Auf ins Ungewisse Peter Cook, Colin Fournier und das Kunsthaus
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Dank Peter Cook Colin Fournier Niels Jonkhans Isa Rosenberger Mischa Kuball Anna Meyer Arthur Zalewski Jessica Hausner Vera Lutter The Archigram Archives: Dennis Crompton, Shelly Power Herwig Baumgartner, Iris Rampula Dieter Bogner B+G Ingenieure Bollinger und Grohmann GmbH: Klaus Bollinger, Susanne Nowak Centre Georges-Pompidou: Bernard Blistène, Frédéric Migayrou, Jean-Claude Boulet, Mélissa Etave, Karine Jonneaux, Fatima Oussi Frac Centre – Val de Loire, Orléans, Frankreich: Abdelkader Damani, Stephanie Dachary, Clémence Gabant, Samantha Noguès, Morgane Stricot, Aurélien Vernant René Furer GrazMuseum: Otto Hochreiter, Franz Leitgeb; Stadt Graz: Anna König
Neue Galerie Graz: Peter Peer, Gudrun Danzer, Patrizia Brumen, Brigitte Lampl, Monika Binder-Krieglstein Österreichische Friedrich und Lillian KieslerPrivatstiftung/Austrian Frederick and Lillian Kiesler Private Foundation: Peter Bogner, Gerd Zillner, Jill Meissner Marcos Cruz Anja Jonkhans Peter Löcker Mathis Osterhage Dietmar Ott Christian Probst realities:united: Tim und Jan Edler, Charlotte Popp SFL Technologies GmbH: Johann Höllwart, Martina Benedikt, Tina Fuisz Gernot Stangl Sigrid Brell-Cokcan Hermann Eisenköck kadadesign: Alexander Kada, Barbara Reiter Herfried Peyker Ernst Pogöschnig Gerhard Wallner HDA: Markus Bogensberger, Karin Oberhuber Künstlerhaus – Halle für Kunst & Medien: Helga Droschl, Sandro Droschl steirischer herbst: Veronica Kaup-Hasler, Martina Heil, Andreas Peternell Ertan Karaköse Lilli Philipp Robert und Christa Schnuderl
Auf ins Ungewisse Peter Cook, Colin Fournier und das Kunsthaus
2 Anna Meyer, Haus Tier, 2017
2 Anna Meyer 4 Barbara Steiner Auf ins Ungewisse 12 Ideen und Konzepte 20
Umsetzung und Realität
Katia Huemer 42 Dem Raum imponieren 48 Isa Rosenberger Monika Holzer-Kernbichler 50 „... und was sagen Sie dazu?“ 54 Mischa Kuball 56 Arthur Zalewski 58 Anhang
Auf ins Ungewisse Barbara Steiner
den. Die denkmalgeschützte Fassade mit seiner Gusseisenstruktur im Obergeschoss sollte erhalten bleiben.
Die Vorgeschichte
1 1988 wurde vom Landeshochbauamt ein
Die Ausschreibung österreichweiter Architekturwettbewerb 4 Gegenstand des Wettbewerbs war „die zum sogenannten „Trigon-Museum“ durchErrichtung eines Kunsthauses unter Miteingeführt, und auch Vertreter aus dem Trigon- beziehung des denkmalgeschützten EiserRaum wurden dazu geladen. Dieser Raum nen Hauses.“ Dieses sollte „Ausstellung, umfasste ursprünglich Kunst aus JugoslaMedienzentrum, ein Forum für Fotografie, wien, Italien und Österreich; später wurde er Gastronomie, kommerzielle Einrichtungen und die erforderlichen Nebenräume beherauf Ungarn ausgeweitet. Mit dem Wechsel der Landesregierung, 1991, legte man das bergen.“ An die Ausschreibung war ein von Vorhaben „Trigon-Museum“ – obwohl knapp Dieter Bogner für das Kunsthaus Graz entvor Realisierung – zu den Akten. Kurz darauf wickeltes Raum- und Funktionsprogramm wurde Architekt Klaus Gartler mit der Erarangeschlossen, erarbeitet im Auftrag der beitung einer Standortstudie beauftragt, die Stadt Graz im September 1999. dieser 1996 vorlegte. Die Jury und ihre Begründung 2 Ein zweiter Wettbewerb mit internationaler 5 Beim internationalen Wettbewerb wurden Beteiligung, diesmal am Standort „Schloss- 102 Projekte eingereicht, neun als preiswürberg – Palais Herberstein“, scheiterte an dig erachtet und ein Preis vergeben. Am 7. einer 1998 durchgeführten Volksbefragung. April 2000 wählte die Jury einstimmig das Bereits davor starteten der damalige Kultur Projekt von Peter Cook und Colin Fournier stadtrat Helmut Strobl und der damalige zum Sieger. Im Februar 2001 wurde im Bürgermeister Alfred Stingl einen weiteSteiermärkischen Landtag und im Grazer Gemeinderat die Finanzierung des Kunstren, dritten Anlauf. Landeskulturreferent Schachner-Blazizek sagte seine Unterstüthauses beschlossen. Die Jury setzte sich aus Odile Decq, Dietmar zung zu. Nun rückte das Areal neben dem Feichtinger, Kasper König, Harald Szeemann, „Eisernen Haus“ in den Blick. Anlässlich Kjetil Thorsen, Dieter Bogner, Wolfgang der Bewerbung um die Kulturhauptstadt Europas 2003 schien die Realisierung eines Lorenz, Klaus Gartler, Gerfried Sperl und Rudolf Schilcher zusammen. Vorsitzender Hauses für die Kunst, nun allerdings ohne war Volker Giencke. Peter Cooks und Colin eigene Sammlung, greifbar nah. Fourniers Einreichung wurde angenommen, weil „das Kunsthaus kein herkömmliches Der Ort Haus ist, kein Haus, das mit Bestehendem 3 Das Kunsthaus Graz liegt in einem wenig verglichen werden sollte oder könnte. Es privilegierten Stadtviertel gegenüber der entzieht sich der aktuellen ArchitekturinterAltstadt. Es wurde in einer Baulücke zwischen Lendkai und Mariahilferstraße errich- pretation mit Bravour, indem es keiner Zeittet und grenzt unmittelbar an das „Eiserne strömung folgt, sondern diese vorgibt. Seine Haus“ an. Dieses, ein 1846-48 errichtetes Funktion als Magnet für Unverwechselbares modernes Warenhaus des Architekten Josef manifestiert sich durch die spielerische Benedikt Withalm, wurde entkernt und Leichtigkeit künstlerischen Schaffens.“ sollte mit dem Kunsthaus verbunden wer4
Living City 7 Diese Ausstellung von Archigram fand 1963 im ICA, London, statt; sie wurde von Archigram designt und kuratiert. Das Layout der Ausstellung weist Verwandtschaft mit dem Grundriss der geometrisierten Innenhaut des Kunsthauses auf. Das Periskop in Richtung Picadilly wiederholt sich in modifizierter Form in der auf den Schlossberg ausgerichteten Öffnung.
Blob evolution, Rendering: Niels Jonkhans
Die Referenzprojekte Erste Überlegungen zu einem lebendigen, 6 kommunikativen und sich immer wieder verändernden Ort für zeitgenössische Kunst sind bereits vor langer Zeit an einem anderen Ort inmitten einer popkulturell geprägten Umgebung geboren worden: im London der 1960er-Jahre. Peter Cook und die anderen Mitglieder von Archigram dachten über Periskope nach, die aus Gebäuden ragen, über Raumschiffe, die sich in verschlafenen Städten niederlassen, schwammige, landschaftsähnliche Zonen und variable Häute für Gebäude. Das erste gemeinsame Projekt von Cook und Fournier, das Batiment Public in Monte Carlo, sollte eine Plattform für vielerlei Aktivitäten sein: Gokart, Zirkus, Kammermusik und auch Eishockey. Für das im und am Grazer Schlossberg geplante Vorgängerprojekt des Kunsthauses sahen die Architekten eine riesige, farbenfrohe Zunge vor, die sich aus dem Berg auf die darunterliegende Straße erstrecken sollte. Im Kunsthaus finden sich viele der folgend angesprochenen Merkmale.
Instant City Instant City von Archigram kann gewisser- 8 maßen als erste Blaupause für Graz gelesen werden: Das Luftschiff kommt von außen, lässt sich in einem unterentwickelten Teil einer Stadt nieder und bietet über (provisorische) Strukturen Information, Bildung und Unterhaltung. Auch das Lendviertel galt bis zur Zeit der Errichtung des Kunsthauses als ein vernachlässigter Stadtteil von Graz. Auch wenn das Gebäude gewiss nicht als Provisorium bezeichnet werden kann, verändern Programm und programmatischer Anspruch das Haus fortwährend. Seinem unverwechselbaren Erscheinungsbild, das sich von der Umgebung abhebt, verdankt das Kunsthaus seinen Spitznamen des in Graz gelandeten „freundlichen Außerirdischen“, der sich in die Struktur der Stadt einfügt hat.
Archigram, Dirigeable Instant City M3, 1969–1998, Collection Frac Centre – Val de Loire, Orléans
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Archigram, Instant City, 1969, Collection Frac Centre – Val de Loire, Orléans
Peter Cook, Colin Fournier, The Tongue, 1997 (Entwurfszeichnungen), Archiv Neue Galerie Graz
Heutzutage treffen die damals beabsichtigten Verbindungen zur Populärkultur, die für Instant City signifikant sind, auf das Gebäude des Kunsthauses selbst zu. Es wurde zu einem ikonischen Motiv – ständig fotografiert, online und weltweit in Hunderten von Magazinen und Zeitschriften publiziert.
Übertragung aufzulösen. Die Skizzen für die Ausstattung des Raumes erinnern absichtsvoll an Live-Fernsehstudios. Toiletten, Kassen, Licht, Sitzbänke sind entsprechend mobil angelegt. In ihrem Konzept heben die Architekten die besondere Bedeutung des „Unbekannten“ hervor, nicht zu wissen, was einen erwartet. Auch in den Überlegungen für das Kunsthaus spielte der Stellenwert des Unbekannten in der Architekturerfahrung von Anfang an eine wichtige Rolle.
Bâtiment Public, Monte Carlo 9 In der Ausschreibung waren Möglichkeiten für Bankette, Varieté s, einen Zirkus und The Sponge andere öffentliche Events gefordert. Archi10 Ausgehend von der Idee, von existierenden gram und Colin Fournier schlugen 1973 Gebäuden die äußere Haut abzuziehen und einen Raum vor, in dem eine Gokart-Bahn, eine schwammige, landschaftsähnliche Zirkuselefanten, Kammermusikkonzerte Zone, eine variable Haut an diese Stelle und auch Eishockeyspiele untergebracht zu setzen, soll so ein neuer Gebäudetypus werden konnten, eine Architektur, die sich auf der Basis eines älteren entstehen. Der jeweils spezifisch aus den Events herausschälen sollte, einen „feature-space“ (einen Begriff „Schwamm“ leitet sich ab von einem Badeschwamm und seiner Fähigkeit, zu Raum mit Besonderheiten), eine Plattform absorbieren. Das Kunsthaus sollte – viele für vielerlei Aktivitäten. Dieser Raum, nach Jahre nach dieser Überlegung – eine sich außen wenig sichtbar, sollte unter die Erde gelegt werden und sechs Eingänge erhalten, verändernde, transparente Außenhaut bekommen. Dies konnte aus bautechniabsichtsvoll mehr als notwendig. Darüber war ein Park in unmittelbarer Nachbarschaft schen, budgetären und zeitlichen Gründen zum Meer geplant. Verdeckte Strom- und nicht umgesetzt werden. Telefonanschlüsse im Boden sollten weitere Nutzungsmöglichkeiten für unterschiedliche The Tongue Bedürfnisse bieten. Sogar die Möglichkeit, 11 1997 wurde ein internationaler Wettbewerb sich auf diese Weise einen Drink zu bestelfür den Standort Schlossberg durchgeführt. Cooks und Fourniers Gebäude sollte ein len, wurde angedacht. auffallend farbenfrohes Dach mit organisch Die Pläne des Inneren zeigen in Boden und anmutenden, sich verändernden „Nozzles“ Kuppeldecke eingelassene Service-Knoten; (Düsen) bekommen, so als würde es sich aus ausgestattet mit roboterähnlichen Maschinen, die verschiedene funktionelle Anforde- dem Berg auf die darunterliegende Straße rungen an den Raum bedienen und Struktu- ergießen. Der Titel Die Zunge bezieht sich auf die Form des Gebäudes; und auch die ren für die jeweiligen Nutzungen erzeugen (Plug-in-Prinzip). Auf diese Weise sollte eine „Nozzles“ erinnern – bleibt man bei dieser Art Bühnenraum in permanenter räumlicher, Assoziation – an Geschmacksknospen. Auch in Bezug auf eine doppelschalige farblicher oder akustischer Veränderung Haut und das Raumprogramm finden sich entstehen und die architektonische Hülle Parallelen zum Kunsthaus. Hinsichtlich der vergessen lassen. Monitore und RückproÜberlegungen zu einem multifunktionalen jektionen waren dazu gedacht, die Grenze Ausstellungshaus, seiner Dachlösung, der zwischen Performance und ihrer medialen 8
Peter Cook, Colin Fournier, The Tongue, 1997 (Modell), Archiv Neue Galerie Graz
polymorphen Auskleidung im Inneren und der kräftigen Farbgebung ist The Tongue ein wichtiger Schritt hin zu den Überlegungen für das heutige Kunsthaus gewesen. Die Ausstellung Der Titel der Ausstellung Auf ins Ungewisse bezieht sich auf ein berühmtes Zitat von Peter Cook und meinte ursprünglich die Art des Hineingleitens in das Gebäude auf dem sogenannten „travelator“ – was in seinem Inneren auf einen wartet, bleibt zunächst ungewiss. Der Titel bezieht sich aber auch auf Bauprozesse, die nicht vollständig kontrolliert werden können, und auf Lücken, die sich zwischen Ideen und deren Realisierung auftun. Zeitdruck, Budgetgrenzen, funktionelle Anforderungen und technische Beschränkungen führten zu erheblichen Änderungen der ursprünglichen Pläne, aber auch zu kreativen Ad-hoc-Lösungen während des Bauprozesses. Niels Jonkhans, damaliger Partner von Cook und Fournier, sieht daher „das Kunsthaus als eine gebaute und ständig weiterentwickelte Zeichnung“. Die Architekten und Planer des Kunsthauses betraten dann um die Jahrtausendwende, zur Zeit seiner Entstehung, bautechnisches Neuland. Es ist sichtbar ein Haus an der Zeitenwende: analog und digital, visionär und mit Bodenhaftung. Diese teilweise sehr her-
ausfordernden Entstehungsprozesse werden12 in der Ausstellung genauso gezeigt wie das Zusammenwirken des Museologen und der planenden beziehungsweise ausführenden Architekten und Fachplanern. Kommentare, eine Sammlung von Stellungnahmen von denjenigen, die mit Cook und Fournier eng zusammengearbeitet hatten, lassen auf die gemeinsamen Unternehmungen aus verschiedenen Blickwinkeln schauen. Das erlaubt es den Leserinnen und Lesern, nicht nur einen Einblick in komplexe Realitäten im Feld der Architektur, sondern auch in Prozesse der Zusammenarbeit zu nehmen. Die Künstler/innen Mischa Kuball, Anna Meyer, Isa Rosenberger und Arthur Zalewski wurden eingeladen, aus heutiger Perspektive auf das Kunsthaus und seine Geschichte zu schauen: Das Kunsthaus wird zum Walfisch in der Malerei von Anna Meyer, beziehungsweise verbindet es sich mit anderen Bauten weltweit und offenbart seine Details in den Fotos von Arthur Zalewski. Isa Rosenbergers aus Anlass der Ausstellung entstandener Film über das Kunsthaus stellt die Improvisation in Musik und Architektur in den Mittelpunkt ihres Interesses. Mischa Kuball fragt als endlose Schlaufe von Wiederholungen von Utopie zu Dystopie nach sich wandelnden Perspektiven auf Architektur und Gesellschaft. 9
Ideen und Konzepte
DER AUFTRAG
Ansicht Lendkai, Wettbewerbsobjekt, April 2000, Zeichnung: Peter Cook
