Gesammelte Geschichte. Schaudepot

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Gesammelte Geschichte

Schaudepot

Die ganze Vielfalt der Kulturhistorischen Sammlung




Fülle überall

Herzlich willkommen im Schaudepot! Die Kulturhistorische Sammlung, jetzt Teil des Museums für Geschichte am Universalmuseum Joanneum, umfasst heute rund 35.000 Objekte. Aufbau und Wachstum sind dem Bildhauer und Kunstgewerbelehrer Karl Lacher (1850–1908) zu verdanken. Mit seiner regen Sammeltätigkeit legte er das Fundament für das „Culturhistorische und Kunstgewerbemuseum“, das 1895 eröffnet wurde. Dieser Museumstyp war auf der Höhe der Zeit. Ziel war es, die Kulturepochen der Region vom Mittelalter bis in die Gegenwart zu dokumentieren und ein übersichtliches Bild vom Wohnen, Leben und Schaffen der Bevölkerung zu geben. Auch ging es darum, angesichts zunehmender Industrialisierung und Massenproduktion das heimische Kunsthandwerk nicht von seinen Wurzeln abzuschneiden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden in ganz Europa Museen für Kulturgeschichte und Kunsthandwerk, die das materielle Erbe der Vergangenheit vor dem Verschwinden bewahren sollten. Gefragt war eine überquellende Fülle, die wir in unserem Schaudepot erneut ausbreiten wollen. Schaudepots sind zugleich Schaufenster und geben Einblick in das Herz eines Museums. Ihre Aufgabe ist es, Sammlungen in ihrer ganzen Breite vorzustellen. In diesem Sinn zeigen wir in den folgenden Räumen den Reichtum der Kulturhistorischen Sammlung als dichte Collage von mehr als 2000 Objekten. Viel Freude beim Entdecken! Das Team des Museums für Geschichte



ESSEN & TRINKEN

REISEN & FORTBEWEGEN

FOR WIS

AUSSTATTEN & DEKORIEREN

AUSSTATTEN & DEKORIEREN


MUSIZIEREN ARBEITEN & PRODUZIEREN

GLAUBEN

RSCHEN & SSEN

ANKOMMEN & EINLASSEN

KLEIDEN & SCHMÃœCKEN


ANKOMMEN & EINLASSEN

Gleich wenn Sie eintreten, sehen Sie sich von Aushängern, Gittern, Schlössern, Türklopfern und Kacheln umgeben. Diese Objektauswahl soll Ihnen einen Eindruck von der Größe unserer Schmiedeeisen- und Keramiksammlung vermitteln. Der Schmiedeeisenbestand umfasst rund 4.500 Stücke: Fenster- und Oberlichtgitter, Aushänger, Türen, Schlösser, Schlüssel und Beschläge aus der Zeit vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Aus ihnen spricht die zentrale Bedeutung der Eisenproduktion für die Steiermark. Die Grundlage dafür liefern die ergiebigen Erzvorkommen auf dem steirischen Erzberg, deren Ausbeutung bis ins 7. Jahrhundert zurückreichen dürfte. Keramik ist einer unserer ältesten Sammlungsschwerpunkte. Das im Inventar als Nr. 1 geführte Objekt ist eine Ofenkachel aus dem 17. Jahrhundert. Heute umfasst die Sammlung rund 3000 Modeln, Kacheln und Fliesen. Unsere 20 vollständig erhaltenen steirischen Kachelöfen können wir aus Platzgründen nicht zeigen.


1 Gut verschlossen: Truhenschloss aus Spanien Schlüssel und Schlösser entwickelten sich aus dem Bedürfnis der Menschen heraus, sich selbst und ihr Eigentum vor fremdem Zugriff zu schützen. Bei der Herstellung von Schlössern spielte sowohl die immer komplexer werdende Mechanik als auch die Ästhetik eine Rolle. Schlösser sollten Schutz und Schmuck zugleich sein. Ihre Fertigung wurde zu einem eigenen Zweig mit hohem kunsthandwerklichen Anspruch. Nicht immer verließ man sich jedoch völlig auf den mechanischen Schutz: Spiralen und Drachenköpfe sollten zusätzlich dabei helfen, Unheil abzuwenden. Das runde spanische Truhenschloss aus dem 16. Jahrhundert ist ein sogenanntes Überfallenschloss. Die „Überfalle“ ist jener bewegliche Teil des Schlosses, an dessen Ende sich eine nach innen gerichtete Öse befindet, in die der durch Drehung des Schlüssels bewegte Riegel eingeführt wird und so das Schloss verschließt. Die kreisrunde Schlossplatte unseres Stückes ist mit Tieren und Ranken genauso aufwendig gestaltet wie die Überfalle, welche mit zwei reliefierten Vögeln, einem vollplastischen Pelikan und einer langgestreckten Kröte geschmückt ist. Die oben beschriebene Öse befindet sich an der Unterseite des Krötenkopfes.

2 Bitte anklopfen: Türklopfer vom Grazer Dom Türklopfer waren seit jeher nicht nur nach praktischen Gesichtspunkten gestaltet. Mit unheilabwehrenden Darstellungen versehen, kam ihnen eine – zumindest erhoffte – zusätzliche Schutzfunktion zu: Sie sollten

alles Übel draußen halten. In unruhigen Zeiten wie der Epoche der osmanischen Invasionsgefahr gewann diese Tradition für die bedrohte Bevölkerung an Aktualität. Beim Türklopfer vom Grazer Dom ist erkennbar, dass zusätzlich zu den sechs Masken, die von den einheimischen Schmieden des 16. Jahrhunderts in die Gestaltung des Handgriffs integriert worden waren, zwei Köpfe angebracht wurden: Der eine zeigt einen behelmten Landsknecht, der andere einen Osmanen. Vor allem Letztere sollten durch die Darstellung symbolisch gebannt werden.

3 Erwärmend und belehrend: Kacheln und Fliesen Die heimische Hafnerkeramik ist bereits seit dem 16. Jahrhundert hoch entwickelt. Mustersammlungen sollten dem Verlust handwerklicher Fertigkeiten vorbeugen. Sie dokumentieren die Vielseitigkeit und Bedeutung der Hafnerei, geben Einblick in die verschiedenen Techniken der Ofenproduktion und sollen durch die Vielfalt des Dekors heimischen Betrieben Vorbild und Anregung sein. Besonders eindrucksvoll ist dieses von Wilhelm Schleich hergestellte Stück. Die Darstellung der drei Künste - Malerei, Plastik und Architektur - steht hier für einen Gedanken, der die Zeit um 1900 prägte: den Wunsch, Schönheit und Nützlichkeit zu einem Gesamtkunstwerk zu verbinden. Wilhelm Schleich war sowohl Hafnermeister als auch Bildhauer. Ausgebildet an der k.k. Kunstgewerbeschule in Wien, war er von 1907 bis 1910 Werkstättenleiter der Wiener Keramik. Über Budapest und Meißen führte ihn sein Weg nach Graz, wo er ab den 1920ern eine Werkstatt für Kunst- und Baukeramik, Ofenkacheln sowie Bau- und Kunstöfen betrieb.


4 Immer herein: Gasthausschild „zur Ungarischen Krone“ Das Wirtshaus, zu dem dieses Schild gehörte, bestand seit dem Jahr 1586 und befand sich einst in der Landhausgasse, die eine Zeit lang sogar nach der dort gelegenen Gaststätte „Crongassl“ genannt wurde. Damit gehörte das Wirtshaus „zur Ungarischen Krone“ zwar zu den älteren, aber bei Weitem nicht zu den ältesten Gasthäusern in Graz, deren urkundliche Spuren bereits seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar sind. In jener Zeit war allerdings im Prinzip jeder Bürger, der Räume für die Bewirtschaftung und Unterbringung der Gäste und ihrer Reittiere zur Verfügung hatte, berechtigt, eine Gastwirtschaft zu betreiben. Ein Recht, das von vermögenden Bürgern ebenso gerne in Anspruch genommen wurde wie der freie Weinausschank, bei dem allerdings lediglich der selbstangebaute Wein verkauft werden durfte. Als öffentliche Orte waren Gaststätten oftmals Schauplatz und Handlungsort, Informationsbörse und erweitertes Wohnzimmer. In Wirtshäusern wurden sowohl Verkaufs- und Einkaufsverhandlungen geführt, als auch gelungene Geschäfte gefeiert. Gaststätten konnten in Zeiten politischer Anspannung aber auch zu Orten der Politik werden. Wie die Bierhallen und Gasthöfe der Murvorstadt, die bei der Entstehung einer organisierten Arbeiterbewegung eine große Rolle spielten.

