Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz

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Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz

Neue Galerie Graz Joanneumsviertel Universalmuseum Joanneum























Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum 7. November 2014 – 22. Februar 2015 Kuratorin Gudrun Danzer Herausgeber/in Gudrun Danzer, Peter Pakesch


22 — 23 Inhaltsverzeichnis


Grazer Künstler-Bund 1 Die Grazer Kunst, 1901 Auszüge Gudrun Danzer, Peter Pakesch 24 Vorwort Gudrun Danzer 26 Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz

68

Eva Klein Die „Grazer Zeitkunst“ und das Plakat Gebrauchsgrafik um 1900

80

Antje Senarclens de Grancy „Unsere verrückte Zeit“ Interferenzen und Konkurrenzen in der Architektur in Graz um 1900

Gudrun Danzer 94 Paul Schad-Rossa (1862–1916) Ein wiederentdeckter Symbolist 104 Bildteil I 156 Zwischen (Stimmungs-)Realismus und Symbolismus 160

Bildteil II

178

Symbolismus und Stilisierung

182 Bildteil III 222 Nachwirkungen in der Zwischenkriegszeit 226 Bildteil IV Susanne Watzenböck 267 Biografien der Künstlerinnen und Künstler mit Werkverzeichnis 296 Protagonisten der Grazer Erneuerungsbewegung 297 Dank 298 Impressum


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Vorwort

Im Jahr 1900 entschloss sich der Münchner Maler Paul Schad-Rossa nach Graz zu übersiedeln. Er war von einigen engagierten Persönlichkeiten aus der Kunstszene dazu angeregt worden, um den zahlreichen Erneuerungsbestrebungen in der Stadt einen weiteren Impuls zu geben. Bereits im Herbst desselben Jahres stellte er sich mit einer Ausstellung im Kunstverein und einem programmatischen Katalogtext dem Grazer Publikum vor. Bis 1903 folgten weitere Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, die Gründung eines Künstlervereines – des Grazer Künstlerbundes –, die Herausgabe einer Kunstzeitschrift – der Grazer Kunst –, die Gründung einer privaten Kunstschule, die Einladung, am kunsthistorischen Institut der Universität zu unterrichten. Anfänglich enthusiastisch aufgenommen, sah sich Schad-Rossa in Graz jedoch bald einer zunehmend kritischen Stimmung ausgesetzt. So kehrte er bereits 1904 der Stadt den Rücken und verlegte seinen Wohnsitz nach Berlin. Nach seinem Tod während des Ersten Weltkriegs wurde er – nicht nur in Graz – nahezu vollkommen vergessen. Vor einigen Jahren ist nun im Kunsthandel ein größeres Konvolut von grafischen und kleineren malerischen Arbeiten aus dem Nachlass Schad-Rossas aufgetaucht. Dieses wurde zum Ausgangspunkt für die Wiederentdeckung des vielseitigen Künstlers, dessen Werk am Schnittpunkt der verschiedenen, rasch aufeinander folgenden und einander durchdringenden Kunstströmungen der jungen Moderne zu positionieren ist. Die Wiederentdeckung Schad-Rossas ist Velten Wagner vom Städtischen Museum in Engen/Baden-Württemberg zu verdanken, der dem Künstler nach mehrjährige­n Recherchen im Frühjahr dieses Jahres eine Ausstellung und eine begleitende Mono­grafie gewidmet hat. Seine Einladung zu einer Kooperation haben wir gerne angenomme­n. Dabei bestand von Anfang an der Plan, den Überblick über das Gesamtwerk des Künstlers in Relation zu der steirischen Kunst jener Zeit zu setzen. Bei den Recherchen stellte sich heraus, dass in Graz nicht nur Schad-Rossa vergessen war, sondern auch die Werke einiger anderer Künstlerinnen und Künstler, die Anteil an den damals heiß diskutierten Bestrebungen hatten, das Kunstleben der „Provinz“ – und als solche ist Graz in dieser Zeit zu bezeichnen – an die Entwicklungen in den Metropolen anzukoppeln. Etliche davon werden in der Ausstellung wahrscheinlich erstmals seit 100 Jahren zu sehen sein. Die Richtung, der sich die Grazer Neuerer damals verschrieben hatten, war vor allem jene des Symbolismus und Secessionismus, eine Kunst also, die ihre Ziele im Ausdruck des inneren, seelischen Lebens des Menschen sah. Durch das Gesamtkunstwerk


wollte sie einen gleichsam sakralen Bereich schaffen, in den sich die Rezipienten durch Einfühlung versenken und von den Problemen des Alltagslebens Abstand gewinnen konnten. In diesem sahen sich viele Menschen verunsichert und bedroht, hatten doch Industrialisierung und Modernisierung fundamentale und weitreichende Umwälzungen aller Verhältnisse bewirkt. Die Kunstgeschichtsschreibung der Moderne hat den Symbolismus dann zugunsten einer – vereinfachend gesagt – analytischen, oft gesellschaftskritischen Kunst aus ihrer Genealogie verbannt. Und tatsächlich liegen die Gefahren einer Kunst, die sich in erster Linie auf das Gefühl und weniger auf das Denken beruft, in ihrer Vereinnahmung durch politische und sonstige Ideologien, was im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts dann hinlänglich bewiesen wurde. Doch verlor das Anliegen symbolistischer Kunst, Sehnsüchte, Träume und Fantasien zur Anschauung zu bringen, nicht an Aktualität. Deren Behandlung haben heute aber vielfach andere Medien und Bereiche übernommen, wie zum Beispiel der Film, das Computerspiel oder die Tourismus- und Wellnessindustrie. Der überaus krisenhafte Zustand der Welt, der uns von den Medien heute vermittelt wird, löst in uns Verunsicherung und Ratlosigkeit aus. Darin können Parallelen zur vorletzten Jahrhundertwende gesehen werden. Jedenfalls werden auch aktuell die positiven wie negativen Auswirkungen der Moderne diskutiert. Unsere Ausstellung möchte aufzeigen, welche Wege und Auswege Künstlerinnen und Künstler in der Steier­mark damals suchten und wohin diese führten. Sie wird uns keine Antworten auf die heute drängenden Probleme geben können, aber in der Entdeckung vergessener Positionen hofft sie einen Beitrag zu einer differenzierten Betrachtung unserer Geschichte zu leisten. Gudrun Danzer Kuratorin der Ausstellung Peter Pakesch Intendant des Universalmuseums Joanneum


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Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz1 ­ Gudrun Danzer

1 Teile dieses Texts sind veröffentlicht unter dem Titel: Intermezzo in Graz (1900–1904). Paul Schad-Rossa und die Kunstszene in Graz um die Jahrhundertwende, in: Velten Wagner (Hg.), Paul Schad-Rossa (1862–1916). Die Wiederentdeckung eines Symbolisten, Kat. Städtisches Museum Engen + Galerie, Engen 2014, S. 187–205. 2 Schönheit und Geheimnis. Der deutsche Symbolismus. Die andere Moderne, Kunsthalle Bielefeld, März–Juli 2013; Mythos und Geheimnis. Der Symbolismus und die Schweizer Künstler, Kunstmuseum Bern, April–August 2013; Dekadenz. Positionen des österreichischen Symbolismus, Belvedere, Wien, Juni–Oktober 2013; Die andere Moderne. Kunst und Künstler in den Ländern am Rhein 1900 bis 1922, Wanderausstellung, Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz – Museum Giersch Frankfurt/ Main – Städtische Galerie Karlsruhe, November 2013–Oktober 2014.

Es ist wohl kein Zufall, dass kurz vor unserer Ausstellung, in deren Zentrum der Symbolist Schad-Rossa steht, im deutschsprachigen Raum mehrere Präsentationen stattfanden, die sich, jeweils von umfangreichen Katalogen begleitet, dem Symbolismus bzw. der Kunst um 1900 widmeten.2 Diese Tatsache war uns am Beginn der Planungen für unser Projekt jedoch noch nicht bekannt. In den geläufigen Genealogien der modernen Kunst, erstellt von Kunsthistorikern der Moderne, fehlen die Strömungen des Symbolismus und des Jugendstils,3 sie wurden als rückwärtsgewandt oder zumindest als für die Entwicklung der Moderne nicht relevant betrachtet. Als die Postmoderne in den 1980er-Jahren die Konstruktion der Moderne zu hinter­ fragen begann, kam es zu einer ersten Wiederentdeckung und Aufwertung dieser Bewegungen. Für Österreich war dafür die ungemein erfolg- und einflussreiche Ausstellung „Traum und Wirklichkeit. Wien um 1900“,4 die Hans Hollein inszeniert hatte, von zentraler Bedeutung. 600.000 Besucher haben sie gesehen. Seitdem hat sich die Welt mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme, der ausufernden Entwicklung des Kapitalismus, den wirtschaftlichen wie humanitären Krisen und der digitalen Revolution fundamental verändert. Die Medien vermitteln uns heute einen überaus kritischen und krisenhaften Zustand der Welt, dem wir mit Ratlosigkeit gegenüberstehen. Denn schlüssige und zukunftsweisende Konzepte sind nicht in Sicht, wie die Errungenschaften der Moderne erhalten, ihre negativen Konsequenzen jedoch vermieden werden könnten. Die aktuelle neuerliche Beschäftigung mit Symbolismus und Jugendstil mag ein Symptom sein für diese Ratlosigkeit und die Suche nach Konzepten, die außerhalb der kanonisierten Moderne stehen. Und es besteht eine gewisse Parallelität zwischen der Gegenwart und der letzten Jahrhundertwende: Im 19. Jahrhundert hatten Modernisierung, Industrialisierung und Urbanisierung das Leben in Europa tiefgreifend verändert, was zu großer Verunsicherung führte. Der Symbolismus reagierte darauf mit der Darstellung von ideellen und geistigen Themen. Er wandte sich von den Phänomenen der äußeren, sich schnell verändernden Wirklichkeit ab und vermeintlich überzeitlich gültigen Inhalten und Wahrheiten zu. In der Zeit seiner Entstehung wurde er als modern und zeitgemäß verstanden – ein Status, der ihm von der Historiografie der Moderne dann abgesprochen wurde. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen der Bewertung in der Zeit und dem rückblickenden Urteil könnte man etwa, weit folgenschwerer natürlich, beim Nationalsozialismus sehen. Auch dieser verstand sich selbst als moderne Erneuerungsbewegung – und


hatte übrigens durchaus ein Naheverhältnis zur symbolistischen Kunst, war doch Arnold Böcklin Hitlers Lieblingsmaler. Es wäre nun absurd zu behaupten, dass es eine direkte Verbindung zwischen beiden Geisteshaltungen gäbe. Vielmehr kann man seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute zwei große, gleichsam antagonistische Stränge der Kulturentwicklung und Geistesgeschichte beobachten, die gegeneinander stehen, aber auch aufeinander einwirken und sich vielfach überkreuzen: den rationalistisch-wissenschaftlichen der Aufklärung und den geistig-spirituellen der Romantik.5 Die Geschichtsschreibung der Moderne hat im Wesentlichen nur die rationalistische Strömung als die eigentlich „moderne“ gelten lassen, der historischen Epoche der „Moderne“ jedoch gehören beide an. Unsere Ausstellung, die das Wirken Paul Schad-Rossas in Graz zum Ausgangspunkt nimmt, um das Kunstgeschehen in dieser Stadt von ca. 1890 bis 1930 zu betrachten, erhofft sich von der Kunst dieser Zeit keine direkten Antworten auf die Probleme der Gegenwart. Sie intendiert aus kritischer Sicht darzulegen, wie die lokalen Künstlerinnen und Künstler unter den Bedingungen einer vergleichsweise kleinen Stadt auf die Problemstellungen ihrer Zeit reagierten. Im Besonderen möchte sie zur Beantwortung der Frage beitragen, wie weit die damals in Graz entstandene Kunst als moderne Kunst gelten kann bzw. welche Kunst man damals hier als modern bezeichnet hat. Dazu erscheinen einige Klärungen dieses Begriffes notwendig. Der Begriff „Moderne“

3 Vgl. Peter Weibel, Das verfälschte Fin de Siècle. Skizzen und Thesen zu einer Rekonstruktion, in: Im Hochsommer der Kunst 1890 bis 1925. Portrait einer Epoche aus steirischen Sammlungen, Kat. Landesmuseum Joanneum, Graz 1997, S. 13–27, S. 24. 4 Künstlerhaus Wien, März–Oktober 1985. 5 Vgl. Thomas Tripold, Die Kontinuität romantischer Ideen. Zu den Überzeugungen gegenkultureller Bewegungen. Eine Ideen­geschichte, Bielefeld 2012. 6 Christa Steinle, Peter Weibel, Gudrun Danzer (Hg.), Moderne: Selbstmord der Kunst?, Kat. Neue Galerie Graz, Ostfildern-Ruit 2011.

Beschäftigt man sich mit dem Kunstgeschehen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, begegnet man schnell den zentralen Begriffen „Moderne“ oder „moderne Kunst“, um die sich die Diskussionen, Bemühungen und Kontroversen drehen. Selbst in der Tradition der Kunstgeschichtsschreibung der „Moderne“ und damit rückblickend aufseiten der Neuerer stehend, vermeint man es mit linearen Entwicklungen zu tun zu haben. Vertieft man sich jedoch in die Materie, erweist sich der Begriff „Moderne“ als höchst vielschichtig und mehrdeutig. Er diente seit der betrachteten Zeit und dient auch in der Gegenwart zur Bezeichnung sehr unterschiedlicher Phänomene – nicht umsonst füllen die Erörterungen des Begriffes mittlerweile Bibliotheken. In diesen Diskurs einsteigen zu wollen, würde den hier gegebenen Rahmen sprengen, dennoch erscheint es notwendig, einem Text über diese Zeit einige klärende Bemerkungen zum Begriff „Moderne“ voranzustellen. Die kanonisierte Kunstgeschichtsschreibung hat im Lauf des 20. Jahrhunderts eine zielgerichtete Entwicklung der „Moderne“ konstruiert, die mit dem Impressionismus begann. Von diesem ausgehend kam es, sehr vereinfachend gesprochen, zur zunehmenden Auflösung des Gegenstandes im Bild und schließlich zur Abstraktion bzw. Gegenstandslosigkeit. Damit war das Bild von der Verpflichtung zur Darstellung der äußeren Realität befreit und die Voraussetzungen waren gegeben für die Reflexion der künstlerischen Mittel wie Bildfläche, Linie, Farbe etc. In einer Entwicklung, die bis heute anhält, wurde die Repräsentation der äußeren Wirklichkeit im Bild durch die Realität selbst ersetzt, die in der Form z. B. der Objektkunst, der Land Art, des Aktio­ nismus in die Kunst eindrang. Diese Sicht auf die Kunstentwicklung der „Moderne“ hat etwa Peter Weibel in der Ausstellung und im Katalog Moderne: Selbstmord der Kunst?6 dargelegt. Der weltanschauliche Hintergrund dieser Auffassung von „Moderne“ war, vor allem an deren Beginn gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die quasi wissenschaftliche Konzentration auf das tatsächlich Wahrgenommene. Das wirklich Gesehene sollte dargestellt werden, nicht das durch Wissen in das Bild Hineingetragene. Damit kam es zur Eliminierung der außerhalb der sinnlichen Wahrnehmung gelegenen Inhalte: Ideelle,


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7 Vgl. Jürgen Habermas, Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. Philosophischpolitische Aufsätze, Leipzig 1990. 8 Vgl. Gotthart Wunberg (Hg.), Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910, Stuttgart 1981. 9 Weibel, Das verfälschte Fin de Siècle. 10 Ebda, S. 13. 11 Carl E. Schorske, Finde-Siècle Vienna – Politics and Culture, New York 1980, deutsche Übersetzung: Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle, Frankfurt/M. 1982. 12 Vgl. Die Presse, Wien, 29.12.2011. 13 Ebda.

symbolische, mythologische, religiöse, allgemein „geistige“ Themen hatten in einer so verstandenen „modernen“ Kunst keinen Platz. Mit dieser Kunstauffassung korreliert der über die Kunstgeschichte hinausgehende, allgemeinere Begriff der „Moderne“ als Bezeichnung für das sogenannte „Projekt Moderne“7. Damit ist die große emanzipatorische Bewegung auf den Gebieten der Philosophie, Soziologie, Politik und Kultur gemeint, die, auf dem Gedankengut der Aufklärung aufbauend, kurz gefasst die folgenden Ziele verfolgt: Säkularisierung, Industrialisierung, Demokratie, Fortschrittsglauben, Rationalität, Selbstbestimmung des Individuums, Durchsetzung der Menschenrechte und die Nutzung und Domestizierung der Natur als erneuerbare Ressource. Wird mit dem so gemeinten Begriff der „Moderne“ operiert, lassen sich in der historischen Entwicklung „moderne“ wie „antimoderne“ Tendenzen und Bestrebungen beschreiben und aus der Sicht einer in diesem Sinne „modernen“ Geschichtsschreibung als positiv oder negativ, als fortschrittlich oder rückschrittlich bewerten. Jedoch wird „Moderne“ auch als Bezeichnung für eine historische Epoche verwendet, wobei weder über den Zeitpunkt ihres Beginns noch über jenen ihres Endes Einigkeit besteht und diese je nach Sichtweise unterschiedlich festgelegt werden. Meist wird ihr Anfang mit dem Beginn der Aufklärung gleichgesetzt, als die Leitgedanken, die die „Moderne“ dann verfolgte bzw. verfolgt, entwickelt wurden. Und auch über ihr Ende herrscht Uneinigkeit: Gilt die „Moderne“ den einen mit der Postmoderne seit den 1980er-Jahren als beendet, dauert sie für die anderen bis heute an. Jedenfalls umfasst der Epochenbegriff „Moderne“ zahlreiche Phänomene, die im Sinne des „Projekts Moderne“ als „antimodern“ zu gelten hätten – so zum Beispiel die verschiedenen nationalistischen Tendenzen mit ihren katastrophalen Folgen. Doch der Nationalismus ist im epochengeschichtlichen Sinn fester Bestandteil der „Moderne“, da er ja erst in dieser Zeit entstanden ist. Als Epochenbegriff wird „Moderne“ auch verwendet, wenn er eingegrenzt wird, wie zum Beispiel als „Wiener Moderne“, und damit das kulturelle Geschehen an einem bestimmten Ort (in Wien) zu einer bestimmten Zeit (zwischen 1890 und 1910) beschrieben wird.8 So gemeint, umfasst der Begriff im Sinn von „Moderne als Projekt“ dann unterschiedliche, fortschrittliche wie rückschrittliche Positionen. Hier setzt etwa Peter Weibel an, wenn er in seinem Aufsatz Das verfälschte Fin de Siècle. Skizzen und Thesen zu einer Rekonstruktion9 grundsätzlich fragt, wieweit „die Wiener Kunst der Jahrhundertwende tatsächlich Teil der Moderne war bzw. Beiträge zur Konstruktion der Moderne geliefert hat“.10 Im Vergleich mit jener des Auslands wirft er der österreichischen Kunstgeschichte und im besonderen dem Katalog der Ausstellung „Traum und Wirklichkeit“ vor, die eigentlich „modernen“ Leistungen der „Wiener Moderne“, etwa die radikale Sprachkritik oder die frühe geometrische Abstraktion, zu negieren, zugunsten der Verherrlichung von in seinem wie im Sinn der „Moderne“ rückschrittlichen Positionen wie dem dekorativen Jugendstil oder dem Expressionismus. Weibel begründet diese „Verdrängung“ des Rationalen, „Modernen“, zugunsten des Expressiven, „Anti-Modernen“ mit dem starken politischen Konservativismus in Österreich, der sich seiner Diagnose nach von der Zwischenkriegszeit bis in die Gegenwart prolongier­t. Bezeichnend ist jedenfalls, dass Carl E. Schorske, der mit der Studie Fin-de-Siècle Vienna – Politics and Culture11 das „Drehbuch“ für die Ausstellung „Traum und Wirklichkeit. Wien um 1900“ geliefert hatte, 2011 die Ehrenbürgerschaft Wiens verliehen wurde.12 Damit belohnte man sein Verdienst um den Begriff „Wien um 1900“, der „im Städtewettbewerb zu einer Trademark, zu einem erfolgreichen City-Branding wurde“.13


1 Blick auf die Grazer Altstadt, Postkarte, um 1900, Stadtarchiv Graz

14 Moderne Dichtung, Zeitschrift für Literatur und Kritik, hg. v. Eduard Michael Kafka, Brünn/Leipzig/ Wien, 1890–1891; vgl. Günther Dankl, Die „Moderne“ in Österreich. Zur Genese und Bestimmung eines Begriffs in der österreichischen Kunst um 1900, Dissertationen zur Kunstgeschichte, Bd. 22, Wien/Köln/ Graz 1986, S. 56. 15 Ebda. 16 Grundlegend für diese Thematik: Ulrike Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900. Ein Beitrag zum Kulturleben der Jahrhundertwende, Phil. Diss., Graz 1994.

Von diesen beiden Bedeutungen von „Moderne“ – als ideologisches Projekt bzw. als Epochenbezeichnung – ist die Verwendung des Begriffes in der Zeit der Jahrhundertwende selbst zu unterscheiden. Für die Entstehung der „Moderne“ in Österreich lassen sich Datum und Ort genau angeben: der 1. Jänner 1890 in der Zeitschrift Moderne Dichtung.14 Dort veröffentlichte Hermann Bahr erstmals seinen programmatischen Aufsatz Die Moderne, mit dem er „etwa vierzig Jahre nach Baudelaire den ModerneBegriff wiederum zum Schlagwort und zur Signatur des Zeitbewusstseins erhoben hatte“.15 Bahr gab damit den Auftakt für eine Bezeichnung, die vielfach verwendet, deren Inhalt aber nicht genau definiert wurde – und die sich korrelierend mit der Kunstentwicklung veränderte. Auch für die hier im Blickpunkt stehende Kunst in Graz wandte die zeitgenössische Kritik die Begriffe „modern“ und „Moderne“ an, und zwar sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Eine exakte Begriffsdefinition erfolgte auch hier nicht. Vielmehr bezeichneten sie allgemein das Neue und Zeitgenössische, das sich bewusst gegen überkommene, als nicht mehr zeitgemäß empfundene Traditionen wandte. Dabei konnten Positionen und Strömungen als „modern“ bezeichnet werden, die dies aus der Sicht der „Moderne“ (im Sinne des „Projektes Moderne“) keineswegs sind – ähnlich wie in der als „Moderne“ definierten historischen Epoche durchaus „antimoderne“ Phänomene auftraten. Die sozio-kulturelle Situation in Graz16

Graz war im ausgehenden 19. Jahrhundert eine prosperierende, mittelgroße Universitätsstadt in der österreichisch-ungarischen Monarchie. (Abb. 1) Für höhere Militärs des Kaiserreiches war es wegen seines milden Klimas und guten Kulturangebotes als Rückzugsort nach der aktiven Laufbahn beliebt, weswegen es den Beinamen „Pensionopolis“ trug. In der Mitte zwischen den Industriegebieten der Obersteiermark und den Agrargebieten der Untersteiermark und Kroatiens gelegen, hatte die Stadt Anschluss an die wichtige Verkehrsverbindung der Südbahn, die, 1857 fertiggestellt, die Metropole Wien mit dem größten Handelshafen der Monarchie, Triest, und


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2 Alexander Wielemans und Theodor Reuter, Grazer Rathaus, Hauptplatz, 1887–1894, Stadtarchiv Graz

17 Heidemarie Uhl, „Bollwerk deutscher Kultur“. Kulturelle Repräsentationen nationaler Politik in Graz um 1900, in: Heidemarie Uhl (Hg.), Kultur – Identität – Moderne. Differenzierungen der Moderne in Zentraleuropa um 1900, Wien 1999, S. 39. 18 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 18. 19 Ebda, S. 23–24. 20 Antje Senarclens de Grancy, „Moderner Stil“ und „Heimisches Bauen“. Architekturreform in Graz um 1900, Wien/Köln/Weimar 2001, S. 164.

damit mit dem Mittelmeer verband. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes war eine der Voraussetzungen für ihren wirtschaftlichen Aufschwung, für Industrialisierung und Urbanisierung ab den 1860er-Jahren gewesen. Die Einwohnerzahl von Graz hatte sich seit 1870 nahezu verdoppelt und betrug 1910 rund 150.000. Dieses rasche Bevölkerungswachstum hatte entsprechende bauliche Veränderungen zur Folge. Neben dem Anwachsen der Arbeiterbezirke im Westen der Stadt entstanden zwischen 1870 und 1910 im Stil des Historismus die privaten Wohnungsbauten der Gründerzeitviertel sowie zahlreiche Gebäude gemeinnütziger und kommunaler Institutionen und öffentlicher Bildungs- und Kultureinrichtungen, die das Grazer Stadtbild auch heute noch prägen. Im Historismus dieser Bauten kommt die führende Rolle des Bürgertums zum Ausdruck, das nun zu Wohlstand gelangt war und die Gründerzeit auch in Graz kulturell und politisch bestimmte. (Abb. 2) Den Grazer Gemeinderat dominierte seit den 1870er-Jahren zunächst die liberale Gruppierung. Im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts kam es als Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen, welche die Industrialisierung mit sich gebracht hatte, zur Radikalisierung der politischen Verhältnisse: In der Folge verloren die Liberalen an Einfluss zugunsten der deutschnationalen, christlich-sozialen und sozialdemokratischen Parteien, wobei in Graz besonders die österreichkritischen Deutsch­nationalen zunehmend Rückhalt gewannen. Hier, am südöstlichen Rand des deutschen Sprachraums, glaubte man das eigene Deutschtum vor allem gegen die Südslawen, die als kulturell niedriger stehend bewertet wurden, verteidigen zu müssen. 1885 erklärte der neugewählte Grazer Bürgermeister Ferdinand Portugall in seiner Antrittsrede „die Wahrung des Charakters von Graz als einer ‚durch und durch deutschen Stadt‘ zur programmatischen Zielsetzung seiner Amtsführung, […] damit Graz ‚ein Hort der deutschen Art und Sitte bleibe‘, das ‚südöstlichste Bollwerk deutscher Cultur‘“.17 In der Folge der Sprachverordnungen des Jahres 1897 von Ministerpräsident Badeni, mittels derer die deutsche und die tschechische Sprache in Böhmen gleichgestellt werden sollten, kam es insbesondere in Graz zu österreichfeindlichen Ausschreitungen, die gegen die Regierung in Wien gerichtet waren.18 In diesen Zusammenhang gehört außerdem die Gründung von Kulturvereinen wie dem Deutschen Schulverein (1880), mit dem Ziel, „die Errichtung deutscher Schulen zu fördern und Sprachgrenzen zu verteidigen“, dem Verein Südmark (1889), der sich den „Schutz deutscher Kulturwerte“ zur Aufgabe gemacht hatte19 oder auch dem Verein für Heimatschutz in Steiermark (1909), der „die natürliche und kulturelle Eigenart des Landes erhalten und pflegen“ wollte.20 Auf dem Gebiet der bildenden Kunst erklärt sich aus dieser tendenziell deutschnationalen Haltung auch die enge Verbindung, die zwischen Graz und München bestand. Diese äußerte sich beispielsweise darin, dass zahlreiche junge Steirer zum Kunststudium nicht die Akademie des internationalen, multiethnischen Wien, sondern jene des „deutschen“ München wählten. Sie ist auch in der Ausstellungspolitik des Grazer Kunstvereins zu beobachten, der neben Wiener Künstlergruppierungen ab den 1890er-Jahren immer wieder solche aus München einlud, oder schließlich in der Besetzung der vakanten Professorenstelle an der Landeskunstschule mit einem in München, genauer in Dachau, tätigen Künstler, nämlich mit Alfred von SchrötterKristelli. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielte sich das kulturelle und gesellschaftliche Leben des Grazer Bürgertums vor allem in Vereinen ab, von denen seit 1870 eine große Zahl gegründet wurde. Neben dem bereits seit 1815 (und bis heute) bestehenden Musikverein gab es Studentenverbindungen, zahlreiche Turn-, Sport- und Gesangsvereine sowie Vereine mit eindeutig politisch-ideologischen bzw. nationalen


Zielen, wie den oben erwähnten. Zu den kulturellen Höhepunkten des Gesellschaftslebens zählten neben den Konzertveranstaltungen des Musikvereins vor allem die Theater- und Opernaufführungen; Theater- und Musikangelegenheiten füllten die Kulturspalten der Tagespresse und waren Gesprächsstoff der Gesellschaft. (Abb. 3)

3 Fellner & Helmer, Grazer Stadttheater (Grazer Opernhaus), 1898/99, Multimediale Sammlungen, UMJ

Der bildenden Kunst kam dagegen im kulturellen Leben der Stadt eine weit geringere Bedeutung zu und es gab kaum Möglichkeiten, sich mit zeitgenössischen Kunstströmungen auseinanderzusetzen. Dafür waren mehrere Gründe verantwortlich: die konservative Kunstauffassung der hier ansässigen Künstler, die veralteten Strukturen der örtlichen Landschaftlichen Zeichenakademie und der Traditionalismus der dort tätigen Lehrer, die in ihren Unterrichtsmethoden und ihrer Kunstauffassung dem Spätbiedermeier, dem Nazarenismus oder der historistischen Stilimitation verpflichtet waren. Dies veranlasste viele junge Künstler zur Abwanderung aus Graz. Zur Gründung eines Kunstvereins kam es hier, verglichen mit anderen österreichischen Städten, erst sehr spät, nämlich 1865. Nach anfänglichen Erfolgen stagnierten jedoch dessen Mitgliederzahlen in den 1880er-Jahren; seine zweimal im Jahr stattfindenden Ausstellungen waren eher nach Zufallskriterien arrangierte Verkaufsschauen als informative Präsentationen, die dem Publikum international aktuelle Stiltendenzen hätten vermitteln können.21 Neuerungen in der Grazer Kunstszene

4 Arnold Böcklin, Im Spiel der Wellen, 1883, Neue Pinakothek München

Gegen Ende der 1880er-Jahre kam es jedoch auch im Bereich der bildenden Kunst zu einer Erneuerungsbewegung, die das als provinziell empfundene Graz an das Geschehen in den Metropolen – Wien, aber vor allem auch München – heranführen wollte. Diese ging zunächst weniger von den Künstlerinnen und Künstlern selbst aus, als von einem Kreis interessierter und engagierter Persönlichkeiten der universitären, literarischen bzw. journalistischen und musealen Sphären. Es entstand nun eine Dynamik, die Neuerungen in so gut wie allen Bereichen der zeitgenössischen bildenden Kunst bewirkte: neue Präsentationsformen im Ausstellungswesen, die Neuorganisation der Kunstsammlungen des Landes Steiermark und der Museumsneubau in der Neutorgasse, die Neugründung von Künstlervereinen, die Gründung eines Institutes für neuere Kunstgeschichte an der Universität und dort angegliedert eine Kunsthistorische Gesellschaft sowie die Umstrukturierung der Landeszeichenakademie durch Einrichtung von Meisterateliers. Böcklin in Graz und Ausrichtung an der „neudeutschen“ Kunst

21 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 36–37. 22 Vgl. Adalbert von Drasenovich, Auf den Weg, in: Grazer Kunst, Graz 1901, S. 1–4, S. 1. 23 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 41. 24 Vgl. „–k.“, 58. Gemälde-Ausstellung des steierm. Kunstvereines, in: Grazer Morgenpost, 30.12.1887.

Die zeitgenössische Literatur, die diese Neuerungsbewegung journalistisch begleitete und unterstützte, nennt quasi als Initialzündung des Neuen in Graz die Ausstellung von vier Gemälden von Arnold Böcklin in der Weihnachtsausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins im Dezember 1887,22 die seitens Kritik und Publikum auf heftige Ablehnung stieß und so etwas wie einen Kunstskandal auslöste.23 (Abb. 4) Mit der dezidierten Stellungnahme für Böcklin ist auch gleich die Richtung definiert, für die der Kreis der Grazer Reformer eintrat: Der Symbolist und Neuromantiker Böcklin stand damals in der deutschen Kunstkritik im Zentrum heftiger Auseinandersetzungen – er galt einerseits als das Genie einer neuen deutschen Kunst, andererseits bewerteten die Vertreter der akademischen Kunst sein Werk als verirrt und abwegig.24 Vor 1890 hat die Ablehnung Böcklins noch nichts mit dem Gegensatz zum Impressionismus zu tun, denn dieser war um diese Zeit in Deutschland noch nicht präsent. Nach 1890 gab es jedoch neben der akademischen Kunst und dem Naturalismus plötzlich zwei moderne Richtungen: die symbolistische Neuromantik und den französischen und


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5 Josef Strzygowski, Die bildende Kunst der Gegenwart, Leipzig 1907, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

25 Vgl. Angelika Wesenberg, Symbolismus versus Impressionismus. Arnold Böcklin und Hans Thoma als umstrittene Galionsfiguren der deutschen Kunst um 1900, in: Schönheit und Geheimnis. Der deutsche Symbolismus. Die andere Moderne, Kat. Kunsthalle Bielefeld 2013, S. 122–130, S. 126. 26 Stuttgart 1905. 27 Henry Thode, Böcklin und Thoma. Acht Vorträge über neudeutsche Malerei, Heidelberg 1905, S. 40, zit. nach: Wesenberg, Symbolismus versus Impressionismus, S. 128. 28 Vgl. Paul Schad-Rossa, Ein Wort zuvor!, in: Kat. Schad-Ausstellung, Steiermärkischer Kunstverein Graz, Herbst 1900, S. 5–12, S. 9. 29 Vgl. Ernst Diez, in: Ausstellungskatalog Schad-Rossa, Eigenverlag Schad-Rossa, Graz 1903, o. S. 30 Leipzig 1907. 31 Zu Wilhelm Gurlitt vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 144–153.

bald auch deutschen Impressionismus.25 Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden spitzte sich dann in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zu, als eine deutschnationale Kunst­geschichte für die Neuromantik eintrat (vertreten etwa durch Henry Thode) und Julius Maier-Graefe im Gegensatz dazu in seiner Schrift Der Fall Böcklin und die Lehre von den Einheiten26 die Bewertung des Impressionismus als die eigentlich moderne Kunst verteidigte. Bemerkenswert und auch für die Grazer Situation bezeichnend ist hierbei die politische bzw. nationale Vereinnahmung der Kunst: Maier-Graefe sah im Erfolg Böcklins den Niedergang Deutschlands, Henry Thode hingegen diskreditierte den Impressionismus als unkünstlerisch und undeutsch, wogegen die deutsche Kunst „Wesensausdruck“ und romantisch bzw. symbolistisch sei und der „Verdeutlichung der allumfassenden Einheit von Mensch und Natur“ diene.27 Die Protagonisten der Grazer Erneuerungsbewegung um 1900 stehen klar aufseiten der neuromantischen Richtung, die wiederum in größerem Zusammenhang mit der Lebensreform-Bewegung im deutschsprachigen Raum als Reaktion auf die erste Phase der Industrialisierung zu sehen ist. Dennoch bemühten sie sich in verdienstvoller Weise, das Grazer Publikum mit zeitgenössischer internationaler Kunst unterschiedlicher Gruppierungen bekannt zu machen. Wie aus der kontroversen Diskussion um Paul Schad-Rossa in den örtlichen Ausstellungsrezensionen hervorgeht, traten sie in künstlerischer Hinsicht für die Überwindung der narrativen Malerei des Historismus, des nachbiedermeierlichen Genrebildes und der nazarenischen religiösen Malerei ein. Vorbildfunktion übten vor allem die Secessionen von München (gegründet 1892) und Wien (gegründet 1897) aus. Deren Credo entsprechend, setzte man sich auch in Graz für ein Gesamtkunstwerk ein, das alle Kunstformen und das Handwerk umfassen und alle Bereiche des Lebens durchdringen sollte. Die Kunst sollte als neue Religion fungieren, die die Formen der Natur zum Ausdruck des Seelenlebens einsetzt28 und das vor oder in der Natur – ganz im romantischen Sinn – empfundene „Heilige“ in ihren Werken zum Ausdruck bringt.29 Entsprechend erhoffte man vom Künstler-Genie die Erhebung in geistige Sphären und die Erlösung von den Niederungen des alltäglichen Lebens. Josef Strzygowski, Vorstand des Kunstgeschichte-Instituts an der Grazer Universität und führend beteiligt an der Grazer Erneuerungsbewegung, hat 1907 in seiner Schrift Die bildende Kunst der Gegenwart. Ein Büchlein für jedermann30 diese Sicht auf die Kunst ausführlich dargelegt. (Abb. 5) Als Reaktion auf Maier-Graefe nimmt er vehement für Böcklin und die ideale Richtung sowie gegen Liebermann und den Realismus/Impressionismus Stellung. Die Grazer Künstler/innen folgten diesen ideologischen Richtungskämpfen allerdings nur teilweise bzw. punktuell. Wilhelm Gurlitt

Die Ausstellung der Gemälde Böcklins in Graz war von Wilhelm Gurlitt (1844–1905) vermittelt worden. (Abb. 6) Gurlitt, der seit 1877 als erster Vorstand des Institutes für Klassische Archäologie an der Universität wirkte, kann als die zentrale Persönlichkeit der Erneuerungsbewegung in Graz bezeichnet werden. Er und sein Freundes- und Schüler­kreis waren an den meisten der oben genannten Initiativen beteiligt.31 Gurlitt war ein Sohn des Landschaftsmalers Louis Gurlitt und familiär in deutschen Kunstkreisen gut vernetzt: Sein Bruder Fritz leitete in Berlin eine Kunstgalerie, die früh den französischen Impressionismus präsentierte, aber auch Arnold Böcklin zum internationalen Durchbruch verhalf, und sein Bruder Cornelius war Architekt und Kunsthistoriker in Dresden und Berlin. Ein weiterer Bruder, Ludwig, war zunächst Lehrer, gehörte zum Gründerkreis des „Wandervogels“ und wurde, von lebensreformerischen Ideen inspiriert, zum „Verfechter einer neuen völkisch-germanischen Religion“.32


6 Wilhelm Gurlitt, Porträtfoto, um 1900, Institut für Archäologie an der Karl-Franzens-Universität Graz 32 Joachim Radkau, Die Verheißungen der Morgenfrühe. Die Lebensreform in der neuen Moderne, in: Kai Buchholz, Rita Latocha [u. a.] (Hg.), Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, Darmstadt 2001, Bd. 1, S. 55. Der kürzlich in den Medien wegen seiner bedeutenden Kunstsammlung, die etliche während des „Dritten Reiches“ geraubte Objekte enthalten soll, viel besprochene Cornelius Gurlitt war ein Enkel von Fritz Gurlitt und also ein Großneffe Wilhelms Gurlitts. Siehe auch FN 31. 33 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 148. 34 Vgl. Emil Ertl, Peter Rosegger. Wie ich ihn kannte und liebte, Leipzig 1923, S. 104–119. 35 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 149. 36 Walter Höflechner, in: Walter Höflechner, Götz Pochat (Hg.),100 Jahre Kunstgeschichte an der Universität Graz, Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz, Bd. 26, Graz 1992, S. 75. 37 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 165.

Seit seiner Ankunft in der Stadt engagierte sich Wilhelm Gurlitt auf vielfältige Weise für die zeitgenössische bildende Kunst und die örtliche Kulturpolitik, er war seit 1883 Konservator für die Steiermark, seit 1887 Kurator des Steiermärkischen Landesmuseums Joanneum und von 1900 bis zu seinem Tod 1905 gehörte er dem vom Unterrichtsministerium bestellten Kunstrat an.33 1881 gründete er gemeinsam mit dem steirischen Dichter und Schriftsteller Peter Rosegger und dem Komponisten Friedrich von Hausegger den in Graz legendären Stammtisch im Gasthaus „Im Krug zum grünen Kranze“, wo sich ein elitärer Kreis von Vertretern aller Kunstsparten, von Kunstschriftstellern und -journalisten, Universitätsprofessoren und höheren Beamten wöchentlich zum Gedankenaustausch traf – auch Schad-Rossa besuchte diese Abende während seiner Zeit in Graz. Obwohl der in Graz sehr bekannte und einflussreiche, konservativ eingestellte Rosegger, der den modernen Strömungen der bildenden Kunst seiner Zeit generell skeptisch bis ablehnend gegenüberstand,34 den Mittelpunkt dieses Kreises bildete, konnten die Protagonisten der Reformbewegung um Gurlitt bei diesen Zusammenkünften durchaus auch in der Überzahl sein.35 Anzunehmen ist jedenfalls, dass dort die unterschiedlichen Kunstbestrebungen der Zeit und die Möglichkeiten der Erneuerung in den Institutionen kontroversiell diskutiert wurden. Somit war der Stammtisch im „Krug zum Grünen Kranz“, obwohl er gemeinhin vor allem mit Rosegger und seinen Anhängern assoziiert wird, einer der Knotenpunkte des Grazer Netzwerkes, das die Moderne – und das bedeutete hier, grob gesagt, Symbolismus und Secessionismus – in der Stadt durchsetzen wollte. Ebenfalls 1881 trat Gurlitt dem Steiermärkischen Kunstverein bei, der dann die wichtigste Plattform für seine Initiativen und für die Durchsetzung der secessionistischen Grundsätze in Graz wurde. Ab 1895 war er im Vorstand des Vereins tätig und leitete ihn 1901 bis 1905 als Präsident. Josef Strzygowski, die Gründung des Kunstgeschichte-Institutes an der Grazer Universität und die Kunsthistorische Gesellschaft

1892 wurde an der Grazer Universität als eine der letzten im deutschsprachigen Teil der Habsburger-Monarchie eine Lehrkanzel für „neuere Kunstgeschichte“ eingerichtet, das hieß damals für das christliche Mittelalter und die neuere Zeit. Sie war die Vorläuferin des heutigen Instituts für Kunstgeschichte. Als Institutsvorstand wurde Josef Strzygowski (1862–1941) berufen, mit dem „keineswegs ein Vertreter der herrschenden Wiener Richtung [nach Graz kam] – wie dies in so vielen anderen Fachbereichen zuvor und darnach [sic!] geschehen ist –, sondern ein Mann von durchaus eigenständiger Prägung, der geeignet war, dem kunsthistorischen Betrieb einen belebenden Zug [zu geben].“36 (Abb. 7) Im Besonderen hatte Strzygowski die Grenzen der herkömmlichen europäischen Kunstgeschichte insofern erweitert, als er versuchte, eine grundlegende Methode für die vergleichende Kunstwissenschaft auszubilden, um die Kunst des Orient­s mit der westlichen Kunstentwicklung in Beziehung zu setzen.37 In dieser Öffnung des Faches über den europäischen Raum hinaus war ihm z. B. Heinrich Gerhard Franz gefolgt, der diese Tradition in Graz während seiner Zeit als Vorstand des Institutes für Kunstgeschichte (1962–1986) mit Vorlesungen über außereuropäische Kunst wieder aufnahm. Damit hat in Graz eine Richtung der Kunstgeschichtsschreibung eine lange Tradition, die heute in Hinblick auf die viel diskutierte Globalisierung große Aktualität besitzt. Über die theoretische Auseinandersetzung mit der Kunst an der Universität ging Strzygowski mit praktischen Übungen in der Landesbildergalerie hinaus, um anhand der Originale die Technologie der Werke zu erläutern. Im Jänner 1903 versuchte er die Fakultät zu überzeugen, einen Lehrer für bildende Kunst anzustellen – seine Wahl fiel


34 — 35 Gudrun Danzer

7 Josef Strzygowski Porträtfoto, ÖNB Wien

38 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 165 und: Höflechner, Pochat (Hg.), 100 Jahre Kunstgeschichte an der Universität Graz, S. 98. In dieser Publikation sind die Bemühungen Strzygowskis um den praktischen Unterricht am Institut detailliert nachzulesen auf S. 96–98. 39 Die Ehe wurde 1908 geschieden, womit vermutlich auch die Übersiedlung Strzygowskis nach Wien im darauf folgenden Jahr zusammenhängt. Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 157. 40 Vgl. die entsprechenden Dokumente im Stadtarchiv Graz. 41 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 156–157. 42 Hermann Ubell, Eine kunsthistorische Gesellschaft in Graz, in: Grazer Tagespost, 22.01.1896.

auf Paul Schad-Rossa. Die Studenten sollten am Entstehungsprozess eines Kunst­ werkes teilhaben können und so Kriterien zur Beurteilung der Qualität von Kunst entwickeln lernen. Das Ministerium genehmigte eine Anstellung des Künstlers – allerdings „ohne Remunerierung“, worauf das Projekt nicht zustande kam.38 Interessant sind Strzygowskis familiäre Verflechtungen mit der Grazer Gesellschaft, aus denen sich auch die weltanschauliche Ausrichtung der Grazer Erneuerungsbewegung, ihre Verbindungen zum lebensreformerischen und deutschnationalen Gedankengut der Zeit gut ablesen lässt: Er heiratete 1895 Elfriede Hofmann, die aus der Familie Hold herstammte, der Eigentümerfamilie der Brauerei Puntigam in Graz.39 Dieser Familie gehörte auch Franz Graf an, Grazer Bürgermeister der deutschnationalen Partei in den Jahren 1897 und 1898–1907, sowie dessen Sohn, der Kunsthistoriker Robert Graf, der später das Grazer Kunstleben der Zwischenkriegszeit journalistisch und schriftstellerisch begleitete. Er veröffentlichte aber auch erste Gedichte in der Zeitschrift Grazer Kunst von 1901. Die Familie kaufte zumindest zwei große Gemälde Paul Schad-Rossas: Eden, 1899, das sich heute in der Sammlung der Neuen Galerie Graz befindet, und Es will Abend werden, 1888, das in den Jahren 1908 bis 1921 als Dauerleihgabe von Doris Franz in der Landesbildergalerie hing – Doris Franz wiederum war die Schwester von Franz Graf.40 Das Haus der Familie Hofmann, gebaut im Stil von Richard Wagners Villa Wahnfried in Bayreuth, war gesellschaftliches Zentrum des damaligen Grazer Musiklebens, in dem die Musik Wagners eine zentrale Rolle spielte. Friedrich Hofmann, der Schwiegervater Strzygowskis, hatte 1873 gemeinsam mit dem Juristen und Musikwissenschaftler Friedrich von Hausegger und dem Komponisten Wilhelm Kienzl einen ersten Richard-Wagner-Verein gegründet. Dessen Zweck war die Unterstützung des Baus des Bayreuther Festspielhauses gewesen und er wurde nach den ersten Bayreuther Festspielen und also dem Erreichen dieses Vereinszieles 1876 wieder aufgelöst. 1883 waren Hofmann und Hausegger wiederum federführend an der Gründung eines zweiten Grazer Richard-Wagner-Vereins beteiligt. Die Zeitschrift Grazer Kunst von 1901, deren musikalischen Teil Wilhelm Kienzl redigierte, brachte unter anderem eine Komposition von Siegmund von Hausegge­r, dem Sohn des erwähnten Friedrich von Hausegger, heraus.41 Mit Gurlitt und Strzygowski waren in den Fachgebieten der historischen bildenden Kunst – Archäologie und Kunstgeschichte – an der Grazer Universität zwei Persönlichkeiten tätig, die am zeitgenössischen Kunstgeschehen lebhaft Anteil nahmen. Die Erneuerungsbewegung dieser Jahre erhielt durch sie einerseits quasi akademischen Rückhalt, andererseits waren beide bestrebt, ihr Wissen und ihre Begeisterung für die Kunst auch über die Grenzen des wissenschaftlichen Bereiches hinauszutragen. Gurlitts Betätigungsfeld wurde in erster Linie der Steiermärkische Kunstverein, Strzygowsk­i gründete 1896 mit einigen seiner Studenten, darunter der Archäologe, Literat und spätere langjährige Direktor des Oberösterreichischen Landesmuseums­ direktor in Linz, Hermann Ubell, die Kunsthistorische Gesellschaft. Ihr Zweck war zwar in erster Linie der Ankauf eines wissenschaftlichen Apparates für das Universitäts­ institut, jedoch bemühte sich diese Vereinigung über den universitären Bereich hinaus darum, „das Verständnis für bildende Kunst und ihre Geschichte in immer weiteren Kreisen auf methodische Weise zu wecken und zu pflegen“42 – ganz im Sinne der Kunsterziehungsbewegung, die der Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwar­k zur selben Zeit propagierte und die sich damals im deutschen Sprachraum rasch verbreitete. Besonders in den reformfreundlichen Kreisen in Graz fand sie begeisterte Anhänger. Diese Kunsterziehungsarbeit leistete die Kunsthistorische Gesellschaft mittels Vorträgen, Ausstellungsführungen und Exkursionen, aber sie veranstaltete auch selbst Ausstellungen zeitgenössischer Kunst am Institut, die für ein allgemeines Publikum zugänglich waren: Bezeichnenderweise für die Richtung


8 August Gunolt, Neubau des Steiermärkischen Landesmuseums, Neutorgasse, 1895, Neue Galerie Graz, UMJ, Archiv

der Erneuerungsbewegung in Graz wurden in den Jahren 1897 und 1899 mehrmals Arnold Böcklin, Max Klinger und Hans Thoma gezeigt. Für die Ausstellung von Werken Böcklin­s und Klingers im Jänner 1899 stellte der später für die Wiener Secession wichtige Mäzen und Sammler Carl Reininghaus, der aus der Grazer Brauerei-Dynastie stammte, zwei plastische Werke des belgischen Symbolisten Fernand Khnopff aus seiner Kollektion zur Verfügung. Aus heutiger Sicht avancierter waren z. B. zwei Veranstaltungen im Jahr 1898, als man dem Publikum neue Medien vorstellte: Es gab einen Vortrag von Adalbert von Drasenovich zur Plakat-Ausstellung im Joanneum und eine Ausstellung im Kunstgeschichte-Institut über „Amateurphotographie“, in die Franz Wibiral einführte.43 Die Mitglieder der Kunsthistorischen Gesellschaft kamen vorwiegend aus dem Grazer Bildungsbürgertum, unterstützend wirkten Grazer Industrielle wie die erwähnte Familie Reininghaus. So gut wie alle Protagonisten der Erneuerungsbewegung gehörten der Gesellschaft an und übernahmen zum Teil auch aktive Aufgaben wie Vorträge und Führungen. Die Gesellschaft ihrerseits trat dem Steiermärkischen Kunstverein bei, sodass eine enge Vernetzung dieser beiden Vereinigungen entstand und sie sich gegenseitig in ihren Zielsetzungen unterstützten. Dies betraf in den Jahren vor der Jahrhundertwende vor allem die Reformierung der Landeszeichenakademie. Schon vor Gründung der Kunsthistorischen Gesellschaft hatte sich der Kunstverein für den Neubau des Landesmuseums und für die Reorganisation der öffentlichen Kunstsammlungen des Landes eingesetzt. Neustrukturierung der Kunstsammlungen des Landes Steiermark und Neubau des Museumsgebäudes in der Neutorgasse

43 Vgl. Heidetraut Ocherbauer, Die Kunsthistorischen Gesellschaften an der Universität Graz von ihren Anfängen bis heute, in: Höflechner, Pochat (Hg.), 100 Jahre Kunstgeschichte an der Universität Graz, S. 367–379.

Die zuletzt genannten Bereiche gehören insofern zusammen, als die Sammlung der Steiermärkischen Landesbildergalerie (das ist die Vorläuferin der heutigen Alten und Neuen Galerie am Universalmuseum Joanneum) zur Landeszeichenakademie gehörte, von ihr verwaltet und vorwiegend für Studienzwecke verwendet wurde. Direktor beider Institute war von 1873 bis 1902 der Historienmaler Heinrich Schwach (1829–1902). Die Sammlung litt unter Platzmangel und war der Öffentlichkeit kaum zugänglich. Zwischen 1877 und 1884 hatte der Landtag zwar versucht, die Bestände aus der Kunstschule herauszulösen und im Landesmuseum Joanneum in der Raubergasse unterzubringen, war wegen des dort mangelnden Raumangebotes jedoch gescheitert. Unter anderem mit finanzieller Unterstützung durch den Kunstverein erfolgte Anfang der 1890er-Jahre der Neubau des Museumsgebäudes in der Neutorgasse (Abb. 8)


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nach einem Entwurf von August Gunolt, der 1895 unter Beisein des Kaisers eröffnet wurde. Darin waren nun die Objekte des Kunstgewerbemuseums und die Landesbildergalerie untergebracht und ausgestellt. Zur Eröffnung wurde auch die 78. Ausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins präsentiert, der sich durch seine Stiftung für den Neubau das Recht erworben hatte, jährlich zwei Ausstellungen in den Räumen des neuen Gebäudes zu veranstalten. Noch nicht reorganisiert und ausgestellt war die grafische Sammlung, die sich damals in einem konservatorisch schlechten Zustand befand. Um diese bemühte sich in dieser Zeit Franz Wibiral (1840–1914), ein weiteres Mitglied der Reformgruppe um Wilhelm Gurlitt. Der aus Gesundheitsgründen pensionierte Wiener Rechtsanwalt und „kunstversierte Autodidakt“44 war 1893 nach Graz gezogen, „wo er rasch in das soziokulturelle Gesellschaftsleben integriert wurde. Er trat dem Steiermärkischen Kunstverein bei, in dessen Vorstand er 1897 gewählt wurde, und gehörte der Kunsthistorischen Gesellschaft von Beginn ihrer Gründung an. Nach dem Tod Wilhelm Gurlitts (1905) übernahm er für drei Jahre das Präsidentenamt des Kunstvereins.“45 Wibirals Verdienst ist die fachwissenschaftliche Aufarbeitung und Neukatalogisierung der grafischen Bestände und deren Zusammenführung im sogenannten Kupferstichkabinett, das 1901 als dritte Abteilung der Landeskunstsammlungen eröffnet werden konnte. (Es ist der Vorläufer der heutigen grafischen Sammlungen der Alten und der Neuen Galerie am Universalmuseum Joanneum.) Die Mitglieder der Kunsthistorischen Gesellschaft hatten bereits in den Jahren vor der Eröffnung die Möglichkeit, die Sammlungen bei Sonderführungen Wibirals kennenzulernen. Die Reorganisation der Kunstausbildung

44 Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 72. 45 Ebda. 46 Ebda, S. 80. 47 Ebda. 48 Vgl. Roberta-Maria Klarner, Die Geschichte der ständischen Zeichnungs-Akademie in Graz, Phil. Diss, Graz 1945, S. 167. 49 Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 80–81.

„Nach dem Neubau des Landesmuseums […] und der erfolgreich begonnenen Umstrukturierung der graphischen Sammlungen galt der nächste Reformschritt der Neustrukturierung der Künstlerausbildung und der damit verbundenen Einführung von Meisterateliers. Mitte der neunziger Jahre verschärfte sich nämlich die Situation der Landeszeichenakademie derart, daß alle maßgeblichen Stellen wie Landtag, Fachleute des Joanneums, Kunsthistorische Gesellschaft, Kunstverein und Presse für eine rasche Reform der Kunstausbildung eintraten.“46 In dem Komitee, das vom Landtag mit Vorschlägen für eine Reformierung der Kunstausbildung in Graz beauftragt wurde und das aus Mitgliedern des Kuratoriums des Landesmuseums bestand, waren wiederum jene Persönlichkeiten vertreten, die bereits in anderen Zusammenhängen der Grazer Erneuerungsbewegung genannt wurden. Unter anderen waren das Wilhelm Gurlitt, Emil Ertl, Adalbert von Drasenovich und Franz Wibiral.47 Von den ersten Anregungen zur Reformierung bis zu deren letztlicher Durchführung dauerte es knapp zehn Jahre, von 1898 bis 1907 – in diesem Jahr löste die Landes-Kunstschule die 1787 von Johann Veit Kauperz gegründete Ständische Zeichnungsakademie ab.48 In diesen Jahren fanden heftige Flügelkämpfe zwischen den Fortschrittlichen und den Bewahrern statt. Es ging darum, die herkömmliche autoritäre Ausbildungsform durch Meisterateliers zu ersetzen, in denen „ein offenes und freies Verhältnis zwischen Professoren und Schülern eine moderne Lehrplangestaltung gewährleiste[n würde]“.49 Und es ging – natürlich – um die Besetzung der Professorenstellen. Die gegensätz­ lichen Auffassungen in diesen Auseinandersetzungen vertraten exemplarisch auf der einen Seite der Steiermärkische Kunstverein und die Kunsthistorische Gesellschaft mit ihrem Reformkurs und auf der anderen Seite die Vereinigung bildender Künstler Steiermarks, die 1899 als Interessensvereinigung der Künstler gegründet worden war. Während sich der Kunstverein für die Berufung von Künstlern einsetzte, die Erfahrungen außerhalb von Graz und international gesammelt hatten und mit ihrer Kunst auf der Höhe der Zeit standen, wollte die Vereinigung die Stellen aus ihren Reihen, also


9 Antonín Andĕl, Lehrtafeln aus Der Moderne Zeichenunterricht an Volks- und Bürgerschulen, Mappe IV, Wien 1906, Privatbesitz

50 Vgl. ebda., S. 81. 51 Sie lösten Hermann von Königsbrun bzw. Ludwig Kainzbauer ab, der die Professur für das Historienfach Heinrich Schwachs nach dessen Tod 1902 provisorisch weitergeführt hatte. 52 Vgl. Klarner, Die Geschichte der ständischen ZeichnungsAkademie in Graz, S. 166. 53 Vgl. Alexander Klee, Formen der Landschaft – geformte Landschaft, in: Agnes HussleinArco, Alexander Klee (Hg.), Formalisierung der Landschaft, Kat. Belvedere, München 2013, S. 19. 54 Ver Sacrum, Heft 15, 1901, S. 243–255. 55 Weibel, Das verfälschte Fin de Siècle, S. 21. 56 Vgl. Klee, Formen der Landschaft – geformte Landschaft, S. 14–15; zur Bedeutung Adolf Hölzels für die Wiener Kunst der Jahrhundertwende siehe auch grundsätzlich: Alexander Klee, Adolf Hölzel und die Wiener Sezession, München u. a. 2006.

mit Grazer Künstlern, besetzt wissen. Statt einer Umstrukturierung der Schule mit Meisterateliers zuzustimmen, befürwortete die Vereinigung – erstaunlicherweise – die allmähliche Auflassung der Zeichenakademie unter vermehrter Vergabe von Stipendien. Diesen Gedanken wiederum hielt die andere Seite für gefährlich, da damit alle begabten Leute allmählich aus dem Land vertrieben würden.50 Mit der Berufung von Alfred von Schrötter-Kristelli im Jahr 1900 und Alfred Zoff im Jahr 190751 als Leiter von zwei künstlerisch voneinander unabhängigen Abteilungen der Schule52 wurde jedenfalls den Besetzungsvorschlägen des Kuratoriums des Landesmuseums von 1899 Folge geleistet. Mit Zoff wird auch die Vereinigung einverstanden gewesen sein, stellte er doch ab 1901 nicht mehr bei den Ausstellungen des Kunstvereins, sondern bei jenen der Vereinigung aus. Bemerkenswert ist, dass der ursprüngliche Wunschkandidat für die Besetzung von 1900 Adolf Hölzel war. Dieser lehnte zwar ab, empfahl aber seinen Mitarbeiter Schrötte­r.53 Hölzel war für die geometrisch-abstrakten und rationalen Tendenzen der Wiener Moderne um 1900 von größter Bedeutung. Peter Weibel bezeichnet seinen Aufsatz Über Formen und Massenvertheilung im Bilde, der am 1. August 1901 in der Zeitschrift der Wiener Secession Ver Sacrum erschien,54 sogar als „den vielleicht wichtigsten Aufsatz dieser Epoche“.55 Der aus Mähren stammende Österreicher Hölzel hatte sich in den 1880er-Jahren in Dachau niedergelassen – er gehörte dort der „NeuDachauer Künstlergruppe“ an – und eine bald sehr populäre Kunstschule gegründet, in der er seinen Schülern die von ihm entwickelten Grundsätze durch eine neue Methodik des Kunstunterrichts vermittelte. Hölzel verfolgte einen analytischen, naturwissenschaftlichen Ansatz, für ihn war Malerei in erster Linie Forschung an den künstlerischen Mitteln und an den mit ihnen verbundenen Gesetzen, Worte wie „Eingebung“ oder „Geniestreich“ finden sich für die Beschreibung der künstlerische Tätigkeit bei ihm nicht.56 Mit Schrötters Lehrtätigkeit wurde dieser rationale Zugang zur Kunst auch nach Graz vermittelt – und bildete quasi einen Gegenpol zu dem schwärmerischen, symbolistisch-neuromantischen Gedankengut, das Schad-Rossa aus München mitbrachte und hier vehement vertrat. In diesem Zusammenhang sei auch auf Antonín Anděl hingewiesen, (Abb. 9) der ebenfalls in Graz tätig war: Er unterrichtete an der Landesoberrealschule und lehrte


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10 Giovanni Segantini, Die bösen Mütter, 1894, Österreichische Galerie Belvedere, Wien

zwischen 1891 und 1903 die „Grundzüge der Ornamentenkunde“ an der Technischen Hochschule. Von 1903 bis 1906 gab er vier Mappen zur Kunsterziehung mit Anschauungstafeln und erläuternden Texten für den Zeichenunterricht an Volks- und Bürgerschulen heraus.57 Der vierten Mappe, die Vom Zeichnen und Malen der landschaft­ lichen Natur handelt, stellte er Hölzels Aufsatz Über Formen und Massenvertheilung im Bilde voran und reproduzierte Vergrößerungen von dessen erläuternden Zeichnungen, begleitet von Textpassagen aus dem Aufsatz. „Damit fand Hölzels Formenlehre Eingang in die Lehrpläne der k. u. k. Monarchie und wurde – zumindest eine Zeitlang – zu einer Grundlage der künstlerischen Tätigkeit an den österreichischen Schulen. […] Die Formkunst der Secession gehörte ab diesem Zeitpunkt zum allgemeinen Bildungsgut in Österreich.“58 Die Kunst- und Künstlervereine Der Steiermärkische Kunstverein

11 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur Ausstellung „Häusliche Kunstpflege“, Ostern 1899, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

57 Antonín Anděl, Der Moderne Zeichen­ unterricht an Volksund Bürgerschulen. Ein Führer auf dem Wege zur künstlerischen Erziehung der Jugend, Wien, Mappe I: 1903, Mappe II: 1904, Mappe III: 1905, Mappe IV: 1906. 58 Klee, Formen der Landschaft – geformte Landschaft, S. 20–21. 59 Drasenovich, Auf den Weg, S. 2.

Wie bereits mehrmals erwähnt, gingen vom Steiermärkischen Kunstverein und seinem Netzwerk viele der kulturpolitischen Neuerungen im Graz dieser Zeit aus, so suchte er auch sein eigentliches Aufgabenfeld, die Kunstvermittlung durch Ausstellungen, zu reformieren. Bislang waren seine in der Regel zwei Ausstellungen pro Jahr in erster Linie Verkaufsausstellungen gewesen. Einerseits hatten sie Werke heimischer Künstler gezeigt, die fast alle – auch mangels Alternativen – Mitglieder des Kunstvereins waren, andererseits hatte es einen Kooperationsvertrag mit der Wiener Künstler­ genossenschaft gegeben, die ihre Werke nach Graz schickte und deren „Ladenhüter [der Kunstverein] hatte ausstellen und zum Theile auch kaufen müssen“.59 Mit Ende der 1880er-Jahre rückte die Intention, das Grazer Publikum über aktuelle internatio­ nale Tendenzen der Kunstentwicklung zu informieren, in den Vordergrund. Die Ausstellung der vier Gemälde Arnold Böcklins im Jahr 1887 stellte darin einen Beginn dar; 1895 – mit der Wahl Gurlitts in den Vorstand des Vereins und der Eröffnung des neuen Landesmuseums – wurden die Bemühungen in diese Richtung intensiviert. 1896 fand im Landesmuseum die erste „Themenausstellung“ zeitgenössischer Kunst in Graz statt: Sie zeigte einen Überblick über internationale Tendenzen in der Künstler­ grafik mit Werken u. a. von Klinger, Thoma, Leibl, Liebermann, Rops, Fantin-Latour, Puvis de Chavannes, Whistler und amerikanischen Holzschneidern. 1897 wurden die Verpflichtungen gegenüber der Wiener Künstlergenossenschaft gelöst. In der Weihnachtsausstellung dieses Jahres konnte neben den heimischen eine Reihe von Werken aus verschiedenen europäischen Ländern gezeigt werden, darunter auch etliche symbolistische, die heftig diskutiert wurden. Besonders die Gemälde von Giovanni Segantin­i (Die Kindesmörderinnen, 1894, jetzt unter dem Titel Die bösen Mütter eines der Hauptwerke im Belvedere in Wien, Abb. 10), von Walter Leistikow und von Ludwig Dettmann wurden in der Presse ausführlich erklärt und besprochen. In den folgenden Jahren wurden immer wieder verschiedene Münchner Künstlervereinigungen eingeladen (die Künstlergenossenschaft, die Luitpoldgruppe und die Secession), an der Ausstellung „Häusliche Kunstpflege“, 1899, die kunsthandwerkliche Arbeiten von künstlerischen Laien zeigte, wird anschaulich, wie die secessionistischen Ideen der Durchdringung von Kunst und Leben nun auch in der Provinzstadt Graz wirksam wurden. (Abb. 11) Die Ausstellungskataloge brachten nun jeweils Einleitungen, in denen dem Publikum das jeweilige Ausstellungskonzept auch theoretisch vermittelt wurde. Als weitere Neuerung begann der Kunstverein 1898 seine Ausstellungen mit Plakaten, die im öffentlichen Raum der Stadt aufgehängt wurden, zu bewerben. Der Entwerfer des ersten Plakates, der Bildhauer Theodor Stundl, war aus einem Künstlerwettbewerb als Sieger hervorgegangen. Das Plakat, dessen Motiv auch für


den Ausstellungskatalog verwendet wurde, zeigt eine weiße Büste der Athene vor einem roten Feld, gekrönt durch eine von oben kommende Hand mit einem Lorbeerkranz – ein Entwurf, von dessen künstlerischer Qualität etwa Ertl und Drasenovich wahrscheinlich aufgrund seines historisierenden Erscheinungsbildes nicht überzeugt waren, doch erkannten sie seine Werbekraft an.60 (Abb. 12) Die Plakate der folgenden Jahre wurden unter anderen von den Architekten Leopold Cerny (1904, Abb. S. 73/ Nr. 9–11; 1907, Abb. 13) und Bruno Fiedler (1914, Abb. 16) sowie von den Malerinnen und Malern bzw. Grafikerinnen und Grafikern Karl Berger, Else Birnbacher (1907, Abb. S. 73/Nr. 12), Elfriede Coltelli (1908, Abb. S. 78; 1909, Abb. S. 71/Nr. 4; 1912, Abb. 15) und Fritz Silberbaue­r (1910, Abb. 14; 1912, Abb. S. 78) entworfen.

12 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 86. Ausstellung, Entwurf von Theodor Stundl, Weihnachten 1898, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

60 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 68. 61 Adalbert von Drasenovich, Einleitung, in: 89. Ausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins, Graz 1900, S. 7–10, S. 7. 62 Ebda, S. 8. 63 Ebda, S. 8–9. 64 Ebda, S. 7. 65 Margit Schafschetzy, Der Steiermärkische Kunstverein im Wandel der Zeit, in: 125 Jahre Steiermärkischer Kunstverein Werkbund. Ein Rückblick, Kat. Stadtmuseum Graz 1990, o. S.

Mit der Frühjahrsausstellung 1900 hatte der Kunstverein sein Ziel erreicht, seine Ausstellungen im Sinne der Münchner und Wiener Secessionen auszurichten und zu gestalten. Im Einleitungstext zum Ausstellungskatalog (Abb. 14) fasst Adalbert von Drasenovic­h diese Zielvorstellungen zusammen: Überwindung der provinziellen Tradi­ tion und Anschluss an das europäische Kunstgeschehen, weil „kein Kunstcentrum, geschweige denn eine seitab gelegene Stadt wie Graz der auswärtigen Anregung entbehren kann“;61 die Präsentation von zusammengehörigen Künstlergruppierungen, um einen Überblick über bestimmte Kunstrichtungen bieten zu können anstelle einer zufälligen Auswahl mit dem vorrangigen Ziel des Verkaufs; eine aufwendige Ausstellungsgestaltung, die die Kunstwerke im Raum bewusst zur Geltung bringt, damit beides als Gesamtkunstwerk wirken und so das „ganze Leben mit Kunstanschauung zu durchdringen und zu verschönern“62 vermöge; die Präsentation von „Nutzkunst“ (so bezeichnete man das Kunstgewerbe) und von Möbeln, um die Raumwirkungen zu steiger­n und um auch in diesem Bereich nach Wiener Vorbild und im Sinne des secessio­nistischen Gesamtkunstwerkes neue Impulse zu setzen. Gezeigt wurde die Münchner Gruppe „Die Scholle“, der es laut Drasenovich „gelungen ist, eine […] Heimatlichkeit und Deutschheit der Landschaft zu erreichen“, die „Neu-Dachauer“ Gruppe, unter anderem mit Ludwig Dill, Adolf Hölzel und Alfred von Schrötte­r-Kristelli, „die durch liebevollste Vertrautheit mit den Reizen ihrer heimat­ lichen Moorebene, durch […] Abwägen der Ton- und Farbenwerte, durch […] Verthei­ lung der Licht- und Schattenmassen mit modernen Mitteln und für die moderne Umgebung auf die ruhige und sichere Wirkung der alten Meister lossteuert“,63 sowie Illustrationen der Zeichner der Münchner Zeitschrift Jugend, die dem „Jugendstil“ seinen Namen gab. Betrachtet man diesen Einleitungstext, mit dem sich Drasenovich auf der Höhe der Zeit stehend – also als modern – versteht, aus heutiger Sicht, fällt die Durchmischung von als modern und als antimodern geltenden Elementen auf: „Heimatlichkeit und Deutschheit der Landschaft“, die „Vertrautheit mit der heimatlichen Moorebene“ und die „Wirkung der alten Meister“ müssten nach dem heutigen Verständnis der „Moderne“ als rückschrittlich gelten, während das „Abwägen der Ton- und Farbwerte“ und die „Vertheilung der Licht- und Schattenmassen“ im Sinne der Entwicklung zum autonomen Bild hin als fortschrittlich zu bewerten wären. Typisch für die Grazer Situation ist im Besonderen die Verbindung von „modern“ und „deutsch“, die mit der erwähnten stark deutschnationalen Ausrichtung der Gesellschaft in dieser Stadt zusammenhängt, zu der sich durchaus auch die Anhänger der Reformbewegung bekannten. Diese Ausstellung, die „nach Absicht der Veranstalter einen Wendpunkt bedeuten“64 sollte, wurde wie auch die folgenden Kunstvereinsausstellungen von Führungen und Vorträgen begleitet und hatte großen Erfolg. „Sie wurde von mehr als 7000 Besuchern gesehen und fand damit den größten Zuspruch, den eine Kunstausstellung in Graz bis dahin erhalten hatte.“65


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13 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur „Ausstellung älterer Kunstwerke aus heimischem Privatbesitz“, Entwurf von Leopold Cerny, 1907, Stmk. Landesarchiv Graz

14 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 110. Ausstellung, Entwurf von Fritz Silberbauer, 1910, Stmk. Landesarchiv Graz

15 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur „Weihnachtsausstellung“, Entwurf von Elfriede ColtelliPlaichinger, 1912, Neue Galerie Graz, UMJ

16 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 114. Jahresausstellung, Entwurf von Bruno Fiedler, 1914, Stmk. Landesarchiv Graz


14 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 89. Ausstellung, Umschlag und Einleitungstext von Adalbert von Drasenovich, Ostern 1900, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek


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15 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 91. Ausstellung, Entwurf von Leopold Cerny, Weihnachten 1900, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek 16 Verein der bildenden Künstler Steiermarks, Katalog zur 1. Ausstellung, Eröffnung 16. Oktober 1900, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek 17 Verein der bildenden Künstler Steiermarks, Katalog zur Hagenbund-Ausstellung, Entwurf von Ferdinand Pamberger, Frühjahr 1903, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

Im Herbst des Jahres 1900 zeigte der Kunstverein dann den soeben gegründeten Wiene­r Künstlerbund Hagen sowie die erste Grazer Ausstellung von Paul SchadRossa, die großes Aufsehen erregte – dazu siehe weiter unten. Zu Weihnachten war eine Auswahl von Künstlern der seit zweieinhalb Jahren bestehenden Wiener Secession im Kunstverein zu Gast (Abb. 15) – Gustav Klimt, der damals wegen seiner Universitätsbilder im Kreuzfeuer der Kritik stand, war auch in Graz der Star der Ausstellun­g.66 Der Verein bildender Künstler Steiermarks

66 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 121. 67 Der Verein wurde oft auch „Vereinigung bildender Künstler Steiermarks“ genannt, 1918 änderte er seinen Namen in „Genossenschaft bildender Künstler Steiermarks“. 68 Adalbert von Drasenovich, Dritte Jahresausstellung des Vereins bildender Künstler, in: Grazer Tagblatt, 21.10.1902, S. 1, zit. nach Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 91.

