Landschaft inszenieren - ein Plädoyer

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FORSCHUNG

Landschaft vom Gebrauch her denken

LANDSCHAFT INSZENIEREN – EIN PLÄDOYER Eine praxisorientierte Publikationsreihe der Professur für Raumentwicklung an der Universität Liechtenstein

Ein Resultat des Forschungsprojektes „Landschaft inszenieren“, 2020-2021

Dr. sc. Vera Kaps Dr. sc. ETH Britta Hentschel



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FORSCHUNG

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FORSCHUNG Landschaft inszenieren – ein Plädoyer

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INHALT

S. 7

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Einführung

S. 11

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Landschaft, Ästhetik und Inszenierung Das Schöne in der Landschaft Landschaft in Szene setzen

S. 19

3 Identitätskonstruierende Praktiken als Konzept Landschaftspraktiken Gemeinschaftspraktiken Wertbildende Praktiken S. 26

4 Die Entwicklung des Landschaftsbegriffs seit der Renaissance Perspektive 1: Landschaft als Ort der Freizeit und Erholung Perspektive 2: Landschaft als politisches Instrumentarium Perspektive 3: Blickänderung


FORSCHUNG Inhalt

S. 81

5 Überzeitliche, inszenatorische Landschaftspraktiken als Planungswerkzeug Landschaftliche Blicke rahmen Sich durch Landschaft bewegen Landschaft übersetzen Landschaft hegemonial beanspruchen In Landschaft ausstellen Durch Landschaft bilden Landschaft als Reflexions- und Kritikort nutzen S. 100

6 Anwendung: Inszenatorische Landschaftspraktiken als Teil der Raumentwicklung Grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft Heterotopie auf Zeit Alltägliches inszenieren Kultur als Motor im Alpenrheintal Eine Forderung

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ABSTRACT

Die innere Verdichtung setzt die öffentlichen Freiräume zunehmend unter Druck. In den letzten Jahren hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen, hinsichtlich der Frage wie Siedlungen entwickelt werden sollen: Sie sollen nach innen und von der Landschaft1 ausgehend gedacht werden (Brandl & Fausch, 2016; Brandl, Fausch & Moser, 2018). Dies ist zu begrüssen. Doch Wunsch und Realität klaffen gegenwärtig weit auseinander: Dem romantisierten Bild der arkadischen Landschaft steht die Realität von Autobahnen, die monokultivierte Ackerflächen in einer zersiedelten Fläche durchschneiden, gegenüber. Diese Freiräume zeichnen sich durch keine gemeinsame Vergangenheit aus und ermöglichen kaum soziale Beziehungen. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Planungsparadigmas einer Siedlungsentwicklung nach innen plädieren wir dafür, dass Landschaften besser inszeniert werden müssen, um qualitätsvolle Rückzugsräume und Aufenthaltsorte für die wachsende Bevölkerung zu schaffen. Denn „Landschaften sind ständigen Veränderungen unterworfen. Es ist deshalb wichtig, dass ihre Qualitäten in die Planung einbezogen werden, und zwar sowohl in ländlichen als auch in urbanen Räumen“ (Raumkonzept Schweiz, 2012, S. 44). Dem Plädoyer liegt die Überzeugung zugrunde, dass wir von der Vergangenheit lernen können. Mit dem Blick der Renaissance auf die Lebenswirklichkeit des Menschen erhält die Landschaft, ihre Nutzung und Gestaltung erstmals in nachantiker Zeit wieder einen wichtigen Stellenwert als solche und im Hinblick auf die Architektur. Davon ausgehend untersuchten wir in einer historischen Studie die ästhetischen Mechanismen und gesellschaftlichen Inszenierungsmodi von Landschaft bis in unsere Gegenwart, um herauszufinden, wie sich das Verständnis von und der Begriff Landschaft seit der Renaissance (mit Fokus Architektur und Raumentwicklung) entwickelt hat. Welche inszenatorischen Mittel sind zu erkennen? Und wie können diese Landschaft wird hier verstanden als Raum für unbebaute und unbewirtschaftete Freiräume, agrarische Flächen und Infrastrukturen. Dieser Raum wird einerseits durch menschliche Prozesse und Praktiken gestaltet (Kulturlandschaft) und andererseits als zweidimensionale Fläche, als ‚schöne Landschaft‘, gesehen (Schmitz & Ritter, 2006). Inszenierte Landschaft befindet sich im Spannungsfeld dieser zwei Ausrichtungen. 1


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auf den heutigen Kontext übertragen werden? Landschaftsgestaltung ist oftmals direkter Ausdruck von politischen, gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen, aber gleichzeitig im Rückgriff auf den Urgarten, das Paradies, auch immer gelebte Utopie. Ziel dieser Publikation ist es, prägende Inszenierungsmomente, -theoreme und -mechanismen von Landschaft im Hinblick auf das Raum- und Architekturverständnis zu analysieren und Werkzeuge zur Landschaftsinszenierung im Kontext der Raumentwicklung zu identifizieren und für die Gegenwart verfügbar zu machen. Dieses Plädoyer offeriert eine neue Lesart von Landschaft und identifiziert überzeitliche, inszenatorische Praktiken zur Gestaltung einer ästhetischen Landschaft. Es zeigt sich, dass inszenatorische Landschaftspraktiken wieder stärker Teil unserer Planungskultur werden müssen, um Siedlungsstrukturen von den Freiräumen aus zu denken. Besonders grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft, die unter anderem als Inkubatoren für Raumentwicklungsprozesse gesehen werden, können diese Praktiken heute initiieren und langfristig als Planungsinstrumente für eine ästhetische Landschaftsgestaltung etablieren.


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1 EINFÜHRUNG

Spätestens seit den 1980er Jahren ist die Agglomeration Gegenstand politischer Debatten, Forschungsobjekt und Teil der Landschaft. Anstelle eines überholten Bildes von Stadt und Land präsentiert sich heute die „verstädterte Landschaft“ oder „verlandschaftete Stadt“ (Sieverts, 2001, S. 7). Dieser Denkweise folgend begreifen Diener, Herzog, Meili, de Meuron und Schmid (2006, S. 193) „alle Gebiete der Schweiz als urban“. Sie charakterisieren die Schweiz als Netzwerk und gliedern sie in fünf Landschaftsräume: Städtenetze, stille Zonen, Metropolitanräume, Alpine Ressorts und Alpine Brachen, die nicht homogen, „sondern vielmehr eine gemeinsame Problemlage und eine gemeinsame Alltagsrealität abbilden“ (ebd., S. 193). Das Alpenrheintal ist nach dieser Kategorisierung ein ein Städtenetz, das an stille Zonen (das Appenzell im Osten und die Alpenkette im Süden und teils Westen) angrenzt. Dem romantisierten Bild der arkadischen Landschaft steht hier die Realität von Autobahnen und Gewerbeflächen, die monokultivierte Ackerflächen in einer zersiedelten Fläche durchschneiden, gegenüber. Diese Freiräume zeichnen sich durch keine gemeinsame Vergangenheit aus, ermöglichen kaum soziale Beziehungen und schaffen keine „Orte der Erinnerung“, sondern charakterisieren sich als „Nicht-Orte“ (Augé, 2010, S. 83). 2018 rief der Bundesratspräsident Alain Berset in der Schweiz das (europäische) Kulturerbejahr aus und stellte das Jahrestreffen des World Economic Forums (WEF) in Davos unter das Thema „Eine hohe Baukultur für Europa“. In der Davos Declaration (2018, S. 1) kritisierten die anwesenden europäischen Ministerinnen und Minister die Verlusterscheinungen im gebauten Raum in ganz Europa hinsichtlich seiner Entwurfsqualitäten und geschichtlichen Strukturen. Sie bemängelten ein Wachstum an gesichtsloser


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Zersiedelung. Diese führe zum Verlust von regionalen Traditionen und Identitäten. Daher fordern sie neue Ansätze für eine hochwertige Baukultur, die in Kultur verwurzelt ist, den sozialen Zusammenhalt fördert, eine nachhaltige Umwelt sicherstellt und zur Gesundheit und zum Wohlbefinden aller beiträgt (ebd., S. 3). AMO Rem Koolhaas hielten zudem in ihrem Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung Countryside im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum 2020 fest: „The inevitability of Total Urbanisation must be questioned, and the countryside must be rediscovered as a place to resettle, to stay alive; enthusiastic human presence must reanimate it with new imagination” (S. 3). Denn „das Bild der schönen Landschaft [ist] topisch. Die damit verbundenen Genussqualitäten spiegeln sich in Gärten, Parks und größeren Anlagen wie in der habitualisierten Anschauung schöner Natur. Die heutige urbanisierte Landschaft fällt nicht unter die üblichen Objekte einer solchen Anschauung“ (Hauser & Kamleithner, 2006, S. 69). Wir müssen daher ein aktualisiertes Verständnis von ‚Schönheit‘ finden, das abseits des geschlossenen oder gar privaten Gartens oder Parks gilt und trotzdem Aufenthaltsqualitäten bereithält. Wir plädieren darum: Landschaft muss besser inszeniert werden, um qualitätsvolle Rückzugsräume für die wachsende Bevölkerung zu schaffen und um die Agglomeration aus ihrer anästhetischen Selbstvergessenheit zu holen. Dieses Plädoyer zeigt im Folgenden auf, wie Landschaft besser inszeniert werden kann, um eine ästhetische Planungskultur an der Schnittstelle von Alltagspraktiken und professioneller Raumplanung zu etablieren und wie langfristig eine qualitativ hochwertige Baukultur gefördert werden kann. Landschaft verstehen wir als unbebaute und unbewirtschaftete Freiräume, agrarische Flächen und Infrastrukturen. Dieser Raum wird einerseits durch menschliche Prozesse und Praktiken gestaltet (Kulturlandschaft) und andererseits als zweidimensionale Fläche, als ‚schöne Landschaft‘, gesehen (Schmitz & Ritter, 2006). Inszenierte Landschaft befindet sich im Spannungsfeld dieser zwei Ausrichtungen. Landschaftswahrnehmung und Landschaftsgestaltung ist eine Geschichte des Blicks und unterliegt einem steten Wandel. Mit dem Fokus der Renaissance auf die direkte Lebenswirklichkeit des Menschen erhält die Landschaft, ihre Nutzung und Gestaltung erstmals in nachantiker Zeit wieder einen wichtigen Stellenwert als solche und im Hinblick auf die Architektur. Davon ausgehend untersuchen wir in einer historischen Studie die ästhetischen Mechanismen und gesellschaftlichen Inszenierungsmodi von Landschaft bis in unsere Gegenwart


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und im Hinblick auf das Raum- und Architekturverständnis. Unser Fokus liegt hierbei auf Europa. Als Grundlage hierfür dienen die auf den Entwurf abgestimmten architekturund landschaftshistorischen Vorlesungsreihen von Britta Hentschel im Entwurfsstudio ‚Exploring Landscape.Studio‘ von Urs Egg und Vera Kaps (Abb.1) am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein über drei Semester.

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LANDSCAPE IS CONSTRUCTED Landscapes are nothing found, nor are they something taken for granted. Through everyday cultural practices – such as eating, playing, believing, curating – we construct landscapes and thus shape them in their appearance, their atmosphere, their being, in order to adapt them to us and to our cultural context. In the foreground, however, is the human being himself, who constructs landscapes through various forms of im-/material communication. «When the child was a child It walked with its Arms swinging, It wanted the stream to be a river The river a torrent, And this puddle to be the sea.» 1 LANDSCAPE IS IMAGINARY Whatever we design is imagined. We imagine the ideal future by describing, drawing, building models, redesigning, making assumptions, hypothesising, spatialising our wishes. In doing so we rely on our past – what we know, understand, appriciate – the familiar. We challenge you with introducing theory. We look into what others say/ said, write/ wrote, draw, build/t. We let ourselves be inspired and reward what we appropriate.

WE ARE EXPLORERS Landscape is made up of many, already existing elements, which we constantly add to, change and take away: We curate our landscapes.

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By exposing these new formations, new readings emerge. We record these and map our world anew. In doing so, „the invisible [...] sometimes determines the context and our design more than the directly perceptible“2.

MAKING IS KEY In the studio we explore the different layers of landscape: we read landscape through the glasses of literature, art, cultural studies and architecture. The focus is on „schaffen“/making - as the word „Landschaft“ (landscape)/ „Land schaffen“ (creating land) already implies. „Now productivity decides.“(A.R.Penck) WE SHOW WHAT WE DO We manifest our findings in text and space: compilations verbalize our attitude; our studio functions as a chamber of curiosities: «Wunderkammern sind aus der Bezugnahme des Menschen zum Raum und zu den Dingen hervorgegangen. Als Sammlungsorte für die unterschiedlichsten Dinge sind sie eigentlich nicht Vorläufer von Museen, sondern verkleinerte Abbilder des gesamten Makrokosmos und damit begehbare Modelle einer dreidimensionalen Vorstellungswelt.»3

WE BELIEVE IN THE BEAUTIFUL „We come to see not the work of art, but the world according to the artwork“4

Urs Egg und Vera Kaps

Abbildung 1: Studioposter zur Haltung des ‚Exploring Landscape.Studios‘ von Urs Egg und Vera Kaps an der Universität Liechtenstein am Institut für Architektur und Raumentwicklung von 2019 bis 2021

1 Wim Wenders (director, writer) (1987). Himmel über Berlin [film]. Berlin: Wim Wenders.

Rebecca Bornhauser, Thomas Kissling (Hg.) (2015). Landschaft als Wunderkammer, Fragen nach einer Haltung. Günter Vogt. Zurich: Lars Müller Publishers, p.149. (own translation)

2

Gabriele Bessler (2012). Raumfindung Wunderkammer, ein Weltmodell aus dem 16. Jahrhunder. werk, bauen+wohnen, 12, 12—19.

3

McGillchrist (2009). The master and his emissary: The divided brain and the making of the Western World. New Haven, Conn.: Yale University Press, p. 409.

4

Felix Kiessling, Erddurchstechung Chile / Italien, 2019

EXPLORING LANDSCAPE. STUDIO


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Zudem führt diese Arbeit das theoretische Rahmenwerk der „identitätskonstruierenden Praktiken“ (zusammengesetzt aus Landschafts-, Gemeinschafts- und Wertbildenden Praktiken) weiter, die in der Dissertation „Identitäten planen“ von Vera Kaps (2018a) entwickelt wurden. In dieser untersuchte die Autorin im Kontext der Schweizer Landesausstellung Expo2027 die visuellen, architektonischen und inszenatorischen Mittel, um Identitäten im Spannungsfeld von Internationalisierung und Regionalisierung zu konstruieren. Sie beschreibt das vorherrschende zeitgenössische Identitätsbild von fragmentierten, multiplen und hybriden Lebensentwürfen, die sich im Spannungsfeld einer zunehmenden Internationalisierung zurechtfinden müssen. Dieses Bild, so Kaps, setze sich weniger aus nationalen Identitäten zusammen, sondern aus Identitäten durch Zugehörigkeit, die offen sind, sich auf vielfältige kulturelle Ursprünge beziehen und sich nur bedingt an nationalen Grenzen orientieren. Sie seien fluide und dynamische Konstruktionen, die sich stetig über Diskurse erneuern. Planungsprozesse bieten das Potenzial, diese Diskurse unter Anwendung von identitätskonstruierenden Praktiken zwischen Planenden und der lokalen Bevölkerung zu führen. Das Plädoyer von Vera Kaps und Britta Hentschel untersucht im Folgenden nun besonders die Landschaftspraktiken mit dem Ziel, diese zu überprüfen, zu vertiefen und um den Aspekt der Inszenierung zu erweitern. Im folgenden Kapitel werden wir Landschaft unter den zwei Prämissen ‚Landschaft als Kulturlandschaft‘ und ‚Landschaft als zweidimensional gesehene Fläche‘ näher definieren und unter den beiden Parametern Ästhetik und Inszenierung betrachten. In Kapitel 3 beschreiben wir das theoretische Rahmenwerk von identitätskonstruierenden Praktiken für eine Raumentwicklung, die Flächen, räumliche Schnitte und körperliche Wahrnehmung in ihre Planung einbezieht. Unter der dualen Perspektive von Erholung und politischer Indienstnahme untersuchen wir in Kapitel 4 die Landschaft und ihre Inszenierungsmodi von der Renaissance bis in unsere Gegenwart, um in Kapitel 5 inszenatorische Landschaftspraktiken für eine zukünftige Raumplanung herauszupräparieren. Im letzten Kapitel diskutieren wir diese Ergebnisse im Kontext grossformatiger Architekturausstellungen in der Landschaft. Explizit plädieren wir dafür, dieses Planungsinstrument für eine ästhetische Landschaftsgestaltung im Alpenrheintal, das Liechtenstein, die Ostschweiz, Vorarlberg und Süddeutschland über ihre Grenzen hinweg verbindet, zu nutzen.


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2 LANDSCHAFT, ÄSTHETIK UND INSZENIERUNG Landschaften sind nichts Vorgefundenes, noch sind sie etwas Selbstverständliches. Diese Forschungsarbeit geht davon aus, dass Landschaft menschengemacht ist – gesehen, bearbeitet und für menschliche Belange verändert wird. Über alltägliche Kulturpraktiken – wie etwa kultivieren, glauben, spielen, essen – konstruieren wir Landschaft und formen sie somit in ihrem Erscheinungsbild, in ihrer Atmosphäre, in ihrem Sein, um sie an uns und an unseren kulturellen Kontext anzupassen. Laut dem Anthropologen Tim Ingold (2011, S. 126) kommt der Begriff Landschaft aus dem Mittelalter und bezog sich „ursprünglich auf ein Stück Land, das in die alltäglichen Praktiken und gewohnheitsmäßigen Nutzungen durch eine agrarische Gemeinschaft eingebunden war“, bevor es „später in die Sprache der malerischen Darstellungen aufgenommen wurde“. Diese Haltung unterstützt die aktuelle Annahme, in der wir uns in der geologischen Epoche des Anthropozäns befinden, in der der Mensch mehr als alle natürlichen Kräfte gemeinsam die Hauptursache für den permanenten planetarischen Wandel ist. Dabei sind Mensch und Natur nicht zwei getrennte Systeme, sondern befinden sich in einseitiger Abhängigkeit. „Der Mensch ist Teil eines grösseren Ganzen, er braucht die Natur, aber die Natur braucht ihn nicht“ (Hug, 2021, S. 36). Zudem ist der Mensch Ursache für den Grossteil von Naturzerstörungen. Die globale Erderwärmung und ihre Folgen gehen auf unser Konto und werden langfristig unseren Lebensraum zerstören, sofern wir nicht umweltverträglicher handeln. Der Landschaftsarchitekt Martin Prominski (2014, S. 18) rät, „the world should not be seen as an opposition of natural and cultural elements, but as an intricate web of elements in dynamic relationships“. Darauf Bezug nehmend nutzt diese Arbeit Landschaft als „kompositorischen Begriff“ (Ipsen, 2003, S. 13) von sichtbaren Elementen und sozialen Praktiken, die immer in Hinblick auf langfristige Qualitäten miteinander verbunden sind und aufeinander wirken sollten.


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Das Schöne in der Landschaft Dass Landschaft etwas Schönes sein könnte, ist eine durchaus moderne Auffassung. Noch bis ins späte 18. Jahrhundert erhielt nur der Garten als „ein stark menschlich transformierter kleiner Naturausschnitt eine ästhetische Qualität“ zugeschrieben (Bätzing, 2000, S. 196). Erst mit dem aufkommenden Alpinismus und der Überwindung von Natur als etwas Grausames, Gefährliches und Furchteinflössendes erfuhr unbesiedelter Freiraum (hier die Berge) eine neue Sichtweise. Dasselbe geschah zeitgleich mit dem Meer und seiner Küste: Gerade noch als Angst besetzter Ort deklariert, wurde er nun zum Inbegriff von Gesundheit und Schönheit (Corbin, 1990). Fortan wurden auch weniger spektakuläre Naturräume als erhaben wahrgenommen und entfachten Sehnsucht bei ihren Betrachtern. Einzig Industrieräume bewahrten bis ins späte 20. Jahrhundert ihren anästhetischen Charakter. Erst mit dem aufkommenden Perspektivwechsel auf Landschaft in den 1970er Jahren und dem Anbeginn der Deindustrialisierung in Europa, entstand auch der Wunsch, diese Räume zu schützen. Das Verständnis von einer schönen Landschaft basiert auf der radikalen Trennung von produktiv genutzter Landschaft in Form von Arbeit (etwa dem Agrarwesen) und „ihrem ästhetischen Genuss als Gegenteil von Arbeit“, nämlich der Freizeit. „Die moderne Ästhetisierung der Alpen bzw. der Landschaft insgesamt setzt also voraus, dass der gesamte Arbeits- bzw. Produktionsbereich ausgeblendet wird, so dass die Nicht-Arbeit zur Voraussetzung der Landschaftsästhetik wird“ (Bätzing, 2000, S. 197). Erst das Phänomen Freizeit, das die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts entwirft, offeriert einen veränderten Blick auf die gesamte Landschaft und beschreibt sie als schön. Sie verändert normativ das ästhetische Bild der Landschaft und negiert dabei oftmals deren produktiven Charakter jenseits des Ackerbaus. Landschaft erfährt somit eine Kolonialisierung durch die Industriegesellschaft. Neben der Trennung von Produktion und Konsumation sind auch andere Differenzierungen in unserer Denkweise über Landschaft vorhanden: Wir unterscheiden zwischen Landschaft, die als Fläche und durch den Blick wahrgenommen wird, und Kulturlandschaft, die in sozialen Prozessen konstruiert wird. Einerseits dient Landschaft als Projektionsfläche. Landschaftselementen wird soziale Bedeutung zugesprochen. Landschaft wird zur Kulisse einer Geschichte, wird zur Bühne und zum Spielort, wie schon Leon Battista Alberti (Della Pittura, II, 40) sie als Teil der storia (der Geschichte/Handlung eines Gemäldes) beschrieb. Die mythischen Berge


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erzählen von unseren Urahnen, Ebenen erinnern an Schlachten und Abkommen, Meer und Küste verkörpern Gesundheit und Schönheit sowie Aufbruch zu Neuem. All dies entsteht in unseren Gedanken und Erzählungen, indem wir von unserer sicheren Hotelterrasse oder dem angelegten Wanderpfad in die Landschaft blicken. Diese Vorstellung geht auf ein ästhetisches Verständnis von Landschaft als „geschaute[m] Naturausschnitt“ (Schenk, 2001, S. 618) zurück. Landschaft wird hier als eine durch den Blick erzeugte Fläche, ein Tableau, gelesen und weniger als von Kultur produziert verstanden, auch wenn natürlich das Sehen und die daraus folgenden Zuschreibungen kulturell produziert sind. Andererseits macht Landschaft Spuren sichtbar, die laut der Historikerin Dolores Hayden (2005, S. 204) davon erzählen, „wie Orte geplant, entworfen, gebaut, bewohnt, in Besitz genommen, gefeiert, verschandelt und aufgegeben wurden“. Landschaft ist immer auch Produktionsort gewesen. Ackerland nährt uns, Abbaugebiete von Braunkohle liefern uns Energie, Infrastrukturen ermöglichen uns Reisen und Gütertransporte, Aquakulturen liefern uns Meerestiere usw.. Aktiv genutzte Landschaften erzählen von ihrer Produktion, brachliegende von deren Abwesenheit. Diese spurlich-haptischen Merkmale prägen ihre Bewohnerinnen und Nutzer und können durch Bewegung im Raum angeeignet werden. Der Soziologe Thomas Alkemeyer (2003, S. 348) beschreibt diesen Prozess folgendermassen: „Indem sich die Menschen über Bewegungen auf ihre Umgebung beziehen, formen und erzeugen sie sich als soziale Subjekte selbst und machen sich die Umgebung im selben Prozess sinnvoll und zueigen“ (Hervorhebung im Original). Da diese Umgebung samt ihren Spuren vom Menschen geformt wurde, besteht ein relationales Verhältnis zwischen Mensch und Landschaft. Hier beginnt Landschaft zur Kulturlandschaft zu werden. Kilper, Heiland, Leibenath und Tzschaschel (2011, S. 92) definieren Kulturlandschaft folglich „als ein individuell und soziokulturell bestimmtes Konstrukt, das aus gesellschaftlichen Prozessen hervorgeht, in denen einem (selektiv wahrgenommenen) Raumausschnitt semantische Bedeutung, Sinn und Werte zugeschrieben werden und dieser symbolisch belegt wird, so dass von einer kulturell-gesellschaftlichen Verallgemeinerung gesprochen werden kann“. Allerdings scheint dieses relationale Verhältnis zwischen Mensch und Landschaft in den letzten Jahrzehnten gekippt zu sein, vom klugen Nutzen der Landschaft zum Verbrauchen von ihren Gütern und Schätzen. So schreibt der Kunsthistoriker T. J. Demos (2021, S. 192) vom „Zeitalter der Plantagen“ als „Landschaftskategorie des Antropozäns“. Gemeint sind monokultivierte