5 Im Zeichen der Sense: Innungszeichen Die Sense war nicht nur über lange Zeit eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Geräte, sie zählte auch zu den bedeutendsten steirischen Exportprodukten. Der Aufschwung der Sensenwerke begann im 16. Jahrhundert mit dem erstmaligen Einsatz des Wasserhammers zum Breiten der Sensen und erreichte im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Bedeutung und Stolz der Sensenschmiede kommen auch in ihren Innungszeichen zu Ausdruck. Das ausgestellte Stück stammt aus Kindberg und macht mit der vergoldeten Sense unmissverständlich deutlich, um wessen Zunftzeichen es sich handelt.

6 Eiserner Vorhang: Gittertor aus Schmiedeeisen Wie Schlösser erfüllten auch schmiedeeiserne Gitter eine Doppelfunktion von Schutz und Schmuck. Besonders charakteristisch ist hierfür die immer wieder auftauchende Spiralform. Das dekorative Element durchbricht nicht nur optisch das gerade Nebeneinander der Gitterstäbe, sie kann auch eingesetzt werden, um ein Durchgreifen und so einen unerwünschten Zutritt zu verhindern. Das gezeigte Stück stammt aus einer am Steinberg gelegen Kapelle und befindet sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Kulturhistorischen Sammlung. Einst wohl bemalt, wurde es von Karl Lacher als Arbeit eines Grazer Meisters angesehen.



A U S S TAT T E N & DEKORIEREN Hier erhalten Sie einen Einblick in die reichen Bestände zur Wohnkultur, wie sie sich in Österreich und Europa vom Mittelalter bis in die Moderne entfaltet hat. Die gezeigten Objekte geben Auskunft über den sozialen Status und den Geschmack ihrer Besitzer/innen. Neben den Gebrauchswert tritt mehr und mehr das Bedürfnis nach reichem Schmuck und guter technischer Ausführung. Der Großteil des Bestandes stammt aus der Zeit vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Eine Besonderheit ist eine Folge getäfelter Originalräume aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die Karl Lacher auf seinen Reisen zusammentragen hat. Leider können diese Raumkunstwerke aus Platzgründen nicht gezeigt werden. Unsere Möbelsammlung umfasst etwa 1400 Objekte: Anrichten, Schränke und Kommoden, Truhen und Kassetten, Tische und Schreibmöbel, Betten und Wiegen, Sessel und Sofas sowie Spiegel und Bilderrahmen. Ihnen wird sofort ein Typus auffallen, der im 17. Jahrhundert beliebt war: der sogenannte Kabinettschrank mit seinen vielen Schubfächern, wie er in Augsburg und Tirol in großer Zahl gefertigt wurde. Außer den massiven Aushängern, Gittern und Türklopfern verfügen wir über Hunderte Truhen und Kästchen sowie Leuchter und Lichtputzscheren aus der Zeit vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, woraus wir Ihnen eine Auswahl zeigen. Sie zeugen von der zunehmenden Verfeinerung, die der Hausrat der oberen Schichten vor allem seit der Renaissance erfahren hat.


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Verbrieft, gesiegelt und verschlossen: Urkundenkoffer aus Leoben Oben links sehen Sie eine unserer ältesten Truhen, die zugleich eines der schönsten steirischen Rechtsdenkmäler ist: den um 1500 gefertigten Urkundenkoffer aus Leoben. Im Mittelalter waren wohlhabende, für den Landesherrn wichtige Städte sehr auf ihre rechtliche Stellung bedacht, was sich in Privilegien äußerte, die urkundlich festgehalten, durch Versiegelung beglaubigt und sorgfältig aufbewahrt wurden. Die heute noch verbreitete Redewendung „Brief und Siegel geben“ geht auf diese Tradition zurück. Der sicherheitstechnische Aufwand ist hier mindestens so wichtig wie der äußere Schmuck. Kunstvolle Schlösser sind eine Spezialität steirischen Kunsthandwerks, wie Sie schon im ersten Raum des Schaudepots sehen können.

8 Je komplizierter, desto besser: Schreibgarnitur des Johann Rint Retro-Moden sind nichts Neues: Im 19. Jahrhundert begeisterte man sich besonders für das späte Mittelalter, so auch der aus Böhmen stammende Holzbildhauer Johann Rint (1814–1900), der auch als Restaurator mittelalterlicher Schnitzwerke hervortrat. Von Kaiserin „Sisi“ gut beurteilt, brachte er es 1865 zum Hofschnitzer. Unsere Schreibgarnitur von 1872 erinnert an Pokale dieser Zeit. Die aufgeklappten Lamellen sind geschmückt mit Darstellungen verehrter Kulturheroen: Schiller, Goethe, Beethoven, Mozart, Leonardo da Vinci und Benvenuto Cellini. Kaum mehr erkennbar ist die eigentliche Funktion, Tintenfass, Briefmesser, Streusand und Schreibfedern gemeinsam unterzubringen.

9 Exportstars aus der Lagune: venezianische Spiegel In den Spiegel zu schauen, steht traditionell für Eitelkeit und Überhebung. Im 18. Jahrhundert war der Besitz eines großen Spiegels purer Luxus. Die moderne Spiegelherstellung begann in Venedig, über Jahrhunderte Glaszentrum schlechthin, wo erstmals flache Spiegel entwickelt wurden. Das ebene Glas erhielt einen dünnen Auftrag aus Zinn, worüber eine Schicht Quecksilber gegossen wurde und so ein Amalgam bildete. Das Rezept stand im Rang eines Staatsgeheimnisses. Der Preis waren schwere Vergiftungen durch Quecksilberdämpfe, was erst im späten 19. Jahrhundert zum Verbot des Gebrauchs von Quecksilber führte.

10 Große Kästen und kleine Kabinettschränke: von der Gotik zum Barock Sie erkennen unter den Schränken den dunklen Gesellen mit dem dachförmigen Abschluss? Es ist ein um 1500 gefertigter Schrank mit reicher Flachschnitzerei. Das typische Aufbewahrungsmöbel der Gotik ist jedoch die Truhe. Schränke entstanden oft in kirchlichem Auftrag, um dort Messgeräte und -gewänder (Paramente) zu verstauen. Auch unser Exemplar war wohl dafür bestimmt. In Renaissance und Barock entstanden zahlreiche neue Möbeltypen, vor allem mobile Kabinettschränke, die in nahezu allen Größen gefertigt und mit Flügeln verschlossen wurden. Sie sehen hier eine ganze Reihe davon. Besonders wichtige Fertigungszentren waren Augsburg und Tirol.


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Klassik aus dem Musterbuch: Wiener Uhren im Biedermeier

Exotisch und extravagant: Ostasiatika in europäischen Sammlungen

Die passende Uhr zur Garnitur: Um 1800 setzte sich auch in Österreich der strenge Klassizismus durch, wiewohl man vielfach – aller aufklärerischer Belehrungswut zum Trotz – vom Barock nicht lassen wollte. Sparsamkeit war angesagt, wie sie Kaiser Franz I. seinem von Kriegen und Krisen gebeutelten Volk vorschrieb. Teure Uhren aus feuervergoldeter Bronze nach Pariser Vorbild waren unerschwinglich, doch ließen sich mit Holz, Messing und Alabaster ähnliche Effekte erzielen. Um die Zeitmessung zu einem erhebenden Moment zu machen, lieferte das Wiener Uhrmacherhandwerk zahllose Miniaturtempel mit klassischem Schmuck, den man – ganz modern – aus dem Musterbuch beziehen konnte.

East Asia sells: Das beweisen schon die unzähligen „Chinoiserien“ im Barock. Ostasiatische Porzellanobjekte füllten zahllose Kabinette großer wie kleiner Fürstenhöfe. Im späten 19. Jahrhundert steigerte sich diese Vorliebe noch, als 1854 die gewaltsame Öffnung Japans erstmals einen tiefen Einblick in diese fremdartige, bis dahin streng abgeschlossene Welt erlaubte. Das „Land der aufgehenden Sonne“ reagierte rasch und trug mit seinem Kunstexport kräftig dazu bei, sein eigenes Klischee zu erzeugen. Außer Porzellan fanden nun Möbel, Bronzeund Elfenbeinstatuetten wie auch Siegelstempel aus Speckstein in großer Zahl den Weg in europäische Sammlungen.

12 Ergonomie und Avantgarde: Stuhl von Günther Domenig Es lebe der Kunststoff! Unter dieser Devise standen zahlreiche Modernisierungen, die in den fortschrittsfrohen 1960er-Jahren auch die Kirchen ergriffen. Auch die Kapelle der Grazer Schulschwestern wurde 1968–1971 im Inneren völlig neu gestaltet. An die Stelle der Bänke traten Stapelstühle, die aus glasfaserverstärktem, eingefärbtem Kunststoff bestanden und in Köflach in Serie produziert wurden. Entworfen hatte sie einer der wichtigsten modernen Architekten Österreichs, Günther Domenig (1934–2012), der gemeinsam mit Eilfried Huth die Umgestaltung mehrerer Kirchenräume verantwortete.