Dieses Reformprogramm des Kunstvereines, der bis dahin nicht nur als Bildungsverein, sondern auch als einziger Künstlerverein in Graz fungiert hatte, stieß in den Reihen der heimischen Künstler jedoch auch auf vehemente Gegner. Diese sahen nun die Möglichkeiten, ihre Werke in den Kunstvereinsausstellungen zu präsentieren, eingeschränkt und fühlten sich vom Kunstverein nicht adäquat vertreten. Anders als in Städten wie München, Berlin oder Wien, wo fortschrittliche Künstler sich in Sezessionen von konservativen Künstlergenossenschaften trennten, gründeten in Graz, wo die Reformen innerhalb des bestehenden Kunstvereines durchgeführt wurden, die eher konservativ eingestellten Künstler eine neue Interessensvertretung: Im Oktober 1899 konstituierte sich der Verein bildender Künstler Steiermarks,67 der ab November 1900 jeweils eine umfangreiche Jahresausstellung seiner Mitglieder organisierte. (Abb. 16) Diese waren den Vereinszielen entsprechend in erster Linie Verkaufsausstellungen der Mitglieder ohne strenge Qualitätsauswahl, die modernen Ausstellungsmodi wurden kaum berücksichtigt. Der Künstlerverein reagierte in der Folge auf die dahingehende Kritik: So reduzierte er etwa in der Jahresausstellung 1902 die Zahl der Künstler und der präsentierten Arbeiten, lud (damals) nicht in der Steiermark lebende Künstler/ innen wie Hugo Darnaut, Marie Egner, Olga Wisinger-Florian oder Alfred Zoff zu den Ausstellungen ein bzw. zeigte (im Frühjahr 1903) den Wiener „Hagenbund“ (Abb. 17) – vermutlich ebenfalls als Reaktion auf die Kritik, die „heimische Kunstpflege“ zu sehr zu betonen und eine „Abschließung gegen äußere Anregungen“ zu propagieren.68 Zunächst war die Neugründung des Künstlervereines vom Kunstverein bzw. dessen Vertretern in der Presse durchaus begrüßt und eine Zusammenarbeit angestrebt


worden – im Besonderen in den Bemühungen um den Bau einer Kunsthalle, die letztlich erst 1952 (!) in Form des Künstlerhauses im Stadtpark verwirklicht werden konnte. Jedoch gerieten die beiden Vereine dann anlässlich der Restrukturierung der Kunstschule wie erwähnt in Opposition zueinander, und auch in Zusammenhang mit der Herausgabe der Zeitschrift Grazer Kunst, die Schad-Rossa 1901 initiiert hatte, gab es einen öffentlichen Schlagabtausch zwischen den beiden Vereinigungen in der Grazer Presse. Betrachtet man jedoch die Mitgliederlisten und die Werklisten in den Ausstellungs­ katalogen beider Vereine, entdeckt man die Namen von etlichen Künstlern, die da und dort ausstellten und zum Teil auch Funktionen in der Vereinsleitung beider Vereine innehatten. Der Gegensatz wird also weniger schroff gewesen sein, als er sich aus den Presseberichten darstellt. Auch erkennt man etwa beim Durchsehen des Kataloges der Jahresausstellung von 1901, der ausnahmsweise illustriert ist, dass der Zeitstil – Symbolismus und Jugendstil – durchaus auch von den Künstlerinnen und Künstlern des Vereins bildender Künstler rezipiert worden ist. 18 Club der Amateur-Photog­raphen Graz, Erinnerungsblatt für Franz Wibiral, 1902

19 Club der Amateur-Photographen Graz, Die künstlerischen Bestrebungen der Amateur-Photo­graphie und die Internationale Ausstellung. Nach einem Vortrage von Karl G. Gigler, Graz 1902, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

69 Vgl. Barbara Schaukal, Die Fotografie – Eine „Neue Kunst“?, in: Im Hochsommer der Kunst, S. 99–108. 70 Vgl. Jasmin Haselsteiner, Zur steirischen Fotografie. Von den Anfängen bis in die sechziger Jahre, Dipl.-Arb., Graz 2001 oder diverse Veröffentlichungen des Bild- und Tonarchivs am Joanneum, die Armgard Schiffer und Barbara Schaukal verfasst haben.

Der Grazer Amateur-Photographen-Club und die Grazer Kunstphotographische Vereinigung

Im Gegensatz zum Kunstverein oder dem Verein bildender Künstler sind die Vereinigungen der Fotografen dieser Zeit in Graz und deren Beziehungen zur Kunstszene weniger aufgearbeitet. Zwar wurde die Fotografie in die Ausstellung „Im Hochsommer der Kunst“ mit einbezogen69 und gibt es wissenschaftliche Arbeiten zur Fotografiegeschichte der Steiermark.70 Aber bislang fehlt eine weitergehende soziokulturelle wie kunsthistorische Betrachtung der Grazer Fotografie der Jahrhundertwende und der vielfältigen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen der Fotografie auf der einen und der Malerei und Grafik auf der anderen Seite. In der umfassendsten Darstellung dieser Zeit in Graz, der Dissertation von Ulrike Tropper, findet sie keine Erwähnung. Dieses Desideratum kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden, doch hatte die Fotografie als neues Medium der bildenden Kunst in dieser Zeit bereits so große Bedeutung erlangt, dass das Thema hier zumindest angerissen werden soll. In Graz wurde 1889 der Grazer Amateur-Photographen-Club gegründet, als erster Amateurfotografenverein in einem österreichischen Bundesland. Die Amateurfoto­ grafie, die mit dem neuen Medium für naturwissenschaftliche Zwecke experimentierte oder dezidiert künstlerische Ziele verfolgte, begann sich damals von der Berufsfoto­ grafie, die die Fotografie in erster Linie zu Erwerbszwecken betrieb, abzugrenzen. Leopold Bude war der einzige Professionist in dem neuen Verein, dessen Mitglieder vorwiegend aus dem Adel, dem Besitz- und Bildungsbürgertum stammten bzw. in der Kunstszene tätig waren oder ihr nahe standen, wie z. B. Johann Graus, der spätere Landeskonservator für Steiermark, Franz Wibiral, Josef Strzygowski, Moritz O’Lynch of Town, der Bruder des Malers Carl O’Lynch, oder überhaupt von der bildenden Kunst herkamen wie die Maler und Grafiker Alois Kasimir und Heinrich Bank. 1902 veranstaltete der Club eine erste größere Ausstellung, die „Internationale Ausstellung für Amateur-Photographie“, an der sich neben den Clubmitgliedern Fotografen aus den anderen österreichischen Kronländern und aus Deutschland beteiligten. Auch im Bereich der Fotografie erkannte man – wie im Kunstverein – offensichtlich die Notwendigkeit, Publikum und Mitglieder über die internationalen Entwicklungen außerhalb der eigenen Region zu informieren. Anlässlich dieser Veranstaltung wurde ein Erinnerungsblatt für Franz Wibiral, den Gründer des Kupferstichkabinetts am Joanneum, gedruckt, der sich wohl um diese Ausstellung verdient gemacht hatte. (Abb. 18) Im Vorwort zum Ausstellungskatalog mit dem Titel Photographie – Eine Kunst gibt Karl Gigler (Abb. 19) einen kurzen Überblick über die Geschichte der


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20 Club der Amateur-Photo­ graphen Graz, Katalog zur „Ausstellun­g künstlerischer Photo­graphien“, Graz 1907, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

21 Klub der Amateur-Photo­ graphen Graz und Kunstphoto­ graphische Vereinigung Graz, „Photo­graphische Ausstellung: ‚Die Steiermark‘“, Mai–Juni 1912, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothe­k

71 Karl Gigler, in: Kat. Photographie – Eine Kunst, S. 7. 72 Vgl. Schaukal, Die Fotografie – Eine „Neue Kunst“?, S. 106.

Fotografie, um im Anschluss die Leistungen der Dilettanten und Amateure (der „Liebhaber“ im positiven Sinn) hervorzuheben, die vor allem mittels der sogenannten Edeldruckverfahren wie z. B. des Gummidrucks die Fotografie als künstlerisches Medium etabliert hätten. Im pathetischen Ton der Zeit klingt das folgendermaßen: „So hat sich denn die photographische Kunst langsam aber mit täglich wachsendem Erfolge einen Platz auch in den geheiligten Hainen errungen, in denen bislang nur die Priester der alten Künste den Göttern der Schönheit und Wahrheit ihre Opfer brachten.“71 Die Grazer Fotografen standen hier mitten in einer Bewegung, die um die Emanzipation des relativ jungen technischen Mediums rang und die dessen Anerkennung und Nobilitierung als Kunst zum Ziel hatte. In den folgenden Jahren kam es innerhalb des Amateur-Photographen-Clubs zu Gegensätzen zwischen jenen, die die Fotografie im wissenschaftlichen Bereich oder zu dokumentarischen Zwecken anwenden wollten und jenen, die darin in erster Linie ein künstlerisches Medium sahen. Offensichtlich gewannen die Letzteren zunächst die Oberhand, denn die nächste Ausstellung des Clubs im Jahr 1907 zeigte dann nur Kunstfotografie. (Abb. 20) Diese Gegensätze führten jedoch 1909 zur Abspaltung oder „Sezession“72 einer Gruppe von Mitgliedern, die in diesem Jahr die Grazer Kunstphotographische Vereinigung gründeten. Darunter waren Heinrich Bachmann, Josef Strzygowski, Maximilian Karnitschnigg, Hugo Haluschka und Adolf Ledenig. Die nunmehr zwei Vereine stellten aber durchaus noch gemeinsam aus, wie z. B. 1912 in der „Photographischen Ausstellung ‚Die Steiermark‘“ im Joanneum. (Abb. 21) Das Thema dieser Ausstellung spiegelt die Tendenz zur Regionalisierung wider, wie sie in Graz etwa auch in der Schau des Kunstvereins „Das Stadtbild von Graz“ von 1908 zum Ausdruck kam. Die Fotoausstellung 1912 bestand aus zwei Teilen: Das Schwerpunktthema Steiermark wurde „als Werk steirischer Heimatliebe von dem Klub der Amateurphotographen Graz veranlaßt“, wie im Katalogvorwort zu lesen ist. Daran schloss sich jedoch eine zweite, von der Kunstphotographischen Vereinigung zusammengestellte Abteilung, die „eine Auswahl hervorragender Leistungen angesehener Kunstphotographen des In- und Auslandes bietet; sie soll ein Bild von dem hohen Stande geben, den die Lichtbildkunst dank zielbewußtem und kunstfrohem Wirken heute erreicht hat.“ Immerhin war in Graz damals neben Fotos anderer, auch heute noch bekannter internationaler Namen eine Arbeit von Alfred Stieglitz zu sehen: Die Nr. 89 des Ausstellungskataloges nennt den Platindruck The Street – Winter des berühmten New Yorker Fotografen und Fotopioniers. Die Kunstkritik

Vergleicht man die Rezensionen in der Grazer Tagespresse aus der Zeit um 1900 mit den heutigen, ist man erfreut und überrascht, wie eingehend und ausführlich sowohl die Ausstellungen im Gesamten als auch einzelne Werke besprochen und bewertet wurden. Daraus lässt sich auf den größeren Stellenwert von Ausstellungen und der bildenden Kunst im Allgemeinen in einer Zeit schließen, die erst am Beginn der Entwicklung unserer heutigen Medien stand. Naturgemäß kam dem einzelnen Bildwerk in einer an Bildern weit weniger reichen Zeit damals größere Bedeutung zu. Die Artikel in der Tagespresse waren zu dieser Zeit nicht illustriert, der Text musste ersetzen, was später durch direkte Anschauung vermittelt werden konnte. Gerade die Proponenten der Erneuerungsbewegung in Graz erkannten die Bedeutung der Kunstkritik als Vermittlungsinstrument zwischen Kunst und Öffentlichkeit. Die Kunstreferenten der Kunsthistorischen Gesellschaft, Adalbert von Drasenovich, Emil Ertl und Hermann Ubell, übernahmen die Aufgabe, die Ansichten der Neuerer durch ausführliche Artikel und Feuilletons bekannt zu machen.


73 Vgl. Ertl, Peter Rosegger, Wie ich ihn kannte und liebte, Leipzig 1924. 74 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 58. 75 Vgl. ebda. 76 Z. B. am 19.12.1900 oder am 02.06.1901. 77 Diese war 1891 von Hermann Bahr, Heinrich Kanner und Isidor Singer gegründet worden, Hermann Bahr war bis 1899 Feuilletonchef. Vgl. Gotthart Wunberg (Hg.), Die Wiener Moderne, S. 693. 78 Vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 252–254. 79 Dieser Abschnitt hätte ohne das Doku­ mentationsmaterial, das Velten Wagner in Grazer Archiven ausgehoben und auf der Forschungswebsite des Städtischen Museums Engen unter http://www. paul-schad-rossa. de veröffentlicht hat, nicht geschrieben werden können. Dafür gebührt ihm herzlicher Dank. Wichtig waren außerdem: Eva Klein, Das Plakat in der Moderne. Der Beginn des Grafikdesigns in der Steiermark im Kontext internationaler soziokultureller Entwicklungen, Phil. Diss., Graz 2011 (im Anhang dieser Dissertation ist die Korrespondenz SchadRossas mit Wilhelm Gurlitt aus dem Universitätsarchiv Graz abgedruckt); dies., Vergessene steirische Moderne. Paul SchadRossa und das kreative Milieu um 1900, Sonderdruck aus dem Historischen Jahrbuch der Stadt Graz, Bd. 42, hg. von Friedrich Bouvier u. Nikolaus Reisinger, Graz 2012. 80 Drasenovich, Auf den Weg, S. 3. Mit dem erstgenannten Künstler, der von München nach Graz kam, ist Alfred von Schrötter-Kristelli gemeint.

In Graz wurden damals, in Korrelation zu den wichtigsten politischen Gruppierungen, drei Tageszeitungen herausgegeben, die eine ausführliche Kulturberichterstattung brachten: Das Organ der christlich-sozialen Partei war das Grazer Volksblatt, jenes des liberalen Bürgertums die Grazer Tagespost und jenes der Deutschnationalen das Grazer Tagblatt. Im Grazer Volksblatt nahm Ludwig von Kurz zum Thurn und Goldenstei­n, der mit seiner eigenen religiösen Malerei in der Tradition der Nazarener stand, in diesem Sinne – das heißt meist verständnislos bis sehr negativ – zu den modernen Bestrebungen von Impressionismus und Symbolismus Stellung. Sowohl die Grazer Tagespost als auch das Grazer Tagblatt zeigten sich dem Neuen in der bildenden Kunst gegenüber aufgeschlossen. Adalbert von Drasenovich, Finanzbeamter, Schriftsteller und Kunstkritiker, schrieb zu Ende der 1890er-Jahre für die Grazer Tagespost, 1901 wechselte er zum Grazer Tagblatt. Dort veröffentlichte auch der Bibliothekar, Schriftsteller und spätere Freund Peter Roseggers73 Emil Ertl Kunstfeuilletons, wie ebenfalls Hermann Ubell, Schüler Gurlitts und Strzygowskis. Alle drei waren eng mit der Grazer Erneuerungsbewegung verbunden und propagierten deren Ideen und Ziele, sodass diese Zeitung wohl legitim als das wichtigste Organ dieser Bestrebungen in Graz zu bezeichnen ist. Das Grazer Tagblatt war 1891 von Karl Ubell, dem Vater Hermanns, gegründet worden – es bestanden also auch familiäre Verflechtungen. Emil Ertl leitete seit der Gründung der Zeitung bis 1904 das Kulturressort. In diesem Jahr wechselte er wieder zur Grazer Tagespost.74 Aufgrund seines Wissens und seines Interesses für bildende Kunst wurde Ertl 1907 zum interimistischen Leiter der Lehrkanzel für Kunstgeschichte an der Grazer Technischen Hochschule berufen, eine Stellung, die er bis 1909 innehatte.75 Aus heutiger Sicht ist die Übereinstimmung von deutschnationalem Gedankengut mit dem Eintreten für eine künstlerische Moderne, wie oben schon erwähnt, bemerkenswert. Verständlich wird sie, wenn man genauer betrachtet, welche Kunst hier vor allem vertreten und verteidigt wurde: nämlich in erster Linie der Symbolismus in der Tradition von Böcklin, Klinger etc. sowie die mit romantischen Elementen aufgeladene Landschaftsmalerei des Jugendstils oder auch jene sich stärker an das Naturvorbild haltende des Stimmungsrealismus. Aus der Sicht der orthodoxen, rationalen Moderne wären alle diese Richtungen nicht als „modern“ zu bezeichnen, genauso wenig wie das von ihnen transportierte romantisierende Gedankengut. Gerade mit deren Inhaltlichkeit konnte man sich jedoch identifizieren, bzw. feierte man sie als „neue deutsche Kunst“. Die entsprechenden formalen Neuerungen nahm man in Kauf, solange sie die allgemeine Verständlichkeit, sprich die Wiedererkennbarkeit der Außenwelt im Bild, nicht gefährdeten, doch so weit ging die in Graz damals gezeigte Kunst nicht. Über Graz hinaus wurde das örtliche Kunstgeschehen aus der Sicht der Neuerer vor allem von Adalbert von Drasenovich und Hermann Ubell vermittelt: Drasenovich schrieb unter dem Kürzel „dr.“ in unregelmäßigen Abständen „Grazer Kunstberichte“ für die Münchner Neuesten Nachrichten76 und Hermann Ubell, der mit Hermann Bahr freundschaftlich verbunden war, veröffentlichte Feuilletons über die Grazer Szene, wie auch über andere literarische und kulturelle Themen in der Wiener Wochenschrift Die Zeit77 und in der Wiener Abendpost, einer Beilage zur Wiener Zeitung.78 Paul Schad-Rossa in Graz79

Die Erneuerungsbewegung im Grazer Kunstleben wird einer der Gründe für die Übersiedlung Paul Schad-Rossas von München nach Graz im Herbst des Jahres 1900 gewesen sein. Drasenovich schrieb: „[…] auf die Nachrichten über das ‚rege Kunstleben in Graz‘ übersiedelte aus freien Stücken und auf eigene Gefahr noch ein anderer Münchener Künstler in unsere Stadt: Paul Schad-Rossa.“80 Die eigentliche Anregung für die Übersiedlung des Künstlers nach Graz dürfte von Wilhelm Gurlitt ausgegangen


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22 Brief Paul Schad-Rossa an Wilhelm Gurlitt, 05.07.1900, Universitätsarchiv Graz

81 Universitätsarchiv Graz. 82 Zum Beispiel das Gemälde Eden in der Sammlung der Neuen Galerie Graz. 83 Schrötter mit der Matrikelnummer 575 und Schad mit Nummer 576, vgl. Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 94, Anm. 1. 84 Hermann Ubell, Paul Schad-Rossa und die Grazer Kunstbewegung, in: Die Zeit, 19.04.1902. 85 Vgl. z. B. Velten Wagner, Die Münchner Jahre, in: ders. (Hg.), Paul Schad-Rossa, S. 16–26, oder Rainer Metzger, München. Die große Zeit um 1900, Wien 2008.

sein, wie man aus einem Brief Schad-Rossas an diesen vom 5. Juli 1900 schließen kann.81 (Abb. 22) Daraus geht hervor, dass er bereits im Frühjahr 1900 Graz besuchte, sich mit den späteren Freunden um Gurlitt getroffen und erste Aktivitäten geplant hatte. Der Brief vermittelt die positive Aufbruchsstimmung auf beiden Seiten und zeigt die Verve, aber auch das Pathos, die Schad-Rossa offensichtlich eigen waren: „Ich freue mich unglaublich auf die Zeit, in der ich im Verein mit Ihnen mit dem Schaffen in Graz loslegen kann. […] Oft, ungezählte Oft mußte ich an Sie denken, dachte an Sie und Ihren Kreis von Menschen, dachte ich an die so liebevolle Aufnahme, die Sie Alle mir zu theil werden ließen. Wie gesagt, ich freue mich unendlich […] auf eine in Verein mit Ihnen zu beginnende That.“ Schad-Rossa kam mit vielen und hochfliegenden Plänen, an deren Verwirklichung er sogleich zu arbeiten begann. Dieser Aufbruch und diese Neuorientierung, die für ihn die Übersiedelung nach Graz bedeuteten, kommen auch in seiner Namensänderung zum Ausdruck: Noch 1899 hatte er mit „Paul Schad“ signiert,82 den erwähnten Brief an Gurlitt unterschrieb er dann bereits mit dem klingenderen und prägnanteren Künstlernamen „Paul Schad-Rossa“. Den Kontakt zwischen Schad-Rossa und Graz könnte Alfred von Schrötter-Kristelli vermittelt haben, der ebenfalls im Herbst 1900 von München bzw. von Dachau hierher zog, um seine Professur an der Zeichenakademie anzutreten. Beide Künstler hatten in den frühen 1880er-Jahren an der Münchner Akademie bei Anton von Löfftz studiert (und sich vermutlich dort kennengelernt), sie traten gleichzeitig dem Steiermärkischen Kunstverein bei83 und sie waren auch in Graz in Kontakt, wenngleich sich Schrötter dann auch von den Aktivitäten Schad-Rossas zurückzog und beispielsweise keinen Beitrag für die Zeitschrift Grazer Kunst lieferte. Neben einem „jugendlich pulsierenden Kunstleben […] und […] der Jungfräulichkeit des Grazer Bodens“,84 wird für Schad-Rossa die Aussicht verlockend gewesen sein, in Graz eine prominentere Rolle in der Kunstszene zu spielen und hier eher ein Publikum für seine Kunst zu finden, als ihm dies in München möglich war. Denn Münche­n erlebte in diesen Jahren seine „große Zeit“ als Zentrum der zeitgenössischen bildenden Kunst in Deutschland.85 Als Kehrseite der zahlreichen Anregungen und


86 Die Zeit, 19.04.1902. 87 Vgl. Meldezettel im Stadtarchiv Graz. 88 Vgl. Das geistige Deutschland am Ende des XIX. Jahrhunderts, Bd. 1: Die bildenden Künstler. Enzyklopädie des deutschen Geisteslebens in biographischen Skizzen. Aufgrund persönlicher Einsendungen bearbeitet, C. G. Röder, Leipzig/Berlin 1898. 89 Vgl. Meldezettel M. Supprian und Aufzeichnungen der Volkszählung 1901, beide im Stadtarchiv Graz. 90 Vgl. den Brief vom Herbst 1900, den Hermann Ubell an Hermann Bahr richtete, und in dem er Bahr ersuchte, Schad-Rossa anlässlich dessen Besuchs in Wien „ein paar Winke über Bauten im Wiener Neu-Stil zu geben“ (Österreichisches Theatermuseum, Wien).

Möglichkeiten, die die Stadt den Künstlern bot, hatte dies eine starke Konkurrenz innerhalb der Künstlerschaft zur Folge. Schad-Rossa hatte zwar zwischen 1888 und 1899 regelmäßig bei der „Internationalen Kunstausstellung“ im Glaspalast ausgestellt, doch einer der damals neu entstehenden Künstlergruppierungen (Gründung der „Secession“ 1892, Gründung der „Scholle“ 1899) hatte er sich nicht angeschlossen. Es ist im Detail noch nicht erforscht, in welchen Kreisen er sich in München bewegte. Dass er von dem stark esoterischen, symbolistischen und neuromantischen Gedankengut beeinflusst war, das auch im Zuge der Lebensreformbewegung damals nicht nur in München, aber dort besonders intensiv, wirksam war, ist aus seinem Werk ersichtlich. Die Grazer Neuerungsbewegung, die ja eher von den Theoretikern denn von den Künstlern selbst ausgegangen und getragen worden war, hatte nun seit Jahren versucht, ihre Stadt an das Kunstgeschehen in Deutschland – und zwar speziell an jenes in München – anzubinden. Und sie propagierte ebenfalls die Erneuerung der Kunst aus dem Inhaltlichen, aus ihrem geistig-seelischen Gehalt heraus. Was nun fehlte, war ein Künstler, der ihre Ideale in der Stadt verwirklichte, und genau diese Erwartungen setzte man nun in die Einladung Schad-Rossas nach Graz. Die Tatsache, dass dieser ursprünglich aus der Dürer-Stadt Nürnberg stammte, könnte in dieser Zeit der verstärkten deutschen Dürer-Verehrung eines der Argumente für die Wahl Schad-Rossas gewesen sein. Diese Hoffnungen gingen zunächst auch auf, so bezeichnete Ubell den Künstler 1902 als „Führer der modernen Kunstbewegung in Graz [….], der mit einem Schlag die modern gesinnten Kreise des Grazer Publicums und der hiesigen Künstlerschaft auf seiner Seite hatte. Das Publicum zeigte eine für Graz unerhörte Kauflust […] und die jungen und fortschrittlichen Künstler […] gewannen an dem Nürnberger, wessen sie am dringendsten bedürftig waren: einen kraftvollen Organisator.“86 Der Tatsache, dass Schad-Rossa in Graz diese hervorragende Rolle spielte, verdanken wir auch die ausgezeichnete Dokumentenlage, die uns über seine Tätigkeit in dieser Stadt detailliert informiert: Er musste sich die Aufmerksamkeit der Presse hier nicht mit allzu vielen Konkurrenten teilen und er konnte kleine Ausstellungskataloge drucken lassen. Georg Paul Schad-Rossa meldete sich am 22. September 1900 mit seiner Gattin Bettina (geb. 1864) und dem gemeinsamen Sohn Felix (geb. 1886) offiziell in Graz an.87 Ihm folgten einige seiner Münchner Schüler/innen – Schad-Rossa hatte schon in Münche­n seit 1895 eine private Malschule betrieben –,88 wie unter anderen die Malerin und Grafikerin Margarete Supprian, die in Graz eine Zeitlang im gleichen Haus wohnte wie die Familie Schad.89 In den folgenden Jahren stand Schad-Rossa und sein Wirken im Zentrum der Grazer Kunstszene. An seinen Ausstellungen entzündeten sich die Kontroversen um die moderne bildende Kunst und deren Aufgaben. Der Kreis um Gurlitt, der Steiermärkische Kunstverein und die Kunsthistorische Gesellschaft, unterstützte seine Aktivitäten auf vielfältige Weise. Dazu gehört die Überlassung der Ausstellungsräume im Museum, die Übernahme von Ausstellungskosten, die Pressearbeit (Meldungen in den Zeitungen auch über das Begleitprogramm zu den Ausstellungen und über die getätigten Verkäufe sowie das Verfassen von Rezensionen durch Mitglieder des Kunst­vereins selbst), die Veranstaltung von Führungsvorträgen und auch die Herstellung von Kontakten wie jenem zu Hermann Bahr in Wien, dem Proponenten des literarischen „Jungen Wien“ und der Wiener Secession.90 Die zahlreichen ausführlichen Kommentare und Ausstellungsbesprechungen in den Grazer Zeitungen geben ein lebendiges Bild der öffentlichen Präsenz, die Schad-Rossa


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seit seiner Ankunft in Graz hier genoss. Dort kann man die Positionen von Befürwortern und Gegnern, die naturgemäß mit deren weltanschaulicher Ausrichtung in Korrelation stehen, nachvollziehen. Durchwegs begeistert reagierte zunächst das deutschnationale Grazer Tagblatt, während sich der Rezensent des Grazer Volks­ blattes Ludwig von Kurz-Goldenstein sowie der Kritiker mit dem Autorenkürzel H. N. der Grazer Tagespost reservierter verhielten. Die erste Ausstellung Schad-Rossas in Graz im Herbst 1900

23 Katalogumschlag zur ersten Ausstellung Paul Schad-Rossas in Graz, Steiermärkischer Kunst­ verein, Herbst 1900, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

91 Drasenovich, Einleitungstext für die 89. Kunstvereinsausstellung, Frühjahr 1900, S. 8. 92 Vgl. Wagner, Paul Schad-Rossa, S. 88–99. 93 Dirk Strohmann, Die Rezeption Maurice Maeterlincks in den deutschsprachigen Ländern (1891–1914), Bern/Berlin/Brüssel 2006. 94 Wagner, Paul SchadRossa, S. 33. 95 Hermann Bahr, Die Überwindung des Naturalismus. Als zweite Reihe zur „Kritik der Moderne“, hg. von E. Pierson, Dresden/Leipzig 1891, S. 152–159, zit. nach: Wunberg (Hg.), Die Wiener Moderne, S. 200.

Bereits in München hatte Schad-Rossa seine erste Grazer Ausstellung vorbereitet, die im Herbst 1900 als zweiter Teil der Kunstvereins-Ausstellung im Museumsgebäude in der Neutorgasse stattfand – im ersten Teil war der Wiener „Hagenbund“ präsentiert worden. Schad-Rossa stellte sich mit 28 Gemälden und rund 50 grafischen Arbeiten, entstanden seit 1888, dem Grazer Publikum vor. Die Arbeiten seiner Schüler/innen sollten seine Fähigkeiten als Lehrer illustrieren – hatte er doch die Absicht, auch in Graz eine private Kunstschule zu gründen. Die Ausgestaltung der Räume mit dunklen Drapierungen der Wände in Blau und Schwarz sollte die Wirkung der einzelnen Werke steigern und einen stimmungsvollen Raum für ihre andächtige Betrachtung erzeugen. Sie verweist auf die Bestrebungen Schad-Rossas, ein Gesamtkunstwerk im Sinne des Secessionismus zu erschaffen, ebenso wie auf seine ebenfalls in der Secessionsbewegung begründete Auffassung von der Kunst als neue Religion. In diesem Sinne und in Abgrenzung zur narrativen Historien- und Genremalerei, die die modernen Strömungen von Jugendstil und Symbolismus überwinden wollten, hatte Drasenovich in seinem Einleitungstext für die 89. Kunstvereinsausstellung im Frühjahr desselben Jahres geschrieben: „Wer in eine Kunstausstellung geht, soll nicht mehr das heimliche Gefühl haben, eine lästige Bildungspflicht zu erfüllen, sondern es soll ihm gegönnt sein, was allein seine Mühe lohnt: K u n s t z u g e n i e ß e n. Denn nicht darauf kommt es an, Kunst w i s s e n zu erwerben, in Namen und Daten der vergangenen und zeitgenössischen Kunstgeschichte bewandert zu sein, sondern sich zu geläutertem Kunst f ü h l e n zu erziehen, sein ganzes Leben mit Kunstanschauung zu durchdringen und zu verschönern.“91 Schad-Rossa selbst definierte seine Anschauungen in einem programmatischen Text, den er seinem Ausstellungskatalog voranstellte, und positionierte sich damit in der Grazer Öffentlichkeit. (Abb. 23, 24) Diesen Text hat Velten Wagner als „Grazer Manifest“ ausführlich interpretiert und in der damals aktuellen Kunsttheorie verortet,92 wobei er im Besonderen die große Bedeutung des belgischen Symbolisten Maurice Maeterlinck (Gent 1862–1949 Nizza) und dessen Werk Le Trésor des humbles von 1896 (deutsch: Schatz der Armen, 1898) auch auf Schad-Rossa hervorhebt. Verweisend auf Dirk Strohmann93 schreibt er: „Der Einfluss des Theoretikers und Dramatikers Maurice Maeterlinck auf Künstler und Literaten des deutschen Sprachraums, von Hermann Bahr über Raine­r Maria Rilke bis zu Wassily Kandinsky und Robert Musil kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Maeterlinck, der sich intensiv mit der deutschen Romantik, insbesondere mit Novalis auseinandersetzte, wurde zu einer Brücke zwischen deutscher Romantik und modernem französischen Symbolismus.“94 Für Österreich gilt Hermann Bahr als Entdecker Maeterlincks. In seinem Aufsatz Die Überwindung des Naturalismus beruft er sich auf ihn, wenn er davon spricht dass „die Ästhetik sich umdrehte“ und die Kunst, „die eine Weile die Markthalle der Wirklichkeit gewesen war wieder zum ‚Tempel des Traumes‘ wurde, wie Maurice Maeterlinc­k sie genannt hat.“95 Schad-Rossa greift in seinem Text, der eher aus einer Aneinanderreihung von Aphorismen besteht, als dass er eine theoretische Beweisführung beinhaltete, die Frage


24 Programmatischer Text zur ersten Ausstellung Paul SchadRossas in Graz, Steiermärkischer Kunst­verein, Herbst 1900, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek


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96 Paul Schad-Rossa, „Ein Wort zuvor!“ und „Georg Paul SchadRossa. München– Graz“, in: Kat. zur Schad-Ausstellung, Steiermärkischer Kunstverein, Graz 1900, S. 5–6 bzw. 7–12, S. 8. 97 Paul Schad-Rossa, Georg Paul SchadRossa. München–Graz, S. 12.

auf, was „modern“ und „wahre Kunst“ sei und legt seine Anschauungen über das Verhältnis von Natur und Kunst dar. Für ihn gibt es in der „wahren Kunst“ kein „Alt- und Neumodisch“, denn „[d]iese Kunst ist und war immer modern, sofern sie sich nur i h r e r Zeit entsprechend entwickelt.“96 Damit befindet sich Schad-Rossa, ohne einer Secession anzugehören, inhaltlich ganz in der Nähe der Wiener Secession und ihrem von Ludwig Hevesi stammenden und an ihrem 1897/98 erbauten Gebäude angebrachten Leitsatz: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“. Aus heutiger Sicht überraschend ist seine Stellungnahme zu Natur und Kunst: Er sieht die beiden als Gegensatz, wobei das Wesen der Kunst immer gleich geblieben sei, während die Natur sich unaufhörlich verändere – und mit ihr wir Menschen, da wir ja selbst Natur sind und in ihr leben. Wir wären heute ganz andere, seien nervöser und empfindsamer, deshalb müssten auch unsere Ausdrucksmittel andere sein. Denn die Kunst sei Ausdruck der Seele und müsse dazu die Formen der sich verändernden Natur benützen. Worauf es ihm vor allem ankomme, sei dieser Ausdruck der Psyche, die Wiedergabe der natürlichen Formen sei weniger wichtig. Schad-Rossa schließt seinen Text mit den Worten: „Wir glauben an das Mysterium des freien Menschenthums, und wir schaffen ihm unter dem Banne der tollsten Begeisterung eine Heimstätte im n e u e n Stil!“97 Damit bekennt sich Schad-Rossa klar zur symbolistischen Kunst in Kontrast zu der traditionellen Historien- und Genremalerei einerseits und dem Naturalismus/Impressionismus andererseits, der seinen Fokus auf die Wahrnehmung der Naturphänomene und deren Übersetzung ins Bild gerichtet hatte sowie auf die Beobachtung des modernen Lebens und teilweise auch auf die Kritik an diesem. An dem Text befremden heutzutage seine pathetische Sprache und seine weihevollen Wendungen, doch sind diese im dem ideengeschichtlichen Kontext dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Auch sie sind der Kunstanschauung des Secessionismus geschuldet, wonach es in der Kunst weniger um rationale Erkenntnis denn um Einfühlung, Erhebung über die Banalitäten des Alltäglichen und – wie erwähnt – um das Heilige bzw. Seelische gehe. Von den in dieser ersten Grazer Ausstellung präsentierten Werken sind uns heute nur acht mit ziemlicher Sicherheit bekannt, und davon nicht alle im Original. Das früheste Gemälde Es will Abend werden von 1888 (Abb. S. 108) zeigt den Künstler noch deutlich in der Nachfolge seines Lehrers Defregger. Es ist ein formal realistisch gemaltes Genrebild, weist jedoch durch sein religiöses Thema eine transzendente Inhaltlichkeit auf: Ein Priester nähert sich einer trauernden, vor dem ärmlichen Haus auf ihn wartenden Familie, um dem vermutlich todkranken Familienvater die letzte Ölung zu geben. Bereits ganz dem Symbolismus verpflichtet sind die Bilder Belauscht von 1898 (Abb. S. 110), Eden von 1899 (Abb. S. 130) und Adagio von 1900 (Abb. S. 135). Während Adagio, das Porträt einer versonnen blickenden Frau im Profil vor einer Flusslandschaft, eine gegenwärtige Szene darstellt, führen die beiden anderen Kompositionen an mythische Orten und Zeiten. Doch es geht nicht um die Illustration bestimmter literarischer Textstellen oder Ereignisse der Vergangenheit, wie das die Historien­ malerei intendierte, sondern hier sollen Seelenzustände oder grundlegende Konstanten menschlichen Seins vermittelt werden: Die Unschuld eines Mädchens inmitten einer Frühlingslandschaft (Eden) oder sexuelles Begehren (Belauscht). Auch Am Moorbach, ebenfalls von 1900 (Abb. S. 129), gibt nicht eine topografisch bestimmte Landschaft wieder, sondern schildert einen idealen Ort, in den die Betrachter sich hineinträumen sollen. Die Figuren, zwei Frauenakte, sind hier nicht in die Landschaft komponiert, sondern flankieren diese als Flachreliefs am Rahmen. Die Formen der Figuren wie der Landschaften in diesen Bildern nehmen das Naturvorbild auf, vereinfachen und stilisieren es jedoch im Sinne des Jugendstils, um stärkere Ausdruckskraft zu erzielen – wie Schad-Rossa das in seinem Text eingefordert hat. Technisch


experimentierte der Künstler in Eden und Belauscht durch die Verwendung von Gips, mit dem er Partien der Gemälde als Flachrelief gestaltete. Mit dieser Erweiterung der Bildfläche in den Raum bzw. in die Skulptur, zu der auch die von ihm gestalteten Rahmen gehören, erfüllte er die secessionistische Forderung nach dem Gesamtkunstwerk, in dem alle Kunstformen im Raum zusammenwirken und alle Sinne angesprochen werden sollten. Elemente dieser synästhetischen Bestrebungen finden sich in den eben erwähnten Gemälden, z. B. in dem musikalischen Titel Adagio: Die sinnende Frau könnte gerade einem Musikstück zuhören, das die Landschaft im Hintergrund in ihrer Fantasie entstehen lässt. In dem Triptychon Belauscht sind auf den Seitenflügeln Frauengestalten zu sehen, die an Blumen riechen – ein Motiv, das Schad-Rossa immer wieder aufgegriffen hat, so z. B. auch in dem Plakat und dem Katalogumschlag für die gegenständliche Ausstellung, und das allgemein in symbolistischen Kunstwerken oft anzutreffen ist. Auch in Eden findet sich das Motiv Frau und Blume, sodass das Gemälde, das mit seinem aus Architekturmotiven gestalteten Rahmen in den Raum ausgreift, nicht nur den Seh- und Tastsinn, sondern auch den Geruchssinn anspricht und aktiviert. Einige Zitate aus den Rezensionen dieser ersten Ausstellung Schad-Rossas und seiner Schüler/innen in Graz sollen im Folgenden einerseits die Euphorie verdeutlichen, mit der Schad-Rossa von seinen Anhängern in Graz begrüßt wurde, und andererseits zeigen, welche Positionen die Kritiker bezogen. Zunächst einige überaus euphorische Stimmen aus dem Grazer Tagblatt und der Graz­er Morgenpost: „Er ist einer von Gottes Gnaden – und ein verblüffender Techniker dazu. Er kann alles, er radiert, er zeichnet auf Stein, er handhabt Rohrfeder, den Pastellstift, die Farbe, alles durcheinander, oft auf ein und demselben Blatte, wie es ihm für seine Wirkungen paßt, mit einer Sicherheit und Kenntnis des Handwerklichen, wie sie die Alten besaßen. Er macht sich seine Rahmen selbst, nicht nur die Entwürfe dazu, auch alles Schnitzwerk u.s.w.“98

„Da kommt nun die Schad-Ausstellung und zeigt uns ein neues Talent, ein wirkliches Talent, in voller, gesunder Entwicklung. […] Seine Schülerinnen und Schüler sind in seine Art, die Dinge zu sehen eingedrungen. Paul Schad macht Schule, und zwar gute Schule.“99 „[…] die Erschienenen [standen] sichtlich unter dem großen Eindrucke der vorgeführten Meisterwerke, die, gehoben durch die schwarze und dunkelblaue Drapierung der Säle, auf manche Gemüther eine geradezu weihevolle Wirkung auszuüben schienen.“100

98 Emil Ertl, Theater und Kunst, in: Grazer Tagblatt, 21.10.1900. 99 „Kl.“, Die SchadAusstellung, in: Grazer Morgenpost, 21.10.1900. 100 Anonym, in: Grazer Volksblatt, 24.10.1900. 101 Emil Ertl, Schad-Ausstellung I, in: Grazer Tagblatt, 27.10.1900.

„Wenn mich nicht alles trügt, so steht Paul Schad im Begriffe, in unserer Stadt einen echten künstlerischen Sieg zu erringen, […]. Fast scheint es, dass er uns im Sturme erobert. Nicht nur die, die ihm sicher waren, sondern […] auch die meisten Zweifelnden, die mit einer stillen Gegnerschaft im Herzen hineingingen […].“101

Auch Kurz-Goldenstein vom Grazer Volksblatt gibt sich beeindruckt, kritisiert jedoch vor allem das experimentelle Abweichen Schad-Rossas von der realistischen Realitätsdarstellung: „Hier steht man vor den eigenartigen Schöpfungen eines Künstlers, der eine strenge Schule sowohl in Bezug auf Technik wie auf Auffassung und Empfindung durchgemacht hat. […] Leider zeigt […] Meister Schad […] neben der richtigsten und tief gefühlten Darstellung der menschlichen Gestalt […] arge Vernachlässigungen und Verzeichnungen der Formen. […] Jedenfalls aber


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sind Schads Werke aus einem echten Gefühle entsprungen, denn er liebt seine Kunst und hat das redliche Bestreben, dieselbe dem Beschauer verständlich zu machen […].“102

Die liberal-konservative Grazer Tagespost übt vor allem Kritik an dem pathetischen Ton des Katalogtextes und an dessen Angriff auf die Historienmalerei. Entsprechend wird die von den klassischen Schönheitsgesetzen abweichende Menschendarstellung kritisiert. Die stimmungsvollen Landschaften lässt der Rezensent aber gelten und empfiehlt sie sogar für einen Ankauf durch die öffentliche Hand, „damit man immer und immer wieder hintreten und sich erquicken und in eine von aller Mühe und Sorge loslösende Stimmung versenken könnte.“103 Aufschlussreich vor allem wegen der Vereinnahmung des deutschen Symbolismus und damit auch Schad-Rossas für eine angeblich deutschnationale zeitgemäße Kunst ist der zweite Teil der Rezension Ertls im Grazer Tagblatt. Dort heißt es:

25 Plakatmotiv von Paul SchadRossa zu seiner ersten Ausstellung in Graz, Steiermärkischer Kunst­ verein, Herbst 1900

102 Ludwig von KurzGoldenstein, Zwei Kunstausstellungen in Graz, in: Grazer Volksblatt, 04.11.1900. 103 „H.N.“, SchadAusstellung, in: Grazer Tagespost, 10.11.1900. 104 Emil Ertl, Schad-Ausstellung II, in: Grazer Tagblatt, 09.11.1900. 105 Beilage zur Wiener Zeitung, 03.11.1900. 106 Ebda, S. 7. 107 Ebda. 108 Ebda. 109 Ebda. 110 Adalbert von Drasenovich, Grazer Kunstbericht, in: Münchner Neueste Nachrichten, 19.12.1900.

„Die Weltanschauung der Besten unserer Zeit ist der Glaube an die freie, ideale Persönlichkeit. Die Form, in der dieser Glaube in der zeitgemäßen Kunst der gesammten civilisierten Welt zum Ausdruck kommt, ist die Loslösung von der bewußten Nachahmung historischer Muster, das Vorschreiten zu künstlerischer Selbstständigkeit. Die n a t i o n a l e Form aber, in der dieser Glaube in der zeitgemäßen Kunst gerade u n s e r e s Volkes, so recht deutsch, zum Ausdrucke kommt, ist das schwärmerische Emporheben der Linie und Farbe aus der alltäglichen Wirklichkeit ins Märchen-Königreich einer individuellen Wahrheit. Läßt sich etwas Deutscheres und zugleich Zeitgemäßeres denken als die Kunst Arnold Böcklins und Max Klingers, Hans Thomas und Ludwig v. Hofmanns? In diesem Sinne ist auch die Schönheit Paul Schads zeitgemäß und deutsch durch und durch.“104

Schließlich sei noch eine etwas nüchternere Pressestimme von außerhalb – aus Wien – zitiert. Der Kritiker mit dem Autorenkürzel F. nahm in der Wiener Morgenpost105 vom 3. November 1900 besonders das Ausstellungsplakat, (Abb. 25) das übrigens in Graz auch bei den Schad-Begeisterten allgemeines Missfallen erregt hatte, sowie die allzu pathetische Vorrede aufs Korn: Zu Schad-Rossas erstem Satz „Nur was man grenzen­los liebt, kann man verstehen lernen“106 bemerkt er: „Wir lieben hochtönenden Schwulst nicht und werden ihn daher nie verstehen lernen“,107 und zum Plakat: „Dazu gehört das Placat. Ein häßliches Frauenzimmer, eine Mulatten-Venus, die das Haar in Form eines Ammonhornes um die Ohren gedreht trägt, hebt sich im Profil von einem lichten Fleck ab, der eine Rosenwolke oder ein Stück aufgezupfte Watte oder das Meer auf einer Landkarte oder eine verrückt gewordenen Blume darstellt. Es könnte aber vielleicht auch der Querschnitt durch ein anatomisches Präparat sein.“108 Die Kunst bewertet er dann aber ganz positiv: „Hier ist kein kleines Talent, das sich in anmaßenden Verstiegenheiten ergeht, nur um aufzufallen, hier ist ein großes und echtes“, und zieht den Schluss: „Man darf auf seine weitere Entwicklung gespannt sein und wünschen, er möge sich festigen und concentriren. Es wäre wirklich schad um Herrn Schad, wenn er sich an Phrasen berauschte ‚unter dem Banner der tollsten Begeisterun­g‘.“109 Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit der Kunsthistorischen Gesellschaft mit Vorträgen und Führungen durch den Künstler begleitet und war auch hinsichtlich der Verkäufe ein voller Erfolg: „Von 75 Arbeiten Schads gingen 38 und von 37 Schülerarbeiten 11 in Privatbesitz über; allerdings waren die Preise ungewöhnlich niedrig, […].“110 Es verwundert nicht, dass etliche Persönlichkeiten aus dem Kreis der Grazer Neuerer unter den Käufern waren. So sind bereits im Ausstellungskatalog bei einigen Werken die Besitzernamen genannt, das heißt, die Werke waren schon vor der Ausstellung verkauft: So gehörte zum Beispiel Adagio Robert Graf; ein Aquarell, Das Hüterhaus in Bergham, trägt im Katalog die Eigentumsbezeichnung „Fräulein


26 Brief Hermann Ubell an Hermann Bahr, Graz, Herbst 1900, Theater­ museum, Wien


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Dora Wibiral“, das ist vermutlich die Tochter des oben erwähnten Franz Wibiral; das Aquarell mit Buntstiftzeichnung Aus dem Paradies am Inn gehörte Adalbert von Drasenovich, und das Pastell eines weiblichen Aktes (Abb. S. 112), das wir in der Ausstellung zeigen, war vermutlich die Nr. 64 der Ausstellung vom Herbst 1900 – es trägt rückseitig die Eigentumsbezeichnung „Emil Ertl.“ Paul Schad-Rossa als Lehrer

27 Brief Paul Schad-Rossa an Wilhelm Gurlitt, Graz, 31.01.1902, Universitätsarchiv Graz

111 Laut einem Stempel auf zwei Briefen von Schad-Rossa an Wilhelm Gurlitt vom 31.01. und vom 7.02.1902 im Univer­ sitätsarchiv Graz. 112 Drasenovich, Auf den Weg, S. 3. Mit der alten „Historienschule“ ist die Abteilung für Historienmalerei an der Zeichenakademie gemeint, die damals noch von Heinrich Schwach geleitet wurde und nach dessen Tod 1902 von Ludwig Kainzbauer übernommen wurde. 113 Aus dem Katalog zur Ausstellung des Grazer Künstlerbundes von 1901 kann auf folgende Grazer Schüler/innen geschlossen werden: Rosa Brühl, Emilie von Halavanya, Béla Konrad, Hermine von Lattermann, Marie von Liel, Alice Loymer, Franz Mikschowsky, Marie von Schwarzbeck, Irma von Schwingenschlögel, Konrad von Supanchich, Hermann Zeillinger. 114 Brief Schad-Rossa an Gurlitt, 03.11.1901, Universitätsarchiv Graz. Dieser Schüler war vermutlich Hermann KnottnerusMeyer, der 1900 und 1901 mit Schad-Rossa und seinen Schülern in Graz ausstellte und vermutlich auch den Kontakt zwischen ihm und Herman­n Löns herstellte.

Schad-Rossa hatte seit 1895 in München eine sogenannte „Damenkunstschule“ betrieben und widmete sich auch in Graz der Ausbildung junger Künstler/innen. Seine Schule konnte in offiziellen Veröffentlichungen wie dem Grazer Adressbuch nicht nachgewiesen werden, doch lässt sich die Existenz der Schule wie der Name einiger Schüler/innen aus den Ausstellungskatalogen, diversen Zeitungsberichten und der Korrespondenz erschließen. Erstmals ist davon in dem oben schon erwähnten Brief von Ubell an Bahr vom Herbst 1900 (Abb. 26) die Rede, dort heißt es: „Schad ist ein großzügiger und temperamentvoller decorativer Stilist […], der im Begriff der einen Kunst lebt u. hier in Graz eine große Kunstwerkstatt aufthun will, in der die Lehrlinge zur lebendigen Erkenntnis erzogen werden sollen, daß der Bau eines Palastes und der Bau einer Hose unter einen Begriff fallen. Da werden Schreiner- und Schlosserlehrling, Architekt und Kunsthistoriker nebeneinander Act zeichnen und Pflanzenmotive stilisieren lernen, und Villen sollen entstehen, in denen auch der letzte Thürnagelkopf noch das Evangelium der neuen einheitlichen Kunst predigen soll.“ Schad-Rossas Vorstellungen einer Kunstschule, wie sie hier beschrieben sind, folgen den romantischen Vorstellungen der Jahrhundertwende nach dem Zusammenwirken aller Künste in der Durchdringung von Kunst und Leben. Zukunftsweisend erscheinen sie, wenn man an die durchaus ähnlichen Ideale denkt, aus denen heraus 1919 das Bauhaus in Weimar gegründet wurde und welch weitreichende internationale Wirkungen dieses erzielen konnte – allerdings war diesem ein fundamental anderer Modernebegriff zugrunde gelegt. Gleichzeitig kommt in den Zeilen des Briefes das schwärmerische Wesen Schad-Rossas zum Ausdruck, dessen Pläne und Vorstellungen über das dann tatsächlich Erreichbare weit hinausgingen. Wahrscheinlich hat er die Schule mit der Bezeichnung „Grazer Kunst-Schule und Werkstätten für decorative Kunst“ in der Bürgergasse 2111 (Abb. 27) bald nach seiner Ankunft im Herbst 1900 gegründet. Wie oben erwähnt, waren ihm ja einige Schüler/ innen von München gefolgt und seine erste Ausstellung in Graz „führte [ihm] die meisten Schüler der alten ‚Historienschule‘ zu“, wie Drasenovich in der Einleitung zur Grazer Kunst schreibt.112 Der Katalog der ersten Ausstellung des Grazer Künstlerbundes vom Herbst 1901 führt 16 Namen als Mitglieder der „Malschule Schad-Rossa“ auf – letztlich dürfte er sich in seinem Unterricht also doch in erster Linie auf die Malerei konzentriert haben. Der hohe Frauenanteil lässt darauf schließen, dass sich besonders viele der „malenden Damen“, wie sie in Ausstellungskritiken oft leicht pejorativ bezeichnet werden, von der Schule Schad-Rossas angezogen fühlten.113 Der Ruf der Schule muss sich bald weit über Graz hinaus verbreitet haben, denn im November 1901 schreibt Schad-Rossa stolz an Gurlitt: „Außerdem ein für Graz gewiss ganz neues Ereigniß: Ein Kunststudierender in Hannover hat ein Stipendium erhalten um hierher zu kommen u. in meine Schule eintreten zu können.“114 Über seine Unterrichtsmethoden haben wir Informationen aus einem Artikel über einen seiner Schüler, Igo Pötsch: „Der Unterricht galt als außerordentlich streng. Die Schüler mussten die ersten vier Tage in der Woche Akte im großen Format zeichnen und das ausschließlich mit Bleistift, ‚dessen subtiler Strich kein Hinweggleiten über schlecht beobachtete Partien‘ zulässt; erst in den letzten Tagen der Woche durften mit schnellem Strich Studien und rasche Entwürfe am lebenden Modell angefertigt werden.“115


Weiter oben wurde schon erwähnt, dass Josef Strzygowski versucht hatte, SchadRossa als Lehrer auch für das universitäre Kunstgeschichtsstudium beizuziehen. In seinem Begründungsantrag charakterisierte er ihn als einen „in allen Zweigen der bildenden Künste erfahrenen, auch zu theoretischer Formulierung neigenden Künstler von Bedeutung […], der nicht nur die Eignung, sondern vor allem auch die Neigung besitzt, an meine Seite zu treten […]“.116 Dieser Plan war aus budgetären Gründen zwar gescheitert, um die Vermittlung zwischen Kunst und Publikum bemühte SchadRossa sich dennoch: Aus den Berichten der Tagespresse ist zu entnehmen, dass er immer wieder Einführungsvorträge und Führungen in seinen Ausstellungen hielt, sich und seine Kunst also gerne zur Diskussion stellte. Diese Vermittlungstätigkeit muss auch dem Sendungsbewusstsein entsprochen haben, mit dem er seiner künstlerischen Tätigkeit allgemein gegenüberstand. 28 Brief Paul Schad-Rossa an Wilhelm Gurlitt, Graz, 23.10.1901, Universitätsarchiv Graz

115 Anton Reichle, Igo Pötsch, in: Die Graphischen Künste, Bd. 46, Wien 1923, S. 105, zit. nach: Klein, Vergessene steirische Moderne, S. 610. 116 Kommissionsbericht Strzygowskis vom 07.01.1903 im Universitätsarchiv Graz, zit. nach: Höflechner, Pochat (Hg.), 100 Jahre Kunstgeschichte an der Universität Graz, S. 97. 117 Vgl. Klein, Vergessene steirische Moderne, S. 594. 118 Vgl. Kat. Erste Ausstellung vom [sic!] Grazer Künstler-Bund, Graz 1901, o. S. 119 Wilhelm Gurlitt, Präsident, für die Verwaltung des Steiermärkischen Kunstvereines an seine Mitglieder, Februar 1901, Steiermärkisches Landesarchiv Graz, Kunstverein. 120 Vgl. Brief Schad-Rossa an Gurlitt, 08.05.1901, Universitätsarchiv Graz. 121 Ubell, Paul SchadRossa und die Grazer Kunstbewegung. 122 Der Ausschuß des Vereines bildender Künstler, Der Steiermärkische Kunstverein und die Grazer Kunst, in: Grazer Tagblatt, 10.03.1901.

Die Gründung des Grazer Künstlerbundes

Durch den Erfolg seiner ersten Ausstellung in Graz bestätigt, nahm Schad-Rossa außer der Schulgründung die nächsten Projekte in Angriff. Am 10. Dezember 1900 meldet das Grazer Tagblatt, dass sich auf seine Anregung hin eine Gruppe Grazer Künstler zu einer Ideengemeinschaft zum „künstlerischen Gedankenaustausche“ zusammengeschlossen habe und diese „eine nach streng künstlerischen Grundsätzen redigierte Veröffentlichung“ plane, „die zu Ostern nächsten Jahres unter dem Titel ‚Grazer Kunst‘ zum erstenmale erscheinen soll, wofür auch literarische und musikalische Mitarbeiter gewonnen wurden“. Diese Zeitschrift werde „der Öffentlichkeit zum erstenmale Einblick in die Ziele und Absichten dieser neuen Bewegung ermöglichen.“ Die genannte Ideengemeinschaft konsolidierte sich in den folgenden Monaten zum Grazer Künstlerbund, dessen Anmeldung als Verein offiziell im September 1901 erfolgte, mit Schad-Rossa als Obmann, Georg Winkler als stellvertretendem Obmann und Konrad von Supanchich als Schriftführer.117 Als weitere ordentliche Mitglieder sind Georg Brucks, Béla Konrad, Franz Mikschowsky, Ludwig Presuhn und Margarete Supprian nachgewiesen.118 Inoffiziell muss die Vereinsgründung aber schon früher stattgefunden haben, wie aus einem Schriftstück vom Februar 1901 hervorgeht,119 sowie aus der Verwendung eines Vereinsstempels durch Schad-Rossa seit Anfang Mai desselben Jahres.120 (Abb. 28) Dieser neue Verein verstand sich laut Hermann Ubell als „moderne Gegenbewegung gegen jenen ‚Verein der bildenden Künstler Steiermarks‘“.121 Seine Aktivitäten sollten in den folgenden Monaten zur Polarisierung der Standpunkte und zu einigen auch öffentlich via Presse ausgetragenen Scharmützeln zwischen dem Verein bildender Künstler auf der einen Seite und dem Kunstverein bzw. dem Künstlerbund auf der anderen führen. Anlass dafür war eine Aussendung des Kunstvereins, in der die Mitglieder zur Subskription der Grazer Kunst eingeladen wurden. In der Begeisterung für die Initiative war davon die Rede, dass die Zeitschrift „ein vollständiges Bild der in Graz thätigen und wirksamen künstlerischen Kräfte auf dem Gebiete der bildenden Kunst, der Poesie und der Musik […] geben“ werde. Daran stieß sich – wohl berechtigterweise – der Verein bildender Künstler und teilte in einer Presseaussendung mit, dass „die weitaus größte Zahl der bildenden Künstler unserer Stadt dem Vereine der bildenden Künstler Steiermarks“ angehörten und sie alle „dieser Publikation vollständig ferne“ stünden.122 Darauf folgten mehrere Entgegnungen von beiden Seiten, eine Polarisierung der Meinungen war die Folge. Diese Auseinandersetzung forderte von den Künstlern, sich für die eine oder andere Partei zu entscheiden – beide Vereine mussten Austritte verzeichnen, Sponsoren (wie z. B. die Steiermärkische Sparkasse) zogen sich vom Kunstverein zurück, Graz erlebte seinen Kampf um die moderne Kunst.


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Die erste Ausstellung des Grazer Künstlerbundes

Im April 1901, noch vor dem Erscheinen der Grazer Kunst im Mai 1901, war Paul Schad-Rossa mit den Vorbereitungen einer ersten Ausstellung seines Künstlerbundes für den Herbst dieses Jahres befasst.123 Wiederum stellte der Kunstverein dafür die ihm zustehenden Räumlichkeiten im Museumsgebäude zur Verfügung und übernahm die Kosten für Dekoration, Transporte, Versicherung etc.124

29 Plakat zur „Ersten Ausstellung Grazer Künstler-Bund“, Entwurf von Paul Schad-Rossa, Graz 1901, Neue Galerie Graz, UMJ

30 Adolf Böhm, Entwurf für einen Wandschirm, Ver Sacrum, Heft 7

123 Vgl. Brief Schad-Rossa an Wilhelm Gurlitt, 26.04.1901, Universitätsarchiv Graz. 124 Vgl. Brief Kunstverein an Schad-Rossa, 19.06.1901, Steiermärkisches Landesarchiv Graz, Kunstverein. 125 Vgl. dazu auch den Aufsatz von Eva Klein im vorliegenden Band. 126 Grazer Kunst, S. 1. 127 Ver Sacrum, Heft 15, 01.08.1901. 128 Emil Ertl, Kunstausstellungen I, in: Grazer Tagblatt, 15.10.1901. 129 Ludwig von KurzGoldenstein, Erste Ausstellung vom [sic!] Grazer Künstler-Bund, Herbst 1901, Grazer Volksblatt, 22.10.1901.

Interessant sind zunächst das Plakat zu dieser Ausstellung (Abb. 29) und die Reak­ tionen der Öffentlichkeit darauf:125 Schad-Rossa variierte mit dem Motiv der untergehenden Sonne hinter Bäumen an einem Wasserlauf eine seiner stilisierenden Federzeichnungen, die er bereits als Buchschmuck in der Grazer Kunst verwendet hatte.126 Mit der Farbgestaltung des Plakates, die auf dem Komplementärkontrast zwischen rot und grün beruht, geht er nun einen Schritt weiter. Das harte Aneinandersetzen der Farbflächen verleiht diesen ein Eigenleben, das sie von ihrer Funktion die äußere Realität im Bild wiederzugeben entfernt. Stattdessen wirken sie wie eigenständige, von den Bildmotiven weitgehend unabhängige Elemente, die die Bildfläche gliedern. Diese Art der Abstraktion, die über die Stilisierung und Ornamentalisierung der Natur­ darstellung hinausführte und von den Künstlern der Wiener Secession in den Jahren um 1900 erarbeitet wurde, könnte Schad-Rossa in einem der Ver Sacrum-Hefte gesehen haben. Besonders der Entwurf für einen Wandschirm von 1897 von Adolf Böhm, in Ver Sacrum, Heft 7 vom 1. April 1901 abgedruckt, bietet sich zum Vergleich und als eventuelle Anregung für den Plakatentwurf an. (Abb. 30) Die theoretischen Grundlagen dieser für die Befreiung der Bildmittel im 20. Jahrhundert wegweisenden Entwicklung lieferte, wie oben bereits erwähnt, Adolf Hölzel. Schad-Rossa könnte sie in Gesprächen mit Alfred von Schrötter und durch die Lektüre von Hölzels Aufsatz Über Formen und Massenvertheilung im Bilde127 kennengelernt haben. Dem Grazer Publikum müssen diese Überlegungen jedoch völlig fremd gewesen sein, denn es reagierte mit verständnisloser Ablehnung auf das Plakat: Sogar Ertl beurteilte es als „ästhetisch abschreckend[es …] wildes Sammelsurium kräftiger, decorativer Flecke“, dessen Motiv nur aus der Entfernung lesbar wäre und das „entschieden die Sittennote fünf bis sechs [verdient].“128 Im Grazer Volksblatt wird eine Verbindung zwischen dem Plakat und den in der Ausstellung gezeigten Wandteppichen mit landschaftlichen Motiven gezogen, die von Schad-Rossa entworfen und von Bettina Schad u. a. ausgeführt waren. Der Rezensent fragt sich, ob „diese bunten Farbenflecken dem großen Publicum Geschmack und Gefallen abgewinnen können“ und fährt fort: „das Eine aber kann […] erwähnt werden, daß die flüchtige Wiedergabe ebenso flüchtiger Licht- und Farbenmomente […] nicht geeignet ist, in einer mühevollen Technik […] festgehalten zu werden. Was an diesen unbefriedigend ist, wirkt auf dem Placate […] geradezu abstoßend, ja für das Publicum beleidigend […].“129 Wir kennen diese Bildteppiche heute nicht. Doch lässt diese Besprechung vermuten, dass Schad-Rossa auf Entwürfen für Objekte der Gebrauchskunst bzw. des Kunst­ gewerbes die oben erwähnten Grundsätze stärker anwandte als auf seinen Gemälden. Dies wäre insofern naheliegend, als die Ausdehnung der künstlerischen Gestaltung auf Gebrauchsobjekte ja gerade ein zentrales Anliegen der Wiener Moderne dieser Jahre gewesen ist, dem Schad-Rossa sich hier also annäherte. Auch dass das oben angeführte Blatt von Adolf Böhm ein Entwurf für einen Wandschirm ist und vielleicht auch für die Webarbeiten eine gewisse Vorbildfunktion hatte, erhärtet diese Vermutun­g.


31 Katalog zur „Ersten Ausstellung vom Grazer Künstler-Bund“, Entwurf von Paul Schad-Rossa, Herbst 1901, Graz, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

130 Emil Ertl, Kunstausstellungen I, in: Grazer Tagblatt, 15.10.1901. 131 Die Werke Engelmanns wurden in dem zur gleichen Zeit erscheinenden Heft der Münchner Zeitschrift Kunst für alle reproduziert und günstig besprochen. Vgl. eine entsprechende Notiz im Grazer Volksblatt, 1.11.1901. Von ihm war unter anderem eine Böcklin-Büste in Graz zu sehen. 132 Kat. der ersten Ausstellung des Grazer Künstler-Bundes, Graz 1901, o. S. 133 Ebda. 134 „H.N.“, Grazer Künstlerbund I, in: Grazer Tagespost, 3.11.1901. 135 Emil Ertl, Kunstausstellungen II, in: Grazer Tagblatt, 23.10.1901. 136 Vgl. Anonym, Die Kunsthistorische Gesellschaft, in: Grazer Tagespost, 10.11.1901.

In der Ausstellung selbst, die wiederum als „künstlerische Einheit“ mit schwarzen Wanddrapierungen konzipiert war, in der sich „jede Einzelheit […] harmonisch zum Gesammtkunstwerk [sic!] der Raumgestaltung [fügt]“,130 präsentierten neben den Grazer Mitgliedern des Künstlerbundes und den Schülern Schad-Rossas der Bildhauer Richard Engelmann aus Berlin und der Maler Hermann Knottnerus-Meyer aus Hannove­r ihre Werke.131 Insgesamt fällt die Einbeziehung der „Gebrauchskunst“ auf, deren Entwürfe oft von den vorwiegend als Maler und Grafiker tätigen Künstlerinnen und Künstlern stammten, die aber teilweise auch an deren Ausführung beteiligt waren. So waren etwa Wandteppiche, „dekorative Stickereien“ und Paravents von Béla Konrad, Margarete Supprian und Paul Schad-Rossa selbst zu sehen. Laut dem Katalog zur Ausstellung (Abb. 31) hatte die Steirische Genossenschaft für Handweberei die Ausführung einiger der textilen Arbeiten übernommen.132 Als Textilkünstlerinnen scheinen Emilie André, Bettina Schad – die Frau Schad-Rossas – Marie und Luise Maichle und Fanny Koller auf. Schad-Rossa zeigte neben den Paravents, deren Holzschnitzereien er selbst ausgeführt hatte, und den Bildteppichen eine Reihe symbolischer Gemälde mit von ihm gefertigten Rahmen, kleinere Pastellzeichnungen, architektonische Entwürfe und eine Reihe von „Zeichnungen aus der grünen Steiermark“.133 Die Gemälde sind, mit Ausnahme der Verfluchten, (Abb. S. 138) von dem ein SchwarzWeiß-Foto erhalten ist, heute unbekannt, jedoch kann man aus anderen Bildern aus dieser Zeit auf die im Katalog genannten Arbeiten schließen. In ihnen hatte im Unterschied zu den oben genannten kunstgewerblichen Entwürfen der symbolische Inhalt Vorrang vor einer avancierten Formensprache, obwohl natürlich die Gestaltung von Bild und Rahmen als Einheit ebenfalls dem secessionistischen Gedankengut zuzuordnen ist. Auch ist zu vermuten, dass die von den Ausstellungsrezensenten durchwegs kritisierten Verzeichnungen der Figuren auf Schad-Rossas Versuche, diese zu stilisieren und dadurch zu ornamentalen Bildwirkungen zu gelangen, zurückzuführen sind. In der Grazer Presse wurde die Ausstellung wieder ausführlich besprochen und insbesondere die Gesamtgestaltung sowie die kunstgewerblichen Arbeiten bekamen positive Rezensionen. Schad-Rossa wurde nun auch von seinen dezidierten Gegnern in gewisser Weise anerkannt und sein „starkes Talent“ und seine „starke Künstlernatur“ hervorgehoben.134 Ansonsten wurde mit den bereits bekannten Argumenten heftig kritisiert, und zwar nun auch von Emil Ertl im Grazer Tagblatt,135 der einige Argumente der Gegner Schad-Rossas aufnahm und keine der Arbeiten ohne Einwand rezensierte. Am besten kamen in der Presse die Landschaftszeichnungen weg, die durchwegs eine positive Bewertung erfuhren. Dennoch war die Ausstellung gut besucht, ca. 2.500 Personen sahen sie, und Hermann Ubell musste seinen Vortrag „Über die Bestrebungen des jungen Künstlerbundes“ im Rahmen der Kunsthistorischen Gesellschaft mehrmals wiederholen.136 Die Zeitschrift Grazer Kunst

Als weitere Manifestation dieser „Bestrebungen“ hatten Schad-Rossa und sein Kreis bereits im Herbst 1900 mit der Planung für eine Kunstzeitschrift begonnen, die etwa nach dem Vorbild von Ver Sacrum, der Zeitschrift der Wiener Secession, des Berliner Pan (der im Jahr 1900 allerdings bereits wieder eingestellt wurde), oder der Münchner Jugend die neue Kunst auch über die Ausstellungsräume hinaus tragen sollte. Das erste – und einzige – Heft der Grazer Kunst erschien am 13. Mai 1901. Nach dem Vorbild von Ver Sacrum wurde auch die Grazer Kunstzeitschrift ausschließlich von Berufskünstlern geleitet. Im Gegensatz zu den genannten Zeitschriften übernahm


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32 Paul Schad-Rossa, Du Blume im Thau, in: Grazer Kunst, 1901, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

33 Paul Schad-Rossa, Heimat, Motiv aus Steiermark, in: Grazer Kunst, 1901, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

137 Vgl. Senarclens de Grancy, „Moderner Stil“ und „Heimisches Bauen“, S. 88. 138 Vgl. Wunberg (Hg.), Die Wiener Moderne, S. 206. 139 Neues Wiener Tagblatt, 01.10.1899, S. 1–3, zit. nach: Wunberg (Hg.), Die Wiener Moderne, S. 206–207. 140 Vgl. Senarclens de Grancy, „Moderner Stil“ und „Heimisches Bauen“, S. 164. 141 Drasenovich, Auf den Weg, S. 3.

man jedoch keine Berichte über das Kunstgeschehen, theoretische Reflexionen oder Rezensionen, sondern konzentrierte sich auf die künstlerischen Arbeiten selbst. Bildende Kunst, Literatur und Musik sollten, wiederum der Idee eines Gesamtkunstwerkes folgend, in der Zeitschrift zusammenwirken. Die Redaktion übernahmen für die bildende Kunst Schad-Rossa, für die Literatur Hermann Ubell, der auch als Schriftsteller und Dichter tätig war, und für die Musik der Komponist Wilhelm Kienzl. Der Titel der Zeitschrift, Grazer Kunst, verweist auf ein neues Selbstbewusstsein der Region: Nur aus der Steiermark stammende oder hier tätige Künstler sollten präsentiert werden. Damit bewiesen die Herausgeber ihre Nähe zu einem aus der Perspektive der Historiografie der Moderne als antimodern zu bezeichnendem Gedankengut. Es betonte im Gegensatz zu der international ausgerichteten Moderne die Regionalität, eine Tendenz, die in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg mit der Diskussion des Begriffes „Heimat“ und der Etablierung der Heimatschutzbewegung nach deutschem Vorbild erstarkte. Diese standen in enger Wechselbeziehung zum Selbstverständnis von Graz als „deutscheste Stadt Österreichs“, das sich als „Bollwerk des Deutschtums“ im Südosten der Habsburgermonarchie begriff.137 In Graz war etwa Peter Rosegger einer der prominenten Vertreter dieser Richtung. Bereits 1899 hatte er in der Wiener Zeitschrift Die Zeit einen Aufsatz mit dem Titel Die Entdeckung der Provinz. Ein flüchtiges Plaudern veröffentlicht.138 In seinem einflussreichen Aufsatz Die Entdeckung der Provinz139 nennt Hermann Bahr denn auch Rosegger als jenen, der diese von ihm aufgenommene Parole als erster ausgegeben habe. Rosegger war es auch, der in seiner Zeitschrift Heimgarten seit der Jahrhundertwende die Heimatschutzbewegung in Deutschland propagierte, was schließlich 1909 zur Gründung des Vereins für Heimatschutz in Steiermark führte.140 Im Vorwort zur Grazer Kunst gibt Adalbert von Drasenovich unter dem Titel Auf den Weg einen Rückblick auf die Bemühungen um die „Moderne in Graz“, die er mit der Ausstellung von Böcklin-Gemälden 1887 beginnen und mit dem Erscheinen der Zeitschrift als „erste öffentliche That dieses ‚Grazer Künstlerbundes‘“141 enden lässt. Der rund 50 Seiten starke Band bringt Gedichte von Autoren aus dem Umkreis des Kunstvereins und Künstlerbundes (von Adalbert von Drasenovich, Robert Graf, Hermann Ubell u. a.), Erzählungen von Emil Ertl und Peter Rosegger,142 Musik u. a. von Siegmund von Hausegger und Hugo Wolf sowie Buchschmuck, Originallithografien und Reproduktionen von Schad-Rossa, Bela Konrad, Daniel Pauluzzi, Ludwig Presuhn, Margarete Supprian, Georg Winkler u. a. Die Lithografien und die Textillustrationen Schad-Rossas nehmen die Themen seiner im Herbst 1900 präsentierten Ölbilder auf: Er zeigt symbolische Frauenfiguren in Landschaften oder mit Versatzstücken aus der Natur wie Blumen oder Bäumen. Die Lithografie Du Blume im Thau (Abb. 32) ist eine Variante aus den Seitenflügeln des Triptychons Belauscht von 1898, (Abb. S. 110) ein Motiv, das er in einem weiteren Triptychon, Der schöne Tag, um 1903, (Abb. S. 136) dann nochmals verwendet. Die beiden rein landschaftlichen Lithografien sind aufgrund der dargestellten Häuser klar als steirische zu erkennen und beziehen sich so auf die regionale Ausrichtung der Zeitschrift. (Abb. 33) Formal stilisiert Schad-Rossa die wiedergegebenen Motive und fasst Details zu größeren Einheiten zusammen, wodurch er zu ornamentalen Bildwirkungen gelangt. Bemerkenswert, auch in technischer Hinsicht, ist besonders das Blatt Weihnacht: (Abb. S. 19) Feine helle Strichlagen auf blauem Grund geben dort das letzte Aufglimmen des Sonnenlichtes auf dem Schnee wieder, sodass eine beinahe mystische Lichtstimmung entsteht. Die Lithografien wie auch die in Reproduktion abgebildeten Werke der anderen Künstler/innen sind der Kunstauffassung von Schad-Rossa –­dem Symbolismus und Jugendstil – verpflichtet. Konrad von Supanchich bringt stilisierte Meereslandschaften, (Abb. S. 6) Ludwi­g Presuhn (Abb. S. 12) und Margarete Supprian (Abb. S. 17)


zeigen eng gesehene Landschaftsausschnitte und Bela Konrad (Abb. S. 11) flächig aufgefasste, vom Bildrand angeschnittene figurale Darstellungen. Das Flachrelief von Georg Winkler, Magdalena, (Abb. 34) ist eine „Memento Mori“-Darstellung in der Form eines sitzenden, weiblichen Frauenaktes im Profil, einen Totenschädel betrachtend, während die Zeichnung von Daniel Pauluzzi, ein Porträt seiner Frau und seines kleinen Sohnes, eine intime häusliche Szene wiedergibt. Wie aus dem Impressum hervorgeht, (Abb. S. 264) wurde der Band mit hohem technischen Aufwand hergestellt und einzelne Produktionsschritte in Deutschland und Wien ausgeführt. Insgesamt ist sein Erscheinungsbild weniger verfeinert als jenes der genannten großstädtischen Zeitschriften, es wirkt quasi bodenständiger als diese, worin ebenfalls die Absicht, dem Regionalen seine Reverenz zu erweisen, zum Ausdruck kommt. 34 Georg Winkler, Magdalena, in: Grazer Kunst, 1901, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

142 Dieser war von Ubell zur Teilnahme an dem Projekt überredet worden, distanzierte sich aber bald ausdrücklich von der Publikation, da er dem gesamten Secessionismus sehr ablehnend gegenüberstand. Sein Beitrag, die grausame und von den Fortschrittlichen durchwegs hochgelobte Novelle Die schöne Lenerl – Ein Schattenbild aus dem Volksleben, die seinem Image als idyllischem Heimatdichter kaum entsprach, wurde in keine seiner Anthologien aufgenommen und nur in der Grazer Kunst veröffentlicht. Vgl. Ertl, Peter Rosegger. Wie ich ihn kannte und liebte, S. 113–115. 143 Grazer Tagblatt, 15.05.1901, und Heimgarten, 25. Jg., Heft 9, Juni 1901, S. 716–717. 144 Grazer Tagblatt, 15.05.1901. 145 Heimgarten, 25. Jg., Heft 9, Juni 1901, S. 716–717.