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Der Auftrag für das Kunsthaus Graz spiegelt den Ruf der für experimentelles Design bekannten Stadt wider und ermutigt uns ein Projekt zu entwickeln, das neue Materialien und Morphologien erforscht und nicht davor zurückschreckt, eine etwas außerirdisch anmutende, aber ihren Nutzern gegenüber freundliche Architektur-Kreatur inmitten dieser barocken Tonziegeldächer der Stadt zu setzen. Sie trägt ihre Einzigartigkeit dabei alles andere als schüchtern zur Schau, ist aber gleichzeitig bemüht, sich auf das Straßenleben, den Maßstab und die Ausrichtung der Gebäude entlang der Mur einzulassen. Und durch die Offenheit und Flexibilität seiner inneren Organisation sollte es sich als gestaltbares Objekt der Begierde sowohl für Publikum als auch Kuratoren herausstellen. Kurz, es versucht seine Sehnsucht, als eigenständiges Objekt aufzufallen, mit seinem Wunsch in Einklang zu bringen, auf unauffällige Art den Kunstwerken und Installationen zu dienen, die zu beherbergen es programmiert wird. (Cook und Fournier, Skin und Pin. Eine Projektbeschreibung, 1999)
PLATTFORMEN
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Das Kunsthaus Graz soll die Funktion eines multidisziplinären Ausstellungs-, Aktions-, Vermittlungszentrums für zeitgenössische Kunst, Fotografie und Medien unter Einbeziehung ihres gegenwärtigen und historischen, kulturellen ebenso wie gesellschaftlichen Kontextes erfüllen. Als Betreiber fungieren die Stadt Graz und das Land Steiermark, die beabsichtigen, eine gemeinsame Betriebsgesellschaft zu gründen. Grundsätzlich muss das Gebäude als autonomer Betrieb funktionieren, das heißt, dass es als selbständige „Kunsthalle“ für zeitgenössische Kunst mit einer eigenen Identität arbeiten muss. Dazu soll und kann das architektonische Konzept wesentlich beitragen. An einem hervorragend gelegenen und erschlossenen innerstädtischen Standort situiert, entwickelt sich das Kunsthaus zu einem durch ein vielfältiges Angebot geprägten kulturellen Treffpunkt und Kommunikationsort. Verschiedene Veranstaltungs- und Kommunikationseinrichtungen, Café und Restaurant sowie kulturnahe kommerzielle Einrichtungen sollen auch außerhalb der Öffnungszeiten des Ausstellungsbetriebs urbanes Leben fördern. (Dieter Bogner, Konsulent Museumsplanung, bogner.cc, Wien, Kunsthaus Graz. Raum- und Funktionsprogramm, erarbeitet im Auftrag der Stadt Graz, September 1999)
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Ansicht Lendkai, April 2000, Rendering: ARGE Kunsthaus
Die neue, dem Eisernen Haus hinzugefügte Struktur ist ein angehobener Körper, der die Grundebene unverstellt, transparent und für die Öffentlichkeit frei zugänglich belässt. Er enthält zwei große Plattformen (und drei Zwischengeschosse), die gemeinsam all die großen Ausstellungsflächen beherbergen. Eine Kokon-Membran wickelt sich um die Plattformen und dient als Schutzhülle des neuen Gebäudes; durch in die Außenhülle eingefügte Oberlichter und Veränderungen ihrer eigenen Transparenz lässt die Membran Tageslicht in die Ausstellungsräume; auch bietet sie verschiedene „KänguruTaschen“ für kleinere Elemente des Programms. Den Haupt- und auch dramatischsten Zugang zu den Ausstellungsräumen bietet ein langer, niedriger Travelator entlang der Nord-Süd-Achse, der den Unterbauch des Gebäudes wie eine Nadel durchsticht und langsam hinauf zu den oberen Ebenen führt. (Cook und Fournier, Skin und Pin. Eine Projektbeschreibung, 1999)
Die offenen Galerie-Plattformen ermöglichen beträchtliche Flexibilität in der Organisation der Ausstellungen durch unterschiedliche Unterteilungen des Raums. Auf beiden Ausstellungsebenen steht ein Modulsystem mobiler Trennwände zur Verfügung. Im oberen Ausstellungsbereich handelt es sich hierbei um freistehende Komponenten. Im unteren Bereich sind die Trennwände raumhohe Elemente. In beiden Fällen ist das Trennsystem mit einem Set Positioniermuffen verbunden, was für Standsicherheit, Stromversorgung und Verbindungen zu lokalen und globalen Kommunikationsnetzwerken sorgt. Auf beiden Ebenen können zwischen 200 und 800 m² große Bereiche gezogen und separat betreten werden. (Cook und Fournier, Skin und Pin. Eine Projektbeschreibung, 1999)
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Ansicht Lendkai, April 2000, Rendering: Urban Filter / Isochrom
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Fassadenschnitte, April 2000, Rendering: ARGE Kunsthaus 13
ERDGESCHOSS Der Perimeter des Gebäudes ist auf Bodenebene transparent und verbindet das Kunsthaus visuell mit seiner urbanen Umgebung. Die in ihm enthaltenen Funktionen erweitern die Geschäftsaktivitäten der Fußgängerstraße im Süden, wohingegen sie im Osten eine „unendliche“ Pin- und Skin-Bar entlang der Mur bietet, welche sich als ziemlicher Publikumsmagnet herausstellen sollte. Der Haupteingang befindet sich am südlichen Ende der Ostfassade, an der am meisten zugänglichen Ecke des Objekts, nahe der ins Stadtzentrum führenden Hauptbrücke. Ein zweiter Eingang befindet sich an der Südfassade des Eisernen Hauses neben der Buchhandlung, wo er von der belebten Fußgängerstraße und speziell von den Straßenbahnhaltestellen aus einen Zugang zur Lobby ermöglicht. Ein dritter Eingang besteht an der Nordfassade, sodass für den Fall von Aktivitäten sowohl im Veranstaltungsbereich als auch in der Studio-Galerie das Erdgeschoss für die Öffentlichkeit frei zugänglich ist. (Cook und Fournier, Skin und Pin. Eine Projektbeschreibung, 1999)
Die psychologische Wirkung des Eindringens und Hinaustretens aus dem Körper des Kunsthauses gehört zu den wesentlichen Erlebniskategorien des architektonischen Konzepts. (Dieter Bogner, Konsulent Museumsplanung, bogner.cc, Wien, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 11)
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TRAVELATOR
Ansicht Lendkai, Rendering: ARGE Kunsthaus
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So wird die Erforschung des Kunsthauses zur unausgeglichenen kinetischen Erfahrung, und es entsteht ein weiterer Beitrag zur Unvorhersehbarkeit des Raumes. Es bietet einen Luxus, den sich alle Museen leisten sollten: nämlich Kunst auf zweierlei Art zu erfahren. Einmal ganz nonchalant, im bequemen Gleiten auf der „Pin“, oder das zweite Mal mit mehr Aufmerksamkeit, wenn man langsam durch das Gebäude wieder zum Boden sickert. (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 110)
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Längsschnitt, Rendering: ARGE Kunsthaus
Nozzles und Travelator, Wettbewerbsobjekt, April 2000, Zeichnung: spacelab/UK
Der „Friendly Alien“ schluckt alles mit seinem Travelator. Er ist wie ein gigantischer Staubsauger, wie der Bauch eines Walfisches, und er ruft weit entfernte Erinnerungen aus der Kindheit wach, unbewusste Wünsche, vom Drachen gefressen zu werden, oder das zarte Vergnügen, wenn wir die raue Zunge einer Katze auf unserer Haut spüren. Im schwarzen Loch des Walfischbauches findet man alle möglichen Dinge: alte Stiefel, verlorene Schätze, verirrte Fische, sogar Jonas selbst. Und genau das muss ein Museum sein, ein Ort, der mit unserem Wunsch nach Überraschung und dem Unerwarteten spielt. Bizarre Konfrontation, Dinge, die noch nicht ganz verdaut sind. (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 116)
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SKIN
Travelator, Wettbewerbsphase, April 2000, Skizze: Peter Cook
Da ist diese Blase, und dann sind da diese Leute, die an der Mur stehen, und sie schauen und sehen, da passiert was: schauen wir, was da los ist, lasst uns mal nachsehen. (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 19.01.2017)
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Die Blase, Wettbewerbsphase, April 2000, Skizze: Peter Cook
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In der Zeit des Wettbewerbs und auch später schrieb ich ein paar Texte über die Träume, die wir verfolgten. Eine der wesentlichen prägenden Ideen, der wir am liebsten folgten, war, dass die Außenhaut unseres Gebäudes in der Lage wäre, sich wie die Haut eines Chamäleons zu verändern, Farbwechsel, Transparenz, Reflektivität etc. Aus der Zukunftstechnologie von Hochleistungs-Yachtsegeln holten wir uns die Anregung dafür, dass die Haut eine nahtlos laminierte Membran sein könnte, innerhalb derer integrierte Photovoltaik Sonnen- und Windenergie aufnehmen und dazu lichtemittierende Dioden enthalten könnte, die eine Verwendung als digitaler elektronischer Bildschirm erlauben würden. Einige dieser ambitionierten Ideen konnten in das finale Design implementiert werden, wohingegen andere auf weitere Entwicklungen der „State of the Art“-Technologien werden warten müssen. Was die Zukunft biomorpher Architektur betrifft, habe ich geschrieben, dass das Kunsthaus einen Wendepunkt markiert: Es definiert nur den Beginn einer Architektur, die der Natur nicht nur was die Form, sondern auch was Verhalten betrifft, analog ist, eine Architektur, die mithilfe von Robotik und künstlicher Intelligenz eines Tages wirklich lebendig werden und auf Umwelteinflüsse und sowohl menschliche Bedürfnisse als auch Wünsche reagieren könnte … (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 08.04.2017)
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Ansicht Lendkai, Nacht, Rendering: Urban Filter / Isochrom
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Skizzen zur Idee der beweglichen Skin, Wettbewerbsphase, Februar 2000, Skizze: Niels Jonkhans
Die Skin ist ein laminiertes Gewebe, in die ein Netz aus dehnbaren Fäden und Kompressionsrippen eingearbeitet ist, was eine Umspannung des Dachs ohne intermediäre strukturelle Stützen möglich macht. Das dreidimensionale Gewebe 3DL Laminat ist vakuumgeformt und über einer verstellbaren Gelenksform gebrannt, was die Herstellung einer nahtlosen Hautmembran ermöglicht. Das Laminat besteht aus einem Mylar-Film mit eingearbeiteten anisotropen Karbonfasern, was ihm erhöhte Dehnbarkeit entlang der Belastungslinien verleiht, und Kevlar/NomexAraramid-Wabenverstrebungen für die Druckfestigkeit. Fluide, Glasfaserkabel und andere Infrastrukturelemente werden mittels laminierter Blasen durch das Gewebe geleitet. Es wird auch vorgeschlagen, die strukturellen Karbonfäden des Laminats als Netzwerkverkabelungsverbindungen zu Knoten-Punkt- und Lichtsensoren zu verwenden, welche wiederum intelligente Gewebepanels und flexible Solarzellen kontrollieren. Die Laminiertechnik wird auch verwendet, um diskrete Elemente wie etwa audiovisuelle Bildschirme, Lautsprecher, Beleuchtungselemente und Projektionstechnik in die Haut einzufügen. Die Leistungsspezifikationen der Haut verändern sich kontinuierlich entlang der Oberfläche, von den Eigenschaften einer starren, opaken Oberfläche bis zu jener einer flexiblen, transparenten Membran. (Cook und Fournier, Skin und Pin. Eine Projektbeschreibung, 1999)
NOZZLES
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Ich nenne sie „Naughty Nozzle“. Diese Nozzle soll auf die dumme alte Burg blicken. (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 19.01.2017)
Blick aus der „Naughty Nozzle“, Foto: N. Lackner/UMJ
Modell aus Latex zur Idee der organischen Haut und der Nozzles („Naughty Nozzle“ u. li.), Wettbewerbsphase, Februar 2000, Modell: Marcos Cruz
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Die Nozzles: Es gab ja mal die scherzhafte Idee, dass das Haus die Menschen von der Straße an- und einsaugt, dass sich die Nozzles bewegen … (Gernot Stangl, 3D-Werkplanung, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Katia Huemer, 14.07.2017)
Skizzen zur Idee der einsaugenden Skin, Wettbewerbsphase, Februar 2000, Skizze: Niels Jonkhans
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MONSTER UND ANDERE KREATUREN „Interessante Architekturen sind wie Monster“, schrieb Jean Baudrillard. Der französische Philosoph war fasziniert von dem, was er „monströses Architekturobjekt“ nannte, das Objekt, das in komplettem Widerspruch zu seinem Kontext steht und heraussticht wie eine Erscheinung aus dem All, eine einzigartige Singularität. Wie auch sein eigenes Denken vor dem Hintergrund zeitgenössischer westlicher Kultur als Singularität hervorstach, spürte er Objekte auf, die vergleichbare Monster sind, Abweichungen von der Norm, außerirdische Lebensformen. Die Erfindung solcher Monster impliziert die Fähigkeit, eine kulturelle Leere zu erschaffen und den omnipräsenten Diskurs der dominanten Kultur auszusetzen, sodass etwas anderem erlaubt wird zutage zu treten und Form anzunehmen.“ (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Vorlesung „Jean Baudrillard and radical architecture“, ZKM, Karlsruhe, 2004)
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Rendering: Alexander Kada
Kinderzeichnungen für den Bauzaun zur Zeit des Baubeginns
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Und so kennt man das Kunsthaus als Nilpferdbaby, Seeschnecke, Stachelschwein, Walfisch und so weiter. Es soll bewusst wie eine Artenmischung wirken, wie ein nicht klassifizierbares Hybrid, eine biomorphe Präsenz, die fremd und vertraut zugleich ist. Fremd, weil es keine Referenz zu einem bestimmten Tier gibt, sondern weil es aussieht wie eine Kreatur, die die Evolution durch Zufall auf einem anderen Planeten hervorgebracht hat. Vertraut, weil es den Charme eines freundlichen streunenden Bastards mit höchst fragwürdigem Stammbaum hat. (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/ Fournier, London, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 114)
INNENRAUM
Natürliches Tageslicht ist für einen Großteil des Ausstellungsbereichs möglich. Die doppelte Hauthülle kann ihre Opazität und Lichtdurchlässigkeit variieren und daher so designt werden, dass die solaren Gewinne und Wärmeverluste verschiedener Teile des Gebäudes je nach Ausrichtung minimiert werden. (Cook und Fournier, Skin und Pin. Eine Projektbeschreibung, 1999)
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Konstruktive Umsetzung der variablen Transluzenz, Vorentwurfsphase, Zeichnung: Niels Jonkhans