14 Bevor es Lichtschalter gab: Kerzenlicht will gepflegt sein Einst waren diese Geräte in jedem Haushalt vorzufinden: Lichtscheren, auch Dochtzangen, Lichtputzer oder Lichtschneuzen genannt, dienten dazu, das beim Abschneiden herabfallende Dochtstück – die sogenannte Schnuppe – in einem Kästchen aufzufangen. Die bis ins 19. Jahrhundert hinein vielfach gebräuchlichen, aus Tierfett gefertigten Talgkerzen rußten und tropften umso stärker, je länger der Docht wurde, der daher regelmäßig gekürzt („geschneuzt“) werden musste. In Österreich wurden besonders fromme Frauen als „Lichtputze“ bezeichnet. Im Industriezeitalter galten Lichtputzscheren als Zeichen technischer Rückständigkeit.





ESSEN & TRINKEN Mit den steigenden Ansprüchen an das Wohnen und Einrichten entfaltete sich auch eine eigene Tafelkultur. Schon in ritterlicher Zeit gab es „Tischzuchten“. Für das Anrichten und Auftragen von Speisen wurde ein wachsender Bestand entsprechender Utensilien notwendig, die aus Glas, Keramik und Porzellan gefertigt wurden. Aus unserer rund 400 Objekte umfassenden Keramiksammlung entstammen figurale Plastiken, Büsten und Gefäße. Ein Großteil kommt aus Österreich, doch sind auch andere europäische Regionen vertreten, die allesamt regen Exporthandel betrieben. Eine Sonderstellung nimmt das Wiener Porzellan ein, das im 18. und 19. Jahrhundert ebenso wie die Produkte der legendären Meißner Manufaktur großes Ansehen genoss. Eine Serie reich bemalter Tassen zeugt vom hohen Niveau, das die Porzellanwaren der kaiserlichen Manufaktur um 1800 auszeichnete. Hier erleben Sie die bunte Fülle von Krügen, Bechern, Schalen, Schüsseln und Terrinen, Tellern, Kannen und Vasen, Salzfässern und Zuckerdosen, aus denen die Bedeutung der regionalen Hafnerei und die Vielfalt des Dekors heimischer Betriebe sprechen. Unsere Glassammlung darf hohen Rang beanspruchen: Sie umfasst rund 1100 Gläser aus dem 16. bis zum 20. Jahrhundert und zeichnet sich durch besondere Vielfalt aus, wozu vor allem die böhmischen Gläser aus der Zeit um 1840 beitragen. Nach 1870 entstanden erste Mustersammlungen für die aufstrebende Glasindustrie. Unsere Bestände umfassen hochklassige Produkte führender Firmen der Donaumonarchie, darunter J.+L. Lobmeyr in Wien. Private Spenden haben die Sammlung kontinuierlich wachsen lassen.


15 Produktion und Passion: Glas Römerzeitliche Funde lassen darauf schließen, dass in der Steiermark bereits seit ca. 1800 Jahren Glas erzeugt wurde. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es in der Steiermark nur vereinzelte, nach 1850 jedoch bereits 17 Glashütten. Ausgesprochen gut vertreten ist die Zeit des Biedermeier, in der viele neue Techniken die bürgerliche Sammelleidenschaft anregten. Darunter waren jene mit Stadtansichten, Landschaften, Blumen- oder Tierstillleben geschmückten Becher besonders begehrt. Ob als Freundschaftsgabe geschenkt oder als Erinnerung erworben – sie entsprachen mit ihrer Erzählfreude und dem nicht geringen dekorativen Wert ganz dem Geschmack der Zeit. Geprägt wurde die Gattung von dem bedeutendsten Glasmaler der Epoche: Anton Kothgasser. Sein Name steht noch heute nicht nur für bestimmte transparent bemalte Gläser, sondern für die ganze Gattung – die „Kothgassergläser“. 1811 zur Transparentmalerei gekommen, übernahm der einstige „Dessinmaler“ der Wiener Porzellanmanufaktur die lichtdurchlässigen Emailfarben von dem aus Dresden nach Wien zugewanderten Gottlob Mohn. Eine glückliche Entscheidung und eine fruchtbare Kooperation, denn durch die Zusammenarbeit der beiden wurde Wien in der Folge zu einem bedeutenden Zentrum der Glasmalerei.

16 Storytelling klassisch: Majolika-Platte aus Urbino Die unter dem Namen Majolika bekannten farbig glasierten Keramikprodukte waren bereits in der Renaissance ein beliebtes Sammel-, aber auch Exportgut. Vor allem, wenn sie aus dem italienischen Urbino

kamen, dem Zentrum der Majolika-Produktion. Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man diese Begeisterung noch nachvollziehen. So schrieb Anton Rath 1911 über dieses Objekt, es sei „ein vollendetes Werk der italienischen Majoliken aus der besten Zeit“. Die Geschichten, die der Dekor der farbenfrohen Teller und Platten aus Umbrien erzählte, waren vielfältig. Besonders beliebt und daher wohl besonders häufig waren jedoch Szenen aus der antiken Mythologie und Geschichte, die „istorie“, weshalb man auch von „istoriati“-Keramik spricht. Die Darstellung auf diesem Stück stammt wohl aus der Aeneis, wobei gleich zwei Episoden als Vorlage infrage kommen: Entweder handelt es sich um die Hirschjagd des Aeneas an der libyschen Küste (Aen.1, 159 f.) oder um die Erlegung des Hirsches der Latinerin Silvia durch Ascanius (Aen. 7, 481 f.), wodurch der Krieg zwischen Trojanern und Latinern heraufbeschworen wurde.

17 Es wird nicht mehr mit den Fingern gegessen: Bestecke Und doch gibt es heute wieder „Fingerfood“! Früher war das Esswerkzeug der einfachen Leute wie der Kinder der Löffel, den auch die Soldaten der Franzosenkriege am Hut trugen, die „Löffelgarde“. Viel zu beißen gab es ohnehin nicht, außer Brot zumeist Suppen und Breispeisen. Mit der Verfeinerung der Esssitten der Oberschicht wurde das in einem eigenen Etui bewahrte und auf Reisen mitgeführte „Besteck“ zu einem kostbaren Accessoire, das fortan die höhere Tafelkultur prägte. Messer, Gabel und Löffel gingen in Produktion und eroberten die bürgerlichen Haushalte.


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Einfach, bunt und begehrt: Lilienporzellan aus den 1950er-Jahren

Von der Funktion zur absoluten Form: Vasen um 1900

Manche werden es von daheim kennen, das sogenannte „Lilienporzellan“. Seinen Namen verdankt es den drei Lilien aus dem Wappen des Herstellungsortes Wilhelmsburg bei Lilienfeld/NÖ. Mit ihrem praktischen Gebrauchswert und dem schlichten Design war die erste Kollektion „Daisy Melange“ von 1959 mit ihren typischen Pastellfarben ein großer Erfolg. Das lag daran, dass Tassen in verschiedenen Farben beliebig oft nachgekauft werden konnten und so die „Melange“ ergaben, eine bunte Mischung. Das schätzten die Menschen in der Nachkriegszeit, die von NS-Diktatur und Krieg nichts mehr wissen wollten.

Alles schrie um 1900 nach Reform: Nicht nur die Kunst, sondern das ganze Leben sollte erneuert werden und damit alles, was den Menschen buchstäblich umgab: Kleidung, Wohnung und Hausrat. Lieblingsform war nun eine einzig wogende, wie organisch anmutende Linie. „Neu“ ist ein Modewort der Zeit: „Art Nouveau“ heißt das in Frankreich und Belgien. Im alten Österreich liegen die Hotspots für den neuesten Trend im Kunsthandwerk in der Industrieregion Nordböhmen. Genie will gelernt sein: Unsere Vasen entstanden in der „k.k. Fachschule für Thonindustrie“ in Teplitz/Teplice.

19 Empfindlich und empfindsam: Freundschaftstassen um 1800 Nüchternheit und trockene Vernunft waren gestern, dachten sich viele Menschen wohl gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Aus unzähligen Bildern, Briefen, Romanen und Theaterstücken ergoss sich ein Strom von Gefühlen wie Glück, Trauer, Schmerz und Liebe. Dieser Überschwang wurde nicht nur auf Leinwand und Papier, sondern auch auf Tassen festgehalten, die nun Freundschafts- und Liebessprüche in großer Zahl aufwiesen. Die um 1800 aufblühende Wiener Porzellanmanufaktur witterte ihre Chance und griff diese Mode dankbar auf.

