, diese herrlichen Gebäude wird wieder herstellen können […]; die Acropolis so hergestellet, würde dann das schönste Denkmahl des Alterthumes werden.“ Unterbrochen wurden Erzherzog Johanns Besichtigungen des antiken Athens nur durch zahlreiche gesellschaftliche Anlässe, diverse politische Treffen mit Ministern, Offizieren und Diplomaten sowie vor allem durch mehrere persönliche Gespräche mit dem noch jungen König Otto I. von Griechenland (1815–1867), dem zweitgeborenen Sohn des bayrischen Königs Ludwig I., auf dessen unentschlossenen Herrschaftsstil er positiv einwirken wollte; freilich ohne Erfolg. Mit ihm und seiner Frau, Königin Amalie (1818–1875), unternahm er zahlreiche Ausflüge, so zum Pentelikon/Pendeli oder zum
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Kloster Daphne/Dafni. Zusammen erlebten sie am 4. November die feierliche Öffnung eines antiken Marmorsarkophags in einer Baugrube am nördlich der Athener Altstadt liegenden heutigen Kotzia-Platz, wo in der Antike ein Stadttor mit einer Nekropole lag. Nach den obligatorischen Abschiedsvisiten verließ Erzherzog Johann am 6. November Athen, schiffte sich in Piräus ein und erreichte innerhalb weniger Stunden den Hafen von Kalamaki/Isthmia, von wo aus er per Pferd die Peloponnes in Richtung Nauplia/ Nafplion durchqueren wollte. Erstes Ziel war das antike Korinth am Fuße des steil aufragenden Bergkegels von Akrokorinth, dessen Festung er am Folgetag besichtigte. Am 8. November war Mykene am Programm, wo Erzherzog Johann die Akropolis mit den zyklopischen Befestigungsmauern und dem berühmten Löwentor durchstreifte. Auf dem sogenannten Schatzhaus des Atreus, einem nahe gelegenen, mit Erde überwölbten Kuppelgrab, wurde für ihn von der örtlichen Bevölkerung ein reich gedeckter Mittagstisch bereitet, wobei die dargebotenen Speisen – darunter saure Trauben, ein ungenießbarer Salat aus Petersilie und Sellerie sowie ein harziger Wein – den Unmut des fürstlichen Gastes erregten. Die Reisegesellschaft verbrachte die folgende Nacht in Argos, um tags darauf – nach kurzer Zwischenstation in den Ruinen des alten Tyrins – den Hafen von Nauplia zu erreichen, wo die „Marianne“ bereits wartete, mit der Erzherzog Johann nach einem kurzen Stadtrundgang und zahlreichen Verabschiedungen die Heimfahrt antrat. Mit Zwischenstopps in Patras und Korfu am 11. und 12. November, wo Kohlen geladen wurden bzw. ein Empfang bei dem britischen Gouverneur absolviert werden musste, ging es weiter längs der dalmatinischen und istrischen Küste, wo sich die Rückreise wegen schwerer Unwetter verzögerte. Am 20. November traf Erzherzog Johann jedoch wohlbehalten in Triest ein, von wo er nach vierwöchiger Quarantäne in der Abgeschiedenheit der Villa des Barons Zanchi die Reise nach Wien antrat, das er noch vor Weihnachten erreichte.
Ausgewählte Literatur Victoria von Haan (Hg.), Erzherzog Johann – Leopold von Haan. Eine russisch-türkische Reise im Jahre 1837, Wien 1998. Stefanie Hoffmann-Gudehus, „Thomas Ender. Die ,Krimreise‘“, in: Klaus Albrecht Schröder, Maria Luise Sternath (Hg.), Von der Schönheit der Natur. Die Kammermaler Erzherzog Johanns, Wien, München 2015, S. 212–239. Walter Koschatzky, Thomas Ender 1793–1875. Kammermaler Erzherzog Johanns, Graz 1982, bes. S. 86–108. Walter Koschatzky, Richard Blaas, Berthold Sutter, Thomas Ender (1793–1875). Zeichnungen und Aquarelle, Graphische Sammlung Albertina, Wien 1964, bes. S. 35–41. Daniel Modl, Claudia Ertl, „,[…] in Unserer Gegenwart ein altes Griechisches Grab ausgegraben‘. Die Reisen der Habsburger im 18. und 19. Jahrhundert aus dem Blickwinkel der Archäologie“, in: Renate Zedinger, Marlies Raffler, Harald Heppner (Hg.), Habsburger unterwegs. Vom barocken Pomp bis zur smarten Businesstour, Graz 2017, S. 167–196.
