Urban Landscape Living Lab

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Landschaft vom Gebrauch her denken

URBAN LANDSCAPE LIVING LAB Eine praxisorientierte Publikationsreihe der Professur für Raumentwicklung an der Universität Liechtenstein

Ein Resultat des Forschungsprojektes «Neuland», 2018–2021

Anne Brandl Johannes Herburger Luis Hilti Clarissa Rhomberg



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INHALT

S. 4

S. 22

Neuland

Prozess

Expeditionen zu den Zwischenräumen Liechtensteins

Teilnehmende zu Organisatoren machen

S. 8

Urban Landscape Living Lab Temporäre Taten statt permanenter Worte S. 12

Hintergrund Die Suche nach einem Treffpunkt für Vaduz S. 14

Ort Zwischen Gebrauchs- und Konzeptlandschaft S. 18

Akteure Ein Gleichgewicht in der Vielfalt anstreben

S. 24

Programm Berührungspunkte schaffen S. 28

Stadträumliche Intervention Atmosphären initiieren S. 32

Anwendung Möglichkeiten und Begrenzungen S. 34

Wissenschaftliche Einbettung Das Urban Landscape Living Lab als angewandte Forschungsmethode S. 38

Literaturverzeichnis


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NEULAND

Expeditionen zu den Zwischenräumen Liechtensteins Die planungspolitischen Bestrebungen im deutschsprachigen Raum zielen seit einiger Zeit auf eine Siedlungsentwicklung nach innen ab. Dabei ist eine optimale und intensive Nutzung des bestehenden Siedlungsgebietes durch Anbauten, Aufstockungen, Ersatzneubauten oder Baulückenschliessungen das Ziel. Die sich mit der Umsetzung dieses Paradigmas vollziehende bauliche Verdichtung führt zu einer Verknappung von Freiräumen sowie zu veränderten Qualitätsvorstellungen und Nutzungsansprüchen an die nicht-bebauten Räume. Landschaftsqualitäten stehen zunehmend im Spannungsfeld zwischen Wertschöpfung und Wertschätzung, zwischen Innenreserven, Ausnützungs- und Grünziffer, Effizienz- und Kostenorientierung einerseits und Aspekten wie Atmosphärischem, Wohlbefinden, Lebensqualität, Identifikation und sozialer Interaktion andererseits. Genau hier setzt das Forschungsprojekt «Neuland: Expeditionen zu den Zwischenräumen Liechtensteins» am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein an. Es geht um einen doppelten Perspektivenwechsel. Einerseits fordern wir: Alles ist Landschaft! Auch der bebaute, verdichtete und von Netzwerkbeziehungen zwischen Siedlungskernen geprägte Raum ist Landschaft. Innerhalb dieser urbanen Landschaft gilt es, den banalen und (un)gestalteten Situationen die entsprechende planerische Aufmerksamkeit und ästhetische Fürsorge zukommen zu lassen. Denn im Zuge


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Abbildung 1: Die Marktplatzgarage Vaduz.

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der Umsetzung einer Siedlungsentwicklung nach innen stehen diese alltäglichen Landschaftsqualitäten besonders unter Druck. Deshalb bedeutet der erste Perspektivwechsel, das Leitbild der Siedlungsentwicklung nach innen hin zu einem Leitbild der landschaftsorientierten Siedlungsentwicklung nach innen weiterzuentwickeln. Andererseits gilt es, das Erfahrungswissen der Bewohnerinnen und Nutzer urbaner Landschaften anzuerkennen und in Planungsprozesse zu integrieren. Die Alltagsexperten und -expertinnen, die in einem Quartier, Dorf oder einer Agglomeration wohnen und arbeiten und mit ihrem Gebrauch der gebauten Umwelt einen Schatz an impliziten Wissen besitzen, sind zum Ausgangspunkt der Frage zu machen, welche Landschaftsqualitäten wir im Zuge einer Siedlungsentwicklung nach innen bewahren, neu schaffen oder weiterentwickeln wollen. Der doppelte Perspektivwechsel besteht also darin, die Siedlungsentwicklung nach innen von der Landschaft aus voranzutreiben sowie Landschaft vom Gebrauch her zu denken. Die Ergebnisse des Projektes «Neuland» lassen sich in einen programmatischen Text sowie zwei Texte zu partizipativen Planungsinstrumenten sortieren. Der Text «Alles ist Landschaft» fundiert den doppelten Perspektivwechsel einer landschafts- und gebrauchsorientierten Siedlungsentwicklung nach innen konzeptionell und legt anhand von vier Praxisbeispielen im deutschsprachigen Raum dar, wie dieser Perspektivwechsel bereits auf informeller und formeller Ebene, auf Massstab des Quartiers und der Region gelingt. Das «Urban Landscape Living Lab», das Gegenstand des vorliegenden Booklets ist, beschreibt ein partizipatives Instrument, mit dem der doppelte Perspektivwechsel in der Planungspraxis initiiert werden kann. Das Ziel eines Urban Landscape Living Labs ist es, mittels einer kuratierten, städtebaulichen Intervention neue Perspektiven auf den öffentlichen Raum zu generieren sowie neue Sichtweisen auf unterschätzte und unbekannte Alltagspraktiken und planungspolitische Routinen zu eröffnen. Dadurch wird eine Schnittstelle zwischen institutioneller Raumplanung und alltäglichem Raumgebrauch geschaffen. Die «Gebrauchslandschaftskarte» stellt ebenfalls ein Instrument für eine landschafts- und gebrauchsorientierte Siedlungsentwicklung nach innen dar. Mit Hilfe von sieben Gebrauchsweisen wird aufgezeigt, welche narrativen Qualitäten der urbanen Landschaft inhärent sind. Mit der Gebrauchsland-