21 Ein rheinischer Exportschlager der Renaissance: rheinisches Steinzeug Bevor das Porzellan aufkam, war schon in der Keramik alles eine Frage der Tonqualität und der Brenntemperatur. Ein buchstäblicher Brennpunkt der Steinzeugproduktion war das Rheinland mit seinen Produktionsorten rund um die Städte Köln und Aachen: Siegburg, Frechen und Raeren. Grundstoff ist der aus Ton geformte „Grünkörper“ oder „Grünling“, der bei hoher Temperatur gebrannt und mit einer Salzglasur versehen wird, die eine braune oder blaue Farbe ergibt. Sie haben die hohen weißen Gefäße erkannt? Diese Siegburger Schnellen, schmale Trinkgefäße mit reichen Reliefauflagen, waren im Europa der Renaissance ein echter Renner.



REISEN & FORTBEWEGEN

Nicht erst seit Kurzem ist wachsende Mobilität ein wichtiges Erfordernis. Die lange Zeit prekären Wegeverhältnisse führten dazu, die Technik der Fortbewegung immer weiter zu entwickeln. Reisetaugliche Wagen wurden vorwiegend aus Holz gefertigt und je nach Kundenstatus im Stil der Epoche aufs Reichste geschmückt. Doch waren auch für Könige lange Reisen mit Strapazen verbunden. Sehen Sie kostbare Zeugen der Wagenbaukunst wie den sogenannten „Friedrichswagen“ und den „Báthorywagen“ sowie einen prunkvollen Schlitten aus der Zeit des Rokoko, die berühmte Draisine Erzherzog Johanns oder das für die Zeit um 1900 so typische Hochrad, dazu barocke Reisekoffer und Sättel!


22 Fitness und Fin-de-Siècle: Hochrad Wer auf einem Hochrad fahren konnte, gehörte zu einem elitären Kreis – und das hing nicht nur damit zusammen, dass das Gefährt lediglich für Wohlhabende leistbar war. Das wichtigste Kriterium waren körperliche Voraussetzungen. „Ein halbwegs geschickter Schüler“, berichtete der Radpionier Max Kleinoschegg, „benötigte 5 bis 6 Wochen, bis er das Fahrrad im hindernislosen Saal halbwegs beherrschte. Viele erlernten es überhaupt nie.“ Die Idee, das Vorderrad zu erhöhen und damit höhere Geschwindigkeiten zu erzielen, kam in Frankreich auf und wurde in Großbritannien perfektioniert, wo die ersten Hochräder auf modernsten Maschinen und mit der neuesten Technologie (Stahlrohrrahmen, Drahtspeichenräder, Kugellager und Vollgummireifen) gefertigt und exportiert wurden. Über Wien kamen sie auch nach Graz, wo sich die Bicyclisten ab 1883, also kurz nach der Gründung des ersten Grazer Bicycle-Clubs im November 1882, vorübergehend sogar mit einem generellen Fahrverbot konfrontiert sahen. Der Begeisterung für den neuen Sport tat dies jedoch keinen Abbruch. Nur der Kaiser hasste es. Den alten Herrn von Schönbrunn hätte kein Mensch jemals auf ein Rad bringen können.

23 Geschwindigkeit als Gaudi: Luxusschlitten Im neuzeitlichen Europa wurden „Verkehrsmittel“ wie jener aufwendig gestaltete Prunkschlitten aus dem 18. Jahrhundert vom Adel nicht nur aus praktischen Gründen verwendet. Sie dienten nicht zuletzt einem höchst aristokratischen Lebenszweck, dem Vergnügen. Prunkschlitten wurden von den hohen Damen und Herren in der kal-

ten Jahreszeit für heitere Schlittenfahrten benutzt. Diese „Schlittaden“ fanden oftmals nachts im Schein von Fackeln statt, was dem grandiosen Schauspiel eine einzigartige Atmosphäre verlieh. „Ein Trupp Fackelträger zu Pferde voraus: dicht hinter ihren ein Schlitten mit Trompeten und Paucken. Darauf der Zug von 20-30 Herrschaftsschlitten, vor jedem zween Postillions mit Fackeln, neben einigen zwee Läufer, die Uniformen wechseln an der Farbmischung; alles strahlt im Widerschein des vervielfältigsten Lichts von Gold und Silber. Den Beschluss macht ein ungeheurer Schlitten mit Spielleuten besetzt, welche das Getümmel der schellenbehangenen Pferde durch kriegerische Musik erheben.“ (Skitze von Grätz)

24 Von Siebenbürgen in die Steiermark: „Báthorywagen“ Mobil zu sein war in Zeiten, in denen es weder Autos noch Flugzeuge gab, oftmals unbequem, kräfteraubend, teuer und langsam. Selbst für Mitglieder des hohen Adels, die sich im Gegensatz zur Bevölkerung vergleichsweise komfortabel fortbewegen konnten. Beispielsweise mit dem sogenannten „Bathorywagen“, einem von Pferden gezogenen Zweisitzer. Mit dieser „wunderschönen Equipage“ soll die Erzherzogin Maria Christina, Tochter von Karl II. von Innerösterreich und ehemalige Gemahlin von Zsigmond Báthory, von Siebenbürgen zurück in die Steiermark gereist sein. Eine Reise, die rund eineinhalb Monate dauerte und den Grazer Hof mehr als 13.000 Gulden kostete.


25 Eine Frage der Logistik: Reisekoffer Reisen war in vergangenen Zeiten nicht nur aufgrund der Transportmittel eine rechte Mühe, auch das Gepäck konnte zur Plage werden. Aus Holz, Metall und Leder gefertigt und ohne die heute üblichen Rollen am Koffer verlangte der Transport des Mitgebrachten oft einiges an Aufwand – zumindest für diejenigen, die direkt mit der Beförderung befasst waren. Zudem war der richtige Reisekoffer eine Frage der finanziellen Möglichkeiten. Fein verzierte Stücke, wie die beiden hier gezeigten, waren wohl für die wenigsten leistbar. Sie wären aber auch recht unpraktisch gewesen, da die Mehrzahl der Reisenden nicht mit dem Wagen, sondern zu Fuß unterwegs war.

26 Rollende Reichsidee: „Friedrichswagen“ Im Mittelalter wurden Wagen nur von einem sehr eingeschränkten Personenkreis genutzt: von Fürsten, Frauen und Kranken. Männer bewegten sich entweder zu Fuß oder zu Pferd, das Fahren war unstandesgemäß und kam deswegen nicht infrage. Kaiser Friedrich III. konnte zwischen beiden Möglichkeiten wählen – und tat es auch. Häufig zu Pferde, war er durchwegs auch in einem Wagen unterwegs. Ob er jedoch dafür den gezeigten, ganz im Zeitstil der Spätgotik gehaltenen Kobelwagen benutzte, lässt sich genauso wenig klären wie die Frage, ob es seine Gattin Eleonora von Portugal tat. Der Wagen selbst lässt mit seiner exklusiven Machart auf seinen hochgestellten Besitzer schließen. Er ist zugleich ein nicht eben bescheidenes politisches Dokument: Die zahlreichen Wappen spiegeln eine universale Herrschaftsidee wider. Darauf verweist auch das Schriftband mit der kaiserlichen Devise „A E I O U“.

27 Das „Jahr ohne Sommer“ und seine Folgen: Draisine Erzherzog Johanns Die Erfindung des badischen Forstmeisters Karl Freiherr von Drais aus dem Jahre 1817 wurde aus der Not geboren: Nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora (1813) verschlechterte sich das Klima, was zu einer Reihe von Missernten und in der Folge zu Lebens- und Futtermittelknappheit führte. Gesucht wurde ein Transportmittel, das nicht ernährt werden musste. Die Draisine war ein solches. Ihre zwei hintereinander angeordneten Laufräder wurden durch wechselweises Abstoßen der Beine vom Boden angetrieben. Es wurde gerollt – und das mit doppelter Gehgeschwindigkeit. Der Erfolg dieses Vehikels ließ nicht lange auf sich warten. Wer etwas auf sich hielt und über die nötigen finanziellen Mittel verfügte, schaffte sich ein Laufrad an. Auch Erzherzog Johann folgte diesem Trend – er ließ sich beim k.k. Hofackerwerkzeug- und Maschinenfabrikanten Anton Burg die ausgestellte Prachtdraisine bauen, deren eleganter Rahmen in Form einer Seeschlange gestaltet ist.