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Landstriche, um die Erdbevölkerung und deren Viehproduktion zu sättigen und mit Gütern zu beliefern. So wurden beispielsweise zwischen 2000 und 2010 24 Millionen Hektar Land in Südamerika zu Ackerfläche für den Sojaanbau umgewandelt.2 Das gleiche passiert etwa für Quinoafelder in Bolivien, (Futter)Mais in Europa oder Fichten in monokultivierten Wäldern. Doch nicht nur Nahrungsversorgung führt zu tiefgreifenden Veränderungen in unseren Landschaftsbildern: Im digitalen Zeitalter benötigen wir Lagerräume für Waren von digitalen Anbietern wie etwa Amazon oder Zalando, gigantische Rechenzentren von Equinix und Co., Stromnetze und Server-Stacks. Für unseren erhöhten Energiebedarf und elektronische Produkte fördern wir Bodenschätze wie etwa Erdöl in Saudi-Arabien, Lithium in Chile, Zinn in Indonesien oder Kobalt im Kongo. All dies passiert nicht in unseren dicht besiedelten Städten, sondern in den von Menschen nicht besetzen Freiräumen, deren Lobby nicht stark genug ist, um sich zu wehren. Zeitgleich klopft der Klimawandel an die Tür: Flutkatastrophen, Dürren und Brände verändern die Landschaft in immer kürzeren Intervallen. Tatsächlich gilt dieses vermeintliche ‚Recht zu Zerstören‘ oftmals als Teil der Souveränität des modernen westlichen Menschen. Zunehmend wird dieses Recht hinterfragt und an seine Stelle werden Überlegungen zu einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und Boden gestellt. Dabei wird jedoch meist auf die nachhaltige Dreifaltigkeit aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem fokussiert. „Die drei Aspekte der Nachhaltigkeit – ökologische, ökonomische und soziale – müssen um einen vierten, den ästhetischen, erweitert werden, wenn unsere Umwelt lebenswert bleiben soll“, fordert der Landschaftsarchitekt Hansjörg Gadient (2009, S. 17). Und bereits 1998 liest man im Umweltmagazin Alpin Stuttgart: „Es fehlt heute die Sensibilisierung, das ehrfürchtige Bestaunen der Natur, aus der sich Rücksichtnahme und umweltschonende Gesinnung ableiten. Wer Natur und Landschaft unter dem Gesichtspunkt der Ästhetik betrachtet, der ehrt, schätzt, bewundert und schützt sie“ (Bauer, 1998, S. 13). Ästhetisches macht auf das Anästhetische nebenan aufmerksam. Im besten Fall regt Schönheit zum Diskurs über das Nicht-Schöne an und motiviert, dieses zu verändern – ganz im Sinne des Philosophen Wolfgang Welsch (1989): „Gegen systematische Anästhetik hilft nur gezielte Ästhetik“. So hat etwa das New European Bauhaus erkannt, dass auch Ästhetik ein zentrales Kriterium ist, um unsere Umwelt und Lebensstile langfristig aufzuwerten: „Ähnlich wie die ursprüngliche Bauhaus-Bewegung, die Massenproduktion mit den individuellen Bedürfnissen und dem künstlerischen Geist in Einklang https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/produkte-aus-der-landwirtschaft/soja [07.12.2021] 3 https://ec.europa.eu/regional_policy/de/newsroom/panorama/2021/04/16-04-2021-sustainability-aesthetics-and-inclusion-cohesion-policy-supports-the-new-european-bauhaus [07.12.2021] 2


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bringen wollte, strebt die neue Initiative danach, bezahlbare, funktionale und ästhetisch ansprechende öffentliche und private Räume mit der Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen“, so die EU-Kommissarin Elisa Ferreira.3 In diesem Sinne plädieren wir für eine Inszenierung der Landschaft, um ihren ästhetischen Aspekt wieder mehr ins Zentrum zu rücken. Landschaft in Szene setzen Ausgehend von der Annahme, Landschaft sei eine dynamische Beziehung von Elementen und Phänomenen, können veränderte Erzählweisen und Kompositionen zu unterschiedlichen Inszenierungen führen. Der Philosoph Martin Seel (2001, S. 49) definiert Inszenierungen als „1. absichtsvoll eingeleitete oder ausgeführte sinnliche Prozesse, die 2. vor einem Publikum dargeboten werden und zwar v3. so, daß sich eine auffällige spatiale und

Abbildung 2: Dionysos-Theater vom Pantheon gesehen, Athen, um 330 v. Chr.


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temporale Anordnung von Elementen ergibt, die auch ganz anders hätte ausfallen können“. Klassisch finden diese Inszenierungen im Theater statt. Das abendländische Theater geht auf einen runden Festplatz (orchestra) in der griechischen Antike zurück, um Tänze und Chorlieder zu Ehren des Gottes Dionysos aufzuführen. Dem Chor wurden bald ein, dann mehrere Schauspieler gegenübergestellt und die skene – erst ein Zelt, später ein Holzbau mit Flachdach – beherbergte Requisiten und diente als Umkleide. Zudem wurden an ihr die ersten Bühnenbilder angebracht. Gegenüber dieser skene befanden sich die Zuschauerränge im Halbkreis und unter freiem Himmel (Abb. 2). Vitruv nutzte den Begriff der Szenografie erstmals im Lateinischen4 und beschrieb damit nicht nur das Bühnenbild an sich, sondern auch die Art und Weise dieses zu erstellen, also die Disziplin selbst. „Denn Vitruv zählte die Szenografie – neben dem Grundriss und dem Aufriss – zu den drei Möglichkeiten, einen architektonischen Körper zeichnerisch abzubilden, und erweiterte den Begriff vom Kontext des Theaters auf die perspektivische Darstellung von Bauten“ (Fülscher, 2009, S. 14). Die Szenografie wurde zur Grundlage der (zweidimensionalen) Bühnenmalerei, die zur Aufgabe hatte, die Besucher durch ihre räumliche Darstellungskunst imaginär an einen fremden Ort zu versetzen. Andrea Palladio übersetzte zusammen mit Vincenzo Scamozzi das Bühnenbild dreidimensional und entwarf in seinem Teatro Olympico in Vincenza (Fertigstellung 1584) fünf städtische Strassenzüge mit einer Haupt- und einer Hintergrundbühne (Abb. 3). Die räumliche Tiefe erwirkte er, indem er die Bühnenböden der Strassenzüge ansteigen liess und die Gebäude nach hinten verkleinerte (Beyer, 2009). Die illusorische Wirkung des Bühnenraums wurde sukzessive gesteigert: So bildete das Panorama einen Raum, der bei den Besucherinnen den Eindruck erweckte, sich an dem dargestellten Ort zu befinden. 1809–1814 schuf der Basler Künstler Marquard Wocher solch ein 360°-Rundbild der Stadt Thun. Hier ist die gemalte Landschaft selbst das zu betrachtende Schauspiel: Im Vordergrund steht das geschäftige Treiben auf den Strassen Thuns mit einzelnen Fensterdurchblicken in die Innenräume; den Hintergrund bildet ein Alpenpanorama mit Stockhorn und Niesen. Damals in Basel ausgestellt, steht das älteste weltweit noch erhaltene Panoramabild heute am Thunersee in einem eigens erstellten Museum. Die Aufklärung forderte eine möglichst naturalistische Darstellung von Innenund Aussenräumen im Theater bzw. Schauspiel. Dies führte Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass Bühnenbildner zunehmend reale Objekte nutzten, „Item scaenographia est frontis et laterum abscedentium adumbratio ad circinique centrum omnium linearum responsus“ (Vitruv, De Architectura, I, II, 2). 4


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Abbildung 3: Andrea Palladio und Vincenzo Scamozzi, Teatro Olimpico, Vicenza, ab 1580

Abbildung 4: Juliertheater in Graubünden, 2017

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anstelle diese nur ‚abzubilden‘. So wurde der Brunnen nicht auf eine Leinwand gemalt, sondern als dreidimensionales Objekt mit realem Wasser auf die Bühne gestellt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts löste sich dann die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum auf. „Wichtige Impulse zur Neugestaltung des Verhältnisses von Bühne und Publikum kamen aus dem italienischen Futurismus, dem Dadaismus, Kurt Schwitters‘ ‚Merzbühne‘ sowie der Bauhausbühne“ (Fülscher, 2009, S. 18). Diese Bewegung führte zu Walter Gropius‘ und Erwin Piscators Totaltheater und schliesslich dazu, dass das Schauspiel das Theater sogar verliess und an realen Orten mit Bezug zum Stück aufgeführt wurde. Mit dieser Entwicklung wurden Maler und Bühnenbildnerin für das Schauspiel nutzlos: die Landschaft selbst wurde zum Bühnenbild und ihre Jahreszeiten gestalten einen permanenten Szenenwechsel wie etwa im Juliertheater in Graubünden, das 2017 eröffnet wurde (Abb. 4). Die zehn überhohen Fenster des roten Holzturms eröffnen Blicke auf die Landschaft auf dem Julierpass. Der temporäre Bau selbst wird hier zum Akteur und inszeniert den Hochgebirgspass als Ort der Kultur. Ähnlich fungierten die Bauten bei der sechsten Schweizer Landesausstellung Expo.02. Vier dezentrale Schaubühnen, sogenannte Arteplages, bespielten das Drei-Seen-Land um Murten, Neuenburg, Biel und Yverdon. Die Landschaft mit ihren Seen und dem Alpenpanorama im Hintergrund inszenierte Bauten wie die Wolke von Diller Scofidio in Yverdon oder der Monolith von Jean Nouvel auf dem Murtensee. Diese gestalterische Strategie, reale Landschaften als Hintergrund zu nutzen, ist nicht neu, sondern rekurriert auf das griechische Urtheater und fand bereits früh seinen Einsatz auch ausserhalb des Schauspiels. So inszeniert etwa die ostasiatische Gartenkunst ihr traditionelles Stilelement, die geliehene Landschaft, indem eine Szenerie ausserhalb der Gartenanlage – oft ein Berg oder ein imposantes Gebäude – bewusst in die Gestaltung einbezogen wird. Ein kleiner Raum öffnet sich so ins Weite und steigert seine Pracht. Auch die Renaissance bezog Topografie in ihre Gestaltung ein. Der ehemalige Vulkan Monte Amiata ist mit 1738m die höchste Erhebung der südlichen Toskana und optische wie auch ideelle Referenz für den Stadtumbau des kleinen Dorfes Corsignano in die Renaissance-Idealstadt Pienza Mitte des 15. Jahrhunderts. Die trapezförmige Platzgestaltung sowie die Lage der Hauptbauten des Städtchens beziehen sich nicht nur optisch auf den Monte Amiata, sondern auch mythisch-kosmologisch. Besonders frappant ist dies bei der mehrgeschossigen Gartenloggia des Papstpalasts, die als eines der ersten Beispiele in nachantiker Zeit Panorama und Architektur so direkt aufeinander bezieht (Tönnesmann, 2014).


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3 IDENTITÄTSKONSTRUIERENDE PRAKTIKEN ALS KONZEPT

Die Inszenierung des Blicks, die den Raum dreidimensional erfasst, wird heute durch Diskussionen über den Boden – verstanden als zweidimensionale Fläche und als wirtschaftliches Gut – ersetzt. Deshalb schlägt Gadient (2009) vor, dass Landschaft nicht im Grundriss und über Bodenverbrauch, sondern vielmehr im Schnitt und über Luft- und Sichtverbrauch verhandelt werden sollte. Als Beispiel nennt er den 105m hohen Turm auf der Davoser Schatzalp, dessen Wettbewerb das Architekturbüro Herzog & de Meuron 2004 gewonnen hatte. Hier wurde behauptet, dass der Turm aufgrund seines geringen Flächenverbrauchs die Landschaft schütze. Ausser Acht wurde gelassen, dass er von jedem Punkt des Tals aus sichtbar gewesen wäre. „Der Verbrauch an bebautem Boden ist in der Tat gering, der Konsum an Landschaft aber enorm: ein ganzes Tal als Hintergrund für einen Bau“ (ebd., S. 18).5 Regionalplanung geschieht zumeist zweidimensional in Richt-, Nutzungs- und Zonenplänen. Wünschenswert wäre die dritte Dimension, die die Vogelperspektive verlässt und Räume stärker durch Schnitte und Ansichten visualisiert. Wir plädieren zudem für einen weiteren Aspekt in der Planung: die der körperlichen Wahrnehmung. Jeder Landschaftsraum wird sinnlich, intuitiv und subjektiv wahrgenommen, indem wir ihn sehen, berühren, riechen, hören und schmecken. Brandl, Herburger und Hilti (2021) fordern das Er-Wandern des Raums, um gezielt Aufgrund des Zweitwohnungsgesetzes liegt noch immer ein Investitionsstopp für das Gebäude vor – auch dies liegt an der Nutzfläche des Gebäudes und nicht an seinem dreidimensionalen Erscheinungsbild für das Tal selbst. 5


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durch Wahrnehmung zu sensibilisieren und um gemeinsam Wissen zu erzeugen – nicht nur bei Akteuren aus der Planung und Politik, sondern auch bei der Zivilgesellschaft. Wie oben bereits durch Thomas Alkemeyer beschrieben, eignen sich die Wanderer Landschaft an, identifizieren sich mit ihr und entwickeln den Wunsch, diese in ihrer Ästhetik zu erhalten und weiterzuentwickeln. Diesen Vorgang „sich durch Landschaft bewegen“ beschreibt Kaps als Teil von „Landschaftspraktiken“, die zusammen mit „Gemeinschaftspraktiken“ und „wertbildenden Praktiken“ identitätskonstruierend wirken (Kaps, 2018a). Abbildung 5 zeigt diese drei Praktiken, die wir als theoretisches Rahmenwerk für diese Arbeit nutzen, um

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die drei Aspekte (Flächen, räumliche Schnitte und körperliche Wahrnehmung) in die Planung zu integrieren. Im Folgenden erörtern wir diese identitätskonstruierenden Praktiken an einem zeitgenössischen Beispiel, dem Islamischen Friedhof Altach im Vorarlberg, der 2012 durch Bernardo Bader Architekten fertig gestellt wurde. Landschaftspraktiken Wenn Planende mit Landschaft interagieren, indem sie räumliche Praktiken nutzen, können sie neue Kulturlandschaften entwerfen. Planende können Landschaften inhärente narrative Eigenschaften zuschreiben, also landschaftliche Bilder erschaffen. Unverrückbare Berge und Urgestein stehen für Herkunft und Beständigkeit; Wasser, See und Küste etwa für Aufbruch, Ankunft und Austausch. Diese Narration kann stärker sein als nationale Grenzen und offeriert Landschaftsräume, die neue Formen von Gemeinschaften bilden können wie etwa der Bodenseeraum im Dreiländereck Deutschland, Schweiz, Österreich oder die Alpen zwischen Südtirol und Tirol. Internationale Grenzen werden hier abgebaut. Durch ihren Charakter, ihre Atmosphäre und ihre Beschaffenheit prägt Landschaft ihre Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Denk- und Verhaltensweisen und formt einen Kulturraum. Zudem verschmilzt der Mensch über Bewegung durch diese Landschaftsräume mit der Landschaft, übernimmt ihre Eigenschaften und transferiert sie in seine eigenen kulturellen Praktiken. Diese Bewegungen können gezielt in der Planung umgesetzt werden (wie etwa das oben beschriebene Er-Wandern). Planende können diese Praktiken in Kartierungen – verstanden als visuelle und narrative Abbildungen – festhalten und somit in persönliche wie auch kollektive Lebenserzählungen einschreiben. Dank unterschiedlicher Blickwinkel auf Orte und deren Hinterfragen können Planende eine kritische Auseinandersetzung, Neudeutung und Umorientierung erzielen. Dabei werden Orte und Räume umkonnotiert und somit neue Kulturlandschaften entworfen. Der Friedhof Altach liegt am äussersten Rand der Rheinebene, am Ausläufer der Berge des Bregenzerwalds (Abb. 6). Abseits der Konfessionen gilt der Friedhof als Urgarten. Durch seine bewusste Gestaltung grenzt er sich klar zur natürlichen Umgebung (Wildnis) ab. In sechs parallel zu einander verlaufenden Reihen (fünf Gräber und der Kopfbau) liegt die Komposition in Altach flach im Gelände. Mauern fassen die Gräberbereiche und lassen sie wie Finger mit der sonst nicht gestalteten Umgebung (in Anlehnung an die Wildnis) verzahnen.


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Die Komposition öffnet den Blick auf die bewaldeten, unverrückbaren Berge. Ihre Beständigkeit kontrastiert mit der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Wie jeder Friedhof verbindet auch der Islamische im Alpenrheintal Menschen gleichen Glaubens, grenzübergreifend. Wer das Friedhofsgebäude betritt, schreitet entlang der massiven ornamentierten Aussenwand, welche als subtiler Filter nicht nur die Innen- und die Aussenwelt miteinander verbindet, sondern auch die Menschen mit diesem Landschaftsraum. Das durchbrochene Wandelement aus Holz (Mashrabiya) thematisiert die Vergänglichkeit.

Abbildung 6: Islamischer Friedhof Altach im Vorarlberg, 2012


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Gemeinschaftspraktiken Wenn Planende Menschen miteinander vernetzen, indem sie soziale Praktiken entwickeln, können sie Gemeinschaften fördern. Die Identifikation mit einer Gruppe (und gleichzeitig Abgrenzung zu anderen Gruppen) schafft einen gemeinsamen Charakter und ein gemeinsames Wertesystem, wie etwa die Konfession am Beispiel des Friedhofs Altach. Über unterschiedliche Formen der Vernetzung können niederschwellig Bekanntschaften geschlossen werden, die einerseits Vorurteile abbauen und andererseits Toleranz und Neugierde für Neues fördern. Auf wirtschaftlicher Ebene können etwa Wertschöpfungsketten geknüpft werden, da fremde Disziplinen, Altersgruppen etc. über viele Berührungspunkte ausserhalb ihres normalen Wirkungsradius und ohne Vorbehalte aufeinandertreffen. Dies kann positive Impulse für eine Region setzen und durch positive Erfahrungen zu Identifikation mit einer Region führen. Vor Beginn der Planung finden sich homogene und heterogene Gruppen zusammen, die über inszenierte Wege zu Land oder zu Wasser durch das Planungsgebiet wandern oder fahren. Durch Partizipationsprozesse wird die lokale Bevölkerung aktiv vor, während und nach der Planungsphase in die Gestaltung mit einbezogen, so dass sie selber zu Gestalterin wird. So sollen private, kulturelle und ökonomische Interessensgemeinschaften entstehen, die sich durch den Planungsprozess bilden und/ oder gestärkt werden. Das Beispiel Altach verbindet die islamische Religion dezidiert mit der Vorarlberger Landschaft und gibt ihr somit einen Ort. Die Glaubensgemeinschaft der ganzen Region, auch jenseits der nationalen Grenzen, wird Teil der lokalen. Andererseits verknüpfte der Planungsprozess die Glaubensgemeinschaft mit Personen ausserhalb der Konfession wie etwa den Architekten, die für den Entwurf durch eine islamische Arbeitsgruppe und Imame begleitet wurden, den Fachplaner, die in ihrem traditionellen Vorarlberger Handwerk islamische Ornamente herstellten, oder der Gemeinde Vorarlberg, die Trägerin des Friedhofs ist. Wertbildende Praktiken Werte oder ein Wertesystem beschreiben eine moralisch als gut betrachtete, also qualitätsvolle Haltung, an der sich eine Gesellschaft orientiert. Dieses System erwächst aus der Vergangenheit und begründet sich in der Gegenwart. Wertesysteme müssen somit immer wieder neu ausgehandelt werden. Dafür spielen auch Vorbilder eine Rolle, an deren Handeln und Denken man sich orientiert. Aus Sicht der Architektur definiert sich dieses Wertesystem auch durch bleibende materielle, also nachhaltige Werte.


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Planende können durch ihre Ansätze Lebensstile gestalten, indem sie nicht nur das real-physische, sondern auch das fiktiv-mentale Durchleben in den Mittelpunkt des Planungsprozesses stellen. Dadurch, dass sie durch Gestaltung gemeinsame Grundwerte neu verhandeln und in einen Kontext einordnen, der über die Planungsgrenzen hinaus reicht, artikulieren sie neue Zugehörigkeiten, stossen einen Veränderungsprozess an und rekonstruieren Identitäten. Gleichzeitig können sie Traditionen, Mythen und gemeinsame Geschichten sichtbar machen, diese erneut aufleben lassen und weiterentwickeln. Die Planenden bilden somit „(Erinnerungs-) Gemeinschaften“, die sich über lokale Diskurszusammenhänge „in ihren Erzählungen jeweils und beständig neu entwerfen“ (Hauser & Kamleithner, 2006, S. 191). Dabei referenzieren sie bekannte Ikonen wie etwa Architekturen, Landschaften oder Helden, um Sicherheit, Selbstbewusstsein und Fortschritt positiv zu verkörpern und zu symbolisieren. Damit stillen sie eine Sehnsucht nach Beständigkeit und gleichzeitig nach Zukunftsvertauen. Im Falle Altach startete dieser Reflexions- und Gestaltungsprozess 2003, als die islamische Gemeinschaft Vorarlbergs (zweitgrösste Religionsgemeinschaft und 10% der Gesamtbevölkerung) den Wunsch äusserte, ihre Mitglieder nach ihrem Tod in Vorarlberg und nicht in der Türkei oder ihrem jeweiligen Herkunftsland begraben zu können. Diverse Akteure waren in den Prozess eingebunden: eine islamische Initiativgruppe, eine Integrationseinrichtung, die Vorarlberger Landesregierung, der Vorarlberger Gemeindeverband, die Gemeinde Altach und ein Arbeitskreis zum Thema ‚Eine Begräbnisstätte für Muslime in Vorarlberg‘. Eine breite Gemeinschaft hat hier ihre Werte neu verhandelt und physisch in Form des Islamischen Friedhofs festgehalten. Architektonisch nehmen die Planer die islamischen Grundwerte in Komposition, Landschaftseinbettung und Möblierung auf. So ist der Bau nach Mekka ausgerichtet, der Reinigungsritus durch den Waschraum aufgegriffen und die Bestattungsform auf Erdbestattungen reduziert. Dennoch findet auch die lokale Baukultur ihren Einzug in die Materialien, die schlichte Komposition und sehr reduzierte Ornamentik. Die Worte Allah und Mohammed sind in Form von goldbestückten Schindeln (aus der Vorarlberger Bautradition) in die Wand des Gebetsraums geschrieben. Der Islamische Friedhof Altach verkörpert eine neue, kulturell sensible Ästhetik, die islamisch und gleichzeitig alpin ist. Durch dieses System miteinander verbundener Konstruktionsmechanismen können Planende hybride, fragmentierte und fluide Identitäten in unserer


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heutigen Zeit entwerfen. Der Soziologe und Kulturtheoretiker Stuart Hall (1992, S. 310) geht davon aus, dass nationale Identitäten immer stärker schwinden werden. Anstelle ihrer träten hybride Identitäten, deren Besitzerinnen und Besitzer sich dadurch auszeichneten, dass sie gleichzeitig zu mehreren Welten gehörten. Ihren Ursprung hat diese Form von Identität in der Kolonialzeit, als Menschen für immer aus ihrem Kulturkreis gerissen wurden und sich in einen neuen kulturellen Kontext mit seinen spezifischen Traditionen einfinden mussten. Heute ist die hybride Identität eine Begleiterscheinung der mobilen Gesellschaft. Personen mit hybriden Identitäten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich in einem permanenten Übersetzungsmoment zwischen mehreren Kulturen befinden. Ohne ihre eigenen Traditionen zu verlieren, passen sie sich ihrem neuen Wohnort an. Laut Hall sei diese Form des Synkretismus (die Verschmelzung von kulturellen Traditionen) eine kreative Quelle, die stärker sei als überkommene nationale Identitäten. Das Verständnis von Identität und der Diskurs über Identität ist eng mit den jeweils zeitgenössischen Entwicklungen verwoben und wurde immer dann vermehrt geführt, wenn Umbrüche stattfanden. Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen wie etwa erhöhte Mobilität, ein sich wandelnder Arbeitsmarkt und dessen Berufsbilder und Bildungssituationen, neue Geschlechterverhältnisse und Familienstrukturen, Flüchtlingsströme und eine allgemeine Tendenz zu Enttraditionalisierung verrückten das identitätsbildende Selbstverständnis der Moderne. Deshalb sind identitätskonstruierende Praktiken auch heute wieder hoch relevant. Dieses Plädoyer geht besonders auf die Landschaftspraktiken näher ein, da sie alle Aspekte (Flächen, räumliche Schnitte und körperliche Wahrnehmung) im Raum vereinen und somit in den Kanon an stadt- und regionalplanerischen Werkzeugen aufgenommen werden sollten (Kaps, 2018a; Kaps, 2018b). Um sie zu überprüfen, zu vertiefen und sie um den Aspekt der Inszenierung zu erweitern, betten wir sie im nächsten Kapitel historisch ein. Wir öffnen also die Geschichte des Landschaftsverständnisses und ihrer Inszenierungsmomente seit der Renaissance.