Die Ausstellungsräume bieten drei verschiedene Beleuchtungssituationen: Der oberste Ausstellungsraum ist im Wesentlichen natürlich erleuchtet, vermittels einer Reihe nach Norden schauender Tageslicht-Nozzles. Einige dieser Nozzles können ihre Ausrichtung verändern und so das Ausmaß der Beleuchtung auf die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Kunstinstallationen abstimmen. Man könnte sie auch so programmieren, dass sie dem Lauf der Sonne oder anderer Himmelskörper folgen. In die Nozzles integriert sind Lüftungsschlitze, Filter und Diffuser, um die Lichtqualität zu kontrollieren, dazu enthalten sie künstliche Lichtquellen, um das natürliche Licht zu ergänzen oder aufzuheben. Die untere Ausstellungsebene wird vorwiegend künstlich beleuchtet, da sie zwischen den zwei Plattformen liegt. Die nach Osten und Norden weisende Außenhaut ist von variabler Opazität, ist dabei vor allem opak, bietet aber gelegentliche Ausblicke ins Freie und immer wieder Inseln natürlichen Lichts.“ (Cook und Fournier, Skin und Pin. Eine Projektbeschreibung, 1999)
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Nozzles, Space01, Rendering: spacelab/UK 19
Umsetzung und Realität
NEULAND
Foto: Zepp-Cam. 2004/Graz, Austria
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Das Kunsthaus wurde zu einer Zeit gebaut, als schon viele Architekten an Hochschulen Freiformen planten, aber kein Mensch wusste, wie man diese umsetzen kann. Wir suchten nach Möglichkeiten zur Umsetzung und betraten Neuland. (Klaus Bollinger, Tragwerksplaner, Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt/Main, Gespräch mit Barbara Steiner, 17.05.2017)
Als in einer Gemeinderatssitzung das Wettbewerbsprojekt vorgestellt wurde, fragte man Peter Cook: „Sie haben ja nun beschrieben, was das Haus alles können soll, wie wollen Sie das umsetzen?“ Peter meinte: „Hier ist unser Ingenieur; er kann das erklären.“ Nachdem ich den ersten Schock verdaut habe, unvorbereitet – weil das Projekt für mich da noch gänzlich neu war – etwas erzählen zu müssen, erwähnte ich, dass wir schon einmal eine „Bubble“ (Blase) gebaut hätten, in klein, auf der IAA in Frankfurt 1999. Der Architekt war Bernhard Franken, einer der ersten, der mit Filmsoftware Freiformen entwickelt hatte. Damit war das Vertrauen hergestellt. Ich fügte dennoch hinzu: „Wir wissen anfangs meist nicht, wie wir das bauen, aber wir untersuchen viele unterschiedliche Wege.“ Und es kamen keine weiteren Fragen. (Klaus Bollinger, Tragwerksplaner, Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt/Main, Gespräch mit Barbara Steiner, 17.05.2017)
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The Bubble, BMW Pavillon IAA 1999, Bernhard Franken für ABB Architekten, Foto: Friedrich Busam 20
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Das Kunsthaus war ein Experiment hinsichtlich der bau-, aber auch planungstechnischen Realisierung. Die Verantwortung, die der Auftraggeber damit übernahm, war wesentlich größer als üblich, weil er auf mehrere Unbekannte setzen musste, selbst eine aktivere Rolle übernehmen musste und auch darauf vertrauen musste, dass die Umsetzung klappt. Das ist anders, als wenn man ein Gebäude von der Stange plant. (Niels Jonkhans, Co-Autor Wettbewerbsprojekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016)
Ich erinnere mich an eine kleine Meldung in der Kleinen Zeitung, da stand: „Top der Woche: Stadtrat Strobl“ – Stadtrat für Kultur, unser Ansprechpartner – „hat einen großen Fisch an der Angel mit Peter Cook.“ Cook war damals schon ein großer Name, auf den sich auch andere große Namen wie Norman Foster oder Richard Rogers beziehen. Damals ist mir schon diese Erwartungshaltung aufgefallen: „Jetzt haben wir den Entwurf gesehen, also setzt ihn um.“ Doch man hätte mehr Zeit für Forschung in der Planungsphase einplanen müssen und auch zugestanden bekommen sollen. Das bezieht sich vor allem auf die Haut. Um hierfür eine Lösung zu entwickeln, dafür war die Zeit zu kurz. (Niels Jonkhans, Co-Autor Wettbewerbsprojekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016)
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Für mich war in der ersten Phase wichtig, dass die Planung ins Rollen kommt. Architekten wollen ja gerne nochmal und nochmal planen. Ab einem gewissen Punkt muss man ihnen doch die Planung aus der „Hand“ nehmen. Das ist auch bei anderen Bauprojekten so. Parallel dazu gilt es immer die Realisierungsmöglichkeiten zu prüfen und mit den Kosten in Einklang zu bringen. In einer Planungsphase kam man schon ins Zittern, denn als die Einreichung fertig war, wusste man noch nicht, wie die Haut im Detail umzusetzen ist. (Ernst Pogöschnik, Projektleitung Auftraggeber Stadt Graz, Gespräch mit Barbara Steiner 24.07.2017)
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Es gab einen wahnsinnigen Zeitdruck, und wir arbeiteten in allen Bereichen mit Systemen, die nie geprüft worden waren. Es war praktisch alles neu, wir bewegten uns ständig im Risikobe reich. Es war im Grunde genommen ein prozesshaftes Herangehen. (Herfried Peyker, Partner architekt, Geschäftsleitung ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.02.2017) Bei vielen Details hatte sich erst im Laufe des Bauens herausgestellt, wie dies zu machen sei. Als wir den unteren Teil des Gebäudes betonierten, wussten wir noch nicht, wie die obere Hälfte umgesetzt werden wird. Wir konnten einfach nicht einschätzen, ob wir mit unseren Realisierungen letztlich im Kostenrahmen bleiben würden. Eine der schwierigen Aufgaben war es, die Dreiecksstruktur, die von der Schale her notwendig war, mit den Plexiglastafeln zu verbinden, die ihrerseits nur eine maximale Größe haben konnten und immer rechteckig waren. (Gernot Stangl, 3D-Werkplanung, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Katia Huemer, 14.07.2017) 21
Tatsächlich könnte man mich als „Ghostwriter“ der Geometrie und Struktur des Kunsthauses Graz bezeichnen. Ich hatte damals noch vor der Gründung von spacelab im Auftrag von Bollinger + Grohmann für Peter Cook und Colin Fournier auf der Bartlett das Wettbewerbsmodell „digitalisiert“, d. h. die Form und Struktur, so wie sie gebaut wurde, in der CAD-Software aufgebaut. […] Mich hat das Kunsthaus Graz in meiner Forschung in den letzten Jahren stark begleitet. Ich habe es niemals „überwunden“, dass ich an der Hülle eigentlich „gescheitert“ bin, keine kongruente Vierecksstruktur für die Hülle von außen nach innen durchplanen zu können. Zum damaligen Zeitpunkt hatten die handelsüblichen CAD-Programme keine Lösung zur Planarisierung von Vierecksstrukturen für den gesamten Schichtaufbau möglich gemacht. Daher musste die Hülle aus einem rechteckigen Maschennetz in eine triangulierte Struktur für die planaren bauphysikalischen Schichten umgewandelt werden, die nach Wegfall der Innenhülle aus Plexiglas nun auch sichtbar wurde – und somit auch mein Scheitern. Dies hat mich noch nach der Eröffnung des Kunsthauses Graz ein paar Jahre weiter beschäftigt, mit dem Resultat, eine Lösung in ein Patent zu gießen, wie man es hätte lösen können. In weiterer Folge wurde die Fertigung und Automatisierung von komplexen Freiformgeometrien fixer Bestandteil meiner fortlaufenden Forschung an der RWTH Aachen. (Sigrid Brell-Cokcan, Professorin für Individualisierte Bauproduktion, RWTH Aachen, E-Mail-Korrespondenz mit Katia Huemer, 29.08.2017)
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Geometrieüberlagerung Tragstruktur und Plexiglashaut, Auszug aus dem 3D-Modell, Sommer 2003, Rendering: ARGE Kunsthaus, Gernot Stangl
KRITIK
Wir haben viele Varianten gezeichnet, um herauszufinden, wie verschiedene Schichten aufgebaut sein müssen, welche Materialien wir einsetzen können, was es kostet. Die Zeit lief davon. Wir mussten den Entwurf praktisch umsetzen und im Kostenrahmen bleiben. Dann entschieden wir uns ganz pragmatisch für dieses Stahl-Primär-Bauwerk. Wir haben zunächst einen großen Betontisch gebaut und den Bauch quasi darunter gehängt. Sicher, man kann sagen, das ist gemogelt, aber es ist eine pragmatische Lösung. Darüber steht ein weiterer Betontisch mit dünneren Stützen. Über das Ganze wurde dann die Freiformkonstruktion gebaut. Die äußere Schicht besteht aus zweisinnig gekrümmten Plexiglaselementen. (Klaus Bollinger, Tragwerksplaner, Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt/Main, Gespräch mit Barbara Steiner, 17.05.2017)
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Konzept und tatsächliche Umsetzung klaffen zu weit auseinander, das Visionäre in der Architektur blieb außerirdisch, es zerschellte an den Grenzen irdischer Umsetzbarkeit. (Ute Woltron, Journalistin, Space-Barbies Sarkophag, in: Der Standard, 18.09.2003)
Von außen gesehen entspricht das gebaute Kunsthaus dem Wettbewerbsprojekt. Es ist ein frei geformter Solitärbau, der nicht durch Größe und Radikalität, sondern durch Eleganz und Perfektion überzeugt. Im Wettbewerbsprojekt war die Fassade eine zweischalige Membrane, selbstreinigend, unbrennbar, reißfest und durchscheinend – und der Innenraum ein dreigeschossiger Ausstellungsbereich mit einem Medienzentrum im untersten Geschoss. Davon blieb im gebauten Objekt wenig übrig. Die Fassade ist eine fast meterdicke solide Konstruktion, die den Außenraum vom Innenraum völlig aussperrt, der Ausstellungsbereich ist in drei Geschosse geteilt, was der freien Kontur des Kunsthauses widerspricht. Das Raumerlebnis ist mehr schwierig als großartig. (Volker Giencke, Vorsitzender der Jury, Archiv Volker Giencke, 2007)
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Politische Erwartungen, Budgetgrenzen, technische Machbarkeit und ein eng gesteckter Zeitrahmen beeinflussten ohne Zweifel den Bau des Kunsthauses. Diese Faktoren führten zu erheblichen Änderungen der ursprünglichen Pläne, aber auch zu kreativen Ad-hoc-Lösungen während des Bauprozesses. Viele Details verraten noch heute, wie die Architekten auf die Herausforderungen reagierten, wie sie mit Problemen umgingen und Schwierigkeiten lösten. Ihre Herangehensweise kann man immer noch am Erscheinungsbild des Gebäudes ablesen, und das sehe ich überaus positiv. Vieles, das heute selbstverständlich ist, war damals neu. Dass das Kunsthaus überhaupt realisiert werden konnte, grenzt im Rückblick an ein (politisches) Wunder, bedenkt man die Vorgeschichte. (Barbara Steiner, Leitung Kunsthaus)
Was oben blasenartig rundlich in Acryl quillt, ruht unten auf scharf facettiertem Glas. [...] Irgendwie wirkt das Ganze so, als ob Space-Barbie auf einem Sarkophag kalter deutscher Bankarchitektur zu Grabe getragen würde. (Ute Woltron, Journalistin, Space-Barbies Sarkophag, in: Der Standard, 18.09.2003) Der Kontrast zwischen der oberen und unteren Hälfte des Gebäudes ist groß. Doch so merkwürdig dies zunächst klingen mag – der Kontrast zwischen oben und unten macht für mich die Qualität des Hauses aus: denn das Gebäude spricht gleichermaßen von architektonischen Visionen und irdischen Notwendigkeiten, die durch technische Begrenzungen, knappe Budgets und Funktionsansprüche begründet sind. Dennoch leuchten utopische Momente auf, die unsere Imaginationen nach wie vor beflügeln. Man ahnt, dass es viel mehr Überlegungen gab als umgesetzt werden konnten. (Barbara Steiner, Leitung Kunsthaus)
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Foto: N. Lackner/UMJ
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HIGH/LOW TECH
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Es sind Visionen einer Architektur, wie sie schon früher auf ähnliche Weise geträumt worden sind (z. B. Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre), deren Umsetzung aber erst heute technisch möglich ist. Auf dem Weg der Realisierung muss ein Entwurf das pragmatische „Fegefeuer des Bauens“ durchlaufen. In enger Zusammenarbeit mit Fachingenieuren und Handwerkern betätigen sich die jungen Architekten notgedrungen in der Forschung und Entwicklung von Fertigungsprozessen und Materialien, um ihre Vorstellungen tatsächlich realisieren zu können. Die Fertigungsvorgänge in den Werkstätten wirken oft gegensätzlich mit ihrem mittelalterlich anmutenden Handwerk bei gleichzeitig hoch technologisierter Übermittlung der Daten via FTP und ISDN. (aus: Peter Cachola Schmal, Digital|real: Blobmeister, erste gebaute Projekte, 2001, S. 11)
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Peter Cook […] wählt bei der baulichen Umsetzung seines Kunsthauses in Graz einen „Weg dazwischen“: Der Entwurf und das Wettbewerbsmodell wurden ,manuell‘ geschaffen, zur Erzeugung der 3D-Datenbasis wird die Form im Computer mithilfe von Software jedoch neu generiert. […] Peter Cook bearbeitet beim Grazer Kunsthaus die Form als Einheit, jedoch nutzt Cook 3D-Software als skulpturale Werkzeuge, das heißt, wie bei einer Skulptur wird die Form durch digital-manuelles Bearbeiten im Computer neu geschaffen. Ziel dieser Arbeitsweise ist zwar, möglichst nah an die Urform des Wettbewerbsmodells heranzukommen, aber Cook betreibt dies nicht dogmatisch, sondern mit einer gewissen Flexibilität, die es dem Tragwerksplaner ermöglicht, Tragwerks optimierungen auch über Formoptimierungen vorzunehmen – dies natürlich in engster Abstimmung. (Harald Kloft, Bollinger + Grohmann, Tragwerksplanung, Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt/Main, aus: Peter Cachola Schmal, Digital|real: Blobmeister, erste gebaute Projekte, 2001, S. 202)
Es gibt in der Steiermark eine auf Holz basierende handwerkliche Tradition, die die Form beeinflusst hat. Das Gebäude ist ein Mix aus höchst ausgefeilter Arbeit, kleinem Budget und Improvisation unter Druck. Es ist „crap-tech.“ (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 19.01.2017) 24
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Herstellung der Plexiglasplatten bei Firma Zeiler, Salzburg, Foto: Niels Jonkhans
SKIN
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Zunächst lautete der Auftrag: Wie kann man möglichst viel von dem, was besprochen war, umsetzen und in der Haut unterbringen; die Skin sollte Wärme dämmen, Licht durchlassen, opak geschaltet werden können, Energie draußen halten, sie aber bei Bedarf hereinlassen – es sollte also eine Haut sein, die alles kann. Es war eine tolle Beschreibung. Kritischen Stimmen, die heute meinen, dies wäre niemals möglich gewesen, würde ich mitgeben wollen: Man sollte grundsätzlich nie „nie“ sagen – in 20 Jahren sieht es oft ganz anders aus. Es gibt einen Text von El Lissitzky zu seinem „Wolkenbügel“ aus den 1920er-Jahren; er beschreibt darin Baumaterialien, die erst viel später entwickelt wurden, wie etwa Sonnenschutzgläser. (Klaus Bollinger, Tragwerksplaner, Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt/Main, Gespräch mit Barbara Steiner, 17.05.2017)