Den Versuch der Herausgeber und der beteiligten Künstler, sich mit viel Pathos und Überschwang an die Zeitströmung einer „geheiligten“ Kunst anzuschließen, hat ein vermutlich Wiener Künstler auf’s Korn genommen, der jedoch leider nicht genannt ist. Er hat sein Exemplar der Grazer Kunst mit bildlichen wie textlichen Einfügungen versehen, die vor allem die Übertreibungen wie auch einige stilistische Unzulänglichkeiten der Zeitschrift sehr kritisch bis vernichtend kommentieren. So schrieb er zum Beispiel gleich unter die Titelzeile: „Versuch einer Nachahmung der ,Jugend‘ oder des ver sacrum – hoffentlich der 1. und letzte!“, bemerkt zu dem Lied von Siegmund von Hausegger „Nicht Mond noch Stern“, das in Ces-Dur gesetzt ist: „Muß es grad 7 b sein?“ oder zeichnet eine banale Kaffeetasse neben den Titel des Gedichtes von Robert Graf „Ich bin wie eine Schale, in die man schwere Traurigkeit gegossen hat.“ Der Kreis um den Steiermärkischen Kunstverein hat das Projekt von Anfang an durch Bemühungen begleitet, den Band publik zu machen und positive Rezensionen in der Presse zu platzieren. In Graz schrieb Ertl selbst,143 wobei er, wohl in Erinnerung an die Querelen der vorhergehenden Monate, bereits auf den erwarteten „Sturm der Entrüstung unter Widersachern“144 anspielt und resigniert feststellt, dass der Widerhall „von Seiten des größeren Publikums wohl kühl und abweisend“145 sein werde. Trotz der insgesamt lobenden Darstellung wird gegenüber seinen Besprechungen der ersten Ausstellung Schad-Rossas in Graz deutlich eine gewisse Resignation und eine Abkühlung seiner Begeisterung für dessen Kunstideale und die Möglichkeiten von deren Umsetzung spürbar. Hermann Bahr, der literarische Protagonist des Wiener Secessionismus und des „Jungen Wien“, nimmt in seinem großen Artikel im Neuen Wiener Tagblatt vom 3. Juli 1901 die Besprechung der Grazer Kunst zum Anlass, allgemeine Überlegungen zum Zustand der Kultur und zur „Erziehung des Publikums“ anzustellen. Die künstlerischen Beiträge selbst bewertet er zurückhaltend: „Sie haben alle Geschmack, Sinn und Absicht, ohne daß man noch eine persönliche Kraft bemerken würde.“ Um die Tätigkeit des Kreises, der hinter der Publikation steht, in Graz zu illustrieren, übernimmt er das gesamte Vorwort von Drasenovich aus der Grazer Kunst. Dessen Aktivitäten dienen ihm als Beweis für „diese ganze neue Bewegung in den Provinzen, von der das Grazer Buch ein so erfreuliches Zeichen gibt […]“. So erläutern die Ausführungen Bahrs seine These von der Bedeutung, die die „Provinzen“ im Kulturleben spielen sollten, zum Kauf der Zeitschrift laden sie nicht wirklich ein. Einen weiteren Versuch den Band publik zu machen, startete Wilhelm Gurlitt, indem er seinem Bruder Cornelius ein Besprechungsexemplar nach Dresden schickte. In dem Begleitschreiben erwähnte er einige Kritikpunkte, meinte aber dann: „Doch halte ich jetzt das Ganze für einen Treffer und habe meine ehrliche Freude daran. Nicht nur,


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146 Brief vom 13.05.1901, TU Dresden, Nachlass Cornelius Gurlitt, Brief 056/034, http:// gurlitt.tu-dresden.de, Zugriff am 21.09.2014. 147 Brief vom 13.05.1901, TU Dresden, Nachlass Cornelius Gurlitt, Brief 032/176, http:// gurlitt.tu-dresden.de, Zugriff am 21.09.2014. 148 Meldung im Grazer Tagblatt, 26.11.1901. 149 Ertl, Peter Rosegger. Wie ich ihn kannte und liebte, S. 113. 150 R.M., Wiener Abendpost, 29.10.1901 und 3.12.1901. 151 A. A., Grazer Tagblatt, 26.01.1902; am 31.01.1902 kündigt Schad-Rossa Gurlitt die Lieferung der „Bettstatt“ an, Universitätsarchiv Graz, Nachlass Gurlitt. 152 Die Zeit, 19.04.1902. 153 Vgl. Notiz im Grazer Tagblatt, 11.05.1902; dieses Bild ist zwar in den Inventaren des Belvedere nachweisbar, heute dort jedoch nicht vorhanden. Das einzige Bild Schad-Rossas in den Sammlungen des Belvedere Am Moorbach, 1900, wurde erst 2011 im Wiener Kunsthandel erworben. Mit Dank für diese Information an Dr. Sabine Grabner, Belvedere, Wien.

wenn ich es vom Grazer Gesichtspunkte betrachte, […], sondern überhaupt.“ Und weiter: „Die Etikette ‚Grazer Kunst‘ muß in Kunsthandel und Kunstgeschichte eingeführt werden: Sie wird sich dann hoffentlich behaupten.“146 Im Antwortschreiben zeigte sich sein Bruder in der Bewertung der Publikation ambivalent, hielt das Heft insgesamt aber für gelungen und erklärte sich bereit, darüber zu schreiben.147 Entsprechende Veröffentlichungen sind bislang allerdings nicht bekannt. Alle Bemühungen des Grazer Kreises konnten nicht verhindern, dass die Grazer Kunst zum finanziellen Desaster wurde, das nur zum Teil von Sponsoren abgemildert werden konnte, wie Schad-Rossa anlässlich einer Versammlung des Grazer Künstlerbundes berichtete.148 Zu weiteren Ausgaben kam es nicht. 1923 resümierte Ertl über das Projekt: „[Das Unternehmen blieb] leider gänzlich erfolglos und [stürzte] die einigermaßen ideologischen Herausgeber in unheilvolle Schulden. Die Leute glaubten sich durch diese Publikation, die in unsern Tagen – von einigen Wildheiten abgesehen – einen im ganzen fast gemäßigten Eindruck macht, förmlich mit Absicht vor den Kopf gestoßen, und Künstlerneid tat das Seinige, den Scheiterhaufen der allgemeinen Erbitterung zu schüren. Schier erheiternd würde auf mich, wenn ich dabei nicht an den armen, längst zu Tode gehetzten Schad-Rossa denken müßte, die Tatsache wirken, daß die restlichen Bestände dieser von ehrlichem Wollen getragenen, aber nicht vom Glück begünstigten Veröffentlichung heute wieder in den Handel gebracht sind und (bezeichnend für unsere Buchnot!) zu hohen Preisen reißend abgehen.“149 Die Herausgabe der Grazer Kunst im Mai 1901 und die Künstlerbundausstellung im Herbst desselben Jahres stellen die Höhe-, aber auch die Kulminationspunkte der Erneuerungsbewegung des Grazer Kunstlebens um die Jahrhundertwende dar. In beiden kommen die Bestrebungen, die Ziele und die Kunstauffassung dieser Bewegung konzentriert zum Ausdruck. Der Misserfolg der Zeitschrift und die reservierte Aufnahme der Ausstellung leiten aber bereits deren Ende ein. Orientierung Schad-Rossas weg von Graz

Schad-Rossa begann sich trotz zweier sehr positiver Rezensionen in der Wiener Abendpost150 von Graz weg zu orientieren. Vermutlich über Vermittlung Wilhelm Gurlitts konnte er im April 1902 im renommierten Wiener Kunstsalon Pisko ausstellen. Noch vorher, im Jänner 1902, vollendete er die Schnitzarbeiten für ein prunkvolles Bett für Gurlitt, das in seiner Werkstatt öffentlich ausgestellt war und vom Grazer Tagblatt mit den Worten gelobt wurde: „Meines Wissens ist in Graz noch kein modernes Möbel von so starker und eigenartiger Stimmung entstanden.“151 Bei Pisko stellte er gemeinsam mit Max Liebermann und Walter Leistikow aus, Herman­n Ubell widmete ihm eine ausführliche und überaus positive Besprechung in der Zeitschrift Die Zeit,152 in der er seine Bedeutung für die Grazer Kunstszene dieser Jahre beschrieb: „Es ist nicht leicht zu sagen, was dieser Künstler uns in der kurzen Zeit seines hiesigen Aufenthaltes geworden ist. An dem Beispiel dieser glühenden Seele, die sich bei keinem Erfolg und bei keiner Eroberung beruhigt, die sich aber auch niemals vom Widerstand der stumpfen Welt besiegen läßt, richten sich unsere gerne verzagten jungen Künstler immer wieder auf. Die Energie und Glut seiner Persönlichkeit ist das wertvollste Element unseres Kunstlebens geworden; […].“ Aus der Ausstellung wurde für die „zu gründende moderne Galerie“ in Wien, aus der in der Folge die Österreichische Galerie Belvedere hervorging, ein Bild mit dem Titel Das Dorf angekauft.153 Im weiteren Verlauf des Jahres 1902 konnte Schad-Rossa in Dresden im Kunstsalon Richter (vermutlich über Vermittlung von Cornelius Gurlitt) und im Hanno­ verschen Kunstsalon in Hannover – vielleicht hatte sein Schüler Knottnerus-Meyer


diese Möglichkeit eröffnet ­­− ausstellen und beide Präsentationen erhielten begeisterte wie auch gänzlich ablehnende Rezensionen. Erwähnenswert sind vor allem zwei euphorische Artikel des deutschen Heimatdichters Hermann Löns.154

154 Vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 6. und 9.11.1902. 155 A. A., Grazer Tagblatt, 14.06.1902. 156 Drasenovich, Ständige Ausstellung des Kunstvereines, in: Grazer Tagblatt 27.06.1902. 157 Grazer Tagblatt, 27.06.1902. 158 Vgl. A.A., Von Grazer Kunstausstellungen, Wiener Abendpost, 25.05.1903. 159 Der Lyriker Hermann Frischauf (1879–1942) war damals Medizinstudent in Graz, später Jugendpsychiater in Wien und mit der sozialistischen Schriftstellerin und Ärztin Marie Pappenheim verheiratet. Mit Dank an Dr. Gerhard Fuchs vom Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung, Graz.

In Graz hatte der Kunstverein seit März 1902 erörtert, zusätzlich zu den temporären Ausstellungen, die jeweils unter bestimmten Themen standen, ständige Ausstellungen zu veranstalten, die einer größeren Zahl von heimischen Künstlern offenstehen könnten. Wie Drasenovich im Grazer Tagblatt am 4. Juni 1902 schreibt, hatte „mit anerkennenswerter Fixigkeit der ‚Verein bildender Künstler Steiermarks‘ den Wettbewerb aufgenommen und noch vor dem Kunstverein seinerseits einen ‚Kunstsalon‘ eröffnet“, dessen Auswahl „bei der Hast der Eröffnung [jedoch] keine sehr sorgfältige sein konnte“. Die Konkurrenz der verschiedenen Gruppierungen in Graz hatte also offensichtlich eine deutliche Belebung der Szene zur Folge. Ende Mai/Anfang Juni 1902 eröffnete dann der Kunstverein seine erste ständige Ausstellung. Deren zweite Folge war vorwiegend Mitgliedern des Grazer Künstlerbundes gewidmet, Schad-Rossa zeigte 15 Ölbilder und Zeichnungen sowie 11 „Photographien von Bildern aus der Münchner Zeit“.155 Dass er nun Fotos von älteren Gemälden präsentierte, „welche ihn auf den Bahnen der von inhaltlicher Stimmung erfüllten Wirklichkeitsnachahmung zeigen“,156 erscheint bemerkenswert: Ein praktischer Grund wird gewesen sein, dass er nicht genügend Arbeiten fertig hatte, denn gleichzeitig fand ja die Ausstellung in Dresden statt, ein anderer, dass er den negativen Kritiken etwas entgegensetzen wollte, vermutlich in erster Linie den ständigen Vorwürfen der unrichtig gezeichneten Figuren. Dies bestätigt Drasenovich: „Er will uns damit wohl sagen […], daß sein heutiges Stilisieren und Suchen nach decorativen Wirkungen nicht darin seinen Grund hat, daß er vielleicht […] der Natur nicht gewachsen wäre, sondern daß sein Künstlerwesen heute von anderen Erregungen erfüllt ist, die nach solchem Ausdruck verlangen.“157 Bis zu einem gewissen Grad hatte Schad-Rossa wohl resigniert und sah für seine neuen experimentellen Arbeiten nur noch geringe Erfolgsmöglichkeiten in Graz. Denn im darauffolgenden Jahr 1903 zeigte er bei der Frühjahrsausstellung des Kunstvereins, in der Werke der Münchner Künstlervereinigung „Scholle“ mit jenen heimischer Künstler konfrontiert wurden, nur das große Fronleichnamsbild von 1891, (Abb. S. 106) das vermutlich bei dieser Ausstellung in Grazer Privatbesitz überging.158 Ebenfalls im Frühjahr 1903 präsentierte er 20 Werke im Oberösterreichischen Kunstverein in Linz. Dass Hermann Ubell, der im Herbst desselben Jahres seine Stelle im Oberösterreichischen Landesmuseum antrat, ihm diese Möglichkeit eröffnet hat, kann vermutet werden. Schad-Rossas letzte Ausstellung in Graz und Abschied

Die letzte große Ausstellung Schad-Rossas in Graz im Oktober 1903 stand bereits unter dem Zeichen seines Abschieds. Noch einmal präsentierte er dem Grazer Publikum einen Querschnitt seines gegenwärtigen Schaffens, wiederum begleitet von Arbeiten seiner Schüler/innen. Diesmal wurden Gedichte von Hermann Frischauf zu einzelnen Werken, wie sie bereits bei früheren Ausstellungen neben den Bildern angebracht worden waren, auch im Katalog abgedruckt und sind somit überliefert. Besonders das einleitende Gedicht Dem Meister zu eigen schildert mit seiner weihevollen Stimmung, seiner Verbindung von Naturassoziationen und mystisch-religiösen Gedanken sehr treffend das Weltbild, aus dem die damals präsentierten Werke SchadRossas entstanden waren.159 (Abb. 35) Auch diese Ausstellung wurde ausführlich rezensiert, die Standpunkte der einzelnen Blätter waren jedoch geklärt und brachten nichts substanziell Neues. Doch erkannten


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35 Hermann Frischauf, Dem Meister zu eigen, in: Katalog zur Ausstellung Schad-Rossa, hg. v. Grazer Künstlerbund, Graz 1903 Karl-Franzens-Universität Graz, Bibliothek

mittlerweile auch die kritisch eingestellten Berichterstatter Schad-Rossa bis zu einem gewissen Grade an, auch wenn sie weder mit seinen Inhalten noch mit der Ausführung einverstanden waren. So schreibt z. B. der Autor mit dem Kürzel H. N. in der Grazer Tagespost am 17. Oktober 1903: „[…] die virtuose Farbgebung, in welcher überhaupt die technische Stärke des Künstlers liegt. Überall, wo die Form Nebensache und die Farbe Hauptsache, kann er mit dem Erfolge jonglieren, wie es ihm beliebt. Er braucht nur zu wollen, um einer der ersten Koloristen zu werden“, oder Kurz-Goldenstein im Grazer Volksblatt am 3. November 1903: „Begabt mit seltenem Talente und kühner Phantasie, entwickelte Schad in Graz eine unermüdliche Arbeitskraft. Ein eigenartiges philosophisches Grübeln und Experimentieren aber macht die Werke dieses Künstlers dem großen Publikum sicher ungenießbar […].“ Drasenovich schließlich stellt kritische Überlegungen über die Gründe für Schad-Rossas Übersiedelung nach Berlin an:160 „Graz und Österreich vermochten ihn nicht zu halten; was sie ihm boten, blieb selbst hinter seinen bescheidenen Lebensansprüchen zurück. Anhänger, Mitstrebende und Freunde seiner Kunst hat er in den drei Jahren ja vielleicht genug gefunden, aber zu wenig bedeutende Aufgaben und tatkräftige Hilfe. Außer dem Kunstverein […] haben unsere Verwalter öffentlicher Gelder nichts für ihn übrig gehabt: […] das Kapitel Schad wird in der heimischen Kunstgeschichte auf keinem Ruhmesblatt stehen.“

160 Kunstausstellung (Schad-Rossa und der Grazer Künstlerbund im TheaterRedoutensaal), in: Grazer Tagblatt, 18.10.1903.

Tatsächlich ist Schad-Rossa in Graz heute nahezu vergessen: Die Recherchen der Autorin stießen meist auf Kopfschütteln auch in Kreisen, die in der lokalen Kunst­ geschichte sehr bewandert sind. Bis zum Redaktionsschluss dieses Kataloges konnten in Grazer Privatbesitz von den zahlreichen Ankäufen, wie sie die Presseberichte zu den Ausstellungen vermelden, lediglich zwei Bilder aufgespürt werden, das Pastell Faun und Nymphe (Abb. S. 134) und ein kleines Ölbild, eine Landschaft mit Häusern und Bäumen am Bach. (Abb. S. 140) Das große Fronleichnamsbild (Abb. S. 106) und das Gemälde Eden (Abb. S. 130) sowie eine aquarellierte Zeichnung gelangten im Lauf der Jahre aus privatem Besitz in die Sammlung der Neuen Galerie Graz. Für Schad-Rossa waren die Möglichkeiten, die sich ihm in Graz boten, denn doch zu eingeschränkt. Jene, die von seiner Kunst begeistert waren, hatten vermutlich bereits Ankäufe getätigt, sodass hier kein großes Potenzial mehr zu erwarten war. Und jene,


die ihm reserviert gegenüberstanden, würden das auch weiterhin tun. Und das Projekt, ihn zur Ausbildung der Kunstgeschichte-Studenten heranzuziehen, war gescheitert. Die Belebung der Grazer Kunstszene in den 1890er-Jahren, an deren Höhepunkt er hergekommen und zu der er wesentlich beigetragen hatte, hatte spätestens ab 1902 an Schwung verloren. Dies ist neben den Widerständen von konservativer Seite auch mit personellen Veränderungen unter ihren Protagonisten zu erklären: Josef Strzygowski hatte sich bereits im Herbst 1900 aus der Kunsthistorischen Gesellschaft zurückgezogen, Wilhelm Gurlitt erkrankte im Frühjahr 1902 schwer und musste seine Verpflichtungen für ein Jahr absagen (er verstarb im Februar 1905), Hermann Ubell begab sich 1902 auf eine Studienreise und übernahm dann eine Stelle in Linz. „[…] die Reformgruppe [musste] von den reaktionären und restaurativen Tendenzen im Grazer Kulturleben besonders schwer getroffen sein, denn der Grundtenor der folgenden […] Berichte in den Grazer Tageszeitungen ist resignierend und verbittert […]. Die Warnungen vor einer ‚nur für Graz konstruierten Ästhetik zweiten Grades‘ (Drasenovich, 5. Oktober 1902) wurden anscheinend nicht befolgt […], vom Schwung und Elan der neunziger Jahre blieb in der ‚so gesund-ländlichen (Grazer) Stadtidylle‘ (Strzygowski, Die Zeit, Wien 9. November 1909) wenig übrig, anstatt Internationalität herrschten Regionalismus und Einseitigkeit.“161 Eine Kunst wie jene Schad-Rossas, die während seiner Grazer Jahre eng mit dem internationalen Secessionismus verbunden war und eine pointierte Position vertrat, hatte hier keine Zukunft. So bleibt die Zeit, die er in dieser Stadt verbrachte, ein Intermezzo. Mit ihm verließen etliche seiner Schüler die Stadt, unter ihnen auch Margarethe Suppria­n. Der Grazer Künstlerbund löste sich wegen „Abwanderung und Übersiedelung der meisten Mitglieder nach Deutschland“162 freiwillig auf, die offizielle Vereins­ löschung erfolgte am 5. Dezember 1903. Die Namen der in Graz verbliebenen Künstler, die mit Schad-Rossa und dem Künstlerbund verbunden gewesen waren, tauchen in den folgenden Jahren in den Ausstellungskatalogen sowohl des Kunstvereins als auch des Vereins bildender Künstler auf.

161 Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 126. 162 Georg Winkler im Antrag auf Vereinslöschung, zit. nach: Klein, Vergessene steirische Moderne, S. 611 und Anm. 77. 163 Meldezettel, Stadt­ archiv Graz. 164 Vgl. die entsprechenden Aufzeichnungen im Archiv der Alten Galerie, Universalmuseum Joanneum, mit Dank an Dr. Karin Leitner-Ruhe.

Schad-Rossa selbst meldete sich am 4. März 1904 behördlich nach Berlin ab.163 Eine späte Anerkennung erfuhr er in Graz mit der Installierung eines seiner Gemälde – als Dauerleihgabe aus Privatbesitz – in der ständigen Ausstellung der Landesbildergalerie in den Jahren 1908 bis 1921.164 Bezeichnenderweise war dies aber nicht eines seiner symbolistischen Werke, sondern die Schilderung eines Versehgangs in der Tradition seines Lehrers Franz Defregger, das Gemälde Es will Abend werden von 1888. (Abb. S. 108) Über dieses Bild hatte Ludwig von Kurz-Goldenstein im Grazer Volksblatt am 3. November 1903 geschrieben: „Warum verschmäht es Schad, auch heute wieder Empfindungen und Gefühle im Beschauer wachzurufen, wie es ihm seinerzeit in seine­m ,Versehgang‘ oder ,Fronleichnamsfest‘ so herrlich gelungen ist?“ In Graz hatte sich die Tradition durchgesetzt – nicht dem experimentellen Symbolisten Paul SchadRossa, sondern dem romantisierenden Realisten erwies man die Ehre der Aufnahme in die Landesbildergalerie. Ende der Erneuerungsbewegung in Graz

Doch nicht nur der Künstlerbund löste sich auf. In der Folge der erwähnten personellen Veränderungen in der Reformgruppe kam es auch zu Umstrukturierungen in der Kunsthistorischen Gesellschaft. Mit dem Rückzug Strzygowskis verlor diese die Anbindung an das kunsthistorische Institut der Universität, als Vereinslokal stellte


37 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur Weihnachtss­ausstellung, Entwurf von Alfred von Schrötter-Kristelli, 1902, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

38 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur Ausstellung „Scholle München, Heimische Kunst, Farbige Graphik des Auslandes, Frühjahrs­ausstellung“, Frühjahr 1903, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

36 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 96. Ausstellung, „Ferdinand Mallitsch“, Februar 1902, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

39 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur Frühjahrsausstellung, Entwurf von Raffaela Rikiewicz, Frühjahr 1904, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

40 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 103. Ausstellung, Entwurf von Marie Baselli, Frühjahr 1905, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

41 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 104. Ausstellung, „Frühjahrsausstellung“, Entwurf von Emilie von Hallavanya, Frühjahr 1906, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek


42 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 107. Ausstellung, „Weihnachtsausstellung“, Entwurf von August Schaeftlein, Eröffnung 15. Dezember 1907, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

45 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 112. Ausstellung, „Frühjahrsausstellung“, Entwurf von August Schaeftlein, Eröffnung 28. Jänner 1912, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

43 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 108. Ausstellung, „Das Stadtbild von Graz“, Entwurf von Elfriede Coltelli, Eröffnung 5. Dezember 1908, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

46 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 113. Ausstellung, „Weihnachtsausstellung“, Entwurf von Fritz Silberbauer, Weihnachten 1912, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

44 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 109. Ausstellung, „Frühjahrsausstellung“, Entwurf von Elfriede Coltelli, Frühjahr 1909, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

47 Steiermärkischer Kunstverein, Katalog zur 114. Ausstellung, Entwurf von Bruno Fiedler, Eröffnung 10. Jänner 1914, Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek


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165 Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 53. 166 Den entsprechenden Antrag stellte Franz Wibiral, der bereits Strzygowskis Stellvertreter gewesen war. Vgl. Heidetraut Ocherbauer, Die Kunsthistorischen Gesellschaften an der Universität Graz von ihren Anfängen bis heute, S. 373, Anm. 698. 167 Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900, S. 83. 168 Vgl. Künstlerliste unter „VI. Wettbewerb für Katalogumschlag“, in: Kat. zur Frühjahrsausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins, Graz 1904, o. S.

die Steiermärkische Landesbibliothek Räumlichkeiten zur Verfügung. Zusätzlich zur bildenden Kunst wurden nun verstärkt literarische und musikalische Themen ins Veranstaltungsprogramm aufgenommen – Letztere vermutlich angeregt durch den Richard-Wagner-Verein, zu dem die Gesellschaft damals gute Kontakte unterhielt.165 Letztlich kam es aber im Dezember 1906 zur Auflösung der Kunsthistorischen Gesellschaft.166 Einen Teil der Bestände erhielt der Kunstverein, die Bücher und Zeitschriften gingen an die Landesbibliothek (die damals noch ein Teil des Joanneums war), das Vereinsvermögen an das Kupferstichkabinett am Joanneum. Die Grazer Erneuerungsbewegung verlor mit der Auflösung der Kunsthistorischen Gesellschaft zwei existenziell notwendige Elemente, ohne die sie letztlich nicht fortbestehen konnte: jene des theoretischen Fundaments und der Vermittlung. Hatte doch diese Gesellschaft die Aktivitäten, die Inhalte und Ziele der Reformgruppe in zahlreichen Vorträgen und ähnlichen Veranstaltungen einerseits wissenschaftlich begründet und andererseits dem Publikum erklärt und nahe gebracht. Die Diskussionen um die Zeichenakademie flammten nach dem Tod ihres langjährigen Leiters Heinrich Schwach († 1902) erneut auf. Auch aufgrund des Erfolges der Meister­ klasse Schrötters musste die Abteilung für Historienmalerei unter Schwachs Nach­ folger Ludwig Kainzbauer ständig sinkende Schülerzahlen – bei hohen Aufwendungen – hinnehmen. Wie bereits in den 1890er-Jahren wurde wieder ein Expertenkommitee aus Vertretern der wichtigen Kunstinstitutionen gebildet. Nach mehrjährigen Verhandlungen beschloss der Landtag im März 1907 die Auflösung der Landeszeichenakademie, an deren Stelle nun die neu eingerichtete Landes-Kunstschule trat. Als Leiter der zweiten Meisterklasse neben jener Schrötters und als Leiter der Schule selbst wurde Alfred Zoff berufen.167 1908 erhielt Anton Marussig die Stelle eines Dozenten an der Schule. Neben der Landes-Kunstschule bot in Graz die Staatsgewerbeschule, die Vorläuferin der heutigen HTBLVA Ortweinschule („Kunstgewerbeschule“) künstlerischen Unterricht an. Dort unterrichteten in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts etwa Hans Brandstette­r, Leo Diet, Ferdinand Pamberger und Rita Passini. Darüber hinaus gab es die privaten Malschulen von Constantin Damianos und Friederike Koch-Langentreu. Von den Lehrenden kann man auf die Kunstrichtungen schließen, die an diesen Schulen vertreten wurden. Einige von ihnen hatten um die Jahrhundertwende Werke im Sinne des Secessionismus, Jugendstils und Symbolismus geschaffen, kehrten danach aber zu Malweisen zurück, die auch bei einem größeren Publikum in Graz allgemeine Akzeptanz fanden. So übernahm etwa Schrötter, der im Unterricht die fortschrittlichen Methoden Hölzels anwandte, in seiner eigenen Malerei dessen innovative Ansätze kaum und pflegte dort eine intime Landschaftsmalerei im Sinne der Dachauer Schule. Zoff vermittelte den Stimmungsrealismus bzw. -impressionismus, der sich in der Steiermark auf diese Weise bis weit ins 20. Jahrhundert hinein tradierte. Für Marussig gilt das gleiche in Bezug auf den Realismus Münchner Provenienz. Die kontroversen Diskussionen um die „Moderne“, die in den vorangegangenen Jahren auch in Graz so vehement geführt worden waren, gehörten somit der Vergangenheit an. Auch die Entwicklung des Ausstellungswesens, und hier sei nur der Steiermärkische Kunstverein betrachtet, spiegelt die nunmehrige Tendenz wider, sich weniger auf radikale Neuerungen denn auf eigene Traditionen zu konzentrieren. Zwar bemühte sich der Verein neben der Präsentation seiner Mitglieder weiterhin um die Ausstellung zeitgenössischer, meist österreichischer und deutscher Kunst. Auch folgen die Plakate und Katalogumschläge, deren Entwürfe zum Teil über Wettbewerbe vergeben wurden,168 nun den Stilprinzipien des Jugendstils, der mittlerweile ja nicht mehr umstritten war. (Abb. 36–47, S. 40, 73, 78, 79)


Mit der Gedächtnisausstellung für den kürzlich verstorbenen und weitgehend vergessenen Waldmüller-Schüler Ferdinand Mallitsch (1820 Graz – 1900 St. Leonhard bei Marburg/Maribor) im Februar 1902 folgte der Kunstverein noch seinem Bestreben, dem Publikum wenig bekannte und qualitätsvolle Kunst zu präsentieren – doch war dies natürlich eine bereits historische Position. (Abb. 36) Einigermaßen überraschend ist dann das Thema der 100. Ausstellung des Kunstvereins im Herbst 1903 „Geschichte Österreichs und Überblick über die österreichische Historienmalerei des 19. Jahrhunderts“, deren meiste Exponate aus dem Besitz des Kaiserhauses stammten. Hier lassen sich politische Hintergründe vermuten, die genauer zu erforschen wären. Denn in Graz war das deutschnationale Lager ja stark und auch die Reformgruppe mit dem Kunstverein stand ihm großteils nahe. Daher erstaunt diese Ausstellung, die man als Kontrapunkt gegen diese deutschnationalen Tendenzen interpretieren könnte. Im Frühjahr 1907 zeigte der Kunstverein in seiner 106. Gemäldeausstellung „Ältere Kunstwerke aus heimischem Privatbesitz“. Der Erlös aus dieser Schau sollte einem Fonds für den Bau der allgemein geforderten Grazer Kunsthalle zufließen.169 Lokale Kunstgeschichte schrieb der Verein dann mit seiner 108. Ausstellung zu Weihnachten 1908 „Das Stadtbild von Graz“, (Abb. 43) die ihren Schwerpunkt weniger auf qualitätsvolle künstlerische Arbeiten zu diesem Thema legte, als auf dokumentarische Blätter dazu.170 Anlässlich dieser Schau hat sich in Graz der Verein für Heimatschutz in Steiermark konstituiert, der mit der Heimatschutzbewegung in Deutschland in enger Beziehung stand. Die modernen wie antimodernen Bestrebungen und politischen Implikationen dieses von ihr als „Forum der Traditionalisten“ bezeichneten Vereins hat in Bezug auf die Architekturgeschichte Antje Senarclens de Grancy erforscht und in mehreren Publikationen erläutert.171 Der Kunstverein bekannte sich, wie aus dem Katalogvorwort hervorgeht, klar zu den Zielen der Heimatschutzbewegung. Obwohl diese in der Steiermark auch durchaus fortschrittliche Ansichten propagierte, war sie doch – paradoxerweise – in der Hauptsache deutschnational ausgerichtet und nahm Stellung gegen eine international orientierte, urbane Moderne.

169 Vgl. den entsprechenden Ausstellungskatalog, S. 4. 170 Vgl. das Vorwort im entsprechenden Ausstellungskatalog von Adalbert von Drasenovich, S. 1. 171 Vgl. Senarclens de Grancy, „Moderner Stil“ und „Heimisches Bauen“, besonders S. 163–175, und vor allem: dies., Identität – Politik – Architektur. Der „Verein für Heimatschutz in Steiermark“, Berlin 2013.

Spätestens mit dieser Ausstellung ging in Graz die kurze Ära einer Kunstreform zu Ende, die versucht hatte, die Stadt an das internationale Kunstgeschehen anzukoppeln, auch indem ein so extremer Vertreter des Symbolismus eingeladen wurde wie Paul Schad-Rossa. Diese Reformbewegung ist im Sinne der Historiografie der Moderne zwar nicht uneingeschränkt als modern zu bezeichnen, dazu ist ihr weltanschaulicher Hintergrund zu stark romantisch-idealistisch geprägt, dazu verfolgte sie zu sehr die letztlich ebenfalls als rückschrittlich zu bezeichnenden Ideale der Secessionskunst. Doch auch aufgrund einer glücklichen Konstellation von kulturpolitischen Kräften und engagierten Persönlichkeiten war ihr eine Öffnung des Horizontes über das Provinzielle hinaus gelungen und konnte sie zu einer Erneuerung der Strukturen beitragen. Überdies erweisen sich etliche der Problemstellungen, mit denen sie sich auseinandersetzte – wie die Kunstausbildung, die Programmgestaltung von Kunstausstellungen, das Zusammenwirken der verschiedenen Kunstinstitutionen in der Stadt – als zukunftsweisend, denn sie prägen auch aktuell die kulturpolitischen Diskussionen in Graz.


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Die „Grazer Zeitkunst“ und das Plakat Gebrauchsgrafik um 1900 ­ Eva Klein

1 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 86. Ausstellung, 1898, Stmk. Landesarchiv Graz

2 Ausstellungsplakat, 1898, Stmk. Landesarchiv Graz 1 Vgl. Kat. 86. Kunstausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins, Graz 1898, S. 2. 2 Vgl. ebda., S. 1. 3 Vgl. Inge Woiset­ schläge­r, Jugendstilplakate, hg. v. d. Abteilung für Kunstgewerbe am Landesmuseum Joanneum, Graz 1985, S. 3.

Am 8. Dezember 1898 präsentiert der Steiermärkische Kunstverein dem Grazer Publikum seine 86. Kunstausstellung, die „neben zahlreichen Kunstwerken verschiedener Herkunft“ eine Schwerpunktschau zeitgenössischer Münchner Kunst bringt. Gezeigt werden „77 Bilder moderner Münchner Meister […] der dortigen drei Künstlergruppen (Genossenschaft, Secession und Luitpoldgruppe)“, für deren Auswahl sich der Maler Kunz Meyer aus München verantwortlich zeigt.1 Erklärtes Ziel der Schau sowie des Vereines ist es, „die bildenden Künste zu fördern, den Sinn für dieselben zu erwecken und zu pflegen“, wobei „den Anforderungen der Zeit Rechnung“2 zu tragen sei. Diese Haltung spiegelt sich auch in der Gestaltung des Plakatentwurfs von Theodor Stundl wider, die sich deutlich von der, in Graz über Jahrhunderte etablierten, textlastigen abhebt. Das Künstlerplakat verleiht dem Bildlichen im Plakat eine neue Qualität, nimmt die in der Schau gezeigten stilistischen Neuerungen auf und repräsentiert diese im urbanen öffentlichen Raum der steirischen Landeshauptstadt. (Abb. 1) Bereits im selben Jahr findet in der Abteilung für Kunstgewerbe am Landesmuseum Joanneum eine Plakatausstellung statt, die der steirischen Landeshauptstadt eine internationale Bandbreite an aktueller Plakatkunst näherbringt, indem Exemplare aus Amerika, Japan, Belgien, Frankreich, Deutschland und Österreich zur Schau gestellt werden. Das einzige bis dato auffindbare Plakat, das diese Ausstellung ankündigt, ist ein einfaches Schriftplakat.3 (Abb. 2) Zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen in Graz, wie die Umstrukturierung des Steiermärkischen Kunstvereins, der ab 1900 unter der Leitung des Moderne-affinen Archäologen Wilhelm Gurlitt steht, sowie die Neuerungen innerhalb des Landesmuseums Joanneum, die Gründung der Kunsthistorischen Gesellschaft und die Modernisierung der Zeichenakademie in Graz mit der Einrichtung einer Meisterklasse für Malerei unter Alfred von Schrötter-Kristelli, leiten eine fruchtbare Zeit der modernen Kunst in Graz ein, welche hier mit dem Begriff „Grazer Zeitkunst“ bezeichnet wird. Dieser Terminus beschreibt die nahezu in Vergessenheit geratene erste Modernebewegung in der Kunst und Gebrauchskunst in Graz um 1900. Er leitet sich von der Kunstreflexion um 1900 selbst ab und wird zum Beispiel auch in der Zeitschrift Grazer Kunst aus dem Jahr 1901, die sich als „erste öffentliche Tat des Grazer Künstlerbundes“ versteht, im einleitenden Text von Adalbert Drasenovich unter dem Titel Auf den Weg als solche deklariert. Die „Grazer Zeitkunst“ wird aus zeitgenössischer Sicht als „modern“ und vor allem als „authentisch“ empfunden und weist eine neue, bislang in Graz in dieser Form als nicht vorhanden wahrgenommene Qualität in der Kunst und


4 Das entspricht in seiner Bedeutung dem lateinischen modo und dem spätlateinischen modernus, welche mit nur, eben, erst, gerade, gleich, jetzt, derzeit, neu übersetzt werden. 5 Vgl. den Vortrag der Autorin „Grazer Zeitkunst um 1900“ am 15.01.2014 an der KarlFranzens-Universität Graz im Rahmen der KunstgeschichtePreisverleihung, weiters: dies.: Vergessene Steirische Moderne. Paul SchadRossa und das kreative Milieu um 1900, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, Bd. 42, hg. v. d. Stadt Graz, Graz 2012, und dies.: Das Plakat in der Moderne. Der Beginn des Grafikdesigns in der Steiermark im Kontext internationaler soziokultureller Entwicklungen, Phil. Diss., Graz 2011. 6 Vgl. die in Anm. 5 erwähnten Arbeiten der Autorin sowie dies.: Galerie der Straße. Werbung als kulturhistorisch gewachsenes Medium im öffentlichen urbanen Raum, in: ISG (Internationales Städteforum Graz) Tagungsband. Die umworbene Stadt. Stadtgestalt und Werbung, Graz 2013. 7 Karl Hoffacker, Kleine Mitteilungen, in: Kunstgewerbeblatt. Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preußen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart, 9 (Leipzig) 1898, S. 112. 8 Vgl. Adalbert Draseno­­vic­­h, Auf den Weg, in: Grazer Kunst, 1 (Graz), 1901, S. 4. 9 Die „Liesl“, die drittgrößte Glocke der Steiermark, wurde 1587 gegossen, hängt im Glockenturm auf dem Grazer Schlossberg und wird täglich um 7, 12 und 19 Uhr geläutet. Vgl. www.stadt-graz.at/ sehenswürdigkeiten/ schlossberg-graz.html, Zugriff 17.09.2014.

Gebrauchsgrafik auf. Zudem sei angemerkt, dass der durchaus umstrittene Begriff „Moderne“ in der zeitgenössischen Reflexion um 1900 viel verwendet wird und gängig ist. Die „Grazer Zeitkunst“ mit ihren Intentionen ist als ein – wenn auch kleinerer als jener der großen Metropolen – Teilbereich des internationalen Zeitgeistes um 1900 zu verstehen. Dieser ist insgesamt durch den Aufbruch in die Moderne und einen damit verbundenen regen internationalen Austausch geprägt. In den Zeitschriften sowie der zeitgenössischen Literatur werden die Begrifflichkeiten Secessionsstil, Jugendstil, Wiener Stil und Wiener Neustil in Deutschland wie in Österreich sehr individuell verwendet. Vorwiegend findet der Begriff „moderner Stil“4 für sämtliche stilistische Neuerungen Verwendung. Zugleich ergibt sich durch den Begriff der „Grazer Zeitkunst“ im lokalen Kontext die notwendige Differenzierung zur Grazer Sezession, welche erst in der Zwischenkriegszeit namentlich und offiziell gegründet wird.5 Die „Grazer Zeitkunst“ als erste Bewegung der modernen Kunst und Gebrauchskunst in der Steiermark markiert nicht nur den Beginn der Kunsthistorie einer „Steirischen Moderne“, welche in den 1920er-Jahren unter anderem zur Gründung der Grazer Sezession (1923) führt, sondern auch den Beginn einer neuen Disziplin. Mit den modernen Strömungen in der Kunst und dem erhöhten Bedarf an Gestalterinnen und Gestaltern für Werbezwecke zur Jahrhundertwende sowie den neuen technischen Möglichkeiten leitet die „Grazer Zeitkunst“ in der Steiermark auch die Disziplin des Grafikdesigns bzw. der visuellen Kommunikation ein – denn es sind Künstler/innen, die als Bildexpertinnen und -experten ihrer Zeit für die ersten künstlerisch gestalteten Werbesujets im modernen Stil herangezogen werden.6 Bereits 1898 schreibt der Steiermärkische Kunstgewerbeverein einen Wettbewerb für die künstlerische Gestaltung eines Ausstellungsplakates für die permanente Ausstellung des heimischen Kunstgewerbes aus: „Ferner bringt der Steiermärkische Kunstgewerbeverein behufs Erlangung eines Reklamebildes für seine ständige Ausstellungshalle von Erzeugnissen des modernen heimischen Kunstgewerbes mit dem Endtermin 30. Mai d. J. [1898] einen Wettbewerb zur Ausschreibung und setzt hierfür zwei von seinem Ausschussmitglied Herrn Hans Edlen von Rebenburg gewidmete Preise im Betrage von 70 fl. und 30 fl. fest.“7

Es folgen die Teilnahmebedingungen, welche festhalten, dass zur Beteiligung alle in der Steiermark geborenen oder hier wohnhaften Künstler zugelassen sind. Die Ausschreibung verdeutlicht die Bestrebungen der „Grazer Zeitkunst“, welche entgegen einer reinen Adaption der internationalen neuen Tendenzen in der Kunst das Ziel verfolgt, den „heimischen modernen Stil“ zu stärken und zu fördern und aus „echter Kunst- und Heimatliebe“ zu schaffen.8 Bislang ist kein erhaltenes Exemplar des genannten Ausstellungsplakates auffindbar, hingegen zeugt eine von Ludwig Presuhn monogrammierte Postkarte, welche um die Osterzeit des Jahres 1897 – dem 310. Jubiläumsjahr der Liesl9 – entstanden sein könnte, jedenfalls aber vor 30. September 1900 zu datieren ist, von einer überaus frühen und zugleich modernen künstlerischen Gestaltung einer Gebrauchsgrafik im „dekorativen Stil“.10 (Abb. 3) Der 1877 in Graz geborene Künstler und ausgebildete Lithograf besucht unter anderem die Kunstakademie in München und kehrt nach seiner Ausbildung in seine Heimatstadt zurück, um hier als Künstler und Lithograf im „neuen Stil“ zu wirken. Er schafft neben Ölbildern und Aquarellen auch zahlreiche Gebrauchsgrafiken. „Presuhn huldigt in seinen Arbeiten der neuen Richtung“,11 hält Hans Brandstetter in seinen Handschriften fest. Was hier als neue Richtung verstanden wird, verdeutlichen auch die später entstandenen, noch erhaltenen Ausstellungsplakate des Steiermärkischen Kunstvereins, wie beispielsweise jenes von Elfriede Coltelli zur 109. Ausstellung desselben im Jahr 1909. (Abb. 4) Auch die 1883 geborene Künstlerin und Schülerin Alfred


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3 Ludwig Presuhn, Postkarte, um 1897, Privatbesitz

10 Diese Datierung ergibt sich aufgrund der gestempelten Marke in der Höhe von zwei Kreuzern, der Währungsumstellung in Österreich und der daraus resultierenden begrenzten Gültigkeit der Marke. 11 Vgl. Handschrift von Hans Brandstetter, Steirische Künst­ler, 1921. (Steiermärkisches Landesarchiv Graz, Hs. 1739). Diese Handschrift besteht aus einer Sammlung loser Blätter in acht Konvoluten mit den Biografien steirischer Architekten, bildender und darstellender Künstler, Tonkünstler und Schriftsteller seit dem 15. Jahrhundert, die der Grazer Bildhauer Hans Brandstetter (1854– 1925) als „Lexikon steirischer Künstler und Schriftsteller aller Zeiten“ veröffentlichen wollte, wozu es jedoch nicht kam. Vgl. Hans Brandstetter, Über altsteirische Künstler, in: Blätter zur Geschichte und Heimatkunde der Alpenländer, Beilage zum Grazer Tagblatt, 20.04.1913.

von Schrötter-Kristellis wählt eine geometrisch gegliederte Grundfläche. Sie setzt die Typografie im Jugendstil in die umrahmten Textfelder des oberen und unteren Bereiches, die in reduzierter Farbigkeit und Formgebung gestaltet sind. Im mittleren Feld, das Raumtiefe suggeriert, wird der Blick in eine strenge Zentralperspektive gelenkt, die auf eine Hell-Dunkel-Flächengestaltung trifft. Im Hintergrund ist eine Berglandschaft angedeutet. Insgesamt erhält das Motiv aufgrund der stilisierten Darstellung, der streng symmetrischen Gliederung sowie der Wiederholung einzelner Elemente ornamentalen Charakter. Während Elfriede Coltelli einen Garten mit roten Tulpen als Motiv wählt, lenkt Ludwig Presuhn den Blick auf den Glockenturm, welcher im rechten Bereich über die hier bewaldet dargestellte Grazer Landschaft aufragt. Im Vordergrund umspielen drei anmutige Frauen in fließenden, langen Gewändern die Glocke. Sie sind entsprechend der Technik der Lithografie flächig und in ihrer Farbigkeit reduziert gestaltet und weisen eine klare Kontur auf. Ebenfalls dem „neuen Stil“ zuzuordnen sind Arbeiten des renommierten Gebrauchsgrafikers und Künstlers Ferdinand Wüst.12 Dem mehrfach für seine Werke ausgezeichneten Künstler wurde in Fachkreisen eine Vorbildfunktion zugeschrieben. Die Auftragslage sei stets gut gewesen, berichtet Hans Brandstetter aus zeitgenössischer Sicht.13 Als ausgebildeter Lithograf tritt der 1845 geborene Künstler 1882 nach seiner Kunstausbildung in Wien in die Lithographische Kunstanstalt Matthey in Graz ein. Er heiratet die Tochter des Firmenbesitzers und wird 1898 selbst zum Teilhaber. Besonders hervorzuheben sind im Kontext des Jugendstils seine erhaltenen Covergestaltungen der Warenkataloge des Kaufhauses Kastner & Öhler, wie jener der Frühjahrs- und Sommersaison 1901. (Abb. 5) Auch hier erscheint die Grundfläche der Grafik geometrisch gegliedert. Im oberen und unteren Bereich werden abstrahierte florale Motive seriell aneinandergereiht, sodass sich ornamentierte Flächen ergeben. Diese werden von einer vertikalen goldfarbenen Form durchbrochen, vor der die Figuren auf einer steigenden Achse positioniert sind. Auffällig ist, dass die Dame, welche als Hauptfigur fungiert und auf deren linker Schulter eine Putte mit Modeskizzenblättern tänzelt, selbst ­− im Unterschied zu der im Warenhaus zum Verkauf angebotenen Mode − ein Reformkleid trägt, also vom damals üblichen Korsett befreit ist. Das Kleid trägt aufwendige Verzierungen, die sich farblich auf den zu ihren Füßen sitzenden Pfau mit den umgebenden Blumenranken beziehen. Wie die gesamte Gestaltung des Covers


4 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 109. Ausstellung, „Frühjahrs­ausstellung“, Entwurf von Elfriede Coltelli-Plaichinger, 1909, Neue Galerie Graz, UMJ

12 Wiederentdeckt wurde der Gebrauchsgrafiker und Künstler in der erwähnten Dissertation der Autorin, s. dort speziell das Kapitel zu Ferdinand Wüst, S. 155–184. 13 Vgl. Brandstetter, Steirische Künstler. 14 Das Plakat von Gustav Klimt zur ersten Ausstellung der Wiener Secession war um 1900 nicht nur in aller Munde, sondern wird auch in folgender Publikation als Ausstellungsstück gelistet, weshalb es möglich erscheint, dass es in der Plakatausstellung in Graz im Jahr 1898 gezeigt wurde. Vgl. Woisetschläger, Jugendstilplakate, S. 3 und 12. 15 Vgl. das Cover des vorliegenden Kataloges. 16 Anton Reiche, Igo Pötsch in: Die Graphischen Künste 46, Wien, 1923, S. 104. 17 Vgl. Brandstetter, Steirische Künstler. 18 Ebda.

folgt auch die Typografie den Formprinzipien des Jugendstils und weist verschiedenste Variationen auf. Das überaus modern gestaltete Titelblatt von Ferdinand Wüst kann als Imagewerbung im heutigen Sinn betrachtet werden, da es sich bei dem abgebildeten Kleid keineswegs um ein erhältliches Vorzeigeprodukt aus dem Sortiment des Modehauses handelt, auf das die Aufmerksamkeit der potenziellen Kundschaft gezogen werden soll. Im Katalog werden ausschließlich Kleider im traditionellen Stil des eng geschnürten Korsetts angeboten. Plakate für die Firma Kastner & Öhler aus der Zeit um 1900 sind bislang nicht bekannt bzw. erhalten. Dem secessionistischen Stil zugewandt zeigt sich auch der Leiter der Meisterklasse für Malerei an der Zeichenakademie in Graz (ab 1907 Landeskunstschule) Alfred von Schrötter-Kristelli. Dessen Coverentwurf für den Ausstellungskatalog der Weihnachtsausstellung 1902 des Steiermärkischen Kunstvereins (Abb. 6) erinnert in der geometrisch angelegten Komposition sowie in der Betonung des Leerraumes als eigenständige Qualität an Gustav Klimts berühmtes und viel diskutiertes Plakat für die erste Ausstellung der Wiener Secession von März bis Juni 1898. Dieses Plakat könnte im Rahmen der eingangs erwähnten Plakatausstellung im Winter 1898 in Graz gezeigt worden sein.14 Auch Schrötter bezieht auf seinem Entwurf den Leerraum in der Mitte, der lediglich im rechten Bereich durch ein Rosenmotiv harmonisch überformt wird, als bewusstes und vollwertiges Gestaltungsmittel mit ein. Im oberen Bereich platziert er die Detailansicht einer Winterlandschaft, durch welche ein Bach fließt. Das Motiv der Landschaft mit dem sich in die Bildtiefe ziehenden Bach, der die belebende und erneuernde Qualität des Wassers symbolisiert, findet sich sehr häufig in dieser Zeit. Auch Paul Schad-Rossa verwendet sie beispielsweise 1901 in seiner Covergestaltung für die Zeitschrift Grazer Kunst.15 Eine vergleichsweise expressivere Gestaltung weisen die noch erhaltenen Plakate von Paul Schad Rossa und Bela Konrad auf. Paul Schad-Rossa wird im September 1900 als wegweisende Verstärkung für die Erneuerungsbewegung der Grazer Kunstszene von Wilhelm Gurlitt von München nach Graz eingeladen. In kürzester Zeit wird er als „Mittelpunkt aller ,revolutionären‘ Kunstbestrebungen in Graz“16 angesehen. Um ihn gruppiert sich der Grazer Künstlerbund, der die Kunstzeitschrift Grazer Kunst veröffentlicht und zahlreiche Ausstellungen, Vorträge und Veranstaltungen initiiert. Paul Schad-Rossa nimmt neben Alfred von Schrötter-Kristelli auch eine wesentliche Rolle in der Ausbildung des künstlerischen Nachwuchses ein, da er selbst eine Schule betreibt, welche Bela Konrad von 1900 bis 1902 besucht.17 Das von Paul Schad-Rossa gestaltete Plakat für die erste Ausstellung des Grazer Künstlerbundes aus dem Jahr 1901 (Abb. 7) verdeutlicht im Vergleich zu Bela Konrads Plakat für den Steiermärkischen Kunstverein (Abb. 8) den enormen stilistischen Einfluss, den der als streng beschriebene Lehrer ausübt. Bela Konrad gilt als „flotter Zeichner“. Seine „Pastellzeichnungen in der eigenartigen Strichmanier fallen seit Jahren in den Ausstellungen des V. b. K. St. [Vereins bildender Künstler Steiermarks] in Graz angenehm auf.“18 Diese Leichtigkeit spiegelt sich auch in der Umsetzung des Plakatsujets wider. Mit dynamischen Strichen umreißt er die Büste eines Frauenaktes, die er vergleichsweise flüchtig in einen trapezartigen Rahmen stellt. Das dichte, wallende Haar betont diese Dynamik, während der flächige Körper mit klarer Kontur einen harmonischen Ausgleich in der Komposition schafft. Über und unter dem Motiv platziert er den Text, der vor allem im oberen Bereich Einflüsse einer geometrischen Typografie in der Art des Jugendstils vorweist. Vergleichsweise inhomogener erscheint die Typografie von Paul Schad-Rossa, welche den expressiven Charakter des Plakatsujets unterstreicht. Gezeigt wird eine Landschaft mit Bäumen und Bach bei Sonnenaufgang. Im vorbeifließenden Gewässer spiegelt sich das satte Rot der aufgehenden Sonne und bildet so zu den tiefen Grüntönen der Bäume und Wiesen einen kräftigen Kontrast. Der Sonnenaufgang kann als


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19 Emil Ertl [Dr. E.], Kunstausstellungen, in: Grazer Tagblatt, 15.10.1901. 20 Hermann Ubell, Paul Schad-Rossa und die Grazer Kunstbewegung, in: Die Zeit, Wien, 19.04.1902. 21 Paul Schad-Rossa bittet in seinem Brief vom 3. November 1901 Wilhelm Gurlitt, Margarete Supprian den Auftrag für den Plakatentwurf zu erteilen, denn „einstheils könne sie auch mal etwas verdienen, u. anderntheils kann es ja doch gerade so gut werden, als wenn ich es selbst mache, denn sie macht es ja doch unter meiner Aufsicht.“ Universitätsarchiv Graz. 22 Paul Schad-Rossa schreibt am 05.07.1900 an Wilhelm Gurlitt, dass das Plakat für seine Herbstausstellung bereits in Arbeit ist. Universitätsarchiv Graz. 23 Emil Ertl: SchadAusstellung II, in: Grazer Tagblatt, 09.11.1900. 24 Vgl. Wiener Abendpost, 03.11.1900 und Grazer Morgenpost, 18.11.1900.

Symbol des Aufbruchs gesehen werden, der in der „Grazer Zeitkunst“ eine wesentliche Rolle spielt. Die Wirkung dieses Plakates im öffentlichen urbanen Raum der Landeshauptstadt zur Jahrhundertwende ist nicht zu unterschätzen. Das Plakat hebt sich aus der Masse der Affichen ab, fällt auf und schöpft damit einerseits (nach den Vorbildern der französischen Plakatkunst, die in Graz in Ausstellungen zu sehen waren) die volle Werbewirksamkeit aus; auf der anderen Seite erzürnt es auch so manche Gemüter, da es auch die Blicke des konservativen, an den historisierenden Stilen festhaltenden Publikums auf sich zieht. Dadurch werden nicht zuletzt auch die Gegenstimmen gegen die „Grazer Zeitkunst“ lauter. Die neue Kunst beschränkt sich nicht mehr auf abgegrenzte museale Räume, sondern erobert mit den Plakaten der Künstler/innen den öffentlichen Raum und ist so nicht nur für eine Vielzahl von Menschen sichtbar, sondern ist vielmehr zu regelrechten visuellen Übergriffen imstande. Welche Ausmaße dies annimmt, verdeutlicht eine Kritik Emil Ertls im Grazer Tagblatt unter der Rubrik Kunstausstellungen: „Dagegen [gemeint ist hier als Gegenstück ein Ausstellungsplakat des Vereins bildender Künstler, das zur gleichen Zeit in Graz affichiert ist] verdient das Placat des Bundes, von Schad-Rossa entworfen, entschieden die Sittennote fünf bis sechs. In der Nähe besehen, gibt es einem eine Ohrfeige und stellt sich als ein wildes Sammelsurium kräftiger decorativer Flecke in Roth, Grün, Violett-Braun dar. Aus sehr großer Entfernung erkennt man, daß die Farbenflecken eine Landschaft vorstellen sollen mit der zwischen Bäumen blutroth aufgehenden Sonne, die sich im Wasser spiegelt. Die Fernwirkung ist überraschend, aber durchaus nicht angenehm. Psychologisch ist das Blatt interessant, ästhetisch ist es abschreckend. Individualität lässt sich darin nachweisen, aber Genuss nicht saugen. Dafür ist es zu stürmisch, zu sehr Improvisation, zu sehr ernster Ausdruck. Nur ungefähr in derselben Weise vermag es zu fesseln, wie etwa eine schwer lesbare, aber von Charakter und eigener Natur zeugende Klaue einen Brief lesenswerter erscheinen lassen mag, als eine typische unausgeschriebene Hand. Die geschwungenen Linien, mit welchen der musische Farbenfleck umwunden und gebunden ist, sind trotz aller sogenannten ‚secessionistischen‘ Linien, die heute jeder Tischler im kleinen Finger hat, künstlerischer Eigenbau, was die Thatsache, dass das Blatt als Ganzes verfehlt ist, freilich wesentlich versüßt.“19

Von seinen Schülerinnen und Schülern sowie Gleichgesinnten als „Führer der modernen Kunstbewegung in Graz“20 verehrt und von Gegenstimmen beschimpft, polarisiert Paul Schad-Rossa zutiefst. Für den umstrittenen Plakatentwurf zeichnet er selbst verantwortlich, obwohl er einen Monat vor Ausstellungseröffnung seine Schülerin Margarete Supprian dafür vorsieht.21 Als Künstlerin stellt Supprian ihre Werke immer wieder gemeinsam mit weiteren Schülerinnen und Schülern von Paul Schad-Rossa aus, überzeugt vor allem durch ihre „gefühlvollen Landschaften“ und hat auch Verkäufe zu verbuchen, wie die Grazer Morgenpost und das Grazer Volksblatt am 25. Oktober 1900 berichten. Das Plakat zur Ausstellung Schad-Rossas aus dem vorhergehenden Jahr stammt ebenfalls vom Künstler selbst.22 Es erscheint in der „Bewegung seiner Linien [...] ungemein individuell und rassig“23 und bildet einen Frauenkopf im Profil ab, wie die ebenfalls vernichtend ausfallenden Berichte der Presse überliefern.24 Der Künstler verwendet demnach im Sinne einer einheitlichen visuellen Kommunikation für das Plakat und das Cover des Ausstellungskataloges das gleiche Sujet. Bis dato ist kein erhaltenes Exemplar dieses Plakates bekannt, allerdings wird im Ausstellungskatalog des Städtischen Museums Engen zu Paul Schad-Rossa von 2014 eine Lithografie, die dem beschriebenen Sujet entspricht und deren Verbleib derzeit unbekannt ist, abgebildet und dem genannten Ausstellungsplakat gleichgesetzt. Die Lithografie auf dieser Abbildung zeigt jedoch lediglich das beschriebene Sujet und stellt in dieser Form keinen vollständigen Plakatentwurf bzw. -druck dar. Hierfür fehlt die Botschaft des Werbemediums, welche sich an eine Zielgruppe richtet und vorrangig das Publikum


25 Vgl. Velten Wagner (Hg.), Paul SchadRossa (1862–1916). Die Wiederentdeckung eines Symbolisten, Kat. Städtisches Museum Engen + Galerie, Engen 2014, S. 111, Abb. 91. 26 Vgl. Ausstellungs­ kataloge des Steiermärkischen Kunstvereins 1898– 1911 und Brandstetter, Steirische Künstler. 27 Vgl. Rudolf List, Kunst und Künstler in der Steiermark. Ein Nachschlagewerk, Bd. 13, Ried im Innkreis 1974, S. 484; Handschrift von Hans Brandstetter, Steirische Künstler, 1921. (Steiermärkisches Landesarchiv); die Biografie der Künstlerin im vorliegenden Katalog. 28 Vgl. Emil Ertl, Der Verein Bildender Künstler Steiermarks, in: Grazer Tagblatt, 25.11.1899.

zum Besuch der Ausstellung bewegen soll. Die Vermutung liegt demnach nahe, dass das abgebildete Werk – sofern es sich hier nicht um eine Detailansicht handelt – ein Entwurf für das Sujet ist, das in weiterer Folge in die Plakat- und Covergestaltung integriert wurde.25 (vgl. Abb. S. 52/Nr. 25) Generell ist festzuhalten, dass vor allem die Plakate für den Kulturbereich ein hohes Maß an künstlerischer Freiheit besitzen und sich in ihrer Gestaltung neuen Tendenzen aufgeschlossen zeigen. Dies ist nicht zuletzt auf den Einfluss des Auftraggebers zurückzuführen, schließlich bewegt sich die Gebrauchsgrafik – wie der Name bereits verdeutlicht – stets zwischen Zweckgebundenheit und künstlerischer Freiheit. Von Letzterer zeugen auch die später entstandenen Ausstellungsplakate für den Steiermärkischen Kunstverein, wie jenes für die 101. Ausstellung aus dem Jahr 1904, das in zwei unterschiedlichen Textvarianten existiert (Abb. 9, Abb. 10), sowie das Plakat für die 102. Ausstellung aus dem gleichen Jahr. (Abb. 11) Sie tragen die Signatur „LC“, welche vermutlich dem Architekten Leopold Cerny (1877–1941) zuzuordnen ist. Dieser arbeitet zu dieser Zeit aktiv beim Steiermärkischen Kunstverein mit: Er übernimmt die Gestaltung von Ausstellungen wie Katalogumschlägen und beteiligt sich als bildender Künstler an mehreren Ausstellungen des Vereins; überdies ist er Schüler Schad-Rossas.26 Das Monogramm „LC“ könnte jedoch auch auf die Grazer Künstlerin und Lithografin Cora Lauzil verweisen. Sie ist 1881 in Graz als Tochter des Direktors der Grazer Staatsgewerbeschule Carl Lauzil geboren und besucht diese ab 1898 wie auch die Malschule von Constantin Damianos. Aus dieser Zeit stammt das ebenfalls mit „LC“ signierte Plakat für das Deutsche Märchenfest zugunsten des Vereins Südmark aus dem Jahr 1899, das vergleichsweise eine noch zurückhaltende traditionelle Gestaltung vorweist. Lauzil wirkt bis 1907 in Graz und verlässt danach ihre Heimatstadt, um in Leipzig die Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe zu besuchen, ist aber auch nach ihrer Abreise in Ausstellungen in ihrer Heimatstadt vertreten.27 Cora Lauzil wendet sich im Verlauf ihrer Tätigkeit verstärkt der Illustration, der Lithografie und dem Holzschnitt zu, wodurch sie für den Bereich der Gebrauchsgrafik prädestiniert ist, jedoch spricht eine wesentliche Tatsache gegen die Zuschreibung dieser Plakate an sie: Sie ist Mitglied des Vereins bildender Künstler Steiermarks. Aufgrund der Unstimmigkeiten zwischen dem Verein bildender Künstler und dem Steiermärkischen Kunstverein (Letzterer zeigt sich wiederum dem Grazer Künstlerbund von Paul Schad-Rossa zugetan) ist es auszuschließen, dass eine Künstlerin der konkurrierenden Vereinigung den Auftrag für einen Plakatentwurf des Steiermärkischen Kunstvereins erhält. Demnach stammen die Gebrauchsgrafiken mit der Signatur „LC“ mit hoher Wahrscheinlichkeit von Leopold Cerny. Auf die Situation der Künstlervereinigungen geht Emil Ertl bereits 1899 anlässlich der Gründung des Vereins bildender Künstler Steiermarks ein. Er befürwortet zwar eine gesunde Konkurrenz im Sinne der Qualitätssteigerung, warnt jedoch vor einer ausgeprägten Rivalität. Hierfür sei der Grazer Kreis zu klein und die Kunstszene noch nicht gefestigt genug.28 Das Ausstellungsplakat für die Weihnachtsausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins im Jahr 1907 stammt von Else Birnbacher, (Abb. 12) und auch Elfriede Coltelli, die als Künstlerin in Graz und München tätig ist, widmet sich der Gestaltung von Ausstellungsplakaten. Neben dem bereits genannten Plakat zur 109. Ausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins im Jahr 1909 (Abb. 4) sind weitere Plakate Coltellis für den Steiermärkischen Kunstverein erhalten, welche ebenfalls dem neuen dekorativen Stil treu bleiben. Es gilt generell festzuhalten, dass um 1900 auffallend viele Frauen als Gebrauchsgrafikerinnen und Lithografinnen in der Plakatkunst ein lukratives Betätigungsfeld finden. Dies ist nicht zuletzt auf die soziokulturellen Veränderungen zur Jahrhundertwende zurückzuführen, da sich auch das Druckwesen wesentlich wandelt.


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5 Ferdinand Wüst, Titelblatt für Warenkatalog von Kastner & Öhler, Frühjahr/Sommer 1901, Graz, Privatbesitz

6 Alfred von Schrötter-Kristelli, Entwurf für den Katalog zur „Weihnachtsausstellung“ des Steiermärkischen Kunstvereins, 1902, Neue Galerie Graz, UMJ

7 Plakat zur „Ersten Ausstellung vom Grazer KünstlerBund“, Entwurf von Paul Schad-Rossa, Graz 1901, Neue Galerie Graz, UMJ

8 Steiermärkischer Kunstverein, Ausstellungsplakat, Entwurf von Bela Konrad, um 1902, Stmk. Landesarchiv Graz


9 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 101. Ausstellung, Teil I, Entwurf von Leopold Cerny, 1904, Stmk. Landesarchiv Graz

10 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 101. Ausstellung, Teil II, Entwurf von Leopold Cerny, 1904, Stmk. Landesarchiv Graz

11 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur Ausstellung „Makart“, Entwurf von Leopold Cerny, 1904, Stmk. Landesarchiv Graz

12 Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur „Weihnachts­ ausstellung“, Entwurf von Else Birnbacher, 1907, Stmk. Landesarchiv Graz


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29 Die Plakatsammlungen litten vor allem auch unter den Kriegseinflüssen. Vgl. Woiset­schläge­r, Jugendstilplakate, S. 3. 30 Werner Haftmann und Werner Hofmann erläutern in ihren Schriften das qualitativ Neue an der modernen Kunst und begründen dieses historisch. Beide greifen – mit unterschiedlicher Argumentation – die Offenheit in der Kunst auf. Die moderne Kunst kann im Analogieschluss zur modernen Welt gesehen werden, welche „vieldimensional“ und „mehrschichtig“ erscheint. Vgl. Werner Haftmann, Die moderne Malerei als Ausdruck eines gewandelten Welt- und Sebstverständnisses des Menschen, in: Menschliche Existenz und moderne Welt, Berlin 1967, S. 10–24. Werner Hofmann beleuchtet dasselbe Phänomen aus der Sicht der Rezeption und charakterisiert die Werke der Künstler/innen als „Erfahrungsangebote“ und „Entscheidungs­ modelle“, welche den Weg in eine offene Gesellschaft weisen. Vgl. Werner Hofmann, Grundlagen der modernen Kunst, Stuttgart 1978, S. 513.

Mit der Lithografie, die vergleichsweise weniger Körperkraft erfordert, und mit der zunehmenden Trennung von Entwurf und Produktion wird dieser gesamte Bereich für Frauen leichter zugänglich. Zu erwähnen ist auch die besondere Verbindung zwischen Graz und München um 1900. In einer Vielzahl von Lebensläufen der Künstler/innen, die in Graz im Bereich der Plakatkunst und Gebrauchsgrafik tätig sind, scheinen Bezüge zu München auf, wodurch sich eine gegenseitige Einflussnahme sowie ein reger Austausch ergeben. Im Unterschied zur Architektur und zur bildenden Kunst erscheint die Gebrauchskunst zudem als ein vergleichsweise kurzlebiges Medium. Vor allem das Plakat unterliegt deutlich anderen Parametern als ein Kunst- oder Bauwerk: Es wird für einen begrenzten Zeitraum geschaffen und meist im öffentlichen, urbanen Raum platziert, ist den dort vorherrschenden Bedingungen ausgesetzt und wird letztendlich entfernt oder überklebt. Lediglich vereinzelte Belegexemplare oder Sammlerstücke wurden archiviert und davon überdauerte wiederum nur ein Bruchteil die mehr als hundert Jahre seit seiner Entstehung. So kann die Blüte der Grazer Plakatkunst um 1900 lediglich erahnt und im Kontext rekonstruiert werden.29 Aufgrund dieser Tatsache ist es notwendig, das Plakat nicht separat zu betrachten, sondern es in seiner Bedeutung zur gesamten Gebrauchskunst sowie im soziokulturellen Kontext der Zeit zu erfassen, umso mehr, als am Beginn der Disziplin des Grafikdesigns eine derart differenzierte Herangehensweise an die einzelnen Werbemedien, wie das heute der Fall ist, noch nicht stattgefunden hat. Als Fazit lässt sich konstatieren, dass Graz vor allem im Bereich der Plakatkunst und Gebrauchsgrafik bereits am Ende des 19. Jahrhunderts überaus moderne Tendenzen in der Gestaltung vorzuweisen hat, welche sich in den generell stattfindenden Aufbruch der Moderne eingliedern. Um 1900 festigen und formieren sich die modernen Bestrebungen und führen zu einer ersten Bewegung der modernen Kunst in der Steiermark, welche für lange Zeit nahezu in Vergessenheit geriet, in der Sekundärliteratur bislang kaum aufscheint und hier unter dem Begriff „Grazer Zeitkunst“ beschrieben wird. Im Bereich der Gebrauchsgrafik zeichnen sich diese Bestrebungen vor allem durch die bewusste künstlerische Gestaltung aus, welche sich aus der gezielten Anordnung und Kombination figurativer, textueller und formaler Elemente ergibt, mit deren Gestaltung Botschaften übermittelt werden, die jeweils größer sind als die Summe der einzelnen Teile. Es geht folglich nicht mehr um die reine Übermittelung der Botschaft mit simplen, briefähnlichen und lediglich illustrierten Plakaten, sondern um eine in ihrer Wirkung verstärkte Kommunikation. Stilistisch greifen die Künstler/innen der „Grazer Zeitkunst“ die reduzierte Formensprache der Kunst ihrer Zeit auf. Wie sämtliche Bewegungen, die den Umbruch zur modernen Kunst einleiten, weist auch jene in Graz einen regen internationalen Gedankenaustausch mit zahlreichen Einflüssen auf. Die Kunstgeschichte, wie auch die Design- und Werbegeschichte, impliziert in diesem Kontext eine „Offenheit“, wodurch der Eigenart sowie der Eingrenzung der Epochen und Stilkategorien stets eine gewisse Unschärfe anhaftet.30 Als wegweisend in der Umsetzung der künstlerischen Bestrebungen der „Grazer Zeitkunst“ erweisen sich im Bereich der Gebrauchsgrafik neben den Werbegrafiken der Firma Kastner & Öhler jene Plakate, die für den Kunst- und Kulturbetrieb gestaltet wurden.