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Was kommt nach dem Krieg? 300 Jahre Friedenspläne in Südosteuropa Florian D. Bieber
Der Friede von Passarowitz/Požarevac war einer von zahllosen Friedensverträgen, die in den letzten Jahrhunderten die Grenzen und Herrschaft auf dem Balkan bestimmten. Bereits in den vorangehenden Jahrhunderten hatten Verträge zunächst das Vorrücken osmanischer Armeen im Südosten Europas ratifiziert und dann die ersten Siege der Habsburger und des russischen Reiches abgesegnet. In den folgenden zwei Jahrhunderten verging fast kein Jahrzehnt, in dem nicht ein neuer Friedensvertag einen Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und anderen europäischen Großmächten bzw. später den neu entstandenen Balkanstaaten beenden sollte. Erst der Vertrag von Sèvres 1920 besiegelt das Endes des Osmanischen Reiches. Auch wenn dieser Friedensvertrag nie wirklich in Kraft trat, prägte er die Beziehungen zwischen der neu entstandenen Türkei und anderen Staaten Europas. In der Türkei bleibt er bis heute mit dem Trauma einer von europäischen Mächten auferlegten Zerstückelung des Landes verbunden, so wie Trianon in Ungarn der Inbegriff für Gebietsverlust geworden ist. Für Armenier und Kurden, denen in Sèvres eigene, nur vage definierte Staaten versprochen wurden, ist Sèvres ein uneingelöstes Versprechen. Nur wenige Jahre später stimmten die Großmächte dem Vertrag von Lausanne zu, der den türkischen Nationalstaat begründete und die Vertreibung orthodoxer Christen aus der Türkei und von Muslimen aus Griechenland ratifizierte. Auf dem Balkan hinterließen die zahlreichen Kriege und Friedensschlüsse ihre Spuren in den neuen Nationalstaaten. Worin besteht dieses Erbe von Krieg und Frieden? Die europäischen Mächte, die allein oder im Konzert ihren Frieden mit dem Osmanischen Reich schlossen, sahen in diesem nie einen gleichberechtigten Partner. Zunächst war die Hohe Pforte eine existenzielle Bedrohung: Nicht nur Hauptstädte wie Wien wurden von der Großmacht bedroht, durch die Erfolge des Osmanischen Reiches wurde die Vormachtstellung der Christen in Europa überhaupt infrage gestellt. Später, als die osmanische Bedrohung abklang, war es der „kranke Mann am Bosporus“, der nun in der Vorstellung europäischer Großmächte zivilisatorisch untergeordnet war – rückständig und barbarisch. Mit dem Abklingen der osmanischen Macht auf dem Balkan stellten nicht-westliche Staaten territoriale Ansprüche, sie sahen sich auch zunehmend als die Schutzmächte der christlichen Bevölkerung des Reiches und waren bereit, ihre Rolle mittels Krieg und Frieden durchzusetzen. Im 18. Jahrhundert waren die Territorien und Bevölkerungen des Balkans noch Verhandlungsmasse, die zwischen der Habsburgermonarchie, Venedig, dem Russischen und Osmanischen Reich verschoben werden konnte, doch mit dem Aufkommen von Nationalbewegungen im frühen 19. Jahrhundert war dies nicht mehr so leichtfertig möglich. Bereits ab dem 15. Jahrhundert gewährte das Osmanische Reich den Bürgern jener Staaten Schutz, mit denen es sogenannte Kapitulationen schloss. Im Lauf der Zeit erstreckten sich diese Abkommen nicht mehr nur auf europäische Händler und Diplomaten, die sich im Osmanischen Reich aufhielten, sondern auch auf zahlreiche Christen, die Untertanen des Sultans waren. Während sich Russland als Schutzmacht der orthodoxen Bewohner des Osmanischen Reiches sah, wollten sowohl Frankreich als auch die Habsburgermonarchie (z. B. in den Friedensverträgen von 1718 und 1739) Schutzmächte für die Katholiken sein. Durch die Kapitulationen verschwammen die Grenzen zwischen dem Schutz der eigenen Staatsbürger und der Unterstützung der Christen im Osmanischen Reich. Tausende osmanische Untertanen wurden Bürger bzw. genossen den Schutz verschiedener europäischer Großmächte, ohne jemals Fuß in sie gesetzt zu haben. Die Kombination aus Autonomie im Rahmen des Millet-Systems (Organisation der Glaubensgemeinschaften) und dem Schutzanspruch europäischer Großmächte
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half den christlichen Einwohnern des Osmanischen Reiches zwar, isolierte sie jedoch auch vom Staat und stand einer Umwandlung in einen Staat gleichberechtigter Bürger im Weg. Die Kapitulationen wurden erst durch die nationalistischen Jungtürken 1914 abgeschafft, während das Millet-System, wenn auch in abgeschwächter Form, bis zum Ende des Osmanischen Reiches überlebte. Die Kriege zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich enden mit 1791 (Vertrag von Sistova/Svištov). Im kommenden Jahrhundert sollten die beiden multinationalen Reiche eher Verbündete als Gegner werden, denn die Konflikte im 19. Jahrhundert waren nun vom Entstehen von Nationalstaaten und den fast unablässigen Kriegen zwischen dem Russischen und Osmanischen Reich geprägt. Die Nationalbewegungen auf dem Balkan mussten sich nun europäische Verbündete suchen, um mit ihrem Streben nach Unabhängigkeit Erfolg haben zu können. Griechenland konnte durch die Wiederentdeckung der griechischen Antike von westeuropäischer Seite Unterstützung finden. Die orthodoxen Bevölkerungen konnten jedenfalls auf die Hilfe Russlands zählen, manchmal auch auf andere Großmächte. So entstanden unter russischem Druck Griechenland, Serbien, Montenegro, Rumänien und Bulgarien – alle zunächst im Status autonomer Regionen, später