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schaftskarte bekommen Planer und Politikerinnen ein Instrument für einen konstruktiven Dialog mit der Bevölkerung an die Hand. Indem der Gebrauch von Landschaft sicht- und damit diskutierbar gemacht wird, kann das vielfältige Erfahrungswissen der Alltagsexpertinnen und-experten für die Raumentwicklung genutzt werden. Das Forschungsprojekt «Neuland: Expeditionen zu den Zwischenräumen Liechtensteins» ist vom Liechtensteinischen Forschungsförderungsfonds, durch das Amt für Bau und Infrastruktur und das Amt für Umwelt ermöglicht worden. Für die vielen anregenden und konstruktiven Diskussionen möchten wir uns vor allem bei Stephan Banzer, Hanspeter Eberle und Romano Kunz bedanken. Das Teilprojekt «Basecamp: Vadozner Huus» wurde durch die Gemeinde Vaduz unterstützt. Hier gilt unser Dank Manfred Bischof, Stephan Schweiger, Flurina Seger sowie Brigitte Noack vom Raumplanungsbüro stadtland. Das Projektteam: Anne Brandl, Johannes Herburger, Luis Hilti, Martin Mackowitz, Clarissa Rhomberg und Wolfgang Schwarzmann


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URBAN LANDSCAPE LIVING LAB Temporäre Taten statt permanenter Worte

Abbildung 2: Das Urban Landscape Living Lab Basecamp: Vadozner Huus in Vaduz.

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Das Urban Landscape Living Lab (ULLL) ist eine mögliche Antwort auf die Forderung nach mehr Partizipation in der Raumplanung. Das Ziel des ULLL ist es, mittels einer kuratierten Intervention im öffentlichen Raum eine Schnittstelle zwischen institutioneller Raumplanung und alltäglichem Raumgebrauch zu schaffen. Das ULLL schafft, erstens, einen Ort mit hoher atmosphärischer und programmatischer Dichte, der in einem ergebnisoffenen Prozess dazu anregt über den eigenen Wohn- und Arbeitsort nachzudenken und sich über mögliche Entwicklungen auszutauschen. Es ist, zweitens, ein Katalysator für zukünftige stadträumliche Entwicklungen, indem es durch eine konkrete städtebauliche Setzung neue Perspektiven auf den öffentlichen Raum generiert und neue Sichtweisen auf unterschätzte und unbekannte Alltagspraktiken sowie planungspolitische Routinen eröffnet. Und es ist, drittens, ein Instrument, um eine Vielfalt von Akteuren auf Augenhöhe in aktuelle oder zukünftige Raumplanungsprozesse einzubeziehen. Das ULLL eignet sich insbesondere dazu, Menschen, die im Alltag wenig mit dem Thema zu tun haben, mit Raumentwicklungsfragen in Berührung zu bringen. Anders als die in der «klassischen» Raumentwicklung oft eingesetzten Workshops, Infoveranstaltungen oder Ausstellungen schafft das ULLL ein sich über mehrere Wochen im öffentlichen Raum entwickelndes Diskussionsund Erlebnisangebot, das Inhalt und Unterhaltung, Spass und Ernst, sowie Konsum und Teilhabe miteinander verbindet. Es geht um die gleichberechtigte (und lustvolle) Teilhabe verschiedenster Akteure aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Planungspolitik an einer temporären stadträumlichen Intervention, die den sozialen und kreativen Reichtum einer Bewohnerschaft hebt, einen gemeinsamen Erfahrungsraum und eine Sehnsucht nach Mehr (an stadträumlichen Qualitäten, an Begegnung etc.) erzeugt.


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Abbildung 3: Poster mit dem Programm des Basecamp: Vadozner Huus

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Abbildung 4: Eröffnung Basecamp: Vadozner Huus, 12.September 2019