Die blauen Platten waren lauter Einzelanfer tigungen. Zunächst wurden große Styropor würfel so mit CNC (computerisierte numeri sche Steuerung) gefräst, dass jene Formen entstanden, die wir brauchten. Jede einzelne Platte ist im CAD (computerunterstütztes Design) gerechnet worden und wurde dann an den Formbauer weitergegeben. Die Acryl glasplatten legte man dann auf die Würfel, spannte diese mit Handschuhleder nieder und schob sie in eine Art Backrohr. Danach musste die auf diese Weise gebogene Platte langsam abkühlen, denn sonst hätte sie Risse bekommen. (Herfried Peyker, Partnerarchitekt, Geschäftsleitung ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.02.2017)
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Brandversuch, Foto: Niels Jonkhans
Wir mussten das Brandverhalten der Platten nachweisen – das heißt salopp formuliert, wie lange es braucht, bis einem das geschmolzene Plastik auf den Kopf tropft. Wir ließen dann in das Material Brand verzögerer einbauen und machten erste Versuche mit Flammenwerfern. Es dauerte zehn Minuten, bis etwas passierte, und wir waren begeistert. In weiteren Versuchen testeten wir, wie sich das Material im Sommer bei 30° bis 40° C Oberflächentemperatur verhält. Denn wird das Material lasch, hängt es durch. Die Platten sind vierfach befestigt, können sich aber ausdehnen. Wichtig war auch herauszufinden, wie groß der Raum zwischen den Platten sein muss, dass die Durchlüftung funktioniert. Am Institut für Bau technik an der TU überprüften wir das Wärmeverhalten am 1:1-Modell. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Platten schon gefertigt. Und dann missglückte der Versuch, denn die Platte war unter künstlicher Besonnung lasch geworden und bildete sich nicht mehr zurück. Letztendlich war jedoch die Versuchsan ordnung falsch. Die Platte wurde von oben mit zu geringem Abstand bestrahlt, auch konnten Stau und Hitze nicht abgegeben werden. Aber mit der Thermik entsteht ja normalerweise auch ein Luftwechsel, was nicht berücksichtigt worden war. Danach funktionierte es. (Herfried Peyker, Partnerarchitekt, Geschäfts leitung ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.02.2017) 25
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Diese Haut war als transparente Form gedacht, auch metaphorisch gedacht, um die Transparenz des Hauses zu kommunizieren. Ursprünglich sollte von außen sichtbar sein, was drinnen passiert – allerdings schon mit einer Art Filterfunktion. Es gab dann relativ schnell die Auflage der Museumsplaner, Fremdlicht herauszuhalten und das Haus vollkommen nach außen abschotten – so wie wir es jetzt haben. Die Medienfassade ist jetzt das einzige Abbild dieser Transparenz. Theoretisch hätten wir das Haus auch transparent ausführen können, vielleicht wäre sogar eine unkompliziertere Haut möglich gewesen. Denn der jetzige Aufbau war ganz schön aufwendig. (Gernot Stangl, 3D-Werkplanung, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Katia Huemer, 14.07.2017) BIX-Fassade (Detail), Foto: UMJ
Plexiglashaut: Fensteröffnungen/ Übergang zur Transparenz (Detail), Foto: paul ott photografiert
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Jede der Gewindestangen, an der die gebogenen Platten befestigt waren, musste in einem anderen Winkel auf der Unterkonstruktion befestigt werden. Man konnte aufgrund der verschiedenen Lagen der Platten nicht von vornherein sehen, ob Konstruktion und Platten zusammenpassen würden. Ich hatte zunächst gehofft, dass man das eine oder andere noch nachträglich korrigieren könnte, aber als dann der erste Tieflader mit dem schweren Stahlbau vorfuhr, da merkte ich: „Nein, es wird nicht möglich, mit dem Gummihammer auf die Befestigung zu schlagen und unpassende Verbindungen gerade zu biegen; es muss wirklich alles passen.“ Und das hat es dann auch. (Gernot Stangl, 3D-Werkplanung, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Katia Huemer, 14.07.2017)
Plexiglashalterungen/Lage im Raum, aus dem 3D-Computer modell, Sommer 2003, Rendering: ARGE Kunsthaus, Gernot Stangl Man wusste nicht, wie sich diese Platten bewähren werden. Sie sind nun vierzehn Jahre alt und sie sehen so aus wie damals. (Ernst Pogöschnik, Projektleitung Auftraggeber Stadt Graz, Gespräch mit Barbara Steiner, 24.07.2017)
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Bedrängt nach der Materialität der Haut, sagte Peter Cook scherzhaft, doch auch durchaus gereizt: „Ist mir egal, könnte aus irgendeinem komischen steirischen Glibber sein.“ (Niels Jonkhans, Co-Autor Wettbewerbsprojekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016)
Wissen Sie, warum das Haus blau ist? Blau war das einzige Material, das der Modellbauer zur Verfügung hatte. (Herfried Peyker, Partnerarchitekt, Geschäfts leitung ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.02.2017)
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Wettbewerbsmodell, Modellbau Kropf, Graz, Foto: UMJ 27
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Die Entscheidung für Blau fiel einen Tag vor der Abgabe. Blau und Gelb waren die einzigen verfügbaren Pigmente zur Einfärbung des Abgabe-Modells. Gelb kam nicht infrage, also wurde es Blau. (Niels Jonkhans, Co-Autor Wettbewerbsprojekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016)
Im Stadtrat nach der Verträglichkeit der Form mit der Umgebung gefragt, deutete Peter auf die Franziskanerkirche und sagte: „Schau, diese Formen gibt es hier überall. Das sind eure.“ (Niels Jonkhans, Co-Autor Wettbewerbsprojekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016)
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Das Kunsthaus im Stadtbild mit Franziskanerkirche, Foto: Elvira Klamminger
28 Foto: Colin Fournier
SCHOKOLADENTORTE
Tortenverkostung (A Rebake), Foto: Alexandra Trost
MUSEOLOGIE
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Die Schokoladentorte war entscheidend. Es gab einen Bäcker auf dieser Flussseite, in Bahnhofsnähe. Er war so begeistert und machte eine Schokoladentorte, eine große Torte. Sie hatte die Größe eines Tischs. Und dann besuchte uns ein Fernsehteam, wir hatten all die Zeichnungen an der Wand, aber die interessierten das Fernsehteam überhaupt nicht, sie betrachteten die Torte. Und Colin und ich mussten das ganze Projekt anhand der Schokoladentorte erklären. Dann haben wir sie gegessen. (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 19.01.2017)
Der Vorsitzende der Jury meinte, dass wir die Hülle zerstören. Wir holten den Museumsexperten Dieter Bogner dazu, damit er das Projekt museumstechnisch optimiert. Er sollte uns helfen, aus der Wettbewerbsarchitektur ein brauchbares Ausstellungsgebäude zu machen. Ursprünglich sollte es eine transparente, mit Gel gefüllte Hülle in Blau sein. Doch darin kann man keine Ausstellung machen. Das ist klima- und lichttechnisch einfach nicht machbar. Volker Giencke meinte immer: „Alles ist möglich“, aber dann ist das Haus selbst eine Skulptur. „Die Skulptur ist das Museum“, so Giencke, „erfindet die Kunst, die da hineinpasst ...“ (Hermann Eisenköck, Partnerarchitekt, Architektur Consult ZT GmbH, Gespräch mit Barbara Steiner, 06.07.2017)
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Wettbewerbsmodell, Modell und Foto: Mathis Osterhage
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Die große Tugend, die dem Programm des Kunsthauses zugrunde liegt, ist, dass es keine festgelegte Substanz hat: Das Museum hat keine ständige Sammlung. Es ist sehr befreiend, ein Gebäude nicht auf eine spezifische Funktion zuschneiden zu müssen. So kann das Kunsthaus potenziell wie ein Chamäleon agieren und sein Aussehen permanent verändern, sowohl außen, durch die programmierbare elektronische Fassade, als auch innen, um sich den neuen Bedürfnissen jeder Ausstellung anzupassen. Jeder neue Kurator muss sich der Herausforderung, uns zu überraschen und jedes Mal mit einer neuen Raumerfahrung zu konfrontieren, stellen. Das Element des Neuen und der Überraschung muss erhalten bleiben. Einmal ist nicht genug. Damit das Museum auch weiterhin ein Objekt der Begierde bleiben kann, muss sein Mysterium unangetastet bleiben. (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/ Fournier, London, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 100) Ich arbeite bei meinen Museumsplanungen für Alt- und Neubauten mit einem einfachen Farbkonzept, das mir visuell museologische Zusammenhänge erschließt. Dies war auch bei der Planung des Kunsthauses so: Grün steht für öffentliche Flächen ohne Kunst objekte – Foyer,Vortragssaal, Garderoben –, Rot bezeichnet öffentliche Flächen mit Kunst – dabei handelt es sich vor allem um Ausstellungsflächen. Blau kennzeichnet nicht öffentliche Flächen ohne Kunst – Technik, Werkstätten, Büros. Und Gelb steht für die hochwertigsten nicht öffentlichen Räume für Kunst: Depot, Restaurierung, Pack- und Kontrollraum. Logistik-, Sicherheits- und Klimafragen (bzw. -probleme), aber auch Nutzungsfragen lassen sich für mich leicht ablesen. (Dieter Bogner, Konsulent Museumsplanung, bogner.cc, Wien, Gespräch mit Barbara Steiner, 12.07.17)
60 Farbkonzept, 1. OG, Dieter Bogner
WÄNDE, HÄNGEPUNKTE, LICHT
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Warum es kein White Cube ist? Es ist eben kein White Cube, sondern ein Haus, das andere Möglichkeiten bietet. (Klaus Bollinger, Tragwerksplaner, Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt/Main, Gespräch mit Barbara Steiner, 17.05.2017)
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Das Gebäude gefällt mir von außen, aber man sollte in ihm nichts ausstellen. Es gibt leider nicht wenige Museumsarchitekten, die Kunst offenbar nicht mögen. Die das geplant haben, gehören dazu. (Mike Kelley, in: Kleine Zeitung, 21.05.2009)
Modell mit Stellwänden, Dieter Bogner, Foto: Niels Jonkhans 30
Es handelt sich um einen unüblichen Raum für die Präsentation zeitgenössischer Kunst in allen ihren Spielarten. Um ihn adäquat zu bespielen, bedarf es spezieller technischer Hilfsmittel. Ich verlangte an den Knotenpunkten der Kuppelverkleidung Halterungen für Hängesysteme, die eine raumgreifende Objektpräsentation ermöglichen sollten. Ich hatte dabei immer Friedrich Kieslers radikale Ausstellungspräsentation Art of This Century (1942) für Peggy Guggenheim oder Blood Flames (1947) im Kopf – man erkennt die Anlehnung an das Vorbild einer Zeichnung aus dieser Zeit. Das Kunsthaus lässt sich dreidimensional bespielen, aber man muss die Herausforderung annehmen. 1977 kuratierte ich mit Grita Insam und Kurt Ingerl eine Ausstellung in Tulln in einer Traglufthalle, deren Form an das obere Geschoss des Kunsthauses Graz erinnert. Wir stellten damals – aus Kostengründen – einfach ein nicht verkleidetes Baugerüst hinein und befestigten die Bilder direkt am Gerüst. Eine weitere raumgreifende Gerüstkonstruktion entwickelte ich Jahre später mit Wolf Prix von Coop Himmelblau für die Wanderausstellung Mythos Großstadt (Prag, Montreal, Los Angeles, Wien). (Dieter Bogner, Konsulent Museumsplanung, bogner.cc, Wien, Gespräch mit Barbara Steiner, 12.07.17)
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Stellwände zur Ausstellungsgestaltung im Kunsthaus aufzustellen, ist ordinär. In dieser totalen Raumarchitektur Stellwände zu verwenden, ist absolut kontraproduktiv. Diese formale Nullerlgestaltung kommt aus einem Pragmatismus – wie man eine Ausstellung aufbaut, ohne nachzudenken. Das hat weder mit Architektur noch mit Kunst noch mit konzeptioneller Ausstellungsarchitektur etwas zu tun. (Manfred Wolff-Plottegg, Architekt, Gespräch mit Barbara Steiner, 12.07.2016)
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Ausstellungsansicht Hartmut Skerbisch, Space02, 2015, Gestaltung: Manfred Wolff-Plottegg, Foto: N. Lackner/UMJ
Warum Dieter Bogner die Ausstellungsräume dunkel haben wollte, ist nicht nachvollziehbar. In der Wettbewerbsjury war davon keine Rede. Ich habe erfolglos auf diesen Widerspruch hingewiesen. [...] Aus Gesprächen mit Colin Fournier weiß ich, dass es nie Absicht der verantwortlichen Architekten war, die Ausstellungsflächen hermetisch nach außen und nach innen abzuschließen. Im Gegenteil: Offenheit war eines der Entwurfsprinzipien. (Volker Giencke, Vorsitzender der Jury, Archiv Volker Giencke, 2007)
Laut Wettbewerbsentwurf von Cook/Fournier sollte das Kunsthaus ganz transparent und transluzent sein. In der Realisierung wurde es dann „zubetoniert“, gekapselt, ohne Bezug von innen nach außen. Es soll nachträglich ein Gutachten gegeben haben, das für das Museum aus konservatorischen Gründen natürliches Licht ausschloss. So wurden die „Nozzles“ zu „Windows“, und jetzt wird es schwer sein, das Kunsthaus zu vergrößern/aufzustocken. (Manfred Wolff-Plottegg, Architekt, Gespräch mit Barbara Steiner, 12.07.2016)
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Ausstellungsansicht Koki Tanaka, Space02, 2017, kuratiert von Barbara Steiner, Foto: N. Lackner/UMJ
Ein Ausstellungshaus, das über keine einzige gerade weiße Wand verfügt, sondern dessen Ausstellungsebenen durch frei schwingende Flächen aus feinem Metalldrahtgewebe begrenzt werden! Wie soll das funktionieren? [...] Kein Zweifel! Die Ausstellungsräume des Kunsthaus Graz stellen eine spannende Herausforderung für Kuratorinnen und Kuratoren, Künstlerinnen und Künstler, Gestalterinnen und Gestalter dar. Die Unbestimmtheit des Raumabschlusses will akzeptiert und programmatisch in das Konzept eingebunden werden. (Dieter Bogner, Konsulent Museumsplanung, bogner.cc, Wien, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 11)
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Auf die Innenskin montierbare Trägerstruktur für Kunst, Konzept und Rendering: realities:united, 2002 32