unabhängig. Der Berliner Vertrag, der 1878, also vor 140 Jahren, unter Vermittlung des deutschen Kanzlers Otto von Bismarck zwischen den europäischen Großmächten und dem Osmanischen Reich geschlossen wurde, erkannte die Unabhängigkeit von Rumänien, Serbien und Montenegro de jure an und zeigte, dass die Großmächte beim langsamen Zerfall der osmanischen Herrschaft nicht das Gleichgewicht der Mächte aufs Spiel setzen wollten. Noch waren die Balkanstaaten keine Subjekte europäischer Politik, sondern nur Objekte. Über ihre Grenzen und ihren Status wurde in Berlin bestimmt, denn sie saßen selbst nicht mit am Tisch. Dass die europäischen Großmächte ihnen nicht ganz trauten, wird daraus deutlich, dass der Berliner Vertrag religiösen Minderheiten ihre freie Religionsausübung sowie – in Montenegro, Serbien und Rumänien – politische Rechte zusicherte. Dieser Schutz wurde zwar nur teilweise umgesetzt, doch war der Berliner Kongress dennoch die Geburtsstunde des modernen Minderheitenrechts. Die Friedensschlüsse des 19. Jahrhunderts verquickten somit Gebietsgewinne gegenüber dem Osmanischen Reich mit dem Schutz von Teilen der christlichen Bevölkerung und dem Entstehen neuer christlicher Nationalstaaten. Der Minderheitenschutz wurde erst wieder nach dem Ersten Weltkrieg aufgegriffen, denn die beiden Balkankriege endeten mit dem Friedensschluss in Bukarest im Jahr 1913 noch ohne Schutz von Minderheiten. Nachdem das Osmanische Reich durch den Balkanbund der christlichen Nationalstaaten im ersten Krieg fast gänzlich vom Balkan vertrieben worden war, stritten sich nun die siegreichen Nationalstaaten und nahmen Bulgarien im zweiten Krieg kurz darauf dessen erhebliche Gebietsgewinne wieder ab. Dieser Krieg machte deutlich, dass die neuen Nationalstaaten nach dem Ende der osmanischen Herrschaft über Territorien miteinander in Konflikt gerieten. Neben dem Minderheitenschutz war auch die internationale Verwaltung ein Novum, das auf dem Balkan im späten 19. Jahrhundert erfunden wurde und bis heute fortbesteht. 1878 dienten internationale Berater dazu, die Autonomie Ostrumeliens (Teile Bulgariens) und 1896 Kretas innerhalb des Osmanischen Reiches zu sichern und eine moderne Verwaltung aufzubauen. Nach dem erfolglosen Ilinden-Aufstand in Mazedonien setzten Österreich-Ungarn und das Russische Reich eine gemischte Kommission ein, um die Lage zu befrieden. Mit der Anerkennung Albaniens 1913 entstand unter dem deutschstämmigen Fürsten von Albanien zu Wied ein kurzlebiges Protektorat und
eine internationale Zivil- und Militärverwaltung, die mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges zerfiel. Nach 1918 und erneut nach 1945 entstanden entlang der Adria – von Triest und Rijeka bis Split – kurzweilige internationale Friedensmissionen, doch machte das Primat des Nationalstaates aus ihnen nur kurze Episoden. Erst nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation und mit dem Zusammenbruch Jugoslawiens kam es zu neuartigen Formen internationaler Intervention, die das Erbe ihrer Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert antraten. Das letzte Kapitel bis dato sind die Friedensschlüsse nach den jugoslawischen Kriegen der 1990er-Jahre, die in Slowenien, Kroatien, Bosnien und Hercegovina sowie dem Kosovo erst unter internationaler Vermittlung ihr Ende fanden. Die Friedensschlüsse sorgten nicht nur für die Einstellung von militärischer Gewalt – meist erst mit tragischer Verspätung –, sondern bestimmten auch die Nachkriegsordnung. Die Europäische Gemeinschaft bemühte sich im Sommer 1991, sich als glaubwürdiger Ordnungsfaktor in Europa zu profilieren. Ihr gelang es zwar, den kurzen Krieg in Slowenien zu beenden, doch der Krieg in Kroatien, der im Juli 1991 aufflammte, konnte erst nach unzähligen Feuerpausen und Waffenstillständen im Januar 1992 zumindest vorübergehend eingedämmt werden. Der europäische Versuch, ein neues konföderales Jugoslawien zu bilden, scheiterte schon im Herbst 1991, denn von nun an befassten sich die Friedenspläne nur mehr mit einzelnen Republiken, die als Nachfolger des zerfallenen Jugoslawiens anerkannt wurden. Noch vor Kriegsbeginn in Bosnien 1992 schlug die Europäische Gemeinschaft ein dezentralisiertes Bosnien mit serbischen, kroatischen und muslimischen Regionen vor, doch schlug dieser Plan ebenso fehl wie zahlreiche danach: Grenzziehungen blieben umstritten, und zumindest eine der Kriegsparteien hoffte durch Krieg mehr als durch Verhandlungen zu erreichen. Als die bosnisch-serbische Armee – tatsächlich nichts weiter als der verlängerte Arm der jugoslawischen Armee – 70 Prozent Bosniens erobert hatte, folgten die neuen Friedenspläne der internationalen Vermittler dieser neuen Lage und ratifizierten Massenmord und Vertreibungen, die in der Folge als „ethnische Säuberungen“ bekannt wurden. Das Bekenntnis zu einem bosnischen Staat blieb zwar, doch wurde der Gesamtstaat geschwächt und die Dominanz ethnisch homogener Gebiete stärker. Der 1995 geschlossene Friede von Dayton änderte die innerbosnischen Grenzen im Vergleich zu den Frontlinien nur geringfügig und stülpte den Kriegsparteien einen schwachen gemeinsamen Staat über. Das Novum des Vertrages war die Verfassung: Erstmals sollte ein Staat nach Regeln regiert werden, die von internationalen Vermittlern durchgesetzt wurden – ein Staat, den eine schizophrene Struktur bestimmte, die