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HINTERGRUND

Die Suche nach einem Treffpunkt für Vaduz

Das Basecamp: Vadozner Huus diente als Testlauf für einen von der Bevölkerung gewünschten aber noch nicht näher definierten Treffpunkt. Mit dem kollaborativen Ansatz des Urban Landscape Living Labs sollte aufgezeigt werden, was im Zentrum von Vaduz möglich ist, wie sich Menschen einbringen und an ihrer Umwelt mitwirken können. Vaduz ist der Hauptort des Fürstentums Liechtenstein und einer der zentralen Orte in der polyzentrischen Region Alpenrheintal. Seit den 1960er Jahren hat sich der Ort zum Zentrum der Finanzwirtschaft entwickelt. Die Hauptsitze von Landesverwaltung, Banken und Versicherungen prägen den öffentlichen Raum einer Gemeinde, die bei 5600 Einwohnerinnen und Einwohnern doppelt so viele Arbeitsplätze zählt. Eine Erkenntnis des seit 2017 laufenden Zentrumsentwicklungsprozesses ist, dass ein niederschwelliger und generationenübergreifender Treffpunkt ohne Konsumzwang fehlt und es deshalb eines multifunktionalen Gebäudes – des «Vadozner Huus» – bedarf. Weiterhin wurde die Marktplatzgarage Vaduz als experimenteller Ort (Raum.Lab) und «Zentrum der Zentrumsentwicklung»1 definiert. Die Gemeinde Vaduz wandte sich an die Universität Liechtenstein, um gemeinsam einen neuen und unkonventionellen Planungsansatz für die Integration der beiden Startprojekte «Raum.Lab Parkhaus Marktplatz» und «Va1

Gemeinde Vaduz 2018


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dozner Huus» zu entwickeln. Die Universität stellte für diese Zusammenarbeit Know-How und das «Basecamp» zur Verfügung. Das Basecamp ist ein von Studierenden der Universität Liechtenstein upgecycelter mobiler Schiffscontainer, der im ausgeklappten Zustand als temporäre Plattform für verschiedene Veranstaltungsformate eingesetzt werden kann. Aus der Zusammenarbeit entstand das erste Urban Landscape Living Lab «Basecamp: Vadozner Huus».

Abbildung 5: Pressekonferenz und Ortsbegehung mit Vertreterinnen der Gemeinde Vaduz auf dem obersten Parkdeck der Marktplatzgarage.


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ORT

Zwischen Gebrauchsund Konzeptlandschaft

Abbildung 6: Luftbild von Vaduz während der Konstruktion der Marktplatzgarage, 1974 Quelle: Swissair Photo AG

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Das Urban Landscape Living Lab ist dort am effektivsten, wo sich planerische Konzepte (Konzeptlandschaft2) und gelebter Alltag (Gebrauchslandschaft) am schärfsten kontrastieren. In Vaduz war die Marktplatzgarage der ideale Ort für ein Urban Landscape Living Lab. Das 1974 erbaute Parkhaus liegt zentral zwischen Fussgängerzone, Primarschule und dem Veranstaltungs- und Kongresszentrum Vaduzer Saal. Es zeugt vom damaligen städtebaulichen Verständnis, Fuss- und Autoverkehr räumlich zu trennen. Man stellte sich lebendige Cafés und geschäftiges Treiben auf dem obersten Deck vor, während die Autos in einem Parkhaus in mehreren Ebenen darunter parken sollten. Die Bewohner, Pendlerinnen und Touristen würden sich im rundum erneuerten Vaduz über Brücken und Galerien durch das ans Autozeitalter angepasste Dorf ‹mit weltstädtischem Flair› bewegen. Dieses raumplanerische Konzept für den Ort, die Konzeptlandschaft Marktplatzgarage, steht im Kontrast zur Gebrauchslandschaft Marktplatzgarage, der Art, wie der Ort gegenwärtig effektiv genutzt wird: Es werden heute in erster Linie Autos darauf abgestellt und aufgrund der zentralen Lage verirren sich immer mal wieder Touristen aufs Parkdeck. Einige wenige Male im Jahr finden Konzerte oder andere Feierlichkeiten statt. Geschäftiges Treiben gibt es im Alltag keines und die erhofften Cafés beschränken sich auf Stände, welche einmal im Jahr während des Staatsfeiertages aufgestellt werden. Heute steht das aus der Zeit gefallene Parkhaus aus alterndem Sichtbeton quer in der urbanen Landschaft von Vaduz, die von Banken, Luxus- und Souvenirgeschäften dominiert wird. Eine der zwei Brücken, die damals gebaut wurden, ist heute wieder rückgebaut, der Rückbau der zweiten ist in Planung. Aus heutiger raumplanerischer Sicht ist die Marktplatzgarage ein Ort, der offen für verschiedene Möglichkeiten des Gebrauchs und der Nutzung ist, aber wenig ästhetische Aufmerksamkeit besitzt. Wer von der Fussgängerzone zum Vaduzer Saal kommen will, muss sich zwischen parkenden Autos hindurchschlängeln. Auf diesem Zeitzeugen der autogerechten Stadt, deren Vision nie vollständig umgesetzt wurde, fand im September 2019 das erste Urban Landscape Living Lab im Alpenrheintal statt.

Die Konzeptlandschaft beinhaltet die planerische und entwurfsorientierte Perspektive, also eine Sichtweise, die Landschaft in benennbare Objekte auflöst und aus der Perspektive der Gestaltung betrachtet. Landschaft ist hier v.a. eine Ressource, die bestimmte Leistungen zu erbringen hat, wie Standortattraktivität, Biodiversität oder Gesundheitsförderung. Mit dem Begriff der Gebrauchslandschaft rückt unsere Wahrnehmung und unser alltäglicher Gebrauch von Räumen und Raumelementen unserer Umwelt in den Mittelpunkt. Gebrauchslandschaften sind Landschaften, in denen wir wohnen, uns wohl fühlen, zuhause sind. 2


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Abbildung 7: Basecamp: Vadozner Huus