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Steiermärkischer Kunstverein, Ausstellungsplakat, um 1902, Neue Galerie Graz, UMJ

Plakat zur „Ausstellung von künstlerischen Photographien“, Landesmuseum Joanneum, 1907, Stmk. Landesarchiv Graz

Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur Ausstellung „Das Stadtbild von Graz“, Entwurf von Elfriede Coltelli, 1908, Neue Galerie Graz, UMJ

Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 111. Ausstellung, Entwurf von Fritz Silberbauer, 1910, Stmk. Landesarchiv Graz


Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 112. Ausstellung, Entwurf von A. Schaeftlein, 1912, Stmk. Landesarchiv Graz

Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur 112. Ausstellung, Entwurf von A. Schaeftlein, 1912, Stmk. Landesarchiv Graz

Klub der Amateurphotographen/Kunstphotographische Vereinigung Graz, Plakat zur Ausstellung „Die Steiermark“, Entwurf von Ferdinand Pamberger, 1912, Stmk. Landesarchiv Graz

Steiermärkischer Kunstverein, Plakat zur „Sonder­ausstellung“, Entwurf von Friedrike von Koch, 1914, Stmk. Landesarchiv Graz


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„Unsere verrückte Zeit“ Interferenzen und Konkurrenzen in der Architektur in Graz um 1900 ­ Antje Senarclens de Grancy

1 Zur Architektur in Graz um 1900 vgl. Antje Senarclens de Grancy, „Moderner Stil“ und „Heimisches Bauen“. Architekturreform in Graz um 1900 (= Kulturstudien Sonderband 25), Wien/Köln/Weimar 2001. Zu Architektur und Städtebau der Gründerzeit in Graz vgl. Sokratis Dimitriou (Gesamtred.), Stadterweiterung von Graz. Gründerzeit, hg. v. Stadtmuseum Graz, Graz 1979. 2 Peter Rosegger, Wir müssen uns ein wenig verbauern. Zur Gründung des Vereines „Heimatschutz“, in: Heimgarten 34 (1910), S. 207–211, hier S. 208. 3 Vgl. Antje Senarclens de Grancy, Keine Würfelwelt. Architekturpositionen einer „bodenständigen“ Moderne. Graz 1918– 1938, Graz 2007.

Wesentlich stärker als die autonomere bildende Kunst ist Architektur an politische und gesellschaftliche Entwicklungen und an Machtverhältnisse gebunden. Es gibt nur wenige Fälle, in welchen der Architekt oder die Architektin autonom über Formensprache, Ausdrucksform und Raumkonzeption entscheiden kann. Auftraggeber, Financiers, Jurymitglieder, Behörden, aber auch Meinungsbildner in den Medien stecken den Spielraum von Architektur ab. Architektur als materielle und sichtbare Intervention im öffentlichen Raum spiegelt aber nicht nur passiv gesellschaftliche Realitäten wider, sondern dient auch aktiv der Vermittlung von Botschaften. Architektur kann deshalb nie auf den rein künstlerischen Aspekt beschränkt werden. Das gilt natürlich auch für die Grazer Architektur in jener, gerne mit der Beifügung „um 1900“ assoziierten, Übergangszeit von der historistischen Epoche der Ringstraßenzeit zu einer Zeit, die Lösungen für eine ihr gemäße Erneuerung des Bauens suchte.1 Die von vielen Zeitgenossen als krisenhaft und verunsichernd wahrgenommene „verrückte Zeit“2 (Peter Rosegger) der Jahrhundertwende zog in der Architektur verschiedene intensiv diskutierte, ideologisch-weltanschaulich auch einander widersprechende Reformbestrebungen nach sich, die sich jedoch in der Forderung nach Überwindung der willkürlichen Stilnachahmungen des Historismus, nach Reduktion und Vereinfachung sowie nach einem Bauen von „innen nach außen“, also vom Grundriss und den notwendigen inneren Funktionen her, trafen. „Competing visions“

Wie im Historismus des 19. Jahrhunderts, stand auch noch um 1900, ja selbst bis weit in die Zwischenkriegszeit, ein großes Repertoire an Stilen und Formensprachen zur Verfügung, aus dem je nach Anlass ausgewählt werden konnte. Zu den Stil­varianten des Historismus kamen nun auch moderne Versionen hinzu, die gezielt eingesetzt werden konnten, um im Sinne eines kommunikativen Aktes die gesellschaftliche Gesinnung auszudrücken oder ein bestimmtes Ziel (etwa soziale Anerkennung) zu verfolgen. Die Stilwahl ergab sich oft aus der jeweiligen Bauaufgabe. So konnten in Graz etwa noch um 1930 (halb-)öffentliche Gebäude wie das Stadtwerke-Gebäude am Andreas-HoferPlatz oder das Hotel International der steirischen Sozialdemokratie als kompromisslos moderne, großstädtische Gebäude errichtet werden, während im Wohnbau – mit sehr wenigen Ausnahmen – einer „bodenständigen“, „heimatlichen“ Bauweise im Sinne des 1923 gegründeten Steiermärkischen Werkbundes der Vorzug gegeben wurde.3


1 Fellner & Helmer, Um- und Erweiterungsbau des Waren­ hauses Kastne­r & Öhler, Sackstraße, 1911/12, Schaubild, Privatbesitz

2 Amtshaus der Steiermärkischen Landschaft, Landhausgasse, geplant vom Landesbauamt, 1909/10, GrazMuseum

Im Hinblick auf das Zusammenwirken von formalen Elementen, den jeweiligen politischen, sozialen und kulturellen Kontexten und den damit verbundenen kommunikativen Funktionen kann Architektur als Sprache aufgefasst werden. In der Architekturgeschichtsschreibung wird seit Ende der 1980er-Jahre die Beziehung zwischen der Vielsprachigkeit in Zentraleuropa und dem Nebeneinander unterschiedlicher, auch miteinander konkurrierender Codes in der Architektur untersucht. Ákos Moravánszky spricht in diesem Zusammenhang von „competing visions“, Anthony Alofsin hat die Auffassung von den Sprachen der Architektur für den Raum der späten Habsburgermonarchie und ihrer Nachfolger noch einmal zusammengefasst.4 Kollektive Identitäten sowie politische und kulturelle Leitbilder, die der Selbstversicherung in einer als verunsichernd wahrgenommenen Gegenwart dienen, spielen für die Architektur eine wichtige Rolle, da sie auf unterschiedlichen Ebenen auf die Entscheidung für oder gegen bestimmte Formensprachen oder ästhetische Konzepte einwirken. In Graz um 1900 manifestierte sich in der Selbstdefinition der Stadt einerseits als moderne Großstadt und andererseits als („deutsche“, aber keineswegs unbedingt antimoderne) Provinz der janusköpfige Charakter der Moderne, der sowohl Fortschrittsorientierung als auch Rückwärtsgewandtheit umfasste. Die im Folgenden gezeigten verschiedenen Vorstellungen der eigenen kollektiven Identität existierten jedoch nicht voneinander isoliert, sondern überlagerten bzw. überlappten einander und erzeugten eine plurivalente Situation. Je nach Bauaufgabe, je nach Kontext wurde variiert, und sogar im Werk eines Architekten hatten verschiedene (auch einander im Grunde widersprechende) Richtungen Platz. Gesellschaftliche Leitbilder der Architektur Graz als Großstadt – Wien als Gegen- und Vorbild

4 Vgl. Ákos Moravánszky, Competing Visions. Aesthetic Invention and Social Imagination in Central European Architecture. 1867– 1918, Cambridge/ Mass./London 1998; ders., Die Sprache der Fassaden. Das Problem des Ausdrucks in der Architektur der Donaumonarchie 1900–1914, in: Annette Becker, Dietmar Steiner, Wilfried Wang (Hg.): Architektur im 20. Jahrhundert. Österreich, München/ New York 1995, S. 13–21; Anthony Alofsin, When buildings speak. Architecture as language in the Habsburg Empire and its aftermath. 1867–1933, Chicago 2006. 5 Vgl. William H. Hubbar­d, Auf dem Weg zur Großstadt. Eine Sozialgeschichte der Stadt Graz 1850–1914 (= Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 17), Wien 1984.

Die moderne (Groß-)Stadt stellt Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur den Nährboden der ästhetischen Moderne dar, sondern gilt vielen auch als faszinierendes und verheißungsvolles Leit- und Vorbild. Geht man von der Entwicklung der städtischen Infrastruktur (Energie- und Wasserversorgung, Schlachthöfe, öffentlicher Verkehr, Badeanstalten etc.), der Entstehung der Massen­parteien, anwachsenden nationalen Konflikten, universitärer Bildung und der Entwicklung eines dichten kulturellen, von Vereinen und anderen Plattformen gebildeten Systems als Indikatoren aus, so kann in Graz etwa ab 1890 von Großstadtbildung gesprochen werden.5 Die Einwohnerzahl stieg um 1900 auf rund 150.000. Mit der Errichtung repräsentativer Bauten in den Bereichen Kultur, Bildung, Verwaltung und Hygiene trat Graz zu dieser Zeit in Konkurrenz zur Metropole Wien, aber auch zu anderen zentral­europäischen Zentren geringerer Größe. Zu den offensichtlichsten Entwicklungen in Richtung einer modernen Großstadt gehörten Ende des 19. Jahrhunderts die städtebaulichen Operationen und die damit verbundenen tief greifenden Veränderungen des traditionellen Stadtbildes. In den östlichen Grazer Bezirken wurden in einheitlicher Block­verbauung Wiener Prägung gründerzeitliche Wohnviertel für die bürgerliche Mittelschicht errichtet, während im Westen der Stadt Arbeiterquartiere in der Nähe der Fabriken und des Bahnhofes entstanden. Im Zuge der „Citybildung“ verdrängten Geschäfte, Kaufhäuser, (Abb. 1) Büround Verwaltungsbauten (Abb. 2) sowie Banken die Bewohner aus der Innenstadt an die Peripherie. Nach 1900 ging die Bautätigkeit merklich zurück, es wurden vor allem Baulücken gefüllt oder Bauten an der Peripherie errichtet, etwa das Landeskrankenhaus in St. Leonhard. Das Verhältnis zu Wien, das im 19. Jahrhundert und noch bis um 1914 aufgrund der politischen und administrativen Situation der wichtigste Bezugsort für Graz war,


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3 Alexander Wielemans und Theodor Reuter, Grazer Rathaus, Hauptplatz, 1887–1894, Wikimedia Commons

6 Vgl. Antje Senarclens de Grancy, Jenseits der Metropole: OttoWagne­r-Schüler in Graz. Zur Diskrepanz zwischen Ausbildung und Praxis, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 27/28 (1998), S. 393–415. 7 Ludwig Hevesi, Acht Jahre Secession (März 1897–Juni 1905). Kriti­k – Polemik – Chronik, Wien 1906, Neudruck Klagenfurt 1984, S. 138. 8 Vgl. Vortrag in der kunsthistorischen Gesellschaft, in: Grazer Volksblatt, 28.03.1903. 9 Emil Ertl, Wiener Kunst­eindrücke, in: Grazer Tagblatt, 18.12.1898, Morgenausgabe. 10 Vgl. Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz. Ein Beitrag zum Kulturleben der Jahrhundertwende, Phil. Diss., Graz 1994. 11 Gemeinderat Ladislaus Pasdirek in der Gemeinderatssitzung vom 8. Februar 1907, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz, 11 (1907). 12 Vgl. Heidemarie Uhl, Die politische Entwicklung in Graz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Gerhard M. Dienes (Hg.), transLOKAL. 9 Städte im Netz (1848–1918), Kat., Graz 1996, S. 162–166.

gestaltete sich zwiespältig: Einerseits war es ein wichtiges Vorbild, etwa städtebaulich bei der Planung einer (nur fragmentarisch ausgeführten) Ringstraße oder der um 1900 betriebenen Regulierung des Sack-Kais, andererseits suchte sich Graz in seinem Selbstverständnis als moderne, „deutsche“ Stadt vom multiethnischen Wien abzugrenzen. Wie in den vergangenen Jahrzehnten der gründerzeitlichen Stadterweiterung wurden auch um 1900 in Graz noch für größere, repräsentative Bauvorhaben, aber auch für moderne Geschäftsgestaltungen Architekten aus Wien berufen, die ihre Architektur­ vorstellungen quasi importierten. Darunter waren auch einige Absolventen der prominenten, bis 1914 an der Wiener Akademie der bildenden Künste bestehenden Schule Otto Wagners, etwa Marcel Kammerer, Hubert und Franz Gessner, Franz Polzer, Hans Laurentschitsch und Adolf von Inffeld.6 Eine Beauftragung von WagnerSchülern bedeutete für den Auftraggeber einen Gewinn an symbolischem Kapital. So schrieb der Kunstkritiker Ludwig Hevesi 1899, die Wagner-Schüler seien „jetzt auch im Auslande so gesucht, dass es nur dem persönlichen Prestige Otto Wagners möglich ist, die jungen Leute an sein Atelier und an Wien zu fesseln“.7 Die meisten Grazer Architekten der Gründerzeit hatten ihre Ausbildung in Wien bei den Wiener Ringstraßen­architekten Friedrich Schmidt, Heinrich Ferstel und Karl Hasenauer absolviert, die Graze­r Technische Hochschule sollte als Ausbildungsstätte erst in der Zwischenkriegszeit an Einfluss gewinnen. Die von Otto Wagner und den Vertretern der Wiener Secession entwickelten Neuerungen in der Architektur kamen in Graz erst nach der Jahrhundertwende und zunächst sehr zaghaft zur Ausführung. Von öffentlichen, in den Medien heftig diskutierten Skandalen wie in Wien, etwa um Otto Wagners Entwürfe für ein geplantes Stadtmuseum oder um Adolf Loos’ Haus am Michaeler­platz, kann in Graz keine Rede sein. Dennoch wurde die Wiener Entwicklung hier bereits früh registriert. Viele Grazer waren auf dem aktuellsten Informationsstand, und in den Tageszeitungen und bei Vorträgen wurde von den wichtigsten Wiener Ausstellungen und Neubauten großteils wohlwollend bis geradezu euphorisch berichtet. So bezeichnete beispielsweise der Architekt Leopold Cerny die neue Architektur in Österreich in einem 1903 gehaltenen Vortrag „als die weitestfortgeschrittenste, abstrakteste“.8 1898 schrieb Emil Ertl im Grazer Tagblatt über das neue Ausstellungsgebäude der Wiener Secession und die öffentliche Kontroverse um diesen Bau: „Denn daß dieses weiße Haus, das dem einen wie ein Pferdestall, dem anderen wie ein Gewächshaus, dem dritten wie ein assyrisches Königsgrab aussieht, daß dieses Haus ganz einzig unter den hunderttausenden Häusern Wiens, das erkennt man auf den ersten Blick. [...] Aber was soll es eigentlich? Verblüffen! sagt der eine. Gefallen! meint der andere. Ganz einfach einem Zweck dienen! sagt der dritte, Nein, Sensation erregen! entscheidet die Mehrheit. Und diese ist außerordentlich groß.“9 Wie viele seiner Zeitgenossen kritisierte Ertl die auch bei Grazer Bauten zunehmende Trivialisierung und modische Verflachung des modernen Stils, bezeichnet als „falsch­e Secessio­n“. War die Berichterstattung über die modernen Wiener Entwicklungen zwar durchaus positiv, so gab es doch in Graz keine Vereinigung wie die Wiener Secession, die sich für die Verbreitung der modernen Architektur stark gemacht hätte, und in den lokalen Kunst- und Künstlervereinigungen (Steiermärkischer Kunstverein, Vereinigung bildender Künstler Steiermarks, Grazer Künstlerbund) hatte die Architektur einen im Vergleich mit der bildenden Kunst wesentlich geringeren Stellenwert.10


Graz, die „deutscheste Stadt Österreichs“11

4 Ludwig Muhry, Wettbewerbs­ entwurf für die Verbauung des Sackkais, 1912, GrazMuseum

5 Hans Hönel, Verbauungsprojekt für den Bauplatz Hilger-, Körblerund Bergmanngasse, vor 1914, Privatbesitz

6 Josef Petz, Roseggerhaus, Annenstraße, 1914, Multimediale Sammlungen, UMJ 13 Gemeinderat Pichler in der Gemeinderatssitzung vom 23. März 1910, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz, 14 (1910). 14 Vgl. Heidemarie Uhl, Das Grazer Rathaus: Repräsentation urbanen „Fortschritts“ im öffentlichen Raum, in: Gerhard M. Dienes (Hg.), transLOKAL, S. 167–169. 15 Grazer Tagblatt, 17.04.1910. 16 Vgl. Silvia Kislinger, Adolf Ritter von Inffeld. Die Gartenstadtsiedlung am Leonhardbach im Kontext mit der architektonischen Kultur der Steiermark vor 1918, Dipl.-Arb., Graz 1998, o. S. (Biografie).

Wie in vielen anderen europäischen Städten waren auch in Graz um 1900 die meisten Bereiche der Kultur von der Frage der nationalen Identität durchwachsen. Mit der Ablösung des Liberalismus durch nationalistische Ideen in Österreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich vor der Jahrhundertwende auch hier, begünstigt durch die Lage der Steiermark am südöstlichen Rand des deutschen Sprachgebietes, ein starkes deutschnationales Lager mit einem breiten Spektrum unterschiedlicher Schattierungen.12 In der Abgrenzung zu Wien und dem Selbstverständnis als moderne Großstadt spielt deshalb für das offizielle Graz das Selbstverständnis als „deutsche Stadt“ und als Bollwerk der deutschen Kultur im Südosten der Habsburgermonarchie eine große Rolle – und das, obwohl der Anteil der slowenischen Minderheit mit rund einem Prozent geradezu verschwindend klein war. Im Grazer Gemeinderat, wo Antiklerikalismus, Antisemitismus und Deutschtümelei das Klima prägten, wurde 1910 sogar ein „Ausschuß zur Wahrung des deutschen Wesens der Stadt“ gegründet. Es sei, so ein Gemeinderat, „nichts als das Bestreben nach Aufrechterhaltung des nationalen Friedens und nach Wahrung der Kulturhöhe, wenn die Stadt Graz fremdvölkische Vorstöße schon im Keime zu unterdrücken versucht und nicht zuwartet, bis der nationale Hader bereits eingezogen ist“.13 In diesem nationalen Identifikationsprozess wurde Architektur zunehmend als Symbol nationaler Zugehörigkeit eingesetzt, in Budapest und Prag entstanden etwa durchaus als modern aufgefasste Nationalstile. In Graz stand das 1887 bis 1894 in einem eklektizistischen Stil umgebaute bzw. zum Teil neu errichtete Rathaus (Abb. 3) als Beispiel für das zeitgenössische Verständnis einer für die Repräsentation der „deutschen“ Stadt angemessenen „deutschen Renaissance“.14 München, das um 1900 auch für die Grazer bildenden Künstler ein wichtiger Referenz­ ort war, wurde als Inbegriff deutscher Kultur betrachtet und – nicht zuletzt in Opposition zum multiethnischen Wien – zur „deutschesten Stadt“ schlechthin stilisiert. Anlässlich des Streits um einen geeigneten Bauplatz für das geplante Künstlerhaus regte im April 1910 das Grazer Tagblatt an: „Holen wir uns getrost aus dem stammverwandten München einen oder zwei Meister im Städtebau. Es wird der deutschesten Stadt zur Ehre gereichen, wenn sie im Interesse der Kunst über die Grenze greift. Das wäre endlich etwas praktische Gemein­bürgerschaft.“15 Tatsächlich war der Architekt und Städtebauer Theodor Fischer, Mitbegründer des Deutschen Werkbundes und ab 1908 Professor an der Münchner Technischen Hochschule, eines der wichtigsten Vorbilder für die Grazer Architekten. (Abb. 4) Hans Hönel, der spätere Initiator und Planer des Grazer Werkbundhauses (1928), studierte nach seinem Studium an der Grazer Technischen Hochschule in München bei Fischer, was sich auch an seinen frühen Wohnbauten deutlich ablesen lässt. (Abb. 5) Doch nicht nur München, sondern auch andere deutsche Städte rückten nun ins Blickfeld der Architekten und Baumeister. Zur Vorbereitung seiner als „Gartenstadt“ geplanten Bachmann-Koloni­e am Leonhardbach (Wegenergasse/Sonnenstraße) unternahm Adolf von Inffeld mit einer öffentlichen Subvention eine Reise nach Süddeutschland zum Studium charakteristischer Städte­bilder und der bodenständigen Bauweise, die ihn u. a. nach Passau, Regensburg, Nürnberg, Rothenburg und München führte.16 Auch Josef Petz, der Baumeister des Roseggerhause­s (1914) in der Annenstraße (Abb. 6) und der sogenannten Nürnberge­r Häuser (1904–1906) am Lendkai, war einige Male auf Studienreise in den großen Städten Deutschlands.


84 — 85 Antje Senarclens de Grancy

17 Vgl. Ernst Hanisch, Provinzbürgertum und Kunst der Moderne, in: Ernst Bruckmüller u.a. (Hg.), Bildungs­ bürgertum in der Habs­burgermonarchie, Wien 1990, S. 127–139. 18 Verein für Heimatschutz in Steiermark. Nachwort des Statthalters Manfred Graf Clary und Aldringen, in: Tagespost, 19.04.1913. 19 Joseph August Lux, Stadtspaziergänge, IX. Graz, in: Hohe Warte 1 (1904/05), S. 324–325. 20 Zur Vereinsgeschichte vgl. Antje Senarclens de Grancy (Hg.), Identität – Politik – Architektur. Der „Verein für Heimatschutz in Steiermark“, Berlin 2013. 21 Peter Rosegger, Wir müssen uns ein wenig verbauern, S. 208.

Graz als Provinz

Die moderne Großstadt gilt um 1900 einerseits als kollektives, durch innerstädtische Transformationen und architektonische Interventionen angestrebtes Leitbild, ist andererseits aber auch der Entstehungsort kultureller Gegenbewegungen zur als bedrohlich und kulturzerstörend interpretierten Modernisierung. Eng verbunden mit dem Selbstbild als deutsche Stadt, der Fokussierung auf München und süddeutsche Bauformen war die Vorstellung von Graz als mittelgroße, biedermeierlich anmutende Stadt im Sinne eines heimat- und traditionsverbundenen Lebensumfeldes. Mit dem positiv konnotierten, als Gegenbild zur menschenverschleißenden Großstadt verwendeten Begriff „Provinz“17 waren überschaubare Dimensionen, begrenzte Industrialisierung und ein möglichst wenig beeinträchtigtes Stadtbild gemeint, wo die Gefahr der großstädtischen Entfremdung gebannt werden konnte. Als Reaktion und Widerstand gegen die negativen Folgen der Modernisierung wurde die „gesunde“ Kleinstadt gegen die „kranke“ Großstadt ausgespielt. 1913 formulierte Statthalter Manfred Graf Clary und Aldringen in der Grazer Tagespost ein Gegenbild zum „Moloch der Großstadt“: „Nicht Stillstand oder gar Rückschritt streben wir an – nein – Fortschritt, aber eben nur einen solchen, der dem ureigensten Geiste und Sinne unserer Heimat entsprossen ist, denn wahrer Fortschritt ist für den einzelnen Menschen ebenso wie für ein ganzes Volk nur der, der dem innersten Kern der eigenen Seele treu geblieben ist.“18 Und in der Wiener Zeitschrift Hohe Warte beschrieb der Architektur- und Kulturkritiker Joseph August Lux in Bezug auf Graz die negativen Veränderungen der „lieblichen, alten Gartenstadt“, die in der Schablonisierung und „protzige[n], unechte[n] Palastarchitektur“ bestünden. „Es ist an dem Guten der Heimat zu erziehen und Graz hat noch viel von diesem Guten.“19 Das Leitbild der mit einem kleinstädtischen Milieu assoziierten „Heimat“ sollte im deutschnationalen Graz – auch durch die Radikalisierung im Ersten Weltkrieg – vor und nach 1918 zum Standard werden und den Nährboden für die starken völkischen und nationalsozialistischen Tendenzen in dieser Stadt mitbereiten. Mit der 1909 erfolgten Gründung des Vereins für Heimatschutz in Steiermark, zu dessen Mitgliedern vom Anfang an auch die bürgerliche Elite zählte, etablierte sich in Graz diese kulturkonservative Richtung zu einer öffentlichkeitswirksamen, für die Architektur besonders bedeutsamen Plattform und Lobby.20 Die internationale, von Deutschland ausgehende kulturelle Bewegung des Heimatschutzes, die sich die Erhaltung der überlieferten Landschafts- und Stadtbilder und die Förderung einer „heimischen“ Bauweise auf die Fahnen schrieb, kann jedoch keineswegs als „antimodern“ beurteilt werden, sie ist gleichermaßen Teil und Folge des Modernisierungsprozesses. In Ausstellungen (etwa 1910 der „Ausstellung über Pflege der heimischen Bauweise in Deutschland“, Abb. 7), mittels Presseaussendungen und Flugschriften (Abb. 8) wurde für eine an „bodenständigen“ Traditionen orientierte, gleichzeitig aber im Hinblick auf Hygiene und Komfort zeitgemäße Architektur plädiert. Der Verein stand dabei in intensivem Kontakt mit den Heimatschutzvereinigungen im Deutschen Reich. Zur Gründung des Vereins veröffentlichte dessen Mitglied Peter Rosegger den Aufsatz Wir müssen uns ein wenig verbauern, in dem er die reformorientierte und gleichzeitig traditionsbewusste Haltung des Heimatschutzes auf den Punkt bringt: „[...] wenn ein neues Haus gebaut werden muß, so muß es natürlich den neuen Bedürfnissen angepasst werden, soll aber, soweit es diese zulassen, den alten Formen treu bleiben. Die Form muß sich nach dem Hause, das Haus nach dem Zwecke richten. In unserer verrückten Zeit wird tatsächlich von außen nach innen gebaut [...] und das gesunde Gefühl empfindet die schönste Außenseite als hässlich, weil sie dem Zwecke nicht entspricht, also etwas Falsches ist.“21


7 Tafel der Ausstellung „Pflege der heimischen Bauweise in Deutschland“, veranstaltet vom Verein für Heimatschutz in Steiermark in den Grazer Redoutensälen, 1910, Stmk. Landesarchiv Graz 8 Erste Flugschrift des Vereins für Heimatschutz in Steiermark, 1911, Stmk. Landesarchiv Graz

22 Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es nicht zur Ausführung des Projektes. Vgl. Burckhardt Rukschcio, Adolf Loos, Ein Zinshaus-Projekt in Graz für Fritz Reininghaus, in: alte und moderne kunst 186/187 (1983), S. 35–37. 23 Ákos Moravánszky, Die Sprache der Fassaden. Das Problem des Ausdrucks in der Architektur der Donaumonarchie 1900–1914, in: Annette Becker, Dietmar Steiner, Wilfried Wang (Hg.): Architektur im 20. Jahrhundert. Österreich, München/New York 1995, S. 13–21, hier S. 14. 24 Tatsächlich hat der in Graz geborene Architekt Johann Bernhard Fischer von Erlach in Graz so gut wie keine baulichen Spuren hinterlassen.

Von Anfang an stand für den Verein für Heimatschutz in Steiermark die Förderung der Architektur an erster Stelle. Auffallend ist, dass an der Vereinsgründung drei ehemalige Schüler Otto Wagners, der ja für eine großstädtische und kosmopolitische Architektur plädiert und der modernen Architekturbewegung den Boden geebnet hatte, beteiligt waren, darunter Adolf von Inffeld, der später die Leitung der Bauberatungsstelle des Heimatschutzvereins übernehmen sollte. Die Hinwendung zum Traditionellen und die freiwillige Anpassung an die Bedürfnisse der Provinz durch einen zurückhaltenden Umgang mit modernen Formen kann in Graz auch bei anderen Architekten festgestellt werden. So entschied sich beispielsweise auch Adolf Loos, der im Auftrag des Industriellen und aufgeschlossenen Mäzens Fritz Reininghaus für die sogenannten Mischan-Gründe hinter dem Grazer Hauptbahnhof mehrgeschossige Zinshäuser plante, für eine konventionelle Formensprache mit üblichen Fensterproportionen, Säulenvorlagen und Fensterbalken, die im Vergleich zu Loos’ etwa gleichzeitig entstandenen Entwürfen für Villen in Wien wesentlich traditionellere Seh­gewohnheiten bediente.22 Im Anschluss an die Überlegungen zu den kollektiven Leitbildern der Architektur soll nun an einigen Grazer Beispielen, die mit einer jeweils anderen „Sprache“ unterschiedliche Aussagen machen, die von vielen Zeitgenossen als unübersichtlich empfundene kulturelle Situation der Architektur um 1900 ausgelotet werden. Sprachen der Architektur Städtische Modernisierung im neobarocken Gewand

In Graz hielt sich der Historismus, den Ákos Moravánszky als „Sprache der Kontinuität“23 deutet, bei öffentlichen Bauaufgaben und Bildungsbauten bis lange nach der Jahrhundertwende, ja sogar bis in die Zwischenkriegszeit. Unter dessen verschiedenen Stilvarianten trat in Österreich knapp vor der Jahrhundertwende der Neobarock an die erste Stelle, was die Beliebtheit und Akzeptanz in breiten Kreisen der Öffentlichkeit betraf. Ein Grazer Beispiel dafür ist der Neubau des Landesmuseums Joanneum in der Neutorgasse (1890–1894, Abb. S. 35), für den in lokalpatriotischer Überhöhung der Stil „Fischer von Erlachs, des großen Grazer Baukünstlers“24 als angemessen erachtet wurde. Der Wiener Kunstkritiker Ludwig Hevesi kritisierte zwar diese historistische


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9 Fellner & Helmer, Grazer Stadttheater, 1898/99, Hauptfassade am Opernring, Privatbesitz 10 Grazer Stadttheater, Ansicht vom Kaiser-Joseph-Platz, Multimediale Sammlungen, UMJ

25 Vgl. z. B. Rudolf Hans Bartsch, Graz, in: Illu­ strierte Monatsschrift, 1918, Bd.1, S. 192–199, hier S. 197. 26 Heidemarie Uhl, Das Theater als Gedächtnis­ort. Das Grazer Stadt­theater – ein Medium kultureller Identität im sozialen Raum, in: Gerhar­d M. Dienes (Hg.), Fellner & Helmer. Die Architekten der Illusion. Theaterbau und Bühnenbild in Europa, Graz 1999, S. 112–126, hier S. 113. 27 Grazer Gemeinderatssitzung, 15.12.1897. 28 Heidemarie Uhl, „Großstädtisch“ und „deutsch“. Das Stadttheater als Repräsentation kultureller Identität in Graz um 1900, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, S. 517–533.

Spielart als „Unternehmerbarock“, erkannte aber auch, dass diese zu einer Befreiung der Form beigetragen habe. Die von Otto Wagner als unechte „Stilmaskerade“ charakterisierte Architekturhaltung der Gründerzeit geriet vor 1900 ins Kreuzfeuer der Kritik. Während in Wien vor allem im Umkreis von Otto Wagner und Adolf Loos heftig gegen die Ringstraßenbauten polemisiert wurde, setzten einige Grazer Kritiker mit der abschätzigen Benennung „à la Joanneumring“ ein Negativsignal. Dies bezog sich auf das Stadtviertel großstädtischen Zuschnitts mit Wohnungen, Büros, Banken und Geschäften, das nach Auflösung des Botanischen Gartens auf den Joanneumsgründen von Leopold Theyer und anderen Architekten im Stil des Historismus errichtet worden war. Auch das Grazer Rathaus entwickelte sich zu einem speziellen Reibebaum für die fortschrittlicheren Geister, die es als „Schandfleck“ bezeichneten.25 Dass um 1900 die Wahl des Barockstils mit dem Bild von Graz als moderner, deutscher Stadt in Einklang zu bringen war, zeigt der Bau des Grazer Stadttheaters (1898/99, heute Grazer Oper, Abb. 9 und 10). Das Theater, das 1899 zum 50-jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs I. fertiggestellt wurde, war ein öffentliches Prestigeprojekt und sollte „ein sichtbares Zeichen für den Aufschwung und die Modernisierung der Stadt sein“.26 Im Dezember 1897 beschloss der Grazer Gemeinderat in einer außerordentlichen Sitzung, dass für den Bau „der Barockstil zur Zeit Fischer von Erlachs zu wählen sei.“27 Im Besonderen sollte das neue Gebäude für die Aufführung von Richard-Wagner-Opern geeignet sein und – unter Ausblendung der römischen Herkunft des Barockstils und der Biografie Fischer von Erlachs im Besonderen – dem Ideal der „deutschen“ Kunst dienen, was später am Außenbau durch Inschrifttafeln mit Zitaten von Richard Wagner und Friedrich Schiller unmissverständlich deutlich gemacht wurde.28 Berufen wurde dazu das Baubüro Fellner & Helmer, das schon über eine fast 30-jährige Erfahrung mit Theaterbauten in der ganzen Habsburger-Monarchie und darüber hinaus verfügte. Das Grazer Theater wurde mit einer der Ringstraße zugeordneten repräsentativen, während bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg aber zerstörten Tempelfront ausgestattet und lässt durch die verschiedenen Dachformen am Außenbau die (baupolizeilich geforderte) Trennung zwischen Zuschauer- und Bühnenraum nachvollziehen. Anlässlich der Eröffnung des Stadttheaters im September 1899 äußerte Emil Ertl im Grazer Tagblatt eine deutliche Kritik an der Wahl eines historischen Stils für diesen


11 Rudolf Thrul, Janushof (Gebäude der Wechsel­seitigen Lebens-Versicherungs-Gesellschaft Janus), Neutorgasse, 1900, Sammlung Kubinzky, Graz

29 Emil Ertl, Das neue Theater als Kunstwerk, in: Grazer Tagblatt, Morgenausgabe, 16.09.1899. 30 Vgl. Anstaltsgebäude der VersicherungsAnstalt „Janus“ in Graz. Von Architekt Rudolf Thrul in Wien, in: Der Bautechniker. Centralorgan für das österreichische Bauwesen 22 (1902), S. 561–562. 31 Emil Ertl, Secession an der Straße, in: Grazer Tagblatt, 09.09.1900. 32 Vgl. Otto Antonia Graf, Otto Wagner, Bd. 4: Siccard und Van der Nüll: zu den Anfängen der Moderne, Wien/ Köln/Weimar 1994, S. 701. 33 Otto Wagner, Moderne Architektur. Seinen Schülern ein Führer auf diesem Kunstgebiete, Wien 1895. 34 Vgl. Iain Boyd Whyte, Emil Hoppe, Marcel Kammerer, Otto Schönthal. Drei Architekten aus der Meisterschule Otto Wagners, Berlin u.a. 1989; Brigitte Hiti, Der Otto Wagner-Schüler Marcel Kammerer und sein Hauptwerk: das Grand Hotel Wiesler in Graz, 1989.

modernen Repräsentationsbau. Die für einen Architekten besonders schwierige Bauaufgabe des Theaters sei ein „Conglomerat widersprüchlicher Einzelheiten“ und möglicherweise überhaupt nicht in den Griff zu bekommen, „so lange man historisch überkommene Stile anwendet, so lange man ästhetische Einzelheiten auch dort verlangt und sucht, wo der Grundriß sie nicht freiwillig bietet“.29 Als Alternative dazu zog Ertl Otto Wagners secessionistischen Entwurf für eine Akademie der bildenden Künste auf der Schmelz (1897/98) heran, bei dem die verschiedenen Bauteile ihrer Funktion nach aneinandergefügt werden, ohne „Einheit um jeden Preis“ anzustreben. Der „moderne Stil“ für moderne Bauaufgaben

Zwischen den bereits erwähnten konventionellen historistischen Gebäuden entstand 1899/1900 auf den Joanneumsgründen einer der ersten Grazer Bauten, die den Wiener Secessionsstil vertraten: der Janushof, ein Wohn- und Bürogebäude für eine Versiche­ rungsanstalt mit einer für die Wiener Architektur dieser Zeit typischen markanten Ecklösung. (Abb. 11) Der Bau, dessen ursprüngliche Fassade heute nicht mehr erhalten ist, wurde vom Wiener Architekten Rudolf Thrul geplant.30 Emil Ertl hob in seinem Artikel Secession an der Straße im Grazer Tagblatt die glatten und ohne Umrahmung quasi in die Fläche eingeschnittenen Fenster des Gebäudes hervor, die „Augen im Emmenthaler Käse“31 glichen. Dies war eine um die Jahrhundertwende gängige Metapher für die für damalige Verhältnisse noch ungewohnt schmucklosen und nüchternen modernen Fassaden, auch Otto Wagner soll die Bauaufgabe Mietshaus als „Kas mit Löchern“ bezeichnet haben.32 Wagner und auch seine Schüler und Mitarbeiter Josef Hoffmann und Max Fabiani betonten um 1900 gerne die Flächigkeit und Tafelartigkeit der Fassade. In seiner aufsehenerregenden Schrift Moderne Architektur33 von 1895 begründete Wagner diese neue Haltung mit der veränderten Wahrnehmung des modernen Menschen und betonte, dass das moderne Auge den kleinen, intimen Maßstab verloren und sich an weniger abwechslungsreiche Bilder und an größere Massen gewöhnt habe. In der Reduktion der Fassade ging einige Jahre nach dem Janushof der Wiener Architekt Marcel Kammerer bei seinem einzigen Grazer Bauauftrag, dem weit sichtbar am Fluss gegenüber der Altstadt gelegenen Grand Hotel Wiesler (1907–1909), noch einen Schritt weiter.34 Otto Wagner, Kammerers Lehrer, hatte schon ein Jahrzehnt früher vehement dafür plädiert, dass der Ausgangspunkt der Architektur das moderne Leben selbst sein müsse. Da die Bauaufgabe Hotel damals primär als hygienisches – und


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12 Marcel Kammerer, Um- und Zubau zum Grand Hotel Wiesler, Fassade am Grieskai, 1907–1909, aus: Der Architekt

13 Grand Hotel Wiesler, Speisesaal; im Hintergrund Mosaik Die Geburt der Venus von Leopold Forstner, aus: Der Architekt

14 Grand Hotel Wiesler, Hotelzimmer, aus: Der Architekt


15 Kirche zum Heiligsten Erlöser, Landeskrankenhaus Graz-St. Leonhard, 1909–1912, aus: Wilhelm Scholz, Die steiermärkischen Landes- und Pflegeanstalten, Düsseldorf o. J.

16 Alfred Keller, Sanatorium Hansa, Körblergasse, 1906, Gartenseite, aus: The Studio

17 Adalbert Pasdirek-Coreno, Villa Lug ins Land, Laßnitzhöhe, 1905, Privatbesitz

damit genuin modernes – Problem betrachtet wurde, erscheint es nachvollziehbar, dass mit dem Neu- und Umbau des Grand Hotels Marcel Kammerer, einer der erfolgreichsten Wagner-Schüler, betraut wurde. (Abb. 12) Joseph August Lux, der einige Zeit lang quasi als Sprachrohr der Wagner-Schule, in der die Bauaufgabe Hotel wiederholt thematisiert wurde, fungierte, bezeichnete das Hotel programmatisch als „eine Synthese von Klinik, Komfort und Maschine“35 und forderte, dass das Hotel nicht nur funktional und komfortabel sein, sondern auch in Bezug auf Hygiene und Reinlichkeit „klinischen Anforderungen“ entsprechen solle. Die formale Nähe des Grazer Hotels zu Josef Hoffmanns Sanato­rium Purkersdorf bei Wien (1904/05) lässt sich, wenn auch in einer wesentlich aufwendigeren Gestaltung, am Speisesaal (Abb. 13) im Erdgeschoss des Hotel Wiesler gut ablesen. Kammerer gliedert den langgestreckten Saal, indem er bewusst die Stahl­betonunterzüge der Decke sichtbar belässt und so zum ersten Mal in Graz in einem repräsentativen Innenraum die moderne Bautechnik zeigt. Modernität zeigte sich auch in den Hotel­ zimmern, die mit weiß gestrichenen, schwarz ornamentierten Möbeln und funktionellen Waschtischen ausgestattet waren und im Vergleich zu den damals üblichen üppigen Interieurs eine fast klinische Atmosphäre vermittelten. (Abb. 14) Ebenso wie im Fall des Hotelbaus wurde in Graz auch bei anderen Bauaufgaben, die mit der modernen Lebenswelt in Verbindung standen, der neue („secessionistische“) Stil bevorzugt. Zu den Hygienebauten gehört vor allem das vom Landesbauamt zum Teil nach dem damals aktuellen Pavillonsystem errichtete Landeskrankenhaus (1904– 1912). Die am Ende der zentralen Achse in Eisenbeton errichtete kleine Anstaltskirche (Abb. 15) ist in der Großform, wenn auch nicht im stilistischen Detail, als bewusstes Zitat von Otto Wagners berühmter Kirche der Landes-Irrenanstalt am Steinhof in Wien zu lesen. Andere Beispiele für die Übereinstimmung von moderner Formensprache und moderner Bauaufgabe sind das kleine Städtische Volksbad in der Friedrichstraße (1903, heute Museum der Wahrnehmung) und das von Alfred Keller errichtete Sanatorium Hansa (1906), das Wiener Secessionsmotive wie ein Bay-Window, schwarzweiße, glasierte Zierelemente und fast provokant schmucklose Stiegengeländer mit „bodenständigen“ Elementen verbindet. (Abb. 16) Auch die Waren- und Konsumwelt der Kaufhäuser entsprach dem modernen Gesellschaftsbild, das in der Architektur seine Entsprechung finden sollte. Beim Warenhaus Kraft & Cie. (1907, heute Dorotheum) am Jakominiplatz griff sogar der sonst im Historismus fest verankerte Leopold Theyer zu einer zarten Eisenkon­struk­tion, die die Öffnung der Wände zu großen Auslagenfenstern ermöglichte, und zu (wenn auch biedermeierlich abgemilderten) secessionistischen Schmuckformen. Im Bereich der Villenarchitektur ist der in Wien ausgebildete Architekt Adalbert Pasdirek-Coreno eine auffallende Ausnahmeerscheinung, der als einer der ersten in der HabsburgerMonarchie an der Grazer Peripherie Villen mit Flachdächern errichtete, etwa die Villa Hellenaion im Stiftingtal (1904/05) oder die Villa Lug ins Land in Laßnitzhöhe (1905, Abb. 17), denen er eine betont mediterrane Erscheinung gab. „Heimische“ Bauweise als Konstrukt

35 Joseph August Lux, Das Hotel, ein Bauproblem, in: Der Architekt 15 (1909), S. 17–19. 36 Zur Biografie von Alfred Keller vgl. http:// www.architektenlexikon.at/de/290.htm.

Ein kleines, heute baulich verändertes Wohnhaus hat 1910 in Graz große Aufmerksamkeit auf sich gezogen: das Portierswohnhaus der kaiserlichen Burg von dem in Graz geborenen und in Wien tätigen Architekten Alfred Keller, einem Mitglied des Vereins für Heimatschutz in Steiermark.36 Es wurde in österreichischen Architekturzeitschriften publiziert, in Diavorträgen gezeigt und vom traditionsorientierten Grazer Lager (sogar noch bis in die NS-Zeit) als geradezu prototypisches Beispiel einer neuen Bauweise hervorgehoben, die traditionelle Formen zeitgemäß umdeutete. Das Haus, das sich, wie in der ersten Publikation des Heimatschutzvereins zu lesen war, „wie ein


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18 Alfred Keller, Portierswohnhaus in der kaiserlichen Burg, 1911, Stmk. Landesarchiv, Graz

19 Alfred Keller, Portal des Geschäftshauses Josseck & Oblack, Murgasse, 1911, aus: Bau-, Wohn- und Kunstberatung

20 Adolf von Inffeld, BachmannKolonie am Leonhardbach, GrazWaltendorf, 1910–1914, Schaubild aus der Vogelschau, aus: Der Architekt

21 Andreas Gisshammer, Entwurf für das Ein­küchenhaus Theresienhof, Auersperggasse, 1913, GrazMuseum 37 Verein für Heimatschutz in Steiermark, erste Flugschrift, Graz 1911, o. S.

vertrauter junger Freund unter älteren“37 ausmachte, wurde als „heimisch“ und der konkreten baulichen Umgebung entsprungen präsentiert. (Abb. 18) Und das, obwohl es stilistisch den zeitgenössischen deutschen Vertretern der Reform- und Heimatschutzarchitektur wesentlich näher steht als der tatsächlichen Grazer Architekturtradition, in der sich jahrhundertelang durch hier tätige lombardische Baumeister ein romanischer, oberitalienischer Einfluss manifestiert hatte. Seine Form spiegelt eine Traditionslinie wider, die auf Goethes Gartenhaus in Weimar aus dem 18. Jahrhundert zurückgeführt wurde, das ab der Jahrhundertwende als Inbegriff des deutschen Hauses und als ein Archetyp der Traditionalisten galt. Zumindest in der Vereinfachung der Fassade und dem Verzicht auf Ornamente war das Grazer Wohnhaus aber für seine Entstehungszeit sehr fortschrittlich. Beispielhaft umgesetzt wurde hier die Forderung des Heimatschutzes nach handwerklichen, heimischen Bauweisen, ortsüblichen Materialien, hohen, ziegelgedeckten Dächern und traditionellen Fensterproportionen und -formen. Jedoch verstand sich der Heimatschutz auch in Graz ausdrücklich als Reformbewegung: Mit der modernen Richtung gemeinsam hatte er die Kritik an der willkürlichen Wiederholung und Kombination von historischen Stilen, der Vortäuschung von wertvolleren Materialien und der Unterordnung des Inneren unter die repräsentative Fassade. Wie vereinbar die moderne Haltung der Secessionisten und die traditionsbewusste des Heimatschutzes waren, zeigt sich am Beispiel von Alfred Kellers fast gleichzeitig entworfener Portalgestaltung für das Geschäftshaus Josseck & Oblack in der Murgasse (1911, Abb. 19) wo er, nahegelegt durch die moderne, großstädtische Bauaufgabe, Eisenbeton und Eisenständer einsetzt, um das Lokal größtmöglich im Inneren und nach außen hin zu öffnen. Zur Konstruktion einer mit „deutschen“ Inhalten verbundenen „bodenständigen“ Bauweise wurden in Graz – nach den für nationalistische Kontexte üblichen Prozessen der Inklusion und Exklusion – (süd-)deutsche Architekturmotive wie der polygonale Erker oder das hohe Dach herangezogen, während die real vorhandenen romanischitalienischen Einflüsse nahezu völlig ausgeblendet wurden. Beispiele für eine so entwickelte und durch Publikationen und Ausstellungen propagierte „heimische“ Bauweise finden sich in Graz vor allem bei Wohnbauten. Dazu gehören Adolf von Inffelds bereits erwähnte Bachmann-Kolonie (Wegenergasse/Sonnenstraße, Abb. 20) mit ihren kleinteiligen Fassadengestaltungen und kleinstädtischen Proportionen, aber auch die Entwürfe von Andreas Gisshammer für das Einküchenhaus Theresienhof (1914/15, Abb. 21) in der Auersperggasse und die Beamtenwohnhäuser des WohnungsfürsorgeVereins für Steiermark in der fragmentarisch gebliebenen Gartenstadt St. Peter (1913–1915). Sozialdemokratisch und traditionsbewusst

Auftraggeber für den Großteil des Bauvolumens in Graz um 1900 war eine bürgerliche, vorwiegend deutschnational eingestellte Schicht. Die Arbeiterbewegung sollte im Hinblick auf die Architektur erst nach Ende des Ersten Weltkrieges eine Rolle spielen. Eine Ausnahme bildet das ursprünglich mit einer aufwendig gestalteten Fassade ausgestattete „Parteihaus der Steirischen Arbeiterschaft“ (1909/10, Abb. 22 und 23), das als Wohn-, Kanzlei- und Betriebsgebäude des Verlags der sozialdemokratischen Tageszeitung Arbeiterwille und als Druckereigebäude der Buchdruckerei „Vorwärts“ diente. An seinem Beispiel soll abschließend gezeigt werden, wie ambivalent und vielschichtig die Bedeutungszuschreibungen von architektonischen Formen waren und wie verwoben progressive und konservative Haltungen waren. Der Bau in der Hans-Resel-Gasse ist heute zwar noch in seinen Umrissen erhalten, aber ähnlich wie der Janushof an der Fassade nach einer „Bereinigung“ und Aufstockung in den 1960er-Jahren so stark verändert worden, dass man nichts mehr von


22 Hubert und Franz Gessner, Parteihaus der steirischen Arbeiter­schaft, 1909–1911, Ansicht Hans-Resel-Gasse, Sammlung Kubinzky, Graz

23 Parteihaus der steirischen Arbeiterschaft, Sitzungssaal, Sammlung Kubinzky, Graz

24 Hans Laurentschitsch, Amtsgebäude der Kammer für Arbeiter und Angestellte, HansResel-Gasse, 1924, Multimediale Sammlungen, UMJ


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25 Hubert Gessner, Hotel International, Hans-Resel-Gasse/ Strauchergasse, 1928–1930, Privatbesitz

der ursprünglichen Qualität erkennen kann. Zu seiner Entstehungszeit zeugte das Gebäude, das später zum Ausgangspunkt für ein aus Arbeiterkammer (Abb. 24) und Hotel Inter­national/Volkshaus (Abb. 25) bestehendes bauliches Ensemble werden sollte, vom wachsenden Selbstbewusstsein der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie. Anlässlich der Eröffnung im April 1912 schrieb der Arbeiterwille: „[H]eute weht von einem stolzen Bau im Herzen des größten Arbeiterbezirkes die rote Fahne als Zeichen, dass die Partei von einer Burg zu Schutz und Trutz Besitz ergriffen hat [...].“38 Nicht zufällig wurde der Bau in der Murvorstadt am rechtsseitigen Grazer Murufer nahe der im 19. Jahrhundert errichteten Arbeiterquartiere errichtet. Auch die Wahl der Wagner-Schüler Hubert und Franz Gessner lag nahe, hatten sich diese doch in Wien bereits seit fast einem Jahrzehnt als Architekten der Sozialdemokratie einen Namen gemacht.39 In der Bauaufgabe vergleichbar ist vor allem Hubert Gessners Druck- und Verlagsanstalt „Vorwärts“ (1909) an der Linken Wienzeile, das sich durch eine klinker­ verkleidete, abstrahierte Fassade auszeichnet. Am – vermutlich wegen des traditionsbewussteren lokalen Milieu­s – wesentlich konservativeren Äußeren des Grazer Gebäudes zeigt sich eine für die Zeit aber durchaus übliche Verbindung von modernen Motiven wie die durch Platten erzeugte Flächigkeit mit Formen, die sich am Wiener Klassizismus und Biedermeier (und damit an der bürgerlichen Architektur) orientierten. Der Grund für diese Wahl ist wohl in der größeren Repräsentativität von Giebelmotiv und Säulenzitaten zu finden. Dennoch wurde der Bau in Ausführung und Aussagekraft als ein Signal für Modernität und Zweckerfüllung verstanden. Sowohl bei der Konstruktion der Eisenbetondecken als auch bei der Ausstattung der Räume wurden modernste technische Errungenschaften eingesetzt. Der Elektrizität kam dabei eine besondere Rolle zu, wie im Arbeiterwille mit Genugtuung hervorgehoben wurde: „Der persönliche Verkehr ist durch den elektrischen Draht [interne Sprechanlage] und die Rohrpost verdrängt. Die Entstaubungsapparate arbeiten an der Reinigung, der Ventilator sorgt für die Erhaltung der frischen Luft, Gas- und elektrische Lichter beleuchten die Räume, elektrische Aufzüge versorgen den Transport, elektrische Uhrenanlagen zeigen den Lauf der Sonne an.“40 Trotz seiner für die Zeitgenossen wahrnehmbaren modernen Aussagekraft wurde der erste Grazer Bau der Sozialdemokratie wegen seiner Einbindung in das Stadtbild und der angenehmen Wirkung der Fassade von Walter von Semetkowski, dem ehemaligen Geschäftsführer des Vereins für Heimatschutz in Steiermark, und damaligen Landeskonservator als „ehrliches, schlichtes Werk künstlerischen und technischen Geistes“41 gelobt. Schlussbemerkung

38 Ein Haus der Arbeit, in: Arbeiterwille, 07.04.1912, S. 9. 39 Hubert Gessner sollte später in Graz auch das Hotel International bzw. Volkshaus planen und war auch Bauleiter des Stadtwerkegebäudes am Andreas-HoferPlatz. 40 K.S., Inneneinrichtung, in: Arbeiterwille, 07.04.1912, S. 10. 41 Walter von Semetkowski, Das neue Betriebsgebäude, in: Arbeiterwille, 07.04.1912, S. 10.

Beide für die Architektur in Graz um 1900 wesentlichen identitätsstiftenden Muster – die moderne, offene und fortschrittsorientierte (deutsche) Großstadt auf der einen, die traditionsbewusste, anheimelnde (und ebenso deutsche) Provinz auf der anderen Seite – standen neben- bzw. mitunter auch gegeneinander, schlossen einander zunächst aber keineswegs kategorisch aus. Erst mit und nach dem Ersten Weltkrieg begannen sich international die Fronten zwischen den „Modernen“ und den „Traditionalisten“ zu verhärten. In der Steiermark der Zwischenkriegszeit führte die starke Traditions-, Heimat- und Landschaftsbezogenheit des überwiegenden Teils der Grazer Architekten zur Herausbildung einer auf Synthetisierung und Harmonisierung von Gegensätzen ausgerichteten „bodenständigen“ Moderne, die progressiven, an der Veränderung sozialer Gegebenheiten und an radikalen formalen und funktionellen Neuerungen interessierten Architekten keinen Platz ließ.



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Paul Schad-Rossa Ein wiederentdeckter Symbolist1 ­ Gudrun Danzer

1 Dieser Text basiert auf den Recherchen von Velten Wagner. Auf der von ihm initiierten und betreuten Forschungswebsite des Städtischen Museums Engen sind alle Bildund Schriftquellen einzusehen: http://www. paul-schad-rossa.de/, Zugriff 26.09.2014; im Ausstellungskatalog Paul Schad-Rossa 1862–1916. Die Wiederentdeckung eines Symbolisten, Städtisches Museum Engen + Galerie 2014, hat Wagner das Werk Schad-Rossas interpretiert und geisteswissenschaftlich positioniert. In dem vorliegenden Text kann nicht im Detail auf die Thesen Wagners eingegangen werden, er versteht sich als zusammenfassende und ergänzende Darstellung dazu. 2 Fronleichnam, 1891, und Eden, 1899, in der Neuen Galerie Graz und Fränkische Landschaft, 1916, in den Museen der Stadt Nürnberg.

Nach seinem frühen Tod (er starb 1916 mit 54 Jahren mitten im Ersten Weltkrieg ist Paul Schad-Rossa völlig in Vergessenheit geraten. Das verhinderten auch die wenigen Werke, die in öffentliche Sammlungen gelangt waren, nicht,2 fanden doch auch sie kaum Beachtung. Entsprechend spärlich ist trotz der mehrjährigen Recherchen von Velten Wagner, die er nach dem Fund eines vorwiegend aus Zeichnungen und kleineren Gemälden bestehenden Werkkomplexes in Angriff nahm, auch heute noch die Dokumentenlage zu dem Künstler. Eine Ausnahme bildet seine Zeit in Graz (1900– 1904), über die wir wegen des Aufsehens, das er hier erregte, aus diversen Zeitungsartikeln und Korrespondenzen gut unterrichtet sind. Doch auch diese Dokumente wurden erst in jüngerer Zeit beachtet und der Öffentlichkeit in kulturhistorischen Arbeiten zur Kenntnis gebracht.3 Eine der Ursachen für dieses Vergessen liegt allgemein in der Diskreditierung des Symbolismus durch die Kunstgeschichtsschreibung der Moderne begründet. Als diese Kunstströmung im Zuge der Postmoderne wiederentdeckt und aufgewertet wurde, blieb Schad-Rossa allerdings als ein Künstler „zweiter Ordnung“, der in den großen Museen und Sammlungen der Metropolen nicht vertreten war, unentdeckt. Umso lohnender waren die Recherchen Wagners, der neben dem erwähnten Konvolut rund 20 größere Ölgemälde in deutschem Privatbesitz aufspüren konnte. Hinzu kommen jene ebenfalls rund 20 Werke, die wir aus zeitgenössischen Reproduktionen in Ausstellungskatalogen und Kunstzeitschriften kennen. Dennoch ist klar, dass dies alles nur ein Teil des Gesamtwerkes Schad-Rossas ist, und dass unsere Aussagen über sein Werk daher nur provisorisch sein können, solange wir es nicht vollständig überblicken. Dass das Werk der Wiederentdeckung würdig ist, ist offensichtlich. Wenn es sich auch – soweit wir es bis dato kennen – nicht gleichrangig in die Reihen der bekannten deutschen Symbolisten seiner Generation wie Franz von Stuck, Max Klinger, Ludwig von Hoffmann, Walter Leistikow usw. einfügen lässt, so zeigt es doch eine Vielzahl an Elementen, die es einzigartig und beachtenswert machen. Zu nennen ist hier etwa die Experimentierfreude, mit der Schad-Rossa in seinen Zeichnungen an den Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Figur arbeitete oder auch seine Versuche, durch Neuerungen in der Maltechnik, namentlich durch die Verwendung von Gips, in den Gemälden plastische Wirkungen zu erzielen. Allgemeiner gesprochen ist jede Entdeckung einer historischen Position imstande, unser Bild einer Zeit – in diesem Falle


Schloss Peleş bei Sinaia in den Karpaten, Sommerresidenz von König Carol I. von Rumänien, erbaut 1873–1883 nach Plänen von Carl Wilhelm Christian von Doderer, Johannes Schultz und Karel Liman

3 Vgl. Ulrike Tropper, Das kreative Milieu in Graz um 1900. Ein Beitrag zum Kulturleben der Jahrhundertwende, Phil. Diss., Graz 1994; Eva Klein, Das Plakat in der Moderne. Der Beginn des Grafikdesigns in der Steiermark im Kontext internationaler soziokultureller Entwicklungen, Phil. Diss., Graz 2011; dies., Vergessene steirische Moderne. Paul SchadRossa und das kreative Milieu um 1900, Sonderdruck aus dem Historischen Jahrbuch der Stadt Graz – Band 42, hg. von Friedrich Bouvier u. Nikolaus Reisinger, Graz 2012. 4 Das war ein Angestellter der Post, der die Kutschen begleitete und für die Reisenden wie für die beförderte Post verantwortlich war. 5 Vgl. den entsprechenden Ausstellungs­ katalog. 6 Karl Eitel Friedrich von HohenzollernSigmaringen war ab 1866 als Carol I. Fürst und seit 1881 König von Rumänien. 7 Carl Wilhelm Christian von Doderer war übrigens der Großvater des Schriftstellers Heimito von Doderer.

die der Jahrhundertwende – zu vervollständigen, ihm bislang unbekannte Aspekte hinzuzufügen und so zu einer differenzierten Geschichtsbetrachtung zu gelangen. Paulus Georg Schad wurde am 1. Jänner 1862 in Nürnberg als Sohn eines protestantischen Postoberkondukteurs4 geboren, stammte also aus bürgerlichem bzw. kleinbürgerlichem Milieu. In den Jahren 1877 bis 1880 besuchte er die Abteilung für Bildhauer und Architekten an der Nürnberger Kunstgewerbeschule. 1880 schrieb er sich an der Münchner Akademie der Bildenden Künste bei Ludwig von Löfftz ein, um Malerei zu studieren; ab 1883 war er dort Meisterschüler Franz von Defreggers (1835–1921). 1886 wurde Schads Sohn Felix geboren, im Jahr darauf heiratete er dessen Mutter Barbara, genannt Bettina, Lippoldt, die Tochter eines Glasmalers aus Schreiberhau in Schlesien (heute Szklarska Poreba in Polen). Auch sie war künstlerisch tätig, und zwar im Bereich der Textilkunst. In der Ausstellung des Grazer Künstlerbundes 1901 stellte sie einen gestickten Wandteppich nach der Vorlage der Fresken von Melozzo da Forli im Vatikan aus und einen weiteren nach einem Entwurf ihres Mannes.5 Um die junge Familie zu erhalten, betätigte sich Schad während seines Studiums als Kopist alter Meister (Dürer, Holbein, van Eyck, Burgkmair u. a.) im Auftrag von König Carol I. von Rumänien, eines Hohenzollernprinzen,6 für dessen Sommerresidenz Schloss Peleș bei Sinaia in den Karpaten. Für dieses überaus prunkvolle, reich ausgestattete, im altdeutsch-romantischen Stil ab 1872 nach den Plänen von Carl Wilhelm von Doderer7 und anderer Architekten erbaute Schloss waren bis 1914 Künstler und Ausstatter aus halb Europa tätig, unter ihnen zum Beispiel auch der jüngere Bruder Gustav Klimts, Ernst.8 Schad-Rossa lernte im Zuge dieser Tätigkeit für Schloss Peleș einen „sehr kunstverständigen Engländer“ kennen, für den er dann ebenfalls „Perlen namentlich der altdeutschen Schule“ kopierte.9 1888 beendete Schad-Rossa sein Studium an der Akademie. Aus dieser Zeit stammen seine beiden ersten uns bekannten Bilder, die noch ganz in der Tradition seines Lehrers Defregger stehen. Dieser aus Osttirol stammende, sehr populäre und einflussreiche Künstler gilt mit seinen idyllisierenden und heroisierenden Schilderungen des Bauernlebens als einer der Hauptvertreter der damaligen Münchner Schule der


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8 Dieser gestaltete die Ausstattungsbilder des Schlosstheaters und später -kinos, vgl. http://visit.peles.ro/ the-history-of-thepeles-castle/, Zugriff 27.09.2014. Möglicherweise hat Dora Hintz, eine ebenfalls aus Nürnberg stammende Künstlerin, Paul Schad diesen Auftrag vermittelt. Sie selbst hatte in den Jahren 1876 bis 1880 als Hofmalerin für das rumänische Königspaar gearbeitet; vgl. Jutta HülsewigJohnen, Henrike Mund (Hg.), Schönheit und Geheimnis. Der deutsche Symbolismus. Die andere Moderne, Kat. Kunsthalle Bielefeld 2013, S. 215. 9 Vgl. Das geistige Deutschland am Ende des XIX, Jahrhunderts, Bd. 1: Die bildenden Künstler. Enzyklopädie des deutschen Geisteslebens in biographischen Skizzen. Aufgrund persönlicher Einsendungen bearbeitet, Leipzig-Berlin 1898. 10 Vgl. Das geistige Deutschland. 11 Ebda.

Genremalerei. Schad-Rossas Mädchen mit Kätzchen von 1887 (Abb. S. 104) zeigt eine idyllische Szene mit zwei Kindern in bäuerlichem Ambiente. Das Motiv des Mädchens, das ein kleines Tier hält, hat er dann auch in seine erste größere Komposition Es will Abend werden von 1888 (Abb. S. 108) aufgenommen. Es ist dort Teil eines größeren, dramatischeren Geschehens, der Erzählung einer traurig bewegten Bauernfamilie, die den zur letzten Ölung des Familienvaters herannahenden Geistlichen erwartet. Soweit sich aus dem Schwarz-Weiß-Foto des Gemäldes, dessen Verbleib unbekannt ist, entnehmen lässt, ist es formal mit den Mitteln des Realismus gemalt. Jedoch intendiert die Schilderung der ärmlichen Verhältnisse hier nicht eine soziale Anklage, wie wir das etwa im französischen Realismus und Naturalismus finden, sondern erfährt eine Wendung ins Transzendente: Die irdischen Bedingungen des menschlichen Lebens mit Armut und Tod sind zwar erschütternd, doch es gibt Hoffnung und Trost in Form der Religion. Damit folgt Schad-Rossa der generell affirmativen Haltung der Genremalerei dieser Zeit, deren Absicht nicht in der Kritik der Verhältnisse lag, sondern in der Rührung des Publikums – er selbst hat das Gemälde als „Stimmungsbild“ bezeichnet.10 In dem Werk liegt auch bereits der Ansatz für die weitere Entwicklung des Künstlers, der sich später zusehends vom Realismus entfernte, um sein Augenmerk auf seelischgeistige Inhalte zu richten. Zunächst jedoch „ergab er sich“, wie er selbst berichtet, „auf dem Lande einem ganz naturalistischen Studium: da entstand mit starker Pointirung [sic!] des Freilichtes ‚Fronleichnam‘.“11 (Abb. S. 106) Er griff also wiederum ein religiöses Thema auf, diesmal einen Fronleichnamsgottesdienst in bäuerlicher Umgebung, um sein malerisches Können in der künstlerischen Umsetzung der äußeren Realität zu erproben. Das monumentale Gemälde von 1891 führt auf vier Metern Breite die Virtuosität vor, die Schad-Rossa nun erreicht hatte: In ihrer Wirklichkeitstreue beeindruckend ist hier besonders die Wiedergabe der Kleider in den verschiedenen Nuancen von Weiß oder auch Details wie die Schilderung des Weges im Vordergrund oder die genagelte Schuhsohle des Mannes ganz rechts. Sowohl die Dimensionen dieser Bilder als auch ihre Themen sind symptomatisch für die Bedingungen des Ausstellungswesens und des Kunstmarktes der Zeit. Die Künstlergenossenschaften organisierten damals in den Metropolen wie München, Berlin, Wien und Rom jährliche internationale Ausstellungen, auf denen die Künstler um die Gunst eines Massenpublikums rangen, mit Besucherzahlen, die in die Hunderttausenden gingen. Dort Erfolg zu haben bedeutete für die Künstler sowohl Ruhm als auch finanzielle Sicherheit. Die beiden letztgenannten Bilder Schad-Rossas wurden jeweils bei der jährlichen „Internationalen Ausstellung“ im Münchner Glaspalast gezeigt, Fronleichnam auch bei der „Großen Berliner Kunstausstellung“ 1893. Die Größe der Bilder trägt auch der Präsentationsform einer dichten mehrreihigen Hängung in diesen Ausstellungen Rechnung, in denen sich das einzelne Werk behaupten musste. SchadRossa blieb, obwohl er zumindest die Glaspalast-Ausstellungen in München zwischen 1888 und 1899 regelmäßig beschickte, der finanzielle Erfolg jedoch versagt. Er trat 1894 aus dem Kunstverein München, dem er seit 1889 angehört hatte, aus und gründete im Jahr darauf eine Damenkunstschule. Der mangelnde Erfolg bei den großen internationalen Ausstellungen mag einer der Gründe dafür sein, dass sich Schad-Rossa künstlerisch nun neuen Zielen zuwandte und zum Symbolisten wurde. Der Symbolismus war eine gesamteuropäische geistige Strömung im ausgehenden 19. Jahrhundert, die in allen Kunstgattungen nachzuweisen ist. Symbolismus ist jedoch kein Stilbegriff – die symbolistischen Ideen äußerten sich in unterschiedlichen formalen Ausprägungen, jedoch war es vor allem der Jugendstil, der sie in seine Formenwelt übersetzte. Die Übergänge sind hier fließend. Grundsätzlich ist der Symbolismus, der mit den Strömungen etwa der Neuromantik


12 Vgl. Kat. Paul SchadRossa 1862–1916, S. 133ff. 13 Vgl. ebda., S. 33 ff. 14 Ebda., S. 161. Vgl. auch: Gudrun Danzer, Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz, bes. den Abschnitt „Die erste Ausstellung in Graz im Herbst 1900“, im vorliegenden Band, S. 48–54.

oder der Décadence vielfältig verflochten ist, als Reaktion auf die Umwälzungen und Verunsicherungen zu verstehen, die der Siegeszug von Industrialisierung und Modernisierung, Technisierung und Wissenschaften mit sich gebracht hatte. Der Symbolismus verweigerte sich der Darstellung dieser Phänomene bzw. der Kritik an den als beängstigend erlebten Verhältnissen. Stattdessen suchte er in der Kunst, die er in eine sakrale Sphäre verwandeln wollte, eine ideale Gegenwelt zu errichten. Themen sind grundsätzliche, als ewig verstandene Wahrheiten, wie sie in den Mythen und Märchen, in religiösen und esoterischen Traditionen, in Träumen und Fantasien zum Ausdruck kommen. Die Analyse und der Ausdruck des Seelenlebens, die Übersetzung dessen, was der Blick ins Innere und in dessen Abgründe zutage förderte, standen im Zentrum seiner Bestrebungen. Das einzelne Werk sollte im Gesamtkunstwerk aufgehen, dieses vom Publikum nicht einfach betrachtet und analysiert, sondern in einem ganzheitlichen Prozess mit dem eigenen Leben verschmolzen werden. Konkret nahm der Symbolismus seinen Ausgang in Paris, wo der Literat Jean Moréas 1886 im Figaro Littéraire das Symbolistische Manifest veröffentlichte. Um die Präsenz und den Einfluss dieser Strömung in ganz Europa zu illustrieren, seien hier beispielhaft die Namen einiger bekannter Vertreter nur aus dem Bereich der bildenden Kunst genannt: Belgien: James Ensor, Fernand Khnopff, Georges Minne; Deutschland: Arnold Böcklin, Ludwig von Hofmann, Max Klinger, Walter Leistikow, Hans von Marées, Franz von Stuck; England: Aubrey Beardsley, Edward Burne-Jones, Dante Gabriel Rossetti; Frankreich: Paul Gauguin, Gustave Moreau, Pierre Puvis de Chavannes, Odilon Redon, Auguste Rodin; Holland: Jan Toorop; Italien/Schweiz: Ferdinand Hodler, Giovanni Segantini; Norwegen: Edward Munch; Österreich: Gustav Klimt, Alfred Kubin; Tschechie­n: Alfons Mucha, Frantisek Kupka. Velten Wagner hat die Einflüsse des deutschen Symbolismus, im Speziellen jenen Böcklins, Klingers und Marées’ auf Schad-Rossa ausführlich analysiert.12 Er wies auch den Ursprung von dessen künstlerischen Anschauungen aus der symbolistischen Kunsttheorie nach, wobei vor allem der belgische symbolistische Dichter Maurice Maeterlinck mit seinem Frühwerk Le trésor des humbles von 1896 bedeutsam wurde,13 sowie die epochale Studie Mutterrecht, 1861, von Johann Jakob Bachofen, die „erst zur Jahrhundertwende durch die Rezeption im Münchener Kosmikerkreis um Ludwig Klages eine größere Wirkung zu entfalten“ begann.14 In welchen Kreisen sich Schad-Rossa in München bewegte, ist im Detail noch nicht erforscht. Allgemein war die Münchner Bohème in den 1890er-Jahren von Ideen der Lebensreform und von unterschiedlichen esoterischen bis okkulten Vorstellungen durchdrungen. So hatten auch etliche Gründer der lebensreformerischen Künstler­ kolonie am Monte Verità bei Ascona zuvor in München gelebt. Eine der zentralen Persönlichkeiten der Münchner Bohème, Franziska von Reventlow, die übrigens ebenfalls eine Zeitlang auf dem Monte Verità verbrachte, vermittelte in ihrem autobiografischen Roman Herrn Dames Aufzeichnungen von 1913 die Atmosphäre und die Vorstellungen dieser Kreise im München der Jahrhundertwende. Eine herausragende Rolle spielte dort vor allem auch der symbolistische Dichter, Ästhet und Vertreter des „l’art pour l’art“ Stefan George, der gemeinhin als „Meister“ bezeichnet wurde. Der oben erwähnte „Kosmiker“ Ludwig Klages gehörte zu dessen näherem Umfeld. An Schad-Rossas Werken des Jahrzehnts zwischen 1894 und 1904 (im Herbst 1900 ging er nach Graz, im Frühjahr 1904 nach Berlin) werden seine Abkehr vom Realismus und die Beschäftigung mit den Vorstellungen des Symbolismus deutlich. In dieser Zeit sind auch die Zeichnungen und Gemälde entstanden, die in dem oben erwähnten Konvolut enthalten sind und die im Einzelnen kaum exakt datierbar sind. Sie zeugen von seinem experimentellen Ringen um die gültige Ausdrucksform für die Ideen, die ihn nun bewegten, durch das er über die Möglichkeiten der realistischen


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15 Kat. zur Schad-Ausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins, Graz 1900, S. 9. 16 Vgl. Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, München 1912. 17 Es ist eines der ganz wenigen datierten Blätter, steht wahrscheinlich am Beginn dieses formalen Experimentierens und gehörte laut Vermerk auf der Rückseite dem Grazer Schriftsteller Emil Ertl. 18 Vgl. Kat. Paul SchadRossa 1862–1916, S. 86. 19 Vgl. Kat. Paul SchadRossa 1862–1916, S. 156, dort auch Anm. 28 sowie Robert Vischer, Über das optische Formgefühl. Ein Beitrag zur Ästhetik, Leipzig 1873, S. 20. Theodor Lipps lehrte von 1894–1914 an der Münchner Universität. Mit seiner auf Robert und dessen Vater Friedrich Theodor Vischer aufbauenden Einfühlungslehre, die er durch seine Vorlesungen und seine Publikation Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst, Hamburg/Leipzig 1906, bekannt machte, übte er großen Einfluss auf den Münchner Jugendstil aus. Vgl. Kat. Paul Schad-Rossa 1862–1916, S. 106.