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Von nicht wenigen werde ich regelmäßig bedauert, „in einem solchen für Kunstwerke ungeeigneten Gebäude Ausstellungen machen zu müssen“. Diese Meinung teile ich keineswegs: Für mich ist ein herausforderndes Haus mit besonderen Eigenschaften. Setzt man den weißen Ausstellungsraum als Maßstab, so wird man von den Innenräumen des Kunsthauses enttäuscht sein. Arbeitet man hingegen mit der Architektur, so lassen sich überzeugende Lösungen finden. Dieses Haus ist eher ein „sparring partner“, der zur Auseinandersetzung einlädt. Mich interessiert es, künftig Formen des Zeigens zu entwickeln, die veränderbar sind. (Barbara Steiner, Leitung Kunsthaus)
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Detail der Innenskin, Prototyp, Foto: Niels Jonkhans
Für das Innere schlugen wir ein modulares Ausstellungssystem mit Montagepunkten an der komplex geformten inneren Haut des Kunsthauses vor, an denen es Anschlussmöglichkeiten für Daten, Strom etc. geben sollte. Mithilfe von speziellen Teleskopstangen hätte man über die Punkte nicht nur benötigte technische Infrastruktur wie z. B. Beleuchtungssystem, Videokameras oder Rauchmelder flexibel handhaben und einbauen können, sondern auch ein System zur einfachen Präsentation bzw. Hängung von Kunst. Es gab noch viele andere Ideen: Etwa einen Papierführer mit Barcodes als Minikatalog zu produzieren und Informationsterminals mit Scanner zur Verfügung zu stellen, mit denen man das Gesehene kontextuell vertiefen hätte können. Dieser Ansatz wurde später für das Paul Klee Museum in Bern realisiert. (realities:united, Jan Edler, Künstler & Architekt, Gespräch mit Barbara Steiner, 15.06.2017)
Wir sind nicht glücklich mit der Beleuchtungssituation im Hauptausstellungsraum. Am Ende war es unsere Entscheidung, aber es war ein Kompromiss. Wir mochten diese spiralförmige Beleuchtung, die wir schlussendlich verwendeten, nicht wirklich, weil wir fanden, dass sie ästhetisch zu sehr präsent sei und für zu viele Lichtreflexionen im Ausstellungsraum sorgte. Wir wollten im Idealfall ein Beleuchtungssystem vorschlagen, das in die Oberfläche der Innenhaut integriert wäre, eher in Form von dichten Reihen kleiner LED-Lichtquellen als in Form einzelner Einbauten, sodass die ganze Oberfläche der Haut selbst zu einer leuchtenden Lichtquelle geworden wäre. Aber diese Option hätte weitere 500.000 Euro gekostet; nicht viel im Vergleich zum ganzen Baubudget des Kunsthauses, in den Augen des Kunden aber dennoch zu viel. Wir waren aufgefordert, mit den Kosten im Rahmen des Budgets zu bleiben. Experimentelle Projekte, speziell für kulturelle Programme wie Kunstmuseen, verdoppeln üblicherweise ihre Kosten, manchmal gehen sie sogar das Zehnfache über das Budget: Wir hofften im Stillen, das Budget vielleicht um 10 % oder sogar 15 % überziehen zu dürfen ... Aber wir wurden stark beschränkt und stellten das Kunsthaus schließlich etwa 2 % über dem Budget fertig. (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 08.04.2017)
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Spiralförmige Neon beleuchtung im Space01, Foto: N. Lackner, UMJ
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Dass es jetzt innen eher zu dunkel ist, ist einer von einigen Punkten, die ich, wenn wir das Haus ein zweites Mal bauen würden, ändern wollte. Die Dunkelheit in dem Raum kommt – wie bei jeder Installationsführung, die offen ist – daher, dass man psychologisch versucht hat, dem Publikum den Blick auf die Installationen zu nehmen, die hinter der Haut verborgen sind. Wir haben dann ausprobiert, ob hinter dem Netz, das vor die Haut gespannt ist, Installationen zu sehen sind. Mein Standpunkt war, dass wenn wir das alles weiß machen, der Raum viel weiter bleibt. Er ist durch die Dunkelheit geschrumpft. Man würde die Installationen auch nicht sehen, wenn hinter dem Netz alles weiß gestrichen wäre. Es ist natürlich noch nicht ausgesprochen, ob man einige dieser Installationen nicht auch zeigen könnte, aber wir wollten nicht allzu viel Ablenkung von dem Raum erzeugen. (Gernot Stangl, 3D-Werkplanung, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Katia Huemer, 18.08.2017) 33
BIX- UND ANDERE MEDIENFASSADEN
Es gab ein Bild, in das Peter ganz viele Punkte malte, um der Form eine Plastizität zu geben und eine Transluzenz anzudeuten. Dies wurde oft als Ursprung der BIX-Fassade gelesen. In Wirklichkeit entwickelten realities:united BIX (Wortschöpfung aus BIG und PIXEL). Sie sollten sich mit der medialen Ausstattung des Museums befassen, hatten darüber hinaus aber folgende Idee. Sie fragen sich: Wenn man die Transparenz der Hülle verloren hat, warum stellt man diese dann nicht elektronisch her? Es sollte keine Technologie sein, die bald obsolet ist. Es musste etwas sein, das gewissermaßen schon alt war, sodass sich das Ansicht Kosakengasse, Wettbewerbs Projekt auf eine konzeptuelle Ebene verschiebt – und objekt, April 2000, Zeichnung: Peter Cook somit auch für Werbung völlig ungeeignet ist. Es sollte der kulturelle Inhalt transportiert werden, den man durch die intransparente Skin so nicht mehr sehen konnte. (Niels Jonkhans, Co-Autor Wettbewerbs projekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016) 72
Animation auf der Simulationssoftware der BIX-Fassade (Screenshots), Planungsphase der BIX, Juli 2003, Animation: realities:united
Die Überlagerung von Information und Raum, das fanden wir damals interessant. In diese Richtung hatten wir bereits viel geforscht. Es gab dann eine vom Kunsthaus-Bau getrennte Ausschreibung der Stadt Graz mit dem Titel „Konzept für die mediale Ausstattung des Kunsthauses“, die wir gewannen, vermutlich weil wir naiv billig angeboten hatten. Erstaunlicherweise wusste niemand so genau, was ein solches Konzept eigentlich genau enthalten sollte, der Erwartungshorizont entsprach eher einer Art Einkaufsliste für geeignete technische Ausstattung, um auch in zehn Jahren noch tolle Ausstellungen machen zu können. Im Endeffekt entwickelten wir einen Katalog an Ideen, darunter auch durchaus pragmatische Vorschläge, zum Beispiel für Ausstellungssysteme, Besucherinformationssysteme oder den Umgang mit Netzwerktechnik. Die BIX-Fassade war schlussendlich eine Idee, die an einem Tag entstand: Wir saßen im Büro und rätselten, ob und wie man die ursprüngliche Idee der transparenten, d. h. kommunikativen Fassade medial zurückholen könne. Denn dieser konzeptuelle Schlüsselaspekt der Architekten war aufgrund finanzieller und bauphysikalischer Schwierigkeiten im Realisierungsprozess verloren gegangen. (realities:united, Jan Edler, Künstler & 34 Architekt, Gespräch mit Barbara Steiner, 15.06.2017)
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Es war sehr unwahrscheinlich, dass unsere Idee jemals umgesetzt werden würde. Es gab dafür ja weder einen Auftrag noch Budget. Die Architekten fanden unseren Vorschlag für die Fassade interessant. Dieter Bogner meinte, man müsse wegen des Weltkulturerbes nachfragen, doch Ernst Pogöschnik, Vertreter des Bauherrn, meinte nur: „Wer viel fragt, bekommt viele Antworten, wir machen das jetzt.“ Die endgültige Entscheidung kam erst ein Jahr vor Eröffnung des Hauses. (realities:united, Jan Edler, Künstler & Architekt, Gespräch mit Barbara Steiner, 15.06.2017)
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Technisch innovativ ist einzig das Vorschaltgerät, das von Schweizern entwickelt wurde. Die Lampen sind gebogene Küchenlampen aus den 1960erJahren. (Niels Jonkhans, CoAutor Wettbewerbsprojekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016)
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Die meisten Häuser, die damals bereits über mediale Fassaden oder Elemente verfügten, waren stark ökonomischen Zwängen ausgesetzt, d. h. die Kosten für Bau und Betrieb mussten durch die Bespielung mit Werbebotschaften refinanziert werden. Beim Kunsthaus war das anders. Wir hatten die üblichen Bewertungsmaßstäbe an Bildschirmtechnik über Bord geworfen: keine Farbe, wenig Auflösung und alte Technik, die ganz wenig kann. Dafür gelang es, dem architektonischen Maßstab zu entsprechen und ein synergetisches Verhältnis zwischen Architektur und Medium herzustellen. Für uns bedeutete diese Arbeit eine Art Grundlagenforschung. Jetzt müsste allerdings das Kunsthaus Sprachforschung betreiben, denn es fehlten Erfahrung, Semantik und Grammatik, um mit solchen Oberflächen sinnvoll umzugehen. In unseren Augen waren zu beauftragende Künstlerinnen und Künstler potenziell sehr gut geeignet, eine solche Grundlagenforschung systematisch und gut zu betreiben. (realities:united, Jan Edler, Künstler & Architekt, Gespräch mit Barbara Steiner, 15.06.2017)
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Zur Eröffnung des Hauses kamen wir 2003 nach Graz und es lief das Kleine-Zeitung-Logo. Wir waren entsetzt. Denn wir wussten, dass man durch eine kommerzielle Ausbeutung der Fassade deren kommunikatives Potenzial für die Institution Kunsthaus zerstörte. (realities:united, Jan Edler, Künstler & Architekt, Gespräch mit Barbara Steiner, 15.06.2017)
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IMPERFEKTION
In höflichen Kreisen/Komitees/ architektonischen Verfahren sind wir nicht darauf eingerichtet, Extras zu berücksichtigen. Schließlich muss alles budgetiert werden, daher muss auch alles „eben so“ sein. Nur das Leben ist nicht so. Außerdem ist nur der Film unvergesslich, in dem das Unerwartete passiert. Die unvergessliche Stadt ist die, die plötzlich ihre Laune oder ihren Charakter ändert. Warum soll das Gleiche nicht für Gebäude gelten? Wenn das Kunsthaus erfolgreich sein soll, ist es durchaus möglich, dass besondere Dinge in den kleinen Ecken und Winkeln, auf den engen Plattformen oder andernorts passieren ... genauso wie draußen, in der Needle oder anderswo. (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/ Fournier, London, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/ Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 103)
Man kann vieles beim nächsten Mal verbessern. Doch das ist Bauen. Die Nicht-Perfektion würde ich als sympathisch bezeichnen. Sie hat etwas Menschliches, und es passt auch zu Peter Cook. Das Kunsthaus verkörpert eben nicht den SuperPerfektionismus. (Klaus Bollinger, Tragwerksplaner, Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt/Main, Gespräch mit Barbara Steiner, 25.06.2017)
79 Vielleicht haben wir den Beton verbockt, aber dafür haben wir uns wirklich gründlich mit dem Handlauf beschäftigt. (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 21.01.2017)
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78 Das äußere Erscheinungsbild unseres Projekts ist im Wesentlichen eine über seiner Konstruktion getragene Maske. (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/ Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 21.01.2017)
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Nichts an dem Projekt ist linear, Ideen waren zunächst „chaotisch“, haben sich dann zu einem Ganzen gefügt, wie im „Schwarmverhalten“. (Niels Jonkhans, Co-Autor Wettbewerbsprojekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016)
Arthur Zalewski, aus: Favoriten, 2017
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Beim Kunsthaus sind Erzählung und Bilder wichtiger als die konstruktive Begründung des Gebauten. Architektur will hier in erster Linie Kommunikation sein. (Barbara Steiner, Leitung Kunsthaus) 36
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ERFOLG
Foto: Zepp-Cam. 2004/Graz, Austria
Wir haben im Kunsthaus wohl 80 % von dem erreicht, was wir wollten. (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 08.04.2017)
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Gebaute Architektur ist nie das Werk eines Einzelnen. Sie ist immer das Werk von vielen – und scheitert oft genug an dieser Tatsache. [...] Politiker und Beamte der Stadt und des Landes sind nach zwei gescheiterten Versuchen über ihren Schatten gesprungen. Bekennermut und finanzielle Anstrengung haben sich ausgezahlt. Das Graz nach 2003 wird nicht das Graz vor 2003 sein. Das Kunsthaus ist dafür, à la longue gesehen, verantwortlich. Schaut man vom Schlossberg auf dieses blaue Etwas, reibt man sich unwillkürlich die Augen. Nein, es ist nicht die Wüste, keine Fata Morgana – es ist Graz. (Volker Giencke, Vorsitzender der Jury, Archiv Volker Giencke, 2007)
85 Damals war ich stolz auf die Stadt. 80 % haben sich zum Kunsthaus bekannt, und Graz war eine verstaubte Stadt damals, die „Stadt der Volkserhebung“, das darf man nicht vergessen. Dass man den Schwung nicht mitgenommen hat, das verstehe ich nicht. Es war ein Weltraumfenster. (Herfried Peyker, Partnerarchitekt, Geschäftslei tung ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 03.07.2017)
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Man hat zweimal eine Umfrage gemacht. Bevor das Kunsthaus eröffnete, hassten es 70 %, und nachher war es umgekehrt. (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 21.01.2017) 37
MEDIENBERICHTE
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Das neue Kunsthaus ist unwiderstehlich. Es bringt einen zum Lächeln. Es möchte gestreichelt werden. [...] Bei Blobs geht es grundlegend darum, Architektur zu schaffen, die wir von Natur aus anziehend finden, die mit uns mehr verbunden ist. Sie flirten. Sie laden uns ein, sie zu erkunden, zu berühren [...] Ein Travelator saugt einen in den Bauch des Blobs. Man betritt zwei riesige Geschossflächen, ähnlich zweier Magenkammern [...] Es ist ein Jona-im-WalMoment [...] Wenn das neuerdings geschwungene Werk Fosters in der Steinzeit der Blobs anzusiedeln ist, hat das Kunsthaus lediglich die Bronzezeit erreicht. Die GentechnologiePhase der „Cyber Buildings“, halb Maschine, halb Fleisch, ist noch außer Sichtweite. [...] Fournier sagt, er und Cook fühlten sich wie „Dinosaurier“ am Vorabend eines großen Klimawandels. Dies ist lediglich der Beginn einer Überraschung, die uns im 21. Jahrhundert erwartet: Architektur wird nie wieder so sein wie vorher, und dieses Gebäude markiert den Wende punkt. (Tom Dyckhoff, The blob has come to Earth, Times, London, 16.09.2003)