ARBEITEN & PRODUZIEREN

Im vorindustriellen Europa lag die handwerkliche Produktion in den Händen der Zünfte, streng voneinander abgesonderten Körperschaften, die ihre Privilegien zäh verteidigten. Unsere Auswahl soll Ihnen vom Alltag und den Ritualen der Handwerkergilden erzählen. Diese boten ihren Mitgliedern soziale Absicherung und Qualitätssicherung, doch waren lokale Enge und mangelnder Fortschritt der Preis. Rund 120 Objekte zeugen von dieser Welt von gestern: Truhen, Kassen, Kannen, Humpen, Ringe, Schilder, Siegel und Fahnen, Inschriften oder Darstellungen der Zunftpatrone verweisen auf ein über Jahrhunderte gewachsenes Selbstbewusstsein jener Gruppen, die das Wirtschaftsleben ganzer Länder trugen: Schmiede, Bäcker, Handschuhmacher, Glaser, Gürtler, Wagner, Fiaker, Rauchfangkehrer, Bürstenbinder, Bogner, Zimmerer, Schuster, Hutmacher, Fleischhauer, Lederer, Kürschner, Schneider, Uhrmacher, Maurer, Müller, Drahtzieher, Weber, Tuchscherer und Tischler.


28 Schön geschmückt: Hobel Werkzeuge mit dekorativem bildhauerischem Schmuck zu versehen, geschah nicht nur aus dem Wunsch heraus, den Gebrauchsgegenstand zu verschönern. Die aufwendig gestalteten Arbeitsmittel konnten auch eine Visitenkarte des eigenen Könnens sein. Ausgepackt vor potenziellen Kunden, zeigten diese Stücke ohne viele Worte all das, was man machen konnte.

29 Werkzeug für Experten: Hufschmiedezange Heute ein fast vergessener Beruf, kam dem Hufschmied in der Vergangenheit große Bedeutung zu – schließlich war das Pferd neben den eigenen zwei Beinen lange das wichtigste Verkehrsmittel. Der Hufschmied war aber nicht nur für das Beschlagen der Reittiere zuständig. Die für jedes Pferd individuell angefertigten Hufeisen boten die Möglichkeit, Fehlstellungen zu korrigieren oder bei Hufkrankheiten den Heilungsprozess zu unterstützen. Die Werkstätten der Hufschmiede fanden sich an allen wichtigen Handelsstraßen. In Städten und Dörfern lagen sie aufgrund der Feuergefahr oft etwas außerhalb des Ortskerns. Die ausgestellte Hufschmiedezange ist ein Kombinationsgerät: Primär wurde sie wohl dazu verwendet, die Nägel, mit welchen das Hufeisen am Huf befestig wurde, abzuschneiden. Man konnte sie aber auch wenden und mit dem als Nagelzieher ausgeführten Griffende Nägel entfernen.

30 Solide und baustellengerecht: Baumeisterzirkel Zirkel sind nicht nur Arbeitsgeräte, sondern können auch religiöses Symbol sein: Die Werkleute des Mittelalters sahen im Schöpfergott den ersten Handwerker, „Deus artifex“, und damit ihr großes Vorbild. Später sollten die Freimaurer vom „göttlichen Baumeister“ sprechen. Unser großer schmiedeeiserner Zirkel dürfte ebenfalls einem Baumeister gedient haben. Es ist ein einfaches, robustes, aber äußerst vielseitig einsetzbares Instrument, sei es zum Zeichnen eines Kreises oder zum Übertragen von Distanzen. Einen Zirkel bei der Hand zu haben, war für jeden, der mit Maß und Zahl umging, unentbehrlich.

31 Eigentlich sollte es Blaufärben heißen: Blaudruckmodeln Unter den vielen Modeln, die in die Kulturhistorische Sammlung Eingang gefunden haben, finden sich diejenigen für den Blaudruck am häufigsten. Am leichtesten zu erkennen sind die jüngeren Stücke, da man im 19. Jahrhundert zu Modeln überging, bei denen das Muster aus kleinen Messingstiften gebildet wurde, die in eine Platte aus Birnbaum geschlagen wurden. Ältere Blaudruckmodeln waren für gewöhnlich aus Buchsbaumholz. Das Muster wurde vom Formstecher oder Holzschneider mit einem Stemm- oder Stecheisen herausgestochen. Anders als der Name nahelegt, ist der Blaudruck kein Druck-, sondern ein Färbeverfahren. Vor dem Färben mit Indigo wird der Stoff mit einer farbabweisenden Schutzmasse, dem sogenannten Papp, bedruckt. Dieser muss vollständig eintrocknen, bevor das Textil weiterbearbeitet werden kann,


und wird nach dem Färben mit verdünnter Schwefelsäure entfernt. Zum Färben wird der Stoff auf Eisenrahmen fixiert und in die Färbebottiche getaucht – je öfter, desto dunkler wird der Stoff, der seine blaue Farbe aber erst beim Trocknen an der Luft durch Oxidation erhält.

32 Herzstücke der Handwerkskultur: Zunfttruhen Die Zunfttruhe, auch als Zunftlade oder Innungslade bezeichnet, war ein oft kunstvoll gearbeitetes kastenartiges Möbelstück, das im Handwerkswesen vom 16. bis ins 18. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte. In ihr wurden alle jene Dinge aufbewahrt, die für die Zunft besonderen Wert besaßen, wie das Zunftwappen, die Zunftschilder und Zunftsiegel, aber auch Rechnungsbücher, Kassa, Urkunden, Briefe usw. Die Bedeutung, die der Zunfttruhe beigemessen wurde, lässt sich zum einen an den Handlungen ersehen, die mit ihr in Verbindung standen: der feierliche Akt am Beginn einer Sitzung, wenn die Zunfttruhe geöffnet wurde, da nur bei „offener Lad“ verhandelt werden konnte, aber auch das „Ladumtragen“, mit dem das Verbringen der Lade vom Haus des ehemaligen Vorstandes zum neu gewählten beschrieben wird. Zum anderen sieht man die Wertschätzung aber auch daran, dass jede Zunfttruhe individuell gefertigt wurde. Je nach Wohlstand fiel das Ergebnis aufwendiger oder schlichter aus.

33 So schwer, dass sie nicht zu tragen waren: Schleifkannen Zunftkannen, auch Schleifkannen genannt, wurden bei Zunftversammlungen verwendet, und ganz zu Recht bringt man sie mit zeittypischen Trinkritualen in Verbindung. Dem Lehrjungen kam dabei die im Wortsinn schwere Aufgabe zu, die zwischen 30 und 70 cm hohen Zinnkannen gefüllt vom nächsten Gasthof zum Versammlungsort zu „schleifen“. Eine Prozedur, aus der sich der Tradition nach die Bezeichnung „Schleifkanne“ ableitet. Das Gewicht der gefüllten Gefäße machte sie auf alle Fälle äußerst unhandlich, weshalb die meisten über einen Zapfhahn verfügten. Schleifkannen geben über ihre Herkunft oft ergiebige Auskunft: Verzierungen, Inschriften, Embleme und die für das jeweilige Handwerk typische Bekrönungsfiguren machen die Besitzer der Kannen kenntlich und werfen ein Licht auf eine ganze Kultur.



FORSCHEN & WISSEN

Das Ende des Mittelalters ist der Beginn einer methodischen Erkundung von Lebenswelt und Kosmos, der Astronom ist eine typische Figur dieser Zeit. Neben oft magisch durchmischte Praktiken tritt eine immer modernere Forschung. Sie stützt ihre durch Beobachtung und Berechnung gewonnenen Ergebnisse auf den Einsatz exakter Instrumente, wie sie Zentren wie Nürnberg und Augsburg liefern. So wird die Frühe Neuzeit zum Zeitalter der Präzision: Eine neue Kultur der Vermessung entsteht, getragen von kirchlichen und weltlichen Auftraggebern. Wer die Menschen beherrscht, will auch Meister über Raum und Zeit sein. Davon zeugen die hier versammelten Objekte: Globen, Uhrwerke, Sonnenuhren, Kompasse, Messinstrumente und ein Fernrohr. In Umrissen zeichnet sich schon das Zeitalter unserer Ingenieurwissenschaften ab.


34 Rechnen im Reich der Mitte: Suan Pan Schon im 2. Jh. beherrschten die Chinesen die sogenannte „Perlenrechnung“, wozu sie ein einfaches, an den römischen Abakus erinnerndes Gerät benutzten, den „Suan Pan“, der noch heute in Gebrauch ist. Er weist zwei Bereiche auf, nämlich einen unteren Bereich mit fünf Kugeln und einen oberen mit zwei Kugeln. Die unteren fünf stehen jeweils für einen, die oberen für fünf Zähler. Die Zahlen auf dem Abakus werden von der höchsten Zehnerpotenz ganz links bis zur Einerstelle ganz rechts gezeigt. Jede Kugelspalte steht für eine Stelle, z. B. von rechts nach links ist die erste Stelle eins, die zweite zehn, die dritte hundert usw.