Darstellungs­weisen hinausgelangen wollte. Im Katalogvorwort zu seiner ersten Grazer Ausstellung im Herbst 1900 schrieb er: „Wir wollen unser Empfinden mitteilen und wir suchen nach einer Sprache, nach einem Ausdrucksmittel, und wir können doch kein anderes finden, als eben die Natur. Die Natur also benützen wir, um uns zu verständigen, unsere Gemüthsstimmung mitzuteilen. Die Natur haben wir gemeinsam – die Kunst ist individuell.“15 Seiner Auffassung nach mussten es also die Formen der Natur sein, die als Vermittlungsmedien für die Ideen zu verwenden seien. Der Schritt über diese Ansicht hinaus, die dann in die Gegenstandslosigkeit führte, blieb einer – nur wenig – späteren Zeit vorbehalten, hatte jedoch ebenfalls im Münchner Milieu der Jahrhundertwende eine seiner Wurzeln.16 Die erwähnten Zeichnungen und Bilder Schad-Rossas zeigen nun verschiedene Ansätze, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Blätter sind zwar auch als Einzelblätter reizvoll, doch interessieren sie insofern besonders, als sie es ermöglichen, den Arbeitsprozess des Künstlers nachzuvollziehen. Im Zentrum stehen meist die menschliche Figur und deren Verhältnis zu dem Raum, der sie umgibt. Damit ist hier aber nicht einfach der reale Raum gemeint, in dem Menschen sich bewegen, sondern vor allem auch der geistig-ideelle oder sogar kosmische Raum, in dem sich das mensch­ liche Seelenleben entfaltet. Gruppiert man die Zeichnungen, werden verschiedene Methoden der Formfindung sichtbar, wobei dem Einsatz von Licht und Schatten jeweils fundamentale Bedeutung zukommt: In einer Reihe von ihnen versuchte Schad-Rossa, die Figuren mit dem Schatten, den sie werfen, und damit mit dem Raum verschmelzen zu lassen, so z. B. in dem Weiblichen Akt von 189417 (Abb. S. 112) oder einer Reihe von männlichen und weiblichen Akten, die sich durch dichte Schraffuren nur mühsam vom Untergrund zu lösen scheinen. (Abb. S. 113) In einer weiteren Gruppe übernimmt das Licht, in das die Figuren getaucht sind, diese Funktion der Formauflösung. Dazu gehören Kleiner weiblicher Akt im Licht I und II, Zwei abstrahierte Figuren oder Liebespaar lichtumflossen. (Abb. S. 114, 115) In einer dritten Gruppe wirken Licht und Schatten auf eine Weise zusammen, dass einzelne Partien der Figur mit dem Licht, andere mit dem Schatten des Hintergrundes verschmelzen, wie auf Weiblicher sitzender Akt, seitlich oder Zwei Gestalten. (Abb. S. 116, 117) Mit diesen beiden Zeichnungen hat Schad-Rossa die Grenze zur Abstraktion beinahe erreicht. Doch ging er diesen Weg nicht weiter, denn auf anderen Zeichnungen „rettet“ er quasi die Figur vor dem Verschwinden und vor der Auflösung in abstrakte Formen, indem er sie mit einer Kontur umgibt. So zu sehen auf Zwei Knaben, Sitzender Mädchenakt, Stehender Rückenakt im Lichtraum oder Liebespaar (Adam und Eva) in Rückenansicht. (Abb. S. 118) Auch die Kontrastierung einer dunkel gegebenen Figur mit einem beleuchteten Hintergrund erprobte er, wie in Gestalt mit ausgebreiteten Armen oder Knabenakt. (Abb. S. 119) Dass die Bedeutung des Lichtes auf diesen Blättern wie jene des Raumes über dessen irdische Erscheinungsformen hinaus in transzendente Bereiche, in eine Art Lichtmystik reicht, wird besonders auf zwei Knabenporträts erkennbar: Auf dem einen, malerischeren, verbinden grobe Schraffuren in leuchtend blauer Farbe die Gestalt mit dem Grund; auf dem anderen, vielleicht einem Porträt seines Sohnes Felix, ist der Kopf von einem blauen Lichtschein wie von einer Aura umgeben. (Abb. S. 120) In Zusammenhang mit diesen beiden steht der Mann mit Hasenscharte, der auch ein Faun oder ein anderes mythisches Wesen sein könnte. (Abb. S. 121) Seine Büste, die kaum Binnenzeichnung aufweist, ist ganz in ein bläuliches, unirdisches Licht getaucht und hebt sich scharf von dem Goldgelb des Grundes ab – wohl eine Anspielung auf den Goldgrund mittelalterlicher Gemälde. Hier drängt sich ein Vergleich mit einem anderen symbolistischen Künstler geradezu auf, mit dem Franzosen Odilon Redon und dessen hieratischen, reduzierten Frauenbildnissen aus den 1890er-Jahren, im


Odilon Redon, Les yeux clos, um 1894, Privatbesitz

Ludwig von Hofmann, Frühlingssturm, 1894/95, Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt

20 Paul Schad-Rossa, Georg Paul SchadRossa, München–Graz, in: Kat. zur SchadAusstellung des Steiermärkischen Kunstvereins, Graz 1900, S. 7–12, S. 12. 21 Siehe dazu auch Gudrun Danzer, Aufbruch in die Moderne?, im vorliegenden Band, S. 56. 22 Vgl. dazu ebda. S. 48–54. 23 Kat. zur Schad-Ausstellung des Steiermärkischen Kunstvereins, Graz 1900, S. 7.

Besonderen mit einer Version von Les yeux clos, einer Mariendarstellung.18 Beide Bilder erreichen durch die Reduzierung von Details, die Vereinfachung der Formen, die Flächigkeit der Darstellung und die symbolische Farbgebung von Blau und Gold eine starke Ausdruckskraft, die Vergeistigung, Versenkung und das innere seelische Leben verbildlicht. Während das Gemälde Redons jedoch klar christlich-religiös konnotiert ist, bleibt die genaue Bedeutung bei Schad-Rossa durch die Rätselhaftigkeit der Figur offen. Die Wiedergabe des Spieles von Licht und Schatten auf den Figuren führte, wie oben gezeigt, zum Entstehen ungegenständlicher Formen. Das forcierte er auf einigen Blättern durch ungewöhnliche Blickpunkte, wodurch sich Verzerrungen der Figuren und damit wiederum neue Formen ergaben. Die Blätter Liegende Bewegungsfigur, Sterbender und Weiblicher Akt als Skulptur sind dafür Beispiele. (Abb. S. 123) Auf ihnen bleibt die Bedeutung der Formen, nämlich die Wiedergabe einer menschlichen Figur, aber trotz der Verfremdungen noch eindeutig. Die Entfernung von dieser einen Bedeutung nutzte Schad-Rossa auf weiteren Blättern jedoch zu ihrer Übertragung auf andere Bereiche, etwa die Landschaft: Der Ausgestreckt Liegende kann auch als ein Berg wahrgenommen werden, ebenso der Ruhende männliche Akt vor Landschaft; umgekehrt kann man in dem Heiligen Berg das Profil einer steinernen Gottesbüste sehen. (Abb. S. 124, 125) Wagner führt in diesem Zusammenhang die zeitgenössische Kunsttheorie ins Treffen, genauer die Einfühlungslehre Robert Vischers bzw. Theodor Lipps’, wonach es zu „einer wechselseitigen Aneignung von Schauendem und Geschauten“ komme und dadurch „zur Figur als Landschaft bzw. zur Landschaft als Figur.“19 Als ein Ergebnis der beschriebenen Formexperimente könnte man das nachträglich mit Morgendämmerung (Abb. S. 127) betitelte mittelformatige Gemälde bezeichnen, auf dem eine Gruppe von drei Figuren, ein Mann und zwei Frauen, aus einer Landschaft direkt auf den Betrachter zu schreitet. In Anlehnung an Ludwig von Hofmann­s bekanntes Gemälde Frühlingssturm von 1894/95, das als „Epochenbild“ der Lebensreform der Jahrhundertwende gilt, hat Schad-Rossa hier seine Vorstellungen von einem „freien Menschenthum“20 mit den von ihm erarbeiteten künstlerischen Mitteln gestaltet. Im Bereich der Landschaftsdarstellung gelangte er mit seiner Arbeit an der Transformierung der Naturformen zum dekorativ-ornamentalen Jugendstil, wie die beiden Perspektivischen Landschaften und Am Moorbach, 1900, zeigen – Letzteres mit einem geschnitzten Rahmen, auf dem zwei Frauenakte die Landschaft auf dem Bild flankieren. (Abb. S. 128, 129) Auch das bereits erwähnte Plakat zu der Ausstellung des Grazer Künstlerbundes im Herbst 1901 gehört in diesen Zusammenhang.21 (Abb S. 72) Die großen Kompositionen, die kurz vor oder während Schad-Rossas Aufenthalt in Graz (1900 bis 1904) entstanden sind und mit denen er hier Aufsehen erregt hat, stellen die Höhepunkte seines Schaffens als symbolistischer Künstler dar.22 Es sind durchwegs Landschaften mit Figuren, wobei der Schwerpunkt meist auf Letzteren liegt. Deren oftmals vom Künstler selbst gefertigte Rahmen sollten durch die Verknüpfung des Bildraumes mit dem realen Raum den Einstieg ins Bild erleichtern. Denn das Ziel war es nicht, dem Publikum die Szenerien zur analysierenden Betrachtung gegenüberzustellen, vielmehr sollte dieses zur „liebenden Einfühlung“ in die Seelenräume des Künstlers eingeladen werden. Einer der programmatischen Sätze in seinem Katalog-Text von 1900 lautet denn auch: „Nur was man grenzenlos liebt, kann man verstehen lernen.“23 Wie erwähnt, definierte Schad-Rossa im gleichen Text die Formen der Natur – und damit auch jene der Figuren – als die gemeinsame Sprache, mit der sich der Künstler seinem Publikum verständlich machen kann. Sie seien das Ausdrucksmittel für seine


100 — 101 Gudrun Danzer

Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1808–1810, Alte Nationalgalerie, Berlin

24 Ebda., S. 9. 25 Paul Schad-Rossa, Georg Paul SchadRossa, München–Graz, S. 7–12, S. 12.

Empfindungen und „Gemüthsstimmungen“, wobei die „Wiedergabe der Form durchaus nicht so wichtig ist wie die Psyche“24 – die Naturform wird also dem Ausdrucksgehalt untergeordnet. Dies ist der Ansatz, von dem aus Schad-Rossa in seinen Bildern Landschaftsformen und Figuren stilisiert und sich vom Naturvorbild entfernt – was dann einen der Hauptpunkte der zeitgenössischen Kritik der Grazer Presse bildete, die letztlich als konservativ, weil an der realistischen Wiedergabe der äußeren Wirklichkeit orientiert, zu bezeichnen ist. Thematisch greift Schad-Rossa in diesen Kompositionen auf den mythologischen oder religiösen Bereich zurück, verwendet eigene Naturerlebnisse oder kombiniert beides. Jedenfalls geht es nicht um die Vermittlung von tradierten Bildinhalten, sondern die überlieferten Motive wie auch die persönlichen Erlebnisse dienen als Anregung für die Entfaltung eigener Fantasien und Vorstellungen zu den jeweiligen Themen. Diese berühren oft die existenziellen Gegebenheiten des Menschseins: Häufig behandelt er etwa verschiedene Facetten der Beziehung der Geschlechter wie in den Bildern Belauscht, 1898, Paradies, um 1901, Faun und Nymphe, um 1900, und Mysterium der Liebe, 1903, (Abb. S. 110, 132, 134, 139) oder er vermittelt eine tröstliche Vorstellung vom Sterben in der Todessymphonie, 1902/03. (Abb S. 133) Die Beziehung zwischen Mensch und Natur thematisieren Bilder wie Eden, 1899, Erinnerung an Süd-Tirol (Motiv aus dem oberen Fassa) oder Der schöne Tag (Motiv aus dem Padonberge in den Dolomiten), beide um 1903. (Abb. S. 130, 136, 137) Die letzten beiden gehen konkret auf eine Reise in die Dolomiten zurück, die Schad-Rossa um diese Zeit unternommen hat – er soll ein begeisterter Bergsteiger gewesen sein. Die lieblichen Landschaften, in denen sich das paradiesische Leben entfaltet, wie Eden oder Paradies, weisen meist leicht hügelige Wiesen auf, sind von Baumgruppen locker bestanden und von einem in die Bildtiefe führenden Bachlauf durchflossen. Der Horizont ist oft hoch oder gar nicht sichtbar, sodass – im Gegensatz etwa zu den weiten Landschaften der Romantik mit ihrem Fernblick – eine Konzentration auf den relativ engen Landschaftsausschnitt mit den Figuren erfolgt. Dieses Landschaftsschema ist nicht nur für Schad-Rossa paradigmatisch: Es findet sich auf einer Vielzahl von malerischen, grafischen und auch fotografischen Arbeiten der hier betrachteten Zeit. Typisch ist dabei, dass der Blick nicht in die Ferne, ins All gelenkt wird, sondern introspektiv in die eigene Seele. Während die Romantik oft den sich als klein und verloren empfindenden Menschen der allmächtigen Natur gegenübergestellt hat, wie zum Beispiel Caspar David Friedrich in Mönch am Meer, 1808–10, steht jetzt die eigene Seele im Zentrum: Sie entfaltet sich in der Natur, bzw. dient die Natur dazu, das Seelenleben zu symbolisieren. Aus heutiger Sicht, da wir die Möglichkeiten abstrakter Kunst kennen, wirkt die Ausdrücklichkeit, mit der Schad-Rossa das auf seinen Bildern umsetzt, zum Teil naiv und befremdlich. Besonders die im Paradies tanzenden Seelen (Paradies, Abb. S. 132) oder die ins Jenseits, das als Berglandschaft vorgestellt wird, entschwindende Seele (Todessymphonie), Abb. 133) vermögen wir nicht so ernst zu nehmen, wie sie gemeint waren. Sie rufen in uns heute eher Assoziationen zu den Märchen-Trickfilmen Hollywoods auf, als dass wir in ihnen Bilder für das „Mysterium des freien Menschenthums“25 erkennen könnten. An diesem Punkt liegt vielleicht überhaupt die Problematik des Symbolismus im Allgemeinen und jene des Symbolisten Schad-Rossa im Speziellen begründet: Die symbolistische Bewegung trat – zumindest aus der Sicht der Kunstgeschichtsschreibung der Moderne – sozusagen auf verlorenem Posten an. „Sie opponierte gegen das gesellschaftlich-kulturelle Establishment der […] Gründerzeit, aber zugleich gegen die Avantgarde in der Kunst. Die Symbolisten bestehen darauf, bedeutsame Inhalte an die Betrachter ihrer Werke zu übermitteln, zu einem Zeitpunkt, als die Vorreiter


der Moderne längst wissen, daß das 20. Jahrhundert eines der visuellen Experimente sein wird. Stilgeschichtlich hatten die Vertreter des Symbolismus die Zeichen der Zeit einfach nicht erkannt – oder besser: Sie akzeptierten sie nicht.“26 Am glaubwürdigsten und wohl auch gültigsten ist der Symbolist Schad-Rossa denn auch dort, wo er die Buchstäblichkeit seiner Vorstellungen zurücknimmt, und die Stilisierung der Formen am weitesten vorantreibt. Das Gemälde Eden mit seinen stark abstrahierten Naturformen und der strengen Komposition ist dafür ein gutes Beispiel.

26 Graham Allen, Hans Henrik Brummer, Hellmut Seemann, Zum Geleit, in: Ingrid Ehrhardt, Simon Reynolds (Hrsg.), Seelenreich. Die Entwicklung des deutschen Symbolismus 1870–1920, München u. a. 2000, S. 7. 27 Vgl. Velten Wagner, Die Berliner Jahre (1904–1916), in: Kat. Paul Schad-Rossa 1862–1916, S. 171–186, S. 171. 28 Vgl. Julius MeierGraefe, Der Fall Böcklin und die Lehre von den Einheiten, Stuttgart 1905, vgl. auch: Gudrun Danzer, Aufbruch in die Moderne?, S. 31–32. 29 Velten Wagner, Die Berliner Jahre (1904–1916), S. 177. 30 Vgl. Gudrun Danzer, Aufbruch in die Moderne?, S. 48–54.

Offensichtlich hat der Künstler diese Problematik auch selbst erkannt, bzw. nahm er sich die Aussagen seiner Kritiker zu Herzen oder es bewegten ihn auch finanzielle Gründe dazu: Um den Zeitpunkt seines Weggangs von Graz nach Berlin vollzog er einen Stilwandel und experimentierte in neue Richtungen. Am 4. März 1904 meldete er sich offiziell in Graz ab und übersiedelte in die deutsche Reichshauptstadt, wo er im gleichen Jahr im Kunstsalon Eduard Schulte ausstellen konnte.27 Um die Jahrhundertwende hatte Berlin München den Rang als erste Kunstmetropole Deutschlands abgelaufen. Hugo von Tschudi als Direktor der Nationalgalerie eta­blierte hier den französischen Impressionismus, Kunsthändler und Galeristen schlossen sich an. 1898 kam es zur Gründung der bald sehr einflussreichen Berliner Secession mit Max Liebermann an der Spitze, Künstler wie Max Slevogt und Lovis Corinth verlegten ihren Wohnsitz von München nach Berlin und traten hier der Secession bei. Die Entfaltung des deutschen Impressionismus in Berlin ist auch in Zusammenhang mit der Opposition gegen die Kunstpolitik Wilhelms II. und die Frankreichfeindlichkeit konservativer Maler zu verstehen. Gleichzeitig trug der „Streit um Böcklin“ zur Diskreditierung des Symbolismus bei, der in der Folge, wie bereits mehrmals erwähnt, aus der Geschichtsschreibung der Moderne verbannt wurde.28 Vor diesem Hintergrund ist die weitere Entwicklung Schad-Rossas zu sehen. Er schloss sich jedoch keiner der Künstlervereinigungen an, sondern versuchte seine Kunst über Galeristen zu vermarkten und sich in Kunstvereinen zu präsentieren. In den folgenden Jahren stellte er in verschiedenen deutschen Städten aus, 1911 dann wieder in Berlin, im Kunstsalon Keller und Reiner. 1914 wurde ihm schließlich bei der Großen Berliner Kunstausstellung ein ganzer Saal zur Verfügung gestellt. Nach 1904/05 verschwanden die mythischen und überirdischen Wesen aus den Werken Schad-Rossas und er wandte sich thematisch von dem expliziten Symbolismus der vorhergehenden Jahre ab. Der Darstellung von Frauen blieb er jedoch treu – Wagne­r bezeichnet ihn als einen „veritablen Frauenmaler“29 und begründet dies mit seiner Auseinandersetzung mit dem „Mutterrecht“ Bachofens.30 Tatsächlich kreist sein Werk der folgenden Jahre um das Thema Frau unter verschiedenen Aspekten, kaum jedoch unter jenem ihrer gesellschaftlichen Stellung. Vielmehr erscheinen die Frauen auf seinen Bildern eng mit der Natur verbunden – etwa als Badende oder Tanzende (Drei badende Frauen, 1905/08, Tanzende Frauen, 1908, Tanzstudie, 1908, Die Welle, 1914) (Abb. S. 146, 148, 149, 153) – und schließen so an die weiblichen Verkörperungen der Seelenkräfte in seinen symbolistischen Gemälden an. Stilistisch begann er zunächst stärker aus der Farbe heraus zu arbeiten. Das kündigt sich in einem kleineren Ölbild an, das thematisch noch eng mit den Kompositionen der Grazer Zeit zusammenhängt, Akt in Waldlichtung, um 1904/05. (Abb S. 143) Hier ist die Figur ähnlich wie das weiter oben besprochene Knabenporträt von einem überirdisch blauen Licht umgeben, der Wald jedoch in locker gemalte Farbflecken aufgelöst. Zwei Einblicke in einen Wald, um 1905, sowie ein Akt im Wald, um 1905/08, und ein Liebespaar, um 1905/08 (Abb. S. 142–145) sind wohl eher als Skizzen zu verstehen, zeigen aber auch diese neue Art des Umgangs mit der Farbe, der sicher auf


102 — 103 Gudrun Danzer

Ferdinand Hodler, Die Liebe (Mittleres Paar), 1907/08, Privatbesitz

Ferdinand Hodler, Der Montanasee, 1915, Privatbesitz

Schad-Rossas Auseinandersetzung mit dem französischen wie deutschen Impressionismus in Berlin zurückzuführen ist. Das Spiel von Licht und Schatten, die Aufhellung der Palette ist an Bildern wie Drei Badende Frauen, 1905/08, Zwielicht, 1908, und Dame und Ruderer, um 1909, gut zu beobachten. (Abb. S. 146, 147, 150) In gewisser Weise greift Schad-Rossa hier auf seine Genre-Bilder der Frühzeit, wie zum Beispiel Fronleichnam, 1899, (Abb. S. 106) zurück, mit ihrer Beobachtung und Darstellung der natürlichen Lichtwirkungen. Allerdings hat sich die Farbe nun teilweise von der Gegenstandsbeschreibung gelöst, wird in leuchtenden Nuancen fleckartig aufgetragen und entwickelt so mehr Eigenleben im Bild. Die Tanzenden Frauen von 1908 (Abb. S. 149) wirken wie die Übertragung der „tanzenden Seelen“, eines Bildmotivs aus seinem symbolistischen Bild Paradies, um 1901 (Abb. S. 132), ins Irdisch-Gegenwärtige. Hier geht es jedoch weniger um die Farbe als um die Wiedergabe von Bewegung, was Schad-Rossa in der vermutlich zu diesem Bild gehörenden Vorarbeit Tanzstudie, um 1908, durch eine sehr freie, fast gestisch zu nennende Pinselführung zu erreichen versucht. (Abb. S. 148) Eine Studienreise nach Spanien und Portugal im Jahr 1911 hat den Künstler neuerlich zu einem Stilumschwung veranlasst. Er wendet sich nun wieder stärker der Stilisierung der Naturformen zu, bleibt allerdings bei der impressionistisch hellen Farbigkeit. Während die um 1912 entstandenen heiteren Bilder vom Wannsee, wie das Wannseeufer, um 1912, (Abb. S. 151) noch eine sehr bewegte Pinselschrift aufweisen, kommt es in der Folge zu einer stärkeren Flächenbindung der Formen, die Schad-Rossa auch durch die Kontur, mit der er die Einzelformen nun umgibt, erreicht. Als Vorbild und Anregung können hier beispielsweise Paul Gauguin und die Gruppe der Nabis mit Maurice Denis in Frankreich genannt werden, oder auch der Schweizer Symbolist Ferdinand Hodler. Sein Einfluss ist beispielsweise in dem Gemälde Drei Schwestern, 1913, (Abb. S. 152) besonders deutlich zu spüren, aber auch in der Darstellung von zwei badenden Frauen, genannt Die Welle, 1914, (Abb. S. 153) oder in Landschaftsbildern wie Weites Gelände bei Trient, 1916, (Abb. 154) das zu den letzten Bildern gehört, die wir von Schad-Rossa kennen. Lässt man nun das Werk Schad-Rossas Revue passieren, erkennt man die Auf­ geschlossenheit eines Künstlers gegenüber den verschiedenen Ansätzen und Strömungen der Kunst, die am Beginn der Moderne stehen. Zwischen den Polen von Realismus/Impressionismus einerseits und Symbolismus/Jugendstil andererseits experimentierend, versuchte er mit seinen Bildern eine Gegenwelt zu dem von den Umwälzungen der Modernisierung geprägten Alltagsleben zu erschaffen. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, der für Europa und die Welt einen fundamentalen Umsturz der Verhältnisse bedeutete, wandte sich auch die Kunst mit neuen Mitteln anderen Fragestellungen zu. Die Kunst Paul Schad-Rossas musste nach ihrer letzten umfangreicheren Präsentation in Berlin im Jahr 1914 hundert Jahre auf ihre Wiederentdeckung warten.



104 — 105

Paul Schad-Rossa Mädchen mit Kätzchen, 1887


Paul Schad-Rossa Fronleichnamsprozession, 1890


106 — 107

Paul Schad-Rossa Fronleichnam, 1891



108 — 109

Paul Schad-Rossa Es will Abend werden, 1888


Paul Schad-Rossa Die letzte Zuflucht, um 1885/1888


110 — 111

Paul Schad-Rossa Belauscht, 1898


Paul Schad-Rossa Einsam, 1895

Paul Schad-Rossa Am Wasser, um 1893


112 — 113

Paul Schad-Rossa Weiblicher Akt, 1894

Paul Schad-Rossa Männlicher Rückenakt, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Sitzender, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Sitzender mit Stab, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Sitzender, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Mädchenakt (Pubertät), um 1894–1904


114 — 115

Paul Schad-Rossa Kleiner weiblicher Akt im Licht I, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Zwei abstrahierte Figuren, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Kleiner weiblicher Akt im Licht II, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Liebespaar, lichtumflossen, um 1894–1904


116 — 117

Paul Schad-Rossa Weiblicher sitzender Akt, seitlich, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Liegender Akt, aufgelöst, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Zwei Gestalten, um 1894–1904


118 — 119

Paul Schad-Rossa Zwei Knaben, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Stehender Rückenakt im Lichtraum, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Sitzender Mädchenakt, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Liebespaar (Adam und Eva) in Rückenansicht, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Gestalt mit ausgebreiteten Armen, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Knabenakt, um 1894–1904


120 — 121

Paul Schad-Rossa Porträt eines Knaben (Felix Schad?), um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Porträt, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Mann mit Hasenscharte, um 1894–1904


122 — 123

Paul Schad-Rossa Weiblicher Akt, Rückansicht, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Bewegungsfigur, Studie 1, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Männlicher Akt, aufsteigend, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Männlicher Akt, Konstruktion, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Akt vor schwarzem Hintergrund, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Liegender Akt auf Kubus, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Sterbender, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Weiblicher Akt als Skulptur, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Liegende Bewegungsfigur, um 1894–1904


124 — 125

Paul Schad-Rossa Ruhender männlicher Akt vor Landschaft, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Ausgestreckt Liegender, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Heiliger Berg, um 1894–1904


126 — 127

Paul Schad-Rossa Männlicher Akt, nach vor gebeugt, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Mädchen, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Morgendämmerung, um 1894–1904


128 — 129

Paul Schad-Rossa Perspektivische Landschaft I, um 1894–1904

Paul Schad-Rossa Die Straße, 1901

Paul Schad-Rossa Perspektivische Landschaft II, um 1894–1904


Paul Schad-Rossa Am Moorbach, 1900


130 — 131

Paul Schad-Rossa Eden, 1899



132 — 133

Paul Schad-Rossa Paradies, um 1901


Paul Schad-Rossa Todessymphonie, 1902/03


134 — 135

Paul Schad-Rossa Faun und Nymphe, um 1900


Paul Schad-Rossa Adagio, 1900


136 — 137

Paul Schad-Rossa Der schöne Tag (Motiv aus dem Padonberge in den Dolomiten), um 1903


Paul Schad-Rossa Hechtsee und Wilder Kaiser, um 1903

Paul Schad-Rossa Erinnerung an Südtirol (Motiv aus dem oberen Fassa), um 1903


138 — 139

Paul Schad-Rossa Die Verfluchten, 1901


Paul Schad-Rossa Mysterium der Liebe, um 1903


140 — 141

Paul Schad-Rossa Landschaft mit Bach und Häusern, um 1900


Paul Schad-Rossa Bäume mit Häusern, um 1894–1904


142 — 143

Paul Schad-Rossa Wald, um 1905

Paul Schad-Rossa Waldinneres, um 1905


Paul Schad-Rossa Akt in Waldlichtung, um 1904/05


144 — 145

Paul Schad-Rossa Akt im Wald, 1905/08


Paul Schad-Rossa Liebespaar, 1905/08


146 — 147

Paul Schad-Rossa Drei badende Frauen, 1905/08


Paul Schad-Rossa Zwielicht, 1908


148 — 149

Paul Schad-Rossa Tanzstudie, um 1908


Paul Schad-Rossa Tanzende Frauen, 1908


150 — 151

Paul Schad-Rossa Dame und Ruderer, um 1909


Paul Schad-Rossa Wannseeufer, um 1912


152 — 153

Paul Schad-Rossa Drei Schwestern, 1913


Paul Schad-Rossa Die Welle, 1914


154 — 155

Paul Schad-Rossa Weites Gelände bei Trient, 1916


Paul Schad-Rossa Fränkische Landschaft, 1916


156 — 157

Zwischen (Stimmungs-) Realismus und Symbolismus

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts suchte die Kunst überall in Europa nach Antworten auf die Fragestellungen, welche die radikalen Veränderungen der Lebensbedingungen, ausgelöst durch Industrialisierung und Modernisierung, aufgeworfen hatten. Während sich Realismus, Naturalismus und Impressionismus den äußeren Erscheinungsforme­n des modernen Lebens widmeten, suchten Symbolismus und Jugendstil „ewige“ Wahrheiten darzustellen und die Tiefen der menschlichen Seele zu erforschen. Alle diese wiederum standen als die „Modernen“ und Neuerer gegen die akademischen Traditionen von Historismus und religiöser Malerei. Der Kunst kam im kulturellen Leben ungleich größere Bedeutung zu als heute – wie anders wären die heftigen Richtungskämpfe zu verstehen, von denen die frühe Moderne begleitet wurde? Die Kunst, die zu dieser Zeit in Graz, einer Stadt zweiter Ordnung der österreichischungarischen Monarchie, entstand, spiegelt diese Entwicklungen wider. Entsprechend den Bedingungen der „Provinz“ kam es hier jedoch nicht zur Ausprägung einer eigenen Richtung. Auch der extreme Symbolismus, den Paul Schad-Rossa in den Jahren 1900 bis 1904 durchzusetzen versuchte, fand in die Werke der hier tätigen Künstler/innen nur vereinzelt Eingang. Die meisten von ihnen hatten in einem oder mehreren der europäischen Kunstzentren studiert und brachten nun jene Traditionen mit nach Graz, in denen sie ausgebildet worden waren. Außerdem orientierte man sich in Zeitschriften oder auf Reisen über das europäische Kunstgeschehen, und auch die Ausstellungstätigkeit des Steiermärkischen Kunstvereins leistete wichtige Informationsarbeit. Als Ausbildungsort für die Künstler/innen spielte neben Wien vor allem München eine wichtige Rolle, was auch mit der stark deutschnationalen Ausrichtung von Graz in Zusammenhang steht. Etliche Künstler/innen konnten sich auch während ihrer Studienaufenthalte in Paris mit der damals avanciertesten Kunst bekannt machen. Aus den genannten Gründen kann es nicht gelingen, für die Kunst in Graz in dieser Zeit eine chronologische Stil-Entwicklung zu erstellen. Aber es lassen sich inhaltliche wie formale Tendenzen erkennen, die durch die Auswahl und Gruppierung der Werke in Katalog und Ausstellung verdeutlicht werden sollen. Generell erfuhren die forcierten Positionen der verschiedenen Kunstströmungen, wie sie in den Metropolen ausgebildet wurden, in der „Provinz“ eine Mäßigung, auch weil die Künstler/innen auf die Resonanz ihres Publikums, das dort vergleichsweise konservativen Haltungen zuneigte, angewiesen waren. Charakteristisch dafür ist auch die Verschleifung und Vermischung der anderswo prägnanter ausgebildeten Haltungen miteinander. So finden sich in der Grazer Kunst dieser Zeit etwa der Realismus und der


Gustave Courbet, La falaise d’Etretat après l’orage, 1870, Musée d’Orsay, Paris

Claude Monet, Pluie à Etretat, 1886, Nasjonalgalleriet, Oslo

1 Die letztgenannte Strömung ist allerdings nicht nur ein steirisches, sondern ein österreichisches Phänomen. Anstelle des gebräuchlicheren Begriffes „Stimmungsimpressionismus“ verwenden wir den präziseren des „Stimmungsrealismus“, wie das mit guten Gründen von Otmar Rychlik vorgeschlagen wurde. Vgl. Otmar Rychlik, Zum Begriff des Stimmungsrealismus, in: Natürlichere Natur. Österreichische Malerei des Stimmungsrealismus, Kat. Kunsthaus Mürzzuschlag, 1994, S. 7–10. 2 Vgl. Paul Schad-Rossa, Georg Paul SchadRossa, München-Graz, in: Ausstellungskatalog Schad-Ausstellung, Graz 1900, S. 7–12, S. 9. 3 Vgl. die berühmten Étretat-Bilder von Gustave Courbet, 1870, und die Étretat-Serie von Claude Monet seit 1868.

Impressionismus in abgemilderter Form als „poetischer Realismus“ oder Stimmungsrealismus wieder.1 Der Letztere leitet sich stärker von der intimen Landschaftsauffassung der „Schule von Barbizon“ her als vom französischen Impressionismus, hat aber auch Wurzeln im österreichischen Biedermeier-Realismus. Formal hat der Stimmungsrealismus viele Anregungen des Impressionismus und Nachimpressionismus aufgenommen – im Wesentlichen die offene Malweise, die helle Farbpalette und den relativ freien Umgang mit der Farbe. Jedoch wird das einzelne Naturobjekt in seiner Erscheinung nicht angetastet und diese durch die Wirkung von Licht und Schatten gefährdet. Wesentlich ist, dass es dem Stimmungsrealismus in der Schilderung der Naturszenerien, die sein Hauptthema sind, im Unterschied zu der möglichst objektiven Beobachtung der Naturphänomene und deren Umsetzung im malerischen Prozess des eigentlichen Impressionismus meist um die Verbildlichung einer subjektiven „Stimmung“ geht. Diese kann in der Natur selbst gesucht oder aber auf die Natur übertragen werden. Damit befinden wir uns aber bereits in der Nähe der Intentionen des Symbolismus, der zumindest in der Variation, die Schad-Rossa vertrat, die Naturformen über die psychologische Einfühlung, zum „Ausdruck des Seelenlebens“, einsetzte.2 Da aber die Gegenstände der Darstellung im Stimmungsrealismus wie im Symbolismus die Träger der Stimmung bzw. der Erzählung sind, die vermittelt werden soll, kann folgerichtig auch nicht auf sie verzichtet werden. Wie klein der Schritt zwischen der stimmungsrealistischen und der symbolistischen Naturschilderung sein kann bzw. auf welche Weise diese sich vermischen, zeigt eine Folge von Meereslandschaften steirischer Künstler, die zwischen 1888 und 1914 entstanden sind: Alfred Zoffs Hafenmotiv an der Riviera, 1888, (Abb. S. 160) weist einerseits – in der Architektur und den Segeln – eine Verfestigung der Formen auf, wie sie der Spät- und Nachimpressionismus entwickelt hat, andererseits sind die Spiegelungen des Lichts auf dem Wasser ganz vorne in impressionistischer Lockerheit und Buntheit gemalt. Vermittelt wird eine beschauliche Abendstimmung. Einen dramatischeren Stimmungs- und damit Gefühlsgehalt erreicht Konrad von Supanchich, der während dessen Grazer Zeit Schüler von Schad-Rossa war, mit einem ähnlichen Motiv auf seinem Gemälde Hafen in Lovrano bei Scirocco, 1907. (Abb. S. 161) Er dreht den Blick um – wir schauen auf das offene Meer hinaus, mit den vom Sturm herangewehten Wolken darüber und den windgepeitschten Bäumen davor. Demgegenüber erscheinen die beiden Gemälde von Carl O’Lynch of Town, Bei Nervi, 1898, und von Josef Heu, Am Meeresstrand, 1899, nüchterner. (Abb. S. 162, 163) O’Lynch folgt dem bei Realisten wie Impressionisten beliebten Motiv der Felsen am Meer,3 konzentriert den Bildausschnitt auf das nahe und von oben gesehene Hauptmotiv und schließt den Horizont durch undifferenzierte helle und dunkle Farbflächen. Das bewegte Wasser und die Gischt sucht er durch getupfte und grob hingestrichene weiße Farbe wiederzugeben. Auf eine ähnliche, in der Tradition der realistischen Malerei stehende Weise bemüht sich Heu um die Darstellung der brechenden Wellen am Strand. Durch die Öffnung des Horizontes und die Weitung des Blickes, der auf keine Beschränkungen trifft, bekommt die Szenerie jedoch eine romantische Note, die über ihren Realismus hinaus und auf Psychisches hinweist. Dieses Element ist auch auf der Nordischen Küstenlandschaft, um 1910, (Abb. S. 165) von Karl Berger zu finden: Das Meer ist hier ruhig, die untergehende Sonne hinter Wolken verborgen, der Horizont durch Berge verstellt. Dennoch lädt das Gemälde dazu ein, sich durch einfühlende Betrachtung in diese Landschaft zu versenken – die Seele könnte etwa den Vögeln über das Wasser und in die Ferne hinter den Bergen folgen. Wenig bekannt war bislang, dass Hanns Wagula, der in der Zwischenkriegszeit renommierte Werbegrafiker, in seiner Frühzeit symbolische Landschaften gemalt hat. Sein Sturm im Hafen, 1914, (Abb. S. 164) war im Entstehungsjahr in der Wiener Secession


158 — 159 Gudrun Danzer

Arnold Böcklin, Toteninsel, 1880, Metropolitan Museum of Art, New York

4 Böcklin hat das Bild in fünf Versionen 1880–86 gemalt; der Titel stammt übrigens von dem Berliner Kunsthändler Fritz Gurlitt, Bruder des Grazer Archäologieprofessors Wilhelm Gurlitt. Vgl.: http:// de.wikipedia.org/ wiki/Die_Toteninsel, Zugriff: 11.10.2014. 5 Vgl. Antje Senarclens de Grancy, „Unsere verrückte Zeit“. Interferenzen und Konkurrenzen in der Architektur in Graz um 1900, im vorliegenden Band, S. 87–89.

ausgestellt und konnte kürzlich für die Sammlung der Neuen Galerie Graz erworben werden. Auch Wagula lenkt den Blick auf das offene Meer hinaus, stilisiert jedoch, wohl beeinflusst vom Jugendstil, nun die Gischt wie auch die Architektur. Er vergegenwärtigt die elementare Gewalt des Meeres – deren Böcklin’sche Verkörperungen sich assoziativ in Reichweite befinden. Auf dem Charon, 1900, (Abb. S. 166) von Carl O’Lynch, dem letzten Bild dieser Reihe, tritt uns eine davon dann explizit gegenüber: In Anlehnung an die auch damals schon sehr bekannte Toteninsel Arnold Böcklins4 ist der Fährmann hier im Begriff, die verstorbene Seele aus seinem Kahn in das Land des Jenseits steigen zu lassen. Die nahe gesehene Felsinsel stellt also auch ganz buchstäblich keine reale, sondern eine symbolische Landschaft dar. Ähnliche Vermischungen zwischen Realem, Stimmungshaftem und Psychischem, wie an den Meereslandschaften vorgeführt, kamen bei der Behandlung ganz unterschiedlicher Themen zur Anwendung. Das Blühende Mohnblumenfeld in der Steiermark, um 1896, (Abb. S. 169) von Marie Egner birgt neben der nahsichtigen realistischen Schilderung des Mohns auch eine Erzählung, die das Gemälde ins Idyllische wendet: Im Hintergrund sind die Häuser und die Kirche eines Dorfes zu sehen, auf das eine Frau mit Sonnenschirm zugeht. Sie ist zwar aufgrund der Farbgebung und der geringen Größe der Gestalt kaum zu erkennen, trägt aber doch das narrative Element der Darstellung. In Relation zu diesem Gemälde wie auch in Beziehung zu dem großen Fronleichnamsbild, 1891, von Schad-Rossa, (Abb. S. 106) könnte man das Kirchportal mit Kirchgängern, um 1910, (Abb. S. 170) von August Kurtz-Gallenstein sehen. Alle drei weisen bei realistisch-pleinairistischer Malweise religiöse Bezüge auf. Sinnende Mädchen und Frauen sind ein Topos sowohl der romantischen als auch der symbolistischen Malerei, wird den Frauen doch traditionell eher das (Ein-)Fühlen denn das Denken zugeschrieben. Ganz in die Natur als eine weitgehend in Farbflecken aufgelöste Landschaft eingebunden ist das Mädchen auf Blumenwiese, um 1895, (Abb. S. 168) ebenfalls von August Kurtz-Gallenstein, das in die Betrachtung einer Blüte versunken ist. Die Frauen auf den beiden Fensterbildern von Marie von Baselli (Trauer, um 1910) und von Friederike von Koch-Langentreu (Die Genesende, um 1900) befinden sich hingegen im Inneren des Hauses und blicken hinaus. (Abb. S. 174, 175) Das Thema ist eine Variation des romantischen Motivs, das dort die Sehnsucht symbolisierte. Hier scheinen die beiden Frauen, symbolistischen Intentionen folgend, eher mit dem eigenen Inneren befasst zu sein. Beiden Malerinnen gibt das Motiv aber auch Gelegen­heit, die Wirkungen von Licht und Schatten in impressionistisch-lockerer Malweise vorzuführen. Ob die beiden Bilder direkten Bezug aufeinander nehmen, wäre ebenso noch zu klären wie die Verbindungen zwischen den beiden Künstlerinnen, deren Geburtsjahre nur vier Jahre auseinanderliegen. Eine Verbindung zwischen Graz und dem Wiener Jugendstil stellt Marcel Kammerers Der Goldene Engel, 1902, (Abb. S. 173) her. Der Wiener Architekt und Otto-WagnerSchüler plante den bedeutendsten Grazer Jugendstil-Bau, den Zubau zum Grand Hotel Wiesler und dessen Inneneinrichtung (1907–09).5 In diesem Zusammenhang entstand das Gemälde, das typische Elemente der Wiener Jugendstilarchitektur, eine sinnende Frau mit Blumen und einen realistisch gemalten Ausblick auf den Grazer Schlossberg miteinander vereint. Georg Weineiss vergegenwärtigt in seiner monumentalen Versuchung des heiligen Antonius von 1890 (Format: 320 × 200 cm) ein Ereignis aus ferner Vergangenheit. (Abb. S. 171) Die Versuchung in der Form eines im Lichtkegel schwebenden Frauen­ aktes überkommt den Heiligen mit Tonsur und Mönchskleidung auf einer sehr


heimatlich wirkenden Blumenwiese. Mehr hingebungsvoll als abwehrend blickt er zu der Licht­gestalt auf, mit der er durch einen Schwarm von Schmetterlingen – traditionellen Symbolen für die Seele – verbunden ist. Das Gemälde, eine Schenkung des Künstlers an die Landesbildergalerie anlässlich seiner Ausstellung im Steiermärkischen Kunstverein im Jahr 1899, wird hier vermutlich zum ersten Mal seither gezeigt und ist eine der Entdeckungen im eigenen Depot, die anlässlich dieses Projektes gelangen. Es kann, wie auch einige Bilder Schad-Rossas, die Problematik des Symbolismus auf­zeigen, Seelisches durch Natürliches darstellen zu wollen und macht in seiner – zumindest für uns heutige Betrachter – Skurrilität die lang andauernde Diskreditierung dieser Kunstströmung verständlich. Drei Porträtdarstellungen leiten schließlich zum nächsten Kapitel über: Anton Marussigs Bildnis des Grazer Komponisten, Musiktheoretikers und Wagnerianers Friedrich von Hausegger, 1899, (Abb. S. 172) kombiniert ähnlich wie das Gemälde von Marcel Kammerer den Realismus in der Menschendarstellung – Marussig hat in München studiert – mit Formen des ornamentalen Jugendstils. Die beiden Frauenporträts von Ernst Wagner, Porträtkopf einer jungen Frau, um 1900, und von Rita Passini­, Abend, um 1910, (Abb. S. 176, 177) nehmen wiederum den Typus der sinnenden Frau auf, der aber nun, anders als in den beiden erwähnten Fensterbildern, in einer reduziertstilisierten Formensprache umgesetzt wird. Gudrun Danzer


160 — 161

Alfred Zoff Hafenmotiv an der Riviera, 1888


Konrad von Supanchich Hafen in Lovrano bei Scirocco, 1907


162 — 163

Carl O’Lynch of Town Bei Nervi, 1898


Josef Heu Am Meeresstrand, 1899


164 — 165

Hanns Wagula Sturm im Hafen, 1914


Karl Berger Nordische Küstenlandschaft, um 1910


166 — 167

Carl O’Lynch of Town Charon, 1900


Ferdinand Pamberger Requiescat in pace, 1897


168 — 169

August Kurtz-Gallenstein Mädchen auf Blumenwiese, um 1895


Marie Egner Blühendes Mohnfeld in der Steiermark, um 1896


170 — 171

August Kurtz-Gallenstein Kirchenportal mit Kirchgängern, um 1910


Georg Weineiss Die Versuchung des Hl. Antonius, 1890


172 — 173

Anton Marussig Bildnis Friedrich von Hausegger, 1899


Marcel Kammerer Der goldene Engel, 1902


174 — 175

Marie Baselli Trauer, um 1910


Friederike Koch-Langentreu Die Genesende, um 1900


176 — 177

Ernst Wagner Porträtkopf einer jungen Frau, um 1900


Rita Passini Abend, um 1910


178 — 179

1 Vgl. Gudrun Danzer, Paul Schad-Rossa (1862–1916). Ein wiederentdeckter Symbolist, im vorliegenden Band, S. 96–97. 2 Vgl. Paul Schad-Rossa, Georg Paul-SchadRossa. München–Graz, in: Ausstellungskatalog Schad-Ausstellung, Graz 1900, S. 9. 3 Peter Weibel, Ära der Absenz, in: Peter Weibel, Ulrike Lehmann (Hg.), Ästhetik der Absenz. Bilder zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, München/Berlin 1994, S. 10–26, S. 12. Mit Dank für die Information über diese Publikation an Susanne Watzenböck, kuratorische Assistentin bei diesem Projekt. 4 Hermann Ubell an Hermann Bahr, Brief, o. D. [Herbst 1900], Österreichisches Theatermuseum Wien. 5 Vgl. Gudrun Danzer, Aufbruch in die Moderne? Paul SchadRossa und die Kunst in Graz, im vorliegenden Band, S. 37 und 56.

Symbolismus und Stilisierung

Der Symbolismus war, wie bereits erläutert,1 eine europäische Geistesströmung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, an der alle Kunstformen – Literatur, Musik und bildende Kunst – Anteil hatten. In der bildenden Kunst lässt er sich nicht mit einem einzigen formalen Stil in Zusammenhang bringen. Vielmehr suchten die Künstler/innen unterschiedliche Möglichkeiten, seine Anliegen – die Darstellung von Vision, Traum, Intuition, Gefühl, den „ewigen“ Wahrheiten aus den Religionen und Märchen – ins Bild zu bringen. Dies geschah zunächst mit den Mitteln, die dafür zur Verfügung standen, jenen der gegenständlichen Malerei, wie Schad-Rossa das auch ausgesprochen hat.2 Peter Weibel sieht in den Intentionen des Symbolismus, etwas Abwesendes, Immaterielles auf figurative Weise darzustellen, fundamental eine Tendenz zur Abstraktion und bringt diese mit der Entwicklung der „eigentlichen Abstraktion“ in der Kunst in Zusammenhang. Unter diesem Aspekt plädiert er auch für die Wiederaufnahme des Symbolismus in die Kunstgeschichtsschreibung der Moderne, aus der andernfalls auch der Surrealismus auszuscheiden wäre. Er schreibt: „Die symbolische Malerei nähert sich auf ihre Weise der Immaterialität. In dem Maße, in dem sie die sichtbare Welt untergräbt und das figurativ darstellt, was die Welt verlassen hat, und indem sie figurativ darstellt, was die sichtbare Welt nicht zulässt, die spirituelle, die unsichtbare Welt, malt sie die Absenz. Gustave Moreau beschrieb die symbolistische Malerei in der Tat als ,Manifestation des Traums und der Immaterialität‘ […]. Kandinskys ,Das Geistige in der Kunst‘ (1912) und der Surrealismus, eine weitere Form figurativer Darstellung des Unsichtbaren, Abwesenden, Unbewußten, Undarstellbaren, kündigen sich an.“3 Konsequenterweise führten die Versuche der symbolistischen Künstler, Ausdrucksformen für ihre Inhalte zu finden, dann auch weg von den gegenständlichen Darstellungsweisen und in die Abstraktion, wie beispielsweise im Jugendstil mit seiner Stilisierung der Naturformen und seinem omnipräsenten Ornament. Die zeitgenössische Bezeichnung für einen Künstler, der auf diese Weise arbeitete, wie etwa Paul SchadRossa, war „decorativer Stilist“.4 Jedoch musste hinter der Formalisierung der Naturformen nicht notwendigerweise das symbolistische Gedankengut stehen. Das beweist die rational-analytische Herangehensweise an die Abstraktion durch einen Künstler wie Adolf Hölzel.5 Diese beiden Bewegungen – die Suche nach Ausdrucksformen für etwas Unsichtbares und die Arbeit an den Wirkungsmöglichkeiten ungegenständlicher, aus der Natur abgeleiteter Formen im Bild – überkreuzen und verschleifen sich in der Kunst der frühen Moderne auch in der Steiermark auf vielfältige Weise.


6 Vgl. die Korrespondenz zwischen Unterholzer und Wolfbauer im Künstlerarchiv der Neuen Galerie Graz.

In der steirischen Kunst der Jahrhundertwende sind die Manifestationen eines reinen Symbolismus in größeren Kompositionen nicht allzu häufig. Auch die Anwesenheit Schad-Rossas in Graz hat auf die Kunst selbst langfristig nur wenig Einfluss ausgeübt. Etliche der Künstler/innen näherten sich dem Gedankengut und seinen Ausdrucksformen während einer begrenzten Zeitspanne, um sich dann publikumsfreundlicheren Themen und Inhalten zuzuwenden. Jene wenigen, die der figurativen Darstellungsweise des Unsichtbaren in der von ihnen um 1900 entwickelten Form treu blieben, wie zum Beispiel Daniel Pauluzzi oder Franz Josef Unterholzer, gerieten ins Abseits und sind heute nahezu vergessen. (Ihre Wiederentdeckung könnte durchaus lohnend sein und bislang nicht gesehene Aspekte und Zusammenhänge zutage bringen.) Das Thema der Frau als Verkörperung von Naturkräften oder seelischen Befindlichkeiten nehmen Leo Diet und Constantin Damianos auf. Diets Gemälde von 1903 (Abb. S. 183) verbildlicht das romantische Sehnsuchtsmotiv der „blauen Blume“ in realistischer Formensprache und lässt uns heute nach unseren Kriterien für die Definition von Kitsch fragen. Drei tanzende Mädchenakte in einer locker gemalten Landschaft mit blühendem Baum repräsentieren für Damianos den Frühling, 1905. (Abb. S. 182) Er bedient sich hier eines Leitmotivs symbolistischer Kunst, mit dem sich außer vielen anderen beispielsweise auch Schad-Rossa auseinandergesetzt hat. (Abb. S. 132, 149) Der historistische Bildhauer und Freund Peter Roseggers, Hans Brandstetter, greift ebenfalls auf Frauenakte zurück. Er bringt mit ihrer Hilfe das den Menschen auferlegte, rätselhafte und grausame Los zur Darstellung. Mit seinem von einem zart ornamentierten Holzrahmen eingefassten dreiteiligen Relief Schicksal, 1901, (Abb. S. 189) nähert er sich dem Symbolismus ebenso wie mit einigen Werken der Grabplastik, die er um diese Zeit schuf. Den gleichen Titel Schicksal tragen eine Bronzeplakette und eine Statuette von Franz Josef Unterholzer. (Abb. S. 190, 191) Der Rodin-Schüler hat das komplizierte esoterische Programm, das er auf seinen später preisgekrönten, um 1910–12 entstandenen Plaketten entfaltet, 1923 auf einer kleinen Holzskulptur für seinen Grazer Förderer Georg Wolfbauer zusammengefasst.6 Während die Plaketten Stilmerkmale des belgischen (George Minne) und Wiener (Gustav Klimt) Jugendstils aufweisen, erinnert der stilisierte Frauenakt der Statuette an das Figurenideal Michelangelos. Gustinus Ambrosi hingegen setzt eine männliche Aktdarstellung und ein biblisches Thema ein, um den Ausdruck tiefster Verzweiflung zu verbildlichen: Der Entwurf für seinen Kain entstand 1912. (Abb. S. 188) Daniel Pauluzzi, übrigens ein Förderer und Bewunderer des als Künstlergenie gelten­ den Ambrosi, dessen Porträt er mehrmals in seinen Kompositionen verwendete, bemühte sich zeit seines Lebens um die Darstellungsmöglichkeiten von grundlegenden Wahrheiten und Gegebenheiten des menschlichen Daseins mit den Mitteln der figurativen Malerei. Er hatte in München unter anderen bei dem Symbolisten Franz Stuck studiert. Auf seinem monumentalen Gemälde Föhn und Lawine, um 1910, (Abb. S. 185) bringt er die spannungsgeladene Beziehung der Geschlechter in der Form eines weiblichen und eines männlichen Aktes zur Anschauung. Die plastisch durchgearbeiteten Figuren, die sich ebenfalls an Michelangelo orientieren, kontrastiert er mit einem flächig gemalten, stilisierten Hintergrund von beinahe surrealer Farbigkeit. Pauluzzi hat auch eine Reihe von Landschaften und Stillleben geschaffen, in denen er seine malerische Virtuosität in einer impressionistisch-lockeren Malweise unter Beweis stellt. Eine Kombination von realistischer Landschaftsdarstellung und mythologischer Thematik bietet etwa sein kleines Bild Landschaft mit Faun, um 1910. (Abb. S. 192) Ebenfalls in den Bereich der Märchen und Mythen führen uns die beiden Freunde Leo Grimm und Fritz Silberbauer. Während Grimm seinen Märchenwald, 1916, explizit durch zwei Figuren, von denen eine in einem Buch liest, belebt, gibt Silberbaue­r uns in seinem Urwald in der Bukowina, 1909, einen Einblick in einen menschenleeren und


180 — 181 Gudrun Danzer

7 Uraufführung 1898 in München, Erstveröffentlichung in Buchform 1900; vgl. de.wikipedia.org/wiki/ Der_Tor_und_der_Tod, Zugriff am 12.10.2014. 8 Vgl. dazu auch: Agnes Husslein-Arco, Alexander Klee (Hg.), Formalisierung der Landschaft. Hölzel, Mediz, Moll u. a., Kat. Belvedere, München 2013. 9 So der Titel des epochalen Aufsatzes von Adolf Hölzel in: Ver Sacrum, Wien 1901, Heft 15, S. 246–254. 10 Das Bild in der Ausstellung gehört dem Kulturamt der Stadt Graz, die Neue Galerie Graz besitzt eine zweite, nahezu identische und gleich große Version davon aus dem gleichen Jahr.

real existierenden Wald, der aber nichtsdestoweniger fantastisch und märchenhaft wirkt. (Abb. S. 192, 193) Die Vorstellung von dort wohnenden Wesen, die nicht unserer konkreten Realität angehören, überlässt er unserer Einbildungskraft. Ausdrücklicher widmete sich Silberbauer dem Bereich des Fantastischen und Jenseitigen in den zehn Radierungen des Zyklus Der Tor und der Tod, 1913–1921 nach dem „lyrischen Drama“ von Hugo von Hofmannsthal, 1893.7 (Abb. S. 195–197) Die Entwürfe für diese Blätter sind noch während seiner Studienzeit bei Ferdinand Schmutzer an der Wiener Akademie entstanden; die Ausführung erfolgte teilweise erst in den Jahren 1920/21. Während der reine Symbolismus in der Malerei steirischer Künstler/innen eine rasch vorübergehende Erscheinung war, übten bestimmte Bild­muster, die auf dem Weg der Stilisierung und Formalisierung der Landschaft8 gefunden worden waren, eine überaus weitreichende Wirkung aus. Motive wie der in die Bildtiefe führende Bach, die sich im Wasser spiegelnden Bäume, der einzelne Baum gegen einen hohen Himmel oder die bildparallele Baumreihe nahmen geradezu zeichenhaften Charakter an und wurden in allen Medien – Malerei, Grafik und auch Fotografie – in unzähligen Variationen ins Bild gebracht. Je nach Darstellungsweise und -absicht waren sie jeweils mehr oder weniger mit symbolischen Inhalten aufgeladen. Formprinzipien waren unter anderen die Zusammenfassung und Vereinfachung der Formen unter Eliminierung der Binnenzeichnung, die Flächigkeit der Darstellung und Unterdrückung des Tiefenzuges der Perspektive (damit ließ sich bei den in die Tiefe führenden Bächen und Wegen besonders gut experimentieren), sowie das scharfe Gegeneinandersetzen von Licht- und Schatten-Partien – letztlich alles Versuche, um die Wirkung der „Formen und Massenvertheilung im Bilde“9 und damit jene von abstra­hierten Naturformen zu erproben. Ins Monumentale gesteigert erscheint diese Form der Landschaftsmalerei im Gebirgssee, 1905, (Abb. S. 199) von Victor Mytteis, der sich in seinem sonstigen Schaffen als Vertreter des Stimmungsrealismus erweist, wobei die Grenzen zwischen der Formalisierung und dieser Richtung nicht nur bei Mytteis ohnehin fließend sind. Das Motiv der einzelnen Bäume oder Baumgruppen gegen den Himmel gesehen zelebriert Constantin Damianos in seiner Landschaft mit zwei Birken, um 1900, und in der Gewitterstimmung, 1904. (Abb. S. 201, 200) Besonders das letztgenannte Bild beweist durch das narrative Element der beiden Figuren wiederum die Tatsache der flexiblen Grenzen zwischen den Richtungen. Bei Felix Kraus’ Vorfrühling in Filzmoos, 1909, (Abb. S. 203) ist das Motiv stärker ins Ornamentale entwickelt, was ebenso für sein Nachtstück, 1907, einen farbigen Holzschnitt, gilt. (Abb. S. 202) Der Neu-Dachauer Landschaftsschule mit Ludwig Dill, Arthur Langhammer und – vor allem – Adolf Hölzel (siehe auch dessen Buntstiftzeichnung Farbklänge von 1929, Abb. S. 229, ein Blatt, das Rita Passini der Neuen Galerie Graz als Legat überlassen hat) kam eine Vorreiterrolle bei der Formalisierung der Landschaft zu. Sie war von der im Freien gemalten, intimen Landschaft der Schule von Barbizon ausgegangen und hatte durch den wiederholten Aufenthalt von etlichen steirischen Künstlerinnen und Künstlern in Dachau größten Einfluss auf die steirische Malerei. Aus ihr war auch Alfred von Schrötter hervorgegangen, der in seiner Meisterklasse an der Landeszeichenakademie bzw. Landes-Kunstschule ab seiner Berufung im Jahr 1900 eine Vielzahl von steirischen Künstlern in diesem Sinne ausbildete. 1909 malte er Die alte Königsmühle bei Graz, (Abb. S. 204) eine Winterlandschaft, in der sich die Baumreihe gegen den hellen Himmel und den Schnee in scharfem Kontrast absetzt.10 Dass Friederike von KochLangentreu sich in Dachau aufgehalten hat, ist dokumentarisch nicht belegt, wohl aber Studien der Künstlerin im nahen München. Ihre mit schwungvollem Pinselstrich gemalte Birkenallee, 1904, (Abb. S. 205) fügt sich in die dort gepflegte Auffassung. Die Freunde und Schrötter-Schüler Leo Grimm und Franz Hofer verbrachten beide um 1910 einige Zeit in Dachau. Grimms Dachauer Moor, 1911, (Abb. S. 206) versucht das Motiv der Baumgruppe stark an die Fläche zu binden, zwischen den „positiven“


Formen der Bäume entstehen deutlich – wie von Hölzel thematisiert und gefordert – die „negativen“ Formen der Himmelsausschnitte. Hofer wählt in seiner Schneelandschaft, um 1908, (Abb. S. 207) einen sehr engen Bildausschnitt und lässt in der mit lockerem Pinselstrich wiedergegebenen Oberflächenstruktur ebenfalls neue, ungegen­ ständliche Formen entstehen. Eine direkte Schülerin Hölzels in Dachau war Elfriede von Coltelli-Plaichinger. 1908 setzte sie die dort entwickelten Formprinzipien – das Kontrastieren von hellen und schattigen Partien sowie die Ornamentalisierung der Naturformen – in ihrer großformatigen Ansicht eines Kurgebäudes in Bad Neuhaus um. (Abb. S. 209) Damit gut vergleichbar ist die Ansicht des Grazer Domes, 1914, (Abb. S. 208) von Schrötter selbst, die er im Auftrag der Stadt Graz malte, welche sie wiederum laut Aufschrift auf dem Rahmen dem „Belgieroffizierskorps zur 50-jährigen Oeversee-Feier“ widmete. Schrötte­r verwendet dort das Astwerk von kahlen Bäumen, um fast die gesamte Bildfläche mit einem ornamentalen Gespinst zu überziehen. Ebenfalls weitgehend stilisiert und zusätzlich mit Stimmung aufgeladen ist der Winter­ abend, 1906, (Abb. S. 198) von Ferdinand Pamberger, der 1902 nach seiner Ausbildung in Wien als Lehrer an die Staatsgewerbeschule nach Graz berufen wurde. Da Pamberger später vor allem mit relativ nüchternen Landschaftsschilderungen bekannt wurde, über­ raschen seine frühen, symbolisch aufgeladenen Gemälde, zu denen auch das Requiescat in Pace, 1897, (Abb. S. 167) eine Magdalenen-Darstellung, gehört, das während seiner Tätigkeit im Atelier des Wiener Jugendstilkünstlers Eduard Veith entstanden ist. Das Motiv von Bäumen und Büschen an einer Wasserstelle greift Carl O’Lynch of Town um 1900 mit dem Pastell einer Herbstlandschaft auf. (Abb. S. 210) Die Schraffuren, mit denen er das Blatt überzieht, könnten auf den Einfluss Schad-Rossas zurück­ gehen, wie bei einem Vergleich etwa mit dessen Knabenporträt ersichtlich wird. (Abb. S. 120) Auch ein weiteres Pastell von O’Lynch, die Landschaft mit Bach und Baumgruppe, um 1900, (Abb. S. 211) weist in diese Richtung – als Vergleichsbeispiel sei hier Schad-Rossas Kreidezeichnung Die Straße genannt. (Abb. S. 128) In den näheren Umkreis Schad-Rossas führen auch die Arbeiten jener Künstler, die sich an der Zeitschrift Grazer Kunst beteiligt haben. Ludwig Presuhn versucht mit zwei Lithografien den erwähnten Bildschemata gerecht zu werden, (Abb. S. 212) Konra­d von Supanchich gelingt es mit seinem Pastell Ausfahrt der Fischerboote von 1912 die dunstige Stimmung am Meer bei Morgengrauen einzufangen. (Abb. S. 213) Die Blätter von Margarete Supprian, einer Schülerin Schad-Rossas, die ihm von München nach Graz gefolgt war, eignen sich besonders gut, die Parallelen und Wechselwirkungen zwischen der Malerei und Grafik einerseits und der Fotografie andererseits in dieser Zeit aufzuzeigen. Vergleicht man Supprians Radierung Am Bach, ihre Kreidezeichnung Dorf im Tal, beide um 1900, (Abb. S. 214, 215) oder die 1901 in der Grazer Kunst veröffentlichte Lithografie Aus der Sottoguda in den Dolomiten (Abb. S. 17) mit Fotos von Hugo Haluschka (z. B. Bauernhof am Bach, um 1910, Schöckl von Norden, 1907, (Abb. S. 214, 215) oder Viktor Bauer (z. B. Weizklamm, 1905, Abb. S. 219), wird deutlich, wie sehr sich die Kunstfotografie des Piktorialismus damals an den Motiven und Ausdrucksformen der bildenden Kunst orientiert hat. Umgekehrt vermeint man bei schnellem Hinsehen mit Karl Maders Kohlezeichnung Auen bei Fürstenfeld, 1901, (Abb. S. 216) eine Fotografie vor Augen zu haben. In diesem Zusammenhang seien einige weitere Fotografien von Bauer erwähnt, in denen er das grafische Element von Bäumen zur Bildkomposition einsetzt: Zypressenhain bei Kastell Arco, 1902, Motiv an den Murauen sowie eine Stadtparkstudie, beide 1903. (Abb. S. 219, 220, 221) Der Jurist Adolf Ledenig schließlich, der auch als Fotograf und Grafiker tätig war, wendet die besprochenen Formprinzipien in beiden Medien an – wir zeigen hier zwei seiner Radierungen, beide um 1910. (Abb. S. 219) Gudrun Danzer


182 — 183

Constantin Damianos Frühling, 1905


Leo Diet Die blaue Blume, 1903


184 — 185

Alwine Hotter Der Kuss, 1915


Daniel Pauluzzi Föhn und Lawine, um 1910


186 — 187

Daniel Pauluzzi Allegorie auf die Zeit, um 1900


Daniel Pauluzzi Die Musik, um 1900


188 — 189

Gustinus Ambrosi Kain, Entwurf 1912, Guss 1920


Hans Brandstetter Schicksal, 1901


190 — 191

Franz Josef Unterholzer Allegorie: Alpha / Omega, 1911

Franz Josef Unterholzer Allegorie: Die Weisheit, um 1910

Franz Josef Unterholzer Allegorie: Das Schicksal, um 1910 (Dem Kleinen thut das Schicksal nichts)

Franz Josef Unterholzer Allegorie: Das Kind, 1912


Franz Josef Unterholzer Schicksal, 1923


192 — 193

Daniel Pauluzzi Landschaft mit Faun, um 1910

Leo Grimm Märchen, 1916


Fritz Silberbauer Urwald in der Bukowina, 1909


194 — 195

Franz Köck Karfreitag, um 1905


Fritz Silberbauer Der Tor und der Tod I–X, 1913–1921 (nach Hugo von Hofmannsthal) I „So malen Meister von den frühen Tagen Die Wolken, welche die Madonna tragen.“ II „Ich hab mich so an Künstliches verloren, Daß ich die Sonne sah aus toten Augen ...“


III „Ich habe solche Menschen nie gesehn, ...“

IV „Musik? Und seltsam zu der Seele redende!“

V „Ein Knabe stand ich so im Frühlingsglänzen ...“

VI „Geh weg! Du bist der Tod. Was willst du hier?“


VII „Ein Mutterleben, nun, ein Drittel Schmerzen, Eins Plage, Sorge eins.“

IX „Halbfertige Gefühle, meiner Seele Schmerzlich geborne Perlen, nahmst du mir Und warfst sie als dein Spielzeug in die Luft, ...“

VIII „Es war doch schön ... Denkst du nie mehr daran?“

X „Wie wundervoll sind diese Wesen, Die was nicht deutbar, dennoch deuten, ...“


198 — 199

Ferdinand Pamberger Winterabend, 1906


Viktor Mytteis Gebirgssee, 1905


200 — 201

Constantin Damianos Gewitterstimmung, 1904


Constantin Damianos Landschaft mit zwei Birken, um 1900


202 — 203

Felix Kraus Ein Nachtstück, 1907

Cora Lauzil Bergwiese, 1912


Felix Kraus Vorfrühling in Filzmoos, 1909


204 — 205

Alfred von Schrötter-Kristelli Die alte Königsmühle bei Graz, 1909


Friederike Koch-Langentreu Birkenallee, 1904


206 — 207

Leo Grimm Dachauer Moor, 1911


Franz Hofer Schneelandschaft, um 1908


208 — 209

Alfred von Schrötter-Kristelli Dom zu Graz, 1914


Elfriede von Coltelli Bad Neuhaus (Untersteier), 1908


210 — 211

Carl O’Lynch of Town Herbstlandschaft, um 1900


Carl O’Lynch of Town Landschaft mit Bach und Baumgruppe, um 1900


212 — 213

Ludwig Presuhn Wintersonne, 1902

Ludwig Presuhn Wintermorgen, 1902


Konrad von Supanchich Ausfahrt der Fischerboote, 1912


214 — 215

Hugo Haluschka Bauernhof am Bach, um 1910

Margarete Supprian Am Bach, um 1900


Hugo Haluschka Schöckl von Norden, 1907

Margarete Supprian Dorf im Tal, um 1900


216 — 217

Alois Penz Murufer bei Frohnleiten, 1906

Karl Mader Auen bei Fürstenfeld, 1901


Hugo Haluschka Gratwein, 1906

Alois Penz Flusslandschaft mit Weiden und Haus, um 1900/1905


218 — 219

Viktor Bauer Kastell Arco, Blick auf den Kurort, 1903

Hugo Haluschka Riva am Gardasee, 1908


Viktor Bauer Kastell Arco, Zypressenhain, 1902

Adolf Ledenig Zypressenallee, um 1910

Adolf Ledenig Blick auf nächtliche Straße, um 1910

Viktor Bauer Weizklamm, 1905


220 — 221

Viktor Bauer Motiv in den Murauen, 1903


Viktor Bauer Stadtparkstudie, Allee bei Denkmal für Moritz Ritter von Franck, 1903


222 — 223

1 Vgl. z. B. Albert Muller, La seconde guerre de trente ans, 1914–1945, Brüssel/Paris 1947; Arno Mayer, Der Krieg als Kreuzzug. Das Deutsche Reich, Hitlers Wehrmacht und die „Endlösung“, Hamburg 1989.

Nachwirkungen in der Zwischenkriegszeit

Der Erste Weltkrieg bedeutete für Österreich einen tiefen Einschnitt, der die Lebensverhältnisse in jeder Beziehung von Grund auf veränderte. Die Zeit von 1914 bis 1945 wird von der Geschichtsforschung bisweilen als „zweiter 30-jähriger Krieg“ bezeichnet.1 Jedenfalls war die sogenannte Zwischenkriegszeit mit Inflation, Wirtschaftskrise, Bürgerkrieg sowie ständestaatlicher und dann nationalsozialistischer Diktatur eine Periode voller Unsicherheiten, die schließlich in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mündete. 1918 war von dem multiethnischen Kaiserreich Österreich-Ungarn ein Rumpfstaat übriggeblieben, an dessen Existenzfähigkeit viele zweifelten. Besonders in Graz, das deutschnationalen Ideen schon lange stark zugeneigt war, fanden jene Vertreter des linken wie rechten politischen Lagers, die in einer Angliederung „Restösterreichs“ an das Deutsche Reich die einzige wirtschaftliche Überlebensmöglichkeit der jungen Republik sahen, eine große Anhängerschaft. Innerhalb der Künstlerschaft hatten die schwierigen Zeitumstände jedoch auch eine Aufbruchsstimmung bewirkt. In Graz wurde 1919 der alle Kunstsparten umfassende Bund Freiland gegründet, der zwar nur wenige Jahre existierte, dessen Mitglieder aber viele innovative Ansätze verwirklichten. Aus ihm entstand 1923 – zunächst innerhalb des Steiermärkischen Kunstvereins – die Grazer Sezession, die sich als Vertreterin einer internationalen Moderne verstand. Grosso modo zeichnen sich aber auch ihre Äußerungen durch die für die „Provinz“ charakteristische Mäßigung aller Extreme aus. Daneben setzte der Verein bildender Künstler Steiermarks als „Genossenschaft“ seine Arbeit fort, wie bereits vor dem Ersten Weltkrieg vorwiegend als Vertretung einer konservativer eingestellten Künstlerschaft. Von diesem spaltete sich 1925 der Künstlerbund Graz ab, der vor allem auch zur Architektur und angewandten Kunst hin offen war. Die starke gesellschaftliche Verankerung der Ideologien des Heimat- und Kulturschutzes (womit die „heimatliche deutsche“ Kultur gemeint war) führte in der Steiermark zu einer weit verbreiteten Kunstauffassung, die gegen eine urbane Moderne und für das Heimatliche, Regionale, Bodenständige eintrat. Das Thema Landschaft dominierte nun die Malerei und Grafik, wobei – der Selbstdefinition des neuen Österreich als „Alpenland“ entsprechend – eine große Zahl an Berg- und Gebirgsbildern entstand. Die Landschaften werden oft unberührt von der Realität des modernen Lebens geschildert, in der sich ihre Rezipienten mit den Auswirkungen der wirtschaftlichen und politischen Krisen auseinanderzusetzen hatten. Wenn sie überhaupt Spuren menschlichen Lebens zeigen, dann meist in der Form einer als harmonisch mit der


2 Vgl. Günther Holler-Schuster, Otto Hochreite­r ­(Hg.), Die Kunst der Anpassung, Steirische KünstlerInnen im Nationalsozialismus zwischen Tradition und Propaganda, Kat. Neue Galerie Graz und Stadtmuseum Graz, Graz 2010 . 3 Vgl. Gudrun Danzer, Aufbruch in die Moderne? Paul SchadRossa und die Kunst in Graz, besonders den Abschnitt „Reorganisation der Kunstausbildung“, im vorliegenden Band, S. 36ff.