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4 DIE ENTWICKLUNG DES LANDSCHAFTSBEGRIFFS SEIT DER RENAISSANCE

Landschaftswahrnehmung und Landschaftsgestaltung unterliegen einem steten Wandel. Mit dem Blick der Renaissance auf die direkte Lebenswirklichkeit des Menschen erhält die Landschaft, ihre Nutzung und Gestaltung erstmals in nachantiker Zeit wieder einen wichtigen Stellenwert als solche und im Hinblick auf die Architektur. Davon ausgehend untersuchten wir in der folgenden historischen Studie die ästhetischen Mechanismen und gesellschaftlichen Inszenierungsmodi von Landschaft bis in unsere Gegenwart, um herauszufinden, wie sich das Verständnis von und der Begriff Landschaft seit der Renaissance entwickelt hat. Der Fokus dieser historischen Analyse liegt auf der Wahrnehmung und Inszenierung von Landschaft aus Sicht der Architektur und Raumentwicklung. Welche inszenatorischen Mittel sind zu erkennen? Wie können diese auf den heutigen Kontext übertragen werden? Landschaftsgestaltung ist oftmals direkter Ausdruck von politischen, gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen, aber gleichzeitig im Rückgriff auf den Urgarten, das Paradies, auch immer gelebte Utopie. Ziel ist es somit nicht, die Geschichte der Landschaftsarchitektur bzw. die Geschichte von Garten und Bau nachzuerzählen, sondern Momente in den Blick zu nehmen, die Landschaft unter neuen Topoi betrachten. In der historischen Analyse treten dabei drei Perspektiven besonders hervor, die unsere Wahrnehmung von Landschaft und Raum besonders prägen: 1. Die Landschaft als Ort der Freizeit und Erholung; 2. Die Landschaft als politisches Instrumentarium; 3. Die Verschiebung des Blicks auf die Landschaft über die Zeit.


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PERSPEKTIVE 1: Landschaft als Ort der Freizeit und Erholung Landschaft unterliegt zahlreichen Konnotationen, die ihrerseits durch verschiedene Inszenierungsmodi getragen werden. Insbesondere die Auffassung von Landschaft als einem Ort der Erholung und Freizeit ist reich an beidem: an Bedeutungszuschreibungen und Umsetzungs-/ Übersetzungsvarianten in den Raum. ‚Freizeit‘ ist ein ahistorischer Begriff. Das Kompositum aus ‚frei‘ und ‚Zeit‘ lässt sich erstmals im Werk des Reformpädagogen und Kindergarten-Initianten Friedrich Fröbel 1823 fassen und etablierte sich erst im Kaiserreich als Pendant zur Arbeitszeit in der Alltagssprache. Karl Marx thematisierte Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls die „freie Zeit“. Sie sei eine Zeit für die „Entwicklung des Individuums“, das dadurch „in ein andres Subjekt verwandelt“ werde (Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, posthum 1905– 1910 veröffentlicht). Diese „temporäre Verwandlung des Menschen hat durchaus eine anthropologische Dimension. Die befreite und befreiende Wandlung fügt sich nahtlos in die lange, womöglich allen Kulturen eigene Tradition der ‚Auszeit‘, in die Tradition der Abtrennung des Besonderen vom Gewöhnlichen, der Musse von der Arbeit, des Spiels vom Ernst, des Rausches von der Nüchternheit, des Heiligen vom Profanen“, so der Historiker und Soziologe Hasso Spode (2006, S. 18). Bescherte eine Kaskade von religiösen Feiertagen über Jahrhunderte den Menschen vom Mittelalter bis zur Säkularisation eine Auszeit vom beschwerlichen Alltag, so war den Oberschichten die Musse als edle Form der Freizeit schon seit der Antike geläufig. Aristoteles schrieb in seiner „Nikomachischen Ethik“: „Wir arbeiten, um Muße zu haben“ (Aristoteles, EN X, 7, 1177 b 5). Doch diese Freizeit sollte nicht rein für das individuelle Vergnügen genutzt, sondern zum Wohle des Staats eingesetzt werden. Cicero prägte beispielsweise den Begriff otium cum dignitate, die mit wissenschaftlicher Betätigung und philosophischem Diskurs gefüllte Auszeit, die gerne in Gesellschaft, fernab der Stadt verbracht wurde (Cicero, De Oratore I, 1f.). Diese Vorstellung einer charakterbildenden und für den denkenden und handelnden Menschen notwendigen Studier-, Kontemplations- und Erholungszeit fand v.a. in der Renaissance grossen Anklang. Und sie erhielt – wie in der Antike – auch wieder einen Ort: die Villa. Die Villa befindet sich stets als Pendant zum Palazzo in der Stadt, auf dem Land. Plinius der Jüngere beschrieb im 1. Jahrhundert n. Chr. eine seiner Villen, jene in Laurentum an der Küste des Tyrrhenisches Meers, nicht nur eingehend (Plinius d. J., Brief an Gallus), sondern verweist eingangs explizit


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darauf, dass sie nur 17 Meilen von Rom entfernt liege und damit nach getaner Arbeit leicht per Pferd von Rom aus zu erreichen sei. Voraussetzung für einen solchen Naherholungsring an Villen der Oberschicht um die Städte der Antike, wie dann auch der Renaissance, ist die Sicherung des Territoriums. Erst in dem Moment, in dem das Reisen bzw. der Ritt vom Senat in Rom an die Küste bei Ostia relativ gefahrlos möglich ist, wird der Besitz einer solchen Villa auf dem Land attraktiv. Mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches und seines Ordnungs-, Strassen- und Rechtsraums ab dem 4. Jahrhundert nach Christus wurde das

Abbildung 7: Ausschnitt aus dem Fresko Buon Governo von Ambrogio Lorenzetti, Palazzo Pubblico, Siena 1338/39


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Reisen über Land allerdings brandgefährlich. Stadtmauern boten Schutz und Sicherheit, ein Burgensystem suchte im Mittelalter zwar Verkehrswege zu schützen und das Land zu überwachen, doch wer nicht reisen musste, unterliess dies für Jahrhunderte. Die offene Landschaft, die Wälder Mitteleuropas, die Alpen als natürliche Grenze zwischen Norden und Süden, die Meere mit ihren Küsten, sie alle waren keine Orte der Musse und Erholung, sondern ein meist rechts- und damit justizfreier Raum. Überfälle waren an der Tagesordnung und eine Reise aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen oder gar eine Pilgerfahrt, z.B. ins Heilige Land, stellten mit die gefährlichsten Unternehmungen dar, die das Mittelalter zu bieten hatte. Kontrolle, Rechtssicherheit und Frieden über das Land zu bringen, blieb für Jahrhunderte die grosse politische Herausforderung: Die Kaiser des Mittelalters verbrachten zur Sicherung ihrer Herrschaft ihr Leben im Sattel. Ihr Reich musste ständig über ihre Präsenz neu gesichert und ihre Macht bestätigt werden. Erst das Erstarken der Städte ab dem 13. Jahrhundert und das Ausgreifen ihrer Jurisprudenz auf den sie umgebenden Raum und die damit einhergehende Sicherung des Territoriums machten das Reisen und Leben auf dem Land gefahrloser und damit attraktiv. Ein prägnantes Beispiel für diesen Prozess ist die Stadtrepublik Siena in der Toskana: Die Gesetzgebung von Siena und ihre Kodifizierung gehen auf das 12. Jahrhundert zurück, als die Bewohner der Stadt sich in einem neuen politischen Verband – der Kommune – zusammenschlossen und begannen, die Ausübung von Herrschaft sowie die Wahrung von Frieden und Recht auf die Übereinkunft der Gemeinschaft zu gründen. 1334 entschied sich die Kommune von Siena zu einer Verfassungsrevision, die Teil einer vollständigen Neuordnung der rechtlichen Grundlagen war. Hand in Hand mit der Ausgestaltung der inneren Ordnung und einer grösseren Machtteilung ging der Aufbau eines Staatsgebiets und die Ausdehnung der Verfassung auch auf das Territorium, das dank erfolgreicher Unterwerfungen stark angewachsen war. So zählte die Stadt Siena im 14. Jahrhundert 50.000 Einwohner und der Sieneser contado, also das zur Stadt gehörige Umland, rund 100.000 weitere Menschen (Schmidt, 2003, S. 9). Der Einfluss der Regierung über Stadt und Land wurde 1338/39 eindrücklich im Freskenpaar der Guten und Schlechten Regierung im Palazzo Pubblico in Siena von Ambrogio Lorenzettis wiedergegeben. Die hervorragenden Verhältnisse in Siena sieht der Betrachtende bis heute im Fresko des Buon Governo (Abb. 7), der guten Regierung, porträtiert. Nicht nur Wirtschaft,


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gesellschaftliches Leben und die Architektur erstrahlen und gedeihen, sondern auch das umgebende Territorium, der contado, ist in dieser zu den ersten Landschaftsdarstellungen seit der Antike zählenden Darstellungen, mitabgebildet: Ein adeliges Paar reitet fröhlich zur Jagd. Das fruchtbare, von Wasserläufen durchzogene Land wird von Hügeln begrenzt, die mit Wein, Oliven, Zypressen und Steineichen bewachsen sind. Im Hintergrund steigen die sanft gewellten Hügellinien zu rauen Bergketten an. Am Horizont bricht ein Meeresarm in die Landschaft ein, an dem die Stadt Talamone liegt. Damit werden die realen Grenzen des Sieneser Herrschaftsgebiets umschrieben. Verstreut auf den Bergkuppen liegen Burgen und Festungen, während man in der sanften Hügellandschaft und in der Ebene einfache Streusiedlungen, luxuriöse Landvillen, Kirchen und Dörfer erblickt. Über dieser Welt, die sich hier vor unseren Augen bis ins kleinste Detail entfaltet, schwebt die Personifikation der Sicherheit (securitas). Es ist jenes dargestellte sichere Territorium, in dem Verbrechen geahndet wird und die landwirtschaftliche Produktion intensiv und unbeschadet betrieben werden kann, Ordensmänner und Familien leicht und gefahrlos auf guten Strassen reisen können und die Falkenjagd der Oberschicht zum Vergnügen gereicht, mit der sich die Stadtstaaten des 14. und 15. Jahrhunderts identifizieren und das den Boden für eine reiche Villenkultur bereitet. Das gegenüberliegende Fresko des Mal Governo, der schlechten Regierung, zeigt antithetisch Zerfall, Verwüstung und Tod. Im realen Leben wird somit die städtische Oberschicht ‚peu à peu‘ zu einer ländlichen: Sie greift ins Territorium aus und kauft militärisch nicht mehr benötigte Wehranlagen auf, die in politischer Bedrängnis auch jederzeit in Fluchtburgen umfunktioniert werden können, und gestaltete sie zu Landsitzen mit ausgedehnter Landwirtschaft um. Der Geschäftsmann aus der Stadt wird so auch Grossgrundbesitzer: Bereits 1305 verfasste Petrus de Crescentiis sein "Liber ruralium comodorum". Dieses erste nachantike Werk zur Agrikultur unterrichtete die neuen Landbesitzer über Landwirtschaft und Pflanzenkunde. Dass sich die neuen Villeneigentümer diese Ratschläge zu Herzen nahmen, zeigt der Umstand, dass der berühmte Cosimo de’ Medici in seinen Villen selbst die Reben schnitt und pfropfte und die Sprache der Landbevölkerung beherrschte. „Er konnte mit ihnen sprechen, als habe er nie etwas anderes betrieben als ein Bauernhof“, so der Cosimo-Zeitgenosse Vespasiano da Bisticci (1914, S. 48). Die Grossgrundbesitzer liessen ihre Ländereien in einem Halbpachtsystem, der sog. mezzadria, bewirtschaften. Die daraus resultierende intensive Nutzung von Grund und Boden führte zur Anlage von


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Terrassen und die Kleinteiligkeit unterschiedlicher Nutzformen prägt bis heute das Landschaftsbild der Toskana (Bertsch, 2012, S. 29). Die so erreichte Lebensmittelautarkie und der nachhaltige Fluchtburgcharakter der ersten Villen rund um die toskanischen Kommunen wie Siena und vor allem Florenz garantierten auch einen optimalen Rückzugsort im Seuchenfall (Hentschel, 2021). Erste botanische Sammlungen entstehen, z.B. in Florenz und markieren ein wachsendes wissenschaftliches Interesse an Flora und Fauna. Die Kartografie und Vermessung des Landes führt zu neuen visuellen Gewohnheiten wie u.a. die imposante Galleria delle Carte Geografiche im Vatikan von 1580–85 belegt. Der neue, veränderte Blick auf die Welt führt aber auch zu einer neuen Architektur unter dem Aspekt des Blicks, beziehungsweise des perspektivischen Ausblicks. Biagio Pelacani definierte im späten 14. Jahrhundert eine neue Sehtheorie des mathematischen Raumes, die in Florenz im frühen 15. Jahrhundert von Filippo Brunelleschi und Leon Battista Alberti zur Bildtheorie der linearen Perspektive erweitert wurde (siehe u.a. Belting, 2009, S. 144ff.). Die Welt, der Raum, wird ab dem 15. Jahrhundert neu wahrgenommen und neu genutzt. Die Blickverschiebung der Renaissance auf das Diesseits, die Fokussierung auf den Menschen und seinen Aktionsradius, stellt neue Fragen an die Welt und eröffnet neue Möglichkeiten. Das Fenster, der gerahmte Ausblick, lässt erstmals in der Neuzeit, die Landschaft als Bild erscheinen. Die neugewonnene Kontrolle über das Territorium findet Eingang in die architektonische Gestaltung der Villen. Zunächst über Umbauten wie beispielsweise in Careggi, der Lieblingsvilla von Cosimo de’ Medici, der hierher kam, um – wie er in einem Brief um 1460 an den Philosophen Marsilio Ficino schrieb – dezidiert seine „Seele zu pflegen“ (Ross, 1910, S. 73). 1417 hatte bereits Cosimo de’ Medicis Vater diese alte Wehranlage nördlich von Florenz erworben. Der Hausarchitekt der Medici, Michelozzo (1396– 1472) beliess den wehrhaften Charakter des Baus, doch nehmen die Zinnen und Wehrmauern dank des Umbaus einen zitathaften Charakter an: Ab den 1450er Jahren öffnete Michelozzo den Bau mit einer grossen Loggia Richtung Florenz (Abb. 8). Insbesondere das zart ausfreskierte Belvedere über der Gartenloggia nimmt die neuen Zeittendenzen einer an der Antike orientierten Architektursprache auf. Schlanke dorische Säulen öffnen den hybriden Raum zwischen Innen und Aussen mit einer Kolonnade gen Stadt. Optisch wird so


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– als Interessens- und Aktionsfeld der Medici – Florenz mit seiner alles überragenden Domkuppel und sein Umland auf die Villa bezogen, quasi das Territorium der ambitionierten Familie visuell markiert. Die Loggia als städtisches Element der Repräsentation und des öffentlichen Diskurses dient im ländlichen Kontext nun zum Ausblick über die Natur. Auf den neuen Musse- und Erholungscharakter des Baus verweisen ebenso die Fensterrahmungen. Hier finden sich die ersten Beispiele des ungeteiltrechteckigen Fensters an prominenter Stelle, welches für die Geschichte des Ausblicks entscheidende Bedeutung hat. Die Nutzung von Fenstern für die Inszenierung von Ausblicken wird bereits bei Plinius erwähnt. Alberti definiert

Abbildung 8: Gartenfassade der Villa Medici in Careggi


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erstmals in seiner Schrift „Della pittura“ das neue Gemälde als Illusion eines architektonisch rechteckig gerahmten Fensterausblicks. Gerd Blum (2008, S. 77) spricht im Zusammenhang mit der Einführung des Rechteckfensters von einem der „zentralen Wahrnehmungsdiapositive der Moderne“. Entsprechend des mediceischen Prinzips des Zeigens und Verbergens in der auf politisches Gleichgewicht angewiesenen Stadtrepublik Florenz, transportiert die Villa ihre machtpolitischen Inhalte verhalten. Ziel ist es vielmehr einen intellektuellen Kosmos aufzuspannen, der die Villa als neuen arkadischen Ort markiert. Sie formuliert den Übergangsmoment von der befestigten Villa rustica zur Villa als locus amoenus, zu einem Ort der Erholung und des intellektuellen Gesprächs. Unter Cosimo und in der Folge unter seinem Sohn Piero sowie des Enkels Lorenzo wurde Careggi zu einem Zentrum des Humanismus. Lebensstil wurde hier Ausdruck eines neuen Denkstils und vice versa. Musse und Kunstgenuss auf dem Land Gemeinsam mit den Intellektuellen ihrer Zeit reflektierten die Medici in ihren Villen über ein gelingendes Leben und die beste Staatsführung. Cosimo de’ Medici schenkte z.B. dem führenden Florentiner Humanisten, Philosophen und Arzt Marsilio Ficino gar 1463 ein Landhaus in Careggi, um ihn immer in seiner Nähe zu wissen. So verdichtete sich die Villa über Jahrhunderte zu einem idealen Ort des Gedankenaustausches und der Kunstbetrachtung in arkadischer Umgebung. Architektur, Malerei, die Skulpturenausstattung sowie eine reiche Bibliothek spiegeln ihrerseits den geistigen Kosmos des Besitzers wider, genauso wie der unmittelbar an den Villenbau anschliessende Ziergarten. Diese Gartenzone grenzt die Villa von der agrikulturell genutzten Wirtschaftsfläche ab und bildet analog zu den Loggien und Belvederen eine Übergangssequenz zwischen Landschaft und Bau. Diese Gärten der Renaissance waren immer auf die Architektur bezogen. Sie beherbergten erste botanische Sammlungen. Alessandro Braccesi verglich 1480 in einem Brief an Pietro Bembo die Gärten von Careggi gar mit jenen der antiken Welt (Burckhardt, 2009, S. 272). Die antike Architektursprache in Form einer umfassenden Aneignung durch die Renaissance fand allerdings erst in der späteren Medici-Villa in Poggio a Caiano zu einer ersten Durchformulierung eines gesamten Neubaus. Diese Villa des Architekten Giuliano da Sangallo, mit ihrem prägenden Tempelmotiv über hohem Sockelgeschoss, die Landschaft weit überblickend, bildete um 1520 einen neuen Prototyp, der vor allem im Veneto des 16. Jahrhunderts


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reiche Nachfolge zeitigte. Andrea Palladio gelang es mit immer neuen Variationen dieses antikisierenden Villentypus eine ebenso auf politisches Gleichgewicht wie Repräsentation und Erholung in kulturell hochstehendem Ambiente bedachte venezianische Oberschicht zu begeistern. Dank der Publikation seiner Werke in der Schrift „I quattro libri dell'architettura“ (1570) fanden Palladios Villenkonzepte (Abb. 9) vor allem im England der Aufklärung und den jungen USA eine reiche Nachfolge (vgl. Oechslin, 2008).

Abbildung 9: Andrea Palladio, Villa Barbaro in Maser, 1554–1558


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Entscheidend bleibt: Die Medici-Villen wollten stets mehr sein als Orte der landwirtschaftlichen Produktion oder der Erholung. Ziel der Familie und ihrer Architekten war es immer, ganze Kulturräume zu schaffen, die Innen und Aussen, Bau und Territorium, Erholung und Machtanspruch, philosophischen Diskurs mit Kunst und Kennerschaft verbanden. Dies macht sicherlich bis heute die Attraktivität dieser Villenidee aus. Die Villa wurde in der Toskana rasch zu einem Massenphänomen: Über 600 Villen und villenartige Gebäude zählte man in der Renaissance allein in der näheren Umgebung von Florenz. Als Pendant zum Palazzo in der Stadt investierten auch weniger vermögende Florentiner wie Apotheker, reiche Handwerker und erfolgreiche Künstler in eine Bleibe auf dem Land. Durch die villeggiatura, den mehrmonatigen Aufenthalt der neuen Villenbesitzer und ihrer Familien auf dem Land, formten die Städter die Landschaft der Toskana und anderswo nachhaltig. Repräsentationsansprüche und ein neues erweitertes Statusdenken kamen hinzu. Ebenso bildete die Villa die wirtschaftliche Basis des umfangreichen Bankensystems. Laut Leon Battista Alberti könne man dank der Villa die Enge der Städte verlassen, ohne deren Vorzüge aufzugeben. Alberti versteht die Villen als Bauten mit doppelter Persönlichkeit, grosszügig in Komfort und Würde (Bertsch, 2012, S. 33). Villa und Garten werden daher auch gerne als Zeichen bürgerlich-republikanischer Freiheiten, als Ausdruck einer Kultur der bürgerlichen Emanzipation verstanden und in der Tat war es hier eine neue, wirtschaftlich wie politisch prominente Schicht, die in den Villen einen Lebensstil entwarf, der in seiner Grundfiguration bis in unser Heute hinüberreicht. Antithetisch führte die Renaissance auch eine moralische Bewertung von Stadt und Land ein, die einen ebenso langen Atem entfalten sollte. So betonte schon Villani die reine Luft, die schöne landschaftliche Umgebung, das klare Wasser und die bezaubernde Aussicht. Die Villa sei ein Ort, wo „alles gesund und gut ist“ (Villani, 1991, Buch XI, S. 93). Barocke Festkultur Dieses duale Wohnprinzip der toskanischen Wirtschaftseliten, und in kleinerem Massstab der städtischen Bürger, übernahm in den folgenden Jahrhunderten auch der Adel und hohe Klerus. Beide Stände hatten zwar in den potenten Stadtrepubliken Mittelitaliens keinen grossen Einfluss, jedoch im übrigen Europa. Mit der Anlage des Schlosses von Versailles und seinen Garten- und Parkanlagen (Abb. 10) erreichte der gestaltete Naturraum als Ort von Freizeit und Erholung


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eine neue inszenatorische Klimax. Unter dem französischen König Ludwig XIV., der selbst einen Gartenführer für die Anlage in mehreren Ausgaben verfasste (Louis XIV, 1992 [1697]; Stobbe, 2012, S. 375f.), wurde in einem gewaltigen gottgleichen Schöpfungsakt eine trockene Ebene südwestlich von Paris in eine durchstrukturierte Ideallandschaft mit einer Vielzahl von Lust- und Festarchitekturen verwandelt: Den Übergang vom Schloss- zum Gartenbereich bilden Parterres, die durch ihre niedrige Bepflanzung den Blick auf das Gebäude gewähren und durch ihre ornamentale Anordnung die Motive der Baudekoration wiederholen. Vor dem Nord- und dem Südflügel des Schlosses befinden sich prächtige Broderieparterres, das Parterre du Nord und das Parterre du Midi, die mit Blumenrocailles, zahlreichen Prunkvasen und Statuen dekoriert sind. Dem Corps de Logis sind zwei grosse Wasserbecken vorgelagert, das sogenannte Parterre d’Eau. In den fünfzehn Bosketten wiederholen sich die Säle des Schlossinneren im Freien: Hier sind mit gärtnerischen Mitteln Salons zwischen Hecken und Bäumen eingerichtet, die man ebenfalls mit Skulpturen, Springbrunnen und kunstvoll beschnittenen Pflanzen ausstaffierte. Zu den bekanntesten Gartenarchitekturen Frankreichs gehören die von Jules Hardouin-Mansart (1646–1708) entworfene kreisrunde, mit dutzenden Springbrunnen verzierte Kolonnade, die Salle de Bal (der Ballsaal) wie auch das grosse, heute nicht mehr existente Gartenlabyrinth von Versailles. Das Zentrum des Petit Parcs bildet der aus mehreren Treppenstufen bestehende Brunnen der Latona. Von dort führt die Königliche Allee mit dem so genannten Grünen Teppich in Richtung des Apollo-Brunnens, aus welchem der goldene Sonnengott symbolisch in Richtung des Königs emporsteigt. Hinter diesem Bassin beginnt der kreuzförmige Grand Canal, der den Park optisch in die Ferne verlängert. Zur Zeit des Ancien Régime wurde die Wasserfläche mit venezianischen Gondeln samt italienischer Gondolieri befahren, für die eigens ein kleines Wohnareal namens Petit Venise, Klein Venedig, geschaffen wurde. Sogar der Nachbau eines Kriegsschiffs lag dort vor Anker. Am Südarm des Kanals befand sich eine grosse Menagerie. Ludwig XIV. hielt dort von 1668 bis 1681 unter anderem einen afrikanischen Elefanten. Die gewaltigen Springbrunnen und Wasserspiele, betrieben durch Machine de Marly, einer Schöpf- und Pumpanlage, die mit den Ingenieursbauten der Römer konkurrierte, liessen die ehemals trockene Ebene zu einem sensationsreichen Garten Eden werden (vgl. Eckert, 2020). Zeitweilig arbeiteten bis zu 30.000 Menschen nur an der Umleitung eines nahe gelegenen Flusses.