einerseits die „ethnischen Säuberungen“ durch die Anerkennung der serbischen und der bosnisch-kroatisch bestimmten Entitäten akzeptierte und gleichzeitig durch Schutz der Menschenrechte und Beharren auf Flüchtlingsrückkehr versuchte, diese von innen auszuhöhlen. Dieser Widerspruch reflektiert den Spagat internationaler Friedensschlüsse auf dem Balkan seit dem Frieden von Passarowitz 1718, zwischen der Durchsetzung nationalstaatlicher Forderungen nach Selbstbestimmung und Homogenität und dem Schutz von Rechten, einschließlich jenen von Minderheiten. Diese Herausforderung wurde erneut 1999 deutlich, als der Krieg im Kosovo nicht durch einen Friedensvertrag endete, sondern durch einen Waffenstillstand zwischen NATO und Jugoslawien und einer Resolution der Vereinten Nationen. Das Ergebnis der NATO-Intervention nach gescheiterten Friedensverhandlungen im Pariser Vorort Rambouillet war ein Territorium, das nicht mehr zu Serbien gehörte, aber auch noch keine Unabhängigkeit besaß. Diese Ambivalenz war nicht lange aufrechtzuerhalten: Unter Verwaltung der Vereinten Nationen entwickelte sich der Kosovo zur Eigenstaatlichkeit, die durch Widerstand Russlands und Chinas von der UNO selbst nicht anerkannt wurde; so wurde der Kosovo 2008 ein
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unabhängiger Staat nur mit westlicher Unterstützung. Dieser Status wird jedoch noch längst nicht universell anerkannt, und gerade Serbien sträubt sich, diesen Staat zu akzeptieren. Wie so oft (von Ostrumelien 1878 bis zum Freistaat Fiume 1919), konnte sich die international aufoktroyierte Ambivalenz nicht gegen Ansprüche auf nationale Selbstbestimmung durchsetzen. Der Friede von Passarowitz, der heutigen serbischen Kleinstadt Požaverac, mag vielleicht 300 Jahre zurückliegen, doch ordnet sich dieser Vertrag in eine lange Reihe von Friedensschlüssen ein, die nicht nur die Landkarte des Balkans bestimmt haben. Vom Minderheitenschutz bis hin zu Verfassungen, von der staatlichen Unabhängigkeit im 19. und im 21. Jahrhundert zu internationalen Missionen haben Friedensverträge und jene, die sie ausgehandelt haben, das Schicksal der Region bestimmt. Die Wichtigkeit, externe Verbündete zu suchen, um eigene politische und militärische Ziele zu verfolgen, sowie das Machtungleichgewicht zwischen den Staaten Südosteuropas und den Großmächten prägen die Außenpolitik und die Wahrnehmung der Region seit Langem. Die blockfreie Politik Tito-Jugoslawiens war nicht zuletzt ein Versuch, sich von diesem Einfluss Außenstehender zu emanzipieren – ein gescheitertes Experiment. Der Zusammenbruch Jugoslawiens erforderte erneut das Eingreifen externer Akteure. In den letzten zwei Jahrzehnten sollte die EU-Erweiterung dieses Ungleichgewicht aufzulösen beginnen: Obwohl die EU-Mitgliedschaft die formale Eigenständigkeit von Staaten einschränkt, ermöglicht sie Ländern, deren Erfahrung von beschränkter Souveränität geprägt ist, dennoch eine gleichberechtigte Rolle innerhalb der Union. Ob dieses Experiment gelingen wird oder an nationalen Forderungen scheitert, ist noch unklar.
Ausgewählte Literatur Mark Mazower, Der Balkan, Berlin 2007. Roumen Daskalov, Tchavdar Marinov (Hg.), Entangled Histories of the Balkans, Den Haag 2015. Marie-Janine Calic, Südosteuropa. Weltgeschichte einer Region, München 2017.
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Die Stationen der Ausstellung Harald Heppner
1. Passarowitz Passarowitz ist der deutsche Name für Požarevac – eine Stadt im heutigen Nordosten der Republik Serbien. Dort fand 1718 eine internationale Konferenz statt, die bezweckte, einen kriegerischen Konflikt zu beenden, der auf ungarischem, serbischem, rumänischem und venezianischem Boden ausgetragen worden war. Es ging darum, friedliche Wege des Auskommens zwischen der Habsburgermonarchie („Österreich“) und dem Osmanischen Reich („Türkei“) einzuschlagen. Damit bahnte sich eine „Entwicklungszusammenarbeit“ zwischen Zentral- und Südosteuropa an, die auch in der Gegenwart besteht. Das Ergebnis der vor 300 Jahren stattfindenden Konferenz waren ein Friedens- sowie ein Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen Wien und Konstantinopel, die die Verhältnisse auf Generationen stark veränderten. Die Auswirkungen kommen uns heute noch zugute. Der historische Schauplatz und die Rahmenbedingungen – 1683 greifen die Osmanen an und belagern Wien nach 1529 zum zweiten Mal. – Ein „europäisches“ Bündnis – bestehend aus dem Deutschen Reich, Ungarn, Polen, Russland, Venedig, dem Papst und dem Malteser Orden – bildet sich und schlägt die osmanischen Streitkräfte zurück. Der Krieg endet im Friedensvertrag von Karlowitz/ Sremski Karlovci im Jahr 1699. Venedig vermag bei jener Gelegenheit die Peloponnes/ Morea zu erobern. – Die Hohe Pforte (Osmanische Regierung in Konstantinopel) eröffnet den Krieg gegen Venedig und gewinnt 1715 die Peloponnes zurück. Da die Habsburgermonarchie mit Venedig im Bündnis steht, ist der Wiener Hof verplichtet, 1716 den Krieg gegen die Osmanen zu eröffnen. – Die Kampfhandlungen verlaufen erfolgreich: Nach der Eroberung von Temeswar/ Timişoara und Peterwardein/Petrovaradin wird 1717 Belgrad/Beograd eingenommen. Hiermit wird auch ein Territorium (Nordserbien, Oltenien) in den habsburgischen Herrschaftsbereich eingegliedert, das historisch nicht zum Königreich Ungarn gehört hat.