[...] das Kunsthaus ist alles andere als eine Vision. Es sieht [...] am Tag seiner Eröffnung so alt aus wie die popbunten Plastik-Utopien der sechziger Jahre, die sich als rheumadeckenverhüllte Pensionisten unter geriatrischem Geächze ins Jahr 2003 geschleppt haben. Insofern ist das Haus durchaus kein Alien, sondern nur ein angejahrtes Alien-Kostüm, das jemand im staubigen Winkel eines Grazer Kostümverleihs aufgestöbert hat. [...] Das blähbauchhafte Acrylplatten-Alien [...] wird aber dennoch als Update-Version einer Architektur-Gattung namens „Biomorphismus“ gefeiert. [...] Aus dem, was die Architekten und Wettbewerbs-Juroren einst als „zweischalige, durchscheinende Membran“ gepriesen haben, als intelligente, weiche, transzendente und transluzente Haut [...] ist ein trübsinnig graudüsterer, dreigeschossiger Mehrzweckraum geworden. [...] Wie die zwei oberen, durch grob ummantelte Rollbänder verstellten Ausstellungsebenen ohne dümmliche Stellwandarchitektur bespielt werden sollen, das ist gewiss die spannendste Frage einer Architektur, die der „lebendigen Spannung“ gewidmet ist.“ (Gerhard Matzig, Journalist, Die Welt als Welle und Entstellung, Süddeutsche Zeitung, 29.09.2003)
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Foto: Colin Fournier
Was an den Beurteilungen durch die Fachwelt ins Auge fällt, ist die starke Polarisierung der Positionen: man ist „dafür“ oder „dagegen“, beides mit einiger Vehemenz. (Friedrich Kamper, Kunsthistoriker, Ein Display für die zeitgenössische Kunst in Graz: Die kunsthistorische Genealogie und die politische Genesis des Grazer Kunsthauses, Diplomarbeit, Graz 2010)
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ÖSTERREICHER/INNEN Österreicher sind exzentrisch und unangepasst. Ich sehe das als Qualität. (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, Gespräch mit Barbara Steiner, 21.01.2017) 38
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GRAZ ARCHITEKTEN
Zu den Gebäuden aus der „Grazer Schule“ aus dem späten 20. Jahrhundert sagt das Kunsthaus: „Ich bin euer Cousin, aber ich bin weniger stachelig und nicht so sehr von hier wie ihr.“ Aber in gewisser Weise führt es auch einen vertraulicheren Dialog mit den Barockkirchen und den Festungsmauern, ganz so, als wäre es Teil einer Verschwörung und wollte sich in seiner Überschwänglichkeit bei den nahen Vierteln einschmeicheln. (Peter Cook, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/ Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 96)
Konrad Frey, Revitalisierung des Kirchenblocks am Kaiser-Josef-Platz, Graz, 1967, Foto: Archiv TU Graz
Graz hat diesbezüglich seine Sache immer gut gemacht und leistet sich an vielen Fronten eine lebhafte Avantgarde. Für uns als Außenseiter war es daher eine besondere Herausforderung, an diesem internationalen Wettbewerb für das neue Kunsthaus teilzunehmen und ein neues Tier im Herzen der Stadt zu platzieren, umso mehr, als auch unsere Vorgänger einige ziemlich exotische Projekte gebaut hatten: Volker Giencke das Gewächshaus zum Beispiel, vielleicht unser liebstes Gebäude in Graz, und einer der höchsten Trümpfe, die in letzter Zeit ausgespielt wurden. Nun waren wir am Zug. Wir entschieden uns ganz bewusst für einen Alien, ein Gebäude, das in keiner Hinsicht, weder bezüglich seiner Form noch bezüglich der verwendeten Materialien, irgendwie auf die architektonische Sprache seiner Umgebung mit ihren roten Ziegeldächern Bezug nimmt. Das neue Gebäude hebt sich davon ab wie ein Wesen aus einer anderen Welt, und es scheint, dass die Stadt von dieser Provokation ebenso angestachelt wie angetan ist. (Colin Fournier, Entwurfsverfasser, spacelab Cook/Fournier, London, aus: A Friendly Alien. Kunsthaus Graz, Peter Cook, Colin Fournier Architekten, hg. v. Dieter Bogner/Kunsthaus Graz AG, 2004, S. 97)
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Volker Giencke, Gewächshäuser Botanischer Garten der Universität Graz, 1982–1995, Foto: Ralph Richter
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Graz ist für seine Architekturszene international bekannt. Es hat uns aber letztendlich gewundert, dass es sich bei dieser Szene weniger um eine Gemeinschaft als mehr um einen Haufen einzelkämpfender (wenn auch oft sehr guter) Architekten handelt. In der öffentlichen Diskussion hatten wir mehr Unterstützung einer 'architectural community' erwartet. Doch diese kam eher aus dem Ausland. (Niels Jonkhans, Co-Autor Wettbewerbsprojekt und Projektarchitekt, ARGE Kunsthaus, Gespräch mit Barbara Steiner, 20.05.2016)
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Bernhard Hafner, Archegrams, 1963, Collection Frac Centre – Val de Loire, Orléans, France, Foto: Philippe Magnon
Bernhard Hafner, Raumstadt / City in Space, 1966, Foto: paul ott photografiert
Zu den hier abgebildeten Arbeiten und den künstlerischen Positionen siehe Ausstellungs publikation Graz Architektur. Rationalisten, Ästheten, Magengrubenarchitekten, Demokraten, Mediakraten. Konrad Frey, Cowicle, 1967, Archiv TU Graz
Konrad Frey, Revitalisierung des Kirchenblocks am Kaiser-Josef-Platz, Graz, 1967, Archiv TU Graz 40
Volker Giencke, Gewächshäuser Botanischer Garten der Universität Graz, 1982–1995, Foto: Atelier Volker Giencke
Werner Reiterer, Breath, 2007 41
Dem Raum imponieren Katia Huemer Das Kunsthaus Graz ist ein Gebäude, das mit seinen Ausstellungsräumen einen gewaltigen Schritt weg vom ‚White Cube‘ in ein neues Präsentationsmodell macht. Die Architekten des Hauses, Peter Cook und Colin Fournier, haben seit den 1960erJahren in der Theorie wichtige Beiträge zur Entwicklung künftiger Räume gemacht. Die Ausstellungsräume im Kunsthaus Graz sind ein mutiger Schritt dazu. […] So wird es eine wahrlich große Herausforderung, in diesem Haus Kunst zu zeigen und entsprechende Innovation zu erfüllen. In diesem Sinne möchte ich in den ersten Jahren mit den Ausstellungen Grundlagen für dieses architektonische Experiment erarbeiten. Mit diesen Worten konstatierte Peter Pakesch, damaliger Leiter des Kunsthauses und von 2003 bis 2015 Intendant des Universalmuseums Joanneum, im Vorwort des Kataloges zur ersten Ausstellung im Herbst 2003 die programmatische Ausrichtung des neu eröffneten Gebäudes für zeitgenössische Kunst. Folgerichtig war auch die künstlerische Praxis der folgenden Jahre wesentlich von einer Auseinandersetzung mit der Architektur von Peter Cook und Colin Fournier geprägt. Wiederholt wurden Künstler/innen mit Neuproduktionen beauftragt, die unmittelbar auf den Raum reagierten und sich mit räumlicher Wahrnehmung an der Grenze zwischen Malerei, Zeichnung und Skulptur auseinandersetzten. Vor allem der große Kuppelraum Space01 war und ist für experimentelle Setzungen im Feld der Bildhauerei besonders geeignet, kommen Ausstellungsräume wie die des Kunsthauses dem in den letzten 10 bis 20 Jahren stark veränderten Anspruch an die Skulptur, die Fesseln der klassischen Bildhauerei zu sprengen, sich vom Körper im Raum wegzu42
bewegen und zur raumerschließenden und environmentalen Konstruktion zu werden (übrigens ein Gedanke, der keineswegs nur formale Aspekte, sondern auch gesellschaftlich-sozialen Raum betrifft), doch sehr entgegen. Den ersten großen Vorstoß in der Reflexion über den Raum machte der US-amerikanische Konzeptkünstler und bedeutende Vertreter der Minimal Art Sol LeWitt (1928–2007) mit seinem Projekt Wall im Jahr 2004. Aus mehr als 140 Tonnen Leichtbetonsteinen entwickelte der Künstler eine Struktur, die sich in einer freien Form durch den Space01 schlängelte und auf die organische Kuppel des Kunsthauses reagierte. Auch wenn Sol LeWitt die Möglichkeit einer Aufstellung im Freien nach Ausstellungsende einräumte und damit die Eigenständigkeit der plastischen Setzung betonte, bezog der Künstler das architektonische Konzept des Ausstellungsraums wesentlich in das Werk mit ein.
Sol LeWitt, Wall, 2003
Die parallel dazu im Space02 gezeigte Personale der deutsch-amerikanischen Fotokünstlerin Vera Lutter Inside In setzte sich weniger auf formaler als auf inhaltlicher Ebene mit der Kunsthaus-Architektur auseinander. Vera Lutter arbeitet in experimenteller Weise mit der Technik der Camera Obscura und konstruiert damit beeindruckende
zusammenhang unterschiedlich genutzt wurden. Während manche Künstler/innen der rein formale Aspekt der räumlichen Gegebenheiten interessierte, fand bei anderen die Auseinandersetzung auf inhaltlicher, physischer, psychologischer oder soziokultureller Ebene statt.
Vera Lutter, Kunsthaus, Graz, III: December 19–20, 2003
Darstellungen von Raum und Architektur. Die Aufnahme Kunsthaus, Graz, III: December 19–20, 2003 entstand im Vorfeld der Ausstellung und wirkte schon aufgrund ihrer gewaltigen Ausmaße wie ein geisterhaftes Echo des Gebäudes. Die futuristischen Eigenschaften des Kunsthauses unterstrich Lutter, indem sie die Spiegelung eines Segments des Kuppeldaches aufnahm und die Blase auf diese Weise doppelte. Eine ebenso großformatige, zweiteilige Arbeit, die einen Zeppelin zeigt und ebenfalls in der Ausstellung zu sehen war, konnte sich in diesem Zusammenhang wie eine Hommage an Peter Cook und dessen Archigram-Vision der Instant City lesen lassen, die den Wunsch nach einer beweglichen, an verschiedenen Orten ankernden urbanen Architektur bereits in den späten 1960er-Jahren zum Ausdruck brachte. Das Beispiel dieser zwei sehr unterschiedlichen Ausstellungen zu Beginn der Geschichte des Hauses zeigt, dass die Eigenschaften des Raumes im Ausstellungs-
Auf das Gebäude als „Individuum“ und die damit verbundene Personifizierung des Raumes fokussierte etwa der österreichische Künstler Werner Reiterer. Im Zuge seiner Einzelausstellung Auge lutscht Welt im Jahr 2007 forderte er die Besucher/innen im Space02 mittels eines lapidaren A4-Zettels an der Wand auf, möglichst laut zu brüllen (Breath, 2007). Wem es gelang, der Aufforderung nachzukommen und somit die sozialen Konventionen über den Haufen zu werfen, wurde mit einer unmittelbaren Reaktion belohnt: Der Raum begann hörbar und visuell zu atmen. War ein gewisser Lärmpegel erreicht, begann das Ausstellungslicht im Atemrhythmus ein- und auszugehen, während über Lautsprecherboxen der Atem des Künstlers zu hören war.
Pedro Cabrita Reis, True Gardens #6 (Graz), 2008
2008 interpretierte der portugiesische Künstler Pedro Cabrita Reis, dessen Œuvre Architektur, Plastik und Malerei umfasst, den Space01 als Landschaftsgarten. „Die Installation True Gardens #6 (Graz) markiert einen weiteren kühnen und radikalen Ver43
such der Eroberung und gleichzeitigen Zähmung des widerborstigen und subversiven Raumes Space01 im Kunsthaus Graz“, wie der Kurator der Ausstellung Adam Budak im Begleittext zur Solo-Show schreibt. Die Arbeit bestand aus 88 Einzelelementen, von denen jedes eine ähnliche Grundstruktur aufwies: eine schachtelartige Konstruktion aus gelbem Doka-Holz mit drei bis vier handelsüblichen Leuchtstoffröhren, die von einer großen Glasplatte bedeckt waren. Jede Schachtel enthielt auch ein bis zwei mit verschiedenen Farben bemalte Glasplatten mit geringfügig kleineren Abmessungen. Auf diese Weise (und angesichts seiner strengen Horizontalität) erinnerte das Werk an eine Collage aus Tafelbildern. Durch die Anordnung der Einzelelemente entstand ein Labyrinth aus Licht und Glas, das auf Holzbalken auflag und sich einer Ordnung folgend auf die offene gekrümmte Fläche des Space01 verteilte.
Element einer Medieninstallation. In der in technoides Computerblau getauchten Ausstellung wurden mittels einer Visualisierungssoftware, die auch an der Börse zum Einsatz kommt, von acht auf Förderbändern montierten Projektoren Fieberkurven eines schwankenden Marktes auf die Innenhaut des Raumes geworfen. Die verschiedenartig kombinierten Begriffe Kunst, Arbeit, Kapital und Freiheit erzeugten dabei durch Suchabfragen an Google sich in Echtzeit ständig verändernde Abbilder eines nicht spürbaren globalen Zustandes. Ebenfalls mit den Mitteln der Medienkunst arbeitete die kalifornische Künstlerin Diana Thater. Sie testete 2009 den oberen Ausstellungsraum Space01 mit gorillagorillagorilla, einer Studie über menschliches und tierisches Verhalten, auf dessen Medientauglichkeit. Thaters Installation bestand aus vier Videoprojektoren, neun VideowallMonitoren, fünf DVD-Playern, Lee-Filter sowie der bestehenden Architektur und funktionierte wie eine visuelle Maschine. Das Obergeschoss wurde dabei zu einer ganz besonderen Kulisse für Thaters Arbeit und ergab eine eindrucksvolle räumliche Umgebung.
Richard Kriesche, Capital + Code, 2008
Im gleichen Jahr konzipierte der steirische Medienkünstler Richard Kriesche mit Aesthetics of Capital ein interaktives Multimedia-Projekt im Space02, der sich durch seinen höhlenartigen Charakter und das Fehlen natürlichen Lichtes optimal für die Präsentation von Medienkunst eignet. Der Künstler betrachtete das Kunsthaus als eine neuartige Ausstellungsmaschine und machte es zu einem bestimmenden 44
Diana Thater, gorillagorillagorilla, 2009
Zu einer psychologischen Raumerfahrung wurde die Ausstellung der italienisch-französischen Künstlerin Tatiana Trouvé. Mit an
teln, zeigte sich auch in der Ausstellungsgestaltung. Mit von der Decke abgehängten und mit Cut-outs bearbeiteten Fotografien erzeugte sie Durchsichten, die den Blick auf bunte, quer zwischen Decke und Boden verankerte Stangen freigaben. Hängende Projektionsflächen und eine optisch über dem Boden schwebende Betonplatte, die als Malgrund diente, öffneten neue assoziative Räume vor den Augen der Betrachter/innen. Tatiana Trouvé, Il Grande Ritratto, 2010
die Architektur andockenden Wänden, Fensterflächen und Metallgittern schuf Trouvé in Anlehnung an die postapokalyptischen Landschaften des Science-Fiction-Romans Il Grande Ritratto von Dino Buzzatti eine Art „Anti-Raum“, in dem die Grenzen zwischen Innen und Außen verwischt waren. Die den Ausstellungsraum Space02 dominierenden Säulen nahm Trouvé in ihr Raumkonzept auf, indem sie weitere Stützen hinzufügte und damit das strukturierende Raster aufbrach.