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Komplettiert wurde diese Abfolge von Wundern durch eine reiche Festkultur, die den Alltag in Versailles bestimmte. Feuerwerke, Bankette und Maskenbälle als ephemere Ereignisse verwandelten den Park in eine heterotope Welt fernab von Politik und Arbeit (vgl. Schuh, 2001). Das Spiel, das Theater und das vom König ungemein geschätzte und auch in personam betriebene Ballett fanden ebenfalls realiter Eingang in die Gartenkultur. Alle Pflanzengattungen, vom Grashalm über die Blumenbeete und Boskette bis hin zum vermeintlich wilden Jagdwald wurden in die Inszenierung des Sonnenkönigs miteinbezogen. Politisches Kalkül und machtpolitische Kontrolle bildeten den noch zu diskutierenden Subtext von

Abbildung 10: Parterre du Midi, Schloss und Park von Versailles, ab 1667


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Park und Schloss, jener Villa XXL sozusagen, die ab 1682 den Louvre als offiziellen Regierungssitz des Königs ablöste. Die auf Feier- und Festlichkeiten, Überraschungsmomente und schiere Überwältigung abzielende Gartenkultur von Versailles fand reiche Nachfolge im europäischen Adel. Im Auftrag des preussischen Königs Friedrich II. entstand ab 1745 nach Plänen von Knobelsdorff, Unger und Gontard das Schloss Sanssouci in Potsdam bei Berlin. Hier ist nicht der Name Programm, sondern das Programm Name: ohne Sorgen, sollte dieser Ort der Unterhaltung, des spektakulären Müssiggangs sein – weit enthoben von den Amtsgeschäften des Monarchen und noch viel weiter entfernt von den Nöten der einfachen Bevölkerung (Buttlar, 2012). Marie Antoinette trieb diese Weltvergessenheit mit der Anlage ihres fiktiven Bauerndorfs Hameau de la Reine auf die Spitze. Im Norden des Parks von Versailles liess die Königin zwischen 1783 und 1788 einen Weiler von Richard Mique anlegen, der mit Staffagepersonal und Tieren ausgestattet, ihr und ihrem Hofstaat als Refugium innerhalb der Parallelwelt von Versailles diente, um in einfacher Kleidung ein vermeintliches bäuerliches Idyll zu imaginieren. Fraglos reicht der geistige Bogen von den barocken Parkanlagen von Versailles und Sanssouci bis zu den Erlebnis- und Vergnügungsparks des 20. Jahrhunderts. So scheint es auch keine Laune des Zufalls zu sein, dass sich Disneyland Paris genau vis-á-vis von Schloss Versailles und seinen Parkanlagen auf der anderen Seite von Paris befindet. Country Party In klarer Opposition zu den grünen Scheinwelten des Barocks propagierten anti-absolutistische Kräfte im England des 18. Jahrhunderts eine neue, freiere Form des Parks. Die „Bill of Rights“ aus dem Jahr 1689 regelte neu und fundamental die Rechte des englischen Parlaments gegenüber dem Königtum. Einer absolutistischen Monarchie wie in Frankreich wurde so in England der rechtliche Boden entzogen. Konsens und parlamentarische Kontrolle wurden Voraussetzung und gleichsam Produkt aufklärerischer Tendenzen (siehe ausführlich in Perspektive 2: Landschaft als politisches Instrumentarium). Fernab der Stadt, vor allem fernab von London, wurde die Einheit von vernunftsgesteuertem Geist und zukunftsgewandter Utopie in den Landschaftsgarten verlegt. Politische Tätigkeit und Landschaftsgestaltung wurden eins und werteten bis heute in England, und in der Folge auch in den USA, das Leben auf dem Land gegenüber dem ‚moralisch verwerflichen‘ Leben


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in der Stadt nachhaltig auf. Indem die Diskrepanz zwischen Macht und Moral – zwischen Sein und Sollen – auf die Pole Stadt und Land übertragen wurde, gewann der Garten als symbolischer Ort neuen hochpolitischen Sinn. Das Leben auf dem gesund-bäuerlichen Land im Gegensatz zur Verderbtheit der Stadt wurde ein viel gebrauchter Topos, der erstmals bei dem antiken Dichter Horaz auftaucht und den u.a. wie bereits erwähnt Giovanni Villani im 14. Jahrhundert wirkungsmächtig heraufbeschwor. Viele aufgeklärte Gartenbesitzer bzw. Gartengestalter sahen ihre politischen Ideale somit nur jenseits der Stadt in ihren Landschaftsparks verwirklicht und schlossen sich symptomatisch zur oppositionellen Country Party, zur Landpartei, zusammen. In diese moralisch-politische Konnotation von Landschaft spielten Vorstellungen eines vor- oder überzeitlichen Arkadiens hinein: ein einfaches, vermeintlich apolitisches Dasein als schlichte Schäfer in unberührter Natur. Diese Sehnsucht nach einem im Gleichgewicht mit sich selbst befindlichen Urzustand der Welt fand in der zeitgenössischen Landschaftsmalerei eines Nicolas Poussin oder Claude Lorrain eine wirkungsmächtige visuelle Umsetzung: Diese Gemälde wurden von Landschaftsarchitekten in den realen Raum der englischen Grossgrundbesitze übertragen. Doch welchen Freizeitwert hatten diese enormen Bild- und Staffagebauten reichen Anlagen? Sind sie nur ein gebautes politisches wie intellektuelles Statement? Ein inszenatorisches Abbild der moralisch-politischen Überzeugungen ihrer Besitzer? Diese naheliegende Lesart wird durch den Umstand unterstrichen, dass hier viele umfassend gebildete Eigner und politische Denker selbst zu Gartenarchitekten ihrer Anlagen wurden. Die Figur des Richard Boyle, dem Dritten Grafen von Burlington, ist hierfür symptomatisch, der als Dilettantenarchitekt persönlich für seine Anlage von Chiswick House and Gardens (Abb. 11) in enger Anlehnung an Palladios Villen des 16. Jahrhunderts tätig wurde und im Zuge dessen das Talent des ehemaligen Kutschenmalers William Kent (1685–1748) erkannte: Kent komponierte im Zusammenspiel mit Boyle erstmals Gartenszenen nach den Regeln der Landschaftsmalerei mit Massen, Zwischenräumen, Farbe, Licht und Schatten sowie den das Gesamtbild rahmenden Repoussoirs (Harris, 1994; Barnard & Clark, 1995). Die Inszenierung der Landschaft als vermeintlich wilde, jedoch fein komponierte Natur erreichte mit Kent und später mit Capability (Lancelot) Brown und William Chambers einen Höhepunkt (Buttlar, 1989, S. 21–80). Immer neue Blickwinkel auf die dargebotene Welt stellen den Betrachter in einen immer neuen Zusammenhang mit ihr.


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Die Gartengestaltung als Freizeitbeschäftigung nahezu aller Schichten nimmt bis heute in Grossbritannien einen wichtigen Platz ein. Neben dieser ‚weltgestaltenden‘ Beschäftigung des Gärtners hielt man sich jedoch nach wie vor an den alten aristokratischen Kanon der noblen Freizeitgestaltung: Jagden, Picknicke, Ausfahrten, Besuche und Feste bestimmten die Auszeit auf dem Land, im besten Falle das gesamte Leben auf dem Land. Damit unterschieden sich die Anlagen der (englischen) Aufklärung optisch wie politisch zwar stark von jenen des Absolutismus, in ihrer Nutzung bzw. Bespielung lagen sie jedoch nah beieinander.

Abbildung 11: John Rocque, Gestochener Plan des Gartens und Ansicht der Häuser von Chiswick, 1736


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Dies änderte sich erst radikal und nachhaltig durch eine verbreiterte Adressatenschicht von Garten und Landschaft im 19. Jahrhundert. Spaziergang im Volksgarten "Spazierengehen können nur Stadtleute", behauptet eine Redewendung und resümiert damit vortrefflich den Unterschied zwischen Fussreisen, Markt- und Botengängen, also dem ständig notwendigen, zielgerichteten Gehen unterer Schichten in Stadt und Land, und dem zweckfreien Lustwandeln der Bürger. Um die Natur romantisch geniessen zu können, muss man von ihr distanziert sein. Und man braucht Musse. Die hatte zwar die Aristokratie noch weit mehr, aber ein rigides Standesdenken zwang den Adel in Kutschen und gestattete ihm nur Spazierfahrten oder Ausritte, wenn man vom gezierten Promenieren in ihren abgeriegelten Parks absah. So erweist sich eine scheinbar so ‚natürliche‘ Sache wie der Spaziergang, die Freizeitbeschäftigung par excellence, als kulturelle Errungenschaft, die sich erst im ausgehenden 18. Jahrhundert herausbildete. Voraussetzung für die neue Liebe zum Gehen war ein gewandeltes Verhältnis zur Natur, die im Gefolge Rousseau’scher Ideen diese nicht mehr als bedrohlich, sondern als bewundernswert empfand. Die Genese und Ausübung des alltäglichen, geselligen Spaziergangs selbstbewusster Bürger, die zu Fuss gehen, obschon sie sich Pferd oder Kutsche leisten konnten, um die Gleichheit ihres Standes zu demonstrieren und um sich vom Adel abzuheben, ist somit beides: genussvolle Freizeitbeschäftigung und ein klares politisches Statement. Die Französische Revolution von 1789 liess die absolutistischen Herrscher Europas erzittern. Darunter auch den bayerischen Kurfürsten Karl Theodor, der sich bei aller Liberalität durchaus noch als absolutistischer Herrscher verstand. Anstelle geplanter Schrebergärten für das Militär, unterschrieb der Kurfürst am 13. August 1789 ein Dekret zur Anlage eines Volksparks, dem so genannten Englischen Gartens in München (Abb. 12), dass „diese schönste Anlage der Natur dem Publikum in ihren Erholungsstunden nicht länger vorzuenthalten“ (Freyberg, 1989a, S. 83) sei. Der Park sollte öffentliche Spaziergänge im Rahmen eines allgemeinen englischen Landschaftsgartens ermöglichen, doch anders als die bisherigen aristokratischen Parkanlagen Europas, nicht nur ihren Besitzern und deren Gästen, sondern allen Münchnerinnen und Münchnern offenstehen. Eingeflüstert hatte dem Kurfürsten dieses unglaubliche soziale Stabilisierungsprojekt eines gigantischen öffentlichen Parks auf den


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Schwemmwiesen der Isar wohl Sir Benjamin Thompson, Graf von Rumford. Der gebürtige Amerikaner war seit 1784 Leibadjutant, Militärorganisator, Physiker, Minister und Sozialreformer in München, der mit untrüglichem politischem Gespür verstand, was die Stunde auch in Bayern geschlagen hatte. Als künstlerischer Berater und Gartenarchitekt wurde Friedrich Ludwig von Sckell Anfang August 1789 hinzugezogen, der mit einem eigens von ihm erfundenen Holzstecken in die Natur zeichnete. „Die Natur selbst ist der erste Weg“, so Sckell (Lehner, 1989). Durch den Bau des Isardamms konnte die häufig überschwemmte Auenlandschaft zwischen den ab 1790 niedergelegten Stadtbefestigungen

Abbildung 12: Plan des Englischen Gartens in München, 1806


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und dem Dorf Schwabing entwässert werden. Tausende von hochgewachsenen Bäumen aus den Baumschulen von Freising, Biburg und Schwetzingen wurden angepflanzt und Sichtschneisen gerodet. Dabei wurde die natürliche Gliederung des ehemaligen herzoglichen Jagdreviers in vier immer ländlicher werdende Abschnitte gegliedert. Diese Staffelung nimmt das im späteren 19. Jahrhundert systematisierte Prinzip der Zonierung vorweg. Die spätere städtebauliche Idee wurde hier im Englischen Garten vorexerziert. Aufgrund der kritischen politischen Situation in ganz Europa trieb man die Arbeiten am Park mit Eile voran. Es wurde sogar nachts bei künstlicher Beleuchtung am Park gearbeitet. Mit dem Erfolg, dass bereits im Mai 1790 eine Besichtigungsfahrt des Kurfürsten stattfinden konnte. Wenig später waren auch die wichtigsten architektonischen Akzente fertiggestellt wie der Chinesische Turm nach dem Vorbild der Pagode der Königlichen Londoner Kew Gardens. Der Englische Garten, das Geschenk an die Münchner, das auf politische Akzeptanz des Status quo abzielte, verband äusserst attraktiv die Möglichkeit der Enge und dem Schmutz der Stadt zu entfliehen und sich körperlich in der Natur zu betätigen mit dem Bildungsangebot der Denkmäler und Staffagearchitekturen und nicht zuletzt, dem Vergnügungsangebot der Biergärten. Der Englische Garten, das erste demokratische Grün auf den Kontinent, verhalf den „Spaziergang als kulturelle Praktik“ (König, 1996, S. 207ff.) für das Bürgertum zu etablieren bzw. ihn für sich als Freizeitgestaltung zu vereinnahmen. „Der Familienspaziergang als erinnerte Erlebniskategorie ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Seine Paten sind die Entdeckung der Kindheit mit der Intimisierung von Familienbeziehungen einerseits und die Öffentlichkeit von Familienbeziehungen andererseits“ (ebd., S. 224). Das gesellschaftliche ‚Sehen und Gesehen werden‘ wurde in den grosszügigen inszenierten Grünräumen des Englischen Gartens ritualisiert, Bewegung an der frischen Luft als arbeitsfreier Wert an sich erkannt, der von einer gerichteten Arbeitsbewegung entbunden war. Daneben etablierte sich als Archetyp zum bürgerlichen Promeneur im Park zeitnah der einsame, kritisch beobachtende Spaziergänger in den Schatten der Städte, der Flaneuer (König, 1996, S. 241) als zweite grosse kulturelle Spazierfigur des 19. Jahrhunderts. Paradoxerweise machte die Münchner Landschaftsschule um Johann Georg von Dillis in von Sckells bildhaft arrangierten Parkszenen ihre ersten unmittelbaren Naturstudien. Die künstliche Landschaft des Englischen Gartens wurde damit zu einer unmittelbaren städtischen Naturerfahrung, die ihrerseits zur bildnerischen Analyse der Landschaft in der Malerei diente.


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Die Idee des Volksparks nach Münchner Vorbild entfaltete bis ins späte 20. Jahrhundert hinein eine breite und wirkungsmächtige Rezeptionsgeschichte, über den Volkspark Friedrichshain am Berliner Prenzlauer Berg (ab 1846) bis zum Emscher Landschaftspark bei Dortmund, der im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (IBA Emscher Park) ab 1989 städtebaulich, sozial, kulturell und ökologisch Impulse im Strukturwandel des nördlichen Ruhrgebiet gab.

Abbildung 13: Claude Monet, Ankunft des Zugs aus der Normandie am Gare Saint-Lazare, 1879 Öl auf Leinwand, Art Institute Chicago


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Die Alpen und das Meer: neue Orte des bürgerlichen Freizeitvergnügens Das wirtschaftlich und in der Folge auch politisch immer dominantere Bürgertum des 19. Jahrhunderts eroberte sich nicht nur die städtische Bühne zu Fuss, sondern auch die Küsten und den Alpenraum per Eisenbahn. Mit der Erfindung der Dampfmaschine durch Thomas Newcomen um 1712 und ihrer Weiterentwicklung durch James Watt und Richard Trevithick ergaben sich bald Versuche, diese auch zum Antrieb von Fahrzeugen zu nutzen. Erste Maschinenantriebe für die Grubenbahnen waren zunächst ortsfest und bedienten Seilzugvorrichtungen. 1804 konnte aber die Geburtsstunde der ersten Dampflokomotive als eine selbstfahrende Zugmaschine für die Bergwerks-Schienenbahn in Südwales gefeiert werden. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde die immer leistungsstärkere Dampfeisenbahn zum Hauptvehikel und Ausdruck der Industrialisierung und des Fortschritts per se (Abb. 13). Die Eroberung des Wilden Westens der USA wäre ohne die Eisenbahn gar nicht vorstellbar gewesen. Doch nahm man mittels Schiene und Dampfkraft nicht nur die Prärie in Besitz oder schuf schnelle Güterverbindungen zwischen den neuen europäischen Produktionszentren, sondern bezwang auch den bis dato schwer zugänglichen und genuin gefährlichen Alpenraum. In der Landschaftsmalerei der Romantik bereiteten Maler wie etwa Caspar David Friedrich eine neue Naturwahrnehmung vor, die zum Spiegel innerer Seelenzustände taugte. Hier verlor die Natur zwar nicht ihre Erhabenheit, aber ihre Unbezwingbarkeit und ihren Stellenwert als Widrigkeit des menschlichen Lebens. Sie mutierte zu einem neuen inneren wie äusseren Sehnsuchtsort der modernen Gesellschaft. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden aber auch die Folgen der Industrialisierung auf die Umwelt in Europa allmählich wahrnehmbar. Die Nutzung der Dampfkraft für Transport, Bergbau und Industrie hatte nicht nur einen anhaltenden Einfluss auf die Infrastruktur auf ländlicher wie städtischer Ebene und ermöglichte eine viel schnellere Vernetzung von Orten, Menschen und Waren, sondern hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Atmosphäre. Die Verbrennung von Kohle verschmutzte die Luft in den Städten und die Qualität der Flüsse verschlechterte sich rasant, sodass diese sich in riesige, industriell-urbane Abwasserkanäle verwandelten. Die stadtnahe Landschaft verlor abrupt ihre traditionellen, mythologischen und aristokratischen Implikationen in Inszenierung und Wahrnehmung. Sie wurden nun grundlegend durch wirtschaftliche Aspekte ersetzt.


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Somit gewannen die vermeintlich ‚unberührten‘ Orte und Gegenden eine neuen, reinen und paradiesisch-antithetischen Reiz: Eine vorindustrielle Ursprünglichkeit meinte man nicht nur in den Kolonien zu finden wie Paul Gaugin auf seinen Südsee- und Pazifikreisen (Abb. 14), sondern auch in den bis dahin kaum erschlossenen hochalpinen Regionen der Alpen. Symptomatisch ist hier die Jungfraubahn (Abb. 15). Um 1577 heisst es klar und unumwunden: „Die Jungfrau ist ein sehr hoher, von ewigem Schnee und Eis starrender Berg, daher völlig unzugänglich“. Die 4158m hohe Jungfrau in den Berner Alpen gehörte damit über Jahrhunderte zu eben jenen off-grid

Abbildung 14: Paul Gauguin, Das reizvolle Land (Te Nave Nave Fenua), 1892 Öl auf Leinwand, Ohara Museum of Art


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Orten, die sich in ihrer Gefährlichkeit dem Menschen entzogen und die die elektrifizierte und später technisierte Gesellschaft einer grossen Breite von Besuchern erschloss. 101 Jahre nach der Erstbesteigung im Jahre 1811 wurde 1912 eine elektrische Zahnradbahn von der Kleinen Scheidegg durch Eiger und Mönch bis auf das Jungfraujoch eröffnet, die als Meisterwerk der Ingenieurskunst auf ihrer Länge von fast zehn Kilometern nahezu 1400 Höhenmeter überwindet, wobei Zweidrittel der Bahnstrecke durch Tunnel führt. Diese Bezwingung der Natur, die gleichsam eine zugängliche Inszenierung derselben bedeutete, steht symptomatisch für den massiv geweiteten Erlebnis- und Freizeitbereich zumindest begüterter, bürgerlicher

Abbildung 15: Jungfraubahn auf der Kleinen Scheidegg, um 1912


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Schichten um die Jahrhundertwende und mündete in einem Bergbahnfieber, das die Schweiz und in der Folge auch ihre alpinen Anrainerstaaten erfasste. Sozialgeschichtlich entwickelte sich die Freizeit als Errungenschaft bzw. Kompensation der Industrialisierung. Gleichzeitig wird die Bildungsreise der Aufklärung, die Grand Tour der Adelssöhne und ihrer Entourage durch die touristische Reise ersetzt. Hatten Voltaire und Kant unisono befunden, dass Reisen bilde und dank der damit verbundenen Wissensmehrung der ganzen Menschheit diene, markiert erst das vom Bildungszweck entlastete Reisen den Beginn des Tourismus (Spode, 2013, S. 98). Waren traditionell Reise und

Abbildung 16: Honoré Daumier, Physiognomien der Eisenbahn: Sturm auf den Ausflugszug, der zum Sonderpreis von 5 Francs von Paris zum Meer fährt, 1852


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Masse antagonistische Begriffe gewesen, die das Bildungsbürgertum in seinem Distinktionsdenken zunächst noch betonte, änderte dies die Erfindung der Eisenbahn radikal (Abb. 16). Für die touristische Reise sind (unbewusste) psychische Motive vorrangig – sie wird zur „Reise ohne offensichtlichen Zweck“, zum selbstbezogenen „Erfahrungskonsum“ (Knebel, 1960). Mit dem nun auf eine breite Bevölkerungsschicht zugeschnittenen Verkehrsmittel der Dampfeisenbahn und auch des Dampfschiffs veränderte sich nicht nur das Reise- und Freizeitverhalten, sondern insbesondere auch die Wahrnehmung der Landschaft radikal: Natur und Geschichte werden neu auf einem Zeitpfeil angeordnet, die Taxonomie wird – wie Michel Foucault in „Die Ordnung der Dinge“ (2021 [1966]) dargelegt hat – zur Genealogie. Die Eisenbahn wurde als Projektil wahrgenommen, das durch Raum und Zeit treibt. Die Reise selbst wurde als ein „Geschossenwerden durch die Landschaft erlebt, bei dem Sehen und Hören vergeht“ (Schivelbusch, 2011, S. 53). In einem anonymen Text von 1844, auf den Schivelbusch (ebd.) sich bezieht, heisst es: „Beim Reisen in der Eisenbahn gehen in den meisten Fällen der Anblick der Natur, die schönen Ausblicke auf Berg und Tal verloren oder werden entstellt. Das Auf und Ab im Gelände, die gesunde Luft und all die anderen aufmunternden Assoziationen, die man mit ‚der Straße‘ verbindet, verschwinden oder werden zu tristen Einschnitten, düsteren Tunnels und dem ungesunden Auswurf der dröhnenden Lokomotive.“ Seh- und Erfahrungsmöglichkeiten werden durch die schnelle Bewegung des Reisenden eingeschränkt bzw. verändert. Anders als zu Fuss oder zu Pferd nimmt der Eisenbahngast die Landschaft nicht von vorne, in Reiserichtung, wahr, sondern nur zur Seite gedreht, durchs Zugsfenster blickend. Der Nahsichtbereich verschwimmt, nur die in der Ferne liegende Landschaft kann genau beobachtet werden. Jacob Burckhardt bemerkte dahingehend 1840: „Die nächsten Gegenstände, Bäume, Hütten und dergleichen kann man gar nicht recht unterscheiden; so wie man sich danach umsehen will, sind sie schon lange vorbei“ (Riedel, 1961, S. 112). Reisen bei hoher Geschwindigkeit, so eine landläufige Meinung, mache ‚stumpfsinnig‘. Jene Unfähigkeit, eine dem neuen technischen Stand adäquate Sehweise zu entwickeln, beherrschte die Kommentare der Zeitgenossen jedweder politischen oder weltanschaulichen Couleur. Gegenläufig mehrten sich aber auch die Stimmen, die gerade in der schnellen Bewegung durch den Raum einem eintönigen Landschaftsgefüge eine ästhetisch ansprechendere Perspektivierung abringen konnten. „Erst durch die Geschwindigkeit erhalten die Gegenstände der sichtbaren Welt ihren Reiz […].


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Die Eisenbahn inszeniert eine neue Landschaft“ (Schivelbusch, 2011, S. 58). Somit ist festzuhalten, dass neben die bisherigen Inszenierungsmodi über landwirtschaftliche Nutzung und die künstlerisch oder malerisch Gestaltung des Umgebungsgenusses auch eine Neuinszenierung von Landschaft über technische Neuerungen wie die Eisenbahn erfolgen kann. Während der Geschwindigkeitsrausch in den literarischen wie künstlerischen Ergüssen des italienischen Futurismus eine neue Klimax erfährt, bevor diese Begeisterung krachend gegen die Wand des Ersten Weltkriegs fuhr, lässt sich hier sicher der Bogen bis in die 1930er Jahre spannen: Der Bau der Reichsautobahn unter Felix Todt und der Beteiligung von Landschaftsarchitekten und Architekten wie

Abbildung 17: Ostseebad Zoppot, Postkarte von 1923


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Paul Bonatz, erfolgte u.a. auch nach landschaftlichen Kriterien bzw. diente der propagandawirksamen Inszenierung von deutscher Kultur und Natur für dahinschiessende Automobilisten. Doch vor dem Individualverkehr des 21. Jahrhundert eroberte zunächst die Eisenbahn neben den Bergen auch die Küsten. Zuvor ebenfalls als latent bedrohlich wahrgenommen, markierten die Küstenregionen immer eine Grenze, menschliche Unwägbarkeiten und potenziellen Konflikt. Dank der Dampfkraft wurden die Küsten nun aber leicht erreichbar und zu Orten der gehobenen Sommerfrische. Kur- und Badeorte schossen wie Pilze aus

Abbildung 18: Wochenendhaus Frau Hemann, Basel Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit, 1928, Bern


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sandigem Boden (Abb. 17) und prägten ein neues Lebensgefühl, das mit seinen Prämissen von Licht, Luft und Körperkultur bereits den Boden für die lebensreformerischen Ansätze der Moderne ebnete. Grün für alle Erst die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialgeschichtlichen grossen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts weiteten den Rezipientenkreis von Landschaft. Diese Entwicklung wurde durch die gesteigerte industrielle Fabrikation mit ihren negativen Begleiterscheinungen der Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung verstärkt. Gleichsam wurde dieser unmittelbare Naturverlust von der Erfindung der Eisenbahn aufgefangen, die den vom Grossstadtleben der Natur entfremdeten Menschen in bis dahin ungeahnter Geschwindigkeit in noch kaum berührte Landstriche wie die Alpen oder an die Küste brachte. Während der Umgang mit Garten und Landschaft bis zur Französischen Revolution einer schmalen Führungsschicht als klassische Elitenkultur vorbehalten war, nahm die Zugänglichkeit zum Grünraum in der Folge rapide zu und damit auch die Ansprüche und Wünsche an Landschaft sowie die Vielfalt der Inszenierungs- und Einbettungsmodi von Landschaft. Die Inanspruchnahme der Landschaft in einer Massenkultur ist genauso heterogen wie diese selbst. Entsprechend der Ausweitung der Städte in den vormals ländlichen Raum und die sich immer mehr steigernde Mobilität nahezu aller Schichten geriet die Landschaft nicht erst Ende des 21. Jahrhunderts „unter Druck“ (Brandl, Herburger & Hilti, 2021, S. 11), sondern bereits Jahrzehnte zuvor. Die ungesunde Enge der Städte, Versorgungsengpässe und die Spanische Grippe liessen das Wochenendhaus oder zumindest den Schrebergarten nach dem Ersten Weltkrieg als ideales Pendant und Sehnsuchts- wie Fluchtort erscheinen, als Renaissance-Villa im Miniaturformat. Körperliche Ertüchtigung im Garten, frische Luft und ein Zustupf an gesunden Nahrungsmitteln schienen das ideale Heilmittel inklusive sinnstiftender und friedlicher Freizeitgestaltung im Nachhall des Weltkriegs (Abb. 18). Hermann Sörgel erläuterte in seiner wegweisenden Schrift „Das Haus fürs Wochenende“ von 1927: „Es ist ein kleines Wohnhaus, das seine Stellung zwischen Wohnlaube und Sommerlandhaus einnimmt. Es muss vollkommenen Schutz gegen Hitze und Kälte, gegen Wind, Nässe und Ungeziefer gewähren. Man muss darin einwandfrei schlafen und kochen können. Darüber hinaus hat es keine Bedürfnisse zu erfüllen. Es hat keine gesellschaftlichen Pflichten“ (S. 5f.).