Natur vorgestellten bäuerlichen oder dörflichen Idylle. Die Landschaftsbilder der Anfangsjahre des 20. Jahr­hunderts brachten oft enge Naturausschnitte, in die die Betrachter ihre persön­lichen Gefühle und individuelle Fantasien hineintragen konnten. Ab den 1920er-Jahren bevorzugten viele Maler/innen wie jene der Romantik ein Jahrhundert zuvor eine weite Sicht von erhöhtem Standpunkt, der Blick schweift über das Land, das nun als das „unsere, heimatliche“ empfunden wird. In einem ähnlichen Vorgang, wie der Symbolismus die Naturformen zur Darstellung von Realitäten des individuellen Seelenlebens einsetzte, konnte die Landschaft nun zum Träger eines ideologisch gefärbten Heimatgefühls werden. Die Kunstauffassung von vielen der Künstler/innen, die wir hier vorstellen, war eher durch eine Ästhetik der Einfühlung geprägt als von einem kritisch-analytischen Ansatz. Dies kann grundlegend die Problematik und Funktionsweise der Instrumentalisierung von Kunst für politische Ziele vor Augen führen. So ist es kein Zufall, dass sich ein Großteil der steirischen Künstlerschaft, ohne die eigene Weltanschauung ändern zu müssen, an die nationalsozialistische Ideologie anpassen konnte.2 Stilistisch finden sich kurz nach dem Ersten Weltkrieg auch in der Steiermark einige von der internationalen Moderne beeinflusste Neuansätze, die jedoch auch deutliche Verbindungen zur Kunst der Jahrhundertwende aufweisen. Hier sind besonders zwei Blumenbilder, 1921, von Igo Klemencic, der Mitglied im Bund Freiland war, anzuführen. (Abb. S. 227, 228) Die kantigen, oft parallel geführten Linien und Flächen erinnern an die Formensprache des Futurismus, die Ornamentalisierung der gesamten Bildfläche hat aber auch im Jugendstil ihre Wurzeln. Auch Paul Schmidtbauer, ebenfalls „Freiländer“, stilisiert in seinem ganz aus der Nähe gesehen Wasserfall, 1920, die Naturformen so weit, dass sich eine von nahezu abstrakten Ornamenten gegliederte Bildfläche ergibt. (Abb. S. 226) Als Referenz dazu bringen wir ausnahmsweise eine Arbeit eines nicht-steirischen Künstlers aus der Sammlung der Neuen Galerie Graz: Farbklänge, 1929, von Adolf Hölzel, dem österreichischen Vorreiter der Abstraktion.3 (Abb. S. 229) Das Blatt ist geradezu ein Schulbeispiel für die Entwicklung einer aus ungegenständlichen Formen aufgebauten Komposition aus der Landschaftsdarstellung heraus. In diesen Zusammenhang gehört auch eine Reihe von Lithografien, die Axl Leskosche­k, ebenfalls ein Mitglied beim Bund Freiland, 1920 gefertigt hat. Es sind Blätter, die starke Bezüge zum Jugendstil haben und auch mit ihren Titeln wie Märchen oder Das Geheimnis auf die symbolistische Kunst Bezug nehmen. Die Formen werden nun aber weitgehend abstrahiert und weisen bei dem radikalsten Blatt, der Abstrakten Komposition, expressionistisch-zackige Elemente auf. (Abb. S. 230, 231) Im Jahr 1919, nach der Demontage des Kaiserbildes im Landtagssitzungssaal des Grazer Landhauses, schrieb die Steiermärkische Landesregierung einen Wettbewerb für die Neugestaltung des Saales aus. An der Stelle des Kaiserporträts sollten nun die politischen Ziele der jungen Republik symbolisiert werden. Der erste Preis wurde zwischen Fritz Silberbauer und Daniel Pauluzzi geteilt, zur Ausführung gelangte jedoch keines der Gemälde; die Entwürfe verwahrt heute die Neue Galerie Graz. Silberbauer entwirft in seinem von futuristischen Formen dominierten Bild die Vision einer neuen, strahlenden Zeit, die seltsamerweise an Szenenbilder aus dem berühmten Film von Fritz Lang, Metropolis, 1927, denken lässt. (Abb. S. 233) In krassem Gegensatz dazu steht der Wettbewerbsentwurf von Alfred von Schrötter. (Abb. S. 232) Er versucht das Neue durch eine Allegorie zu verbildlichen, bleibt in seiner Formensprache aber realistisch. Der weiße Engel, der den drei Holzfällern erscheint, gerät auf diese Weise wenig glaubwürdig. Auch zeigt das Bild die oben erwähnte Tendenz zum Bodenständigen, die sich in den folgenden Jahren in der Steiermark verstärken wird. Ebenfalls auf die Bildform der Allegorie greift Bela Konrad in seinem Gemälde Handel und Industrie, 1925, (Abb. S. 235) zurück, das durch die Zeitläufe im südafrikanischen


224 — 225 Gudrun Danzer

Nationalmuseum in Kapstadt gelandet ist und nur im Katalog präsentiert werden kann. Ob das Bild für den Künstlerwettbewerb zur Ausstattung der Sitzungsräume der Grazer Handelskammer gemalt wurde, den Norbertine Bresslern-Roth dann gewann, wäre noch zu prüfen. Auffällig ist der schraffierende Farbauftrag, der sicher auf Schad-Rossa zurückgeht, dessen Schüler Bela Konrad gewesen ist. Ebenfalls dem Museum in Kapstadt gehört ein bemerkenswerter, äußerst modern wirkender Weib­liche­r Akt vor untergehender Sonne des gleichen Künstlers aus dem Jahr 1914. (Abb. S. 234) Die Tradition der symbolistischen Frauendarstellungen, mit denen psychische Befindlichkeiten, abstrakte Begriffe oder ideale Wahrheiten zum Ausdruck gebracht wurden, führen einige Künstler auch in der Zwischenkriegszeit fort. Wilhelm Gösser symbolisiert den Frühling durch einen zarten Mädchenakt in Marmor, 1920, (Abb. S. 236), der sich an der Kunst Auguste Rodins orientiert. Weit glatter, klassizistischer ist hingegen die Knieende Figur vom Schubertbrunnen in Wien, vollendet 1928, (Abb. S. 237) von Theodor Stundl, den wir bereits als Entwerfer des ersten Plakates des Steiermärkischen Kunstvereins von 1898 kennengelernt haben. Im Medium der Malerei hat Oskar Stössel um 1920 eine Aktstudie ausgeführt, die einerseits die Beobachtung der Lichtwirkungen in der impressionistischen Tradition im Bild umsetzt, andererseits durch die starke Aufhellung der Palette und die Hinterleuchtung der Figur auch auf ein überirdisches Licht verweist. (Abb. S. 238) Eine ganz andere Form von Aktdarstellung bringt der Hodler-Schüler Karl Mader mit seiner Ruhenden von 1934/35. (Abb. S. 239) Mit dem Frauenakt in einer nach dem Vorbild seines Lehrers streng stilisierten Landschaft beruft er sich auf die lange Tradition klassischer Malerei, um einen idealen Seinszustand zu symbolisieren. Mader wie auch Ernst Peche gehören zu jenen Künstlern, die das symbolistische Ideengut bis weit in die Zwischenkriegszeit tradierten. Dies zeigen die beiden Grafiken Maders, Wanderer, 1919, und Sehnsucht, 1922, (Abb. S. 240) ebenso wie Peches Frau mit Rosen, 1919, oder Mädchen mit Totenkopf, 1928, (Abb. S. 241). Vor allem das letztgenannte Blatt weist dabei formal weit in die Zukunft. Auch die Kunst von Norbertine Bresslern-Roth wurzelt formal wie ideell im Jugendstil. Zu Beginn der 1920er-Jahre hat sie Illustrationszyklen zu Märchenerzählungen in der von ihr zeitlebens gepflegten Technik des Linolschnitts geschaffen. In dem Zyklus zu Oscar Wildes Der junge Fischer und seine Seele, 1923, erreicht sie dabei formale Virtuo­sität sowie starke Ausdruckskraft. (Abb. S. 242, 243) In der die Zeitspannende dominierenden Landschaftsmalerei wurde neben der oben beschriebenen Entwicklung einer romantisierenden Auffassung auch die Tradition des (Stimmungs-)Realismus fortgeführt, zum Teil bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus. Von größtem Einfluss war dabei die Meisterklasse Alfred Zoffs an der Landeskunstschule, die dieser 1907 übernommen hatte. Seine Baumlandschaft, um 1917, (Abb. S. 245) zeigt seinen späten Stil, mit klarem Bildaufbau in zurückhaltender Farbigkeit, mit dem es ihm meisterhaft gelingt, die Stimmung eines sonnigen Frühlingstages ins Bild zu bringen. Einer von Zoffs bekanntesten Schülern war Franz Gruber-Gleichenber­g. Seine Landschaften weisen bei breiterer Pinselführung oft einen stärkeren Tiefenzug und damit eine Tendenz ins Romantische auf, wie zum Beispiel die Sommerlandschaft mit Heumandln, um 1920/25. (Abb. S. 244) Die Formalisierung der Landschaft, wie sie von der Neu-Dachauer Schule um Adolf Hölzel entwickelt worden war, führt in der Steiermark beispielsweise Anny Dollschein mit einem kleinen frühen Bild weiter, der Graz-Ansicht von Norden, 1920. (Abb. S. 246) Bei Hanns Wagula, der die Formen der Landschaft noch stärker stilisiert, verwandeln sich die Felsen im Vordergrund sowie das Nebelmeer und Bäume, Steiermark, 1920, (Abb. S. 247) in ein Ornament, das die Bildfläche gliedert und überzieht. Eine Stilisierung, die stärker auf Farbflächen mit reduzierter Binnenzeichnung beruht,


wenden Josef Steps auf seinem Dobratsch in Kärnten, 1926, (Abb. S. 249) und Karl Mader auf der Gebirgslandschaft mit See, 1930er-Jahre, (Abb. S. 248) an. Während Steps den Berg monumentalisiert, indem er ihn mächtig in der Bildmitte aufragen und den Horizont verstellen lässt, bringt Mader einen romantischen Blick über eine ferne Berglandschaft. Weiterentwicklungen und Abwandlungen der Bildmuster der Jahrhundertwende finden sich zahlreich auch in der Grafik und Fotografie. Carl Rotky setzt in seinen bekannten Farbholzschnitten gerne einzelne Bäum gegen einen hohen Himmel, oft kombiniert mit einem weiten Blick über die Hügel seiner südsteirischen Heimat. (Abb. S. 251) Auf Emmy Hiesleitner-Singers bekannten Radierungen der Hochgebirgsgletscher entstehen aus den Landschaftsstrukturen neue, abstrahierte Formen. (Abb. S. 253) Der Grafike­r und Fotograf Adolf Sperk sucht sich mit seiner fotografischen Arbeit auch in den 1920er-Jahren noch im Sinne des Piktorialismus an der Malerei zu orientieren, wie an seinen Bromöldrucken Pappeln, Letzte Sonnenstrahlen oder dem reizvollen farbigen Blatt Vorfrühling (Abb. S. 254, 255) gut zu beobachten ist. Doch nun noch einmal zurück zur Landschaftsmalerei, zu einer Reihe von Gemälden, an denen die oben beschriebenen Tendenzen deutlich werden: Der Schad-Rossa-Schüler Igo Pötsch gibt in einem die Formen vereinfachenden Stil weite Fernblicke über die weststeirischen Hügelketten (Koralm und Gleinalm, beide 1918, (Abb. S. 256, 257), wobei besonders das Winterbild durch den Regenbogen eine über die bloße Realitätsschilderung hinausgehende Bedeutung erhält. Ebenfalls stilisierend malt Franz Köck eine Vorfrühlingslandschaft, 1929, (Abb. S.259) mit Blick von der Mariatroster Basilika über das Grazer Bergland. Figuren, wie der die Stiege im Vordergrund erklimmende Mönch, oder Details, wie die winzig klein gemalten Straßenbahnen und Autobusse, verleihen dem Bild einen narrativen und unterhaltenden Charakter. Eher ins Fantastische geht dagegen Paul Schmidtbauer mit seiner Landschaft mit Kalvarienberg, 1929. (Abb. S. 258), auch sie eine Überblickslandschaft. Er bringt einige Elemente ins Bild, die den Eindruck der ländlichen Idylle trüben, wie die Baumruinen und Felsen im Vordergrund, die kleine Hausruine im Mittelgrund und letztlich der Kalvarienberg, dessen drei Kreuze sich sehr klein, aber doch gut sichtbar von dem hellen Hintergrund abheben. Zwei Künstler, die in der Zwischenkriegszeit das Aufladen der Landschaft mit ideologischer Bedeutung forciert haben, waren Julius Wegerer und Constantin Damianos. Wegerers kleines Bild Dämmerung, 1917, (Abb. S. 260) ist ein frühes Beispiel für seinen typischen, aus dem Realismus entwickelten Stil, in dem er die Berglandschaft seiner obersteirischen Heimat in bewegungslosen Szenen mit glasklarer Luft verbildlicht hat. Das Gemälde Abendwolken, 1926, (Abb. S. 261) von Damianos könnte man als spätsymbolistische Komposition mit religiösem Unterton bezeichnen. Schließlich zeigen die beiden Gemälde Obladis gegen das Kaunertal, um 1925, von Carl O’Lynch of Town und Die Seiseralm in Südtirol, um 1925, von Camillo Kurtz (Abb. S. 262, 263) zwei unterschiedliche Varianten der Idealisierung des Hochgebirges, wie sie in dieser Zeit auch von vielen anderen Künstlern aus der Steiermark verwirklicht wurde. Gudrun Danzer


226 — 227

Paul Schmidtbauer Wasserfall, 1920


Igo Klemencic Vegetation, 1921


228 — 229

Igo Klemencic Blumen, 1921


Adolf Hölzel Farbklänge, 1929


230 — 231

Axl Leskoschek Spiel, 1920

Axl Leskoschek Überfluss, 1920

Axl Leskoschek Märchen, 1920

Axl Leskoschek Das Geheimnis, 1920


Axl Leskoschek Abstrakte Komposition, 1920


232 — 233

Alfred von Schrötter Entwurf für ein allegorisches Gemälde im Landtagssitzungssaal in Graz, 1919


Fritz Silberbauer Entwurf für ein allegorisches Gemälde im Landtagssitzungssaal in Graz, 1919


234 — 235

Bela Konrad Zwei liegende Frauenakte, 1919

Bela Konrad Weiblicher Akt vor untergehender Sonne, 1914


Bela Konrad Handel und Industrie, 1925


236 — 237

Wilhelm Gösser Frühling, 1920


Theodor Stundl Knieende Figur vom Schubertbrunnen in Wien, 1928


238 — 239

Oskar Stössel Aktstudie, um 1920


Karl Mader Die Ruhende, 1934/35


240 — 241

Karl Mader Sehnsucht, 1922

Karl Mader Wanderer, 1919


Ernst Peche Frau mit Rosen, 1919

Ernst Peche Mädchen mit Totenkopf, 1928


242 — 243

Norbertine Bresslern-Roth Der junge Fischer und seine Seele (nach Oscar Wilde), 1923



244 — 245

Franz Gruber-Gleichenberg Sommerlandschaft mit Heumandeln, um 1920/25

Franz Gruber-Gleichenberg Herbstlicher Park, 1921


Alfred Zoff Baumlandschaft, um 1917


246 — 247

Anny Dollschein Graz – Ansicht von Norden, 1920


Hanns Wagula Nebelmeer und Bäume (Steiermark), 1920


248 — 249

Karl Mader Gebirgslandschaft mit See, 1930er-Jahre


Josef Steps Der Dobratsch in Kärnten, 1926


250 — 251

Ernst Peche Mondlandschaft, 1926


Carl Rotky Spätherbst im Kainachtal, um 1928

Carl Rotky Südsteirisches Hügelland, um 1934


252 — 253

Carl Rotky Wolayersee, um 1930


Emmy Hiesleitner-Singer Hoher Geiger, um 1922/26

Emmy Hiesleitner-Singer Dachstein, um 1922/26


254 — 255

Adolf Sperk Pappeln, um 1925 Adolf Sperk Letzte Sonnenstrahlen, 1920er-Jahre


Adolf Sperk Vorfrühling, 1920er-Jahre


256 — 257

Igo Pötsch Koralm, 1918


Igo Pötsch Gleinalm, 1918


258 — 259

Paul Schmidtbauer Landschaft mit Kalvarienberg, 1929


Franz Köck Vorfrühlingslandschaft, 1929


260 — 261

Julius Wegerer Dämmerung, 1917


Constantin Damianos Abendwolken, 1926


262 — 263

Carl O’Lynch of Town Obladis gegen das Kaunertal, um 1925


Camillo Kurtz Die Seiseralm in Südtirol, um 1925




266 — 267

Paul Schad-Rossa Selbstporträt, um 1907


Biografien der Künstlerinnen und Künstler mit Werkverzeichnis

Ausstellungen in Graz 1890–1918: umfasst Ausstellungen des Steiermärkischen Kunstvereins, der Vereinigung/ des Vereins bildender Künstler Steiermarks, des Grazer Künstlerbundes, der Kunstphotographischen Vereinigung und des Klubs der Amateur-Photo­ graphen Graz. Gustinus Ambrosi * 24. Februar 1893 in Eisenstadt, † 1. Juli 1975 in Wien Bildhauer, Lyriker 1900 Meningitis-Erkrankung mit völliger Gehörlosigkeit als Folge; 1901–06 Besuch des Privat-Taubstummeninstituts in Prag; 1906–09 Bildhauerlehre in Prag; 1909 Übersiedlung nach Graz, dort von 1909–11 Bildhauerlehre; 1911–12 Staatsgewerbeschule Graz (Hans Brandstetter, Georg Winkler); in Graz gefördert von den Professoren Pauluzzi, Rantz, Bergmeister, Zoff; 1912 Übersiedlung nach Wien, wo er 1913 ein Staatsatelier auf Lebenszeit erhielt; 1912–14 Akademie der bildenden Künste Wien (Josef Müllner, Edmund Hellmer, Kaspar von Zumbusch). In der Zwischenkriegszeit in vielen Großstädten Europas tätig; 1925 Kommissär Österreichs für die Biennale in Venedig; 1927–32 Atelier in Paris; 1933 Rückkehr nach Wien, dort vornehmlich Porträtist der politischen, kirchlichen und wirtschaftlichen Elite. Im Zweiten Weltkrieg Zerstörung seines Ateliers im Prater, in den 1950er-Jahren Neubau seines Ateliers und Ambrosi-Museums im Augarten, die heute wie auch sein künstlerischer Nachlass vom Belvedere betreut werden. Ab 1966 baute sich Ambrosi in Stallhofen in der Weststeier­ mark als Alterssitz und Gedenkstätte ein Haus im toskanischen Stil, dessen Fertigstellung er allerdings nicht mehr erlebte. Heute betreibt die Gemeinde Stallhofen darin das Ambrosi-Museum mit zahlreichen Werken des Künstlers, seiner Bibliothek, von ihm gesammelten historischen Möbeln und Porträts Ambrosi­s von befreundeten Künstlern. Mitgliedschaften: 1909 Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1932 Wiener Künstlerhaus; 1947 Künstlerbund Tirol; 1956 Korrespondierendes Mitglied der National Sculpture Society New York. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1910, 1912, 1913, 1917. Gustinus Ambrosi war zeitlebens ein sehr hochgeschätzter Künstler, dessen Werk von der Porträtbildnerei bis hin zu

allegorisch-mythologischen sowie biblischen Skulpturen zum Teil monumentaler Art reichte. Stilistisch war Ambrosi der Rodin-Nachfolge verpflichtet und trug dessen symbolistisches Pathos weit in das 20. Jahrhundert. Während der NS-Zeit Aufträge zur Gestaltung der Berliner Reichskanzlei sowie zur Neugestaltung von Linz. Seine charismatische Persönlichkeit als Wunderkind und Künstlergenie sowie sein markantes Äußeres beeindruckten Zeitgenossen wie Künstlerfreunde. Die zeithistorische Einordnung der politischen Anpassungen Gustinus Ambrosis vom Austrofaschismus zum Nationalsozialistischen Regime bis zur Großen Koalition der Zweiten Republik ist seit 1985 zunehmend eine kritische geworden. Lit.: AKL; Natalie Ambrosi, Gespräche mit meinem tauben Sohn Gustinus (1906–1912), Wien 2003; Fritz Karpfen, Gustinus Ambrosi, Leipzig/Wien 1923; Stefanie Leitner, Der österreichische Bildhauer Gustinus Ambrosi. Sein Leben und Schaffen von der Monarchie bis in die 2. Republik, Wien 2012; List 1967–1982; Roswitha Plettenbacher, Einführung in die Korrespondenzen des Bildhauers Gustinus Ambrosi, Wien 2013; Franz Renisch, Gustinus Ambrosi, 2 Bde., Wien 1974; Kat. Stadtmuseum Graz 1988. Kain, Entwurf 1912, Guss 1920 Bronze H: 38,7 cm Neue Galerie Graz, UMJ, III/132 → Abb. S. 188 Marie von Baselli * 1862 in Budapest, † 25. Juli 1924 in Draga-Moschenizza, Kroatien Malerin, Grafikerin Besuch der Staatsgewerbeschule sowie der Landeskunstschule Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli); 1903/1904 Studien in Dachau (Adolf Hölzel) und München (Christian Landenberger); 1913 Aufenthalt in Paris; 1918 Bezug eines gemeinsamen Ateliers mit Emmy HiesleitnerSinger in Graz; ab 1921 Beschäftigung als Grafikerin. Ein Teil des Nachlasses von Baselli befindet sich in der Sammlung der Neuen Galerie Graz. Mitgliedschaften: 1919 Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs; Steiermärkischer Kunstverein. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steier­märkischer Kunstverein: 1904, 1907, 1909, 1910, 1912, 1914, 1918. Baselli schuf seit der Jahrhundertwende in einer postimpressionistisch-lockeren


268 — 269 Susanne Watzenböck

Auffassung stimmungsvolle Genrebilder, Stillleben, Porträts und Plakate. Bevorzugtes Motiv der Künstlerin war die Landschaft, hier vor allem mediterrane Küstenlandschaften sowie ländliche Gegenden der Steiermark. Stilistisch stand sie mit ihrem auf wenige Farbtöne reduzierten, aber kräftigen Kolorit und dem Bestreben, den realen Naturgegenstand als eigenständige malerische Form in die Bildfläche zu übersetzen, der Kunst Alfred Zoffs nahe, obwohl sich zwischen beiden keine direkten Kontakte nachweisen lassen. Die impressionistische Tendenz Basellis zeigt sich in der weitgehenden Auflösung der Form zugunsten der Konzentration auf die Wiedergabe von Licht- und Schattenverhältnissen. Lit.: AKL; Fuchs 1976/77; Kolleritsch 1976; Rudolf Schmidt, Österreichisches Künstlerlexikon. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 1974–79. Trauer, um 1910 Öl/Lwd. 88,5 × 74,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/739 → Abb. S. 174 Viktor Bauer * 1869 in Graz, † 1955 in Graz Fotograf Vor dem Ersten Weltkrieg Privatier, danach Pharmazeut in Graz; 1889–1913 Beschäftigung mit Fotografie. Mitgliedschaften: Amateur-Photo­ graphen-Club Graz. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Amateur-Photographen-Club Graz: 1902, 1910, 1912. Die fotografischen Aufnahmen Viktor Bauers entstanden zum Großteil auf seinen zahlreichen Reisen, die ihn ans Mittelmeer bis nach Nordafrika, aber auch an Kurorte und Ausflugsziele des Grazer Umraumes führten. Seine Motive entsprangen in vielen Fällen seinem Interesse am jeweiligen Lokalkolorit der besuchten Orte. So sind es vor allem Landschaften, Sehenswürdigkeiten und alltägliche Szenerien, die er fotografisch festhielt, um die atmosphärische Eigenart eines Ortes einzufangen. Die Fokussierung Bauers auf die Natur im kleinen, intimen Landschaftsausschnitt sowie auf die Szene aus dem Alltag unter Berücksichtigung der natürlichen Beleuchtung zeigt seine Orientierung an Entwicklungen der realistischen und pleinairistischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Gegenständliche und vegetabile Formen untersuchte

Bauer in erster Linie losgelöst von ihrer Dinglichkeit auf ihre ornamentalen Qualitäten hin, wodurch sich durch unterschiedliche Helligkeitswerte von Vorder- und Hintergrund eine flächige, an die Stilisierung des Jugendstils angelehnte Bildästhetik ergab. Als Bildträger wählte Viktor Bauer in bevorzugter Weise das Diapositiv, eine Form der Wiedergabe seiner Aufnahmen, die es ihm erlaubte, nachträglich mittels händischer Kolorierung Farbe ins Bild zu bringen. Zudem bot sich ihm dadurch die Möglichkeit, seine Projektionsbilder im Rahmen von reisedokumentarischen Veranstaltungen vor Publikum zu präsentieren. Bauer befasste sich mit der Fotografie nicht nur auf angewandter, künstlerischer Ebene, sondern behandelte auch theoretische Aspekte des Mediums in zahlreichen Artikeln. Lit.: Hochsommer 1997; Jasmin Haselsteiner, Zur steirischen Fotografie: Von den Anfängen bis in die sechziger Jahre, Dipl.-Arb., Graz 2001; Armgard Schiffer (Hg.), Fern- und Nahziele. Reisebilder steirischer Amateurfotografen 1855–1935, Kat. Bild- und Tonarchiv, Landesmuseum Joanneum, Graz 1985. Kastell Arco, Zypressenhain, 1902 Albuminabzug 15,3 × 13,0 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 219 Kastell Arco, Blick auf den Kurort, 1903 Albuminabzug 15,2 × 21,4 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 218 Motiv an den Murauen, 1903 Albuminabzug, getont 13,4 × 22,6 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 220 Stadtpark Studie, Allee bei Denkmal für Moritz Ritter von Franck, 1903 Albuminabzug, getont 16,5 × 22,4 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 221 Weizklamm, 1905 Albuminabzug 22,1 × 14,8 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 219

Ursprünglich Rechnungsbeamter; 1895– 1901 private akademische Studien zur Malerei in Akt und Landschaft nach der Natur in Wien (Wilhelm Langer); 1901– 02 Studium in Dachau (Adolf Hölzel); 1918 Austritt aus dem Beamtenberuf; Vorlesungen am Steiermärkischen Konservatorium; Kunstkritiker für die Neue Freie Presse in Wien, das Kunstblatt und die Leipziger IIIustrierte Zeitung; Leiter der nachmaligen Malschule Damiano­s; Studienreisen nach Italien und Deutschland. Mitgliedschaften: Münchner Secssion; 1902 Steiermärkischer Kunstverein, ab 1917 Ausschussmitglied; 1917 Vereinigung bildender Künstler Steiermarks, seit 1919 Ausschussmitglied. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1901, 1907, 1917, 1918; Steiermärkischer Kunstverein: 1903, 1904, 1905, 1906, 1907, 1909, 1910, 1912, 1914. Karl Berger beschäftigte sich vorwiegend mit dem Porträt und der Landschaft, wobei er vor allem mit seinen Landschaftsbildern über die bloße Wiedergabe der Szenerie hinaus deren Gefühlsgehalt zu vermitteln versuchte. Realistischer arbeitete Berger hingegen bei der Herstellung seiner Dioramen, in denen er Städte wie München, Salzburg oder Graz originalgetreu nachbildete. In der Neuen Galerie Graz befindet sich neben zahlreichen Zeichnungen aus der Bergwelt der Obersteiermark ein grafischer Zyklus Bergers zum Ring des Nibelungen von Richard Wagner aus den 1920er-Jahren. Lit.: List 1967–1982; Mitteilungen der österreichischen Exlibris Gesellschaft, N. F. 63 (2008), Nr. 3.; Rudolf Schmidt, Österreichisches Künstlerlexikon, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 1974–79, Bd. 2, S. 162; Karl F. Stock, Steirische Exlibris gestern und heute, Graz 2010; Wilhelm Suida, Die Landesbildergalerie in Graz, Wien 1923. Nordische Küstenlandschaft, um 1910 Öl/Lwd. 81 × 120 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/2874 → Abb. S. 165 Elisabeth (Else) Birnbacher * 30. April 1885 in Graz, † unbekannt

Karl Berger

Malerin, Grafikerin, Kunsthandwerkerin

* 7. Juni 1875 in Graz, † 15. Juli 1943 in Graz

Besuch der Staatsgewerbeschule Graz; 1908–14 Studium an der k.u.k. Kunstgewerbeschule Wien (u. a. bei Josef Hoffmann und Franz Cizek).

Maler, Grafiker, Musiker


Mitgliedschaften: – Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Lit.: – Weihnachtsausstellung Steiermärkischer Kunstverein, 1907, Plakat Lithografie/Papier 94,5 × 59 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz → Abb. S. 73 Hans Brandstetter * 23. Jänner 1854 in Hitzendorf, † 4. Jänner 1925 in Graz Bildhauer, Grafiker Ab 1870 Lehre bei Kirchenbildhauer J. Gschiel in Graz; 1879–87 Studium Akademie der bildenden Künste in Wien (Karl Kundmann, Caspar von Zumbusch); 1888–89 Aufenthalt im Palazzo Venezia in Rom (Rompreis); ab 1890 Atelier in Graz; 1891–1914 Professor für Modellieren an der Staatsgewerbeschule Graz; bereits während der Studienzeit Auftragsarbeiten für die Kaiserfamilie und Adelshäuser; sein Hauptwerk besteht in der bildnerischen Ausgestaltung der Herz-Jesu-Kirche in Graz (1881–1891); gehörte zum engeren Freundeskreis Peter Roseggers, Die Waldlilie im Grazer Stadtpark, eine Figur aus einer Rosegger-Erzählung, ist eine der bekanntesten Skulpturen des Künstlers. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Steiermärkischer Kunstverein. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1890, 1895, 1896, 1897, 1899, 1900; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1901, 1903, 1904, 1906, 1908, 1910, 1912, 1916, 1917, 1918. Das bildhauerische Werk Brandstetters ist sowohl im sakralen als auch im profanen Bereich historistischen Gestaltungsprinzipien verpflichtet. Während Brandstetters Denkmäler, Porträtbüsten und Reliefs streng realistisch gearbeitet sind, spiegeln sich vor allem in der Grabmalplastik um 1900 die ornamentalen Formen des Jugendstils und des Symbolismus wider. Diese kurzzeitige Zuwendung zum Symbolismus zeigt auch das Gipsrelief Schicksal von 1901 in der Sammlung der Neuen Galerie Graz. Dem Impressionismus näherte sich Brandstetter in einigen Werken durch die zurückhaltende Strukturierung der Oberflächen. Unter der Leitung Brandstetters entstand in den Jahren von 1914 bis 1921 das nicht veröffentlichte Lexikon steirischer Künstler

und Schriftsteller aller Zeiten, das biografische Skizzen zu Künstlern aus verschiedensten Bereichen versammelt. Die Handschrift befindet sich heute im Steiermärkischen Landesarchiv. Lit.: Bruno Brandstetter, Die Werke des Bildhauers Hans Brandstetter, Graz 1965; Ferdinand Kraus, Die Lehrjahre eines Bildners aus der Steiermark, Graz 1885; List 1967–1982; Kurt Hildebrand Matzak, Wilhelm Gösser. Leben und Werk, Graz 1961; Gabriela Sieber, Hans Brandstetter 1854–1925, Hitzendorf 2005; Thieme/Becker; Josef Wastler, Steirisches Künstlerlexikon, Graz 1883; Isolde Wilding, Der Bildhauer Hans Brandstetter (1854–1925). Leben und Werk, Phil. Diss., Graz 1988. Schicksal-Triptychon, 1901 Gips, gerahmt 55,5 × 101,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, III/33 → Abb. S. 189 Norbertine Bresslern-Roth * 13. November 1891 in Graz, † 30. November 1978 in Graz Malerin, Grafikerin Ab 1901 privater Unterricht bei Alfred von Schrötter-Kristelli; 1907–10 Landeskunstschule in Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli); 1907–09 jeweils über die Sommermonate Studium an der Tiermalschule in Dachau (Hans von Hayek); 1911–16 Privatschülerin Ferdinand Schmutzers in dessen Atelier in der Akademie der bildenden Künste Wien; Studienreisen in fast sämtliche Tiergärten Europas; 1916 Rückkehr nach Graz; freischaffende Tiermalerin, Porträtistin und Illustratorin; zahlreiche Illustrationen für Sagen-, Schul- und Kinderbücher, Natur- und Jagdzeitschriften sowie für literarische Werke (Oscar Wilde, Hans Jakob Christoffel v. Grimmelshausen, Marie v. EbnerEschenbach, Emil Ertl); ab 1923 Miniaturbildnisse in Tempera auf Elfenbein oder Pergament. Große Bekanntheit und Verbreitung fand Bresslern-Roth vor allem mit ihren zahlreichen Tierdarstellungen im Linolschnitt. Ende der 1930er-Jahre erhielt sie den Auftrag für die malerischen Hintergründe der zoologischen Dioramen im Joanneum, Graz, die bis 2009 im Museumgebäude in der Raubergasse ausgestellt waren. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs; Berufsvereinigung Bildender Künstler Österreichs; Steiermärkischer Kunstverein; Künstlerbund Graz; Kunstverein Linz; Kunstverein Salzburg; Kunstverein Klagenfurt;

Kunstverein Baden; The Women’s International Art Club London; 1919–1922 Werkbund Freiland. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1910, 1911, 1912, 1914, 1918. Die Tierstudien Bresslern-Roths in Kreide oder Tempera sind im naturalistischen Stil ausgeführt. Davon ausgehend entwickelte sie die vom Jugendstil beeinflussten stilisierten Kompositionen ihrer Ölmalerei und Grafik (vornehmlich farbiger Linolschnitt). Durch Rhythmik und häufig auch Dramatik strebt sie die Erfassung von charakteristischen Formen und Bewegungen der Tiere an. Bevorzugt behandelte sie die exotische Tierwelt. Der Mensch spielt in ihrem Werk mit Ausnahme einiger Akte aus der Südsee eine untergeordnete Rolle. Lit.: Ingried Brugger (Hg.), Jahrhundert der Frauen. Vom Impressionismus zur Gegenwart. Österreich 1870 bis heute, Wien 1999; Eisenhut/Weibel 2001; Fuchs 1976/77; Kat. Stadtmuseum Graz 1988; Otto Pascher, Norbertine von Bresslern-Roth, Graz, Wien 1971; Plakolm-Forsthuber 1994; Rudolf Schmidt, Österreichisches Künstlerlexikon. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 1974–79; Michael Stoff, Bresslern Roth. Eine Hommage im St. Veiter Schlössl zu Graz, Graz 2003; Vollmer 1953–1962. Illustrationen zu Der junge Fischer und seine Seele von Oscar Wilde, 1923 6 Linolschnitte/Karton je: Bl. 23,5 × 23,3 cm, Pl. 21 × 21 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/13738II/13743 → Abb. S. 242, 243 Leopold Cerny * 16. Mai 1871 in Klagenfurt, † 17. Oktober 1924 in Graz Architekt, Maler, Grafiker 1892–97 Studium an der Technischen Hochschule Graz (Ingenieurwesen und Architektur); danach als Ingenieur am Landesbauamt Graz angestellt; 1901–03 Besuch der Kunstschule Paul Schad-Rossas (2-jähriger Aktkurs); ab 1907 Vorträge an der Landeskunstschule über malerische Perspektive und Stillehre; 1911 Promotion zum Dr. der technischen Wissenschaft; 1913 zum außerordentlichen Professor an der Grazer Technischen Hochschule ernannt; 1914 und 1915 Studienreisen in die Lombardei und nach Nord- und Mitteldeutschland; 1922 Ernennung zum ordentlichen Professor (für Ornamentik


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und Raumkunst, Freihandzeichnen, Baustil- und Formenlehre) an der Technischen Hochschule Graz. Mitgliedschaften: Kunstverein Kärnten; Steiermärkischer Kunstverein. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1898, 1899, 1900, 1904, 1910, 1911. Leopold Cerny war neben seiner angewandten und theoretischen Beschäftigung mit der Architektur auch im Kunstgewerbe (Inneneinrichtungen, Öfen, Schmiedearbeiten, Silberschmiedearbeiten), der Malerei und der Druckgrafik aktiv. Im grafischen Bereich sind seine Ausstellungsplakate für den Steiermärkischen Kunstverein zu nennen, in denen anhand seiner Auseinandersetzung mit dem Ornament und dem Zusammenspiel von Fläche, Form und Schrift die Nähe zum Wiener Secessionismus deutlich wird. Lit.: –

1906, 1907, 1909, 1910, 1911, 1912, 1914, 1918. Neben Porträts und Stillleben war das bevorzugte Motiv Coltelli-Plaichingers das landschaftliche, wobei sich anhand ihrer Herbst-, Garten- und Parkbilder vor allem ein gesteigertes Interesse am wechselnden Stimmungsgehalt der Landschaft nachvollziehen lässt. In der postimpressionistisch-flächigen Anordnung von Farben und Formen im Bildraum steht sie ihrem Lehrmeister Hölzel nahe, der sie stilistisch maßgeblich prägte. Als Grafikerin schuf Coltelli-Plaichinger mehrere Ausstellungsplakate für den Steiermärkischen Kunstverein. Lit.: AKL; Fuchs 1976/77; Kat. Wiener Secession („Kunst der Frau“), Wien 1910; List 1967–1982; PlakolmForsthuber 1994; Rudolf Schmidt, Österreichisches Künstlerlexikon. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 1974–79.

Graz; 1902 Übernahme und bis 1912 Leitung der Malschule Wilhelm Langers; 1916–1918 Maler im Österreichischen Kriegspressequartier; zahlreiche Reisen durch ganz Österreich, nach Südtirol, Böhmen, Deutschland und Italien, hier vor allem nach Venedig und Chioggia. Mitgliedschaften: 1902 Vereinigung bildender Künstler Steiermarks, deren Vorstandsmitglied; Künstlerhaus Wien; Genossenschaft bildender Künstler Wiens. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1901, 1902, 1903, 1904, 1905, 1906, 1907, 1908, 1909, 1910, 1918. Constantin Damianos war als Landschaftsmaler, Porträtist, Radierer und Lithograf tätig. Seine Akademieschulung erfuhr er unter dem Einfluss des österreichischen Impressionismus. Die romantisierende Stimmung, die betonte Konturenführung sowie die Grau- bzw. Brauntonigkeit der Werke dieser Zeit stehen jenen des Eduard Peithner von Lichtenfel­s nahe. Um die Jahrhundertwende steht Damianos in der Einflusssphäre neuer, in Wien wirksam werdender Kunstströmungen: Toulous­e-­ Lautrec, Munch und die Wiener Secessio­nisten beschäftigen ihn. Dies wird an seinen feierlich-allegorischen Landschaftsbildern deutlich. Darüber hinaus schulte Damianos sich an den Werken der alten Meister, der Niederländer, insbesondere Ruisdaels, fühlte sich aber genauso Böcklin, Leibl und Thoma verwandt. Nachhaltige Wirkung auf den Künstler sollte aber seine Begegnung mit der Malerei des Impressionismus haben, die maßgeblichen Einfluss auf sein Schaffen ausübte. Seine bedeutendsten Leistungen erzielte Damianos in der Folge in der Darstellung atmosphärischer Naturstimmungen und Lichtimpressionen.

101. Ausstellung Steiermärkischer Kunstverein, 1904, Plakat Lithografie/Papier 95,4 × 61,3 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz

Bad Neuhaus (Untersteier), 1908 Öl/Lwd. 84,6 × 118,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/429

→ Abb. S. 73 102. Ausstellung Steiermärkischer Kunstverein, 1904/1905, Plakat Lithografie/Papier 99 × 64,7 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz

108. Ausstellung Steiermärkischer Kunstverein: Das Stadtbild von Graz, 1908, Plakat Lithografie/Papier 73,5 × 48,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, XIV/5422

→ Abb. S. 73

→ Abb. S. 78

Ausstellung älterer Kunstwerke aus heimischem Privatbesitz, 1907, Plakat Lithografie/Papier 94,5 × 63 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz

109. Ausstellung Steiermärkischer Kunstverein, 1909, Plakat Lithografie/Papier 116 × 82 cm Neue Galerie Graz, UMJ, XIV/5390

→ Abb. S. 40 Elfriede von Coltelli-Plaichinger * 11. November 1883 in Graz, † unbekannt, lebte in München

Weihnachtsausstellung Steiermärkischer Kunstverein, 1912, Plakat Lithografie/Papier 106,2 × 69 cm Neue Galerie Graz, UMJ, XIV/5388 + XIV/12091

Malerin, Grafikerin

→ Abb. S. 40

Besuch der Landeskunstschule Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli); anschließend 1904 und 1910 Schülerin Adolf Hölzels (Dachau) und von Fritz Strobentz (München); Mitarbeiterin des „Orchideengartens“ in München; 1909– 15 in Hartmannsberg/Bayern tätig.

Constantin Damianos * 2. Jänner 1869 in Wien, † 3. Juni 1953 in Graz

Landschaft mit zwei Birken, um 1900 Öl/Lwd. 77 × 65 cm Privatsammlung

Maler, Grafiker

→ Abb. S. 201

Ab 1888 Akademie der bildenden Künste Wien (Eduard Peithner von Lichtenfels; William Unger, August Eisenmenger und Siegmund L’Allemand); nach dem Studium in Wien als Illustrator tätig; 1901 Übersiedlung nach

Gewitterstimmung, 1904 Öl/Lwd. 80 × 116 cm Privatsammlung

Mitgliedschaften: Steiermärkischer Kunstverein; 1910 Vereinigung Bildender Künstler Österreichs. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1904, 1905,

→ Abb. S. 209

→ Abb. S. 71

Lit.: Kolleritsch 1976; List 1967–1982; Horst Schweigert, Constantin Damiano­s: Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages. Ölbilder, Ölskizzen, Aquarelle und Grafiken, Graz 1970; Steinle/Danzer 2000; Thieme/Becker.

→ Abb. S. 200


Frühling, 1905 Öl/Lwd. 184 × 225 cm Belvedere, Wien → Abb. S. 182 Abendwolken, 1926 Öl/Lwd. 76,5 × 105,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/738 → Abb. S. 261 Leopold Dietmann [Leo Diet] * 12. September 1857 in Prag, † 12. Juni 1942 in Graz Maler, Grafiker, Illustrator Besuch der Kadettenschule in Maribor und der Technische Schule in Weiss­ kirchen; danach Studium an der Technischen Akademie Wien; kurz darauf Bereitstellung eines Atelierplatzes in der Wiener Kunstakademie; Studium bei Alfred Fallenböck; Tätigkeit als Hospitant; ab 1879 Leutnant bei der Feldartillerie; Versetzung nach Prag; Studium am Prager Clementinum bei Jiří Sequens; künstlerische Förderung durch den „Leibmaler“ Kronprinz Rudolfs, Hans Canon; 1881–82 Aufenthalt in Paris; 1883 Übersiedlung nach Kairo, es entstanden Porträts des Vizekönigs von Ägypten und dessen Familie sowie Porträts von Generälen, Forschern etc. und Genrebilder aus Ägyptens Vergangenheit und Gegenwart; 1887 Rückkehr nach Österreich; 1891 Einrichtung des Wiener Ateliers; Studienreisen nach Italien; 1894 längerer Aufenthalt auf der Insel Rügen; 1895 Berufung an die Staatsgewerbeschule Graz (Professor für Akt- und Freihandzeichnen, technisch-konstruktives und das sogenannte Fach-Zeichnen); 1905 Veröffentlichung seiner Schrift Über die Kongruenz und das Kongruenzgefühl und über die Darstellbarkeit körperlicher Objekte. Mitgliedschaften: 1889 regte Diet nach dem französischen Vorbild die Gründung eines „Salons der Zurückgewiesenen“ an, aus dem später der „Wiener Künstlerclub“ entstand, die 1. Wiener Secession, der er als besonders aktives Mitglied angehörte; 1899 Mitbegründer der Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1890, 1910, 1911, 1912, 1913; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1901, 1902, 1903, 1904, 1905, 1906, 1907, 1908, 1909.

Neben dem Porträt und der Genredarstellung sowie seiner Tätigkeit als Illustrator widmete sich Leo Diet vor allem dem Historien- und dem Landschaftsbild. Als Historienmaler gehörte er mit seinen romantischen Neigungen und realistisch-koloristischen Tendenzen der Tradition Hans Makarts, Hans Canons und Mihály von Muncásys an. Impressionistische Reflexe hingegen sind in seinen stimmungsvoll gearbeiteten Stadtansichten und Landschaften mit Motiven aus Ägypten, Italien, Dalmatien, Alt-Graz, der Steiermark und der Insel Rügen zu finden. Als gesuchter Porträtist schuf er in den 1920er- und 1930er-Jahren viele Bilder jüdischer Österreicher, die er auch zu seinem Freundeskreis zählte. Er wurde von Malerkollegen rassistisch verfolgt, die ihm zum Vorwurf machten, er selbst würde seine „jüdische Abstammung“ verschweigen. Lit.: AKL; Otto Erich Deutsch, Leo Diet, Kat. Kunstsalon Pisko, Wien 1910; Eisenhut/Weibel 2001; List 1967–1982; Heribert Schwarzbauer, Grazer Malerei 1890–1950, Kat. Künstlerhaus Graz, 1960; Thieme/Becker. Die blaue Blume, 1903 Öl/Lwd. 150 × 160 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/1396 → Abb. S. 183 Anny Dollschein * 1. April 1893 in Görz/Gorizia, heute in Italien, † 22. Oktober 1946 in Graz Malerin, Grafikerin, Schauspielerin, Puppenspielerin, Erzieherin Ab 1915 Besuch der Privatmalschule von Friederike von Koch-Langentreu; nach dem Ersten Weltkrieg Studium an der Landeskunstschule Graz; ab 1918 Besuch des Abendaktkurses von Anton Marussig, ab den 1920er-Jahren Studium bei Daniel Pauluzzi; 1920 Mitarbeit am Marionettentheater des Werkbundes Freiland; 1924 Reise nach Capri mit Rita Passini, die einen stilistischen Umbruch auslöste; ab 1922 Unterbrechung ihrer künstlerischen Laufbahn durch Krankheit ihrer Mutter, 1925–29 Erzieherin in einem Grazer Mädchenheim; ab den 1930erJahren erneute Hinwendung zur Kunst; 1932–35 Aufenthalt in Paris, Besuch der Malschule André Lhotes, 1935 Rückkehr nach Graz; Studium bei Alfred Wickenbur­g. Mitgliedschaften: 1920 Werkbund Freiland; 1924 Grazer Sezession (als einzige Frau); Steiermärkischer Kunstverein;

Kameradschaft steirischer Künstler und Kunstfreunde. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1917. Das Frühwerk Anny Dollscheins ist vom Impressionismus und ihrem Unterricht bei Friederike von Koch-Langentreu geprägt. Während der 1920er- und 1930er-Jahre setzte sie sich mit den aktuellen Strömungen der Zeit auseinander, während ihres Pariser Aufenthalts 1932–35 insbesondere mit Cézanne. In ihren Landschaften, Porträts und Stillleben kann eine kontinuierliche Entwicklung vom impressionistisch geprägten Bild mit realistisch-perspektivischem Raumempfinden in Richtung einer ornamentalflächigen Stilisierung und zunehmenden Abstrahierung nachvollzogen werden. Vor allem in ihren Landschaftsbildern beginnt sich die Gegenständlichkeit durch den pastosen Farbauftrag zunehmend aufzulösen. Dollschein war politisch antifaschistisch eingestellt und konnte zwischen 1938 und 1945 lediglich als Gebrauchsgrafikerin an Aufträgen arbeiten, die sie durch Hanns Wagula vermittelt bekam. Stilistisch passte sie sich an und verzichtete auf modernistische Elemente, die ihr Werk vor 1938 geprägt hatten. Lit.: AKL; Eisenhut/Weibel 2001; Magdalena Felice, Anny Dollschein 1893–1946: eine Grazer Künstlerin der Zwischenkriegszeit, Dipl.-Arbeit, Graz 1996. Graz-Ansicht von Norden, 1920 Öl/Lwd. 40 × 28,5 cm GrazMuseum → Abb. S. 246 Marie Egner * 25. August 1850 in Radkersburg, † 31. März 1940 in Wien Malerin 1867–72 Besuch der Ständischen Zeichnungsakademie Graz (Hermann von Königsbrun); 1872 Übersiedlung nach Düsseldorf, 1872–74 Studium an der Düsseldorfer Akademie (Ölmalerei bei Carl Jungheim); 1875 Umzug nach Wien, wo sie in ihrem Atelier Kunstunterricht gab; Reisen nach Ungarn, Italien und Istrien; 1880–87 Privatunterricht bei Emil Jakob Schindler; 1887–88 Aufenthalt in London als Zeichenlehrerin; anschließend zahlreiche Reisen nach Ungarn, Italien, Dalmatien, Frankreich, Griechenland und Holland; regelmäßige und erfolgreiche Beteiligung an


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Ausstellungen; nebenbei erteilte sie weiterhin Zeichenunterricht, ab 1930 zusehender Verlust des Augenlichtes, Rückzug aus der Öffentlichkeit.

Begriffsbestimmung des österreichischen Stimmungsimpressionismus. Eine Stil- und Entwicklungsgeschichtliche Analyse, Dipl.-Arbeit, Graz 1989.

Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs; Steiermärkischer Kunstverein.

Blühendes Mohnfeld in der Steiermark, um 1896 Öl/Lwd. 59 × 75 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/1264

Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1893, 1894, 1895, 1896; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1901, 1902, 1903, 1904, 1905, 1906, 1907, 1908, 1909, 1910, 1912, 1913, 1917. Marie Egner stand in den 1880er-Jahren hinsichtlich ihrer Motivwahl, der Komposition, des Kolorits sowie ihrer lyrischen Naturauffassung unter dem Einfluss ihres Lehrers Emil Jakob Schindler. Nach seinem Vorbild schuf sie in der Tradition des österreichischen Stimmungsrealismus Naturansichten, in denen sie zugunsten der Darstellung der Wandelbarkeit von Landschaftsformen durch verschiedene Licht- und Stimmungsverhältnisse auf eine detailgenaue Wiedergabe der Naturformen verzichtete. In den 1890er-Jahren löste sich Egner jedoch kontinuierlich vom Stimmungsrealismus und orientierte sich zunehmend am französischen Impressionismus. Blumenbilder – als Stillleben oder nach der freien Natur gemalt –, in denen sie sich unscheinbaren Naturausschnitten aus ungewöhnlichen Perspektiven näherte, nahmen in diesen Jahren einen besonderen Stellenwert in ihrem Œuvre ein. Das Kolorit ihrer Bilder wurde heller, der Pinselduktus bewegter, das Detail löste sich fast vollständig zugunsten der Farbe auf. Die Gegenständlichkeit geriet jedoch nie in Gefahr, vollends in Lichteffekte aufgelöst zu werden, da Egner der räumlichen Darstellung treu blieb. Dem Wiener Secessionismus, der symbolisierenden Malerei sowie einer mythologisch aufgeladenen Naturdarstellung stand sie bewusst fern. Lit.: Agatha Dahm-Rihs, Das Stillleben im Werk Marie Egners, Dipl.-Arb., Wien 1995; Gerbert Frodl (Hg.), Stimmungsimpressionismus, Kat. Belvedere, Wien 2004; Edith Futscher in: Otmar Rychlik (Hg.), Natürlichere Natur. Österreichische Malerei des Stimmungsrealismus, Kat. Kunsthaus Mürzzuschlag, Mürzzuschlag 1994; Claus Jesina, Marie Egner, Kat. Galerie 16, Wien 2006; Kolleritsch 1976; Hildegard Kolleritsch (Hg.), Marie Egner. Landschaften-Blumenbilder, Graz 1979; Plakolm-Forsthuber 1994; Martin Suppan, Erich Tromayer, Marie Egner. Eine österreichische Stimmungsimpressionistin, 2 Bde., Wien 1981/1993; Angelika Thaller, Zur

Lit.: Fuchs 1976/77; List 1967–1982; Kat. Stadtmuseum Graz 1988; Kurt Hildebrand Matzak, Wilhelm Gösser. Leben und Werk, Graz 1961; ÖBL; Thieme/Becker; Vollmer 1953–1962. Frühling, 1920 Weißer Marmor 67,9 × 23,5 × 25,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, III/55

→ Abb. S. 169

→ Abb. S. 236

Johann Wilhelm Gösser * 6. Mai 1881 in Mühltal bei Leoben, † 10. März 1966 in Graz

Leo Grimm * 7. Februar 1889 in Ilz, Steiermark, † 23. April 1916 in Graz

Bildhauer, Medailleur

Maler, Grafiker

Sohn des steirischen Bildhauers Hans Brandstetter; 1896–1900 Absolvierung einer Lehre für Holz- und Steinbildhauerei (Jakob Gschiel), nach der Gesellenprüfung Eintritt in das Atelier des Bildhauers Peter Neuböck; 1905–12 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Hans Bitterlich und Edmund Hellmer); 1913/14 als Stipendiat im Palazzo Venezia in Rom; von dort Studienreisen nach Süditalien, Frankreich und Deutschland; 1914–18 Kriegsdienst als Regimentsbildhauer; ab 1919 freiberuflich in Graz tätig; 1920–45 Leiter einer Meisterklasse für Holz- und Steinbildhauerei an der Kunstgewerbeschule Graz.

Ab 1909 Studium an der Landeskunstschule in Graz (Alfred von SchrötterKristelli), im Herbst 1909 Wechsel an die Wiener Akademie (Rudolf Jettmar); 1911 Umzug nach Lainz, Wohnung mit Fritz Silberbauer und Franz Hofer; ab 1911 mehrmalige Besuche der Dachauer Malschule, wo er vielfache Anregungen fand; 1913 Reise durch Italien.

Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1925 Gründungs­ mitglied des Künstlerbunds Graz; Schlaraffia.

Leo Grimm schuf stimmungsvolle Stadtansichten und Landschaftsbilder, vor allem Radierungen mit architektonischen Motiven aus Graz und Umgebung, aber auch religiöse Stoffe, Märchenbilder und Porträts sind in seinem Werk vertreten. Er verarbeitete Elemente des Symbolismus, des Jugendstils und der Dachauer Landschaftsmalerei. Seine grafischen Arbeiten sind durch die Wiedergabe düsterer, schwerer Stimmungen in einem melancholischen Grundton gekennzeichnet.

Ausstellungen in Graz von 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1901, 1905, 1906, 1907, 1908, 1909, 1912, 1916, 1917, 1918. Wilhelm Gösser schuf zahlreiche Denkmäler, Porträtbüsten und sakrale Plastiken sowie Reliefs in der Steiermark. Gefragt war er vor allem als Porträtist aufgrund der realistischen und renaissancehaft-anmutigen Wiedergabe der Dargestellten. Hervorzuheben sind zudem sinnlich-allegorische weibliche Akte, häufig Torsi, in weichen, fließenden Formen mit secessionistischen oder expressiven Anklängen. Im Gegensatz dazu entsprechen die Krieger- und Gefallenendenkmale der Zwischenkriegszeit mit teils heroisierenden Zügen dem Zeitgeist des Ständestaates und dem Geschmack der provinziellen Auftraggeber unterschiedlicher politischer Couleurs und später des NS-Regimes. Nach 1945 arbeitete Gösser unter geänderten politischen Vorzeichen von aktuellen Strömungen unbeeinflusst weiter.

Mitgliedschaften: Steiermärkischer Kunstverein; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1914; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1916.

Lit.: Gudrun Danzer (Hg.), Franz Hofer 1885–1915, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 2005; Fuchs 1976/77; List 1967–1982; Vollmer 1953–1962; Wilhelm Suida, Die Landesbildergalerie in Graz, Wien 1923; Thieme/Becker. Dachauer Moor, 1911 Öl/Lwd. 39 × 39 cm Privatbesitz → Abb. S. 206 Märchen, 1916 Öl/Karton 44,7 × 31,2 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/295 → Abb. S. 192


Franz Vinzenz Gruber-Gleichenberg * 16. Juni 1886 in Bad Gleichenberg, † 16. August 1940 in Graz Maler Geb. Gruber; 1901–05 Besuch der Lehrerbildungsanstalt Graz; bis 1911 in Graz als Lehrer tätig, daneben Studium an der Landeskunstschule (Alfred Zoff, Leo Scheu); 1911 Umzug nach Karlsruhe, Studium an der dortigen Akademie der bildenden Künste (Julius Hugo Bergmann); 1913–15 Umzug nach Dachau (Ludwig Dill); 1914 Aufenthalt in Antwerpen und Brügge; bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges Rückkehr nach Graz; 1916–18 Kriegsdienst als Regimentsmaler; nach den Kriegsjahren zahlreiche Reisen nach Deutschland, Italien und Ungarn; 1926 Ergänzung seines Namens nach seinem Geburtsort zum Doppelnamen Gruber-Gleichenberg; 1930 Bezug seines Grazer Ateliers. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1919 Künstlerhaus Wien. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1913, 1918. Franz Gruber-Gleichenbergs vorrangiges Interesse galt der Landschaft, die er auf seinen zahlreichen Reisen möglichst unmittelbar und unter besonderer Berücksichtigung atmosphärischer Motive und Stimmungen in Ölbildern und Aquarellen festhielt. Deutlich geprägt wurden seine frühen Arbeiten in ihrer großzügigen malerischen Form und der Leuchtkraft reich nuancierter Farben von Alfred Zoff, wobei Gruber-Gleichenberg in einem stärkeren Ausmaß als Zoff an der Darstellung des Naturvorbildes festhielt. Dies zeigt vor allem die besondere Hervorhebung räumlicher Tiefe. Während seines Dachauer Aufenthalts zeigte sich Gruber-Gleichenberg vor allem von den Arbeiten Hölzels beeindruckt und setzte seine Eindrücke zunehmend in einer malerischen, die Konturen auflösenden, spätimpressionistischen Formensprache um. Neben landschaftlichen Bildern entstehen in den 1920er-Jahren auch zahlreiche Blumenstillleben sowie vereinzelt Porträts. Lit.: Franz Gruber-Gleichenberg, 1886– 1940, Kat. Galerie Leonhard, Graz 1998; Franz Gruber-Gleichenberg: 1886–1940, Gemälde, Aquarelle, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1979; Fuchs 1976/77; Anatol Fuksas, Franz Gruber-Gleichenberg: 1886–1940, akademischer Maler, Landschaften, Stillleben, Porträts, Gnas 2002; List 1967–1982; Kolleritsch 1976; Steinle/Danzer 2000.

Herbstlicher Park, 1921 Öl/Lwd. 64,5 × 49,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/717 → Abb. S. 244 Sommerlandschaft mit Heumandln, um 1920/25 Öl/Lwd. 48,2 × 38 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/710 → Abb. S. 244 Hugo Haluschka * 17. September 1880 in Wien, † 6. September 1951 in Graz Jurist, Fotopublizist, Fotograf Bis 1906 Jusstudium an der Universi­ tät Graz; bis 1909 Mitglied des Ama­teur-Photographen-Club Graz; 1909 Gründungsmitglied der Grazer Kunstphotographischen Vereinigung; ab 1911 Schriftleiter der Zeitschrift Photographische Mitteilungen für die Alpenländer; ab 1914 Einsatz an der Front, 1918 Rückkehr nach Graz, wo er 1924 die Kunstphotographische Vereinigung reaktivierte; Vorsitzender bis 1945. Mitgliedschaften: Amateur-Photographen-Club Graz; Grazer Kunstphotographische Vereinigung. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Amateur-Photographen-Club Graz: 1907; Grazer Kunstphotographische Vereinigung: 1912. Hugo Haluschka gilt als Pionier auf dem Gebiet der Amateurfotografie in der Steiermark. Nach anfänglichen, dem Realismus verpflichteten Fotografien verschrieb er sich gänzlich der Kunstfotografie und den von ihr bevorzugten „Edeldruckverfahren“, insbesondere Bromöldruck und Gummidruck. Auf den in jenen Techniken hergestellten Bildern wurde – ähnlich der impressionistischen Malerei – die Gegenständlichkeit der abgelichteten Objekte und Szenerien stark aufgelöst. Zugunsten einer malerischen bzw. grafischen Wirkung des Bildes verzichtete Haluschka auf wesentliche technische Errungenschaften des Mediums Fotografie wie Detailtreue und Schärfe und setzte bei der Ausarbeitung des Positivs die Unschärfe bewusst als Stilmittel ein, um diffuse Lichteffekte, weiche, offene Linien und Umrisse und ineinander übergehende, schattierte Flächen zu erzielen. Die Annäherung an die Malerei fand jedoch nicht nur auf der technischen Ebene statt, sondern bestimmte auch die Motivwahl und die Komposition von Haluschkas Fotografien. So verweist beispielsweise

die Betonung linearer und flächiger Elemente der Natur und ihrer Strukturen sowie die allgemein als flächengliederndes Element aufgewertete Kontur auf die Ästhetik des Jugendstils. Motivisch bevorzugte Haluschka die Landschaft und deren subjektiven Stimmungsgehalt, das Porträt sowie Städte- und Reiseimpressionen und Stillleben, wobei er dem rein nach künstlerischformalen Gesichtspunkten gewählten Bildausschnitt eine besondere Bedeutung beimaß. Seinen Auffassungen von „bildmäßiger“, künstlerischer Fotografie blieb Haluschka lebenslang verbunden, zu Strömungen wie der Neuen Sachlichkeit oder der experimentellen Fotografie fand er keinen Zugang. Als Vorsitzender der Kunstphotographischen Vereinigung setzte er sich für eine stärkere Individualisierung und Persönlichkeitsentfaltung der Mitglieder ein, die von den stilistischen Parallelen, die sich vor dem Krieg ergeben hatten, wegführen sollten. Einzig verbindendes Merkmal der Künstler sollte die Verwendung des Bromöldruckes als Ausdrucksmittel darstellen sowie die intensive Beschäftigung mit der künstlerischen Manipulation der fotografischen Vorlage. Starken Anteil an dieser Entwicklung nahm Josef Strzygowski, der Haluschka und die praktischen Versuche der Kunstfotografen durch seine theoretischen Konzeptionen bestärkte. Lit.: AKL; Hochsommer 1997; Jasmin Haselsteiner, Zur steirischen Fotografie: Von den Anfängen bis in die sechziger Jahre, Dipl.-Arb., Graz 2001; Armgard Schiffer, Grazer Kunstphotographen. Maximilian Karnitschnigg und Hugo Haluschka, Kat. Bild- und Tonarchiv, Landesmuseum Joanneum, Graz 1981. Gratwein, 1906 Cyanotypie 14,7 × 20,7 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 217 Schöckl von Norden, 1907 Cyanotypie 15,2 × 21,3 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 215 Riva am Gardasee, 1908 Cyanotypie 14,7 × 20,7 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 218 Bauernhof am Bach, um 1910 Cyanotypie, getont 16,1 × 22, 6 cm Multimediale Sammlungen, UMJ → Abb. S. 214


274 — 275 Susanne Watzenböck

Josef Heu * 21. Februar 1875 in Marburg/Maribor, heute in Slowenien, † 30. Oktober 1952 in Ampleforth, England Bildhauer, Maler Ab 1892 Besuch der Staatsgewerbeschule Graz; ab 1893/94 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Edmund von Hellmer und Caspar von Zumbusch); 1899–90 Aufenthalt in Rom (Rompreis); anschließend Aufenthalt in Paris; nach der Rückkehr nach Wien zahlreiche öffentliche und private Aufträge; im Ersten Weltkrieg EinjährigFreiwilliger, 1915–18 Kriegsmaler in der Kunstgruppe des Kriegspressequartiers; nach dem Krieg vor allem Arbeit an Kleinskulpturen; ab 1938 finanzielle und soziale Krise, da er aufgrund seiner halbjüdischen Frau nicht in die Reichskulturkammer aufgenommen und mit Arbeitsverbot belegt wurde; Juli 1938 Flucht nach England; 1939 Niederlassung der Familie Heu in Ampfleforth, Yorkshire; darauffolgend Hinwendung zur christlichen Kunst; zahlreiche Auftragswerke für ein Benediktinerkloster. Mitgliedschaften: 1902–09 Wiener Hagenbund; 1919–52 Wiener Künstlerhaus; 1919 Genossenschaft bildender Künstler Wiens; 1929 Berufungskommission der Finanzlandesdirektion Wien; 1930–34 Präsident der Gesellschaft für christliche Kunst. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1895; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1903, 1906. Josef Heu wählte als Bildhauer vor allem monumentale, klassische Formen. Er führte Denkmäler, Brunnen, Grabmäler, allegorische Statuen für Gärten und Kirchen sowie dekorative Architekturplastik für Gemeindehäuser in Wien aus. Zudem fertigte Heu Tierstatuetten, Medaillen und Plaketten und war als Porträtist für seinen leicht idealisierenden, aber dennoch realistischen Stil geschätzt. Eine gesteigerte Expressivität durch pointierte Körperhaltungen kennzeichnet sein skulpturales Schaffen in den 1920er-Jahren, wohingegen das Spätwerk historisierende Tendenzen zeigt. Als Maler widmete sich Heu vor allem dem Porträt und spätimpressionistischen Landschaftsmotiven. Die im englischen Exil entstandenen Gemälde weisen eine klare, kräftige Farbgebung auf und wenden sich in historisierendgotisierendem Stil verstärkt dem figürlichen Motiv zu. Lit.: AKL; Felix Czeike (Hg.), Historisches Lexikon Wien, Bd. 3, Wien 1994;

Eisenhut/Weibel 2001; Ilse Krumpöck, Die Bildwerke im Heeresgeschicht­ lichen Museum, Wien 2004, S. 71f.; List 1967–1982; Thieme/Becker; Vollmer 1953–1962. Am Meeresstrand, 1899 Öl/Lwd. 50 × 70,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/595 → Abb. S. 163

vedutenhaft-breit angelegter städtebaulicher Ensembles und Gehöfte. Lit.: Emmy Hiesleitner-Singer, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1980; Ernst Lasnik, Landesmuseum Joanneum (Hg.), Emmy Hiesleitner-Singer. Bilder aus vergangener Zeit. Gehöfte, Orte, Landschaften, Graz 2005; ± 90. Schaffende Künstler über 85 in der Steiermark, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1974; Thieme/Becker; Vollmer 1953–1962.

Emmy Hiesleitner-Singer * 8. September 1884 in Voitsberg, † 12. Mai 1980 in Semriach

Dachstein, um 1922-1926 Radierung/Papier Bl. 45,8 × 54,6 cm, Pl. 29,5 × 36,9 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/3768

Malerin, Grafikerin

→ Abb. S. 253

1903–04 erster Malunterricht bei Professor Alfred Rumelsbacher in Berlin; 1906–09 an der Landeskunstschule in Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli); 1910 dreimonatiger Aufenthalt bei Schrötter-Kristelli und Ludwig Dill in Dachau; 1910–12 Unterricht bei Oskar Graf in München (Radieren und Stechen); 1914 Studienreise nach Italien; 1918 Bezug eines gemeinsamen Ateliers mit Marie von Baselli in Graz; ab 1925 Besuch der Damenakademie in Wien bei Prof. Larisch (Akt und Kurs für Schrift); 1926 Heirat, danach Signatur mit Doppelname Hiesleitner-Singer (geb. Singer); ab 1927 zahlreiche Reisen u. a. nach Jugoslawien, Griechenland und in die Türkei.