Sofie Thorsen, Schnitt A–A', 2012
Auch die Ausstellung Schnitt A-A' der dänisch-österreichischen Künstlerin Sofie Thorsen fügte sich in idealer Weise in die räumlichen Vorgaben des Space02. Thorsens Interesse gilt kulturell geprägten Formen und deren politischen, sozialen und kunsthistorischen Zusammenhängen. Ihre Fähigkeit, differenzierte Blicke auf architektonische Formen in ihrer Kunst zu vermit-
Michael Kienzer, Logik und Eigensinn, 2012
Dass der Space01 scheinbar große skulpturale Gesten fordert, zeigte die Einzelausstellung des österreichischen Bildhauers Michael Kienzer im Jahr 2012. „Gerade die obere Etage des Kunsthauses ist ja nicht so leicht zu bespielen, das ist auch eine Herausforderung, weil sie logischerweise kein Raum ist wie jeder andere, kein klassischer White Cube. […] Ich meine, dass es sehr schwer ist, hier eine Ausstellung zustande zu bringen, die nicht in irgendeiner Weise auf den Raum reagiert. […] Es ist ein einzigartiger Raum, der mir nahezu eine Antwort abringt, die anderswo vermutlich nie entstanden wäre. Das ist natürlich eine großartige Möglichkeit“, so der Künstler im Gespräch mit Kuratorin Katrin Bucher Trantow, das für den Ausstellungskatalog geführt wurde. Aneinandergeschweißte Industrierohre zogen sich in scheinbar wirren Formationen durch den Raum und wurden zu einer dreidimensionalen Zeich45
nung. „Mit einer Dimension mehr als LeWitt, sozusagen in 3D“ (Katrin Bucher Trantow) vermaß Kienzer den Raum, indem die Skulptur (Sich, 2012) die maximalen Dimensionen, die der Raum zuließ, auslotete. Mit ihren fragmentierten Körpern löste die belgische Bildhauerin Berlinde De Bruyckere in ihrer Einzelausstellung Leibhaftig physische Empfindungen aus, die durch einen monumentalen architektonischen Einbau noch verstärkt wurden: Durch eine riesige paraventartige Wand, die selbst im mehr als 8 m hohen Space01 an manchen Stellen ein Gefühl der Enge zu erzeugen vermochte, inszenierte sie den Raum als eine Art Gruft, in der aufgebahrte zwitterhafte Wesen an die Endlichkeit des eigenen Lebens gemahnten.
darüber hinaus und ließ auf diese Weise eine abstrakte künstlerische Landschaft aus fließenden Farbverläufen entstehen. Die Schaumstoffberge konnten umwandert, aus sicherheitstechnischen Gründen aber nicht (wie ursprünglich geplant) betreten werden. Nichtsdestotrotz manifestierte sich aufgrund der Tunnel, Nischen und Höhlen, die sich aus der Platzierung des Schaumstoffs und dessen Unterkonstruktion ergaben, das Gefühl, sich inmitten einer ungespannten Leinwand beziehungsweise auf einer körperlichen Ebene zu bewegen. Der oft kritisierte Space01 mit seinem häufig als „schwierig“ bezeichneten Travelator, auf dem die Besucher/innen förmlich in Grosses Landschaft der Malerei hineinglitten, zeigte sich als idealer Partner der spektakulären Installation. Dazu Katharina Grosse in einem RadioInterview: „Ich habe keine Wände hineinbauen lassen und den Raum eigentlich nicht verändert. Ich würde gerne mit allem, was ich hineinbringe, die Funktion von Wand und Ausstellen durch die Arbeit selber erfüllen. Das Gefaltete und die Bewegung und dieses fast Kollabieren von normaler Ausstellungsarchitektur sind die Grundbedingungen für meine Arbeit geworden.“
Berlinde De Bruyckere, Leibhaftig, 2013
Eine starke Raumerfahrung bot auch die poetisch anmutende Installation der in Berlin lebenden Malerin Katharina Grosse im Jahr 2014 in ihrer Ausstellung „Wer, ich? Wen, Du?“. Ein Falten werfender und gestauchter Malgrund aus weichem Schaumstoff, angepasst an die organische Form des Ausstellungsraumes, legte sich wellenförmig in die Architektur des Obergeschosses und schuf innerhalb des Space01 neue Räume. In einem dynamischen Malprozess sprühte Grosse mit kräftigen Farben auf diesen Untergrund und 46
Katharina Grosse, „Wer, ich? Wen du?“, 2014
Dies sind nur einige Beispiele aus 14 Jahren Ausstellungspraxis, die verdeutlichen sollen, wie unterschiedlich mit und in herausfordernden Ausstellungsräumen künst-
lerisch gearbeitet wurde. Es zeigt sich, dass die Auseinandersetzung der Künstler/innen mit den Räumen, die Peter Pakesch für die ersten Jahre programmatisch festgeschrieben hatte, nichts an Faszination verloren hat. Neben zahlreichen Beispielen spektakulärer Ausstellungsarchitekturen (wie sie ReD – Marta Malé-Alemany/Jose Pedro Sousa für M Stadt, Makoto Sei Watanabe für Chikaku, Didier Faustino für Antje Majewskis Gimel Welt oder Heimo Zobernig für Inventur realisiert hatten) seien Gruppenausstellungen wie Einbildung, Bewegliche Teile, Leben?, oder Roboterträume erwähnt, die sich auf die eine oder andere Art mit Themen wie Wahrnehmung, biomorphe Formen, Bewegung oder Maschinen befassten, die durch die Architektur des Hauses auf der Hand lagen. Selbst Künstler/innen, deren bisherige Arbeiten nicht ausdrücklich auf bestehende Situationen eingehen, fühlten sich auf die eine oder andere Weise veranlasst, den Räumen des Kunsthauses im doppelten Wortsinn zu „imponieren“ – also etwas Beeindruckendes in sie hineinzustellen (-legen, -setzen). Dies zeigt auch ein Beispiel aus jüngster Zeit, die Einzelausstellung Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach des österreichischen Bildhauers Erwin Wurm: „Der Ausstellungsraum im Kunsthaus ist ja nicht einfach, weil, wenn man Skulpturen hineinstellt, der Raum keine Koordinaten vorgibt. Es gibt keine Wände, keine Geraden, es ist eine Höhle mit einem flachen Boden. Man tut sich also schwer, das Ende und den Anfang des Raumes zu definieren und auszumachen. Also habe ich versucht, etwas hinzubringen, was sich einerseits durch Licht und zweitens durch die Form behauptet, um da in gewisser Weise einen Kontrapunkt zu setzen.“ So bildete die Arbeit Weltraumschwitzer, ein monströser Pullover
Erwin Wurm, Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach, 2017
(Sweater) für den Space01 von etwa 40 m Länge und 4 m Höhe, eine wohlige Bekleidung für den personifizierten Ausstellungsraum. In Anspielung auf Sol LeWitts Wall nahm Wurm auf bereits Vorhandenes Bezug, indem er die Arbeit der Minimal-Art-Ikone in ihre ursprünglichen Einzelteile zerlegte und mit eigenen formalen und inhaltlichen Aspekten anreicherte. Was die Diskussion über das Wesen und die Bedeutung von Raum betrifft – diesmal unter der Ägide von Barbara Steiner –, so schreibt sich diese fort.
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Isa Rosenberger The Sky is Glass Ausgangspunkt für die Konzeption des Filmes von Isa Rosenberger sind Reflexionen zu struktureller Architektur und Musik der 1960er-Jahre. Diese neue Architektur, die von der Gruppe Team 10, aber auch von der britischen Gruppe Archigram artikuliert wurde, forderte die Vorstellungen von stabilen, festen Gebäuden zugunsten von Plattformen heraus, die flexibel, anpassungsfähig, partizipativ und flüssig sein sollten. Die ersten Überlegungen der Architekten Peter Cook und Colin Fournier für das Kunsthaus Graz und dessen Raumprogramm schließen unmittelbar daran an. Rosenberger greift nun den Plattform-Gedanken in ihrem Film auf, verschiebt diesen jedoch hin zur Konfliktzone, in der architektonische, künstlerische und museologische, aber auch politische und ökonomische Vorstellungen aufeinandertreffen. Interviews mit den Architekten Cook, Fournier und Niels Jonkhans sowie mit der Leiterin des Kunsthauses, Barbara Steiner, thematisieren die Entstehung des Kunsthauses, daran geknüpfte Erwartungen und die Wahrnehmung des Gebäudes heute. Kurze Textpassagen – in Form von (kritischen) Kommentaren zum Kunsthaus – kommen als Einschübe ins Bild. Als weiterer Bezugspunkt dient Rosenberger Experiencing Architecture, eine 1959 von Steen Eiler Rasmussen herausgegebene Publikation, in der Musik und Komposition für die Wahrnehmung von Architektur herangezogen werden. Der Autor untersucht, wie zum Beispiel Rhythmus Bewegungen von Licht und Schatten organisiert oder Materialkontraste melodische Abfolgen suggerieren. Daran anknüpfend lud Rosenberger den Grazer Musiker Rainer Binder-Krieglstein ein, die Musik zu ihrem Film über das Kunst48
haus und seine Protagonisten zu schreiben und aufzuführen. Sein Beitrag nimmt bei der Aufführung – ganz im Sinne seines langjährigen Interesses an Improvisation – eine spontane Wendung: Binder-Krieglstein benutzt das Gebäude selbst als Musik instrument. Der Begriff der Improvisation bildet in Rosenbergers Film die thematische Klammer zwischen Architektur und Musik, erweitert um popkulturelle Aspekte. Der Filmtitel The Sky is Glass entspricht einer Textzeile aus dem 1967 geschriebenen Song Armenia, City in the Sky der britischen Band The Who. Rainer Binder-Krieglstein improvisiert auf dem Schlagzeug, das etwa Led Zeppelin verwendet hat. Und schließlich verdankt sich auch das Kunsthaus selbst letztendlich wesentlich Impulsen aus der Populärkultur, die bis auf die 1960er-Jahre zurückgehen.
Geboren 1969 in Salzburg (AT), lebt in Wien (AT) Ausstellungen und Projekte (Auswahl): Spiegelnde Fenster. Reflexionen von Welt und Selbst, 21er Haus, Wien (2017); Bergen Assembly, Bergen (2016); Anti : Modern, Museum der Moderne Salzburg (2016); Putting Rehearsals to the Test – VOX contemporary image, Montreal (2016); Hotel Metropole. Der Erinnerung eine Zukunft geben. Into The City I Wiener Festwochen (2015) und < rotor >, association for contemporary art, Graz (2016); Lenin: Icebreaker, LENTOS Kunstmuseum Linz (2014 ); It’s The Political Economy, Stupid, Thessaloniki Centre of Contemporary Art und Austrian Cultural Forum New York (2012); Espiral, Grazer Kunstverein, Graz (solo, 2011 ); Nový Most, Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Oldenburg (solo, 2009); Nový Most, Secession, Wien (solo, 2008).
„... und was sagen Sie dazu?“ Monika Holzer-Kernbichler „Was soll man sagen über dieses Gebäude? Ein außerirdisches Raumschiff, das sich positioniert hat mitten im Stadtzentrum am Ufer der Mur. Von außen liebt man es oder man hasst es, aber diese Architektur lässt niemanden unberührt“, meint eine Besucherin, die uns schriftlich ihr Feedback auf einer der vielen Karten der letzten Jahre zurücklässt.1 Das Zitat fasst zusammen, was uns häufig rückgemeldet wird: Das Kunsthaus wird geliebt und gehasst, es gefällt von außen, aber erfüllt die Erwartungen im Inneren mit seinen Ausstellungen nicht immer, denn „von außen ist das Gebäude sehr imposant, deshalb erwartet man sich sehr viel von der Ausstellung“. Ein Gebäude wie das Kunsthaus Graz lässt die Menschen nicht kalt, es weckt Emotionen viel stärker als andere Häuser der Stadt. „Außen super, innen fad“?
Bau noch im Jahr 2016. Das Interesse an der Architektur des Kunsthauses reißt seit 2003 nicht ab, sehr viele Anfragen verlangen unaufhörlich nach Rundgängen durch das Haus, nach Informationen zur Architektur in Apps, Audioguides oder im gedrucktem Architekturführer. Führungen bewegen sich zuweilen auch in den Untergrund zu den technischen Anlagen, spezielles Interesse gibt es regelmäßig an der Brandschutzanlage und den selten stattfindenden Tests der Sprinkleranlage, bei denen das Wasser aus der blauen Blase strömt und spritzt und die jedes Mal zu kleinen Spektakeln mitten in der Stadt mutieren.
Das Haus gefällt vielen, rasch wurde es auch zum neuen Wahrzeichen der Stadt und zum Star des Stadtmarketings. Graz bekommt durch das Kunsthaus das Image einer modernen, innovativen Stadt. „Ich bin sehr stolz, dass es in meiner Stadt so ein schönes Kunsthaus gibt“, beschreibt eine Bürgerin ihr damit verbundenes Gefühl. Sie Als das Haus 2003 nach langem Hin und Her ist damit auch nicht alleine. anlässlich des Kulturhauptstadtjahres in Graz endlich umgesetzt wurde, gab es in der Das Haus erregt in seiner ungewöhnlichen Form Aufsehen, sticht in seiner Farbigkeit Bevölkerung viel positive Neugierde. Bauaus dem Stadtbild und interagiert mit der stellenführungen boten eine oft genutzte urbanen Umgebung in der Nacht durch die Möglichkeit, sich über den Verlauf und über BIX-Medienfassade und tagsüber mit dem das Geplante zu informieren. Schon die Tönen der Soundinstallation Time Piece Baustelle beeindruckte sehr. Viele techniGraz von Max Neuhaus aus dem Jahr 2003. sche Neuheiten mit enormem planerischem Das Haus brummt und sendet LichtbotAufwand für Architekten, Statiker, Museumsfachleute, Brandschutzbeauftragte, schaften in den Stadtraum. Das Kunsthaus Sicherheitsexperten, Altstadtkommission, Graz „bricht das Gesicht der Altstadt: Etwas Baufirmen etc. sorgten von Anfang an für ungewohnt mutet der Anblick des Kunstgroßen Respekt für dieses große städtische hauses zunächst an. Das Design selbst Vorhaben, dessen Kostenfrage trotz des steht außer Diskussion und ist subjektives vielen Zuspruchs nicht unhinterfragt blieb. Empfinden, dennoch fügt sich das Gebäude „Also da gehörte eine Portion Mut, dieses einfach nicht in die Grazer Altstadt ein. Gebäude mitten in die Barockstadt zu stelInnen top! Tolle Ausstellungen“, widerlen. Aber es ist gelungen. Dieses Museum spricht eine Stimme der mehrheitlichen mit der außergewöhnlichen Architektur ist Auffassung, dass sich der Friendly Alien gut ein Muss“, kommentiert ein Besucher den in die Stadtlandschaft einschreibt, eine Tat50
sache, die bereits für den Entwurf zum Siegerprojekt des ausgeschriebenen Wettbewerbes sehr positiv hervorgehoben wurde. So liest man darin, dass sich der Baukörper „genial an seine Umgebung“ anpasse. „Er gibt nach, schnürt sich im Bereich der bestehenden Bausubstanz ein und schwingt andererseits bis an die Grundstücksgrenzen aus.“2 Die Meinung der Jury wird in vielen unserer Rückmeldungen geteilt – „The building is extraordinary!“
Raumschiff grüßt Gegenwart (Der neue Samstag, 13.09.2003) 95 „Spezielle Architektur. Das Kunsthaus lohnt einen Blick von außen und natürlich eine ausführliche Besichtigung von innen. Auch die Umgebung ist sehenswert.“ Mehrfach wird auch von Besucher/innenseite beobachtet, was man mit Gentrifizierungsstudien belegen oder einfach durch den Besuch des Lendviertels erfahren kann. Durch den Bau des Kunsthauses hat sich an den umliegenden Adressen viel getan. Neue Geschäfte und Lokale bewirken, dass 2017 nun auch das letzte Bordell aus der Gegend abzieht und sich aus dem einst verschmähten Rotlichtviertel ein junger, kreativer Stadtteil entwickelt hat. Die vielgerühmte Aussicht richtet sich jedoch auf den alten Teil der Stadt jenseits der Mur. „... mir gefällt die Rolltreppe, aber sonst ist alles schlecht“, meint jemand sehr kategorisch und verweist dabei auf die Einzigartigkeit des Travelators, des Laufbandes, das wie eine Nadel in die blaue Blase hineinsticht, um das Publikum in das Innere, in die Ausstellungsebenen zu befördern. Vom hellen, lichtdurchfluteten Erdgeschoss gelangt man damit in den Space02, jenen Raum, der