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Damit schuf er eine Definition des Wochenendhauses als Ausdruck maximaler Privatheit, als Paradies für jedermann, der sich hier von der komplexen Welt mit all ihren Möglichkeiten und Schrecknissen zurückziehen kann. Gauguins Südseeträume eines einfachen Lebens, eines antiken Arkadiens, sollten sich auf wenigen Quadratmetern an den Seen rund um Berlin oder im Agglomerationsring anderer (Gross-) Städte für Angestellte und Arbeiterinnen erfüllen. Vormals adelige und später durch das Grossbürgertum variierte Praktiken der Freizeitgestaltung und Erholung werden nun für die breite Masse zugänglich gemacht und auf deren finanziellen Spielraum angepasst. Der öffentliche Garten, der Park, erlebt hingegen erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue und reiche Blüte. Vorerst noch innerhalb der Metropolen weitet sich der durch die öffentliche Hand gestaltete Erholungsraum abseits des Wochenendhauses nun in den ländlichen Raum hinaus. Die Idee des Umweltschutzes spielte besonders bei den aufkommenden Nationalparks eine zentrale Rolle. Ihr Zweck ist „die Erhaltung großer, nicht durch menschliche Eingriffe veränderter Naturgebiete für die Nachwelt und als Symbol des nationalen Stolzes“ (Europarc Federation, 2009). 1909 deklarierte Schweden den ersten Nationalpark Europas. 1914 folgte die Schweiz mit dem Schweizerischen Nationalpark im Engadin, der seit 2010 mit den Gemeinden Val Müstair und Scuol zum UNESCO-Biosphärenreservat Engiadina Val Müstair zählt. In den 1980er Jahren entwickelt sich in Deutschland ein neues Planungsformat auch öffentlicher Grünräume ausserhalb der Städte: Die Internationale Bauausstellung IBA Emscher Park startete 1989. Auf mehr als 800 Quadratkilometern entwickelt sich die Emscher Parklandschaft, die die ehemalige Montanindustrie in ein neues ökonomisches wie ökologiches, kulturelles und soziales Format umwandeln sollte. Durch 50 Projekte wurde die Industriekultur weiterentwickelt, u.a. zu Zechenwäldern und künstlerisch gestaltete Halden, Radwegverbindungen und Grünräumen. Ehemalige Industriebauten wurden zu Kulturstätten und neuen Gewerbe- und Dienstleitungsstandorten, wie etwa die Zeche Zollverein (Abb. 30), umgeplant. Durch die IBA entwickelten sich weitere Planungsinstrumente wie etwa die zahlreichen REGIONALEN oder das Europäische Kulturhauptstadtprogramm Ruhr:2010. Heute bildet diese Region das Wahrzeichen des Ruhrgebiets und zeigt, wie mit Altindustrie im Strukturwandel konstruktiv umgegangen werden kann, ohne die lokale, im Raum manifestierte Geschichte – also ihren genius loci – zu negieren.


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Spätestens seit der COVID-19-Pandemie rücken Grünräume für Naherholung wieder stärker in unseren Alltag. Alle Gesellschaftsklassen fordern niederschwellige Zugänge zu weitläufigen Erholungsgebieten, die ausserhalb der bevölkerungsdichten Städte liegen, aber mit öffentlichem Nahverkehr erreicht werden können. Die Frage der Erreichbarkeit ist gerade für entlegene Grünräume zentral. Ihre Anbindung durch öffentlichen Nahverkehr wie Bus, Bahn oder Carsharing ist dabei genauso entscheidend wie die lokalen Übernachtungsmöglichkeiten. Dies führt jedoch auch zu Herausforderungen für die ansässige Bevölkerung. Während alpine Orte in Ferienzeiten an Besuchern überquellen, degenerieren sie ausserhalb der Saison zu Geisterdörfern. Nicht genutzte Infrastrukturen, wie etwa stille Liftanlagen, leerstehende Wohnhäuser und nicht mehr genutzte Schulen machen die Landschaft zu toten Resträumen, die nur noch zu kollektiven Auszeiten, den Ferien, in Benutzung sind. Dieses Phänomen in den Alpen versucht die Schweiz seit 2015 durch das Zweitwohnungsgesetz zu stoppen. Es schreibt vor, dass Wohnraum in den Dörfern nur noch als Erstwohnsitz genutzt werden darf, um dem temporären Stillstand und Zerfall entgegen zu wirken. Neben dem segmentierten und oftmals inszenierten Landschaftsgenuss im Privatgarten oder im öffentlichen Park, erhebt der Massentourismus der Nachkriegszeit einen immer stärkeren Anspruch auf immer fernere Landschaften. Die Verfügbarkeit von Landschaft und Raum wird dank des Flugzeugs immer grösser, während sie gleichzeitig immer mehr im Verschwinden begriffen ist. Unberührte Natur war schon zu Gauguins Zeiten mehr Topos als Realität, doch zwingt uns die von immer mehr Indienstnahmen und Ansprüchen überlagerte Landschaft zumindest in Europa, unsere Inszenierungsmodi neu zu überdenken und den Landschaftsbegriff zu weiten, wollen wir der stetigen Nutzungsüberlagerung wie landwirtschaftliche Produktion, gewerbliche Nutzung, Infrastrukturen noch tatsächliche Freizeitund Erholungswerte abringen. PERSPEKTIVE 2: Landschaft als politisches Instrumentarium Landschaft als Ort der Musse und Erholung zu betrachten ist mehr als legitim und wichtig, doch verbindet sich seit jeher mit dem Raum, dem Territorium, in aller erster Linie ein Hegemonialanspruch. Politische Macht wird hier physisch in die real erlebbare Welt, den Umraum, übertragen und oftmals erst durch ihn gerechtfertigt. Das Römische Imperium zog seine Unumstösslichkeit aus dem gigantischen


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Territorium, das es umfasste. Sein expansives Strassennetz kannte nur ein Ziel: Rom. Und im Umkehrschluss die schnelle Präsenz von Rom an den äussersten Rändern des Imperiums, am Hadrianswall an der Grenze zu Schottland oder auf der arabischen Halbinsel (vgl. Esch, 2020, S. 119–180). Das römische Strassennetz (zusammen mit der römischen Verwaltung) machte den Raum als maximale Ausdehnung der Macht überhaupt erst erfahrbar, regierbar und kontrollierbar. Land diente auch als Anreiz und Geschenk sowie zur Disziplinierung der ehemaligen Soldaten. „Macht braucht Stein“, so der US-amerikanisch-britischer Soziologe Richard Sennett (1997, S. 114). In einem zweiten Schritt der Aneignung der Landschaft erfolgt deren architektonische Besetzung zur Stabilisierung der Macht und zur Visualisierung eben jenes Hegemonialanspruchs. Während die Herrscher des frühen Mittelalters noch auf ihre physische Präsenz setzen mussten, um ihre Macht zu erhalten und so fast ihr ganzes Leben im Pferdesattel verbrachten, gelang es mühsam ab dem 13. Jahrhundert das Territorium zu sichern: Ein Netz aus stark befestigten Burgen spannte sich durch Europa, die einem Geflecht aus heutigen Sicherheitskameras gleich, Handelswege bewachten und kontrollierten. Das Seeztal zwischen dem Walensee und Sargans, auf dem Weg von Zürich nach Liechtenstein, ist hierfür ein eindrückliches Beispiel. Besetzung des Territoriums als Machtanspruch und Seuchenprävention Die Villen der Medici im 15. Jahrhundert markieren nicht nur einen Wendepunkt im neuzeitlichen Freizeitverhalten. Ihre wichtige Rolle als Orte der Musse und des Kunstgenusses erklärt ihre Entstehung im Sinne einer Elitenkultur der Renaissance nicht zur Gänze. Die Villen der Medici entstanden nämlich vor allem dort, wo es politisch ratsam schien, präsent zu sein: „in Grenznähe, zur Überwachung von Bodenschätzen und nahe bei den Verwaltungszentren für Landwirtschaft und Fischzucht“ (Bertsch, 2012, S. 19). Ziel war es, den persönlichen Regenerationsmoment mit politischer wie wirtschaftlicher Raumaneignung zu verbinden. Es entstand ein neuer Kommunikationsraum, der perspektivisch ausgerichtet war und auf die Disziplinierung der Natur abzielte. Damit ging natürlich auch eine Unterwerfung bzw. die Kontrolle der ortsansässigen Landbevölkerung einher, die sich auf den Arealen der Medici verdingte und dafür Schutz genoss. „Sowohl die Idee der Villa als Zentrum eines landwirtschaftlichen Gutes als auch als humanistisch orientierter Rückzugsort beruht auf der grundsätzlichen


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Erkenntnis der Beherrschung der Natur durch den Menschen, die im Mikrokosmos des Gartens eine symbolische Umsetzung findet“ (ebd., 2012, S. 21). Die Landschaft wird sukzessive einer architektonischen Ordnung unterworfen. Getragen wird dieser neue Blick- und Aneignungswinkel des Territoriums durch eine neue kapitalistisch aufgestellte und gleichzeitig humanistisch gebildete, sehr handlungsfähige Schicht der wirtschaftlich erfolgreichen Familienclans der toskanischen Stadtrepubliken. Die Landsitze bilden zudem die Grundlage des neuzeitlichen Bankensystems mit der Option der Belehnung von Grund und Boden, die bis heute Basis eines gewinnorientierten, kapitalistischen Wirtschaftssystems ist.

Abbildung 19: Giusto Utens, Lünette der Villa Medici in Cafaggiolo, 1599–1602. Museo Villa medicea della Petraia, Florenz


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Die Villa auf dem Land schafft allerdings zunächst vor allem neue Raumstrukturen der Macht und keine spezifische Architektur, wie beispielsweise die Medici-Villa in Cafaggiolo belegt (Abb. 19). Nicht mehr benötigte Fortifikationsanlagen werden kurzerhand umgenutzt, Wehrtürme des Trecento zu Belvederen umgewidmet. Gärten, Felder, kleinere Lustbauten, Springbrunnen, Pergolen und landwirtschaftliche Nutzbauten werden auf die ehemaligen Kastelle bezogen, grosser Grundbesitz schliesst sich an. Der Festungscharakter der jungen Villen ist von doppeltem Vorteil: die landwirtschaftlichen Erträge, die die Familie in der Stadt versorgen sollten, liessen sich so vor Diebesbanden gut schützen und im Falle politischer Bedrängnis konnte man hier eine sichere Bleibe finden. Innenpolitische Zwistigkeiten und das konsequente Machtstreben der Medici innerhalb der Oligarchie mächtiger Florentiner Familien führte dazu, dass sie immer wieder aus der Stadt verbannt wurden wie beispielsweise 1433. Die Verbannung, ein Strafinstrument des Mittelalters, zielte auf die politische und wirtschaftliche Ruhigstellung ab. Wer nicht vor Ort war, konnte weder seinen Geschäften nachgehen noch politisch Einfluss nehmen. Bereits im Quattrocento wurde diese Massnahme allerdings brüchig, da die Kommunikationsmechanismen immer besser funktionierten, sei es vom Land, vom contado in die Stadt, oder von anderen beliebten Verbannungsorten wie Venedig oder Genua nach Florenz. Doch auch freiwillig konnte es attraktiv sein, sich in brenzligen Zeiten aus der Stadt entfernen zu können. Neben dem politischen Streit konnte ebenso eine Epidemie wie beispielsweise die Pest Auslöser für eine Flucht auf die Villenbesitzungen sein (Hentschel, 2021). Giovanni Boccaccio hat dies in seiner berühmten Novellensammlung des „Dekameron“ von 1348–1353 eindrücklich beschrieben: Sieben Frauen und drei junge Männer fliehen vor dem Schwarzen Tod in ein Landhaus bei Fiesole und erzählen sich zehn Tage lang illustre, zum Teil anzügliche Geschichten bis die schlimmste Ansteckungswelle vorüber ist. Gerade jene epische Pestwelle von 1347 bis 1351 veränderte das Mächtegleichgewicht in Europa nachhaltig. Innerhalb von nur vier Jahren erlagen ihr 75 bis 80 Millionen Menschen, was etwa einem Drittel der damaligen Bevölkerung Europas entsprach. Ganzen Herrschaftseliten versetzte die Pest den wortwörtlichen Todesstoss und ermöglichte erst in ihrem Nachhall den Aufstieg einer wirtschaftlich starken, bürgerlicheren Schicht, zu der prominent auch die Bankiersfamilie der Medici zählte. Und diese Familien setzten auf Prävention, zumal die über Flöhe von der Ratte auf den Menschen übertragbare bakterielle Infektion der Pest etwa alle 20 Jahre


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nach Florenz zurückkehrte und damit mehrmals zur Lebenserfahrung einer Generation zählen konnte. Dank ihrer reichen Nahrungsmittelproduktion waren die Villen – anders als die Palazzi in den Städten – wirtschaftlich autark und konnten eine Familie lange in der Abgeschiedenheit, quasi im Lockdown, versorgen. Somit sind jene Renaissancevillen sicher als Hybride zu werten, die einen eleganten Musseort mit landwirtschaftlicher Produktion, Raumbesetzung und impliziter Machtausweitung über das Territorium und statt mit Seuchenprävention, sicherem Exil und sozialer Repräsentation verbanden.

Abbildung 20: Sizilien, auf dem Kopf stehend und damit nach Rom ausgerichtet, Galleria delle Carte Geografiche, Vatikan 1580–1585


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Die Vermessung der Welt In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert – quasi Hand in Hand mit dem neuen Wahrnehmungsmotiv der Perspektive – tritt neben die bisherige kreisförmige christliche Weltdarstellung der Mappae mundi mit Jerusalem im Zentrum, ein säkularisiertes Weltbild. Unterstützt durch den Buchdruck verbreiten sich in Europa erstmals rasch Welt- und Landkarten nach den Vorgaben antiker Kosmographen. Diese Wende in der Kartographie ihrerseits geht aufs Engste parallel mit den Expansionsinteressen der europäischen Herrscher der Frühen Neuzeit. „Zur Vorbereitung und Durchführung von Expeditionen, zum Erschließen von Handelsrouten, zur Etablierung und Ausübung von Herrschaft und vor allem zur Visualisierung von Herrschaftsansprüchen bediente man sich der Globen, Welt- und Landkarten“ (Gerhardt, 2011, S. 80). So illustriert bis heute eindrücklich jedem Besucher und jeder Besucherin des Vatikans die 120 Meter lange Galleria delle Carte Geografiche (1580–1585) auf dem Weg zur Sixtinischen Kapelle den geistigen wie politischen Einflussbereich des Papstes. Die Darstellung der unterschiedlichen Regionen, Inseln und Häfen Italiens folgt den Regeln der modernen Kartographie. Anders als auf den mittelalterlichen Mappae ist der Bezugsort auf den Detailkarten jedoch nicht Jerusalem, sondern Rom (Abb. 20). Zwischen 1550 und 1800 verhalfen Karten nicht nur dazu, bis dahin Unerschlossenes zu kartieren, sondern vornehmlich – wie es die päpstliche Galerie zeigt – die angestammten Reiche zu vermessen. Sie dienten zur Unterwerfung von Gegnern und indigener Völker und schufen neue Realitäten als „Mittel, um Staaten zu definieren, als Symbole für Staaten, als Instrumente der Regierung, der Verwaltung, der Diplomatie und des Krieges, sie dienten den einzelnen Herrschern zur Information und zum Vergnügen sowie als dekorative Propagandamittel“ (Barber, 1997, S. 124). Damit wird unmittelbar deutlich: Die Welt erfährt über ihre Unterwerfung und Vermessung eine Verwissenschaftlichung. Die Landschaftswahrnehmung wird vornehmlich objektiviert und abstrahiert und in Karten nach definierten Parametern dargestellt. Kartenwissen ist somit genuines Herrscherwissen. Die Verfügbarkeit und Kontrolle des Territoriums betraten nun neu eine zweidimensionale Ebene, die zur Grundlage von politischer, aber auch realräumlicher Veränderung werden konnte. Der Überblick der Karte sollte im besten Falle auch neue Erkenntnis stiften und verbindet in diesem Anspruch die frühe Kartographie mit den Google Maps-Angeboten des 21. Jahrhunderts.


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Beschnitten und geformt: der Untertan ist einer Pflanze gleich er Absolutismus mass der Ordnung des Raums zentrale politische Bedeutung D bei. Städtebau, Inszenierung von Landschaft und Gartengestaltung, Perspektive und Raum avancierten zu direkten Kontrollinstrumenten der europäischen Monarchen. Erster Exponent und Erfinder dieser ‚Unterwerfung‘, der Beherrschung von Garten, Landschaft und Staat war der französische König Ludwig XIV.. Er gelangte im zarten Alter von vier Jahren auf den Thron und regierte 72 Jahre lang bis zu seinem Tode im Jahr 1715. Innerhalb dieses langen Lebens, das mit seiner Regierungszeit fast deckungsgleich ist, entwickelte er persönlich das auf ihn massgeschneiderte Regierungskonzept des Absolutismus. Dieses bedeutete, dass, wenn die Macht eines Einzelnen absolut ist, die anderen, also der französische Adel, politisch ausgeschaltet sein muss. Das heisst, der Adel musste visuell und realiter kontrolliert werden. Mit der Verlegung des französischen Regierungssitzes von Paris nach Versailles 1682 und der damit einhergehenden Residenzpflicht des Adels in Versailles, also im Schloss selbst, wurde dieser Schritt räumlich totalisiert. Doch nicht schnöder Zwang hielt den Adel von der politischen Mitregierung fern, sondern ein ausgeklügeltes Unterhaltungssystem in Schloss, Garten und Park, das ungemeine finanzielle Aufwendungen jedes einzelnen Aristokraten verlangte, die nur durch Gunstbezeigungen Ludwig XIV. selbst gestemmt werden konnten. Der Monarch entwickelte somit ein Vergnügungs-, Ablenkungs- und Klientelprinzip, in dessen Zentrum er selbst stand. Der theater- und v.a. ballettaffine Herrscher stand quasi immer auf der Bühne seines Staatsapparats, der über konsequente Beeindruckung und Überwältigung des Gegenübers funktionierte. Die Inszenierung von Landschaft spielte innerhalb dieses Konzepts eine Schlüssel- und Paraderolle. Ähnlich dem Schlossbau selbst, der mit der Aneinanderreihung von Räumen in einer Enfilade, die visuelle Kontrolle einfach ermöglicht – und das Einfügen „geheimer“ Tapetentüren förderte –, sollte auch der gestaffelte Garten von Versailles gut zu überblicken sein. Das Prinzip des Interieurs wurde auf das Exterieur übertragen, Schlossbau und der Park von Versailles axial aufeinander bezogen. Bezugspunkt aller Bewegungslinien war das spätere Schlafzimmer des Monarchen in der Schlossmitte. An die breit angelegten, unmittelbar an den Bau anschliessenden Parterres mit ornamental gestutzten Buchsbäumen und Rasenflächen, grossen reflecting pools und Statuenschmuck setzte sich im Boskett die Intimität der Kabinette des Schlosses als grüne Open-Air-Zimmer im Freien fort. Daran schloss der Jagdwald an, der vom Grand Canal eindrucksvoll zerschnitten wurde. In ihm finden sich mit den Jahrzehnten immer zahlreicher werdende Lustbauten, die


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es dem König mit kleiner Entourage ermöglichten, dem selbstentworfenen strengen Zeremoniell in weniger formellem Rahmen zu entfliehen. Das höfische Zeremoniell bestimmte Nähe und Abstand zum König, dessen immer öffentliches Leben sich vom lever bis zum coucher stets in streng reglementierter Gesellschaft vollzog. Mit politisch irrelevanten Ämtern wie dem Halten einer Kerze beim Zubettgehen Ludwig XIV.’ hielt er seinen Theaterstaat auf Trapp und fern wirklicher Entscheidungen. Der straff organisierte Garten war elementarer Teil dieses Zeremoniells und des nicht enden wollenden Beeindruckens, Überraschens und Verzücken des Gegenübers und der Welt. Pracht hatte eine politische Funktion: „Sie verlieh dem König éclat. Éclat war ein weiteres Schlüsselwort der damaligen Zeit, dessen Bedeutung von ‚Blitz‘ bis zu ‚Donner‘ reichte, aber immer handelte es sich um etwas Unerwartetes und Beeindruckendes. Pracht galt als beeindruckend, buchstäblich prägte sie sich dem Publikum ein wie ein Siegel dem Wachs“ (Burke, 2009, S. 14). Auch im Park von Versailles wurde nichts dem Zufall überlassen: Ludwig XIV. selbst verfasste mehrere Gartenführer, die den – selbstverständlich geladenen und damit erwünschten – Besucher auch in der Abwesenheit des Königs durch die Anlage geleiteten (Louis XIV., 1992 [1697]). Gartenbeschreibungen fungieren als Multiplikatoren für die Fama des Gartenbesitzers, so die Literaturwissenschaftlerin Urte Stobbe (2012, S. 382). Sie sichern die kulturelle Deutungshoheit, leiten den Gast, lenken textuell die Wahrnehmung, liefern Deutungsangebote und schulen die Beobachtungsgabe, sodass ihnen eine didaktische und imperiale Funktion zukommt. Gartenbeschreibungen stehen zwar in der rhetorischen Tradition der Discriptio bzw. der Ekphrasis und erheben Anspruch auf Referenzierbarkeit, dennoch können sie auch fiktional sein oder fiktionale Elemente mit Realem mischen (ebd., S. 372). Die barocke Gartengestaltung unter Ludwigs Gartenarchitekten André Le Nôtre spielte eine wirkungsmächtige Rolle im Umgang mit Landschaft und der Verortung des Menschen in ihr. Nichts war dem Zufall überlassen. Alles wurde geplant, beschnitten und kontrolliert. Als Zeichen königlicher Macht wurden nicht nur Flüsse in neue Bahnen gelenkt, die Topografie mit Erdaufschüttungen entscheidend verändert, sondern auch ein breites Repertoire an Bäumen und Sträuchern in ihrem Wuchs, d.h. in ihrer kompletten Erscheinung verändert und geformt. Ludwigs Überredungsstrategien – heute würden wir von Propaganda sprechen – gingen auf: Sowohl in innenpolitischer Hinsicht als auch international. Für viele Jahrzehnte wurde der barocke ‚Französische Garten‘ zum Must-have aller Fürsten und Könige Europas. Und genau gegen ihn, den


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‚Französischen Garten‘ richtete sich auch die Kritik des frühaufklärerischen englischen Dichters Alexander Pope (1688–1744): Die Beschneidung der Pflanzen in tote geometrische Gebilde und lächerliche immergrüne Skulpturen analog zu einem durch Etikette zu Recht gestutzten Höfling wurde für ihn zum Inbegriff des versklavten Menschen des Absolutismus, während der frei wachsende Baum für Pope zum Sinnbild des freien Menschen in seiner natürlichen Entfaltung wurde. Dieser sei “edler als ein Mensch in seinem Krönungsornat“ (Buttlar, 1989, S. 12). Der englische Landschaftsgarten als Spiegel der Aufklärung Entsprechend dem „neuen Konzept der Natürlichkeit“ (Lauterbach, 2012) erfuhr die Landschaft eine wegweisende, veränderte Konnotation in der englischen Aufklärung. Die Landschaft ist nicht mehr die Bühne königlicher Inszenierungswut, sondern Ausdruck eines neuen Menschenbildes. Bei JeanJacques Rousseau wurde das Beschneiden zur Metapher falscher Erziehung, der Erzieher selbst zum naturverbundenen Gärtner. Der gewundene Pfad des Landschaftsgartens im Gegensatz zu starren barocken Alleen galt als ein Emblem konstitutioneller Freiheit. Der englische Garten bzw. Privatpark avancierte zum neuen politischen Manifest. Als Ausdruck einer neuen Sichtweise auf die Welt – der Aufklärung – stand er vor allem jener absolutistischen Sichtweise auf dem Kontinent diametral gegenüber: Der Philosoph John Locke (1632–1704) begründete die Idee des Gesellschaftsvertrags neu aus dem Naturrecht und erschütterte so den stärksten Pfeiler der alten Ordnung, nämlich das göttliche Erbrecht der Könige, das Gottesgnadentum. Insbesondere im Werk des dritten Grafen von Shaftesbury wird dem englischen Gartenstil der Weg bereitet. Anders als sein Lehrer Locke interpretierte Shaftesbury die Natur primär als sittliche Macht, die sich einerseits in der universellen Harmonie des Kosmos, andererseits in der der Menschen natureigenen, natürlichen Moralität (moral sense) manifestiere. Die Grenzen der neuen Freiheit muss der Mensch in sich selbst finden, sein Verhältnis zur Gesellschaft sollte nicht nur durch Eigeninteresse (self-love), sondern auch durch Sympathie (benevolence) und Gesellschaftsverantwortung (social love) bestimmt sein. In der tausendfachen Vielgestaltigkeit der Natur offenbare sich Gott der ausgeglichenen und schönen Seele, die Gefühl und Vernunft vollkommen in sich versöhnt habe. Damit wurde der sinnlichen Naturerfahrung ein neuer, zunächst der Vernunft gleichrangiger, später immer dominanter werdender Wert eingeräumt. Wo die Natur ihrem eigenen Wesen jedoch entfremdet wurde, wie im barocken Garten, galt sie fortan als Symbol politischer Unterdrückung und Willkür, als