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Abbildung 8: Olga's Hotdog beim Basecamp: Vadozner Huus

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AKTEURE

Ein Gleichgewicht in der Vielfalt anstreben

Ein Urban Landscape Living Lab ist ein auf Zusammenarbeit basierendes Instrument, das wissenschaftliche und anwendungsorientierte Ansätze der räumlichen Planung integriert. Es basiert auf der Idee, dass öffentliche und private Akteuren komplexe planerische Herausforderungen gemeinsam durch experimentelle Ansätze bewältigen können. Durch die Vielfalt von Akteuren soll ein Zugang zu verschiedenen Bevölkerungsgruppen gefunden werden, der die Reichweite eines stadträumlichen Projektes massgeblich erhöht. Das als Urban Landscape Living Lab (im Weiteren: ULLL) konzipierte Basecamp: Vadozner Huus (im Weiteren BC: VH) war eine Kooperation zwischen dem Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein, der Gemeinde Vaduz und dem privaten Planungsbüro stadtland. Diese Projektgruppe involvierte über aktive Netzwerkarbeit jeweils weitere Akteure in die Organisation und Umsetzung spezifischer Formate. Dazu zählten etwa das Kunstmuseum Liechtenstein, die Landesbibliothek oder das Jugendcafé. Ausserdem wurden alle in Vaduz lebenden Menschen dazu eingeladen, das Basecamp in den drei Wochen für ihre Ideen und Bedürfnisse als Bühne und Erfahrungsraum zu nutzen – eine Kooperationsmöglichkeit, die für viele ungewöhnlich und herausfordernd war.


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Gemeinde Zentrumsentwicklung Vadozner Huus

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Abbildung 10: Das Basecamp: Vadozner Huus wird zum Sängerplatz im Rahmen des 49. Bundessängerfest, 14.September 2019

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Abbildung 11: erste öffentliche Gemeinderatssitzung im Basecamp: Vadozner Huus, 17.September 2019


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PROZESS

Teilnehmende zu Organisatoren machen

Gemeinde Uni

Organisation/ Programm

Basecamp

Teilnehmer*innen

Bevölkerung

Zielgruppe

Vereine Davor Abbildung 12: Angestrebter Prozess

Während

Danach


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Das Ziel des ULLL ist es, die Bevölkerung zu befähigen, von Verbrauchern zu Teilnehmerinnen und im besten Fall zu Mitorganisatoren zu werden. Die Projektgruppe des BC: VH strukturierte daher das Hauptprogramm, liess aber Lücken darin, um Ideen und Initiativen der lokalen Bevölkerung zu integrieren. Damit sich das ULLL zu einer funktionierenden Plattform der Zivilgesellschaft entwickelt, braucht es aber einiges an Aktivierungsenergie in Form von Kontaktaufnahmen und Programmangeboten. Im Idealfall verlagern sich entweder bestehende Initiativen aus dem Umfeld ins ULLL, oder Programmpunkte, die im ULLL entstanden sind, bestehen über dessen Ende hinweg an anderen Orten fort. Das ULLL war im Kontext des Alpenrheintals und insbesondere in Vaduz ein neuartiger Ansatz und wurde von der lokalen Bevölkerung zunächst mit Skepsis betrachtet. Nachdem im Rahmen einer ersten Kontaktaufnahme per EMail von 50 Vereinen nur eine einzige Rückmeldung eintraf, waren letztlich persönliche Kontakte und Netzwerke von Mitgliedern des Projektteams erforderlich, um Einzelpersonen, Verbände und Institutionen zur Teilnahme zu mobilisieren. Dank dieser Netzwerkarbeit konnten 14 zivilgesellschaftliche Akteure dazu motiviert werden, im BC: VH einen Beitrag zu leisten. Es zeigt sich, dass die Motivation zur Teilnahme an einem ULLL primär von persönlichen, immateriellen Zielen und Wünschen abhängig ist. Das Engagement der Bevölkerung kann also nicht ohne weiteres angenommen werden, obwohl es um die Verbesserung ihres Alltags geht.3 Gegen Ende der Veranstaltungen und nach Abschluss des Projekts gesammelte Rückmeldungen deuten darauf hin, dass bei einer Wiederholung eine frühere und treffsichere Kommunikation erforderlich ist. Es dauerte einige Zeit, bis die Bevölkerung das BC: VH-Konzept verstanden hatte, was schliesslich zu einer Verringerung des Misstrauens und zu einem besseren Verständnis des Konzepts führte. Dies macht deutlich, dass der nachhaltige Erfolg eines ULLL wie dem BC: VH ein langfristiges Engagement des Projektteams erfordert.4 Aufgrund der Abhängigkeit solcher Projekte von Finanzierung und politischer Unterstützung ist dieser langfristige Rahmen aber selten sicher.5

Buhr, Federley und Karlsson 2016 Juujärvi und Pesso 2013 5 Franz 2015; Voytenko et al. 2016 3 4