Landemanöver vor Belgrad, 1717 (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
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Lageplan für die Konferenz in Passarowitz (Hessisches Staatsarchiv, Marburg/Lahn)
Die Verhandlungen Es bedurfte wochenlanger Vorbereitungen, ehe alle Verhandler in Passarowitz eingetroffen waren, alle erforderlichen Quartiere zur Verfügung standen und auch alle Instruktionen der Regierungen vorlagen. Die zahlreichen Hilfskräfte, die die Vertreter Kaiser Karls VI. und Sultan Ahmeds III. umgaben, setzten sich zusammen aus einer Fülle von Kanzleipersonal, Versorgungs organen, aber auch aus „Security Groups“. Den Friedensvertrag unterzeichneten am 21. Juli 1718 Damian Hugo Graf von Virmond und Michael von Talman als Vertreter des Kaisers sowie Ibrahim Ağa und Mehmed Effendi als Vertreter des Sultans. Die Richtigkeit des Abkommens beglaubigten Robert Sutton (Großbritannien) und Jacob Graf Colyer (Vereinigte Niederlande), die als Vermittler eingebunden gewesen waren. Am 27. Juli 1718 unterfertigten Anselm Franz von Fleischmann und Seifullah Effendi den Handels- und Schifffahrtsvertrag. Dieser erweist sich in punkto Nachhaltigkeit als wesentlich wichtiger als der Friedensvertrag. Damian Hugo Franz Adrian Anton von Viermund/Virmond (1666–1722) Wie Prinz Eugen von Savoyen ursprünglich für den Priesterstand ausersehen, wurde Graf Virmond Soldat und stieg in der kaiserlichen Armee nach und nach zum General auf. 1718 beauftragte Kaiser Karl VI. den auch in diplomatischen Missionen eingesetzten Rheinländer, die Verhandlungen in Passarowitz zu übernehmen. 1719 führte Graf Virmond als Delegationsleiter die kaiserliche Großbotschaft nach Konstantinopel an den Hof Sultan Ahmeds III. an. Verträge
Damian Hugo Franz Adrian Anton von Viermund/Virmond (UMJ)
Der Friedens- sowie der Handels- und Schifffahrtsvertrag enthalten je 20 Paragrafen. Die allerwichtigsten Bestimmungen sind: „[…] die so heilsamen Beschlüsse gefasst, wieder auf die Versöhnung der erbitterten Gemüter, auf Vermeidung so vielen Blutvergießens, Förderung des Wohlergehens wie auch auf das Beste der Untertanen Bedacht zu nehmen […]“
Verhandlungszelt, 1718 (Detail) (Heeresgeschichtliches Museum, Wien)
„[…] Kaufleute beider Seiten sollen […] in den Ländern beider Reiche frei, sicher und friedlich Handel treiben; den Kaufleuten und Untertanen jeder Nation aus denjenigen Provinzen, die bereits dem Römischen Kaiser [Karl VI.] untertan sind […], soll unter Römisch-kaiserlicher Flagge […] in den osmanischen Ländern und Provinzen zu Land und zu Wasser die friedliche Ein- und Ausreise möglich […] sein „[…] In den osmanischen Gebieten sollen Konsuln und Dolmetscher, die sich um die Angelegenheiten der Kaufleute kümmern, eingesetzt werden […]“ „[…] sollen auch freie Macht haben, Dolmetsche, Couriere und dergleichen ihre Leute mit und bei sich zu haben, welche von dem kaiserlichen Hof nach der ottomanischen Pforte und von dieser wieder zurück reisen, hin und herüber sicher, frei und mit sicherem Geleit kommen dürfen […]“ 2. Chancen und Möglichkeiten Die Paragrafen 13 und 18 des Friedensvertrages sowie die Paragrafen 1 bis 20 des Handels- und Schifffahrtsvertrages dienten der Regelung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen und deren Abwicklung zwischen der Habsburgermonarchie („Österreich“) und dem Osmanischen Reich („Türkei“). Infolge des Entstehens nationaler Staaten auf dem Boden des Osmanischen Reiches seit dem 19. Jahrhundert – Serbien, Griechenland, Rumänien, Montenegro, Bulgarien, Albanien, Türkei, Makedonien, Kosovo – wurden die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und den südosteuropäischen Ländern neu geregelt. Diese Vereinbarungen setzen fort, was in Passarowitz im Jahr 1718 seinen Ausgang genommen hat. Handelsbeziehungen einst Aus dem Osmanischen Reich wurden Schafwolle, Baumwolle, Färbemittel, Gewürze, Wein, Leder, Pelze, Olivenöl und Tabak eingeführt, um den wachsenden Bedarf in der Habsburgermonarchie zu decken. Den Import wickelten vor allem Kaufmannsfamilien ab, die aus den Balkanländern gekommen und in Ungarn und Siebenbürgen, aber auch in Triest und Wien sesshaft geworden waren. In das Osmanische Reich oder über dessen Territorium nach Russland exportiert wurden vor allem Eisenwaren – Sensen, Sicheln, Hacken und ähnliche in der Landwirtschaft
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genutzte Werkzeuge. Von diesem Export profitierten die vielen Hammerwerke in der Steiermark, in Kärnten und in Niederösterreich (Eisenwurzen). Unternehmerfamilie Mosdorfer Die Klingenschmiede der Familie Mosdorfer in Weiz, deren Wurzeln auf das Spätmittelalter zurückgehen, hat sich auf das Herstellen von Säbelklingen konzentriert. Anton Mosdorfer (1749–1800) kaufte mehrere eisenverarbeitende Unternehmen in der Steiermark auf und erweiterte die Produktionspalette um zivile Bedarfsgüter wie Sicheln, Sensen, Nägel, Hacken usw. Die aus dieser Tradition hervorgehende Unternehmensgruppe Knill ist heute einer der bedeutendsten Industriebetriebe in der Oststeiermark. Wirtschaftsbeziehungen heute
Anton Mosdorfer (Original im Privatbesitz)
Zu dem aktuellen Handelsaustausch zwischen den südosteuropäischen Ländern und Österreich, der weit mehr als einst verarbeitete Produkte enthält, sind weitere Branchen hinzugekommen – vor allem Finanzunternehmen (Banken, Versicherungen, z. B. GRAWE), Dienstleistungs- und Medienbetriebe (z. B. SPAR, Saubermacher, OMV, Styria Group), aber auch Firmen, die im Rahmen von EU-Projekten tätig sind (z. B. STRABAG).