Hoher Geiger, um 1922-1926 Radierung/Papier Bl.: 45,3 × 56,4 cm, Pl.: 31,7 × 38 cm Neue Galerie Graz, UMJ II/3766

Mitgliedschaften: 1906 Steiermärkischer Kunstverein; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1912, 1914, 1918. Emmy Hiesleitner-Singer war vorwiegend als Grafikerin und Illustratorin (beispielsweise für Veröffentlichungen von Hans Kloepfer oder Viktor von Geramb) tätig. Ihre topografisch genauen, doch stimmungsvollen Sujets entnahm sie der Bauern- und Alltagskultur bzw. der Landschaft, dem städtischen Raum und der Sagenwelt der Steiermark. Die 1922–26 entstandenen gezeichneten und radierten Hochgebirgs- und Gletscherbilder sind von Elementen des Jugendstils geprägt, wobei die Landschaftsformen hier im Sinne einer kontemplativen Natursicht rhythmisiert und ornamentalisiert werden. In ihren Gemälden, Aquarellen und Gouachen zeigt sich HiesleitnerSinger hingegen einem realistisch bis impressionistischen Stil verpflichtet. Motivisch widmete sie sich hier sowohl pittoresken, detaillierten Architekturausschnitten als auch der Darstellung

→ Abb. S. 253 Franz Hofer * 24. Dezember 1885 in Graz, † 3. Mai 1915 in Gorlice-Tarnów/Polen Grafiker, Maler Lithografenlehre in Graz bei Ludwig Presuhn sowie an der Lithographischen Kunstanstalt Senefelder; Mai–Oktober 1904 Beschäftigung bei der Firma E. Karasek in Gablonz als Lithograf; anschließend Übersiedlung nach Dresden, dort Anstellung an der Photolithographischen Anstalt Nenke & Ostermaier; 1906 Eintritt in die Meisterklasse Schrötter-Kristellis an der Grazer Landeskunstschule; 1908 Studienaufenthalt in Dachau; 1909–14 Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien (Alois Delug, Ferdinand Schmutzer); zahlreiche Reisen ins damalige Oberungarn, um dort das Leben der bäuerlichen Bevölkerung und die Landschaft zu studieren; 1912 Reise nach Prag; 1915 freiwilliger Eintritt in den Kriegsdienst, 1915 gefallen. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1912, 1914; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1916. Mitgliedschaften: – Franz Hofer schuf 1906–15 ein stilistisch wie thematisch äußerst vielfältiges Œuvre, das ca. 600 grafische Arbeiten sowie einige Pastelle, Ölbilder und Ölstudien umfasst. In seinem Frühwerk sind in erster Linie Landschaften sowie Porträts von Familienmitgliedern und Freunden die bestimmenden Motive. Stilistisch wird in den Gemälden von 1906–09 vor allem in den Landschaften


der Einfluss der abstrahierenden Formensprache des Jugendstils deutlich. Hofer extrahierte die ornamentalen Qualitäten der Landschaft, indem er ihre Details mit breitem Pinselduktus summarisch zu großzügigen, flächigen Formen zusammenfasste. Nach seinem Umzug nach Wien legte er seinen künstlerischen Fokus auf das Gebiet der Grafik. Hier arbeitete er in den unterschiedlichsten Techniken der Zeichnung und der Radierung. Auch motivisch unterlag die Kunst Hofers zu dieser Zeit einem Wandel: Im Zentrum seines Interesses standen nun Menschen am Rand der Gesellschaft, Stadtveduten sowie religiöse Themen. Stilistisch ist sein Werk nach 1909 heterogen, es zeigt Einflüsse verschiedener zeitgenössischer und historischer Strömungen. Zum einen orientierte er sich zu dieser Zeit am niederländischen Barock, hier vor allem an Rembrandt, zum anderen bezog er sich auf die Traditionen des französischen und deutschen Realismus und Impressionismus, wie auf den österreichischen Stimmungsrealismus. Einige seiner nach 1909 entstandenen Zeichnungen weisen in der Kühnheit der Komposition, der Steigerung der Szenen ins Karikaturhafte sowie dem ausgeprägten Hell-Dunkel-Kontrast bereits auf expressionistische Gestaltungsweisen hin. Lit.: AKL; Gudrun Danzer (Hg.), Franz Hofer 1885–1915, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 2005; List 1967–1982; Thieme/Becker. Schneelandschaft, um 1908 Öl/Lwd. 39 × 35,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/46 → Abb. S. 207 Adolf Richard Hölzel * 13. Mai 1853 in Olmütz/Olomouc, heute in Tschechien, † 17. Oktober 1934 in Stuttgart 1868–71 Ausbildung als Schriftsetzer in Gotha in der Kartographisch-Geographischen Verlagsanstalt von Friedrich Andreas Perthes, zugleich privater Zeichenunterricht; 1871 Umzug nach Wien; ab 1972 Malereistudium an der Wiener Akademie der bildenden Künste (Carl Wurzinger, August Eisenmenger, Christian Griepenkerl); 1876–82 Fortsetzung der Studien an der Akademie der Bildenden Künste München (Wilhelm Diez); 1887 Studienreise nach Paris; 1887 Gründung der Neu-Dachauer Malschule; 1888–1905 Aufenthalt in Dachau, in den folgenden Jahren jeweils über die Sommermonate in Dachau;

1905 Berufung als Professor und Leiter einer Komponierschule an die Akademie der Bildenden Künste Stuttgart; 1919 Ruhestand; um 1920 Konzentration auf Pastell- und Glasmalerei; 1927 Vorlesungen an der Freien Kunstschule in Stuttgart. Mitgliedschaften: Münchner Sezession; Secession Wien. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1900, 1902, 1907. Adolf Hölzel schuf seine ersten, realistisch-detailgenauen Gemälde gänzlich unter dem Eindruck der WilhelmDiez-Schule. Der Aufenthalt in Paris und die Auseinandersetzung mit den Impressionisten Manet und Monet löste jedoch einen grundlegenden Wandel in seinem künstlerischen Schaffen aus. Die klare Natur der Dachauer Landschaft ermöglichte es ihm schließlich, zu einer neuen, aus dem Vokabular des Jugendstils schöpfenden Landschaftsdarstellung zu kommen, die durch die zunehmende Autonomisierung von Farbe und Form gekennzeichnet ist. Hölzels Interesse an der Natur und ihrer künstlerischen Darstellung lag dabei weniger in der Kreation eines Abbildes als an einer Übertragung ihrer Formen in eine flächig-ornamentale Bildkomposition. So fanden dreidimensionale Motive der Natur wie beispielsweise Baumreihen in Hölzels Werken eine zweidimensionale Form, die die Bildfläche gliedert und rhythmisiert. In dieser ornamentalen Sicht der Natur wird die Nähe zum Japonismus deutlich. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Konzentration auf die dynamische Wechselwirkung der ungebrochenen Farben und ihrer ausgewogenen, kontrastierenden Verteilung in der Fläche zu nennen. 1901 verfasste Hölzel zu diesem Thema den Aufsatz Über Formen und Massenvertheilung im Bilde für Ver Sacrum, die Zeitschrift der Wiener Secession. In späteren Jahren gelangte Hölzel zu einer zunehmend kalkuliert abstrahierenden Malerei, die für sein Schaffen von Bedeutung werden sollte. In Graz kam es um die Jahrhundertwende zu einem gesteigerten Interesse an Hölzels Theorien, da er Alfred von Schrötter-Kristelli eng verbunden war. Zudem fand Hölzels Formenlehre über Antonín Anděl, der als Privatdozent die „Grundzüge der Ornamentenkunde“ lehrte, Eingang in die Lehrpläne der Grazer Technischen Hochschule. Lit.: Marion Ackermann, Gerhard Leistner, Daniel Spanke (Hg.), Kaleidoskop. Hoelzel in der Avantgarde, Heidelberg 2009; Rainer Beck, Adolf Hölzel,

Aufbruch zur Moderne, München 1980; Agnes Husslein-Arco, Alexander Klee (Hg.), Formalisierung der Landschaft. Hölzel, Mediz, Moll u. a., Kat. Belvedere, München 2013; Alexander Klee, Adolf Hölzel und die Wiener Secession, München 2006; Karin von Maur, Der verkannte Visionär: Adolf Hölzel. Werk und Wirkung, Stuttgart 2003. Farbklänge, 1929 Bleistift, Kreide/Papier 32,2 × 26 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/31494 → Abb. S. 229 Alwine Hotter * 29. April 1895 in Graz, † 1995 in Graz Malerin, Grafikerin 1912–15 Studium an der Grazer Landeskunstschule (Anton Marussig, Alfred von Schrötter-Kristelli); danach mehrmonatiger Aufenthalt in München, wo sie an der privaten Kunstschule von Heinrich Knirr arbeitete und bei Hermann Gröber studierte; nach ihrer Rückkehr nach Graz als freischaffende Künstlerin tätig; Ende der 1920er-Jahre Aufgabe der Beteiligung am öffentlichen Kunstleben; in den 1930er-Jahren Tätigkeit als Hauslehrerin in Ungarn; Reisen nach Dalmatien, wo sie Kapellen ausmalte und gelegentlich Porträts zeichnete und malte. Auseinandersetzung mit der Volkskunst, Neubemalung von steirischen Bauernmöbeln. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1919 Werkbund Freiland; 1922 Steiermärkischer Kunstverein. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1917, 1918. Das Werk Alwine Hotters umfasst Porträts, Karikaturen, symbolische Kompositionen, Landschaften sowie Gesellschafts- und Genreszenen. Stilistisch spiegelt es die Vielfalt der zu seiner Entstehungszeit gepflogenen Richtungen: den akademischen Realismus, den Zeichenstil der Münchner Satirezeitschrift Simplicissimus, den symbolistischen Jugendstil, die NeuDachauer Schule sowie später den Expressionismus. Eine besondere Stellung in ihrem malerischen Schaffen nehmen Porträtdarstellungen ein, die sich durch die über die Schilderung der äußeren Physiognomie hinausgehende sensible Annäherung an die Charaktere der Dargestellten auszeichnen. In ihren grafischen Arbeiten, die in engem Zusammenhang mit der Druckgrafik des


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deutschen Expressionismus stehen, äußert sich ein starkes Interesse für mythologische und exotische Stoffe. In ihren Landschaftsbildern zeigt sich Hotter zunächst von den Prinzipien der Dachauer Malschule beeinflusst, es finden sich jedoch ebenso Elemente des Stimmungsrealismus und des Expressionismus. Darüber hinaus war Alwine Hotter, vorwiegend zur Ausgestaltung des eigenen Lebensumfeldes, im Bereich des Kunsthandwerkes tätig. Lit.: Gudrun Danzer (Hg.), Alwine Hotter – eine Grazer Expressionistin, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 2006. Der Kuss, 1915 Öl/Lwd. 56,3 × 35 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/2775 → Abb. S. 184 Marcel Kammerer * 4 November 1878 in Wien, † 25. Dezember 1959 in Montreal Architekt, Kunstgewerbler, Maler Nach Abschluss der Kunstgewerbeschule Wien (Camillo Sitte) von 1898–1902 Studium der Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien (Otto Wagner); danach Anstellung in dessen Büro als Chefzeichner; Beteiligung an Projekten wie der Kirche am Steinhof (1903) und der Wiener Postsparkassa (1904), für deren Inneneinrichtung er verantwortlich war; daneben Tätigkeit als freier Architekt, 1907/09 Umbau und Einrichtung des Grand Hotel Wiesler in Graz; 1909–18 Bürogemeinschaft mit seinen Studienkollegen Emil Hoppe und Otto Schönthal; nach dem Ersten Weltkrieg Rückzug nach Klosterneuburg, dort künstlerische Weiterbildung bei Franz Rumpler; anschließend Konzentration auf die Malerei; ab 1938 als Landesleiter der bildenden Künste des Gaus Wien eine der maßgeblichen Persönlichkeiten im NS-Kunstbetrieb; nach Ende des Zweiten Weltkriegs Emigration nach Kanada. Mitgliedschaften: 1906 Gesellschaft Österreichischer Architekten, 1907 Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, 1919 Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens. Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Marcel Kammerer ist in erster Linie für seine architektonischen Entwürfe bekannt. Sein Atelier gehörte zu den erfolgreichsten in den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg und reflektierte die Stilprinzipien der frühen Wiener Moderne, die sich im Umfeld

von Otto Wagner und der Wiener Secession etabliert hatten. Seine Bauten, von Eleganz und Leichtigkeit geprägt, zeichnen sich durch kubische Formen sowie reduzierten Dekor aus und entsprachen somit den Idealvorstellungen der Wagnerschule. Er gestaltete Nutzbauten, Sportanlagen, Hotels, Schulen u. a., mit Schwerpunkt auf dem Wohnhausbau. Kammerer entwarf auch Inneneinrichtungen, Möbel und kunsthandwerkliche Objekte, beteiligte sich an Ausstellungen und betätigte sich als Grafiker und Maler. Als sein Hauptwerk gilt Umbau und Ausstattung des Grand Hotel Wiesler in Graz (1907–09), wobei er neben der Fassade auch das Mobiliar und die Innendekoration gestaltete. Der stilisierten, schlichten Dekorationssprache des Secessionismus verpflichtet, konzentrierte er sich auf geometrische, einfache Motive, die sich im Sinne des Gesamtkunstwerkes in allen Einrichtungselementen wiederholen. Das Gemälde Der Goldene Engel, ein malerisches Frühwerk Kammerers, ist ebenfalls als Bestandteil dieses architektonischen Ensembles zu sehen. Kammerer verschränkt darin ornamentalisierte Formen des Jugendstils mit realistischer Malerei, die einen Ausblick auf die Grazer Altstadt und den Schlossberg zeigt. In seiner späteren Malerei nach 1918 widmete sich Kammerer im realistischen Stil den Motiven der Landschaft, des Blumenstilllebens, sowie der Genre- und Bibelszene. Seine Malerei stieß jedoch verglichen mit seinen Erfolgen als Architekt in der Zwischenkriegszeit auf wenig Resonanz. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde seine Malerei hoch geschätzt und in diversen Ausstellungen gezeigt. Lit.: AKL; Stefan Asenbaum (Hg.), Gebogenes Holz. Konstruktive Entwürfe Wien 1840–1910. Michael Thonet, Adolf Loos, Otto Wagner, Kolo Moser, Josef Hoffmann, Gustav Siegel, Josef Urban, Fritz Nagel, Marcel Kammerer, Anton Lorenz, Wien 1979; Barbara Kramer-Drauberg, Eva Lettl, Jugendstil in Graz, St. Stefan 2004; Andreas Lehne, Jugendstil in Wien, Wien 1989; Galerie Metropol (Hg.), Raummalerei – Spatial Painting. Analytischer Secessionismus 1900– 1910, Wien 1987; Marcel Pozzetto, Die Schule Otto Wagners 1894–1912, Wien 1980; Werner J. Schweiger, Wiener Werkstätte. Kunst und Handwerk 1903– 1932, Wien 1995; Thieme/Becker. Der goldene Engel, 1902 Öl, Gold/Lwd. 110 × 190,5 cm Privatbesitz → Abb. S. 173

Igo Klemencic * 17. Juli 1897 in Innsbruck, † 15. Jänner 1941 in Graz Maler, Grafiker Landeskunstschule Graz (Anton Marussi­g und Alfred von SchrötterKristelli); danach Besuch der Technischen Hochschule Graz und der Kunstgewerbeschule Wien; Professor am 2. Bundesgymnasium und an der Kunstgewerbeschule in Graz. Mitgliedschaften: Werkbund Freiland; Grazer Sezession. Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Igo Klemencic widmete sich vor allem der Landschafts- und Stilllebenmalerei, war aber auch als Freskomaler tätig. Anfang der 1920er-Jahre schuf er Gemälde, die sich deutlich beeinflusst von Expressionismus und Futurismus zeigen. Seine Komposition Vegetation erregte gemeinsam mit den Grafiken Axl Leskoscheks aufgrund der Formauflösung der Naturdarstellung im Rahmen der Ausstellung des Steiermärkischen Kunstvereines im Jahre 1921 für eine kontroverse Rezeption. In späteren Jahren kehrte Klemencic zu realistischeren Darstellungsformen zurück, wobei in seinen Bildern sowohl eine Geometrisierung landschaftlicher Elemente als auch deren malerische Auflösung zu beobachten ist. Lit.: Dresslers Kunsthandbuch, Jg. 9, Bd. 2; Fuchs 1976/77; Kataloge der Sezession Graz, 1923–33; Kat. Stadtmuseum Graz 1988; List 1967–1982; Vollmer 1953–1962. Vegetation, 1921 Öl/Papier 60,5 × 50 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/940 → Abb. S. 227 Blumen, 1921 Aquarell/Karton 28,4 × 26,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/13008 → Abb. S. 228 Friederike von Koch-Langentreu * 1. Jänner 1866 in Conegliano, Italien, † 1941 in Klausen (Chiusa), Südtirol Malerin, Grafikerin, Keramikerin 1884–88 Besuch der Kunstgewerbeschule Graz (Karl Pekary und Johann Lepuschütz); Privatunterricht in der Tschechoslowakei (Ghega R. von Mocz); 1891–99 an der Damenakademie München (Johann Caspar Herterich, Wilhelm Dürr d. J., Ludwig Schmid-Reutte);


Ausbildung als Grafikerin bei Ernst Neuman­n in München; anschließend an der Pariser Académie Colarossi; Privatunterricht bei Lucien Simon; Studienreisen nach Frankreich, Holland und Italien; betrieb in den Jahren um 1914 eine private Malschule in Graz; 1926 Eintritt in das Benediktinerkloster Säben in Südtirol. Mitgliedschaften: Steiermärkischer Kunstverein; Wiener Secession; Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs; Österreichischer Künstlerbund; Münchner Kunstverein. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1901, 1903, 1904, 1905, 1906, 1907, 1909, 1910, 1911, 1912, 1914, 1917, 1918; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1906, 1908. Friederike von Koch-Langentreus künstlerisches Werk zeichnet sich durch den Ausdruck von Stimmungen und Empfindungen in Porträts, Genreszenen und Landschaften aus. Ein Charakteristikum ist der Farbauftrag in breiten Pinselstrichen, wodurch sich einzelne Elemente erst in der Fernwirkung zum Bild zusammenschließen. Ihre Stadtansichten aus Paris und München sind stilistisch dem Impressionismus verbunden, während sich in ihrem Spätwerk eine stärkere Tendenz zu Stilisierung, zu betonter Kontur und zur Verselbstständigung von Farbe und Form zeigt. Koch-Langentreu war auch als Grafikerin tätig und schuf auf diesem Gebiet Radierungen und Holzschnitte mit Porträts und Landschaften. Des Weiteren beschäftigte sie sich mit keramischen Arbeiten. Lit.: Hochsommer 1997; Fuchs 1976/77; List 1967–1982; ÖBL; Thieme/Becker. Die Genesende, um 1900 Öl/Lwd. 96 × 76,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/629 → Abb. S. 175 Birkenallee, 1904 Öl/Lwd. 64 × 48 cm Srna Fine Arts → Abb. S. 205 Sonderausstellung Steiermärkischer Kunstverein: Friederike von Koch, 1914, Plakat Lithografie/Papier 94,5 × 55,5 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz → Abb. S. 79

Franz Köck * 4. Juli 1886 in Graz, † 15. Jänner 1975 in Graz

Bela Konrad * 15. Juni 1869 in Sázvár, Ungarn, † 22. November 1954 in Graz

Maler, Freskant

Maler, Grafiker, Illustrator

Studium an der Realschule und an der Grazer Technischen Hochschule; einjährig-freiwilliger Militärdienst; danach Ausbildung an der Landeskunstschule in Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli, Alfred Zoff, Anton Marussig); im Ersten Weltkrieg Bataillons-Adjutant; danach als freischaffender Künstler in Graz tätig.

Ab 1880 in Graz ansässig, Besuch der Volks-, Bürger- und Staatsgewerbeschule; 1889–92 Studium an der Landschaftlichen Zeichenakademie in Graz (Heinrich August Schwach); 1893–94 Studium an der Kunstakademie München (Johann Caspar Herterich); anschließend als Gebrauchsgrafiker in verschiedenen Städten Deutschlands tätig; 1900 Rückkehr nach Graz; 1900–02 Studium bei Paul SchadRossa; ab 1905 Zeichner an der Grazer Universitätsdruckerei Styria; 1905–38 Illustrator der Titelseiten der Grazer Kleinen Zeitung.

Mitgliedschaften: Steiermärkischer Kunstverein; Vorstandsmitglied und Vizepräsident der Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Kameradschaft steirischer Künstler und Kunstfreunde. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1916, 1917, 1918. Franz Köck beschäftigte sich vorwiegend mit Landschaft und Porträt, aber auch mit Genreszenen, Stadtansichten sowie sakralen Themen. Köcks Landschaftsbilder, Ölbilder und Aquarelle, sind in stimmungsvoller, impressionistischer Manier ausgeführt. Aus seiner Frühzeit ist eine großformatige Grafik in den Formen des Jugendstils bekannt. Starken Einfluss übten sein Lehrer Alfre­d Zoff und der Triestiner Maler Argio Orell auf ihn aus. In den späteren Jahren wandte er sich einem klar konturierten Realismus zu und entwickelte das Charakteristikum der von oben kommenden Beleuchtung, was eine verklärende Wirkung auf seine Kompositionen zur Folge hatte. Nach 1938 stellte er sich auf die vom Natio­nal­sozialismus geforderte Kunst ein und schuf zahlreiche programmatische Werke. 1997 wurden in der Grazer Universität Fresken von Köck mit Kampf- und Huldigungsszenen aus der NS-Zeit freigelegt. Nach 1945 wandte er sich wieder vermehrt christlichen Bildmotiven zu, mit denen er sich schon in der Zeit des Austrofaschismus beschäftigt hatte. Lit.: Fuchs 1976/77; Wilhelm Suida, Die Landesbildergalerie in Graz, Wien 1923; Thieme/Becker, Vollmer 1953–1962. Vorfrühlingslandschaft, 1929 Öl/Lwd. 92 × 98 cm Kulturamt der Stadt Graz → Abb. S. 259 Karfreitag, um 1905 Kohle, Gouache/Papier 72,4 × 50,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/15223 → Abb. S. 194

Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Grazer Künstlerbund: 1901, 1903; Steiermärkischer Kunstverein: 1903; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1906, 1907, 1908, 1909, 1910, 1912, 1913, 1916, 1917, 1918; 2 Lithografien in der Zeitschrift Grazer Kunst, 1901. Bela Konrad arbeitete in verschiedensten Techniken – Ölmalerei, Aquarell, Zeichnung und Druckgrafik. Er befasste sich motivisch vorrangig mit Genreszenen, Porträts, Darstellungen der steirischen Landschaft und dem Stillleben. Zu Jahrhundertbeginn bis in die 1920er-Jahre stand er stilistisch und inhaltlich unter dem Einfluss SchadRossas und des Jugendstils. Später trug die langjährige Tätigkeit als Grafiker zur Ausbildung eines flächigen Stiles seiner Malerei bei, in der die Farbe als zentrales Bildelement und Stimmungsträger verwendet wird. Die Formen sind großzügig und in klaren, expressiven Linien angelegt. Diese charakteristischkraftvolle Strichführung Bela Konrads zeigt sich neben seinen Karikaturen besonders deutlich in seinen Pastellzeichnungen und den Radierungen, in denen er sich mit feinsten Lichtwirkungen auseinandersetzte. In seinen Aquarellen widmete er sich vornehmlich der Landschaft, die er in pointillistischflächigen Formen darstellte. Lit.: List 1967–1982; Thieme/Becker. Handel und Industrie, 1925 Öl/Lwd. 87,5 × 137,5 cm Iziko South African National Gallery, Kapstadt, Südafrika → Abb. S. 235


278 — 279 Susanne Watzenböck

Jodler, 1901 Lithografie/Papier aus der Zeitschrift Grazer Kunst 30 × 21,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek → Abb. im Vorsatz (S. 11) Ausstellung Steiermärkischer Kunstverein, ca. 1902, Plakat Lithografie/Papier 88 × 59 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz → Abb. S. 72 Weiblicher Akt vor untergehender Sonne, 1914 Gouache/Papier 44 × 59,3 cm Iziko South African National Gallery, Kapstadt, Südafrika → Abb. S. 234 Zwei liegende Frauenakte, 1919 Pastell/graues Papier 55,3 × 74,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/15398 → Abb. S. 234 Felix Kraus * 2. Jänner 1887 in Graz, † 26. Oktober 1950 in Velden Maler, Grafiker Studium an der Landeskunstschule Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli); danach an der Kunstakademie Münche­n (Kern, Heinrich Knirr, ab 1910 Hugo von Haberman­n); lebte zumindest 1905–12 in Filzmoos bei Radstadt; ab 1925 publizistische Tätigkeit bei den Münchner Neuesten Nachrichten. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1907, 1908, 1909, 1910; Steiermärkischer Kunstverein: 1909, 1910, 1911, 1912. Das malerische Interesse Felix Kraus’ bezog sich in erster Linie auf die Landschaft, wobei er besonders die von ihm gesuchte und empfundene Einsamkeit und Erhabenheit der Salzburger Bergwelt in originalgrafischen Blättern und Farbholzschnitten umzusetzen suchte. In der Zeit bis ca. 1910 bedient er sich dabei der Formprinzipien des Jugendstils wie Flächigkeit und Ornamentalisierung der Bildfläche. Auf der großformatigen Gouache in der Sammlung der Neuen Galerie Graz von 1909, Vorfrühling in Filzmoos, kombiniert er die Stilisierung von landschaftlichen Elementen mit einer offenen, lockeren

Malweise, die sich aus dem Spätimpressionismus ableiten lässt. Kraus setzte sich intensiv mit dem Kärntner Abwehrkampf auseinander und gilt als künstlerischer Schöpfer des Kärntner Kreuzes, welches das Land am 4. November 1919 für besondere Leistungen im Freiheitskampf stiftete. Als Grafiker unterstützte er mit expressiven Plakaten, Werbeblättern, Holzschnitten und Zeichnungen die Propagandatätigkeit zur Vorbereitung der Kärntner Volksabstimmung von 1920.

und deren Konturierung Elemente des Hodler’schen Symbolismus nach. Außerdem wird darin – wie vor allem auch in den Stillleben – seine Auseinandersetzung mit Cézanne deutlich. Darüber hinaus existieren religiöse Kompositionen in den verschiedensten Techniken sowie figürliche Zeichnungen und Skizzen, die eine skurrile, märchenhafte Fantasiewelt darstellen. Als Freskant war Kurtz unter anderem in Windischgarsten tätig, Sgraffiti fertigte er in erster Linie für seinen Heimatort Gleisdorf.

Lit.: List 1967–1982; ÖBL.

Lit.: Fuchs 1976/77; Andreas Lendl (Hg.), Camillo Kurtz: 1896–1973, Kat. Galerie Moser, Graz 1987; List 1967– 1982; Thieme/Becker.

Ein Nachtstück, 1907 Farbholzschnitt/Japanpapier 30,5 × 35,7 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/15764 → Abb. S. 202 Vorfrühling bei Filzmoos, 1909 Gouache/Papier 107 × 98 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II /23123

Die Seiseralm in Südtirol, Morgendämmerung, um 1925 Öl/Lwd. 54 × 74 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/1384 → Abb. S. 263

→ Abb. S. 203 Camillo Kurtz * 15. Oktober 1896 in St. Gallen, † 1. September 1973 in Gleisdorf Maler, Keramiker/Plastiker, Freskant

August (Augustin Maria) Kurtz-Gallenstein * 1. August 1856 in St. Gallen, † 5. Juli 1916 in Admont Maler

Neffe der Maler Arthur und August Kurtz-Gallenstein; 1914 Studium an der Landeskunstschule Graz, 1915–18 Kriegsdienst als Freiwilliger; 1925–26 Académie Julian und Académie Colarossi in Paris; danach Studienreisen und längere Aufenthalte in Italien, Frankreich, Holland, Deutschland und Spanien; zeitweilige Tätigkeit als Kopist im Rijksmuseum in Amsterdam sowie in der National Gallery und der Tate Gallery in London; 1929 Umzug nach WienHietzing; 1932 Ansiedlung in Gleisdorf.

1878–80 Besuch der Landschaftliche­n Zeichenakademie Graz (Heinrich August Schwach); 1880–89 Studium an der Akademie der Bildenden Künste München, (1880 Alois Gabl, 1882 Ludwig von Löfftz, 1883 Wilhelm Diez); anschließend als freischaffender Künstler und Leiter einer Malschule des Leibl-Samberger-Kreises in München; 1892–94 Studienreisen nach England, Irland, Schottland, Holland, Italien. Um 1900 Rückkehr in die Steiermark, dort bis zu seinem Lebensende im Benediktinerstift Admont als Stiftsmaler tätig.

Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks.

Mitgliedschaften: –

Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Camillo Kurtz setzte sich als Künstler zunächst mit figuralen Darstellungen auseinander, zu denen ihn die Meisterwerke der großen internationalen Museen angeregt hatten. Über die Beschäftigung mit der Aquarelltechnik erfuhr sein Werk jedoch eine starke Hinwendung zum Motiv der Landschaft. Während die nass-in-nass gemalten Aquarelle vor allem subtile, lyrisch-zarte Stimmungselemente der Landschaft aufgreifen, wendet er sich in seinen Ölbildern einem kraftvollen, dynamischen Kolorismus zu. Besonders in den Bergbildern wirken in der Stilisierung der Geländeformen

Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Als August Kurtz-Gallensteins künstlerischer Ausgangspunkt kann der Realis­ mus Wilhelm Leibls gesehen werden, dessen Werk ihn während seiner Akademieausbildung in München stark beeinflusste. Seit den 1890er-Jahren setzte sich Kurtz-Gallenstein verstärkt mit der malerischen Umsetzung des Lichtes auseinander und näherte sich inhaltlich und formal dem Impressionismus, wobei die Tiefenräumlichkeit jedoch nicht aufgegeben wurde. In zahlreichen Werken seiner Zeit in Admont nach 1900 ist zudem der stilistische Einfluss der Landschafts- und Porträtmalerei des frühen 19. Jahrhunderts spürbar. Für das Kloster schuf er Fresken,


Landschaftsbilder und Pastelle mit religiösen Inhalten von stark expressiver Gestaltungskraft. 1902–16 entstand ein Märchenzyklus, in dem er die realistische Darstellung landschaftlicher Motive aus der Umgebung Admonts mit surrealer Farbgebung zusammenführte. Lit.: Ute Himmelstoß, Augustin Maria Kurtz-Gallenstein, in: Da schau her. Beiträge aus dem Kulturleben des Bezirks Liezen, 2. Jg., April 1981; P. Adalbert Krause, O. S. B., Augustin Maria Kurtz-Gallenstein, Admont o. J.; Adalbert Krause, Der Maler Augustin Maria Kurtz-Gallenstein, 1856–1916. Ein Romantiker des Pinsels, Linz 1953; List 1967–1982; Thieme/Becker. Mädchen auf Blumenwiese, um 1895 Öl/Lwd. 60,5 × 48,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/838 → Abb. S. 168 Kirchenportal mit Kirchgängern, um 1910 Öl/Lwd. 103,5 × 78,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/203 → Abb. S. 170 Cora Lauzil * 1. Jänner 1881 in Graz, † 6. Dezember 1945 in Graz Malerin, Grafikerin Ab 1898 Besuch der Staatsgewerbeschule Graz (Ludwig Lepuschitz); 1900–07 Studium an der Malschule von Constantin Damianos; 1908–14 Studium an der Akademie für Grafik und Buchgewerbe Leipzig (Franz Hein). Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1906, 1909, 1912, 1917, 1918; Steiermärkischer Kunstverein: 1912. Neben der Malerei widmete sich Cora Lauzil vor allem der Lithografie und dem Holzschnitt. Zudem war sie Illustratorin für Kinderbücher. Ihre Grafik der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg weist in der Flächigkeit und Vereinfachung der Formen die Merkmale des Jugendstils auf. Lit.: Fuchs 1976/77; Thieme/Becker. Bergwiese, 1912 Farbiger Holzschnitt/Papier 39,3 × 32 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/833 → Abb. S. 202

Adolf Ledenig * 22. März 1871 in Littai, Krain, heute in Slowenien, † 26. Dezember 1958 in Graz Grafiker, Fotograf, Maler, Jurist Als Maler Autodidakt; 1910 im Rahmen einer Veranstaltung der Kunstphotographischen Vereinigung in Graz Vortrag über „Die Wiedergabe der Bewegung in der Photographie“ im Grand Hotel Wiesler. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Amateur-Photographen-Club Graz; Kunstphotographische Vereinigung Graz. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Amateur-Photographen-Club Graz: 1902, 1907, 1912. Die Fotografien Adolf Ledenigs weisen gemäß der kunstfotografischen Strömung der Jahrhundertwende eine verringerte Konturenschärfe auf und widmen sich stimmungsvollen (Landschafts-)Sujets. Dadurch wurde im Sinne des Piktorialismus eine dem Gemälde ähnliche Bildwirkung angestrebt, die im bewussten Kontrast zur dokumentarisch-fotografischen Realität stehen sollte. Den Grafiken Ledenigs liegt eine seinen Fotografien verwandte Ästhetik zugrunde, die sich vor allem auf die Reduktion der Farben auf Schwarz-Weiß sowie die der Formen zurückführen lässt. Inspiriert zeigt sich der Künstler hierbei von mehreren kunsthistorischen Strömungen. So verweisen die ornamentalisierten Formen der Vegetation auf den Wiener Secessionismus, der emotional aufgeladene landschaftliche Stimmungsgehalt auf den Symbolismus Böcklins, während Ledenig in anderen Blättern durch die konzentrierte Lichtführung impressionistische Impulse verarbeitete. Lit.: Fuchs 1976/77. Zypressenallee, um 1910 Radierung/Papier 12 × 8,1 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/16441 → Abb. S. 219 Blick auf nächtliche Straße, um 1910 Radierung/Papier 13,5 × 10 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/16443 → Abb. S. 219 Albert (Axl) Leskoschek * 3. September 1889 in Graz, † 12. Februar 1976 in Wien Maler, Grafiker, Illustrator, Theaterkritiker

1909–17 Jusstudium mit Promotion an der Grazer Karl-Franzens-Universität; 1914–18 Fliegeroffizier der k.u.k. Armee; schwere Kriegsverletzung; 1919–20 künstlerische Ausbildung an der Steiermärkischen Landeskunstschule Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli, Fritz Silberbauer); anschließend Studium an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt Wien (Alfred Cossmann); 1919–23 freier Mitarbeiter bei der sozialdemokratischen Tageszeitung Arbeiterwille in Graz; 1923 Mitbegründer der Grazer Sezession; 1929–32 Bühnenbildner am Stadttheater Augsburg; 1931–34 Redakteur der Zeitung Arbeiterwille in Graz; 1936 Internierung im Lager Wöllersdorf; 1938–40 Exil in der Schweiz; 1940–48 Exil in Brasilien, Professor an der Kunstakademie in Rio de Janeiro (Holzschnitt und Komposition), Tätigkeit als Maler und Illustrator; 1948 Rückkehr nach Wien; fortan dort als Grafiker, Maler und Kunstkritiker tätig. Mitgliedschaften: Werkbund Freiland; Wiener Secession; Grazer Sezession. Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Axl Leskoschek schuf Akte sowie Landschaftsbilder (Südamerika, Süditalien, Italien, Jugoslawien) in Öl und Aquarell. Besonders intensiv setzte er sich allerdings mit der Grafik auseinander. Leskoschek hat unzählige literarische Werke illustriert, von Grimmelshausen bis zu brasilianischen Dostojewski-Ausgaben. In seinen Buchillustrationen bevorzugte er den Holzschnitt, der als Medium seinem Sinn für strenge, expressionistische Formvereinfachung und knappe Komposition entsprach. Die frühen Arbeiten der 1920er-Jahre weisen in ihrer linearen, ornamentalen Stilisierung einerseits auf den Jugendstil hin, andererseits wird durch die dynamische Bildmotorik einiger Blätter gleichermaßen die Auseinandersetzung mit dem Wiener Kinetismus deutlich. Ein hoher Abstraktionsgrad bestimmt jene Werke im Vergleich zu Leskoscheks späteren, und auch ein symbolistischer Gehalt kann den irreal-traumhaften Motiven nicht abgesprochen werden. Lit.: Axl Leskoschek. Aquarelle, Holzschnitte, Pochoirs, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1971; Günther Eisenhut (Hg.), Axl Leskoschek 1889–1976, Graz 2012; Erich Fitzbauer, Axl Leskoschek und seine Buchgraphik, Graz 1979; List 1967–1982; ± 90. Schaffende Künstler über 85 in der Steiermark, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1974; Thieme/Becker; Vollmer 1953–1962.


280 — 281 Susanne Watzenböck

Spiel, 1920 Lithografie/Papier 30 × 22 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/8105 → Abb. S. 230 Überfluss, 1920 Lithografie/Papier 30,3 × 20,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/8106 → Abb. S. 230 Märchen, 1920 Lithografie/Papier 20,2 × 13 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/36830 → Abb. S. 230 Das Geheimnis, 1920 Lithografie/Papier 31 × 21,3 mm Neue Galerie Graz, UMJ, II/36919 → Abb. S. 230 Abstrakte Komposition, 1920 Holzschnitt/Papier 12 × 11,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/36662 → Abb. S. 231 Karl Mader * 27. Jänner 1884 in Fürstenfeld, † 10. Juli 1952 in Graz Maler, Grafiker Studium der Bildhauerei an der Staatsgewerbeschule Graz; ab 1900 Besuch der Grazer Landeskunstschule (Alfred von Schrötter-Kristelli); 1901–03 an der Kunstgewerbeschule Wien (Alfred Roller) sowie an der Akademie der Bildenden Künste München (Johann Caspar Herterich); 1904–05 Ausbildung in Monumentalmalerei bei Ferdinand Hodler in Genf sowie an der Académie Julian in Paris; 1906 und 1907 Anstellung als Aushilfelehrer im Zeichenunterricht an der Kunstgewerbeschule Graz sowie an einem Mädchenlyzeum in Wien; 1909– 20 Professor an der Staatsrealschule in Fürstenfeld; 1920–24 Lehrer an der Kunstgewerbeschule Graz. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Künstlerbund Graz; Wiener Künstlerhaus; Genossenschaft bildender Künstler Wiens; Kameradschaft steirischer Künstler und Kunstfreunde. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1912, 1914; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1917. In seinen Ölgemälden und Grafiken beschäftigte sich Karl Mader

hauptsächlich mit Landschaften und Genreszenen. Die Bildthemen seiner Grafik aus den 1910er- und 1920er-Jahren stehen in ihrer Emotionalität dem Symbolismus nahe, wobei sich formal auch Parallelen zum Jugendstil ergeben. In der Zwischenkriegszeit schuf Mader figurale und landschaftliche Szenen in monumentaler symbolischer Überhöhung im Stile seines Lehrers Ferdinand Hodler. Nach 1938 arbeitete er an nationalsozialistisch geprägten Bildern, die von heimatverbundenen Szenen des bäuerlichen Lebens bis zu ideologischpropagandistischen Darstellungen reichten. Seine Werke wurden mehrmals bei der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ gezeigt. Lit.: Fuchs 1976/77; Max J. Hiti, Karl Mader. Ein Fürstenfelder Künstlerschicksal und ein Stück steirischer Kunstgeschichte, 2 Teile, in: Campus. Das Fürstenfelder Kulturmagazin, Nr. 37 + Nr. 38, 1997; Kat. Stadtmuseum Graz 1988; Thieme/Becker. Gebirgslandschaft mit See, 1930er-Jahre Öl/Lwd. 40 × 30 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/2509 → Abb. S. 248 Die Ruhende, 1934/35 Öl/Lwd. 107 × 138 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/1904 → Abb. S. 239 Auen bei Fürstenfeld, 1901 Kohle/Papier 37,5 × 58,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/5729 → Abb. S. 216 Wanderer, 1919 Radierung mit Aquatinta/Papier 19,5 × 24 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/986 → Abb. S. 240 Sehnsucht, 1922 Kaltnadelradierung/Papier 25 × 24,6 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/973 → Abb. S. 240

(Gabriel Hackl, Wilhelm von Lindenschmit d. J., Alexander Liezen-Mayer); 1896 Rückkehr nach Graz, wo er sich künstlerisch freischaffend betätigte, als Illustrator für den Münchner Verlag Langen tätig war sowie Privatunterricht in Zeichnen und Malen gab; 1907 Ernennung zum Dozenten für Zeichnen an der Technischen Hochschule Graz, 1908 Berufung zum Professor an die Landeskunstschule in Graz; im Ersten Weltkrieg wurde er als Kriegsmaler eingesetzt. Mitgliedschaften: 1913 Österreichischer Künstlerbund; Mitbegründer der Vereinigung bildender Künstler Steiermarks, 1919–23 deren Vorstand. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1896, 1898, 1899; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1901, 1902, 1903, 1904, 1905, 1906, 1907, 1909, 1910, 1912, 1913, 1916, 1918. Anton Marussigs Öl- und Aquarellbilder und Grafiken zeigen vor allem Landschaften, Porträts, Genreszenen und mythologische Szenen. Zudem fertigte er eine Anzahl an Industriebildern, die als Auftragswerke entstanden. Er gilt als Exponent der Münchner Schule, deren malerischer Stil sich durch eine naturalistische, detailgetreue und zugleich poetische Darstellungsweise auszeichnete. In seinem Porträt Friedrich von Hauseggers, 1899, kombiniert er die realistische Darstellung des Porträtierten mit aus dem Jugendstil stammender Ornamentik. Lit.: Fuchs 1976/77; List 1967–1982; Johann Ranftl, Kunsthistorische Studien, Graz 1907; ÖBL; Thieme/Becker. Bildnis Friedrich von Hausegger, 1899 Öl/Lwd. 100 × 100 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/979 → Abb. S. 172 Viktor Mytteis * 25. November 1874 in Schemnitz/ Selmecbánya/Baňská Štiavnica, heute in der Slowakei, † 8. November 1936 in Graz Maler, Grafiker, Kunsterzieher

Anton Marussig * 20. November 1868 in Graz, † 2. November 1925 in Graz Maler, Illustrator Studium an der Landschaftlichen Zeichenakademie Graz (Heinrich August Schwach); ab 1890 Besuch der Akademie der Bildenden Künste München

1892–96 Schüler von Alexander Pock in Wien; 1896–1900 an der Wiener Akademie der bildenden Künste (Eduard Peithner von Lichtenfels); ab 1903 als Mittelschulprofessor für Freihandzeichnen in Villach tätig; 1909–33 als Zeichenlehrer an der II. Staatsrealschule in Graz.


Mitgliedschaften: Mitbegründer des Kunstvereins für Kärnten; 1909 Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Österreichischer Künstlerbund. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1906, 1909, 1910, 1912, 1913, 1916, 1917, 1918. Viktor Mytteis widmete sich in seinem Werk vorwiegend der Landschaftsmalerei, in der er in spätimpressionistischer Stilempfindung durch lockeren Pinselduktus und eine tonige, nuancenreiche Farbpalette den Charakter steirischer Landschaften, mit Vorliebe der Ebenen und Aulandschaften, einzufangen suchte. Das großformatige Gemälde Gebirgssee von 1905 zeigt mit seiner Monumentalität und Ruhe der Berglandschaft hingegen den Einfluss der Neuromantik jener Zeit, der sich formal in der Vereinfachung und Stilisierung der landschaftlichen Elemente äußert. Mytteis stand mit einigen seiner späteren Arbeiten in der Nachfolge Alfred Zoffs, wie kaum ein anderer Künstler hielt er aber am Vorbild der Schule von Barbizon fest, mehr als ein halbes Jahrhundert nach deren Blütezeit. Die idyllisch-romantische Neigung zur Paysage intime setzte Mytteis bevorzugt in kleinformatigen Ölbildern um, aber auch in der Grafik galt sein Interesse der Wiedergabe landschaftlicher, atmosphärischer Stimmungsgehalte. Lit.: Fuchs 1976/77; Kolleritsch 1976; List 1967–1982; Viktor Mytteis (1874–1936), Kat. Galerie Moser, Graz 1972; Thieme/Becker; Roland Widder (Hg.), Panoptikum – zwei Jahrhunderte österreichische Kunst, Wien 2006. Gebirgssee, 1905 Öl/Lwd. 128 × 96 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/2864 → Abb. S. 199

nach Capri, an die Riviera, nach Genua sowie 1930 an die Nord- und Ostsee. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1904–1906 Hagenbund. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1895, 1896, 1898, 1899, 1900, 1901, 1905, 1906, 1907, 1910, 1911, 1912, 1914; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1903, 1904, 1905, 1906. Carl O’Lynch of Towns Werk besteht fast ausschließlich aus Landschaftsbildern und Veduten. In seinem Frühwerk rezipierte er Elemente des Symbolismus. Seine Motive fand er vor allem auf seinen Reisen in den Süden, so konzentrierte er sich zunächst vorwiegend auf Meeransichten sowie Stadtveduten Italiens und Frankreichs. Aber auch die nordeuropäischen Küstenregionen inspirierten ihn zu zahlreichen Darstellungen. Der Tradition der Münchner Schule und seinem Lehrer Nikolaus Gysis folgend, bemühte sich O’Lynch of Town in seinen Landschaftsbildern um einen monumentalen, atmosphärischen Ausdruck, den er durch klare, intensive Farbgebung verstärkte. Während des Krieges 1914–18 entstanden Landschaftsbilder aus dem Dachauer Moor und Gebirgsansichten der österreichischen und bayrischen Alpen. Das Hauptthema seiner späten Landschaften war aber das Hochgebirge. Lit.: Carl O’Lynch of Town, Hugo-RuefKunstauktionshaus, München 1980; Die verlorene Moderne. Der Künstlerbund Hagen 1900–1938, Kat. Österreichische Galerie in Schloss Halbturn, Wien 1993; Kolleritsch 1976. Bei Nervi, 1898 Öl/Lwd. 41 × 36 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/783 → Abb. S. 162

Carl O’Lynch of Town * 22. Juni 1869 in Graz, † 31. Jänner 1942 in Genua/Genova, Italien

Charon, 1900 Öl/Lwd. 124,7 × 93 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/413

Maler

→ Abb. S. 166

Besuch der Ständischen Zeichnungsakademie Graz sowie der Akademie der bildenden Künste Wien (Sigmund L’Allemand); um 1890 Studium an der Münchner Akademie (Gabriel von Hackl, Nikolaus Gysis); zahlreiche Studienaufenthalte in Italien und an der französischen Riviera; seit 1908 Reisen nach Belgien, Holland, Flandern und Südengland; 1914–18 vor allem in München tätig; nach dem Krieg erneut Reisen

Herbstlandschaft, um 1900 Pastell/Papier 56 × 89 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/32849 → Abb. S. 210 Landschaft mit Bach und Baumgruppe, um 1900 Pastell/Papier 80 × 50 cm Privatbesitz → Abb. S. 211

Obladis gegen das Kaunertal, um 1925 Öl/Lwd. 86 × 59 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/791 → Abb. S. 262 Ferdinand Pamberger * 13. November 1873 in Köflach, † 1. Februar 1956 in Graz Maler, Lehrer, Grafiker, Illustrator 1888–91 Ausbildung an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt Wien (Victor Jasper, Joseph Eugen Hörwarter); 1891– 99 Studium an der Wiener Kunstgewerbeschule (Franz von Matsch); 1892–95 Besuch von Kursen der anatomischen Zeichnung, Stillehre und Radierung; bis 1895 Anstellungen in Wien an der Lithographischen Kunstanstalt, der Akademie der bildenden Künste bei August Eisenmenger und im Atelier von Eduard Veith; Lehrtätigkeit an der Fachschule für Lithografen, Stein- und Kupferdrucker Wien; ab 1902 Lehrer für Freihand- und kunstgewerbliches Zeichnen an der Staatsgewerbeschule Graz, 1906 Ernennung zum Professor; 1915–18 als Kriegsmaler am italienischen Kriegsschauplatz; ab 1921 Fachvorstand der Kunstgewerbeabteilung an der Staatsgewerbeschule Graz; ab 1934 Leiter der gesamten Bundeslehranstalt. Mitgliedschaften: 1923 folgte auf seine Initiative hin die Gründung des Steiermärkischen Werkbundes; Hagenbund Wien; Jungbund Wien; Genossenschaft bildender Künstler Wiens; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Mitbegründer des Künstlerbunds Graz; Die Brücke; Schlaraffia. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1901, 1903, 1904, 1905, 1906, 1908, 1909, 1910, 1912, 1913, 1916, 1917; Steiermärkischer Kunstverein: 1916. Bevorzugtes malerisches Thema Ferdinan­d Pambergers war die (Stadt-) Landschaft, an die sich Porträts, Interieurs und Industriebilder anschließen. Eine besondere Stellung nimmt die Winterlandschaft ein, deren Ruhe und Unberührtheit Pamberger bevorzugt in diffusem Licht, verhalten-reduzierter Farbigkeit und breitem, belebtem Pinselduktus darstellte. Nach der Auseinandersetzung mit Symbolismus und Jugendstil in seinem Frühwerk fand Pamberger zu einem spätimpressionistisch-realistischen Stil, der sein Schaffen zeitlebens bestimmte. In der Grafik gelangte er mittels einer formal ab­strahierenden Methode von


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parallelen Strichlagen, Strichbündeln und Schraffurflächen zu einer realistischen Landschaftssicht. Während der Zeit des Nationalsozialismus war Pamberger in bedeutenden Propagandaausstellungen vertreten und seine Werke gelangten in den Besitz hoher Parteifunktionäre. Lit.: Ferdinand Pamberger. Zum Gedächtnis seines 100. Geburtstages. Malerei und Grafik, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1973; Fuchs 1976/77; HollerSchuster/Hochreiter 2010; Kat. Stadtmuseum Graz 1988; Kolleritsch 1976; List 1967–1982; Thieme/Becker. Requiescat in pace, 1897 Öl/Lwd. 52 × 90 cm Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv → Abb. S. 167 Winterabend, 1906 Pastell/Papier 68 × 53 cm Kulturamt der Stadt Graz → Abb. S. 198 Photographische Ausstellung „Die Steiermark,“ 1912, Plakat Lithografie/Papier 107 × 69 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz → Abb. S. 79 Rita Passini * 4. April 1882 in Wien, † 17. November 1976 in Graz Malerin, Grafikerin, Bildhauerin, Keramikerin Erster künstlerischer Unterricht in Sarajevo; danach in München, Dachau, Karlsruhe (Adolf Hölzel, Hans Müller, Max Feldbauer); 1902 Umzug nach Graz, dort Vorstand der kunstgewerblichen Abteilung der Staatsgewerbeschule; Reisen nach Italien und Spanien; arbeitete als Keramikerin u. a. in Barcelona, Mallorca, Capri, Florenz und Venedig; ab 1931 Auftragsarbeiten an der Meisterschule für Kunsthandwerk in Berlin und Wandgestaltungen mit Keramikarbeiten in deutschen Luftwaffencasinos; nach 1945 Rückkehr nach Graz, dort als freischaffende Künstlerin tätig. Mitgliedschaften: 1930 Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1917 Steiermärkischer Kunstverein; Künstlerbund Graz; Sezession Graz. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1912, 1917, 1918.

Das Werk Rita Passinis umfasst Ölbilder, Aquarelle, Grafiken und plastische Arbeiten, wobei eine wesentliche Ausdrucksform der Künstlerin, die repräsentative Baukeramik, zu einem Großteil im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Ihre malerische Entwicklung ging von ausdrucksstarken, am Wiener Secessionismus orientierten Porträts aus. In den folgenden Jahren sind Themen und Techniken der Werke von großer Vielfalt geprägt. Symbolistisches, Dekoratives, Mythologisches, Realistisches, Geometrisch-Abstraktes steht nebeneinander und wechselt sich ab. Zudem fertigte Passini sakrale Werke, so beispielsweise Keramiken für die Grazer Minoriten. Lit.: Kat. Stadtmuseum Graz 1988; List 1967–1982; Thieme/Becker. Abend, um 1910 Pastell/Papier 50 × 73 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/1833 → Abb. S. 177 Daniel Pauluzzi * 22. Februar 1866 in Graz, † 23. Jänner 1956 in Graz Maler, Grafiker Besuch der Landschaftlichen Zeichenakademie (Heinrich Schwach) und der Staatsgewerbeschule sowie Lehre bei dem Bildhauer Jakob Gschiel und in der lithografischen Anstalt August Matthey in Graz; ab ca. 1884 an der Kunstgewerbeschule Nürnberg (Karl Jäger); ab 1887 Akademie der Bildenden Künste München (Nikolaus Gysis, Friedrich August von Kaulbach, Franz von Stuck); um 1890 ließ er sich in Graz nieder, hier zuerst Anstellung bei, dann Leiter der lithografischen Kunstanstalt Oscar Rohr; später freischaffend; freundschaftlich mit Gustinus Ambrosi verbunden; Studienreisen nach Florenz, Rom, Belgien, Holland, Frankreich und Großbritannien; im Ersten Weltkrieg als Kriegsmaler tätig; 1924–36 Professor an der Landeskunstschule Graz sowie Honorardozent an der Technischen Hochschule Graz. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1922 Wiener Künstlerhaus; Berufsvereinigung Bildender Künstler Österreichs. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1896, 1897, 1898, 1899, 1900, 1903, 1905; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1906, 1907, 1909, 1912, 1913, 1916, 1917; 1 Reproduktion in der Zeitschrift Grazer Kunst, 1901.

Im Zentrum von Daniel Pauluzzis Werk stehen zum Teil sehr großformatige symbolische Figurenkompositionen, in denen er Grundfragen der menschlichen Existenz zur Darstellung bringt. Themen sind z. B. Leben und Tod, Sexualität, Verzweiflung, Einsamkeit, Religiosität. Er geht darin vom klassischen Figurenidea­l etwa Michelangelos aus und sucht den Ausdrucksgehalt seiner Gemälde durch oft extreme Perspektiven und Körperhaltungen sowie eine klare Farbigkeit zu steigern. Die Ästhetik der Figurenszenen lässt dabei manchmal an den frühen Spielfilm denken. Daneben entstehen einfühlsame Porträts sowie oft kleinformatige Landschaften mit offenem, lockerem Pinselduktus, an denen die malerische Virtuosität Pauluzzis sichtbar wird. Sie können symbolisch aufgeladen sein, wie Faun in Landschaft, oder sich auf die Wiedergabe des Gesehenen beschränken, wie viele der atmosphärischen Szenen aus dem Grazer Stadtpark. Durch das Festhalten Pauluzzis an einer romantisch-idealen Kunstauffassung und dem klassischen Figurenideal auch noch in der Zwischenkriegszeit geriet sein umfangreiches Werk nahezu in Vergessenheit. Im Sinne einer differenzierten Betrachtung der Kunstgeschichte wäre seine Wiederentdeckung von großem Interesse. Lit.: Daniel Pauluzzi. Ein Künstlerleben, anonymes Manuskript, Graz um 1957, ca. 200 S., Privatbesitz; Fuchs 1976/77; List 1967–1982. Föhn und Lawine, um 1910 Öl/Lwd. 201 × 154 cm Privatbesitz → Abb. S. 185 Landschaft mit Faun, um 1910 Öl/Lwd. 54 × 47 cm Privatbesitz → Abb. S. 192 Die Musik, um 1900 Kohle, Gouache/Papier 60 × 44,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/2819 → Abb. S. 187 Allegorie auf die Zeit, um 1900, Entwurf Bleistift, Aquarell/Papier 31,5 × 21 cm Privatbesitz → Abb. S. 186


Ernst Peche * 22. November 1885 in St. Michael im Lungau, † 1. April 1945 in Klosterneuburg Maler, Grafiker 1909–14 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Alois Delug, Rudolf Jettmar, Franz Rumpler); 1918–24 in Zettling tätig; danach Übersiedlung nach Graz; Bruder des bekannten Künstlers der Wiener Werkstätte Dagobert Peche. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Ernst Peche schuf von Symbolismus und Jugendstil beeinflusste Gemälde, Radierungen, Holz- und Linolschnitte. Motivisch setzte er sich hierbei vor allem mit der Landschaft auseinander, bei figuralen Kompositionen handelt es sich meist um Märchen- oder Jagdszenen sowie religiöse Sujets. Peches Grafik ist von einem starken Farbkontrast geprägt, der sich in manchen Blättern zu einer ornamentalen, scherenschnittartigen Wirkung steigert. Lit.: Bénézit 1976; ÖBL; Thieme/Becker.

nach Adriach bei Frohnleiten; 1901–10 in Frankfurt am Main (dort Leiter einer Malschule) und Adriach tätig.

Nationalsozialismus war er Fachreferent für Malerei in der Landesleitung der Reichskunstkammer.

Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Österreichischer Kunstverein; Steiermärkischer Kunstverein.

Mitgliedschaften: Beiratsmitglied des Künstlerhauses Graz; Vorstand der Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1930 Gesellschaft der Bildenden Künstler Wiens; 1931 Mitbegründer der Wiener Künstlergenossenschaft.

Ausstellungen in Graz 1890–-1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1898, 1899, 1900, 1901, 1904, 1905, 1906; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1906, 1907, 1908, 1909. Das Werk Alois Penz’ ist von seinem regen Interesse an den aktuellen Kunstströmungen geprägt. Der Impressionismus in der deutschen Ausprägung Liebermanns und Corinths wurde zum entscheidenden Erlebnis für den Künstler. Besonders deutlich wird dies in seinen pleinairistischen Landschaften, in denen vor allem die konzentrierte Behandlung von Licht und Luft hervorsticht. Später klingt mit dem Motiv der Birken und der flächig-ornamentalen Form des dekorativen Bildaufbaus der Jugendstil an. Lit.: Bénézit 1976; Fuchs 1976/77; List 1967–1982; ÖBL; Thieme/Becker.

Frau mit Rosen, 1919 Radierung/Papier Bl. 42 × 32 cm, Pl. 27,7 × 23,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/3154

Flusslandschaft mit Weiden und Haus, um 1900/1905 Kohle/Bütten 47 × 62,4 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/29152

→ Abb. S. 241

→ Abb. S. 217

Mondlandschaft, 1926 Farbholzschnitt/Papier Bl. 50 × 45 cm, Pl. 30,8 × 28,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/3187

Murufer bei Frohnleiten, 1904 Kohle und weiße Kreide/blaues Papier 60,5 × 47 cm Neue Galerie Graz, UMJ

→ Abb. S. 250

→ Abb. S. 216

Mädchen mit Totenkopf, 1928 Farbholzschnitt/Papier Bl. 34 × 30 cm, Pl. 27 × 24 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/3164

Ignaz (Igo) Pötsch * 29. Mai 1884 in Graz, † 24. April 1943 in Wien

→ Abb. S. 241 Alois Penz * 17. April 1853 in Zell am Ziller, † 5. Oktober 1910 in Graz Maler, Grafiker Studium an der Akademie der Bildenden Künste München (Franz Rumpler, Johann Caspar Herterich); danach durch Anstellung als Beamter in Graz Unterbrechung der künstlerischen Ausbildung; weitere Studien 1888–89 an der Akademie der bildenden Künste Wien (Franz Rumpler), 1889–92 in Weimar (Leopold von Kalckreuth, Max Thedy), ab 1983 in Paris (Alfred Philippe Roll, Eugène Carrière); 1897 Umzug

Maler, Grafiker Besuch der Kadettenschule, danach Ausbildung zum Lithografen; 1898–99 Besuch eines Zeichenkurses bei Schwab an der Landeskunstschule Graz; Ausbildung in der privaten Malschule von Paul Schad-Rossa in Graz und an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien (Spezialkurs bei Viktor Mader); 1904 als Lithograf in Dresden; 1905–14 künstlerischer Leiter der Nussdorfer Papier- und Blechdruckindustrie; 1922–28 Lehrer an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien; ab 1930 Mitglied des Künstlerhauses; 1930 Berufung zur Abhaltung von Lehrkursen an der Akademie für Graphische Künste in Leipzig; in der Zeit des

Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1917, 1918. Als Grafiker pflegte Igo Pötsch vor allem die Lithografie. Er beschäftigte sich vorwiegend mit der Herstellung farbiger Plakate und mit der Koordination des künstlerischen Entwurfes mit den Erfordernissen der Massenerzeugungstechnik. Im Zuge dessen entwickelte er ein neues Verfahren zur Produktion mehrfarbiger Drucke, welche das Fundament seiner Lehre an der Leipziger Akademie für Graphische Künste bildete. Nach 1918 wandte sich Pötsch der Malerei zu, wobei er sich in erster Linie dem Porträt, der Stadtansicht und der Landschaft widmete. Er löste sich allmählich von der naturalistischen Genauigkeit der Zeichnung und näherte sich der ausdrucksstarken Farbgestaltung des gemäßigten Expressionismus. Später ging Pötsch, ohne die Lithografie zu vernachlässigen, von der Ölmalerei zum Aquarell und zur Malerei in Kaseinfarben über, schließlich zur Technik der Monumentalbilder aus bemalten und glasierten Fliesen. Lit.: Bénézit 1976; Dresslers Kunstjahrbuch, 1930/II; Fuchs 1976/77; ÖBL; Thieme/Becker; Vollmer 1953–1962. Blick auf die Koralm, 1918 Öl/Lwd. 71,5 × 79,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/2865 → Abb. S. 256 Gleinalm, 1918 Öl/Lwd. 69,5 × 79,7 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/301 → Abb. S. 257 Ludwig Presuhn * 27. Jänner 1877 in Graz, † unbekannt Maler, Grafiker Ab 1898 Akademie der Bildenden Künste München (Heinrich Knirr, Otto Seitz). Mitgliedschaften: Steiermärkischer Kunstverein; Grazer Künstlerbund. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Grazer Künstlerbund: 1901, 1903;


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Steiermärkischer Kunstverein: 1903, 1905; 2 Lithografien in der Zeitschrift Grazer Kunst, 1901. Ludwig Presuhn schuf vorwiegend Ölbilder, Aquarelle und Lithografien, in denen er die Landschaft des Grazer Umlandes thematisierte. Seinem Lehrer Heinrich Knirr folgend zeigt sich Presuhns Motiv- und Farbwahl sowie seine Kompositions- und Formensprache deutlich beeinflusst vom Stil der Münchner bzw. Wiener Secession. Lit.: Fuchs 1976/77; Hermann Clemens Kosel, Deutsch-Österreichisches Künstler- und Schriftstellerlexikon, Wien 1902–05; List 1967–1982; Thieme/ Becker. Vorfrühling im Zuserthal bei Graz, 1901 Lithografie/Papier aus der Zeitschrift Grazer Kunst 30 × 21,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek → Abb. im Vorsatz (S. 13) Modellstudie, 1901 Lithografie/Papier aus der Zeitschrift Grazer Kunst 30 × 21,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek → Abb. im Vorsatz (S. 15) Wintersonne, 1902 Farblithografie/Papier Bl. 52 × 36 cm, Pl. 42,7 × 27,4 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/3224 → Abb. S. 213 Wintermorgen, 1902 Farblithografie/Papier 60,5 × 47 mm Neue Galerie Graz, UMJ, II/4164 → Abb. S. 212 Carl Rotky * 21. April 1891 in Graz, † 16. August 1977 in Grottenhof bei Leibnitz Arzt, Maler, Grafiker, Schriftsteller Studium der Medizin in Graz und Prag, 1914 Promotion; im Ersten Weltkrieg Einsatz als Oberarzt an der Ostfront, danach Rückkehr nach Graz; Studium an Constantin Damianos’ Malschule und der Landeskunstschule (Anton Marussig) sowie bei Alexander von Kubinyi in München; Studienreisen nach Deutschland, Frankreich, Italien, Jugoslawien und Griechenland. Mitgliedschaften: Mitbegründer des Künstlerbundes Graz; Salzburger Kunstverein.

Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Rotky war in erster Linie ein Aquarellist und Grafiker, der sich überwiegend mit der Natur und dem Landschaftserlebnis auseinandersetzte. In seinen Holz- und Linolschnitten wandte er eine Technik an, die er schon in frühen Jahren entwickelt hatte: Er benützte mehrere Platten, um in verschiedenen Farben übereinander drucken zu können. Überschneidungen sowie helle, farblose Zonen ergaben sich durch die einzelnen Druckvorgänge, was im Zusammenspiel mit dem vollkommenen Verzicht auf eine grafische Umrandung des Motivs zur malerischen, atmosphärischen Wirkung der Grafiken Rotkys führte. Der Einfluss des japanischen Holzschnittes zeigt sich vor allem in seinen frühen Arbeiten, in späteren weisen Flächigkeit und Stilisierung der Vegetationsformen auf die Verarbeitung des Jugendstils hin. Seine Grafiken fanden vielfach als Illustrationen für Heimatkunde-Bücher sowie für Rotkys eigene Gedichtbände Verwendung. Auch in seinen Ölgemälden und Aquarellen bildete die südsteirische Landschaft sein bevorzugtes Motiv, wobei Rotky sich hier dem Impressionismus annäherte. Lit.: Holler-Schuster/Hochreiter 2010; Willi Kadletz, Ein Künstlerbuch, Leoben 1929; ÖBL; Thieme/Becker; August Trummer (Hg.), Carl Rotky – Das druckgraphische Werk, Graz 1982. Spätherbst im Kainachtal, um 1928 Farbholzschnitt/Papier Bl. 27,5 × 37,2 cm, Pl. 24,7 × 35 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/3303 → Abb. S. 251 Wolayersee, um 1930 Farbholzschnitt/Papier Bl. 34,6 × 28 cm, Pl. 27,6 × 21,6 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/3304 → Abb. S. 252 Südsteirisches Hügelland, um 1934 Farbholzschnitt/Papier Bl. 20,4 × 33,5 cm, Pl. 14,8 × 24,7 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/6883 → Abb. S. 251 Paul Schad-Rossa * 1. Jänner 1862 in Nürnberg, † November 1916 in Berlin Maler, Grafiker 1877–80 Studium an der Nürnberger Kunstgewerbeschule (Gustav Adolf Gnauth); 1880–88 Studium an der Akademie der Bildenden Künste München (Ludwig von Löfftz, Franz von Defregger); 1883–88 Kopien nach alten

Meistern, u. a. im Auftrag König Carols von Rumänien für das Schloss Peleș bei Sinaia in den Karpaten; 1895–1900 Gründung/Leitung einer Damenkunstschule in München; 1900 Übersiedlung nach Graz; dort Gründung des Grazer Künstlerbundes und Herausgeber der Zeitschrift Grazer Kunst; um 1901 Reise in die Dolomiten; 1904 Umzug nach Berlin; 1909 Italienreise; 1910–11 Reise nach Spanien und Portugal. Mitgliedschaften: 1889–94 Münchner Kunstverein; 1900 bzw. 1901 Gründer des Grazer Künstlerbundes. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1900, 1903; Grazer Künstlerbund: 1901, 1903; Lithografien und Buchschmuck in der Zeitschrift Grazer Kunst, 1901. Paul Schad-Rossa setzte sich in seinem Frühwerk in der Nachfolge seines Lehrers Franz von Defregger intensiv mit der Münchner Genremalerei auseinander. Christlich-volkstümliche Sujets sowie die Rezeption der Pleinair-Malerei setzen ihn zu dieser Zeit außerdem in eine gewisse Nähe zu Fritz von Uhde. Zu Beginn der 1890er-Jahre wird die Strömung des Symbolismus seine maßgebliche Inspiration. Angeregt von deutschen Symbolisten wie Franz von Stuck, Arnold Böcklin oder Hans von Marées schuf er landschaftliche Stimmungsbilder, mythologische Szenen sowie zahlreiche figurale Kompositionen, in denen er sich auf die symbolische Dimension der menschlichen Figur konzentrierte. In den Zeichnungen jener Jahre experimentiert Schad-Rossa mit den Ausdrucksformen der menschlichen Figur und deren Stellung im Raum. Dabei kann sich die Figur durch ungewöhnliche Perspektiven in nahezu gegenstandslose Formen verwandeln, durch dichte Strichlagen beinahe mit dem Raum verschmelzen oder sich durch die Lichtwirkung in diesem auflösen. Die Grenze zur Abstraktion wird jedoch nicht überschritten. Bestrebungen des Jugendstils wie Linearität und Flächigkeit in der Darstellung sowie die Idee des Gesamtkunstwerkes (oft gestaltete er selbst aufwendige Holzrahmen für seine Gemälde) bilden in den Jahren um die Jahrhundertwende die Grundlage des künstlerischen Schaffens Schad-Rossas. Gegen Ende der Grazer Zeit wird sein Farbauftrag pastoser, die Pinselstriche breiter. Die Bildgegenstände scheinen sich nun weniger aus der Zeichnung, als aus der Farbe heraus zu entwickeln. Um 1910 wandelt sich Schad-Rossas Stil insofern erneut, als er sich verstärkt genrehaft-heiteren Themen zuwendet


und in transparent-heller Farbgebung und kurzen, bewegten Pinselstrichen zu einem oft geometrisch strukturierten Bildaufbau findet. Lit.: Eva Klein, Das Plakat in der Moderne, Phil. Diss., Graz 2011; Eva Klein, Vergessene steierische Moderne. Paul Schad-Rossa und das kreative Milieu um 1900. Sonderdruck aus dem Historischen Jahrbuch der Stadt Graz, Bd. 42., hg. v. Friedrich Bouvier und Nikolaus Reisinger, Graz 2012; Thieme/ Becker; Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz um 1900, Phil. Diss, Graz 1994; Velten Wagner (Hg.), Paul Schad-Rossa (1862–1916). Die Wiederentdeckung eines Symbolisten. Kat. Städtisches Museum Engen + Galerie, 2014. Malerei Mädchen mit Kätzchen, 1887 Öl/Lwd. 53,5 × 33 cm Privatbesitz → Abb. S. 104 Fronleichnam, 1891 Öl/Lwd. 201 × 387 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/728 → Abb. S. 106 Porträt, um 1894–1904 Öl/Lwd. 51 × 33 cm Privatbesitz → Abb. S. 120 Mann mit Hasenscharte, um 1894–1904 Öl/Lwd. 50 × 43 cm Privatbesitz → Abb. S. 121 Heiliger Berg, um 1894–1904 Öl/Karton 35 × 50 cm Privatbesitz → Abb. S. 125 Morgendämmerung, um 1894–1904 Öl/Holz 125 × 98,5 cm Privatbesitz → Abb. S. 127 Eden, 1899 Öl, Gips/Holz Bild: 113 × 178 cm; Rahmen: 148,3 × 232,3 × 17,2 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/727 → Abb. S. 130

Landschaft mit Bach und Häusern, um 1900 Öl/Lwd. 54 × 68 cm Privatbesitz → Abb. S. 140 Todessymphonie, 1902/03 Öl/Lwd. 93 × 120 cm Privatsammlung → Abb. S. 133 Akt in Waldlichtung, um 1904/05 Öl/Lwd./Karton 35 × 50 cm Privatbesitz → Abb. S. 143 Wald, um 1905 Öl/Lwd./Karton 34,5 × 50 cm Privatsammlung Leipzig → Abb. S. 142 Waldinneres, um 1905 Öl/Lwd./Karton 35 × 50 cm Privatbesitz → Abb. S. 142 Akt im Wald, um 1905/08 Öl/Lwd./Karton 50 × 35 cm Privatbesitz

Dame und Ruderer, um 1909 Öl/Lwd. 161 × 134 cm Privatbesitz → Abb. S. 150 Wannseeufer, um 1912 Öl/Lwd. 157 × 132 cm Privatbesitz → Abb. S. 151 Drei Schwestern, 1913 Öl/Lwd. 98 × 130 cm Privatbesitz → Abb. S. 152 Die Welle, 1914 Öl/Lwd. 115 × 184 cm Privatsammlung Berlin → Abb. S. 153 Weites Gelände bei Trient, 1916 Öl/Lwd. 95 × 120 cm Privatbesitz Tübingen → Abb. S. 154 Fränkische Landschaft, 1916 Öl/Lwd. 69 × 89 cm Museen der Stadt Nürnberg → Abb. S. 155

→ Abb. S. 144 Liebespaar, 1905/08 Öl/Lwd./Karton 30 × 50 cm Privatsammlung Leipzig → Abb. S. 145 Drei badende Frauen, 1905/08 Öl/Lwd. 70 × 95 cm Privatsammlung → Abb. S. 146 Zwielicht, 1908 Öl/Lwd. 105 × 150 cm Privatsammlung Bremen → Abb. S. 147 Tanzende Frauen, 1908 Öl/Lwd. 136 × 160 cm Privatbesitz → Abb. S. 149 Tanzstudie, um 1908 Öl/Lwd. 60 × 75,8 cm Kulturamt der Stadt Graz → Abb. S. 148

Grafik Weiblicher Akt, 1894 Gouache/Papier 34 × 50 cm Privatbesitz → Abb. S. 112 Männlicher Rückenakt, um 1894–1904 Kohle, Rötel, Kreide/Papier 35 × 55 cm Privatsammlung Leipzig → Abb. S. 112 Mädchenakt (Pubertät), um 1894–1904 Tusche, Rötel/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz → Abb. S. 113 Sitzender mit Stab, um 1894–1904 Kohle, Kreide/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz → Abb. S. 113 Sitzender, um 1894–1904 Bleistift, Kohle/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz → Abb. S. 113


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Sitzender, um 1894–1904 Kohle, Rötel/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz

Sitzender Mädchenakt, um 1894–1904 Kohle, Kreide/Papier 30,5 × 25,8 cm Privatsammlung Leipzig

Sterbender, um 1894–1904 Kohle/Papier 35 × 55 cm Privatbesitz

→ Abb. S. 113

→ Abb. S. 118

→ Abb. S. 123

Kleiner weiblicher Akt im Licht I, um 1894–1904 Kreide/Papier 28 × 20 cm Privatbesitz

Gestalt mit ausgebreiteten Armen, um 1894–1904 Kreide/Papier 50,5 × 33 cm Privatsammlung Leipzig

Liegender Akt auf Kubus, um 1894–1904 Kohle/Papier 35 × 55 cm Privatbesitz

→ Abb. S. 114

→ Abb. S. 119

→ Abb. S. 123

Zwei abstrahierte Figuren, um 1894–1904 Kreide/Papier 20 × 28 cm Privatbesitz

Knabenakt, um 1894–1904 Aquarell, Bleistift, Gouache/Papier 28 × 20 cm Privatbesitz

Akt vor schwarzem Hintergrund, um 1894–1904 Bleistift, Tusche/Papier 32,5 × 50 cm Privatbesitz

→ Abb. S. 114 Kleiner weiblicher Akt im Licht II, um 1894–1904 Kreide/Papier 20 × 28 cm Privatbesitz → Abb. S. 115 Liebespaar, lichtumflossen (recto), Zwei Gestalten (verso), um 1894–1904 Kohle, Kreide/Papier 20 × 28 cm Privatsammlung Leipzig → Abb. S. 115, 117 Liegender Akt, aufgelöst, um 1894–1904 Bleistift/Papier 35 × 55 cm Privatbesitz → Abb. S. 116 Weiblicher sitzender Akt, seitlich, um 1894–1904 Kreide/Papier 22,7 × 35,2 cm Privatbesitz → Abb. S. 116 Stehender Rückenakt im Lichtraum, um 1894–1904 Kohle, Kreide/Papier 55,5 × 36 cm Privatsammlung Leipzig → Abb. S. 118 Zwei Knaben, um 1894–1904 Kohle, Kreide/Papier 37 × 27 cm Privatbesitz → Abb. S. 118 Liebespaar (Adam und Eva), Rückansicht, um 1894–1904 Bleistift/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz → Abb. S. 118

→ Abb. S. 119 Porträt eines Knaben (Felix Schad?), um 1894–1904 Kohle, Pastell/Papier 48,5 × 44,5 cm Privatbesitz → Abb. S. 120 Männlicher Akt aufsteigend, um 1894–1904 Kohle/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz

→ Abb. S. 123 Ruhender männlicher Akt vor Landschaft, um 1894–1904 Bleistift, Tusche/Papier 24 × 25,5 cm Privatbesitz → Abb. S. 124 Ausgestreckt Liegender, um 1894–1904 Bleistift, Tusche/Papier 14 × 45 cm Privatbesitz

→ Abb. S. 122

→ Abb. S. 124

Weiblicher Akt, Rückansicht, um 1894–1904 Bleistift/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz

Mädchen, um 1894–1904 Kreide/Papier 38 × 28,5 cm Privatbesitz

→ Abb. S. 122 Bewegungsfigur, Studie 1, um 1894–1904 35 × 55 cm Privatbesitz → Abb. S. 122 Männlicher Akt, Konstruktion, um 1894–1904 Kohle/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz → Abb. S. 122 Weiblicher Akt als Skulptur, um 1894–1904 Kohle, Kreide/Papier 55 × 35 cm Privatbesitz → Abb. S. 123 Liegende Bewegungsfigur, um 1894–1904 Kohle/Papier 25 × 50,5 cm Privatbesitz → Abb. S. 123