2003 vor allem für Medienkunst konzipiert wurde und dementsprechend technisch ausgestattet ist. In seinem weitläufigen, nierenförmigen Grundriss löst der Raum mit deutlichem Oben und Unten am wenigsten Emotionen aus. Als ungewöhnlich erlebt man erst auf den zweiten Blick die graue Skin, die sich zwischen Boden und Decke in Dreiecksformen nach außen wölbt. „Es hat mir sehr gut gefallen. Am besten war der Kinderraum“ oder „Mir hat der Space03 am besten gefallen“, resümieren oft unsere jüngeren Besucher/innen. Kinder haben in der Regel eine große Freude mit dem Space03, dem Kinderraum, der keine herkömmlichen Wände hat, sondern es wie eine Nussschale oder der Bauch eines Walfisches möglich macht, an den Wänden hinauf zu gehen. Nach dem Ausziehen der Schuhe ist es die erste Reaktion der meisten Kinder, sofort loszulaufen, rauf auf die schiefe Ebene, die sich bis zur niedrigen Decke fortsetzt und die Wände ersetzt. Wer kann sich oben halten, hinter der Säule vielleicht? Am Boden liegend kann man durch runde Fensterscheiben ungesehen dem Treiben im Erdgeschoss folgen, und wenn die Kinder eine besonders große Freude mit dem Raum haben, dann hört man das auch im Foyer, dann lebt und bebt nicht nur der Space03. „I love the building because it was cool!“, „Ich bin begeistert!“, tönt es immer wieder 51
Die Rache der Panzerechse Cook und Fournier haben in Graz statt eines Museums ein Tier gebaut – schön und unbrauchbar (SonntagsZeitung, 05.10.2003) 96 ähnlich von den Karten, die einen Fundus an Aufregungen, Freuden, Enttäuschungen und Wünschen zum Kunsthaus Graz kundtun. Werden darauf die laufenden Ausstellungen kommentiert, dann wird meist auch über die Architektur des Hauses gesprochen. „Das Kunsthaus an sich ist beeindruckend! Über die Qualität der aktuellen Ausstellung lässt sich streiten“, liest man schon 2007 im Gästebuch des Hauses. Die Architektur mischt sich immer ein, sie bestimmt das Display mit, sie prägt die Wahrnehmung und auch das Verhalten darin. Die biomorphe Blase hat nichts von der Strenge eines orthogonalen, euklidischen, weißen Raumes; es ist eher ein dunkles, schwarzes Loch, ein Dom, eine Höhle, deren Grenzen verschwimmen, sie scheint auf den ersten Blick ein wenig unberechenbar, sie verunsichert. Den Raum auszuloten braucht Zeit, besonders im Space01, der Künstlerinnen und Künstlern zuweilen auch zum Experimentieren überlassen wurde. Künstlerische Werke entstanden, die ohne den Raum nicht denkbar waren: die Wall von Sol LeWitt (2004), die sich gegen die Skin spannende Skulptur von Michael Kienzer (2012), die vielkommentierte, raumgreifende Arbeit aus Schaumstoff von Katharina Grosse (2014) oder der Weltraumschwitzer von Erwin Wurm (2017) seien hier nur beispielhaft genannt. Der Raum ist für alle, die ihn zum ersten Mal bespielen, eine Herausforderung, er will vielleicht mehr als andere Ausstellungsräume berücksichtigt werden, er fordert Respekt 52
und droht mit seiner Stärke. Es ist ein Raum, in dem man bestehen will, weil er dominant ist und auch zum Konkurrenten werden kann. „Der skulpturale Raum (Space01) steht in Konkurrenz zu den Arbeiten von Zobernig“, beobachtet auch eine Besucherin anlässlich der vom Publikum vielfach als schwierig empfundenen Ausstellung von Heimo Zobernig. Sie schreibt uns weiter: „… er lenkt die Aufmerksamkeit von der Ausstellung ab.“ Zudem sei der Raum ungeeignet für Bilder, da er über keine ebenen, ruhigen Flächen bzw. Wände verfügt. Was erwarten sich Besucher/innen von einer Kunsthausstellung? Wie sehr lassen sie sich auf das Unbekannte ein? „The building is fascinating, the view: great; Nice view and quiet atmosphere at the needle – a great way to conclude a visit at the museum“, meinen auch unsere internationalen Gäste, zumal man in der Needle wieder im Tageslicht angelangt, freie Sicht auf die Altstadt jenseits der Mur hat. Der helle, lichtdurchflutete Raum bindet das Kunsthaus in die Fassaden der Straße ein, vernäht es gleichsam auch optisch mit dem Eisernen Haus, das denkmalgeschützt seit der Eröffnung 2003 auch wieder als solches erkennbar ist. „Ich besuche das Kunsthaus, weil es spektakulär ist, die Einbauten sind wie schon so oft kontraproduktiv. Ergebnis: räumlich enttäuschend, die Needle wenigstens ein Lichtblick.“ Und jemand anderes schreibt: „Verrücktes Gebäude. Die Architektur des Gebäudes ist wunderschön und die Aussicht von der obersten Etage ist perfekt
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Gelandet! Das spacigste Kunsthaus Österreichs eröffnet – nur an der Mur! (Die Presse, 19.09.2003)
für Fotos.“ Die Aussicht von oben, die Lichtspiele und das Treiben auf den Straßen unten verleiten zum Bleiben und befördern auch ein durchaus erhebendes Gefühl – „Ich liebe es!“, gesteht uns jemand sogar schriftlich. Das Haus ist ambivalent, weckt Erwartungen, überrascht und enttäuscht. Seit 2003 wird es regelmäßig zum Gegenstand von öffentlichen Diskussionen oder politischen Debatten. Es ist in seiner Erscheinung einzigartig, aber doch unbestritten – vielleicht tatsächlich – „The most beautiful monster all over Graz!“
Haustier mit Warzen Alien, Wal, Kunst-Igel, Seegurke, Säuferleber? Egal, Graz hat endlich ein Kunsthaus (Salzburger Nachrichten, 25.09.2003) 98
1 Sämtliche Zitate im Text sind Feedbacks von Besucherinnen und Besuchern, die seit 2013 über Karten erfasst und bearbeitet werden. Sie haben die Gästebücher der Jahre zuvor abgelöst, in denen sehr ähnlich wiederkehrende Kommentare zur Architektur über alle Jahre beobachtbar sind. Sehr ausgefallene oder typische Zitate wurden deshalb für den Text ausgewählt. 2 „Wettbewerb Kunsthaus Graz, Protokoll des Preisgerichtes, Projekt Nr. 33 (Siegerprojekt) – Cook/Fournier“, in: Kunsthaus Graz. Dokumentation des Wettbewerbs, hg. v. Haus der Architektur, Graz 2003, S. 164. 53
Mischa Kuball, public preposition / UTOPIA, 2017 54
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Arthur Zalewski, aus: Favoriten, 2017 56
Sir Peter Cook
Colin Fournier
Geboren 1936, studierte am Bournemouth College of Art und der Architectural Association in London. Professor Sir Peter Cook RA, Gründer von Archigram, ehemaliger Direktor des Institute for Contemporary Art in London (ICA) und der Bartlett School of Architecture am University College London (UCL), ist seit mehr als einem halben Jahrhundert eine Schlüsselfigur in der Welt der globalen Architektur. Cooks Errungenschaften mit der radikal experimentellen Gruppe Archigram sind Gegenstand zahlreicher Publikationen und öffentlicher Ausstellungen. 2007 wurde Peter Cook von der Queen für seine Verdienste in der Architektur zum Ritter geschlagen. Außerdem ist er Professor der Royal Academy und Commandeur de l’Ordre des Arts et Lettres der französischen Republik. Zurzeit ist er Senior Fellow des Royal College of Art in London. Zu seinen Professuren zählen weiters jene an der Royal Academy, am University College London und an der Staatlichen Hochschule fur Bildende Künste (Städelschule) in Frankfurt am Main. Von Anfang an hat Cook in Architekturkreisen für Aufruhr gesorgt, jedoch wurde seine Arbeit erst mit dem Bau des Kunsthauses Graz einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, ein Prozess, der sich mit der Fertigstellung des Departmentund Administrationsgebäudes am Campus der Wirtschaftsuniversität Wien und jenem der Bond University der Abedian School of Architecture in Australien weiter fortsetzte. Darüber hinaus hat Peter Cook in Osaka, Nagoya, Berlin, Frankfurt und Madrid gebaut.
Geboren 1944, studierte an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts in Paris und der Architectural Association School of Architecture in London. Colin Fournier ist Professor emeritus für Architektur und Stadtplanung an der Bartlett School of Architecture am University College London (UCL), wo er über 18 Jahre lang sowohl Leiter des Architektur-Master-Studiengangs in Urban Design als auch Leiter eines der Diplomlehrgänge war. Erst kürzlich beendete er eine vierjährige Gastprofessur an der Chinesischen Universität von Hong Kong (CUHK). Er war außerordentliches Mitglied der radikal experimentellen Gruppe Archigram und Planungsdirektor der Ralph Parsons Company (jetzt: Parsons Corporation) in Pasadena, Kalifornien, und realisierte mehrere Stadtdesign-Projekte im Mittleren Osten, vor allem in der neuen Stadt Yanbu in Saudi Arabien. Fournier war Bernard Tschumis Partner für das Design des Parc de la Villette in Paris und, mit Sir Peter Cook, Co-Autor des Kunsthauses Graz. Sein „Open Cinema“-Projekt, das er gemeinsam mit der Künstlerin Marysia Lewandowska entwickelte, wurde in Guimarães in Portugal – eine der beiden Kulturhauptstädte Europas 2012 – realisiert. Eine zweite Ausgabe wurde in Lissabon produziert, als Teil der Lissabon Architektur Triennale 2013, und eine dritte 2016 in Hong Kong, im K11 Art Space. Fournier ist Präsident von TETRA, einem Architektur- und Stadtplanungsbüro mit Sitz in Hong Kong.
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Index der künstlerischen Projekte Mischa Kuball public preposition / UTOPIA, 2017 BIX-Projekt, Kunsthaus Graz Courtesy des Künstlers Anna Meyer Skeletonhouse, 2017 Öl auf Leinwand, 140 × 180 cm
S. 54
S. 2
Haus Tier, 2017 Öl auf Leinwand, 150 × 160 cm Elephanthouse, 2017 Öl auf Leinwand, 140 × 180 cm Gerlitzermalgründe, 2017 Öl auf Leinwand, 140 × 180 cm Skeleton, 2017 Öl auf div. Materialien, 60 × 60 × 20 cm Welcome (ich schaff euch alle), 2017 Öl auf div. Materialien, 50 × 55 × 20 cm Gerlitzermalgründe, 2017 Öl auf div. Materialien, 50 × 50 × 20 cm Pillengarten Eden, 2017 Öl auf Leinwand, 150 × 160 cm Glashäuser, 2017 Öl auf Leinwand, 150 × 200 cm Alle: Courtesy der Künstlerin und Krobath Wien Isa Rosenberger The Sky is Glass, 2017 Full-HD-Video, 25 min Courtesy der Künstlerin
S. 48
Arthur Zalewski S. 56 Favoriten, 2017 bestehend aus Siebdrucken (100 × 70 cm) und Doppelprojektion Courtesy des Künstlers und ASPN, Leipzig
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Rahmenprogramm Auf ins Ungewisse Kuratorinnenführungen mit Barbara Steiner: So, 29.10.2017 So, 26.11.2017 So, 25.03.2018 jeweils um 11 Uhr Führungen durch die Ausstellung Fr, 02.03.2018, 15:30 Uhr So, 04.03.2018, 11 Uhr Fr, 23.03.2018, 15:30 Uhr Architektur … weiter zeichnen! UNIQA-Familientag im Kunsthaus Graz 2017 mit Gerald Hartwig und Clemens Luser So, 22.10.2017, 10–17 Uhr Konzept, Durchführung, Realität. Ein Gespräch über die Genese des Kunsthauses Mit Niels Jonkhans, Herfried Peyker und Katia Huemer Mi, 15.11.2017, 17 Uhr, Space01 Weiter durch’s Ungewisse Ein Blick durch die Hololens in die Zukunft des Kunsthauses Mit Niels Jonkhans, Gernot Stangl, Barbara Steiner, Tristan Schulze, Wolfgang Walcher, Urs Hirschberg, Constantinus Miltiardes und Studierenden des Instituts für Architektur und Medien Sa, 24.03.2018, 17 Uhr, Space01 Aktuelle Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie auf unserer Webseite www.kunsthausgraz.at
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Impressum Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung Auf ins Ungewisse Peter Cook, Colin Fournier und das Kunsthaus
Kunsthaus Graz Leitung Barbara Steiner
Universalmuseum Joanneum Geschäftsführung Wolfgang Muchitsch
In Zusammenarbeit mit dem Festival steirischer herbst sowie Künstlerhaus – Halle für Kunst & Medien, Graz, Neue Galerie Graz, HDA und TU Graz. Ausstellung Kunsthaus Graz Universalmuseum Joanneum 23. September 2017 – 25. März 2018
Das Kunsthaus Graz ist ein gemeinsames Engagement des Landes Steiermark und der Stadt Graz im Rahmen des Universalmuseums Joanneum. Mit freundlicher Unterstützung von Stadt Graz Land Steiermark
Kunsthaus Graz Universalmuseum Joanneum Lendkai 1 8020 Graz, Österreich T: +43-(0)316/8017-9200 kunsthausgraz@museum-joanneum.at www.kunsthausgraz.at
Kuratorin Barbara Steiner Co-Kuratorin Katia Huemer Registratur Elisabeth Ganser, Magdalena Reininger Ausstellungsgestaltung Niels Jonkhans; Anna Lena von Helldorff (buero total) Ausstellungsaufbau Robert Bodlos, David Bosin, Ivan Drlje, Simon Duh, Fabian Egger, Helmut Fuchs, Ivan Gorickic, Bernd Klinger, Irmgard Knechtl, Andreas Lindbichler, Stefan Reichmann, Klaus Riegler, Michael Saupper, Stefan Savič, Peter Semlitsch Konservierung, Restaurierung Paul-Bernhard Eipper, Julia Hüttmann, Evgeniia Sannikova, Melitta Schmiedel, Fenna Yola Tykwer Kunst- und Architekturvermittlung Monika Holzer-Kernbichler, Marta Binder, Verena Borecky, Anna Döcker, Christof Elpons, Gabriele Gmeiner, Barbara Lainerberger, Romana Schwarzenberger, Barbara Thaler, Antonia Veitschegger, Markus Waitschacher
Publikation Herausgeberin Barbara Steiner Redaktion Katia Huemer Auswahl und Zusammenstellung der Zitate Barbara Steiner Texte S. 4–9: Barbara Steiner S. 42–47: Katia Huemer S. 50–53: Monika Holzer-Kernbichler
Lektorat Jörg Eipper-Kaiser Grafische Gestaltung und Bildbearbeitung Karin Buol-Wischenau, Michael Posch Druck Medienfabrik Graz Papier Invercote G, 260 g/m² Recycling Cyclus, 80 g/m² Schriften Tram Joanneum und 53 weitere Erschienen im Eigenverlag Universalmuseum Joanneum GmbH ISBN 978-3-90209-586-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten © 2017 Kunsthaus Graz, Universalmuseum Joanneum © für die abgebildeten Werke bei den Künstlerinnen und Künstlern oder deren Rechtsnachfolgern © für die gedruckten Texte bei den Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzern oder deren Rechtsnachfolgern © Bildrecht, Wien, 2017: Katharina Grosse (S. 46), Richard Kriesche (S. 44), Mischa Kuball (S. 54, 55), Sol LeWitt (S. 42), Vera Lutter (S. 43), Anna Meyer (S. 2), Werner Reiterer (S. 41), Tatiana Trouvé (S. 45), Erwin Wurm (S. 47) Fotos (wenn nicht im Text angegeben): S. 54, 55: Mischa Kuball S. 42–47, 51, 53: N. Lackner/UMJ S. 43: Vera Lutter S. 5, 6: Philippe Magnon/Frac Centre – Val de Loire, Orléans S. 2: Anna Meyer S. 53: Sabine Petrovits S. 41: Werner Reiterer S. 49, 59: Isa Rosenberger S. 10, 11: Alexandra Trost S. 57: Arthur Zalewski Umschlag: Arthur Zalewski, aus: Favoriten, 2017, ASPN, Leipzig