Diplomatie Zur Unterstützung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit bestehen heute in allen beteiligten Ländern Botschaften bzw. Gesandtschaften und Konsulate, die den jeweiligen Außenministerien unterstehen. Solche Institutionen wahren die Interessen des jeweiligen Landes im Ausland und sind bei Bedarf für Schutz und Hilfe der eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zuständig. Die historische Grundlage für diese Praxis in den südosteuropäischen Ländern sind der Paragraf 18 des Friedensvertrages und der Paragraf 5 des Handels- und Schifffahrtsvertrages von 1718.
Botschaften in Athen, Sofia, Belgrad und Ankara (Fotos: Harald Heppner, 2017)
3. Reisen und Grenzen Die Paragrafen 1, 2, 5 und 7 des Handels- und Schifffahrtsvertrages betreffen Regeln für den Verkehr zwischen Zentraleuropa, den Balkanländern, dem östlichen Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Das Wachstum des Verkehrs zu Land und Wasser führte zum Ausbau der Verkehrswege und zur Gründung renommierter Verkehrsbetriebe: Donaudampfschiffahrt-Gesellschaft, Südbahn-Gesellschaft, Lloyd Triestino. Kaiser Karl VI. erklärte Triest und Fiume/Rijeka im Jahr 1719 zu Freihäfen, die den beiden Städten einen deutlichen Aufschwung verschafften. Denkmäler erinnern noch heute daran. Die Zunahme des Reisens Richtung Südosten erforderte eine verbesserte sprachliche Verständigung: Das professionelle Dolmetsch- und Übersetzungswesen, insbesondere für orientalische Sprachen (Türkisch, Arabisch und Persisch), bekam daher zusehende Wichtigkeit. Deshalb wurde 1754 in Wien die „Orientalische Akademie“ gegründet, die 1898 in „Konsularakademie“ umbenannt worden ist. Heute heißt sie „Diplomatische Akademie“ und zählt zu den ältesten Lehrstätten in Europa für den diplomatischen Dienst und die internationalen Beziehungen. Da im Osmanischen Reich gelegentliche Fälle von Pest auftraten, ließ Kaiserin Maria Theresia entlang der Militärgrenze Quarantänestationen einrichten, die je nach Gefahrenstufe den Verkehr von den Balkanländern in die Habsburgermonarchie kontrollierten.
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Souvenirs Reisen regen dazu an, Mitbringsel zu erwerben, um sie jemandem zu schenken oder Reiseerlebnisse im Gedächtnis zu behalten. Deshalb befinden sich in den Museen Österreichs ebenso wie im Privatbesitz unzählige Erinnerungsstücke, die sich auf das Osmanische Reich oder dessen Nachfolgestaaten beziehen. In der Ausstellung gezeigt werden: ein Reiseportfeuille aus dem Jahr 1784, drei „orientalische“ Münzen aus dem Sammlungsbestand Prokesch-Osten im Universalmuseum Joanneum (Abteilung Archäologie & Münzkabinett) sowie historisches Bildmaterial zu Istanbul (Privatbesitz) und eine Postkarte aus Passarowitz (Privatbesitz).