35 „Künstlich und fein“: Reduktionszirkel Schon im Mittelalter führte Gott den Zirkel, das Entwurfsinstrument schlechthin. Die sogenannte Reduktions- oder Proportionalzirkel dienten dazu, Strecken in einem bestimmten Verhältnis zu teilen, zu vergrößern oder zu verkleinern. Außerdem kann mit Zirkeln der Kreisumfang in gleiche Teile geteilt werden. Der Zirkel besteht aus zwei Schenkeln, die durch eine bewegliche Einstellschraube verbunden sind. Er hat an jedem Ende zwei Spitzen. Das eine Paar dient zum Abgreifen des Ausgangsmaßes, das zweite zum Abschlagen der zu konstruierenden Größe. Präzision ist Trumpf in einer Zeit, in der wissenschaftliche Geräte, sogenannte „scientifica“, mit der gleichen Leidenschaft gesammelt wurden wie „artificialia“, kostbare Gefäße oder Gemälde.

36 Klein, kostbar und präzise: Türmchenuhren für die Kunstkammer Immer genauer, immer mobiler, so lautet das Erfolgsgeheimnis der Nürnberger und Augsburger Uhrenindustrie im 16. Jahrhundert. Es sind Miniatur-Architekturen im Stil der Renaissance, die im deutschen Sprachraum „Welsche Manier“ heißt. Keine Uhr ist zu klein, um nicht gravierte Darstellungen aufzuweisen, die es in puncto Detailreichtum mit der gleichzeitig aufblühenden Druckgrafik aufnehmen, denn auch das Wissen ist längst mobil geworden. So wird jede Uhr zu einem Denkmal des Humanismus. Das präzise laufende Werk steht zugleich für die Idee der Schöpfung und damit für eine geregelte, gut geführte Regierung.

37 Messen unter Tage: Schinzeug aus der Renaissance Die „tools“ eines Ingenieurs am Vorabend der modernen Montanindustrie, Grundlage der steirischen Wirtschaft: Unter Tage fand sich neben dem Knappen auch der sogenannte Markscheider, der die Stollen vermaß und damit die Besitzverhältnisse klären half. Dazu diente ihm das Schinzeug, ein kleines, mit Skalen, Senklot und Schwenkarm ausgestattetes Messinstrument, das an einem durch das Kohlenflöz laufenden Seil eingehakt werden konnte. Hightech der damaligen Zeit, eingesetzt unter lebensgefährlichen Bedingungen. Kein Wunder, dass der Markscheider zur Fachelite seiner Epoche zählte. Fachliches Können zählte mindestens so viel wie die hohe Geburt. Mit Stolz sind Name und Datum vermerkt: „HANS RESL 1586“.


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Die richtige Zeit für die ganze Stadt: Turmuhrwerk aus Bruck an der Mur

Botschafter des Industriezeitalters in Glas und Stahl: „Chronoglobium“

Im alten Österreich ist nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit katholisch: Die Kirchturmuhr bestimmt den Ablauf des Alltags wie der vielen Festtage. Seit dem 14. Jahrhundert waren Räderuhren für die genaue Zeitangabe maßgebend, die den Tag in 2 x 12 Stunden einteilte. Deren genauen Gang regelten technische Neuerungen wie Antriebsfeder und Hemmung. Unser Uhrwerk ist zugleich ein Zeugnis für ein über Jahrhunderte gewachsenes handwerkliches Selbstbewusstsein: Zwei Inschriften vermelden die Entstehung durch Franz Andrä Hirsch in Bruck 1749 und die Renovierung durch Johann Michael Holderer in Eisenerz 1797. Ein eisernes, unvergängliches Lob eigenen Könnens und Herkommens.

Das revolutionäre Frankreich hatte es vorgemacht: Zur modernen Standortförderung gehört die Gewerbeausstellung. Und so lautet dann auch die Widmung auf dem Medaillon, das an unserem 1835 gefertigten Chronoglobium angebracht ist: „DEM VATERLÄNDISCEHN GEWERBEFLEISSE“. Die Anregung kam aus der griechischen Mythologie. Die aus böhmischem Gusseisen gefertigte Figur des Himmelsträgers Atlas stemmt das in eine Glaskugel gehüllte Gebilde aus Messing und Stahl in die Höhe: ein starkes Stück Pädagogik in Sachen Himmelskunde. Zu sehen sind die wichtigsten Sterne, der Äquator, die Wende- und Polarkreise, Tag- und Nachtstunden, alles „nach den besten astronomischen Hülfsquellen bearbeitet“. Die Tatsache, dass es sich im Kern um eine Uhr handelt, ist da schon fast Nebensache.

39 Den Himmel zur Ehre Gottes vermessen: Globen des Vincenzo Coronelli Kirchliche Orden als Pflegestätte universaler Wissenschaft: Hierfür stand der venezianische Franziskaner Vincenzo Coronelli (1650– 1718), der das barocke Europa mit Globen und Karten zu versorgen half. Vor allem seine riesigen Erd- und Himmelsgloben, die sich wie bild- und zeichengewaltige Enzyklopädien des astronomischen Wissens der Zeit ausnehmen, verschafften ihm internationales Ansehen und die Gunst des Wiener Kaiserhofes, in dessen Dienst er 1717 trat. Unser Himmelsglobus, der mit einem Erdglobus ein Paar gebildet haben dürfte, stammt aus der Grazer Jesuitenuniversität. Haben Sie die arabischen Schriftzeichen bemerkt? Barockes Wissen ist zugleich universales Wissen, das die Grenzen zwischen den Kulturen, Religionen und Erdteilen mühelos zu überschreiten scheint.

41 Weltmodelle für die Wohnstube: Nürnberger Tischglobus Das Zeitalter der Weltumsegelungen brachte anschauliche Weltmodelle hervor, die in Städten wie Antwerpen, Venedig, Amsterdam und Nürnberg in großer Zahl produziert wurden. Der besonderen technischen Begabung in der Dürerstadt, dem „Nürnberger Witz“, verdanken wir den kleinen, aber feinen Himmelsglobus, den der Mathematiker Johann Gabriel Doppelmayr (gest. 1750) entworfen hat. Dazu gab es einen Erdglobus als Gegenstück. Die Karten lieferte Johann Georg Puschner (1680-1749). Nürnberg war ein Hotspot der Kartenherstellung, die bis ins 19. Jh. hinein florierte.



MUSIZIEREN

Musik begleitet das Leben fast aller Volksschichten, weltlich wie geistlich. Wir zeigen Ihnen daher eine kleine Auswahl unserer etwa 240 Objekte der Musikinstrumentensammlung. Sie enthält vor allem Saitenund Blasinstrumente: Cembalo, Harfe, Laute, Violoncello, Violine, Flöte, Zither, Geige, Harmonium, Naturflügelhorn und Trompete. Eine Sonderrolle spielen die im Biedermeier beliebten Gattungen wie die aus der Volksmusik stammende Drehleier, die Glasharmonika und das Automatophon – ein mechanischer Instrumententyp, der sich in einem formschönen Kasten verbirgt. Neben Zeugnissen der klassischen europäischen Musikkultur finden sich einige außereuropäische sowie populäre Instrumente aus den Alpenregionen.


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Einzigartig I: Leydecker-Cembalo

Vom Lande stammend, am Hof geschätzt: Drehleier

Unter den Tasteninstrumenten verdient das 1755 vom Wiener „Hoforgelmacher“ Johann Leydecker gefertigte Cembalo besondere Erwähnung. Dieses seltene Instrument ist eines der wenigen erhaltenen mit einer Wiener Bassoktav, also einer nur im österreichischen Raum verwendeten besonderen Ordnung der Basstöne für Cembali, bei der die Obertasten für die Halbtöne zweifach gebrochen sind. Viele Kompositionen des späten 17. sowie des 18. Jahrhunderts lassen sich in ihrer originalen Gestalt nur auf einem solchen Instrument mit dieser speziellen Tastenanordnung für Basstöne spielen.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Diese Drehleier ist ein Streichinstrument. Mit der Kurbel wird ein eingebautes Rad gedreht, das die Saiten gemeinsam anstreicht, sodass mehrere Töne gleichzeitig erklingen. Die Melodieseiten können mithilfe der Tasten in ihrer schwingenden Länge verkürzt und so ihre Tonhöhe bestimmt werden. Auf diese Weise lässt sich eine Tonleiter spielen. Die Bordunsaiten bilden die Begleitung. Das gezeigte Objekt stammt aus Frankreich, wo die Drehleier im ausgehenden 18. Jahrhundert auch eine neue Blüte erlebte, nachdem sie vom Begleiter der mönchischen Gesänge zum Instrument der Adeligen und Troubadoure aufgestiegen, als Begleitinstrument für ländliche Tänze verbreitet und schließlich zum Bettelinstrument in den Gassen der Städte herabgesunken war. Technisch verbessert hielt sie Einzug bei Hofe und in die Kammermusik. Die „Karriere“ der Drehleier erwies sich jedoch als kurzlebig – sie geriet in Vergessenheit, bis sie im 20. Jahrhundert wiederentdeckt wurde.