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PROGRAMM

Berührungspunkte schaffen

Monothematische Veranstaltungen ziehen jeweils ein homogenes Publikum an. Ein vielfältiges Programm ermöglicht, verschiedenste Bevölkerungsteile zusammen zu bringen und Berührungspunkte zu schaffen, sowohl inhaltlicher wie menschlicher Art. Das BC: VH fand während 17 Tagen mit insgesamt 42 Programmpunkten statt. Das breite Veranstaltungsspektrum reichte von reiner Unterhaltung wie Musikauftritten, Frontalvorträgen und Gesprächen bis hin zu Diskussionen, welche die raumplanerische Situation in Vaduz und Liechtenstein in Frage stellten. Die Programmpunkte können zwischen vertikalen und horizontalen Anlässen differenziert werden. Vertikale Anlässe zeichnen sich durch eine einseitige Kommunikation von ein oder zwei Personen mit einem weitgehend passiven Publikum aus, beispielsweise Konzerte, Vorträge oder Lesungen. Horizontale Veranstaltungen werden moderiert, aber die Besucher sind zur Teilnahme und Diskussion eingeladen. Beispiele hierfür waren das Treffen der Standortmarketingagentur von Vaduz und die Jam-Session der örtlichen Jugendcafé Camäleon. Der Schwerpunkt der horizontalen Veranstaltungen lag auf Interaktion und dem Austausch von Ideen. Die Diversität im Programm führte auch zu stark variierenden Besucherzahlen. Es gab einen Vortrag ganz ohne Publikum, während die (kostenlosen)


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Konzerte etwa 50 bis 200 Personen anzogen. Veranstaltungen mit dem Schwerpunkt Raumentwicklung wurden jeweils von 30 bis 50 Personen besucht, abhängig vom Wochentag und davon, wie viel das Thema in der Gemeinde im Allgemeinen diskutiert wurde. Die Kombination von Inhalt und Unterhaltung schuf eine freundliche und anregende Atmosphäre. Gleichzeitig war es jedoch möglich, sehr komplexe Planungsfragen von Vaduz und Liechtenstein zu diskutieren. Menschen, die das BC: VH öfter besuchten, nach eigenen Aussagen normalerweise aber nicht an solchen räumlichen Entwicklungsprozessen beteiligt sind, nahmen durch ihre Identifikation mit dem BC: VH an der Diskussion über die Zukunft von Vaduz und Liechtenstein teil. Menschen, die das BC: VH in ihren alltäglichen Gebrauch integrierten, haben sich dadurch auch in die Erarbeitung der planungspolitischen Perspektive, der Konzeptlandschaft eingebracht.

Inhalt

Unterhaltung vertikal

Vortrag Spaziergang

Lesung Konzerte Buchpräsentation Tanzveranstaltung Theater

partizipativ Mapping Podiumsdiskussion öffentl. Gemeinderatssitzung Stammtisch

Jam-Session Power-Point-Karaoke horizontal

Richtfest Abschlussfest

Abbildung 13: Strukturierung des Programms

Generationen-Café veganer Mittagstisch Mitbring Lunch Diskussion


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Abbildung 14: Abschlussfest mit Weitblick - "Was isch s' Vadozner Huus?", 28. September 2019

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Marktplatzgarage

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Abbildung 15: 10: Lageplan Abschlussfest des Basecamp: mit Weitblick Vadozner - "Was isch Huuss' Vadozner Huus?", 28. September 2019


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STADTRÄUMLICHE INTERVENTION Atmosphären initiieren

Diskussionen über Raumentwicklung mittels eines ULLL werden nicht allein durch Formate oder Inhalte initiiert, sondern ebenso durch passende Atmosphären. Atmosphären sind Situationen, in denen uns eine Gesamtheit aus Subjektivem und Objektivem affektiv ergreift.6 Es ist eine Gemengelage aus dem Charakter des vorgefundenen Ortes – also seinen geschichtlichen, landschaftlichen, architektonischen und soziokulturellen Eigenarten –, der temporären stadträumlichen Intervention – in diesem Fall dem Basecamp – , dem Mobiliar des öffentlichen Raumes (Bänke, Laternen, Mülleimer), tages- und jahreszeitlichen Bedingungen sowie den anwesenden Menschen. Das Initiieren von Atmosphären ist massgebend für den Erfolg eines ULLL. Wenn sich Menschen vom Ort eingeladen und an diesem wohl fühlen, nach den Veranstaltungen noch bleiben oder auch vorbeischauen, ohne sich für ein spezifisches Programm zu interessieren, dann liegt dies auch an der Atmosphäre. Das ULLL unterscheidet sich in dieser Hinsicht grundlegend von klassischen Bürgerbeteiligungen in Sitzungszimmern und mit Post-It Wänden. Nur mit einer entsprechenden Atmosphäre kommen Gespräche an der Peripherie des offiziellen Programms zustande, wird Gehörtes reflektiert und neue Ideen entstehen.