Reiseführer-Zitate über Passarowitz „[…] R[echts] Stat[ion] Dubrovica, für das 10 km südl[ich] landeinwärts gelegene Poscharewatz (Passarowitz), mit 11.134 Einw[ohnern], in der fruchtbaren Ebene zwischen der Morawa und Mlawka (man sieht seine Türme), ein aufstrebender Handelsplatz, bekannt durch den Frieden vom 21. Juli 1718, infolgedessen die Türken ganz [!?] Serbien an Österreich abtreten mußten […]“ (Meyer Reisebücher, Türkei, Rumänien, Serbien, Bulgarien, 5. Auflage, Leipzig, Wien 1898, S. 124) „[…] Landeinwärts am rechten Ufer, erblickt man die Türme von Požarevac, bekannt durch den im Jahre 1718 hier geschlossenen Frieden […]“ (Die Donau von Passau bis zum Schwarzen Meere, Wien 1911, S. 171) „[…] Ab KM 63 nach Požarevac und Golubac zuerst 53 km Asphaltstrasse, danach 23 km ziemlich mittelmäßige Schotterstrasse (Modernisierungsarbeiten stehen kurz vor dem Abschluss) […] Požarevac: Handels- und Gewerbestadt mit etwa 17.000 Einw.; seit dem hier am 21. Juli 1718 unterzeichneten Frieden zwischen Österreich und Venedig einerseits, der Türkei andererseits allgemein unter dem Namen Passarowitz bekannt […]“ (Jugoslawien, Guide bleu, Paris 1972, S. 465) „Požarevac ist wahrscheinlich die wichtigste Stadt in Ostserbien […] In Bezug auf Sehenswürdigkeiten und Tourismus hat die Stadt nicht sehr viel zu bieten [...] Ehemals unbedeutend, expandierte die Stadt im 17. Jahrhundert und wurde 1718 weltberühmt, als hier der Friedensvertrag von Passarowitz (so lautet der deutsche Name der Stadt) zwischen Österreich und der Türkei unterzeichnet wurde […]“ (Serbien auf der Hand, Reiseführer, Beograd 2012, S. 262) Lady Mary Wortley Montagu (1689–1762)
Lady Mary Wortley Montagu (Wikipedia)
Als Frau des britischen Diplomaten Lord Edward Wortley Montagu weilte sie 1717/18 in Konstantinopel und konnte dort eine Fülle von Erfahrungen sammeln, die sie in ihren 52 Briefen aus dem Orient festgehalten hat. Diese Texte zählen zu den bekanntesten Reisequellen über das Osmanische Reich im 18. Jahrhundert und sind schon 1719 erstmals publiziert worden. Auf der Durchreise nach Konstaninopel hielt sie sich auch in Wien auf und hielt u. a. fest: „Diese Stadt, die die Ehre hat, des Kaisers Residenz zu sein, entsprach gar nicht meinen Vorstellungen; sie ist viel kleiner, als ich es erwartet habe […]“ Constantin Radovici Golescu (1777–1830) Dieser Bojar aus der Walachei reiste in den Jahren 1824 bis 1826 nach „Europa“. Über Siebenbürgen und Ungarn kommend, hielt er sich in Wien auf und kam auf dem Weg nach Italien und in die Schweiz auch in Graz vorbei. Über seine dortigen Wahrnehmungen notierte er u. a.: „Die Stadt ist ziemlich groß, geschmückt mit schönen Gebäuden, großen Plätzen und breiten Strassen. Durch diese Stadt fließt der Fluß Mur, über welchen eine zu beiden Seiten geschlossene, überdachte Brücke führt, auf welcher sich Kaufläden befinden […] Auch dies Volk ist fleissig […]“
Constantin Radovici Golescu (Wikipedia)
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Die Sprachenfrage Erfolge innerhalb der internationalen Beziehungen hängen u. a. davon ab, wie gut sich die Menschen aus unterschiedlichen Sprachgemeinschaften verständigen können. Der militärische und diplomatische Kontakt zwischen Wien und Konstantinopel, der sich im 16. Jahrhundert rasch verdichtete, erforderte sprachkundiges Personal, um den Erfordernissen gerecht zu werden. Aus diesem Bedarf erwuchs die Funktion der Hof-, aber auch der Grenzdolmetscher für orientalische Sprachen, deren Ausbildung über Generationen jedoch keinem System unterlag. Erst mit der Gründung der Orientalischen Akademie kam es zu einer professionell organisierten fachlichen Schulung. Die Orientalische Akademie Von Kaiserin Maria Theresia 1754 gegründet, hatte sie die Aufgabe, dem diplomatischkonsularischen Personal, das im Osmanischen Reich und anderen Ländern des Vorderen Orients Verwendung finden sollte, eine fachliche Ausbildung zu vermitteln. Dieses Ziel erforderte, Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen, d. h. auch dokumentatorisch-wissenschaftliche Maßnahmen zu setzen. Diese „frühe Fachhochschule“ (Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein) weitete im Lauf des 19. Jahrhunderts ihren programmatischen Horizont auch auf nicht-orientalische Länder aus. 1898 in „Konsularakademie“ umbenannt, hat sie 1964 auf Initiative des damaligen Außenministers Bruno Kreisky den Namen „Diplomatische Akademie“ bekommen. 4. Annäherungen zwischen „West“ und „Ost“
Ignaz Freiherr von Stürmer (1750–1829), Absolvent der Akademie, Internuntius in Konstantinopel (Porträtsammlung der ÖNB)
Wirtschaftsbeziehungen, Reiseerfahrungen, Migrationen und Studienaufenthalte bewirken die gegenseitige Wahrnehmung von Menschen mit unterschiedlichem historischen und kulturellen Hintergrund. Diese Wahrnehmungen werden in der Literatur, in der Musik, in der bildenden Kunst, in der Mode und in der Küche – besonders in Form von Gewürzen – verarbeitet. Auch etliche Wissenschaftszweige setzen sich mit Themen auseinander, die mit „Passarowitz“ in Verbindung gebracht werden können. Dazu gehören die Fächer Orientalistik, Geschichte, Archäologie, Slawistik, Gräzistik, Albanologie, Politologie und Translationswissenschaften. Die zwei berühmtesten Grazer, die sich mit dem Osmanischen Reich sowohl wissenschaftlich als auch kulturell auseinandergesetzt haben, sind Joseph von HammerPurgstall (1774–1856) und Anton Prokesch Graf von Osten (1795–1876). Musik
Anton Prokesch von Osten (Wikipedia)
Der militärische Umgang mit den „Türken“ führte zu osmanischen Einflüssen in der europäischen Musikszene des 18. und 19. Jahrhunderts. Einerseits wurden Instrumente, die in den Janitscharenkapellen Verwendung fanden, zugunsten ungewohnter Klangwirkung übernommen (Große Trommel, Triangel, schrille Pfeifen). Andererseits wurden Kompositionen mittels islamischer Melodien angereichert („Janitscharen musik“). Außerdem verarbeiteten manche Opernkomponisten auch orientalische Stoffe (z. B. Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail).