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Abbildung 21: Capability Brown, Umgestaltung der Blenheim Gardens, Oxfordshire, ab 1761

Abbildung 22: Alexander Pope und Capability Brown, Palladiobrücke in Prior Park, 1740

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Synonym für die despotische Ordnung des Ancien régime. Mit einer emphatischen Hymne über die Ur-Natur und seinem Spott über die „formale eitle Spielerei fürstlicher Gärten“ begründete Shaftesbury die langanhaltende Kritik am Barockgarten: „Fürstliche Laune hat all das erfunden und höchste Sklaverei und Abhängigkeit hält es am Leben“ (Buttlar, 1989, S. 10–13). Der natürlich wirkende, aber von einer Armada an Gartenarchitekten gestaltete Park, orientierte sich an der zeitgenössischen Landschaftsmalerei und verstand sich dezidiert als räumlicher, ideeller und politischer Gegenpol zur Stadtkultur. Gürtelwege (belt-walks) entlang natürlicher oder künstlich angelegter Seen zusammen mit zufällig wirkenden Blickachsen, mäanderndem Wegesystem (beautiful lines) und effektvoll gesetzten Baumgruppen (tree clumps) komponierten den neuen Landschaftsgarten aus der Natur heraus. Bei Lancelot Brown (1716—1783), dem Gartengestalter von halb England, ging dieses Vermögen sogar soweit, dass er in die Geschichte als Capability Brown einging, als Architekt, der nach den Möglichkeiten in der Natur selbst suchte und diese „verbesserte“ (Phibbs, 2016). Wie im Falle der Parkanlage des Blenheim Palace und Gardens (Abb. 21) in Oxfordshire des Herzogs von Marlborough um 1765 ging er mit Gartenarchitekturen, anders als mancher seiner Berufskollegen, sehr sparsam um. Gemeinhin wurden die Lustschlösschen des Absolutismus durch heilige Haine, Freundschaftstempel nach Vorbild des antiken Pantheons in Rom oder palladianesken Bauten wie der berühmten Miniaturversion des Rialtobrückenentwurfs in Prior Park (Abb. 22) ersetzt. Browns Kontrahent Sir William Chambers hingegen öffnete den architektonischen Bezugsrahmen der Gartenarchitekturen weit: Nicht nur die Antike und die an sie angelehnten Bauten Andrea Palladios aus dem Veneto des 16. Jahrhunderts konnten den Ideen der Aufklärung Pate stehen, sondern – für königliche Bedürfnisse erweitert – auch die gesamte Architekturwelt des expandierenden British Empire. In den royalen Kew Gardens inszenierte Chambers nicht nur den Landschaftsgarten unter dem Banner der Monarchie, sondern schuf auch auf nicht allzu grosser Grundfläche eine Fülle an abwechslungsreichen und exotischen Szenen. Insbesondere sein persönlicher intensiver Kontakt mit der chinesischen Gartenkunst gab hier einen neuen Ton an: Neben dem Haus des Konfuzius (1745) entstand eine chinesische Menagerie, ein Vogelhaus und als erstes Beispiel türkisch-orientalischer Architektur im Landschaftsgarten eine Moschee mit achteckigem, überkuppelten Hauptgebäude und zwei schlanken flankierenden Minaretten. Insbesondere Chambers 50 Meter hohe Nachbildung der berühmten


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Porzellanpagode von Nanking (Abb. 23) lies imperiale Machtansprüche und britischen Geltungsanspruch mit dem polyglotten Handels- und Kolonialreich im Gartenkontext verschmelzen. Dieser bunte Strauss an Bauwerken liess den Überraschungseffekt barocker Prachtentfaltung im Garten erneut aufleben. Zudem lagen die Exotismen so dicht beieinander, dass eine Bricolage unterschiedlicher Stile entstand: ein Mikrokosmos, der als „Die Welt auf 1 Hektar“ bespöttelte wurde (Buttlar, 1989, S. 66).

Abbildung 23: William Chambers, Chinesische Pagode in Kew Gardens, London 1762


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Als Gegenbild zum absolutistischen Garten französischen Ursprungs konzipiert, holte der Imperialismus den englischen Landschaftsgarten der Aufklärung also ein. Neben den Architekturen des wachsenden britischen Weltreichs fand auch sein Pflanzenspektrum Eingang in die Gärten. Oftmals nicht für das feucht-kalte Klima Englands geeignet, bedurfte es eigener Schutzbauten. Die Orangerie für die Südfrüchte des Absolutismus wurde Mitte des 19. Jahrhunderts so in Kew Gardens von den zart-kubischen Eisen-GlasPalmenhäusern nach dem Entwurf von Joseph Paxton (Abb. 24) abgelöst. Diese Entwicklung, die Welt im Mikrokosmos eines Parks abzubilden, läuft der historisch vorgespurten Expansion in den Raum als Exempel der Macht zuwider. Doch nur scheinbar, denn das Territorium wird beispielsweise in Kew

Abbildung 24: Decimus Burton, Palmenhaus in Kew Gardens, London, 1844–1848 nach den Ideen von Joseph Paxton


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Gardens über Architektur und Flora kaleidoskopartig zusammengeblendet. Die Welt wird inszeniert als paradiesische Zusammenschau und Wunderkammer in einem; orchestriert durch den englischen König und seinen Gartenarchitekt Chambers. Damit schufen die beiden eine Welt en miniature, eine inhaltliche Verdichtung und Kondensation derselben, die nahtlos in die Leistungsschau der Weltausstellungen ab 1851 in London überging. Auf Anregung Prinz Alberts fand die erste Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations bezeichnenderweise in einem Park statt, dem Londoner Hyde Park. Der Architekt Paxton ersann auf Grundlage seiner königlichen Gewächshäuser mit dem Crystal Palace eine leichte Ausstellungsarchitektur aus Eisen und Glas, die sogar bestehende Bäume des Parks integrierte (Kretschmer, 1999). Denkmallandschaft Neben politisch-weltanschaulichen und imperialen Ansprüchen klingt also auch immer ein Bildungsanspruch mit. Die Chinoiserien des Absolutismus weiteten bereits den abendländischen, von der Begeisterung für die Antike bestimmten Bildungskanon, ebenso wie die Expeditionen und Forschungsreisen des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie alle schlugen sich in den Gartenanlagen nieder – von Nymphenburg über Wörlitz bis hin zu den ersten Weltausstellungen. Auch der erste Volksgarten, der nicht nur den architektonischen Referenzraum, sondern erstmals den Nutzerkreis massgeblich und entscheidend weitete, ist geprägt von eben jenem Bildungsanspruch. Beim Englischen Garten in München stand nicht Prachtentfaltung und imperialer Anspruch im Vordergrund der Gestaltung, sondern die Schaffung eines vielfältig nutzbaren Parks für die Allgemeinheit, gepaart mit sanfter Erziehungsfunktion. Der Englische Garten sollte die Volksseele besänftigen, sie von Revolutionen absehen lassen und ihr Luft in dem, nach den Maximen des namensgebenden als englischen Landschaftsgarten gestalteten Park verschaffen. Entsprechend der moralisch-sittlichen Wirkung von Landschaft und dem Bildungs- und Erziehungsanspruch der Aufklärung wurde der Park um eine reiche Denkmallandschaft ergänzt (Karnehm, 1989). Neben der Welt en miniature im Sinne der Londoner Kew Gardens mit Chinesischem Turm, Monopteros (Abb. 25) und palladianischem Rumfordhaus wurde der Park mit Denkmälern besetzt: „Ihre Verzierungen sind Denkmäler, welche das einheimische Verdienst, oder eine glückliche National Begebenheit allegorisch darstellen, und diese gehören wenigstens unter die lehrreichsten und nützlichsten Verzierungen in Volksgärten, weil sie den National Ruhm


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verbreiten helfen, und das Gefühl für edle Thaten wecken“, so der verantwortliche Gartenarchitekt Friedrich Ludwig von Sckell in seiner Denkschrift von 1807 (Freyberg, 1989b, S. 100). Sckell rechnete seinen Englischen Garten sogar „unter die allernötigsten der bildenden Kunstanstalten einer humanen und weisen Regierung“. In Anlehnung an den Tempel der edlen Briten in Stowe hätte in München ein Pantheon verwirklicht werden sollen. Dieses hätte die wichtigsten Regenten Bayerns als Statuen und Büsten beherbergen sollen, um identitätsstiftend den Status quo zu zementieren. Sicherlich ist es dahingehend kein Zufall, dass Kronprinz Ludwig für sein seit 1807 gehegtes Projekt einer ‚Ehrenhalle der großen Teutschen‘ zunächst

Abbildung 25: Leo von Klenze, Monopteros im Englischen Garten, München 1831–1836


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einen Standort im Englischen Garten vorsah. Aus diesem gingen später sowohl die Walhalla bei Regensburg als auch die Ruhmeshalle auf der Theresienwiese hervor. „Denkmäler sind paradoxe Erscheinungen. Fast immer liegen den Anlässen, denen sie ihre Entstehung verdanken, soziale oder politische Konflikte zugrunde. Hingegen nötigen sie dem Betrachter gemäß der Absicht der Stifter stets zu einer positiven Identifikation mit der Vergangenheit“, so Dietrich Erben (2011, S. 235). Sie sind zumeist kein Zeugnis gesicherter Herrschaft, sondern prospektiv. Sie sind ein Instrument der Vermittlung politischer Inhalte und entwerfen damit auch immer einen moralischen Leistungshorizont für künftige Generationen. Hinsichtlich der Landschaft ist erstaunlich, dass diese im 19. Jahrhundert, geprägt durch das politisch forcierte Herausbilden nationaler Identitätskonstituierung und -schärfung, immer häufiger Teil von Denkmalkonzepten wird. Dies gilt sicher für die von Ludwig I. in Auftrag gegebene und von Leo von Klenze realisierte Walhalla in Kehlheim bei Regensburg (Abb. 26). Über einer Donau-Biegung thront der griechische Tempel. Eine Freitreppenkaskade ergiesst sich zum Fluss. In Anlehnung an die Halle der Gefallenen in der nordischen Mythologie werden im sakralesken Innenraum bedeutende Persönlichkeiten „teutscher Zunge“ mit Marmorbüsten und Gedenktafeln geehrt. Dieser göttliche Memorialort in antikisierender Architektur überblickt die weite Donaulandschaft und macht sie zum Teil des an die grossen Taten der Ahnen gemahnenden Ensembles (Träger, 1979). Denn genau das ist die Walhalla zusammen mit Ludwigs naher Befreiungshalle sowie dem Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein, dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, dem Kyffhäuserdenkmal, dem Deutschen Eck in Koblenz, dem Hermannsdenkmal bei Detmold, dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica und der Berliner Siegessäule: Sie alle gehen eine enge Ensemblewirkung mit der sie umgebenden Landschaft ein und beschwören über Denkmal und Landschaft eine nationale Identität. Ohne die Landschaft, in die sie hinein- oder die um sie herumkomponiert wird, verlören all diese, den deutschen Nationalstaat und eine gemeinsame deutsche Geschichte preisende Denkmäler ihre Wirkung. Erst in der Verbindung mit einer ebenso als ‚deutsch‘ oder ‚vaterländisch‘ wahrgenommenen und somit national instrumentalisierten Landschaft ergeben sie einen Sinn. Der Reisende bzw. Rezipient soll diese Denkmäler als Teil der Natur verstehen und damit das ‚Deutsche‘ an sich als genauso natürlich, gottgegeben und ewig wahrnehmen wie die Landschaft selbst. In dieser Überkodierung der Landschaft als eine nationale Eigenschaft, wie beispielsweise die Sprache eines Volkes, erhält die gewachsene Kulturlandschaft


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einen fast sakralen Wert. Kondensiert findet dieses Konzept z.B. auch Eingang in die Mall von Washington, auf der sich die verschiedenen (Kriegs-) Denkmäler, Museen und Staatsinstitutionen wie das Kapitol zusammen mit dem Soldatenfriedhof in Arlington als Heiliger Hain der Nation entlang des Potomac Rivers entfalten. Die Schweiz als Vielvölkerstaat mit vier Sprachgruppen auf engstem Raum, misst in ihrer Nationalikonografie der Landschaft als verbindendes, alle Sprach- und Kulturgrenzen nivellierendes Element, einen noch höheren Stellenwert bei. Dies wird besonders am Bundeshaus in Bern, dem Sitz von Regierung und Parlament

Abbildung 26: Walhalla in Kehlheim bei Regensburg, Stahlstich um 1840


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der Schweizerischen Eidgenossenschaft, überdeutlich: Das Alpenpanorama wird direkt in die architektonische Konzeption des Bundeshauses in Bern im Innenwie Aussenraum einbezogen. In Anlehnung an Gottfried Sempers Entwurf für das Richard Wagner-Theater von 1865 für Ludwig II. in München, konzipierte der Architekt Wilhelm Auer den Nationalratssaal, der Idee eines demokratischen Theaters folgend, in Form eines Segmentbogens. Die Scena wird von einem fünf Meter hohen und 12 Meter breiten Wandbild von Charles Giron (1850–1914, Abb. 27) bestimmt. Es zeigt das Rütli als Wiege der Eidgenossenschaft mit dem Vierwaldstättersee im Vordergrund und die Gebirgsformation der Mythen im Hintergrund. Kaum wahrnehmbar schwebt die weibliche Personifikation des

Abbildung 27: Charles Giron, Die Wiege der Eidgenossenschaft, Bundeshaus Bern, 1901 Öl auf Leinwand


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Friedens mit Olivenzweiglein über der symbolträchtigen Wiese des Rütli. So vollzieht jeder neu gewählte Schweizer Bundesrat vor dieser Kulisse und damit gleichsam sinnbildlich auf der Rütliwiese im Schwur den Eid der drei UrEidgenossen nach. Anschliessend treten die Parlamentarier auf die breite Aussichtsterrasse mit Blick auf das – nun echte – Alpenpanorama mit Eiger, Mönch und Jungfrau. Topografie und Nation verbinden sich in dieser szenografischen und räumlichen Abfolge ideell. Die politische Inszenierung von Landschaft als Identifikationsort – historisch, gegenwartsbezogen und prospektiv – erreicht im Wandgemälde des Nationalratssaals sowie im inszenierten Ausblick auf der Terrasse des Berner Bundeshauses ein neues Mass an Steigerung.

Abbildung 28: Gebirgskrieg in den Dolomiten 1915–1918


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Welcher Raum gehört wem? Wenn Territorium und Kartenwissen Herrschaftsraum und Herrscherwissen sind, stellt sich die Frage nach Besitz- und Inanspruchnahme der Landschaft im 20. Jahrhundert neu. Die pluralen, demokratischen wie totalitären Gesellschaften, die Europa im Verlaufe des 20. Jahrhunderts hervorbringt, sind – unabhängig von politischer Couleur und Intension – Massengesellschaften. Das heisst, der Zugang, die Bedürfnisse und die Ansprüche an Landschaft werden breiter, zugleich setzen die fortschreitende Industrialisierung und Technisierung sowie auch die Verwüstungen zweier Weltkriege die Landschaft nachhaltig unter Druck. Der Stellungskrieg des Ersten Weltkriegs (Abb. 28) hat

Abbildung 29: Frank Lloyd Wright, Broadacre City, 1934–1935


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beispielsweise die Topografie der Dolomiten nachhaltig verändert. Bombardements und Sprengungen perforierten die Bergformationen stark. Auch die flache Marschlandschaft Belgiens ist bis heute von den tiefen Furchen der Schützengräben durchzogen. Mit den apokalyptischen Atombombenabwürfen des 2. Weltkrieges und ihren Verheerungen in Hiroshima und Nagasaki im August 1945 erreichte die Zerstörungskraft und langfristige Verseuchung von Boden einen bis dahin unvorstellbaren Zenit. Die Architektur der Moderne versuchte der Landschaft als schwindendes Gut einen neuen Stellenwert zuzuweisen. Insbesondere der Siedlungsbau – von

Abbildung 30: Zollverein Park um die Zeche Zollverein, Essen, 2017


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der Gartenstadt nach Ebenezer Howard über Le Corbusiers städtebaulichen Visionen Le Plan Voisin und La Ville Contemporaine bis hin zu Frank Lloyd Wrights Broadacre City (Abb. 29), versuchte man, massiv gesteigerte Mobilität mit dem Erhalt von grünen Frei- und Erholungsräumen zu koppeln, während die weiter entfernte Landschaft radikal für die Freizeitgestaltung erschlossen wurde. „Als die negativen Auswirkungen von Industrialisierung und Urbanisierung auf die Lebensverhältnisse der Menschen offenbar wurden“ versuchte man jener Zersiedelung und Nutzungszersplitterung nach meist wirtschaftlichen Parametern und schnöden Zufälligkeiten Herr zu werden (Blotevogel, 2018. S. 794). Dies geschah mit Hilfe der Zonierung als frühes Instrument der beginnenden Raumplanung ab den 1920er Jahren in Deutschland, aber erst ab den 1980er Jahren in der Schweiz (Grämiger, 2018, S. 15). Die Erdölkrise ab 1973 erschütterte den Glauben an unendliches Wachstum, das die Nachkriegsjahrzehnte geprägt hatte. Eine starke Ökologiebewegung reagierte in den 1980er Jahren immer vehementer auf die Verknappung und Zerstörung von Landschaft und Natur. Sie erkannte auch in der ungestalteten Landschaft, der Natur, aber auch der Brache, einen Wert. Diese immer weiter schrumpfenden Nischen galt es zu identifizieren und zu schützen. Lebensmittelskandale, Massentierhaltung und vor allem das Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 stellten die durch monokulturelle Agrarwirtschaft ausgebeutete, durch Flurbereinigungen stark veränderte und zugleich atomar bedrohte Landschaft in ihrer Fragilität und Ausgesetztheit in den Mittelpunkt v.a. politischer, aber weniger gestalterischer Diskussionen. Internationale Bauausstellungen wie die IBA Emscher Park (1989–1999) und anschliessende Planungsinstrumente wie die REGIONALE und das Kulturhauptstadtprogramm besetzten genau diese Lücke. Die Montanlandschaft sollte umkonnotiert werden, indem „die bisher verborgenen, weil unkonventionellen Schönheiten einer alten, landläufig als häßlich geltenden Industrielandschaft“ erkannt und entwickelt wurden (Sieverts, 2001 [1997], S. 126). 2001 wurde die stillgelegte Zeche und Kokerei Zollverein in Essen (Abb. 30) zum UNESCO-Welterbe erklärt und bildete einen erneuten Startschuss, um das Gesamtgelände auszubauen. Das Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (OMA) entwickelte 2002 einen Masterplan für die Umgestaltung der Industriebrache in einen lebendigen Kultur- und Wirtschaftsstandort. Bis zum Kulturhauptstadtjahr 2010 wurden das Ruhr Museum und das Besucherzentrum Ruhr als erste bauliche Massnahme verwirklicht. In diesem Jahr besuchten 2.2 Millionen Menschen diesen neu


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gestalteten Ort, der jedem zugänglich ist. Kunst und Kultur haben diese Landschaft zurückerobert. Sieverts (2001 [1997], S. 127) wies darauf hin, „wie wirksam ein Zusammenwirken von ökologisch orientierter Freiraumplanung und sozial ausgerichteter Stadtgestaltung mit Kultur und Sport eingesetzt werden kann, um eine ‚vergessene‘ Region für die Bewohner zu erschließen“. Die Zeche und Kokerei Zollverein wirkt heute als Leuchtturmprojekt und Touristenmagnet für die Region. Landschaft wird so zum raumplanerischen Experimentierort der Gesellschaft. Über einen festgelegten Zeitraum hinweg dient ein klar definiertes Territorium als landschaftliches Labor – in Form einer IBA (hier IBA Emscher Park), einer REGIONALE (hier Regionale 2010) oder eines Kulturhauptstadtprogramms (hier Ruhr:2021). Dabei fungieren diese Areale – diese grossformatigen Architekturausstellungen in der Landschaft – als heterotope Orte, um laut des IBA Expertenrats (2017, S. 7) „modellhafte Lösungen für aktuelle Probleme in baukultureller, ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht“ zu entwickeln. PERSPEKTIVE 3: Blickänderung Die Geschichte der Landschaft ist eine Geschichte des Blicks. Dieser Blick, dieses gerichtete Wahrnehmungsinteresse, unterliegt Zeitlichkeiten und Interessensverschiebungen. Der Blick ist auch personenabhängig: So war der Blick des Herrschenden im 15. Jahrhundert ein anderer als der des zeitgenössischen Philosophen oder der des Tagelöhners auf dem Feld – auch wenn alle drei der gleichen kulturellen Zeit- und Ortsebene angehören mögen. Diese persönliche-singuläre Wahrnehmung von Landschaft und Natur haben wir hier in unserem Plädoyer einer neuen Inszenierung von Landschaft bewusst ausgeklammert. Sie findet reichen Niederschlag in zahlreichen Reiseund Naturbeschreibungen über die Jahrhunderte hinweg. In unserer historischen Analyse haben wir uns auf zwei Implikationen von Landschaftsgebrauch und -wahrnehmung beschränkt. Quasi haben wir uns entschieden nur zwei Brillen aufzusetzen, um die Landschaft über die Zeiten hinweg zu diskutieren und uns dabei bewusst auf den europäischen Kontext, also den Wirkungskreis des ‚Abendlands‘ beschränkt, da sich unser Plädoyer vornehmlich auch auf diesen Wirkungsradius bezieht, aber natürlich nicht nur darauf beschränkt wissen möchte. In dieser Fokussierung auf die Landschaft als politisches Instrumentarium und als Ort der Freizeit und Erholung lassen sich jedoch Blickwechsel feststellen, die auch über diese beiden Untersuchungsfelder hinaus wirksam werden und einschneidende Wahrnehmungswechsel markieren.