43 Tief rührend und melancholisch: Glasharmonika Bei diesem Objekt handelt es sich um eine Glasharmonika. Die unterschiedlich großen, ineinander geschobenen Glasschalen sind auf einer gemeinsamen Achse angebracht. Mit dem Pedal können sie in Rotation versetzt werden. Die Glasharmonika lässt sich wie ein Klavier spielen, wobei die mit Goldrand verzierten Tasten die Halbtöne darstellen. Mit angefeuchteten Fingern wird durch Reibung der Ton erzeugt. Handpflege ist für Spieler/innen der Glasharmonika von Nachteil, deren Haut sollte trocken und rau sein. Weiches, also kalkarmes oder destilliertes Wasser wird hingegen von Fachleuten empfohlen.

45 Einzigartig II: Traversflöte Von herausragendem Rang ist eine von Jean Hotteterre signierte Traversflöte. Von diesem bedeutenden, im Zeitalter Ludwigs XIV. in Paris tätigen Instrumentenbauer sind weltweit zwar 7 Flöten überliefert, doch nur das Grazer Exemplar ist in seiner Echtheit unumstritten.




GLAUBEN

Diese Präsentation nach Art eines fiktiven Kirchenschatzes soll Ihnen zeigen, wie sehr in der Vergangenheit das steirische Alltagsleben in ein reiches, katholisch geprägtes Brauchtum mit seiner vielfältigen Sachkultur eingebettet war. Diese umfasste gleichermaßen die öffentliche Sphäre, Gottesdienst und Prozessionswesen, wie auch den privaten Bereich, die häusliche Andacht. Davon zeugt eine ausgedehnte Sammlung geistlichen Geräts, wie es aus dem Mittelalter, den Epochen der Gegenreformation und des späten Barock bis in die Moderne überliefert ist: Kruzifixe, Altarleuchter, Kelche, Ziborien (Hostienkelche mit Deckel), Messkännchen (die sogenannten Ampullen), Monstranzen und Weihwasserflaschen. Für die mittelalterliche wie auch barocke Frömmigkeit spielen Reliquiare eine besondere Rolle. Erhalten hat sich außerdem eine kleine Gruppe von sogenannten Judaica. Sie widerspiegeln das religiöse Leben des europäischen Judentums, wie es seit Jahrhunderten mit der heimischen Kultur verbunden ist.


46 Alter Kult und neue Formen: Grabkreuze Die beiden modernen Grabkreuze (links: Entwurf Walter Richter, rechts: Entwurf Willibert Platzer) entstanden im Zuge eines Entwurfswettbewerbs, der unter dem Titel „Schmiedeeiserne Grabkreuze“ im Jahr 1936 vom „Culturhistorischen und Kunstgewerbemuseum“ veranstaltet wurde. Die Idee dahinter entspringt dem damals weit verbreiten Heimatschutzgedanken. Verbunden damit war aber auch der Wunsch, moderne Formen und Vorlagen für das steirische Handwerk zu entwickeln. Die eingesandten Entwurfszeichnungen der sieben Teilnehmer und einer Teilnehmerin wurden gemeinsam mit historischen Grabkreuzen aus der Sammlung des Museums und einigen von steirischen Kunstschlossern ausgeführten Beispielen präsentiert. Die beiden Kreuze fanden schließlich als Geschenk der Hersteller (Michael Wresounig, Joseph Treiber) Eingang in die Sammlung.

47 Den Gläubigen vorangetragen: Vortragekreuze Seit den Tagen der frühen Christenheit ist das Kreuz, bis heute verehrt wie umstritten, das christliche Symbol schlechthin. Kult ist auch Bewegung, und so wird das Kreuz wie ein Siegeszeichen bei Prozessionen vorangetragen. Solche Vortragekreuze wurden im 15. Jh. v.a. in Italien aus Kupferblech in Serie gefertigt und exportiert: Sie zeigen im Zentrum den gekreuzigten Christus, flankiert von Maria und Johannes sowie zwei Engeln mit Leidenswerkzeugen, während dem thronenden Weltenherrscher, dem „Pantokrator“, die Symbole der vier Evangelisten beigegeben sind, die in der altorientalischen Kunst für die „vier Weltgegenden“ standen.

48 Präzise vorgeschrieben und prächtig gerahmt: Kanontafeln Stumme Souffleusen: Bis zur Liturgiereform 1968 las der Priester die Messe mit dem Rücken zur Gemeinde. Als Gedächtnisstütze dienten dabei sogenannte Kanontafeln mit den obligatorischen Messtexten, deren Aufschlagen im Messbuch auf dem Altar den Ablauf gestört hätte. Vorgeschrieben waren 3 Tafeln, wovon die mittlere beim Öffnen des Tabernakels beiseite gehoben wurde. Wir zeigen hier zwei seitliche, um 1760 gefertigte Tafeln mit Gebetstexten, die zur Wandlung gesprochen wurden bzw. dem Beginn des Johannesevangeliums, das nach dem Segen zum Abschluss der Messfeier verlesen wurde.

49 Zur Verehrung ausgesetzt: Verkündigungsgruppe Zu Festtagen gehört das Tafelsilber auf den Tisch, d. h. den Altar – auch wenn es nur versilbertes Messing auf einem Holzsockel ist. Die sprühenden Rocaillen stehen für die Hochphase des Rokoko um 1760. À la mode gefertigt, lässt das Stück kaum merken, dass sein Vorbild schon démodé ist: Die aus Arzberg bei Weiz stammende Verkündigungsgruppe geht auf ein heute verlorenes Gemälde zurück, das der bedeutende Münchner Maler Hans Rottenhammer d. Ä. im frühen 17. Jh. geschaffen hat. Für die Verbreitung hat dann ein Kupferstich von Lucas Kilian d. Ä. gesorgt. Vermutlich ist die ganze Gruppe in Augsburg entstanden und als Exportgut in die Oststeiermark gelangt.


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sogenannten „rimonim“. Vielfalt und Eigenart jüdischer Kultgegenstände, sogenannter Judaica, prägen auch die Privatsphäre. Neben dem Davidstern ist der 7-armige Leuchter, die „Menora“, das jüdische Symbol Die meist achteckigen, unterschiedlich groschlechthin. Für die häusliche Sabbatfeier ßen, zum Teil mit einer Ausgussvorrichtung wird der 8- oder 9-armige Leuchter für das versehenen, aber immer verschließbaren Zinngefäße dienten der Aufbewahrung, aber Chanukka-Fest (aus Anlass der Wiedereinvor allem dem verlustfreien Transport von weihung des Tempels von Jerusalem nach Weihwasser. Auf diese Funktion verweist der dem Sieg der Makkabäer) verwendet. Sie auf vielen dieser Gefäße zu findende religihaben den Fisch bemerkt? Dies ist ein öse Dekor. Räuchergefäß (hebräisch „besamim“), mit dem zum Abschluss der privaten Sabbatfeier Weihrauch gespendet wird, um den 51 Geist des Sabbats in die Arbeitswoche mitDas Auge muss sehen, was das Herz zunehmen. glauben soll: Panthermonstranz Geweihtes getrost nach Hause tragen: Weihwasserflaschen

Nach diesem Motto frei nach Schiller funktioniert die gesamte kirchliche Barockkunst. Und so leitet sich von dem lateinischen „monstrare“ für „zeigen“ das Wort für ein solches Zeigegerät ab: die „Monstranz“, in der die Hostie – das nach kirchlicher Lehre in den Leib Christi verwandelte Brot – der Anbetung ausgesetzt wird. Diese Funktion wird hier mit einem Ziborium kombiniert. Auf dem Deckel ist ein steirischer Panther angebracht, der den Körper der Monstranz hält, die vom steirischen Herzogshut zusätzlich bekrönt wird. Geschaffen wurde sie 1694 im Auftrag der Landstände vom Grazer Silberschmied Johann Friedrich Strohmayr für die heute noch stehende Wallfahrtskirche von Tobelbad.

52 Aus der Welt der Tora und des Sabbat: Judaica Die reich geschmückte Torarolle mit den 5 Büchern Mose steht im Zentrum des Wortgottesdienstes in der Synagoge. Dazu gehört ein Paar bekrönender Aufsätze, die

53 Heilige Gefäße: Kelche Das muss man wörtlich nehmen: Kelche sind wie alle liturgischen Objekte „vasa sacra“, heilige Dinge und stehen unter besonderem Schutz. Der Goldglanz steht nicht für Prunksucht, sondern für den exklusiven Gebrauch während der katholischen Messfeier, wenn die rituelle Verwandlung von Wein in Blut, die „Transsubstantiation“, erfolgt. Seit dem Mittelalter weisen Kelche drei Bestandteile auf: den Fuß, das knotenförmige Zwischenglied, den sogenannten „Nodus“ (lateinisch für Knoten), und die Cuppa, das eigentliche Gefäß. Wenn der Kelch vor den Augen der Gläubigen erhoben wird, zeigen Glockenzeichen die Wandlung an. Haben Sie die kleine Glocke mit dem hölzernen Handgriff unten bemerkt? Um solch ein Kleininstrument handelt es sich hier: Sie ist 1556 datiert und weist reichen Renaissanceschmuck auf.