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Böhme 1995, Michels 2015


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Das Basecamp: Vadozner Huus fand auf einer Parkgarage statt, welche – als urbane Brache gelesen – einen wunderbaren Untergrund und Kontrast zu allem bot, was vom Projektteam hinzugefügt wurde. Der Ort wird nur an wenigen Tagen im Jahr von etwas Anderem als Autos bespielt. Während des Staatsfeiertages bspw. ist er aufgrund seiner zentralen Lage mit Bars und Bühnen so dicht besetzt, dass das Bauwerk fast gänzlich verschwindet. Das ULLL versuchte die Marktplatzgarage nicht zu verstecken, sondern zu inszenieren. Dies geschah mit zwei formalen Gesten: dem Platzieren des umgebauten Schiffscontainers an der nordöstlichen Ecke der Parkgarage und dem Markieren des Terrains mit einer kreisrunden Lichterkette. Die dezentrale Platzierung erzeugte eine räumliche Spannung zu der Fussgängerbrücke ins Städtle und dem offenen Dachgeschoss der Parkgarage. Die bisher homogene, indifferente Fläche des Parkdecks bekam eine neue Dramaturgie und Hierarchie an Gerichtetheiten sowie unterschiedlich grossen Freiräumen. Die Beleuchtung liess das Basecamp plastisch erscheinen und machte es innerhalb der urbanen Landschaft von Vaduz prägnant identifizierbar. Durch ihre kreisförmige Anlage schuf die Lichterkette das Gefühl eines Innen und Aussen innerhalb des öffentlichen Freiraumes. Innerhalb der Lichterkette und des Basecamps stand verschiebbares Mobiliar wie beispielsweise Festbänke, Pflanzentröge oder ein Tisch-Tennis-Tisch. Ein mobiles Café sowie ein Hotdog-Stand gastierten immer wieder auf dem Platz. Die Fridayfor-Future Bewegung stellte eine Kiste auf, in der man Becher spenden konnte anstatt das Pfand zurückzufordern. An einigen Tagen wurde in einer Metallschale ein Feuer gezündet, an andern brachten DJs ihre eigenen Lichtinstallationen mit. Keines dieser Elemente, weder die Parkgarage noch der Container, das Licht oder die Feuerschale sind existentielle Zutaten eines Rezeptes zur Initiierung von Atmosphären. Atmosphären können an jedem Ort mit allen möglichen Elementen geschaffen werden, wichtig ist nur, dass sie geschaffen werden.


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Abbildung 16: Powerpoint-Karaoke mit Mathias Ospelt, 18. September 2019

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Abbildung 17: Musik von und mit MoreEats, 17. September 2019

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ANWENDUNG

Möglichkeiten und Begrenzungen

Das ULLL entfaltet seine Wirkung einerseits lokal und raumspezifisch, andererseits in der Gesellschaft im Allgemeinen. Es ist ein Mittel um Raumentwicklungsprozesse durch den Einbezug der Bevölkerung auf kommunaler Ebene weiterzubringen, aber nicht um passgenaue Lösungen für Planungsprobleme zu finden. Da beim ULLL ein konkreter Ort aktiviert wird, ist auch dessen Wirkung auf der Massstabsebene von Quartieren oder Gemeinden am sichtbarsten. Es steht als Installation im Raum und ist folglich erst einmal in der Wahrnehmung derer präsent, die daran vorbeilaufen oder -fahren oder im Umfeld wohnen und arbeiten. Im Falle des BC: VH war das Basecamp zentral platziert und von der Fussgängerzone aus gut wahrnehmbar. Die grossmassstäbliche Beleuchtung war weithin sichtbar, insbesondere auch von Autofahrerinnen auf der Hauptstrasse im Kern des Dorfes. Auch thematisch war das BC: VH im Ort zentriert: es ging um die Parkgarage selbst und das Zentrum von Vaduz. Liechtenstein und die Region im Allgemeinen spielten eher am Rande eine Rolle. Medial wurden die Anlässe beim BC: VH aber auch landesweit rezipiert und aus der gesamten Region besucht. Es kam also durchaus auch zu einer Wechselwirkung mit der allgemeinen Öffentlichkeit in einem grösseren nationalen und überregionalen Massstab.


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ULLLs wie das Basecamp: Vadozner Huus sind als aktivierender Rahmen konzipiert, der es Entscheidungsträgern erlaubt in einen konstruktiven Austausch mit der Bevölkerung zu treten, Formate auszuprobieren und Diskussionen zu initiieren. Es ersetzt keinen Verhandlungstisch, bei dem am Schluss Lösungen an der Wand stehen müssen, sondern soll dazu inspirieren, festgefahrene Situationen aufzulockern und Menschen eine Stimme in der Entwicklung der räumlichen Identität ihres Wohn- und Arbeitsortes zu geben. Insofern ist es zur Anwendung auf konkrete Fragestellungen am effektivsten für Raumentwicklungsprozesse in kleinerem Massstab, auf der Ebene von Quartieren oder Gemeinden.