→ Abb. S. 126 Männlicher Akt, nach vorne gebeugt, um 1894–1904 38 × 28,5 cm Privatbesitz → Abb. S. 126 Perspektivische Landschaft I, um 1894–1904 Bleistift, Farbstifte/Papier 50 × 27 cm Privatbesitz → Abb. S. 128 Perspektivische Landschaft II, um 1894–1904 Kreide/Papier 30,5 × 21 cm Privatbesitz → Abb. S. 128 Bäume mit Häusern, um 1894–1904 Gouache, Kohle/Papier 50,5 × 34 cm Privatbesitz → Abb. S. 141


Plakatmotiv zur ersten Ausstellung Schad-Rossas in Graz, Herbst 1900 Lithografie/Papier 45 × 60,5 cm Privatbesitz

in Privatbesitz ausfindig gemacht werden. → Abb. S. 109

Am Moorbach, 1900 Pastell/Karton 67 × 55 cm Belvedere, Wien

Es will Abend werden, 1888 Öl/Lwd. 176 × 225 cm Abb. aus: Bruckmanns Lexikon der Münchner Kunst, Münchner Maler im 19. Jh., 4. Bd., München 1983 Steiermärkische Landesbibliothek

→ Abb. S. 129

→ Abb. S. 108

Faun und Nymphe, um 1900 Pastell/Papier 49 × 63,5 cm Galerie Glacis Graz

Fronleichnamsprozession, 1890 Öl/Lwd. 100 × 128 cm Abb. aus: Illustrierter Katalog der Münchener Jahresausstellung von Kunstwerken aller Nationen im königl. Glaspalaste 1890, München 1890 Zentralinstitut für Kunstgeschichte München

→ Abb. S. 52

→ Abb. S. 134 Du Blume im Thau, 1901 Lithografie/Papier aus der Zeitschrift Grazer Kunst 30 × 21,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

→ Abb. S. 105

Weihnacht, 1901 Lithografie/rosa Papier aus der Zeitschrift Grazer Kunst 30 × 21,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

Am Wasser, um 1893 Abb. aus: Illustrierter Katalog der Münchener Jahresausstellung von Kunstwerken aller Nationen im königl. Glaspalaste, München 1893 Zentralinstitut für Kunstgeschichte München

→ Abb. im Vorsatz (S. 19)

→ Abb. S. 111

Heimat, Motiv aus der Steiermark, 1901 Lithografie/Papier aus der Zeitschrift Grazer Kunst 30 × 21,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

Einsam, um 1895 Tempera Abb. aus: Illustrierter Katalog der Münchener Jahresausstellung von Kunstwerken aller Nationen im königl. Glaspalaste, München 1895 Zentralinstitut für Kunstgeschichte München

→ Abb. S. 58

→ Abb. S. 58 Die Straße, 1901 Kreide/Papier 51 × 26,5 cm Privatbesitz → Abb. S. 128 Erste Ausstellung Grazer Künstlerbund, 1901, Plakat Lithografie/Papier 100 × 70 cm Neue Galerie Graz, UMJ, XIV/5416 → Abb. S. 56, 72 Selbstporträt, um 1907 Kohle/Papier 37 × 27,5 cm Privatbesitz → Abb. S. 266 Verschollene Gemälde Die letzte Zuflucht, um 1885/88 Öl/Lwd. 165 × 220 cm Abb. aus: Über Land und Meer, Allgemeine illustrierte Zeitung, Bd. 2., 1890 OÖ Landesbibliothek Das Bild konnte kurz vor Redaktionsschluss des vorliegenden Kataloges

→ Abb. S. 111 Belauscht, 1898 Reliefmalerei in Tempera Abb. aus: Illustrirte Zeitung, Leipzig, Berlin, Wien, Budapest, New York 119, Nr. 3081, 17. Juli 1902 → Abb. S. 110 Adagio, 1900 Aquarell und Pastell Abb. aus: The Studio. An illustrated magazine of fine and applied art, Bd. 36, London 1905 Neue Galerie Graz, UMJ → Abb. S. 135 Die Verfluchten, 1901 Ei-Harz-Tempera, geschnitzter Rahmen Foto: Privatsammlung → Abb. S. 138 Paradies, um 1901 Öl/Holz 54 × 115 cm Foto: Düsseldorfer Auktionshaus, Michael Saint-Mont → Abb. S. 132

Der schöne Tag (Motiv aus dem Padonberge in den Dolomiten), um 1903 Abb. aus: Kunstbeilage zu Heft 16 Welt und Haus, 1904 → Abb. S. 136 Erinnerung an Südtirol (Motiv aus dem oberen Fassa), um 1903 → Abb. S. 136 Hechtsee und Wilder Kaiser, um 1903 Abb. aus: Der Kunstwart, Rundschau über alle Gebiete des Schönen, hg. v. F. Avenarius, Jg. 24, 2. Augustheft 1911, Heft 22 OÖ Landesbibliothek → Abb. S. 136 Mysterium der Liebe, um 1903 Öl/Karton 85 × 66 cm Abb. aus: Katalog Dorotheum, Auktion 18. Jänner 1990, Wien Neue Galerie Graz, UMJ → Abb. S. 139 Paul Schmidtbauer * 1892 in Lividraga, Kroatien, † 1974 in Graz Maler, Grafiker Studium an der Landeskunstschule Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli, Anton Marussig); ab 1912 an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt Wien (Alois Delug); im Ersten Weltkrieg Einsatz an der italienischen und galizischen Front; danach Rückkehr nach Graz; 1945 Einzug als Bataillonsführer; danach für kurze Zeit Lehrer an der Ortweinschule; Gründung einer Malschule in Sarajevo. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1919 Steiermärkischer Kunstverein; Werkbund Freiland; 1923 Mitbegründer der Sezession Graz; Schlaraffia; Bund Deutscher Maler; Berufsvereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1918. Paul Schmidtbauers künstlerisches Werk zeigt seine Beschäftigung mit unterschiedlichsten Themenkreisen, die er stilistisch differenziert behandelte. Während seine Stadt- und Industrielandschaften dem Naturvorbild eng verbunden bleiben, behandelt er die reine Landschaft in Form- und Farbgebung expressiver und flächiger. In diese Richtung weisen auch seine Porträts und Figurenbilder der 1920er-Jahre, die Anklänge an den österreichischen Expressionismus wie auch an die Neue Sachlichkeit zeigen. In seinen Grafiken


288 — 289 Susanne Watzenböck

beschäftigte er sich mit der Grazer Kultur- und Politszene, dem Vorstadtmilieu, mit sozialkritischen Themen, mit Erotik und Esoterik. Karikaturhaft und mit skurrilem Humor entlarvt er darin die Schwächen seiner Mitmenschen. Während der Zeit des Nationalsozialismus schuf Schmidtbauer volkstümliche Wandmalereien mit Szenen aus dem bäuerlichen Alltag für Privathäuser und Gasthöfe in der Steiermark. Lit.: Fuchs 1976/77; Kat. Stadtmuseum Graz 1988; List 1967–1982; Nicole Marjanović-Zoubek, Paul Schmidtbauer (1892–1974). Das Werk und die Lage des Künstlers im gesellschaftlichen Umfeld, Phil. Diss., Graz 1994; Paul Schmidtbauer, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1993. Wasserfall, 1920 Öl/Lwd. 120 × 101 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/935 → Abb. S. 226 Landschaft mit Kalvarienberg, 1929 Öl/Lwd. 100 × 150 cm Kulturamt der Stadt Graz → Abb. S. 258 Alfred von Schrötter-Kristelli * 12. Februar 1856 in Wien, † 2. Oktober 1935 in Graz Maler, Kunsterzieher 1872–77 Studium an der Wiener Akademie der bildenden Künste (Karl Mayer, August Eisenmenger); daraufhin zwei Jahre Schüler von Hans Canon; 1879 Wechsel an die Münchner Akademie (Ludwig von Löfftz); 1897 Übersiedlung nach Dachau, wo er zusammen mit Ludwig Dill, Adolf Hölzel und Arthur Langhammer zu einem namhaften Vertreter der Neu-Dachauer Richtung wurde; 1900 auf Initiative der Kunsthistorischen Gesellschaft und des Steiermärkischen Kunstvereins Berufung als Leiter der neu installierten Meisterklasse für Malerei (Landschafts- und Blumenfach) an die Zeichenakademie Graz, dort 22 Jahre lang als Lehrer tätig, in denen er die Lehrmethode Adolf Hölzels und der Dachauer Schule in Graz etablierte. Mitgliedschaften: Gründungsmitglied der Münchner Sezession; Ausschussmitglied des Steiermärkischen Kunstvereins; Kunsthistorische Gesellschaft. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1900, 1901, 1902, 1904, 1905, 1906, 1907, 1910,

1911, 1912, 1914; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1906. Alfred von Schrötter-Kristelli widmete sich in seinen ersten Schaffensjahren vor allem dem Genrebild. Die Landschaftsbilder seiner Dachauer Zeit gehen gemäß den Prinzipien der Neu-Dachauer Schule von der genauen Beobachtung der atmosphärischen Stimmungen in der Natur aus und suchen diese durch die Wahl unspektakulärer, oft enger Bildausschnitte und die Stilisierung der landschaftlichen Formen zu gesteigerter Wirkung zu bringen. Formvereinfachung und Flächigkeit kommen auch in Porträts und symbolischen Kompositionen seiner Grazer Zeit zur Anwendung, während er in seinen zahlreichen Pferdebildern realistischeren Darstellungsmodi folgt. Die Bedeutung Schrötter-Kristellis für Graz liegt vor allem in seiner Lehrtätigkeit, in deren Verlauf er eine ganze Generation von Künstlerinnen und Künstlern heranbildete – unter anderen haben Marie von Baselli, Norbertine Bresslern-Roth, Leo Grimm, Franz Hofer, Axl Leskoschek, Karl Mader, Paul Schmidtbauer und Fritz Silberbauer bei ihm studiert. Lit.: Fuchs 1976/77; R.-M. von Klarner, Die Geschichte der ständischen Zeichnungs-Akademie in Graz, Phil. Diss., Graz 1945; List 1967–1982; Thieme/ Becker; Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz um 1900, Phil. Diss, Graz 1994. Die alte Königsmühle bei Graz, 1909 Öl/Lwd. 53 × 60 cm Kulturamt der Stadt Graz → Abb. S. 204 Dom zu Graz, 1914 Öl/Lwd. 88,2 × 113,4 cm GrazMuseum → Abb. S. 208 Entwurf für den Ausstellungskatalog des Steiermärkischen Kunstvereins, Weihnachtsausstellung 1902 Tusche/Papier 35,3 × 25,7 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/3753 → Abb. S. 72 Entwurf für ein allegorisches Gemälde im Landtagssitzungssaal in Graz, 1919 Tempera/Papier 135 × 145 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/702 → Abb. S. 232

Fritz Silberbauer * 4. April 1883 in Leibnitz, † 30. Dezember 1974 in Graz Maler, Grafiker, Freskant Lithografenlehre in Graz (Senefelder); 1902–04 und 1909–10 Studium an der Landeskunstschule Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli); 1904–08 Kunstgewerbeschule Dresden, 1910–14 Akademie der bildenden Künste Wien (Ferdinand Schmutzer); im Ersten Weltkrieg in Galizien und an der Isonzofront; ab 1928 Lehrer an der Landeskunstschule Graz; ab den 1930er-Jahren Dozent an der Technischen Hochschule Graz; 1939–46 Leitung der Malereiklasse in der Staatlichen Meisterschule des deutschen Handwerks Graz (ehem. Kunstgewerbeschule); Fresken für öffentliche und private Gebäude in der Steiermark; nach 1945 Volksgerichtverfahren wegen illegaler Betätigung für die Natio­nal­ sozialisten, Freispruch. Mitgliedschaften: Werkbund Freiland; 1923 Mitbegründer der Sezession Graz; Steiermärkischer Werkbund; Secession Wien; Bund Deutscher Maler Österreichs. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1905, 1907, 1909, 1910, 1914, 1918. Fritz Silberbauers künstlerisches Schaffen ist überaus vielfältig. Er betätigte sich als Radierer, Lithograf, Zeichner und als Maler, schuf Fresken, Mosaiken, Kriegerdenkmäler, Sgraffiti sowie Glasfenster. Stilistisch setzte er sich in seinen frühen Jahren mit den formalen Prinzipien des Jugendstils sowie mit dem Symbolismus auseinander. Dies kam etwa an seinem Radierzyklus zu Hugo von Hofmannsthals Der Tor und der Tod zum Ausdruck. Silberbauer begann 1913 mit der Arbeit an den Radierungen, konnte den Zyklus jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg vollenden. Flächigkeit und Linearität sowie ein stark kontrastierender Einsatz von Licht und Schatten dominieren die Blätter, deren Bildraum bühnenartiginszeniert wirkt. Ebenfalls theatralisch mutet die Lichtführung an, wobei dem Licht in diesem Zyklus auch ein hoher symbolischer Wert zukommt. Durch das Gegenlicht verlieren die Motive an Plastizität, die Formen erscheinen flächigkonturbetont und gehen stellenweise ins Ornamentale über. In der Malerei entwickelte sich Silberbauers Formensprache nach den Jahren des Ersten Weltkriegs ins Expressionistische. Kristallin-scharfkantige Gepräge und Strukturen bestimmen die Bilder jener


Zeit. In den 1920er- und 1930er-Jahren erfolgte eine Auseinandersetzung mit Neuer Sachlichkeit, Kubismus und Abstraktion. Es sind jedoch auch einige programmatische Arbeiten für das natio­nalsozialistische Regime bekannt. Lit.: Fritz Silberbauer 1883–1974, Kat. Stadtmuseum Graz, Graz 1983; Fritz Silberbauer. Grafik, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1973; List 1967–1982; ± 90. Schaffende Künstler über 85 in der Steiermark, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 1974; Wolfgang Silberbauer, Fritz Silberbauer 1883–1974, Phil. Diss., Graz 1988; Stadtmuseum Graz, Peter Peer (Hg.), Jenseits des Horizonts: Phantastisches und Abgründiges im Werk Fritz Silberbauers, Graz 2005; Thieme/Becker. Entwurf für ein allegorisches Gemälde im Landtagssitzungssaal in Graz, 1919 Öl/Lwd. 121 × 129 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/963 → Abb. S. 233 Urwald in der Bukowina, 1909 Pastell/Papier 95 × 75 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/1094 → Abb. S. 193 110. Ausstellung Steiermärkischer Kunstverein, 1910, Plakat Lithografie/Papier 117,5 × 79,5 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz → Abb. S. 40 111. Ausstellung Steiermärkischer Kunstverein, 1910/1911, Plakat Lithografie/Papier 111,7 × 75,9 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz → Abb. S. 78 Illustrationen zu Der Tor und der Tod von Hugo von Hofmannsthal, 1913/1921 10 Radierungen/Papier Bl. je ca. 42 × 27 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/24928 – II/24937 → Abb. S. 195-197 Adolf Sperk * 9. April 1893 in Wien, † 31. August 1968 in Graz Fotograf, Grafiker, Chemiker 1921–58 Professor an der Kunstgewerbeschule Graz; daneben als Fotograf und in der chemischen Forschung tätig; Forschung und Laborentwicklung von neuen Textil-, Druck- und Malverfahren; ab den 1920er-Jahren Experimente mit Fototechniken.

Mitgliedschaften: Grazer Kunstphotographische Vereinigung; Steiermärkischer Werkbund. Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Adolf Sperk suchte in seiner Fotografie den piktorialen, malerischen Effekt. Diesem kam er einerseits durch den Bromöldruck nahe, durch den die Formen stark weichgezeichnet und malerisch wirken, und andererseits durch seine Motivwahl. Sperk bevorzugte klassische, der Malerei entlehnte Sujets, allen voran die Landschaft. Den Horizont setzte er dabei meist entweder sehr hoch oder sehr niedrig an, eine Betonung der Licht- und Schattenverhältnisse des Himmels oder des (Wald-)Bodens war die Folge. An dieser Stelle wird die Nähe zur Malerei des Impressionismus deutlich. Als rahmende Elemente benützte Sperk oft Bäume oder andere vegetabile Formen, die kontrastierend zum leeren Raum stehen, dem in Sperks Fotografien eine zentrale Stellung eingeräumt wird. Diese Inszenierung der Absenz sowie die Wahl von ephemeren Motiven wie Wasserspiegelungen verleihen den Arbeiten Sperks ihren melancholischen Grundton und verweisen auf die Orientierung am Symbolismus. Lit.: Kat. Stadtmuseum Graz 1988; List 1967–1982. Letzte Sonnenstrahlen, 1920er-Jahre Bromölumdruck/Karton 22,3 × 15,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/15521 → Abb. S. 254 Vorfrühling, 1920er-Jahre Farbiger Bromölumdruck/Karton Bl.: 47,6 × 29,5 cm, Bsp.: 46,6 × 28,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/15447 → Abb. S. 255 Pappeln, um 1925 Bromölumdruck/Karton 21,5 × 16,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/15526 → Abb. S. 254 Josef Steps * 23. April 1900 in Graz, † 8. Juni 1949 in Judenburg Maler, Grafiker 1919–21 Besuch der Landeskunstschule Graz (Alfred von Schrötter-Kristelli); 1920 Aufenthalt in München; ab 1921 Lehrtätigkeit an Grazer Gymnasien; 1924 Studium an der Münchner Akademie (Prof. Meierhofer); 1925–29 an der Akademie der bildenden Künste Wien (Ferdinand Schmutzer, Rudolf Bacher);

ab 1929 Lehrtätigkeit an den Stiftsgymnasien St. Paul und Seckau, ab 1934 am Gymnasium in Knittelfeld, zuletzt Direktor des Gymnasiums Judenburg. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Künstlerbund Graz. Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Josef Steps’ Werk umfasst Ölmalereien, Aquarelle und Grafiken, von denen Stadtansichten und Landschaften den Großteil bilden. Aber auch dem Porträt widmete er sich. Sowohl in der Grafik als auch in der Malerei strebte er nach möglichst klaren, auf das Wesentliche reduzierten Formen und Farben sowie einem flächigen und harmonischen Bildaufbau. In seinen Radierungen ist zum einen die Rezeption des Jugendstils in der linear-ornamentalen Behandlung der Form und den Motiven, die sich dem Traumhaft-Surrealen zuwenden, zu erkennen. In späteren Blättern zeigt sich hingegen die Nähe zum Expressionismus in der kristallinen Schärfe der Konturen und der Behandlung düsterer Sujets. Die Natur, vor allem der Wald, wird hierbei als Träger der jeweiligen Bildstimmung eingesetzt und dementsprechend formal umgesetzt. Lit.: List 1967–1982. Der Dobratsch in Kärnten, 1926 Öl/Lwd. 70 × 100 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/655 → Abb. S. 249 Oskar Stössel * 17. Jänner 1879 in Neunkirchen, NÖ, † August 1964 in Wien Maler, Grafiker 1892 Übersiedlung nach Graz; 1907 Abschluss der Technischen Hochschule als Bauingenieur; während und nach dem Technik-Studium Landschaftliche Zeichenakademie (Heinrich Schwach, Ludwig Kainzbauer, Alfred von Schrötter-Kristelli); Besuch der Malschule Constantin Damianos; erste Versuche der Radiertechnik bei Leo Diet in Graz; 1909–12 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Ferdinand Schmutzer); 1912–15 freischaffender Künstler in Wien, Reisen nach Venedig und Holland (Besuch der Malerkolonie um Friedrich Kallmorgen); ab 1915 im Ersten Weltkrieg als Soldat an der Front (Polychna bei Krasnik, Karpaten, Bukarest); nach dem Krieg Rückkehr nach Graz; 1919 Umzug auf die Lassnitzhöhe; ab den 1920er-Jahren große Erfolge als Porträtist; 1922–23 Italienreise;


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1938 Emigration in die USA, wo seine Grafiker- u. Porträtistenkarriere eine erfolgreiche Fortsetzung fand; während der Kriegsjahre Engagement gegen das NS-Regime als Mitglied der New Yorker Organisation „Austrian Action“; in den 1950er-Jahren Rückkehr nach Wien. Mitgliedschaften: Genossenschaft bildender Künstler Wiens; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1906, 1907, 1908, 1909, 1910, 1912, 1916, 1917. Den Schwerpunkt des künstlerischen Werkes von Oskar Stössel bildet die Grafik. Besonderen Einfluss übte auf diesem Gebiet sein Lehrer Ferdinand Schmutzer auf ihn aus. Neben Veduten entstanden in erster Linie Porträts von Persönlichkeiten, die häufig der kulturellen oder politischen Elite unterschiedlicher Nationalitäten angehören. Stilistisch blieb Stössel dem Realismus verpflichtet, wobei fein gezogene Konturen ein harmonisches Zusammenspiel mit der malerischen Wirkung der dichten, differenziert übereinander gelegten Strichlagen bilden. Das Individuelle, Charakteristische der Porträtierten wird besonders konzentriert durch den Gegensatz zwischen detaillierter Ausführung und gewollter Skizzenhaftigkeit hervorgehoben. Zudem verarbeitete Stössel Elemente der Grafik Rembrandts, Dürers und Schongauers. Malerisch äußerte sich Stössel hingegen in seinen Landschaften und Bildnissen in impressionistischer Art und Weise. Vereinheitlichte Farbtonwerte und ein kräftig-pastoser Farbauftrag verorten das Bild in der Fläche, in der Formen und Gestalten zugunsten der Lichtdarstellung großflächig zusammengefasst werden bzw. sich fast gänzlich auflösen.

1891–94 Studium an der Staatsgewerbeschule Graz und von 1894–1902 an der Akademie der bildenden Künste Wien (Edmund von Hellmer, Caspar von Zumbusch); 1901–02 Aufenthalt in Italien, 1903 in Bukarest, Istanbul und Athen; anschließend Niederlassung in Wien. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; 1903–06 Hagenbund; 1908–34 Wiener Künstlerhaus; ab 1925 Präsident des Künstlerverbandes österreichischer Bildhauer. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1895, 1896; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1901, 1903, 1905, 1906, 1907, 1909, 1910. In seinem bildhauerischen Werk setzte sich Theodor Stundl vorwiegend mit dem weiblichen Akt und dem Porträt auseinander. Inspiration fand er hierbei in der griechischen Antike und der Mythologie, die er sowohl inhaltlich als auch formalstilistisch verarbeitete. Bis zum Ersten Weltkrieg schuf er zahlreiche Denkmäler, Bronze- und Marmorstatuetten, Reliefs sowie Plaketten. Mitte der 1910er-Jahre entstanden ornamental gefertigte Köpfe, die Kontinente und Völker allegorisch darstellen. Der Einfluss Auguste Rodins zeigt sich im Werk Stundls vor allem in der verinnerlichten Darstellung des Menschen und der fragmentarischen Ausarbeitung vereinzelter Steinpartien. Das Unvollendete wurde von beiden Künstlern als ausdruckstragendes Stilmittel verstanden. Motivisch finden sich ebenso Reflexe des Symbolismus und des Jugendstils. In den 1920er-Jahren wandte sich Stundl vermehrt der Friedhofsplastik zu und komponierte seine Figuren(-gruppen) verstärkt auf deren Allansichtigkeit hin.

Lit.: Hochsommer 1997; List 1967– 1982; Peter Peer (Hg.), Oskar Stössel – Porträtist einer Gesellschaft, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 2008; Steinle/ Danzer 2000; Thieme/Becker; Vollmer 1953–1962.

Lit.: Der Klosterneuburger Künstlerbund im Wandel der Zeit, Kat. Klosterneuburg 1988; Die verlorene Moderne. Der Künstlerbund Hagen 1900–1938, Kat. Österreichische Galerie in Schloss Halbturn, Wien 1993; Thieme/Becker.

Aktstudie, um 1920 Öl/Lwd. 87 × 69,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/853 → Abb. S. 238

Kunstausstellung Steiermärkischer Kunstverein, 1898, Plakat Lithografie/Papier 108,5 × 79,5 cm Steiermärkisches Landesarchiv Graz

Theodor Stundl * 28. Juni 1875 in Marburg/Maribor, heute in Slowenien, † 12. August 1934 in Hohenberg, NÖ

Knieende Figur vom Schubertbrunnen in Wien, 1928 Marmor 58,4 × 28,1 × 33,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, III/147

Bildhauer

→ Abb. S. 237

→ Abb. S. 68

Konrad von Supanchich (Supančič)Haberkorn * 23. Juli 1858 in Budapest, † 3. Dezember 1935 in Graz Maler, Illustrator Besuch der Marineakademie in Fiume/ Rijeka, dort künstlerische Förderung durch Hauptmann Josef Horaczek; bis 1892 Linienschiffsleutnant der k.u.k. Kriegsmarine; ab 1894 Hinwendung zur Malerei; in Graz Besuch der Malschule Wilhelm Langers und Paul SchadRossas. Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Grazer Künstlerbund. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1900, 1906, 1909, 1910, 1912, 1913, 1916, 1917, 1918; Künstlerbund Graz: 1901, 1903; Steiermärkischer Kunstverein: 1903, 1904, 1907; 2 Lithografien in der Zeitschrift Grazer Kunst, 1901. Konrad von Supanchich-Haberkorn bevorzugte in seiner Malerei die Sujets der Landschaft und des Porträts. Sowohl in der Grafik als auch in der Malerei zeigt sich sein künstlerisches Schaffen dem Impressionismus verpflichtet. Besonders deutlich wird dies in seinen Marinebildern und Hafenansichten, deren Fokus auf der Darstellung sphärischer Luftstimmungen und wechselnder Lichtphänomene, wie beispielsweise Reflexionen des Lichtes auf der Wasseroberfläche, liegt. Auch die Farbwerte der Gegenstände bestimmt in den Bildern Supanchich-Haberkorns die jeweilige Lichtsituation, wobei die Farbigkeit generell durch komplementäre, nebeneinander gesetzte Farbwerte intensiv-vibrierend wirkt. Seine Porträts führte er hingegen im realistischen Stil aus. In der Grafik setzte sich Supanchich-Haberkorn um die Jahrhundertwende mit dem Vokabular des Jugendstils auseinander. Lit.: List 1967–1982; Thieme/Becker. Hafen in Lovrano bei Scirocco, 1907 Öl/Lwd. 80 × 117 cm Kulturamt der Stadt Graz → Abb. S. 161 Ausfahrt der Fischerboote, 1912 Gouache, Pastell/Papier 70 × 40 cm Privatbesitz → Abb. S. 213


Auf hoher See, 1901 Lithografie/Papier aus der Zeitschrift Grazer Kunst 30 × 21,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek

Franz Josef Unterholzer * 15. März 1880 in Maria Lankowitz, † 24. Jänner 1952 in Voitsberg

→ Abb. im Vorsatz (S. 6)

Studium an der Kunstgewerbeschule Graz (Hans Brandstetter, Richard Winkle­r); gleichzeitig Lehre bei dem Holzbildhauer Gschiel; 1903–08 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Eduard Bitterlich); 1907– 08 Besuch der Spezialschule Edmund Hellmers; 1908 Anstellung in der Medaillenfabrik Schrobenhausen; 1909– 14 Studienaufenthalt bei Auguste Rodin sowie in Berlin; 1914 Österreichischer Staatspreis für Plaketten mit symbolischen und allegorischen Darstellungen; 1914–18 freiwilliger Frontoffizier; nach Kriegsende Rückkehr nach Köflach; Beginn des autodidaktischen Studiums der Schnitzerei; Auftragswerke in Wien, Köflach und Warasdin; 1938 Jugoslawien-Aufenthalt bei Bildhauer Ivan Meštrovič; 1941 Rückkehr nach Österreich; Niederlassung in Voitsberg.

Margarete Supprian * 4. Juni 1872 in Pyritz/Pyrzyce, Pommern, heute in Polen, † unbekannt Malerin, Grafikerin 1900–03 in Graz lebend; 1903 Abmeldung nach Berlin. Schülerin von Paul Schad-Rossa. Mitgliedschaften: – Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1903, 1905, 1906; Grazer Künstlerbund: 1903; 1 Lithografie und Buchschmuck in der Zeitschrift Grazer Kunst, 1901. Die Dokumentation des Werkes Margare­te Supprians ist äußerst lückenhaft. Die von ihr überlieferten Werke sind dem grafischen Bereich zuzuordnen, wobei das landschaftliche Motiv dominiert. Stilistisch bewegte sich Supprian ihrem Lehrer SchadRossa folgend zwischen einem die Form atmosphärisch auflösenden Symbolismus und dem Fläche und Linie betonenden Vokabular des Jugendstils, wobei Suppria­n räumliche Bezüge trotz stilisierter Elemente nicht gänzlich aufgab. Eine weitere Parallele zur Grafik Schad-Rossas bilden die im Wechsel von Licht und Schatten flächig differenzierten Binnenstrukturen, die zum Teil ins Ornamentale reichen, sowie die konzentrierte Behandlung feinster Lichtimpulse. Lit.: Karl F. Stock, Steirische Exlibris gestern und heute, Graz 2010. Dorf im Tal, um 1900 Pastell/Papier 33,7 × 49 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/40206 → Abb. S. 215 Aus der Sottoguda in den Dolomiten, 1901 Lithografie/Papier aus der Zeitschrift Grazer Kunst 30 × 21,8 cm Neue Galerie Graz, UMJ, Bibliothek → Abb. im Vorsatz (S. 17) Weiden am Bach, um 1900 Radierung mit Aquatinta/Papier Bl.: 30 × 40 cm, Pl.: 15,5 × 21,3 cm, Bsp.: 13,6 × 19,7 cm Neue Galerie Graz, UMJ, II/27472 → Abb. S. 214

Bildhauer, Medailleur

Mitgliedschaften: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1905, 1906, 1907. Franz Josef Unterholzers bildnerisches Œuvre umfasst Bildnisplaketten, sakrale Holzschnitzereien, Grabsteine sowie Plaketten mit symbolischen und allegorischen Darstellungen. In der Großplastik sind vor allem seine Kriegerdenkmäler (Köflach, Maria Lankowitz, Voitsberg, etc.) zu nennen. Einen Großteil seines Werkes musste Unterholzer zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Paris zurücklassen, wo auch wesentliche Impulse für sein Werk ihren Ursprung haben. Sowohl Rodin, dem er freundschaftlich verbunden war, als in der Folge auch Michelangelo beeinflussten ihn in seiner Figurenkonzeption grundlegend. Zudem stand Unterholzer während seiner Pariser Zeit mit dem Bildhauer und Medailleur Ovide Yencesse in Kontakt, der ihn im Hinblick auf seine Plaketten künstlerisch beeinflusst hat. Im gleichen Maße sind in diesem Zusammenhang auch der belgische und französische Symbolismus, die floral-ornamentalen, stilisierten Formen des Wiener Jugendstils im Allgemeinen und der Personalstil Gustav Klimts im Besonderen sowie die altägyptische Kunst als Inspirationen Unterholzers zu erwähnen. In den späten 1930erJahren setzte er sich verstärkt mit dem monumental-dramatischen Werk Ivan Meštrovičs auseinander, der sich künstlerisch ebenfalls stark an Rodin und

Michelangelo orientierte. Nach 1941 widmete sich Unterholzer in erster Linie der sakralen Holzschnitzerei um ein finanzielles Auskommen zu finden. Lit.: Dehio Steiermark; Hanns Koren, Momentaufnahmen. Menschen, die mir begegneten, Graz 1975; Ernst Lasnik (Hg.), Altes Leben im Bezirk Voitsberg, Graz 2001; Ernst Lasnik, Alte Sakralkunst im Bezirk Voitsberg, Graz 1985; Ernst Lasnik, Rund um den heiligen Berg. Geschichte des Bezirkes Voitsberg, Graz 1982; Thieme/Becker. Allegorie: Alpha/Omega, 1911 Bronzeguss, einseitig 21 × 16,5 cm Kunsthistorisches Museum Wien → Abb. S. 190 Allegorie: Die Weisheit, 1911/1912 Bronzeguss, einseitig Ø 20,3cm Kunsthistorisches Museum Wien → Abb. S. 190 Allegorie: Das Schicksal, 1911/1912 Bronzeguss, einseitig 16,9 × 26,2 cm Kunsthistorisches Museum Wien → Abb. S. 190 Allegorie: Das Kind, 1912 Bronzeguss, einseitig 24 × 14 cm Kunsthistorisches Museum Wien → Abb. S. 190 Das Schicksal, 1923 36 × 10 × 10 cm Eichenholz, schwarz gebeizt Privatbesitz → Abb. S. 191 Ernst Wagner * 2. Februar 1877 in Cilli/Celje, heute in Slowenien, † 17. Dezember 1951 in Ammerland am Starnbergersee Maler, Bildhauer, Grafiker, Schriftsteller Nach der Promotion zum Dr. jur. 1901/02 Studium an der Kunstgewerbeschule Wien (Josef Breitner); 1902 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Hans Bitterlich); im Anschluss Übersiedlung nach München, wo er sich dem Kreis um Adolf von Hildebrand anschloss; 1909 Aufenthalt in Paris, dort Kontakt zu Rodin; 1910 in Ascona; 1911 in Berlin; 1912 in Calamotta und München; 1912 Rückkehr nach Wien, dort ab 1913 Lehrer an der Reformschule Schwarzwald in der Nachfolge Kokoschkas; ab 1915 im Kriegspressequartier, in dessen Auftrag Vorträge über kunstphilosophische Themen


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in Kopenhagen und Stockholm; 1918 vermehrte Beschäftigung mit Malerei; 1929 Lehrtätigkeit an der Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe in Dresden; 1936–37 und 1939–40 Aufenthalt in Italien, 1938–39 in England und Frankreich; 1939–40 Aufenthalt in Positano; 1940 Rückkehr nach Wien. Mitgliedschaften: 1922–38 Hagenbund; Wiener Sezession; Münchner Sezession; Berliner Sezession. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1904; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1905, 1906, 1907, 1909. Das plastische Werk Ernst Wagners besteht zu einem Großteil aus Porträtbüsten, die den Stilprinzipien des Jugendstils folgen. Angelehnt an Adolf von Hildebrand sowie Max Klinger beschränkte sich Wagner auf eine klare, reduzierte Formgebung sowie auf die Betonung wesentlicher Züge der Dargestellten. Besondere Ausdrucksstärke der Skulpturen erreichte Wagner hierbei neben dem Verzicht auf Details durch die Kombination verschiedener Materialien sowie die farbige Fassung einiger Partien. Die Mehrheit seiner plastischen Werke fiel jedoch dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Für Glasfenster und Mosaike sind Entwürfe bekannt, die nie zur Ausführung gelangten. In der Grafik arbeitete Wagner zyklisch. In den späten 1920er-Jahren entstanden zahlreiche Serien, die die Rezeption des Expressionismus und des Symbolismus zeigen. Wagner setzte sich mit künstlerischen Strömungen jedoch nicht nur in der angewandten Kunst auseinander, sondern auch auf theoretischer Basis. Er arbeitete längere Zeit mit Rudolf Steiner zusammen und trat als Schriftsteller kunstphilosophischer Werke hervor: Kunst und Evolution von 1920 folgte 1925 das kulturphilosophische Hauptwerk Verwandlung der Erde, 1928 Goethes Antworten auf Probleme der Gegenwart, 1935 das Spätwerk Wagemut im Schaffen. Auf dem Gebiet der Malerei galt Wagners hauptsächliches Interesse dem landschaftlichen Motiv, das er in zahlreichen Aquarellen und Gemälden verarbeitete. Lit.: Die verlorene Moderne. Der Künstlerbund Hagen 1900–1938, Kat. Österreichische Galerie in Schloss Halbturn, Wien 1993; Fuchs 1976/77; List 1967–1982; Thieme/Becker; Vollmer 1953–1962.

Porträtkopf einer jungen Frau, um 1900 Alabaster, teilweise farbig gefasst 19 × 21 × 45,5 cm Neue Galerie Graz, UMJ, III/397 → Abb. S. 176 Hanns Wagula * 13. Juli 1894 in Graz, † 24. Februar 1964 in Graz Maler, Grafiker, Lehrer, Filmproduzent 1912–14 Studium an der Landeskunstschule Graz (Alfred Zoff, Anton Marussig); 1913 Studienreise nach Italien sowie Aufenthalt in den USA; danach Militärdienst; 1919–22 Studium an der Akademie der Bildenden Künste München (Adolf Schinnerer, Karl Caspar) und der Malschule Alexander Archipenkos in Berlin; 1923 Rückkehr nach Graz; 1924 Studienreise nach Südfrankreich und Nordafrika; 1925 Rückkehr nach Graz. Mitgliedschaften: Schlaraffia; Werkbund Freiland; 1923 Mitbegründer der Sezession Graz; Die Brücke; Bund Österreichischer Gebrauchsgrafiker; Kameradschaft steirischer Künstler und Kunstfreunde. Ausstellungen in Graz 1890–1918: – Hanns Wagulas künstlerisches Schaffen nahm seinen Ausgang in der Zeichnung und der Malerei. In seinen frühen Landschaftsbildern verarbeitete Hanns Wagula formale Anregungen des Jugendstils sowie inhaltliche des Symbolismus. In den frühen 1920erJahren löste er sich jedoch sukzessive vom Naturvorbild sowie vom Jugendstil und fand zu einem freieren, an Cézanne geschultem Umgang mit Formen und Farben. Ab Mitte der 1920er-Jahre war Wagula vorwiegend als Gebrauchsgrafiker tätig und erlangte insbesondere auf dem Gebiet der Plakatkunst in der Steiermark Bedeutung. Charakteristisch für seine Arbeit auf diesem Gebiet war die Rezeption von Elementen der Neuen Sachlichkeit, die vereinfachte, stilisierte Darstellungsweise sowie die trotz der Flächigkeit der Entwürfe stets angesprochene räumliche Dimension. Ab 1932 war Wagula als Filmschaffender, auch im Bereich des experimentellen Films, tätig. 1937 gründete er den „Schmalfilm-Klub-Graz“. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde sein künstlerisches und filmisches Schaffen hoch geschätzt und er war uneingeschränkt propagandistisch für das Regime tätig. In der Nachkriegszeit war Wagula weiterhin als Werbegrafiker und Filmemacher erfolgreich. Sein Film Salzburger Impressionen wurde 1956 beim Festival de Cannes in der Kategorie Kurzfilm nominiert.

Lit.: Fuchs 1976/77; Bernhard Denscher, Österreichische Plakatkunst, 1992, S. 203; Hanns Wagula – Gedächtnisausstellung, Kat. Künstlerhaus Graz, Graz 1972; Holler-Schuster/Hochreiter 2010; Kat. Stadtmuseum Graz 1988; List 1967–1982; Thieme/Becker; Vollmer 1953–1962; Peter Wiesler, Hanns Wagula – Sein Leben, seine Zeit, sein Werk, Graz 1996. Sturm im Hafen, 1914 Öl/Lwd. 94 × 160 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/2903 → Abb. S. 164 Nebelmeer und Bäume (Steiermark), 1920 Öl/Karton 58 × 52 cm GrazMuseum → Abb. S. 247 Julius Wegerer * 20. Februar 1886 in Mautern, † 28. Mai 1960 in Mautern Maler, Grafiker 1900/01 Malunterricht bei Julius Schuch in Bruck an der Mur; 1907–08 Besuch der Handelsschule Graz, gleichzeitig Studium bei Anton Marussig; ab 1911 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien (Franz Rumpler); 1914–17 im Ersten Weltkrieg als Reserveleutnant an der Karpaten- und Südwestfront sowie Einsatz als Kriegsmaler; 1918 Rückkehr an die Wiener Akademie; 1920–28 abwechselnd in Mautern und in Wien wohnhaft; 1928 Berufung zum Professor für Landschafts- und Stillebenmalerei an die Landeskunstschule Graz; ab 1934 als freischaffender Künstler in Mautern tätig. Mitgliedschaften: 1912 Vereinigung bildender Künstler Steiermarks; Steiermärkischer Kunstverein, Obersteirische Gesellschaft für Bildende Kunst; Wiener Künstlerhaus; Kunstverein Kärnten; Oberösterreichischer Kunstverein; Kameradschaft steirischer Künstler und Kunstfreunde; 1938 Bund Deutscher Maler Österreichs. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1908, 1909, 1910, 1912, 1913, 1916, 1917, 1918. Das Hauptmotiv Julius Wegerers, sowohl in der Malerei als auch in der Grafik, war die obersteirische Landschaft und das Gebiet rund um Mautern im Liesingtal, seinem Heimatort. In den


Gebirgszügen, Bergseen und Wäldern suchte Wegerer vor allem das idyllischunberührte Moment. Dabei rückt die Klarheit der Formen und des kühl dargestellten Lichts Wegerers Werke in die Nähe der Neuen Sachlichkeit bzw. des magischen Realismus. Dennoch blieb seine Malerei stets der akademischen Tradition verpflichtet. Im Bereich der Grafik schuf Wegerer Porträts, Genreszenen und Tierstudien. In der Radierung löste er sich stellenweise von der tiefenräumlichen Komposition und gestaltete flächig-ornamentale Blätter mit landschaftlichen Motiven. Dem nationalsozialistischen Kunstideal kamen seine idyllischen Darstellungen der Heimat besonders entgegen und die 1930er- und 1940er-Jahre wurden Wegerers produktivste und erfolgreichste Phase. Wegerer sympathisierte früh auch politisch mit dem Nationalsozialismus und war am Juliputsch 1934 beteiligt. Seine Gemälde wurden in zahlreichen propagandistischen Ausstellungen gezeigt und er erhielt viele private und öffentliche Aufträge, u. a. von Albert Speer für die Berliner Reichskanzlei. Lit.: Elsa Brenzina, Julius Wegerer, Wien 1925–27; Holler-Schuster/Hochreiter 2010; Günther Jontes, Julius Wegerer 1886–1960, Leoben 1976; Willi Kadletz, Heimat und Kunst, Leoben 1935; List 1967–1982; Thieme/Becker. Dämmerung, 1917 Öl/Lwd. 35,5 × 45,3 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/2220 → Abb. S. 260 Hans Georg Weineiss * 28. Jänner 1858 in Graz, † 2. Oktober 1913 in München Maler, Grafiker, Illustrator Studium an der Landschaftlichen Zeichenakademie Graz sowie ab 1880 an der Akademie der Bildenden Künste München (Gabriel von Hackl, Ludwig von Löfftz, Wilhelm von Diez). Mitgliedschaften: – Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1899, 1900; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1908. Hans Georg Weineiss schuf vorwiegend Porträts sowie religiöse Genreszenen. Stilistisch löste sich Weineiss weitgehend vom Historismus seiner Lehrer an der Münchner Akademie, indem er stilistische und motivische Elemente des Impressionismus und des Symbolismus

rezipierte. Seine Gestaltungen behandeln Surreal-Visionäres, aber auch humorvolle, parodistische Szenen, beispielsweise des höfischen Lebens. Für die Eherne Mark – Eine Wanderung durch das steirische Oberland von Ferdinand Krauss (1897) war Weineiss als Illustrator tätig. Lit.: – Die Versuchung des hl. Antonius, 1890 Öl/Lwd. 200 × 319 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/846 → Abb. S. 171 Alfred Zoff * 11. Dezember 1852 in Graz, † 12. August 1927 in Graz Maler Ab 1859 Studium an der Ständischen Zeichnungsakademie Graz (Hermann von Königsbrun); 1880–84 an der Akademie der bildenden Künste Wien (Eduard Peithner von Lichtenfels); 1884 Übersiedlung nach Karlsruhe, dort bis 1890 Studium an der Kunstakademie (Gustav Schönleber); 1898 Umzug nach Krems an der Donau; ab 1907 als Professor an der Landeskunstschule Graz tätig; zahlreiche Reisen nach Italien, Holland und Belgien. Mitgliedschaften: 1883 Wiener Künstlerhaus; 1900 Hagenbund; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks. Ausstellungen in Graz 1890–1918: Steiermärkischer Kunstverein: 1895, 1897, 1898, 1899, 1900; Vereinigung bildender Künstler Steiermarks: 1901, 1902, 1903, 1904, 1906, 1907, 1908, 1909, 1910, 1912, 1913, 1916, 1917, 1918. Alfred Zoff zählt zu den namhaftesten Vertretern des österreichischen Stimmungsrealismus. Seine frühen Arbeiten weisen einen traditionellen, wohl von Königsbrun beeinflussten, schichtweisen Bildaufbau auf, wobei die motivische Betonung des Vordergrundes bereits ein wesentliches Merkmal seiner späteren Arbeiten vorwegzunehmen scheint. Zudem entwickelte er schon in jungen Jahren die für sein Œuvre typische, fein abgestufte, aber dennoch kräftige Farbigkeit unter Verwendung von Grün-, Braun- und Blautönen. Ende der 1980er-Jahre begann er, bedingt vor allem durch seine Aufenthalte im Süden, sich verstärkt mit der Meeresküste und ihren wechselnden Licht- und Witterungsstimmungen auseinanderzusetzen. In den Werken dieser Jahre ist eine zunehmende Distanzierung vom Naturalismus seiner früheren Werke

zu erkennen. In den späteren Jahren wählte Zoff spezifischere Landschaftsausschnitte, rückte näher an das Motiv heran. Immer weiter entfernte er sich von der detaillierten Naturwiedergabe und begann den Gegenstand unter Betonung der Fläche mehr und mehr aus autonomen Formen der Malerei zu entwickeln. Ab 1907 wurde die steirische Landschaft zum Hauptmotiv seiner Malerei und er arbeitete mit wenigen kräftigen und reich nuancierten Farben. Seine impressionistische Malweise, die kräftige optische Strukturierung der Binnenflächen, ohne jedoch den Gegenstand zugunsten der reinen Impression völlig aufzulösen, wirkte in der Steiermark schulbildend und initiierte eine dauerhafte Nachfolge bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Lit.: Alfred Zoff (1852–1927). Gemälde, Kat. Neue Galerie Graz, 1992; Fuchs 1976/77; Kolleritsch 1976; List 1967– 1982; Manfred Srna (Hg.), Kunsthandel, Gesamtkatalog der Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, Österreichische Gemälde des 19. und 20. Jh., Graz 2009; Martin Suppan (Hg.), Alfred Zoff, 1852–1927. Ein österreichischer Stimmungsimpressionist. LandschaftenMarinen, Wien 1991; Constantin von Wurzbach, Zoff, Alfred, in: Biographisches Lexikon des Kaiser­thums Oesterreich, Bd. 60, Wien 1891, S. 235 f. Hafenmotiv an der Riviera, 1888 Öl/Lwd. 78 × 110 cm Neue Galerie Graz, UMJ, I/100 → Abb. S. 160 Baumlandschaft, um 1917 80 × 69 cm Öl/Lwd. Privatbesitz → Abb. S. 245


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Biografien: abgekürzt zitierte Literatur Bénézit 1976 Emmanuel Bénézit et al. (Hg.), Dictionnaire des peintres, sculpteurs, dessinateurs et graveurs, Bd. 1–10, Paris 1976 Eisenhut/Weibel 2001 Günther Eisenhut, Peter Weibel (Hg.), Moderne in dunkler Zeit. Widerstand, Verfolgung und Exil steirischer Künstlerinnen und Künstler 1933–1948, Graz 2001 Fuchs 1976/77 Heinrich Fuchs, Die österreichischen Maler des 19. Jahrhunderts, 4 Bde., Wien 1972–1974; Die österreichischen Maler der Geburtsjahrgänge 1881–1900, 2 Bde., Wien 1976/77 Holler-Schuster/Hochreiter 2010 Günther Holler-Schuster, Otto Hochreiter (Hg.), Die Kunst der Anpassung, Steirische KünstlerInnen im Nationalsozialismus zwischen Tradition und Propaganda, Kat. Neue Galerie Graz und Stadtmuseum Graz, Graz 2010 Kolleritsch 1976 Hildegard Kolleritsch, Die Landschaftsmalerei in der Steiermark 1870–1920. Mit besonderer Berücksichtigung der Werke von Maria Egner, Alfred Zoff und Constantin Damianos, Phil. Diss., Graz 1976 Kat. Stadtmuseum Graz 1988 Kulturreferat der Landeshauptstadt Graz (Hg.), Indianer. Kunst der Zwischenkriegszeit in Graz, Kat. Stadtmuseum Graz, Graz 1988 Hochsommer 1997 Steiermärkisches Landesmuseum Joanneum (Hg.), Im Hochsommer der Kunst. 1890–1925. Portrait einer Epoche aus steirischen Sammlungen, Kat. Landesmuseum Joanneum, Graz 1997 List 1967–1982 Rudolf List, Kunst und Künstler in der Steiermark. Ein Nachschlagewerk, Ried im Innkreis 1967–82 ÖBL Österreichisches Biographisches Lexikon, http://www.oeaw.ac.at/oebl/ Plakolm-Forsthuber 1994 Sabine Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich 1897–1938. Malerei. Plastik. Architektur, Wien 1994 AKL Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, 24 Bde., München/Leipzig/Berlin ab 1992

Steinle/Danzer 2000 Christa Steinle, Gudrun Danzer (Hg.), Unter freiem Himmel. Die Schule von Barbizon und ihre Wirkung auf die österreichische Landschaftsmalerei, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 2000 Thieme/Becker Ulrich Thieme, Felix Becker (Hg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, 37 Bde., Leipzig 1908–1950 Vollmer 1953–1962 Hans Vollmer (Hg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts, 6 Bde., Leipzig 1953–1962


Protagonisten der Grazer Erneuerungs­ bewegung

Adalbert von Drasenovich * 29. Februar 1868 in Agram/Zagreb, Kroatien, † 27. Jänner 1936 in Graz Jurist, Schriftsteller Adalbert von Drasenovich absolvierte in Graz das Gymnasium und studierte hier von 1886–91 Rechtwissenschaften. Anschließend unternahm er Reisen durch Italien und Deutschland. 1896 erhielt er eine Stelle an der Grazer Finanz-Landes­direktion, deren Leitung er später übernahm. Seit 1898 wirkte er als Ausschussmitglied des Steiermärkischen Kunstvereins und der Kunsthistorischen Gesellschaft, der er seit ihrer Gründung 1896 angehörte und in deren Rahmen er zahlreiche Vorträge hielt. Drasenovich verfasste staatswissenschaftliche, kunst- und literaturkritische Beiträge für verschiedene Zeitungen wie die Graze­r Tagespost, war Kunstreferent des Grazer Tagblatts und Korrespondent für bildende Kunst der Münchner Neuesten Nachrichten. Zudem wirkte er an der Herausgabe der Zeitschrift Graze­r Kunst mit und setzte sich vehement für die Einrichtung einer Kunsthalle in Graz ein. Trotz seiner späteren politischen Einstellung, die den ursprünglichen Befürworter der Moderne zum Vertreter einer fundamentalistischen, antimodernen und deutschnationalen Ideologie werden ließ, ist Drasenovich einer der bedeutendsten Exponenten des Reform- und Erneuerungsprozesses um 1900. Lit.: Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz um 1900, Phil. Diss, Graz 1994. Emil Adolf Victor Ertl * 11. März 1860 in Wien, † 8. Mai 1935 in Wien Dichter, Schriftsteller, Bibliothekar Emil Ertl studierte zunächst ab 1879 an der Universität Wien Rechtswissenschaften, hörte daneben jedoch auch kunsthistorische, philosophische, geschichtliche und soziologische Vorlesungen. Nach der Staatsprüfung im Jahr 1883 setzte Ertl seine Studien bei Alexius Meinong fort. Meinong nahm 1882 eine Berufung als Extraordinarius für Philosophie an der Grazer Universität an, wohin ihm Ertl folgte und 1886 sein Studium mit der Dissertation Utilitarismus und Positivismus beendete. Bereits während seines Studiums volontierte Ertl an der Steiermärkischen Landesbibliothek, an der er 1886 eine Stelle als Bibliothekar erhielt. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte die Betreuung der Bibliothek der Technischen Hochschule, die bis zum Jahr 1889 an

die Steiermärkische Landesbibliothek angeschlossen war. Seit seinen Studien­ jahren verfasste Ertl Heimat- und Geschichtsromane. 1891 begann er seine Tätigkeit als Kulturredakteur des Grazer Tagblatts, in dem er sich aufseiten der Erneuerer für die Reformen im Grazer Kulturleben einsetzte. Neben literarischen Themen und Künstlerbiografien besprach Ertl ab 1897 mit Vorliebe die Ausstellungen des Steiermärkischen Kunstvereins sowie Veränderungen im Grazer Kunstleben. 1904 wechselte er zur Grazer Tagespost, für die er bis 1906 über Theateraufführungen der Grazer Bühnen berichtete. 1905 vermittelte ihn sein Freund Peter Rosegger zum Leipziger StaackmannVerlag, wodurch ihm der schriftstellerische Durchbruch gelang. 1907 bis 1909 war er interimistischer Leiter der Lehrkanzel für Kunstgeschichte an der Grazer Technischen Hochschule. Im Jänner 1896 trat Ertl der Kunsthistorischen Gesellschaft bei und gehörte ab 1898 dem Vorstandspräsidium des Steiermärkischen Kunstvereins an. Lit.: Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz um 1900, Phil. Diss, Graz 1994. Wilhelm Gurlitt * 7. März 1844 in Rom, † 13. Februar 1905 in Graz Archäologe Wilhelm Gurlitt war ein Sohn des Landschaftsmalers Louis Gurlitt. Er studierte von 1865–67 in Göttingen Klassische Philologie, Alte Geschichte sowie Kunstgeschichte. Es folgten Studienreisen nach Frankreich, Portugal und Spanien sowie Studienaufenthalte in Italien und Griechenland. 1869–70 war er als Gymnasiallehrer in Gotha tätig, dann als Erzieher in den Diensten des Fürsten Hugo zu Salm in Wien. Diese Stelle ermöglichte es ihm, sich 1875 bei Professor Alexander Conze mit der Schrift Das Alter der Bildwerke und die Bauzeit des sogenannten Theseion in Athen zu habilitieren. Noch im selben Jahr wurde ihm die Venia Legendi für Archäologie erteilt. 1877 wurde Gurlitt als außerordentlicher Professor auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Klassische Archäologie an der Universität Graz berufen, den er bis zu seinem Tod innehatte. 1883 wurde er Landeskonservator der Steiermark, 1890 zum ordentlichen Professor befördert. Seine Forderung, an der Grazer Universität eine Lehrkanzel für Kunstgeschichte einzurichten, deren Installierung und Besetzung mit Josef Strzygowski im Jahr 1892 sollten das


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kulturelle Klima der Stadt für die nächsten Jahre nachwirkend beeinflussen. 1887 wurde Gurlitt Kurator des Steiermärkischen Landesmuseums Joanneum sowie Leiter der Prähistorischen- und Antikensammlung. Vor allem diese außeruniversitären Funktionen gaben ihm Gelegenheit, neue Richtungen im Kulturleben der Stadt in die Wege zu leiten, da er in diversen Gremien und Enqueten des Steiermärkischen Landtags für den nötigen politischen Druck sorgen konnte, um traditionelle Strukturen aufzubrechen. 1894/1895 war er Dekan der Philosophischen Fakultät. Im November 1899 wurde er Präsident des Steiermärkischen Kunstvereins, dem er eine starke Hinwendung zu modernen Strömungen verlieh. 1900 wurde er korrespondierendes Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien. Gurlitt setzte sich zudem erfolgreich dafür ein, Paul Schad-Rossa nach Graz zu berufen, um die Entwicklung der modernen Kunst in der Steiermark zu fördern und an internationale Tendenzen anzubinden. Gurlitt war auch an der Neugestaltung der bestehenden Kunstsammlungen und der Landeszeichenakademie wesentlich beteiligt. Lit.: Eva Klein, Das Plakat in der Moderne, Phil. Diss., Graz 2011; Eva Klein, Vergessene steierische Moderne. Paul Schad-Rossa und das kreative Milieu um 1900. Sonderdruck aus dem Historischen Jahrbuch der Stadt Graz, Bd. 42., hg. v. Friedrich Bouvier und Nikolaus Reisinger, Graz 2012; Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz um 1900, Phil. Diss, Graz 1994. Josef Strzygowski * 7. März 1862 in Kunzendorf (Lipnik), heute in Polen, † 2. Februar 1941 in Wien Kunsthistoriker Josef Strzygowski stammte aus einer deutsch-schlesischen Textilunternehmerfamilie. Ab 1880 arbeitete er in der elterlichen Fabrik und schloss 1882 eine Ausbildung an der staatlichen Fachschule für Weberei ab. Er entschloss sich jedoch gegen die Übernahme des Textilunternehmens und studierte ab 1882 Kunstgeschichte und Archäologie an den Universitäten in Wien, Berlin und München, wo er 1885 mit einer Arbeit über die Ikonografie der Taufe Christi zum Dr. phil. promovierte. 1887 kehrte er nach Wien zurück, um sich als Dozent für Kunstgeschichte an der Wiener Universität zu habilitieren. 1892 erfolgte die Berufung Strzygowskis an die Universität Graz durch Wilhelm

Gurlitt. Dort wirkte er ab 1892 als Professor für Kunstgeschichte sowie als erster Leiter des Kunsthistorischen Instituts. 1896 gründete er die Kunsthistorische Gesellschaft nach Vorbild der pädagogischen Erziehungsbewegung Alfred Lichtwarks. 1909 übersiedelte Strzygowski nach Wien, wo er bis zu seiner Emeritierung 1933 das erste Kunsthistorische Institut leitete. 1933 gründete er die Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung in Wien. Neben seinen wissenschaftlichen Bemühungen, eine grundlegende Methode für die vergleichende Kunstwissenschaft auszubilden, um die Kunst des Orients mit der westlichen Kunstentwicklung in Beziehung zu setzen, war Strzygowski bestrebt, die Grazer Bevölkerung für die bildende Kunst der Gegenwart zu sensibilisieren bzw. Rahmenbedingungen für ein lebendiges Kunstleben zu schaffen. Sein erfolgreichstes Buch Die bildende Kunst der Gegenwart. Ein Büchlein für jedermann erschien 1907. Strzygowski genoss nicht nur als Wissenschaftler große Popularität, sondern auch als Kritiker zeitgenössischer Kunst, beispielsweise für Die Zeit. In späteren Jahren erfuhren seine Schriften eine nationalideologische Ausrichtung, so publizierte er in der Zeit des Nationalsozialismus Bücher wie Aufgang des Nordens oder Das indogermanische Ahnenerbe des deutschen Volkes. Lit.: Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz um 1900, Phil. Diss, Graz 1994. Hermann Ubell * 3. März 1876, † 13. August 1947 in Linz Archäologe, Lyriker, Kunst- und Literaturkritiker Hermann Ubell studierte ab Mitte der 1890er-Jahre Archäologie bei Wilhelm Gurlitt und Anton Emanuel Schönbach in Graz und promovierte 1900 zum Dr. phil. Nach Erhalt des Romstipendiums bereiste er daraufhin Italien und Griechenland. 1897 organisierte Ubell die Klinger-Ausstellung am Grazer Kunsthistorischen Institut und hielt in den folgenden Jahren zahlreiche Vorträge im Rahmen der Kunsthistorischen Gesellschaft, zu deren Gründungsmitgliedern er gehörte. Ebenso war er an der Gründung des Grazer Künstlerbundes (1900) und an der Herausgabe der Grazer Kunst beteiligt. Im Mitgliederverzeichnis des Steiermärkischen Kunstvereins wird Ubells Name erstmals 1900 erwähnt, obwohl er bereits in den Jahren davor sehr aktiv am Modernisierungsprogramm des Vereins teilgenommen und

dessen Ausstellungen betreut hatte. Ubells kunstpädagogische Öffentlichkeitsarbeit beschränkte sich jedoch nicht nur auf Vorträge und Führungen, sondern er benützte vor allem das Pressewesen, um breitere Publikumsschichten zu erreichen. Seine ersten journalistischen Versuche ermöglichte ihm wahrscheinlich sein Vater Karl Ubell, damals Chefredakteur des deutschnationalen Grazer Tagblatts, später wurde Ubell von Hermann Bahr und dem Chefredakteur der Wiener Abendpost Eugen Guglia gefördert. Er arbeitete als Redakteur für Die Zeit und die Wiener Abendpost. 1903 wurde sein einziger Gedichtband Stundenreigen veröffentlicht und es erfolgte seine Berufung an das Oberösterreichische Landesmuseum, zu dessen Direktor er 1908 ernannt wurde. Lit.: List 1967–1982; Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz um 1900, Phil. Diss, Graz 1994; Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines, Bd. 93. Franz Wibiral * 1840 in Brünn (Brno), heute in Tschechien, † 12. November 1914 in Graz Rechtsanwalt Franz Wibiral war von 1869–82 als Gerichtsadvokat in Wien und Meran tätig. Aus Gesundheitsgründen musste er 1883 jedoch seinen Beruf aufgeben und widmete sich ab diesem Zeitpunkt ausschließlich der künstlerischen Grafik. 1893 übersiedelte er nach Graz, wo er rasch in das soziokulturelle Gesellschaftsleben integriert wurde: Er trat dem Steiermärkischen Kunstverein bei, in dessen Vorstand er 1897 gewählt wurde, und gehörte der Kunsthistorischen Gesellschaft als stellvertretender Obmann an. Ab 1899 befasste er sich mit dem Aufbau des Landeskupferstichkabinetts, die 1901 als eigene Abteilung des Joanneums eröffnet wurde und das er bis zu seinem Tod ehrenamtlich leitete. Zudem hielt Wibiral Vorträge und Führungen in Grazer Museen für die Kunsthistorische Gesellschaft und verfasste wissenschaftliche Arbeiten, unter anderem über die Grazer Stecherfamilie Kauperz oder die Ikonografie des van Dyck. Nach dem Tod Wilhelm Gurlitts 1905 übernahm er bis 1908 das Präsidentenamt des Kunstvereins. 1906 brachte Wibiral den Antrag auf die Auflösung der Kunsthistorischen Gesellschaft ein. Lit.: Ulrike Tropper, Das kreative Milieu von Graz um 1900, Phil. Diss, Graz 1994.


Unser Dank gilt

Annette Rainer, GrazMuseum

für ihre Leihgaben:

Peter Schintler, Stadtarchiv, Graz

den privaten Eigentümerinnen und Eigentümern, die nicht genannt werden wollen

Dr. Elisabeth Schöggl-Ernst, Steiermärkisches Landesarchiv, Graz

und:

Gerhard Sommer, Galerie Kunst und Handel, Graz

Alte Galerie, Universalmuseum Joanneum, Graz Belvedere, Wien GrazMuseum Kulturamt der Stadt Graz Kunsthistorisches Museum Wien Multimediale Sammlungen, UMJ, Graz Oberösterreichische Landesbibliothek, Linz Österreichisches Theatermuseum, Wien Steiermärkisches Landesarchiv, Graz Steiermärkische Landesbibliothek, Graz Universität für angewandte Kunst, Wien Universitätsarchiv Graz Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München für die Unterstützung bei den Recherchen und der Organisation: Dr. Ulrich Becker, Kulturhistorische Sammlung, UMJ, Graz DI Gerhard Franz, Graz DI Eugen Gross, Graz Silvia Herkt, Universität für angewandte Kunst, Wien Christoph Hobel, Antiquitäten, Graz Mag. Bernd Holasek, Kunst Galerie, Graz Dr. Rüdiger Hoyer, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München Petra Karrer, Überlingen Dr. Alexander Klee, Belvedere Wien Ing. Franz Koiner, Frohnleiten Dr. Hildegard Kolleritsch, Graz Dr. Ernst Lasnik, Voitsberg Dr. Franz Leitgeb, GrazMuseum Dr. Karin Leitner-Ruhe, Alte Galerie, UMJ, Graz Andreas Lendl, Haus der Kunst, Graz Mag. Bettina Messner, Kulturamt der Stadt Graz Rudolf Minichbauer, Galerie Walfischgasse, Wien Christian Mußbacher, Steiermärkisches Landesarchiv, Graz Friedrich Ortner, Oberösterreichische Landesbibliothek, Linz

Florian Schrötter, Graz

Mag. Manfred Srna, Srna Fine Arts, Cormons Dr. Velten Wagner, Städtisches Museum, Engen Marika de Waal, Kapstadt, Südafrika Mag. Ernst Weber, Graz DDr. Peter Wiesflecker, Steiermärkisches Landesarchiv, Graz Dr. Heinz Winter, Münzkabinett, Kunsthistorisches Museum, Wien Prof. Michael Wolfbauer, Graz Dr. Thomas Zaunschirm, Wien


298 — 299 Impressum

Universalmuseum Joanneum

Dieser Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung

Abteilungsleitung Moderne und zeitgenössische Kunst Peter Peer

Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum 7. November 2014 – 22. Februar 2015 Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum Joanneumsviertel 2 8010 Graz, Österreich T: +43-(0)699/1780-9500 F: +43-(0)316/8017-9370 joanneumsviertel@ museum-joanneum.at www.museum-joanneum.at

Geschäftsführung Peter Pakesch, Wolfgang Muchitsch

Ausstellung Kuratorin Gudrun Danzer Kuratorische Assistenz Susanne Watzenböck Gestaltung Günther Holler-Schuster Registratur Astrid Mönnich Sammlungsregistratur Brigitte Lampl, Bianca Teubl Ausstellungsaufbau Robert Bodlos, Ivan Drlje, Markus Ettinger, Daniel Freudenberg, Helmut Fuchs, Ivan Gorickic, Bernd Klinger, Andreas Lindbichler, Josef Lurger, Stefan Reichmann, Klaus Riegler, Michael Saupper, Stefan Savič, Peter Semlitsch; Andreas Binder, Andreas Krauß Digitalisierung und IT Georg Pachler; Karl Lenger, Universität Graz Restaurierung Valentin Delic, Paul-Bernhard Eipper, Julia Hüttmann, Barbara Molnár-Lang, Melitta Schmiedl, Fenna Yola Tykwer; Gisela Giencke, Graz Kunst- und Architekturvermittlung Monika Holzer-Kernbichler, Antonia Veitschegger und Team Grafik Karin Buol-Wischenau Office Management Gertrude Leber Leitung Außenbeziehungen; Presse, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit Andreas Schnitzler; Christoph Pelzl, Anna Fras, Jörg Eipper-Kaiser, Barbara Ertl-Leitgeb, Elisabeth Weixler, Bärbel Hradecky, Astrid Rosmann, Eva Pessenhofer-Krebs Veranstaltungsmanagement Gabriele Filzwieser, Franz Adlassnig Information Elisabeth Englmaier, Thomas Kirchmair, Gabriele Lind, Petra Melinz-Schille, Sabine Messner


Katalog Herausgeber/in Gudrun Danzer, Peter Pakesch Redaktion Gudrun Danzer Lektorat Jörg Eipper-Kaiser Grafische Konzeption Lichtwitz – Büro für visuelle Kommunikation Grafische Gestaltung Karin Buol-Wischenau Bildbearbeitung Karin Buol-Wischenau, Andrea Weishaupt Druck Medienfabrik Graz Papier Invercote Creato matt 300g, Hello Silk 150g, Biotop 3 Offset 100g Schrift Tram Joanneum, ITC Charter Com Abbildung am Umschlag: Titelblatt der Zeitschrift Grazer Kunst hg. v. Grazer Künstler-Bund, Graz 1901 Abbildungen Vorsatz (S. 1–19) sowie S. 67, 77, 93, 103, 297: Seiten und Vignetten aus der Zeitschrift Grazer Kunst, hg. v. Grazer KünstlerBund, Graz 1901 Printed in Austria ISBN 978-3-902-09562-6

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.

Ronald Lind: S. 105; S. 108–111, Umschlagmotiv

© 2014 Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum

Universität für Angewandte Kunst Wien: S. 167

© für die abgebildeten Werke bei den Rechtsnachfolgern der Künstlerinnen und Künstler © für die gedruckten Texte bei den Autorinnen oder deren Rechtsnachfolgern © für die Fotografien bei den Fotografinnen und Fotografen oder deren Rechtsnachfolgern: Belvedere Wien: S. 37, Abb. 9; S. 38, Abb. 10; S. 129 Digitalisierungsabteilung der KarlFranzens-Universität Graz: S. 49, Abb. 24; S. 58, Abb. 32, 33; S. 59, Abb. 34; S. 62, Abb. 35 GrazMuseum: S. 81, Abb. 2; S. 83, Abb. 4; S. 90, Abb. 90 Agnes Husslein-Arco/Alexander Klee, Formalisierung der Landschaft, Kat. Belvedere, München 2013, Nachsatz S. 199: S. 56, Abb. 30 Institut für Archäologie, Karl-FranzensUniversität Graz: S. 33, Abb. 6 Iziko South African National Gallery, Kapstadt: S. 234, 235 Kunsthistorisches Museum Wien: S. 190 Multimediale Sammlungen, UMJ: S. 31, Abb. 3; S. 83; Abb. 6; S. 86, Abb. 10; S. 91, Abb. 24; S. 214, 215, S. 217–219; S. 220–221 N. Lackner/UMJ: S. 40, Abb. 13–16; S. 43, Abb. 18; S. 56, Abb. 29, S. 68, Abb. 1, 2; S. 71, Abb. 4; S. 72, Abb. 6, 7; S. 73, Abb. 9–12; S. 78; S. 79; S. 106; S. 130; S. 160–166; S. 168–177; S. 182–189; S. 191–213; S. 214–217; S. 219; S. 226–234; S. 236–263 Neue Galerie Graz, UMJ: S. 32, Abb. 5; S. 38, Abb. 11; S. 39, Abb. 12; S. 41, Abb. 14; S. 42, Abb. 15–17; S. 43, Abb. 19; S. 44, Abb. 20–21; S. 46, Abb. 22; S. 48, Abb. 23; S. 54, Abb. 27; S. 55, Abb. 28; S. 57, Abb. 31 Neue Galerie, UMJ, Archiv: S. 35, Abb. 8; S. 64, Abb. 36–41; S. 65, Abb. 42–47 ÖNB Wien: S. 34, Abb. 7

Sando Zwiesele: S. 112–128; S. 134; S. 140–145; S. 148 Stadtarchiv Graz: S. 29, Abb. 1; S. 30, Abb. 2 Susanne Post (Photo Studio): S. 104; S. 133; S. 146, 147; S. 149; S. 150–155 Theatermuseum Wien: S. 53, Abb. 26

Trotz intensiver Recherche konnten die Urheberrechte sowie Fotografen der abgebildeten Werke nicht in jedem Fall ermittelt werden. Sollte es in Einzelfällen nicht gelungen sein, Rechteinhaber zu benachrichtigen, so bitten wir diese, sich mit der Neuen Galerie Graz in Verbindung zu setze­n.


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Gut für Österreich.


Die Initiativen des Münchner Symbolisten Paul Schad-Rossa (1862–1916) ab Herbst 1900 bilden den Höhepunkt der damaligen Neuerungen in der Kunstszene von Graz. Seit einem Jahrzehnt hatten einige engagierte Persönlichkeiten für die Anbindung der Stadt an das Kunstgeschehen in den Metropolen wie Wien und Münche­n gekämpft. Alle Kunstinstitutionen der Stadt waren davon betroffen: die Universität, das Landesmuseum, die Künstlerausbildung, das Ausstellungswesen. Schad-Rossa setzte zusätzliche Impulse und polarisierte mit seiner Kunst Kritik und Publikum. Er gestaltete Ausstellungen im Sinne des Secessionismus als Gesamtkunstwerk, gründete einen Künstlerverein, gab eine Kunstzeitschrift heraus, betrieb eine private Kunstschule und wurde eingeladen, an der Universität zu unterrichten. 1904 zog er nach Berlin, wo er mitten im Ersten Weltkrieg verstarb. Sein Werk wurde – nicht nur in Graz – nahezu vergessen. Die Kunstgeschichtsschreibung der Moderne hat den Symbolismus aus ihrer Entwicklungsgeschichte einer analytischen, oft gesellschaftskritischen Kunst verbannt. Seine Bilderwelten leben heute in anderen Medien wie dem Film oder der Werbung weiter. Die Ausstellung setzt das kürzlich wiederentdeckte Werk Schad-Rossas mit der steirischen Kunst seiner Zeit in Beziehung. So will sie der Frage nachgehen, ob der Aufbruch in der Kunstszene von Graz um 1900 tatsächlich ein Aufbruch in die Moderne war. Der Katalog bringt Farbabbildungen aller Werke der Ausstellung, die zum größten Teil aus der Sammlung der Neuen Galerie Graz am Universalmuseum Joanneum kommen. Kulturgeschichtliche Aufsätze erläutern die Hintergründe der Neuerungsbewegung in Graz in den Bereichen der bildenden Kunst, des Plakates und der Architektur, ergänzt durch Biografien aller Künstlerinnen und Künstler sowie der Protagonisten der damaligen Kunstszene.



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