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Makro- und Mikroebenen Der italienische Dichter, Geschichtsschreiber und Frühhumanist Francesco Petrarca (1304–1374) bestieg am 26. April 1386 den Mont Ventoux, einen knapp 2000 Meter hohen Berg in Südfrankreich, den die Kelten als heilig verehrt hatten. In einem Brief an den Augustinermönch und Intellektuellen Dionysius vom Borgo San Sepolcro beschrieb er seine Empfindungen auf dem Gipfel mit einem Satz aus den Confessiones des Kirchenvaters Augustinus, die er angeblich zufällig auf dem Gipfel in seiner Manteltasche fand und die seinem Freund sicher wohlbekannt waren: „Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die breit dahinfließenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne und vergessen darüber sich selbst“ (Confessiones X, 8). Dieses Zusammenfallen von Naturerlebnis und Rückwendung auf das Selbst deutet eine geistige Wende an. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ungefähr zur gleichen Zeit sechs Luzerner Mönche die Besteigung des Pilatus am Vierwaldstättersee wagten und bei ihrer Rückkehr von der Obrigkeit hart mit Kerkerhaft bestraft wurden. „Offenbar hatten die Mönche unstatthaft an Heiliges gerührt, indem sie ihr Vorhaben ohne äußere Notwendigkeit, aus reiner Entdeckerfreude, in die Tat umsetzten“ (Tönnesmann, 2014, S. 104). In der Innerschweiz wurde die Gipfeltour also klar als eine nicht gottgefällige Grenzübertretung verstanden. Das heisst, analog zu den mittelalterlichen Wehranlagen und Stadtmauern, die urbanes Gebiet klar von der Landschaft schieden, gab es auch solche Grenzen in den Köpfen. Die Natur galt dem Menschen des Mittelalters als eine feindliche und verderbliche Welt, die nur Durchgangsstation in eine jenseitige Welt war. Die Erhebung über die Welt, wie sie den Luzerner Mönchen oder Petrarca durch ihre Gipfelerklimmungen zu Teil wurde, liess einen neuen – gottgleichen – Blick zu. Eine Übersicht, die für menschliche Augen gefährlich schien und Erkenntnis implizierte. Mit dem virtuosen Kunstgriff des Augustinus-Zitats spiegelte Petrarca das Bekehrungserlebnis des Kirchenvaters in seine Bergerzählung hinein und steigerte damit „die biographische Bedeutung des Berichts über alles Anekdotische hinaus“ (ebd., S. 104). Bei Petrarca dient der Blick vom Gipfel über die Landschaft gleichermassen als Erkenntniswie Selbsterkenntnismoment. Er beschreibt erstmals die grundlegende und entscheidende Blickänderung, die sich in jener Zeitspanne vollzieht, die wir heute retrospektiv als Renaissance bezeichnen. Die Welt rückt in ihrer ganzen


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Spannweite ins Blickfeld des neuzeitlichen Menschen. Die Natur und mit ihr die Landschaft ist nicht mehr nur Bühne gewaltiger Mächte und grosser Widerstreiter verzweifelten menschlichen Tuns, sondern wird nun als Raum, Erkenntnisort und Handlungsfeld erschlossen. Man muss erkennen, so Arnold Esch (2008, S. 18), „daß die Zuwendung zur Landschaft, wie sie uns nun, um die Mitte des Quattrocento, in Wort und Bild begegnet, wiederum etwas Neues ist: eine Lust des Schauens, die nicht von cogitatio und contemplatio überlagert oder angeleitet wird – sondern Natur, wahrgenommen mit den eigenen Sinnen auch ohne transzendenten Bezug“ (Hervorhebung im Original). Das Interesse am Raum, der Perspektive, der Vermessung der Welt mit all ihren Naturgesetzen und der Formung der Landschaft nehmen rasant zu. Die Schaulust, die Esch beschreibt, dominiert die farbenprächtigen und detailreichen Raumbilder der Malerei von Sizilien bis – und am strahlendsten – in die Niederlande. Diese fundamentale Interessensänderungen mit all ihren Implikationen kann man sicherlich nicht nur im Hinblick auf die Landschaft als ‚Makroblickwechsel‘ beschreiben, dem wir bis heute anhängen. An diesem neuen Blickwinkel auf die Welt hat sich grosso modo bis ins 21. Jahrhundert nichts geändert – was ihn immer noch so entscheidend und wichtig für uns macht. Hingegen sind die Blickwechsel auf ‚Mikroebene‘, wenn man so will, klein – aber bedeutend. Zusammen mit der Erschliessung des Territoriums entwickelte sich eine Villenkultur, die Architektur und Kunst mit politischem Diskurs und Raumbesetzung verbindet. Damit einhergehend wurden Stadt und Land sukzessive moralisch bewertet: die Landschaft galt als vermeintlich guter, gesunder und ursprünglicher Ort, als wiederzufindendes Arkadien, während die Stadt als Bühne alles Schlechten und Korrumpierten verstanden wurde und somit Landschaft über Stadt triumphierte. Während im Mittelalter nur Stadtluft frei machen konnte, nämlich den Menschen als Bürger von Fronarbeit und Leibeigenschaft entband, veranlasste der Blickwechsel der Renaissance und das Ausgreifen der Städter in den Raum diesen Mikroblickwechsel. Bis heute bestimmt er Wahrnehmungsweisen, beeinflusst Lebensentscheidungen und instrumentalisiert politische Diskussionen. Der Absolutismus totalisierte die Kontrolle der Natur und gab damit der menschlichen Hybris Raum, das kontrollieren zu können, was per se unkontrollierbar ist: das Natürliche. Beschnittene Bäume und Sträucher, Rasenflächen und Hügelketten wurden schon von den Zeitgenossen als Personifikationen der unterdrückten und zurechtgestutzten Menschen


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wahrgenommen. Ein hochbrodelnder Zustand, der sich in der Französischen Revolution entlud. Doch auch diese Affirmation der Natur als Objekt, als formbare Verfügungsmasse, schwingt in jeder Gartengestaltung vom Park bis zum Vorgarten in der Agglomeration bis heute mit, ebenso wie die demiurgische Potenz des Gärtners. Aktuell gipfelt diese dramatische Hybris des Verfügungsanspruchs über die Natur im Klimawandel. Selbstverantwortete Auslöschung vieler Arten und wohl letztlich unserer eigenen Spezies scheinen der ausweglose Preis dafür zu sein. Der Mikroblickwechsel auf die Landschaft als Ausdruck politischer Ideale und gesellschaftlicher Utopien im 17. und 18. Jahrhundert kleidete die Verfügungsvorstellungen des Absolutismus zwar in ein anderes Gewand, führt sie aber in der Gestalt des englischen Landschaftsgartens fort. Doch kommt nun die Komponente des prospektiven, gesellschaftlichen und persönlichen Paradieses hinzu. Weltflucht mischte sich mit der Suche nach einem Ur-Sein, einem Urzustand, in dem Mensch und Natur sich in Harmonie begegnen. En miniature wird im Landschaftsgarten ein neues alternatives Leben erprobt. Der Park, die Landschaft, wird zum Labor. Dieser Blickbogen spannt sich bis zu den grossformatigen Raumausstellungen der IBAs und Regionalschauen des 20. und 21. Jahrhunderts. En miniature inszenierte sich auch das British Emipre, das zum Zeitpunkt seiner maximalen Ausdehnung über 33 Millionen Quadratkilometer umfasste und ein Viertel der damaligen Weltbevölkerung beherbergte, im Park. Diese unfassbaren Dimensionen erfahrbar zu machen, sie zu visualisieren und ‚zu begreifen‘, wurde beispielsweise die Aufgabe der königlichen Kew Gardens in London. Der Blick wurde hier somit nicht geweitet, sondern der multiple, weite Erfahrungsraum des Empire kaleidoskopartig im Landschaftsraum zusammengeblendet. Der Landschaftsgarten wurde so zu einem musealen, anthropologischen sowie hochpolitischen Ort, der keine prospektive Vision mehr abbildet, sondern den Status quo eines Weltreichs manifestiert: die erreichte Expansionsutopie. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts erfolgte nicht nur die koloniale Besetzung der Welt, sondern auch die touristische. Immer mehr Natur wurde zur Landschaft umgewandelt. Diese wurde mittels der Dampfkraft immer mehr Menschen bequem zugänglich. Der Blick der bürgerlichen Gesellschaft entdeckte so die zuvor unzugänglichen Gebirgslandschaften der Alpen, ebenso wie die Küsten und Strände. Hotels, die neuen Unterkünfte der Reisenden, schufen ein


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elegantes Heim auf Zeit, das die gesamte Saison umfassen konnte – in St. Moritz genauso wie an der Ostsee. Anlässlich der ersten Weltausstellung in London 1851 wurden vielerorts auf dem Kontinent erstmals organisierte Reisen angeboten. Beobachter registrierten während der Schau täglich 40.000 an- oder abreisende Menschen: der Massentourismus war geboren (Kretschmer, 1999, S. 34). Der Blick des kosmopolitischen Reisenden, des neuen Weltbürgers, suchte Erholung, Bildung und Entdeckung. Die Vermessung der Welt, der analytische Blick auf das Territorium, als Herrschaftsraum und Herrschaftswissen diente nun der Orientierung und Reise vieler. Der angelegte Park wurde zum integralen Bestandteil der Stadtgestaltung des 19. Jahrhunderts (Hentschel & Stühlinger, 2019). Der Erholungsort aller Schichten avancierte zur Bühne des sozialen Lebens und zum Ort des freieren Kennenlernens der Geschlechter. Der erzieherische Blick prägte das ‚Mobiliar‘ der Gärten und öffentlichen Parkanlagen: Architekturstaffagen und Denkmäler sollten nationale Grösse ausstrahlen und den Bildungshorizont des Flaneurs zeitlich wie örtlich weiten. Die Verknüpfung von Landschaft und Denkmal zu weitgreifenden Ensembles nationaler Ikonografie kann sicher als schlauer und wirkungsmächtiger Inszenierungs-Coup des 19. Jahrhunderts im Gerangel der Nationen gewertet werden. Daneben bleibt der Garten, der hortus conclusus, immer privates und nie erreichtes Paradies. Dieses Wunschbild verknüpft die Klostergärten des Mittelalters mit jenen der toskanischen Villen, den grünen Kabinetten Ludwig XIV., den weiten Parkanlagen der englischen Oberschicht und den Londoner oder Pariser Garden Squares, die einen Schlüssel benötigen, aber auch mit dem Schrebergarten zur Selbstversorgung der 1920er Jahre und den Eigenheimträumen der Nachkriegsgesellschaft bis hin zu den Urban Gardening-Oasen der Metropolen im 21. Jahrhundert. Allein die hier skizzierten Mikroblicke und Mikroblickwechsel auf die Landschaft zeigen, wie vielfältig und vielschichtig der Zugang zum Umraum ist. All diese Inanspruchnahmen und Vereinnahmungen können zeitlich auch nebeneinander existieren und fortbestehen. Sie sind in unserem heutigen Sein alle präsent und formen unser Verhältnis zur Landschaft entscheidend mit. Und sie alle sind räumlich inszenierte, und damit gelenkte Blicke auf die Welt. Sie weisen der Landschaft Qualitäten zu.


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5 ÜBERZEITLICHE, INSZENATORISCHE LANDSCHAFTSPRAKTIKEN ALS PLANUNGSWERKZEUG Nachdem wir im letzten Kapitel gezeigt haben, wie sich das Verständnis von Landschaft und der Begriff Landschaft historisch unter den Parametern der Freizeitnutzung und des Machtanspruchs entwickelt haben, leiten wir im Folgenden die verschiedenen inszenatorischen Mittel ab, die Landschaften gestalten können. Wir nennen sie inszenatorische Landschaftspraktiken, die wir an historischen Beispielen festmachen und bis in die Gegenwart analysieren. Dabei stützen wir uns auf das Rahmenwerk der identitätskonstruierenden Praktiken, die zu Anfang dieses Plädoyers beschrieben wurden (siehe Abb. 5), und erweitern es vor allem in Bezug auf die dort skizzierten Landschaftspraktiken. Der historische Bezug soll verdeutlichen, welche Relevanz und Überzeitlichkeit in ihrem Charakter liegen. Eine Praktik ist eine bestimmte Art, wie eine Tätigkeit ausgeübt wird (WahrigBurfeind, 2004, S. 775). Sie ist prozesshaft und fokussiert nicht auf Ergebnisse allein. Eine Praktik kann beliebig wiederholt werden und ist daher nie abgeschlossen. Körper werden durch kulturelle Praktiken geformt und hervorgebracht. Sie werden existent durch diese. So schreibt der Kulturwissenschaftler und Medientheoretiker Roland Meyer (2011, S. 318): „Körpertechniken verfestigen sich im Umgang mit kulturellen Artefakten: Schuhe bestimmen unseren Gang, Stühle unsere Art zu sitzen, die gesamte


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gebaute und gestaltete Umwelt formt unsere Körper mit.“ Durch Wiederholung werden Alltagspraktiken Teil der Körper selbst, sie werden identisch und formen somit Identitäten (Kaps, 2018a). Durch ihre identitätskonstruierende Eigenschaft eignen sie sich besonders für Planungsprozesse, die stark auf die Akzeptanz und Identifikation der Bevölkerung angewiesen sind. Unser Fokus liegt im Folgenden darauf, wie diese inszenatorischen Landschaftspraktiken als Werkzeuge eingesetzt wurden und was genau mit ihnen inszeniert und somit zur Landschaft wurde. Ziel ist es, durch diese Analyse sieben Landschaftspraktiken als rezipierbar und damit wiederanwendbar herauszuschälen, denen wir das Potenzial zuerkennen, auch und insbesondere in zukünftigen Landschaftsgestaltungen und Landschaftsinszenierungen zum Tragen zu kommen bzw. unser Verhältnis zur Landschaft sinnfällig und als ein Lust- und Erholungsgewinn für jedermann und jederfrau wahrzunehmen. Landschaftliche Blicke rahmen Wie vorgängig beschrieben, wurde Landschaft zuerst durch den Blick definiert. Es sind also die gelenkten Blicke und die bereits skizzierten Blickwechsel in der Geschichte der Landschaft, die gemeinsam das formen, was wir gemeinhin als Landschaft verstehen und schätzen. Ziel des gerahmten Blickes ist es, den Blick nicht ziel- und orientierungslos schweifen zu lassen, sondern ihm einen bestimmten Aus- und Einblick zu gewähren. Die Lenkung des Blicks durch Fensterrahmen, Architekturen, Topographien oder die Flora selbst ist sicher die offensichtlichste und wirkungsmächtigste Inszenierungspraktik, die den menschlichen Zugriff auf den Raum seit Anbeginn bestimmt. In der Renaissance wird dieser gerahmte Blick zum Topos: Fenster, Loggien, Belvedere geben den Blick vor. ersten europäischen Architekturtheoretiker nachantiker Zeit, Leon Battista Alberti (1404–1472) ist daher das Thema des Ausblicks zentral: Er empfiehlt für die Villa eine mässige Hanglage, um eben jenen Ausblick, der in alle vier Himmelrichtungen unterschiedlich zu sein habe, zu ermöglichen und erklärt das Fenster zum entscheidenden Motiv. „Erst mit Beginn der Renaissance wird die ambivalente Funktion des Fensters manifest: einerseits ist es ein Instrument, das u.a. zur Belichtung, Belüftung, Wärmeregulierung des Innenraums, andererseits zum Betrachten des Aussenraums dient. Es ist ein architektonisches Element, das in funktionaler und hygienischer Hinsicht körperlichen Bedürfnissen Rechnung trägt. Doch ebenso ist es ein ‚optisches‘ Gerät, eine Art Blendöffnung, durch die wir die Welt betrachten. In diesem Sinne scheint es mit einem ‚künstlichen Auge‘ ausgestattet…“, so Georges


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Teyssot (2009, S. 54). Architektur und Gartengestaltung werden über den Ausblick im 15. Jahrhundert erstmals eng aufeinander bezogen und der öffnende Übergangsmoment, die Schwelle des Fensters und der Türe so heraufbeschworen, dass der Kunsthistoriker Christoph Bertsch (2012) zu Recht die Frage stellt: „… ob hinter diesen architektonischen Öffnungen nicht auch die Metapher steht: Geöffnete Türen und Fenster als Bild einer neuen Erkenntnis, Landschaft und Garten als Bild einer neuen Weltsicht“ (S. 65). Diese – nach unserer architekturhistorischen Analyse geradezu rhetorisch anmutende Frage – ist klar mit Ja zu beantworten. Der menschliche Blick wird in der Landschaftsgestaltung spätestens seit der Renaissance gelenkt und diese Lenkung ist zentral – für die Wahrnehmung und den daraus zu erhoffenden Genuss- sowie Erkenntnisgewinn. Die neu entdeckte zweidimensionale Perspektive als das bildliche Instrumentarium der Renaissance wird auch in den Raum übertragen und verknüpft den Villenbau mit Garten, Landschaft und – wie im Falle von Florenz beschrieben – mit der Domkuppel als politischem Fixpunkt. Die barocken Schlossanlagen mit ihren Alleen, Bosketten und inszenierten Durchblicken exponenzieren diese Praktik. Das Aha (oder auch Ha-Ha), ein architektonischer Kunstgriff, benannt nach dem staunenden Ausruf des Betrachters, leitet den Blick auch über Parkgrenzen hinweg in den so miteingebundenen Inszenierungsraum der freien Landschaft: Die Umfassungsmauer sinkt, wie beispielsweise im Park von Schloss Nymphenburg in München, zur Stärkung und Weiterführung verschiedener Blickachsen auf Bodenniveau herab und lässt den Blick ungehindert weiterschweifen. Ein tiefer Graben, ähnlich eines mittelalterlichen Burggrabens, dient stattdessen als Sicherungselement des Parks. Fehlt aber die Lenkung des Blicks, sei es durch Fenster, andere architektonische Öffnungsmotive oder die reine Anlage des Gartens und der Landschaft, „so ist es, als ob Einem die Augenlieder weggeschnitten wären“. Mit diesen Worten beschrieb Heinrich von Kleist in einem Zeitungsartikel 1810 die intendierte Uferlosigkeit in der Betrachtung von Caspar David Friedrichs kurz zuvor entstandenem Gemälde Mönch am Meer (Wagner, 2008, S. 3). Hier wird der Blick dezidiert nicht gelenkt und der Mensch einer äusseren und auch inneren Landschaftsweite ausgesetzt (Abb. 31). Noch heute inszeniert jede Parkbank einen Landschaftsausblick. Aussichtspunkte fungieren als Ziel einer Wanderung. Wir erleben es als Belohnung, wenn unser Blick über die Weite einer Landschaft gleitet. Die Künstlergemeinschaft Haus-Rucker-Co stellte zur documenta 6 in Kassel 1977


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einen doppelten Metallrahmen auf, durch den die Besucherinnen und Besucher auf einer Brücke stehend, in die Karlsaue blicken konnten (Abb. 32). Dieser Rahmenbau (Landschaft im Dia) zielte auf den barockgeprägten Staatspark mit Orangerie. Das Gesehene erfährt durch das bis heute existente Kunstwerk eine Aufwertung: Die Parklandschaft Kassels wurde über jene Intervention im Raum ästhetisiert und objektiviert. Die Beispiele zeigen, dass Blickführungen in den dreidimensionalen Raum eine überaus erfolgreiche Praktik in der Landschaftsgestaltung und -wahrnehmung sind und stärker in der gegenwärtigen und zukünftigen Raumplanung gestaltend wirken müssen: Mensch und Landschaft werden so aufeinander bezogen.

Abbildung 31: Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1808–1810, Öl auf Leinwand, Alte Nationalgalerie, Berlin


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Sich durch Landschaft bewegen Die durch den Soziologen Lucius Burckhardt in den 1980er Jahren entwickelte Spaziergangswissenschaft oder auch Promenadologie ist eine kulturwissenschaftlich-ästhetische Methode, um gezielt durch Wahrnehmung zu sensibilisieren und um Wissen zu erzeugen, nicht nur bei Akteuren aus der Planung und Politik, sondern auch bei der Zivilgesellschaft (Schmitz & Ritter, 2006). Über reflexive Spaziergänge wurde versucht, typische und alltägliche Situationen zu erkennen, wahrzunehmen und planerische Fragen an ihrem Beispiel zu erörtern. Dabei nimmt Burckhardt aber insbesondere die uninszenierte, zufällige (Stadt-) Landschaft in den Blick. An der Universität Liechtenstein wird diese Methode des Beobachtens, Explorierens und

Abbildung 32: Haus-Rucker-Co, Rahmenbau (Landschaft im Dia), anlässlich der documenta 6 in Kassel, 1977


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Erforschens durch Wandern in Forschungsprojekten und im Entwurfsstudio angewendet. Besonders in der Analyse und wahrnehmungsorientierten Bestandsaufnahme von Orten kann das wiederholte und langsame ErWandern informelle (halb)öffentliche Räume offenlegen, die häufig in Karten fehlen (Brandl, Herburger & Hilti, 2021). Der Landschaftsarchitekt Henrik Schultz (2014, S. 7) hält fest: „In der Situation des Wanderns kommen intensive Raumwahrnehmung, Flow (der Intuition und Ideen stimuliert), Aktion (die verändert und Neues hervorbringt) und Reflexion (die das Neue als solches erkennt und transferiert) zusammen“ (Hervorhebung im Original). Der erste inszenierte Weg durch die Landschaft ist sicher die Strasse. Sie kann allein der maximal kürzesten Verbindung zweier Punkte im Raum dienen, aber auch um qualitative Landschafts- und Kulturwerte erweitert werden, die das Fortbewegen durch den Raum zu einem Erlebnis werden lassen – zum Teil mit stark intendiertem Gehalt wie die Streckenführung der Deutschen Reichsautobahn zeigte. Unsere architekturhistorische Analyse belegt klar, dass die Geschwindigkeit, mit der wir uns durch den Raum bewegen, einen entscheidenden Einfluss auf unsere Wahrnehmung von Landschaft hat: ob wir langsam lustwandeln oder joggen ist ein grosser Unterschied, ebenso ob wir reiten oder mit der Bahn oder dem Flugzeug reisen. Die Aussenwahrnehmung unseres Planeten durch Weltraummissionen und die Mondlandung 1969 haben den Erfahrungskosmos der Menschheit zumindest im Bild nochmals geweitet und die Fragilität unseres Lebens auf der Erde verdeutlicht. Viele dieser historisch gewachsenen Praktiken der Landschaftsaneignung durch Fortbewegung, Reisen und Tourismus sind auch heute noch aktuell. In ihrer Planung sollten sie gezielt genutzt werden, um Landschaften bewusst zu inszenieren, also eine Verbindung zwischen Weg und Landschaft, eine Bezogenheit aufeinander nicht nur zuzulassen, sondern zu fördern. Welches der Werkzeuge passend ist (Wander- oder Velowege, Strassen, Kanäle oder Bahnstrecken) hängt davon ab, welche Art von Landschaftsraum in Szene gesetzt werden soll und mit welcher Geschwindigkeit die Wahrnehmung von statten gehen wird. Die körperliche Wahrnehmung etwa zu Fuss, auf dem Schlitten oder mit dem Boot ist dabei eine andere als auf dem Motorrad, dem E-Roller oder im ICE. Unterschiedliche Wahrnehmungsgeschwindigkeiten und körperliche Sensationen wie Kälte, Geruch oder der Kontakt zum Untergrund können gezielt eingesetzt werden, um entsprechende und anregende Inszenierungsmomente zu gestalten. Landschaft wird so nicht zu etwas Zufälligem degradiert, sondern essentieller Gestaltungsanteil einer Wegstrecke, die so an Qualitäten gewinnt.


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Landschaft übersetzen Die Landschaft findet multiple Übersetzungen, wie etwa in sakrale Kontexte, in die Malerei oder in die Literatur. Die antike Welt war von Gottheiten bevölkert, denen Naturereignisse und Naturgewalten zugeschrieben wurden. Sie selbst waren Teil der Natur in Menschenform und erklärten Unerklärliches in der Welt. Ab der Renaissance nimmt die Landschaft einen immer entscheidenderen Stellenwert in der abendländischen Malerei ein, bis sie sich im 19. Jahrhundert den alleinigen Sujet-Wert von Gemälden erkämpfte, wie etwa bei Caspar David Friedrich (Abb. 31). Doch Landschaft wurde nicht nur in die Malerei übersetzt, sondern auch in der Literatur spielten Beschreibungen von Landschaft eine grosse Rolle, um den Handlungsort für den Leser zu inszenieren oder Stimmungen und Gefühle zu spiegeln. So nimmt etwa die Ekphrasis, die Beschreibung von realen oder auch imaginierten Landschaftsräumen, in der Literatur oder aber auch im Gartenführer eines Ludwig XIV. einen zentralen Platz ein. Aber auch in der Aufklärung wurde Landschaft in Mythen, wie etwa Arkadien, übersetzt und paradiesisch glorifiziert. An diesem abgelegenen Ort auf der Peleponnes – so der Topos – konnten die Menschen unbelastet von gesellschaftlichem Anpassungsdruck idyllisch in der Natur und als zufriedene Hirten leben. Durch seine Wiederbelebung in der Renaissance und Aufklärung in Gemälden, Gedichten und Mythen wurde das überzeitliche Arkadien zum Sehnsuchtsort und moralischem Referenzraum. Im 16. Jahrhundert wurde Landschaft mithilfe von Kartographie die den zweidimensionalen Raum übersetzt. Dies ermöglichte, entscheidende Erkenntnis über Raumzusammenhänge zu gewinnen. Mit der Entdeckung der neuen Welt entstanden die ersten Globen und Atlanten. Der Niederländer Gerhard Mercator erlangte so etwa mit seiner Weltkarte 1569 Weltruhm und bereits 1477 hatte Donnus Nicolaus Germanus für Papst Sixtus IV. den ersten belegten Erdglobus der Neuzeit angefertigt. Mit allerlei ausgefeilten Messinstrumenten bestieg Alexander von Humboldt den Chimborazo im lateinamerikanischen Ecuador und erschuf 1807 sein berühmtes Naturgemälde Géographie des Plantes Équinoxiales. Auf ihm erfasst er nicht nur einen Querschnitt des Vulkans, sondern den gesamten südamerikanischen Kontinent: Zeichnungen über die Vegetation geordnet nach Klimaschichten sowie Messwerte und Tabellen über physikalische und chemische Verhältnisse der jeweiligen Klimazone. Humboldt übersetzte Landschaft erstmals in ein Weltbild, auf dem unser heutiges Verständnis vom globalen Zusammenhang – Humboldt nennt es Kosmos – von Klima, Vegetation und Topografie aufbaut.