Möglichkeiten

Begrenzungen

Niederschwellig: Einbezug der Bevölkerung auf Augenhöhe

Hoher Vorbereitungs- und Organisationsaufwand; Kosten

Hohe Sichtbarkeit durch kulturelle Events

Hohes kommunikatives Know-How und Ressourcen notwendig

Breitenwirkung durch Verknüpfung von städtebaulicher Intervention, Programm (Planung & Kultur), Information und Teilhabe

Herausforderung, der Verstetigung von durch das ULLL initiierten Prozessen

Perspektivwechsel bei Raumentwicklungsprozessen

«Reibungsverluste» durch unterschiedliche Perspektiven und Kenntnisse auf Raumentwicklung

Tabelle 1: Möglichkeiten und Begrenzungen des ULLL


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WISSENSCHAFTLICHE EINBETTUNG Das Urban Landscape Living Lab als angewandte Forschungsmethode Das Urban Landscape Living Lab ist eine begriffliche Weiterentwicklung der Urban Living Labs (ULL). ULLs werden manchmal auch synonym mit anderen Begriffen wie «Stadtlabor», «Reallabor» oder «Testgelände» verwendet (Steen & van Bueren, 2017). In den letzten Jahren haben ULLs neben ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeitsherausforderungen und deren technischen Lösungen zunehmend Fragen der sozialen Nachhaltigkeit verfolgt (Buhr et al., 2016). Daher ergänzen ULLs einen Paradigmenwechsel in der Raum- und Stadtplanung hin zu einem experimentelleren und kommunikativeren Planungs- und Governance-Ansatz. Sie sind weiterhin durch eine inkrementelle Vorgehensweise geprägt, mittels derer versucht wird die Raumentwicklung in kleinen Schritten zu Verbesserungen zu führen. (Bulkeley et al. 2016). Wir verstehen ULLs als angewandte Forschungsmethode zur Bearbeitung landschaftsbezogener und sozialräumlicher Fragen, die seit der kommunikativen Wende in der Planungswissenschaft und-praxis erheblich an Bedeutung gewonnen haben (Franz, 2015). Sie dienen als Plattform, um Menschen in Fragen der räumlichen Entwicklung stärker einzubeziehen. Aufgrund dieser Änderung werden ULLs zunehmend für partizipative Prozesse in Städten verwendet, um verschiedene stadtpolitische Herausforderungen zu bewältigen. In diesem Sinne sind ULLs wie folgt definiert: «An urban living lab is a local


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place for innovative solutions that aims to solve urban challenges and contribute to long-term sustainability by actively and openly co-constructing solutions with citizens and other stakeholders» (Chronéer et al., 2019, S. 60). Wie wir auch in unserem Fallbeispiel von Vaduz erläutert haben, ist ein Urban Living Lab ein Zusammenspiel von mehreren unterschiedlichen Akteuren. Eine zentrale Rolle kommt dabei den Initiatoren des Urban Living Labs zu. Für die Implementierung von ULLs schlagen Leminen et. al. (2016) eine Klassifizierung von vier Akteuren vor, die auf unterschiedlichen Ausgangspunkten und Motivationen basiert: (1) enablergesteuert, (2) benutzergesteuert, (3) nutzungsgesteuert und (4) anbietergesteuert. Eine solche Differenzierung ist wichtig zu berücksichtigen, da zwischen Akteuren aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und Sektoren oftmals Kommunikationshemmnisse bestehen oder diese sich erst gar nicht kennen (Puerari et al., 2018). Das Kennen und Verstehen der unterschiedlichen Rollen innerhalb eines Urban Living Labs ist laut Leminen (2013) aber essentiell für dessen Erfolg. Für das Verständnis des BC:VH sind insbesondere enabler- und providergesteuerte ULLs relevant. «Enabler» sind dabei öffentliche Akteure wie Gemeinden oder regionale Entwicklungsorganisationen sowie NGOs. Diese Akteure verfolgen das Ziel, soziale Verbesserungen in ihrem Handlungsfeld zu erreichen. Universitäten und andere Bildungseinrichtungen sowie private Akteure können Teil eines Enabler-gesteuerten ULL-Netzwerks sein. Allerdings hat der Enabler (in unserem Beispiel die Gemeinde Vaduz) das grösste Interesse an der Förderung der ULL (Gemeinde Vaduz zur Weiterentwicklung des Zentrums). Ein enablergesteuertes ULL wird normalerweise von lokalen Themen und Herausforderungen dominiert, die von der Gemeinde im Rahmen eines Entwicklungsprozesses gesammelt und ausgewählt wurden (Leminen 2013). Anbietergesteuerte ULLs werden hauptsächlich von Entwicklerorganisationen initiiert (Leminen, 2013); dies können ebenfalls Universitäten sein. Für Anbieter ist es jedoch oft schwierig, Enabler zu finden, die sie bei der Implementierung der ULL unterstützen. Das Hauptziel des Anbieters ist es, Fortschritte in Forschung und Theorie zu fördern und spezifische Lösungen zu identifizieren. Hier nutzen Universitäten ULLs, um neue Forschungs- und Lehrmethoden zu entwickeln und nützliches Wissen für ein breiteres Netzwerk zu generieren. Leminen et al. (2016) argumentieren, dass anbietergesteuerte ULLs das Potenzial haben, Innovationen zu schaffen, da sie die Aktivitäten eines ULL für zukünftige Strategien auf der Grundlage der definierten Ziele (die über die Alltagserfahrung der Benutzer hinausgehen) skalieren kön-