Das Landeszeughaus wird Museum Die Rüstkammer in Graz war das zentrale Waffendepot der innerösterreichischen Stände – Steiermark, Kärnten, Krain und Triest – für die „Militärgrenze“, die im 16. Jahrhundert eingerichtet worden war, um den Übertritt osmanischer Soldaten nach Kroatien und deren Vordringen in Richtung Südostalpenrand zu unterbinden. Da sich im frühen 18. Jahrhundert die strategische Lage der Habsburgermonarchie wesentlich änderte, verlor das Zeughaus an Bedeutung. Nach einem wechselvollen Schicksal wurde es 1892 schließlich in das Landesmuseum Joanneum eingegliedert. Ivo Andrić (1892–1975) Aus Bosnien gebürtig, studierte der spätere jugoslawische Diplomat im Jahr 1923/24 an der Universität Graz, wo er am 13. Juni 1924 promovierte. Seine Dissertation widmet sich der kritischen Aufarbeitung der osmanischen Zeit in Bosnien – ein Thema, das den Schriftsteller zeitlebens beschäftigte. 1961 erhielt er für seinen Roman Die Brücke über die Drina den Nobelpreis für Literatur, worin auch die Periode der österreichischungarischen Herrschaft in Bosnien zur Sprache kommt. Medien
Ivo Andrić (Wikipedia)
Medien haben die Aufgabe, aktuelle Nachrichten nicht nur zu vermitteln, sondern auch zu kommentieren. Schon im 18. Jahrhundert gab es Zeitungen, die auch „News“ aus dem Osmanischen Reich brachten (z. B. das Wiener Diarium als Vorläufer der noch immer bestehenden Wiener Zeitung). Im Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine breit gefächerte Presselandschaft, zu der im 20. Jahrhundert Rundfunk, Fernsehen und Internet hinzukamen. Fallweise dient der Einsatz von Medien auch humanitären Zwecken, wie am Beispiel des ORF im Interesse der Aktion „Nachbar in Not“ zu ersehen ist. Diese Initiative geht auf den Krieg in Jugoslawien (1991–1995) zurück, der nicht nur eine intensivierte Berichterstattung, sondern auch zahlreiche Hilfsmaßnahmen – sowohl in Kroatien und Bosnien als auch in Österreich – ausgelöst hat.
Dieser Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung Wir und Passarowitz 300 Jahre Auswirkungen auf Europa Landeszeughaus 6. April bis 4. November 2018 Landeszeughaus Herrengasse 16 8010 Graz, Österreich T +43-316/8017-9810 F +43-316/8017-9669 zeughaus@museum-joanneum.at www.landeszeughaus.at Kurator Harald Heppner Ausstellungsgestaltung und -grafik Anika Kronberger, Jakob Pock Projektkoordination Daniela Assel Lektorat Jörg Eipper-Kaiser Restaurierung und konservatorische Betreuung Renate Einsiedl, Thomas Storm, Johann Weichhart Ausstellungsaufbau Robert Bodlos und Team Technik Walter Ertl, Georg Pachler Vermittlung Anita Niegelhell und Team Leihgeber Helmut Eberhart Universalmuseum Joanneum: Volkskundemuseum Museum für Geschichte Archäologie & Münzkabinett
Lektorat Jörg Eipper-Kaiser, Franziska Juritsch
Roswitha Orac-Stipperger, Universalmuseum Joanneum, Graz
Grafische Konzeption Lichtwitz – Büro für visuelle Kommunikation
Österreichisches Staatsarchiv Wien
Layout, Satz Nina Eisner, polycoon e.U. ISBN 978-3-90317-903-5 Druck und Gesamtherstellung Medienfabrik Graz © Universalmuseum Joanneum Mariahilferstraße 2-4, 8020 Graz www.museum-joanneum.at Für die konstruktive Zusammenarbeit und Unterstützung danken wir: Florian Bieber, Zentrum für Südosteuropastudien an der Universität Graz Lisa Nina Drekonja, Universität Graz Helmut Eberhart, Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität, Graz Hannes Galter, Österreichische URANIA/Steiermark, Graz Martin Gollob Bettina Habsburg-Lothringen, Universalmuseum Joanneum, Graz Sieglinde Hammer, Universität Graz Pamir Harvey, Afro-Asiatisches Institut Graz Harald Haslmayr, Institut für Musikästhetik an der Universität für Musik und Darstellende Kunst, Graz Heeresgeschichtliches Museum Wien
Katalog Herausgeber/in Bettina Habsburg-Lothringen, Harald Heppner Beiträge von Florian Bieber, Helmut Eberhart, Hannes Galter, Harald Haslmayr, Harald Heppner, Sabine Jesner, Daniel Modl, Ernst Petritsch, Christian Promitzer, Claudia Reichl-Ham, Nikolaus Reisinger, Clara Schmickl-Reiter, Michaela Wolf
Hessisches Staatsarchiv Marburg Sabine Jesner, Institut für Geschichte an der Universität, Graz Daniel Modl, Abteilung Archäologie & Münzkabinett, Universalmuseum Joanneum, Graz Jasenko Mudri, Universität Graz
Karl Peitler, Universalmuseum Joanneum, Graz Ernst Petritsch, ehem. Österreichisches Staatsarchiv/ Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Christian Promitzer, Institut für Geschichte an der Universität, Graz Christine Rabensteiner, Universalmuseum Joanneum, Graz Claudia Reichl-Ham, Heeresgeschichtliches Museum, Wien Vasile Ionuţ Roma, Institut für Geschichte an der Universität, Graz Saubermacher Dienstleistungs AG Clara Schmickl-Reiter, Österreichisches Sprachenkompetenz-Zentrum, Spar Österreichische Warenhandels-AG Graz Styria Media Group AG Michaela Wolf, Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft an der Universität Graz