KLEIDEN & SCHMÜCKEN

Mit rund 6100 Paramenten und Spitzen, Teppichen und Wandbespannungen, Decken und Tischwäsche, Schuhen, Fächern und Taschen, Damen-, Herren- und Kindermoden bildet unsere Textilsammlung die größte Gruppe innerhalb des Gesamtbestandes. Besonders bedeutend sind ca. 750 Kostüme aus dem 16. bis 20. Jahrhundert. Aus unserer Schmucksammlung mit ihren rund 1500 Objekten aus dem 16. bis zum 20. Jahrhundert zeigen wir Ihnen eine Auswahl, die vor allem Modeschmuck der Moderne umfasst. Darüber hinaus enthält der Bestand Zeugnisse einer teilweise magisch durchwirkten Volksfrömmigkeit, wie Amulette und Rosenkränze belegen. Das über Jahrhunderte gesteigerte Schmuckbedürfnis belegen Armbänder und -reifen, Ringe, Broschen, Halsketten, Anhänger, Medaillons, Ohrringe, Hut-, Haar- und Anstecknadeln, Orden und Medaillen. Besondere Erwähnung verdienen die rund 100 gusseisernen Objekte aus dem frühen 19. Jahrhundert. Sie zeugen von ungebrochener Schmuckfreude, die in Zeiten der Not einen geeigneten, preiswerten Werkstoff fand.


54 Feminin und züchtig: Tageskleid um 1860 „Reizend war der Anblick dieses Mädchens. (…) Ihr neues Kleid aus grün geblümtem Musselin passte genau zu den niedrigen, grünen Maroquinschuhen, die ihr Vater kürzlich aus Atlanta mitgebracht hatte. Zwölf Meter dieses duftigen Gewebes umbauschten mit der Krinoline ihre Hüften.“ (Margaret Mitchell, Vom Winde verweht) Die im Wortsinn umfangreiche Mode der 1860er-Jahre wurde durch einige technische Neuerungen ermöglicht. Zum einen gelang es, dünne, leichte Stahlbahnen herzustellen, mit deren Hilfe neue, mit Stahlreifen versehene Unterröcke entwickelt wurden, die die weiten Röcke stützten. Zum anderen erleichterten die Erfindung der Nähmaschine und die Weiterentwicklung der Webstühle die Herstellung von Textilien. Neue, synthetische Farben gaben ihnen eine nie gekannte Leuchtkraft. Da man in den modernen Kleidern, welche die Bewegungsfreiheit sichtlich einschränkten, kaum einer körperlichen Arbeit nachgehen konnte, waren die vorzugsweise aus Atlas und Seide gefertigten Kleider auch ein Zeichen für Wohlstand und gehobene gesellschaftliche Stellung.

55 Letzter Schrei der Backhendlzeit: Schute Diese Form der Kopfbedeckung war besonders in der Zeit des Biedermeier beliebt, der „Backhendlzeit“, wie man diese Epoche in Österreich auch nennt. Der hohe Kopf bot Platz für die modisch zum Knoten gesteckten Haare, während die Krempe das Gesicht umrahmte. Die breiten Haltebänder wurden unter dem Kinn zu einer Schleife gebunden. Das gezeigte Exemplar ist aus

Stroh gefertigt. Schuten konnten aber auch aus Stoff sein, wobei das Material sowohl mit den Ansprüchen der Trägerin als auch der Jahreszeit variierte.

56 Avantgarde kann alles: Schuhe von Zaha Hadid Mit ihrem Entwurf für ein Paar gelber Kunststoffschuhe steht die irakischbritische Architektin Zaha Hadid in einer langen Tradition von Künstlerinnen und Künstlern sowie Architektinnen und Architekten, die sich auch der Herausforderung stellten, Schuhe zu kreieren – die Lösungen waren allerdings oft überraschend konventionell. Dies zu durchbrechen war der Wunsch von Gazi Herzog: Sein für die Grazer Firma Humanic entworfener „Unschuh“ schien sich gegen die Anforderungen der Tragbarkeit regelrecht zur Wehr zu setzen. Geformt wie ein runder, mit bunten Streifen verzierter Klotz, schien er allem zu widersprechen, was man von einem Schuh erwartet – sicheres Gehen eingeschlossen. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht den Eindruck macht, erfüllen die leuchtend gelben Schuhe von Zaha Hadid diese Erwartungen: Die bandartige, an ein großmaschiges Netz erinnernde Struktur umschließt den Fuß und erfüllt die Aufgaben eines Schuhes durchaus. Die Frage, ob diese Kreation auch angenehm zu tragen ist, steht auf einem anderen Blatt.


57 Sport-Reliquien: Fußballschuhe von Mario Haas Viele Fans von SK Sturm werden sich an den Stürmer mit dem sicheren Torinstinkt erinnern, der mit 145 Treffern immer noch die Torschützenliste des Vereins anführt und mit Sturm drei Mal Meister und vier Mal Cupsieger wurde. Für die Ausstellung Ihr Auftritt! Schuhe mit Geschichten (2013– 2014) übergab der ehemalige Spitzensportler seine Schuhe der Kulturhistorischen Sammlung.

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Korsett war wieder auferstanden. Schmale Taille, schmale Schultern, weite Röcke, wiegende Hüften – jugendlich frisch sollte die Frau nun sein. Viele schwärmten für Dior und andere Designer, die seinen Stil aufnahmen. Aber es gab auch kritische Stimmen, die mit der Wiederentdeckung der „Dame“ nur wenig anfangen konnten. So hieß es beispielsweise im Berliner Modeblatt: „Dior verwirft alles, was bisher als schön galt. Er versucht sogar das Korsett wieder zu lancieren. Es gelingt (…). In einem Zeitalter, das überall sich bemüht, der Frau Gleichberechtigung zu erkämpfen, macht er aus Frauen hilflose Geschöpfe, deren Wespentaille wie einst aus der Stofffülle aufsteigt.“

Schmücken und schützen: Spazierstöcke Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren Gehoder Spazierstöcke wie Hüte und Handschuhe unverzichtbare Accessoires für Adelige und Bürger. Passend zur Kleidung gewählt, dienten sie nicht nur dazu, die Erscheinung des Trägers zu betonen, sondern sie zeigten auch dessen sozialen Status an: Je nach Finanzkraft des Besitzers wurden die Stöcke aus anspruchsvollen Materialien gefertigt. In Form von Stockdegen konnten sie im Falle des Falles aber auch zur Verteidigung eingesetzt werden. Ein auffällig langes, mit reicher Einlegearbeit versehenes Exemplar dieser fast vergessenen Gattung sehen Sie im Zentrum der Vitrine.

59 Feminin und zeitlos: Damen-Cocktailkleid Der von Christian Dior kreierte und von Journalisten unter der Bezeichnung „New look“ populär gemachte Trend brachte das traditionelle Weiblichkeitsideal zurück. Das

60 Handlich und unentbehrlich: Damenhandtasche um 1930 Die 1930er-Jahre waren eine unsichere Zeit: Weltwirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, Entfesselung des Zweiten Weltkriegs. Der gesellschaftliche Wandel zu konservativen Werten und Ansichten kam auch in der Mode zum Ausdruck. Der freche, lockere Look der 20er war nun von gestern. Zurückhaltung war angesagt – elegant, aber streng. Das Kostüm wurde zur gewählten Alltagsmode. Die dazu getragenen Handtaschen waren klein und leicht, wie die aus Glattleder gefertigte Damenhandtasche. Der Kunststoffgriff ist in Form eines Foxterriers gestaltet. Kleine Hunde waren in diesen Jahren beliebte Haustiere und daher häufiges Schmuckmotiv: Broschen, Kettenanhänger und vieles mehr nahm die Form der kleinen Lieblinge auf. Ist es ein Zufall, dass die Queen Hundeund Taschenfan zugleich ist?



Über Führungen und Veranstaltungen zu den Inhalten des Schaudepots informiert unsere Webseite: www.museumfürgeschichte.at IMPRESSUM Herausgeberin: Bettina Habsburg-Lothringen Texte: Ulrich Becker, Astrid Aschacher Lektorat: Jörg Eipper-Kaiser Grafik: Michael Posch Schaudepot: Projektleitung: Renate Einsiedl, Sophie Koller, Monika Ruß Ausstellungsgestaltung: INNOCAD Architektur ZT GmbH, Graz




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