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nen. Universitäten können also sowohl Teil eines enablergeführten ULLs sein, als auch selbst als Anbieter ein ULL führen. Da ULLs im Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren umgesetzt werden, ist das Konzept der Co-Creation eines des Grundprinzipien ein ULLs. Dabei geht es um das kollektive Handeln verschiedener Akteure, um gemeinsam mit der Bevölkerung räumliche Entwicklungsprobleme zu lösen. Puerari et al. (2018) unterscheiden drei verschiedene Gruppen, die formal oder informell an Co-Creation-Prozessen beteiligt sind: (1) die Kerngruppe, bei der es sich hauptsächlich um die Initiatoren einer ULL handelt, sowie Akteure, die eine vertragliche Vereinbarung mit den Initiatoren haben. (2) Der innere Kreis besteht aus Personen, die persönlich mit jemandem aus der Kerngruppe verbunden sind und in einer semi-formalisierten Form an einem ULL teilnehmen. (3) Der äussere Kreis ist die breitere Öffentlichkeit, die entweder ganz oder zumindest nicht direkt am ULL-Prozess beteiligt ist. Obwohl sie die relevanteste Gruppe für den Erfolg eines ULL ist, ist sie meist schwer zu erreichen (Buhr, Federley und Karlsson 2016). Gerade aufgrund der schwierigen Erreichbarkeit der breiten Öffentlichkeit sind Bulkeley et. al. ihrem Erfolg gegenüber kritisch: «Viewing ULL as part of the shifting governance landscape, a means through which interventions are increasingly pursued in order to realize urban objectives, does not mean that they are all equally successful in realising their aims» (Bulkeley et al., 2016, S. 15). Nichtsdestotrotz sind Urban Living Labs mittlerweile weltweit zu verschiedensten Fragestellungen im Einsatz. Nach wie vor überwiegen technische Kontexte im Bereich Smart City, aber auch im Bereich der Klimawandelanpassung, der Kreativwirtschaft oder im Bildungsbereich werden Urban Living Labs als Methode und als Experimentierraum genutzt. Die breiten Einsatzmöglichkeiten von Urban Living Labs sind auf der Homepage des «European Netzworks of Living Labs» zusammengefasst: enoll.org. Der Begriff «urban» impliziert bereits den innerstädtischen Anwendungskontext der meisten Urban Living Labs. Bisher sind nur wenige Urban Living Labs ausserhalb der dicht bebauten europäischen Innenstädte umgesetzt worden, obwohl es natürlich auch in suburbanen oder ländlichen Kontexten als Methode denkbar wäre. Ein Grund dafür dürfte sicherlich das Fehlen einer sogenannten kritischen Masse an Nutzerinnen sein. Dennoch wurden in Finnland und Schweden mit dem SubUrbLab schon erfolgreiche Urban Living Labs in Stadtumlandgemeinden und ihren jeweils spezifischen Problemstellungen umgesetzt. Diese suburban Living Labs wurden auch von der Europäischen Union im https://www.buildup.eu/en/practices/publications/suburbanlab-project-establishment-andimplementation-urban-living-labs-alby, abgerufen am 15.03.2021.; siehe dazu ausführlich Buhr et al. 2016. 7


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Rahmen des Urban Europe Programms gefördert.7 Die von uns vorgeschlagene begrifflichen Weiterentwicklung des Urban Living Lab zum Urban Landscape Living Lab trägt dem Umstand Rechnung, dass das Basecamp: Vadozner Huus in der ‹urbanen Landschaft› des Alpenrheintals konzipiert und durchgeführt wurde.

Abbildung 18: Luftaufnahme des Basecamp: Vadozner Huus


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LIteraturverzeichnis

LITERATUR­ VERZEICHNIS Böhme, Gernot (1995): Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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This work is licensed under the Creative Commons Namensnennung 4.0 International License. To view a copy of this license, visit http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/. Brandl, Anne; Herburger, Johannes; Hilti, Luis; Rhomberg, Clarissa (2021): Urban Landscape Living Lab. Eine praxisorientierte Publikationsreihe der Professur für Raumentwicklung an der Universität Liechtenstein. Vaduz (Landschaft vom Gebrauch her denken, 3). Wir verzichten in unseren Texten auf Binnen-I und Gendersternchen, fühlen uns aber trotzdem einer gendergerechten Sprache verpflichtet. Daher wechseln wir im Text immer zwischen der weiblichen und männlichen Form von personenbezogenen Nomen. Impressum Herausgeberin Universität Liechtenstein Institut für Architektur und Raumentwicklung Fürst-Franz-Josef-Strasse 9490 Vaduz, Liechtenstein Verantwortlich für den Inhalt Anne Brandl, Johannes Herburger, Luis Hilti, Clarissa Rhomberg Mitarbeit Forschungsprojekt Anne Brandl, Johannes Herburger, Luis Hilti, Martin Mackowitz, Clarissa Rhomberg, Wolfgang Schwarzmann Konzeption & Gestaltung Michèle Steffen Grafik Est. Satz Luis Hilti Fotos Hanno Mackowitz, sofern nicht anders angegeben Grafiken Luis Hilti, sofern nicht anders angegeben Druck Wolf Druck Auflage 250 Stk.


Warum?

Es fehlt oft an Schnittstellen von alltäglichem Raumgebrauch und institutioneller Raumplanung. Wie?

Einen temporären Raum für gemeinsame Diskussionen und Erlebnisse schaffen.

UNI.LI

Was?

Revitalisierung einer Parkgarage mit einem umgebauten Schiffscontainer.


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