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Ein regelrechter Vermessungswahn ergriff die Naturwissenschaftler und Abenteurer des 19. Jahrhunderts in der Ferne, aber auch vor ihrer eigenen Haustür. „Manchmal war ihm, als hätte er den Landstrich nicht nur vermessen, sondern erfunden, als wäre er erst durch ihn Wirklichkeit geworden. Wo nur Bäume, Moos, Steine und Graskuppen gewesen waren, spannte sich jetzt ein Netz aus Geraden, Winkeln und Zahlen. Nichts, was einmal jemand vermessen hatte, war noch oder konnte je sein wie zuvor“, lässt lässt Daniel Kehlmann Carl Friedrich Gauß in seinem berühmten Roman Die Vermessung der Welt sinnieren. Zur ersten Landesausstellung 1883 in Zürich wurde die Dufourkarte als erste geografische Karte der Schweizer Nation zur „orientierungsstiftenden Selbstverortung“ (Gugerli & Speich, 2002, S. 12) entwickelt. Diese Vogelperspektive auf das Land war 1883 eine Attraktion, da erst in den 1890er Jahren der Ballonfahrer Eduard Spelterini erste Luftaufnahmen von der Schweiz veröffentlichte. Über die geografische Abbildung der Nation und gleichzeitig Abgrenzung zu den Nachbarländern wurde eine politische Insellage und Einheit skizziert, die das Schweizer Zusammengehörigkeitsgefühl fördern sollte. Die Betrachterin oder der Betrachter identifizierte sich mit diesem geografischen Raum als Heimat. Die Karte erhielt hier eine zentrale Rolle im Konstruieren nationaler Identität. Seit der Renovation 2008 hängt die Dufourkarte im Eingangsbereich des Parlamentsgebäudes in Bern. Dort fügt sich die Karte nahtlos in die Schweizer Nationalikonografie ein und steht zusammen mit dem Wandgemälde von Charles Giron und der Bezogenheit des Baus an sich auf das Alpenpanorama in der Ferne für die alpine Schweizer Topografie, die politische Struktur der Schweizer Eidgenossenschaft, für die Schweiz als Bundesstaat nach 1848, die Viersprachigkeit der Nation sowie für Werte wie Genauigkeit, Präzision und Pioniergeist. Heute hat Google Maps die kartographische Oberhoheit übernommen. Per Karten-Autos scannen Apple und Google die Welt und geben uns eine Weltsicht (nicht nur) aus Strassenperspektive. Vom Schreibtisch aus können wir dank 3D-Technologien verwinkelte Gassen in Edinburgh erforschen oder durch die Hochhausschluchten von Bangkok surfen. Kartenwissen war zwar schon seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr genuines Herrscherwissen, sondern für jedermann und jederfrau ein in Buchhandlungen käuflich zu erwerbendes Wissen. Dieser pekuniäre Wissenskauf wurde durch das Internet ersetzt und mit der Satellitenaufnahme und der maximalen Breite des kartographischen Horizonts gekoppelt. Im Umkehrschluss heisst dies aber auch: Was nicht auf Google Maps verzeichnet ist, ist nicht existent – respektive,


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entzieht sich der Welt. Die Hoheit über diese Karten – und der Entscheid, was sie abbilden – ist nicht nur Gold wert. Schon immer war klar: Wer Karten besitzt, sie zeigt, in Auftrag geben und entsprechend verändern kann, hat die Macht. Landschaft hegemonial beanspruchen Die vorangegangene architekturhistorische Analyse belegt klar die unabdingbare Verflechtung von Raum- und Machtinteressen in Vergangenheit und Gegenwart: Die archaische, aber grundlegende Parallelität von Macht und Territoriumsausdehnung greift weit durch die Zeiten. Sie erst legitimiert politische Ansprüche. Ob es die Burgen entlang des Rheins oder Seeztals sind, die gottgleichen Erdbewegungen im Park von Versailles eines Ludwig XIV. oder das Hissen einer Nationalflagge bei der Erstbesteigung eines Viertausenders im 19. Jahrhundert oder auf dem Mond hundert Jahre später: All diese Unternehmungen und Gesten verbinden den Boden, das Territorium und mit ihm die Landschaft und ihre Gestaltung mit einem dezidierten, aktionsgelenkten Machtanspruch. Auch die Disziplin der Raumplanung stellt bis heute eine hegemoniale Aufgabe dar, die wir gerne mit dem Begriff ‚hoheitlich‘ umschreiben. Das Bild – das Tafelbild, das Landschaftsbild, die Karte – leistet in dieser Verifizierung und Visualisierung von Landschaft seit der Renaissance einen ungeheuren Beitrag. Erst in der visuellen Umsetzung ist die Anspruchsfülle präsent. Abstrakte Ausdehnung in den Raum findet so eine mächtige Kondensierung. Die Stadtmauern des Mittelalters schieden den Raum in einen gefährlichen ausserhalb des Fortifikationsrings, der noch kaum zu regieren ist, und einem sicheren innerhalb der Mauern. Hier konnte das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben unter einer Machtglocke aus Gesetzen und Regeln sicher gedeihen. Das immer besser zu kontrollierende und zu beherrschende Territorium der Neuzeit fand Eingang in die Tafelmalerei und eroberte sich in der Landschaftsdarstellung wie in der Kartographie immer mehr physischen Raum im Bild. Einen Höhepunkt royaler Machtentfaltung stellt sicher die berühmte Vogelschauperspektive über den ersten Ausbauzustand von Versailles dar, dessen gottgleichen Betrachtungswinkel im 17. Jahrhundert noch kein Mensch physisch einnehmen konnte (Abb. 33). Das Terrain wirkt in seiner Haptik wie Lehm, jenem Urlehm, aus dem Gott die Welt und den Menschen formte. Analog formt jede Gesellschaft – nicht nur der absolutistische Herrscher – ihre Lebenswelt und dies auch und insbesondere in der Landschaft. Diese Praktik, Macht mit Landschaft zu verbinden, stellt uns im 21. Jahrhundert


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aber vor eine Selbstreflexions- und Definitionsfrage: Welche gesellschaftlichen Entitäten haben Macht in einer demokratischen, kapitalistischen und global vernetzten Welt? Ist es die Wirtschaft, die an der Landschafts- und Freiraumgestaltung genuin weniger Interesse hat, da der Mehrwert, ihr Gewinn sich nur selten in bare Münze umwandeln lässt? Welche Stellung bezieht der Staat oder die Staatengemeinschaft zur Landschaft? Wo begegnen sich Schutz und Gestaltung? Sollte auch Landschaftsschutz inszeniert werden? Wem gehört eigentlich welcher Boden? Im Zuge des sich verschärfenden Klimawandels ist es aber durchaus möglich, dass der – zumindest aus europäischer Sicht – gegenwärtig statische

Abbildung 33: Pierre Patel, Vogelschau über den ersten Ausbauzustand des Schloss Versailles, 1668 Öl auf Leinwand, Château de Versailles


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Verteilungszustand der Welt, massiv ins Rutschen gerät, wenn immer mehr Landfläche dem steigenden Meeresspiegel und den sich ausbereitenden Wüsten zum Opfer fallen, oder immer stärker werdende Wetterereignisse immer grössere Teile der Erde zumindest zeitweise weder urbar noch bewohnbar machen. Hinsichtlich der Praktiken für den Umgang mit Landschaft ist hingegen auf eine unbedingte Verantwortung der Eigentümerinnen und Eigentümer von Boden zu drängen, um ungestalteten Brachen und Nicht-Orten wie z.B. der Umgebung von Flughäfen, Industriegebieten und Gewerbeparks, neue landschaftliche Qualitäten abzuringen. Der Hegemonialanspruch über Landschaft fragt gleichsam nämlich auch nach Verantwortlichkeiten. Raum- und Landschaftsgestaltung hat immer mit der Annahme dieser Verantwortung zu tun. In Landschaft ausstellen Mit der Inszenierung von Landschaft verbindet sich häufig auch ein Sammelaspekt. Die Wirtschaftseliten des 15. und 16. Jahrhunderts versammelten in ihren Gärten und Parkanlagen antike Skulpturen und ein reiches Pflanzenrepertoire, um ihrem Bildungsanspruch Geltung zu verleihen. Dieser Anspruch einer profunden Sammlung, verbunden mit dem Staunen der Betrachterin, konnte sich auch in einer reichen Privatikonographie niederschlagen wie beispielsweise im Park von Bomarzo, nördlich von Rom (Abb. 34). Pierfrancesco „II Vicino" Orsini (1523–1585) liess hier eine wohl auf Ariosts Rasenden Roland bezugnehmende Parkgestaltung durch Architekten wie Pirro Ligorio und Giacomo Barozzi da Vignola anlegen. Der Skulpturenpark wurde erst in den 1950er Jahren wiederentdeckt und freigelegt. Als Parco dei Mostri, als Monsterpark des Manierismus, ist Bomarzo aber mittlerweile für ein breiteres Publikum zugänglich. Die absolutistischen Herrscher des Barocks weiteten den Sammlungshorizont ihrer Parkanlagen um wilde Tiere in Menagerien. Der antike Götterkosmos und die antike Architektur wurden um Chinoiserien ergänzt. Diese ChinaBegeisterung des 18. Jahrhunderts schlug sich in Innenausstattungen nieder, aber auch in chinesisch anmutenden Lustschlössern und Pagoden im Park. Daneben erhielten auch Ruinen als ‚Memento mori‘ Eingang in die Parkanlagen sowie persönliche Reiseerinnerungen wie jener pyrotechnisch betriebene Vulkan von Wörlitz (Abb. 35), der an die Süditalienreise seines Erbauers Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) erinnert. Der sächsische Fürst war mit vielen seiner prominenten Zeitgenossen, darunter Goethe, Winkelmann, Wieland, Novalis, Lavater und Rousseau


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persönlich bekannt oder befreundet. Sie alle hatten Anteil an der Einheit stiftenden Idee des Wörlitzer Gesamtkunstwerks: aus der Synthese aktueller geistiger, politischer und künstlerischer Bezüge ein mikrokosmisches Sinnbild des Lebens, das perfekte Modell eines aufgeklärten Daseins, zu schaffen. Neben dem Schloss selbst als Replik auf Palladios Villen im Veneto des 16. Jahrhunderts wird der weite Landschaftspark an der Elbe nicht nur von einer gleichwertigen Riege an verschiedenen Gotteshäusern sowie Venustempel und Pantheon skandiert, sondern auch von neuen historischen Eskapismen wie dem Gotischen Haus in Anlehnung an Strawberry Hill und einem Piemonteser Bauernhaus sowie dem bereits erwähnten feuerspuckenden Vulkan auf der Insel Stein. Neben der obligaten Grotte verfügt das Gartenreich Wörlitz auch über eine Rousseau-Insel. Auf den meist runden Inseln wurde ein Kreis von Pappeln oder Erlen gepflanzt, die eine Zierurne oder ein Kenotaph umgaben. Ähnlich, wenn jedoch unter anderem politischen Vorzeichen und Anspruch verhält es sich auch in den zeitgleichen Königlichen Gärten von Kew Gardens in London, die in ihrer visuellen Dichte das Territorium des prosperierenden British Empire abbilden und es in der Hauptstadt in all seinen Exotismen erlebbar machen. Damit nehmen die Gärten die ein halbes Jahrhundert später, ebenfalls in London auf royales Bestreben entstandene Weltausstellung als internationale Waren- und Leistungsmesse vorweg. Auch heute noch werden Landschaften etwa durch Formate wie die Bundesgartenschau (BuGa) oder die internationale Bundesgartenschau (IGA) inszeniert, deren Elemente für ein Festjahr her- und ausgestellt werden, um anschliessend als Erholungszonen für die Bevölkerung zugänglich zu bleiben. In ihnen werden kleinere, heterogene Inszenierungselemente komponiert wie etwa Eisenbahnen für Rundfahrten, Tierparks teils als Streichelzoos, Beete zur Schau exotischer oder heimischer Pflanzen, Jahrmärkte mit Essensständen und Fahrzeugen, Aussichtstürme oder landschaftsarchitektonische Elemente wie Hügel, Seen oder grossformatigere Bepflanzungen. Zusammen bilden sie eine kleine Welt in sich, die zu Freizeitund Erholungszwecken besucht wird. Der Höhenpark Killesberg in Stuttgart ist ein gutes Beispiel der ständigen Überformung und Neukodierung: Er fand 1939 als Austragungsort der Reichsgartenschau seine erste und im Rahmen der Internationalen Gartenbauausstellung 1993 seine bis dato letzte (Fort-) Gestaltung. Das (Ver-)Sammeln im Garten, die Integration der Landschaft, kann also Selbstzweck sein, Freude und Genuss oder in mythologisch-kosmische


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Zusammenhänge abtauchen lassen. Landschaft kann aber auch der Selbstund Fremdbildung dienen sowie propagandistisch Verwendung finden, wie die folgende Praktik beschreibt. Durch Landschaft bilden Insbesondere gaben Denkmallandschaften nicht erst im 19. Jahrhundert, hier aber mit besonders grossem Impetus und nationaler Grundhaltung die Lesart von ‚Sammlungen‘ in der Landschaft bereits vor. Jeder Privatgarten und -park seit der Antike soll mit seinem vorgetragenen Anspruch nicht nur den

Abbildung 34: Parco dei Mostri, Bomarzo, 1552–1585


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Hausherren adeln und den Gast beeindrucken, sondern auch als Ort der Bildung fungieren. So diente beispielsweise der Garten des Palazzos Medici in Florenz als Ausbildungsort der Sprösslinge und Schützlinge des Hauses. Die Parkanlagen des Barocks und der Aufklärung waren durchdrungen von einem Anspruch der Verherrlichung oder der Erziehung. Weltsichten wurden zur Schau getragen und auch mancher private Kosmos gelüftet: Hier spannt sich der Bogen direkt vom versteckten Monster-Garten in Bomarzo aus dem 16. Jahrhundert bis zu dem beispielsweise nicht weit entfernt gelegenen Giardino dei Tarocchi der Künstlerin Niki de Saint Phalle (ab 1979). Von der naturreligiös-freimaurerisch geprägten Frömmigkeit ihres Erbauers zeugt hingegen das Labyrinth im Wörlitzer Park. Mit seinen verworrenen

Abbildung 35: Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, Künstlicher Vulkan auf der Insel Stein, Wörlitzer Park, 1788–1794


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Wegen, die nach manchem Irrgang in das heitere Tal Elysium überleiten, stellt es eine Allegorie des menschlichen Lebens selbst dar. Bevor man aber auf den kleinteiligen Irrwegen ins Elysium gelangt, passiert man mahnende Inschriften wie „Wähle Wanderer deinen Weg mit Vernunft“ (Buttlar, 1989, S. 141–152). Kaleidoskopartig wird hier eine persönliche Erfahrungswelt mit politischer Gesinnung und Seinsanspruch verbunden. Komplexe Inhalte werden in der Zusammenschau greifbar und begreifbar. Der Garten verspricht somit einen übergeordneten Erkenntnisgewinn, der ausserhalb seiner selbst kaum möglich gewesen wäre. Bereits der Volkspark-Gedanke integrierte den Bildungsanspruch der breiten Masse in seine Konzeption. Nicht nur erholt sollte sollte die Bürgerin und der Bürger aus den Parkanlagen nach Hause kehren, sondern auch gebildet. Das zu sehende Denkmäler- und Skulpturenarsenal sollten den Untertanen selbstredend politisch auf Linie halten bzw. der Identifikation von Staat und Bürger dienen. Die grossen Landschaftsdenkmäler des 19. Jahrhunderts schlagen hier einen lauteren Ton an: Als Solitäre in die Landschaft gesetzte Grossskulpturen oder Bauwerke wie das Hermannsdenkmal bei Detmold, das zwischen 1838 und 1875 nach Entwürfen von Ernst von Bandel erbaut wurde, nimmt nicht nur die umgebende Waldlandschaft entschieden in Besitz, sondern benötigt selbige auch für den Erzählstrang des Denkmals: Just in den undurchdringlichen Wäldern Germaniens gelang es dem Cheruskerfürsten Arminius knapp zwei Jahrtausende zuvor, dem römischen Heer eine empfindliche Niederlage beizubringen. Im 19. Jahrhundert instrumentalisierte das sich formende Deutsche Reich die historische Figur als überzeitlichen Antagonisten zum aktuellen Gegner Frankreich. Die botanischen Gärten und Zoos des 19. und 20. Jahrhunderts – jene öffentlich zugänglichen Sammlungen von Flora und Fauna – verbinden Schaulust und Neugierde mit wissenschaftlicher Analyse und Wissensvermittlung. Ein jüngeres Beispiel, in der Landschaft selbst zur Bildung beiträgt, ist die Umwandlung alter Industrielandschaften in Kultur- und Wirtschaftsstandorte wie etwa am Beispiel der Zeche Zollverein im Ruhrgebiet beschrieben. Indem Altbauten erhalten bleiben, wird in ihrer Architektur selbst, aber auch in Form von ansässigen Museen und Institutionen über die Geschichte des Ortes erzählt. In der gesamten Region werden alte Industriebauten oder auch brachliegende Elemente wie Bahngleise, Hebebühnen oder Kräne in die Landschaftsgestaltung eingebunden. Vergangenheit, im Falle der Zeche Zollverein des Bergbaus, wird so erlebbar gehalten, zumal diese auch die


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Landschaft des Ruhrgebiets bis heute entscheidend prägt. Die Industrie- und Bergbauveteranen speichern die Geschichte des Ortes, ihren genius loci, durch ihre Präsenz im kollektiven Gedächtnis. Landschaft als Reflexions- und Kritikort nutzen Die Landschaft oder gar den Garten als einen Ort der Kritik wahrzunehmen, scheint auf den ersten Blick paradox. Seit Anbeginn verstanden sich die Gärten des Abendlandes als Abbilder des verlorenen Paradieses, als einen Abglanz des Garten Eden in einer trostlosen Welt. Vielleicht ist ihre zusätzliche Konnotation als Orte der Gesellschaftskritik und der Reflexion aber aus diesem Anspruch heraus zu verstehen: Wenn wir sogar einen Hauch von vorund überzeitlichem Paradies im Garten abbilden können, ist er vielleicht der geeignete und vor allem auch sichere Ort, um alternative Gesellschaftsentwürfe, also ein prospektives Paradies zu erproben. Auf privatem Grund und Boden entstehen vor allem in der Aufklärung weitschweifige Landschaftsgärten in Opposition zum Absolutismus. Ein neues Naturverständnis empfiehlt den Garten als Labor. Politisch formiert sich diese aufgeklärte, auf breitere politische Mitwirkung drängende junge Aristokratenelite in der sogenannten „Country Party“, die die Landschaft mit in ihrem Banner führt. Je stärker Landschaft durch die Industrialisierung in Bedrängnis geriet, desto polyformer wurden die gesellschaftlichen Gegenentwürfe zur kapitalistischen Gesellschaft. Die soziale Frage, also die Sorge um Leib und Leben der Arbeiterklasse, war Motor vieler alternativer, sozialutopistischer Gesellschaftsentwürfe und Reformvorschläge. Oftmals wurden sie nicht allein von philanthropischen Überzeugungen getragen, sondern auch von der handfesten Sorge, dass die erbärmliche Lebenssituation der Arbeiterklasse Revolutionen zeitigen und Epidemien – von Cholera bis Typhus – erst die Armen, dann aber die Reichen hinwegraffen könnten. Daneben sorgten sich die Fabrikbesitzer – denn viele Sozialreformer des 19. Jahrhunderts waren genau das: Industrielle – auch um die schwindende Arbeitskraft ihrer Belegschaft. Immer in enger Standortverbindung zum Produktionsort wurden die in Architektur gegossenen Sozialentwürfe auch auf dem Land entwickelt und realisiert wie Charles Fouriers Phalanstères oder Robert Owens New Harmony. Daneben zog es immer mehr Menschen aus weltanschaulichen und wirtschaftlichen Gründen in die Neue Welt, um hier alternative Lebensund Glaubensmodelle zu starten, die oft an den Widrigkeiten der Natur und Krankheiten scheiterten. Der Reigen der Alternativgesellschaften fernab der Städte zieht sich im 20. Jahrhundert fort über die Kibbuze Israels, die Hippie-


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Kommunen der 1960er bis hin zu den mobilitätsbegeisterten Entwürfen von Frank Lloyd Wright (Broadacre City, 1932, Abb. 29) und den technikaffinen Zukunftslaboratorien von Walt Disneys EPCOT oder den Colonies in Space 1977. Eine andere kritische Haltung gegenüber gesetzten Spielregeln (hier kapitalistisch-wirtschaftliche) setzt sich in der Land Art Bewegung der 1960er Jahre in den USA fort. Die Künstlerinnen und Künstler jener Zeit wehrten sich gegen die Vermarktung ihrer Artefakte, indem sie Objekte in und mit der Landschaft schufen, die in keiner Galerie ausstellbar waren. Somit konnte der Kunstmarkt ihre Werke nicht als Spekulationsobjekte nutzen. Landschaft diente in Werken wie Spiral Jetty von Robert Smithson nicht als Hintergrund, sondern wurde zum Kunstwerk selbst erhoben. Neben den Fluchtorten für alternative Lebens- und Gesellschaftsentwürfe als Kritik am Status quo, nimmt die Landschaft aber auch auf der persönlichen Ebene häufig den Stellenwert eines Reflexionsorts ein. Bereits seit Albrecht Dürer (1471–1528) spiegelt sich die nordalpine Kultur in der Landschaft Italiens. Die Grand Tour-Reisenden des 18. Jahrhunderts suchten neben klassischer Bildung und Abenteuern die Herzensbildung über die südliche Landschaft in ihrer ganzen kulturellen Tiefe. Bereits hier klingt die Vorstellung an, über den Landschaftsgenuss, wie beispielsweise der römischen Campagna, eigene Sehnsüchte schöpferisch freizusetzen. Die gesteigerte Seinserfahrung bzw. die Projektion eigener Gefühle auf die Landschaft als Echo der Seele erlebte in der Romantik neue Aktualität und wurde zum Inbegriff einer ganzen Epoche. Die romantische Naturerfahrung wurde von Dichtung wie Malerei gleichermassen getragen. Diese Entsprechung von Gefühl und Landschaft oder auch schlichte, wohltuende Ruhe in der Landschaft, fernab der Metropolen, ist Balsam für stressgeplagte Millennials. Schon vor den Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hatten Trekkingtouren, Achtsamkeitskurse und YogaRetreats in der Landschaft Konjunktur. Diese Begeisterung für OutdoorAktivitäten führt dazu, dass manche Wanderung in den Alpen eher einer Massenpilgerfahrt gleicht als einer psychischen und physischen Erholung. Gerade weil der Handyempfang fast überall in Europa ungebrochen und damit die Vernetzung maximal ist, scheint das physische ‚Sich- in-die-Naturbegeben‘ nach wie vor ein elementares Bedürfnis des Menschen im 21. Jahrhundert zu sein. Um dieses Bedürfnis und diese Form von landschaftlichen Aneignungsprozessen zu befriedigen, müssen Frei- und Landschaftsräume qualitätsvoll gestaltet werden.


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Diese sieben inszenatorischen Landschaftspraktiken – landschaftliche Blicke rahmen, sich durch Landschaft bewegen, Landschaft übersetzen, sie hegemonial beanspruchen, in ihr ausstellen, durch Landschaft bilden und Landschaft als Reflexions- und Kritikort nutzen – sind ein Vorschlag, den Kanon an raumplanerischen Werkzeugen zu erweitern. Abbildung 36 zeigt diese sieben Landschaftspraktiken aus dem Verständnis heraus, Landschaft sei ein „kompositorischer Begriff“ (Ipsen, 1999, S. 13) aus sozialen Praktiken (innerer Kreis) und sichtbaren Elementen (äusserer Kreis), die immer in Hinblick auf langfristige Qualitäten miteinander verbunden und aufeinander wirken sollten. Einige dieser Begriffe könnten auch einer anderen Praktik zugeordnet werden oder passen gar zu mehreren. So bildete Dufour durch seine Kartierungen der Schweiz einerseits Landschaft ab; andererseits beanspruchte das Parlament durch und in dieser Karte der Schweiz hegemonial Landschaftsraum bzw. Territorium.

Abbildung 36: Inszenatorische Landschaftspraktiken zur Landschaftsplanung und -gestaltung


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6 INSZENATORISCHE LANDSCHAFTSPRAKTIKEN ALS TEIL DER RAUMPLANUNG Die historische Analyse über das Landschaftsverständnis und seiner Inszenierungsmomente seit der Renaissance überprüft, vertieft und erweitert die Palette an Landschaftspraktiken, auf deren theoretischen Konzept dieses Plädoyer für mehr inszenatorische Qualitäten in der Landschaftsgestaltung fusst (Abb. 5). Dementsprechend ist das Ziel dieser Praktiken nicht mehr, Kulturlandschaften neu zu entwerfen, sondern vielmehr bestehende Landschaften zu inszenieren. Neben den beiden Praktiken landschaftliche Bilder erschaffen und sich durch die Landschaft bewegen, wurde die Landschaftspraktik des Kartierens erweitert als Landschaft übersetzen. Landschaft hegemonial beanspruchen intendiert auch, dass Grenzen und Zuschreibungen hinterfragt oder gar verschoben werden – in den Köpfen der Menschen, wie auch in ihren Karten (Abb. 37). Zudem wurde das theoretische Konzept der Landschaftspraktiken um die vier Praktiken landschaftliche Blicke rahmen, in Landschaft ausstellen, durch Landschaft bilden und Landschaft als Reflexions- und Kritikort nutzen erweitert. Der Fokus dieser Arbeit liegt somit klar auf den Landschaftspraktiken. So wie sich die einzelnen Landschaftspraktiken nicht immer klar voneinander abgrenzen lassen, kann es auch zu Überlagerungen mit Gemeinschafts- und Wertbildenden Praktiken kommen. Sie können einander auch verstärken und damit Botschaften intensivieren. Nur in ihrem Dreiklang können sie sich auf die Planung optimal auswirken. So können Gemeinschafts- und Wertbildende Praktiken durch das Inszenieren von Landschaften auch direkt in den Raum


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Abbildung 37: Identitätskonstruierende Landschaftspraktiken bestehend aus Landschafts-, Gemeinschaftsund wertbildenden Praktiken (in Anlehnung an Kaps, 2018a): Die Landschaftspraktiken wurden nun durch Vera Kaps und Britta Hentschel differenziert und um vier Praktiken ergänzt, so dass nun acht Praktiken vorliegen.

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getragen und initiiert werden. So wurden beispielsweise gemeinsame Grundwerte durch und in Ebenezer Howards Gartenstadt verhandelt. Im Wörlitzer Park inszenierte der sächsische Fürst Franz Ikonen neu, indem er die Rousseau Insel aufschütten liess, genauso wie die absolutistischen Herrscher im Barockgarten sich selbst als Ikonen inszenierten. Chinesische Pagoden stärkten ihren imperialen Anspruch genauso wie die antike Götterwelt. Ernst von Bandel referenziert den Helden Arminius im Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, um eine vermeintlich deutsche Vergangenheit in eine Handlungsaufforderung bzw. gemeinsame Gesinnung für seine Gegenwart zu giessen. Durch Gemeinschaftspraktiken wie die Grand Tours des 18. Jahrhunderts nach Italien reflektierten nordeuropäische Adelssprösslinge, Schriftsteller, Maler und Philosophen nicht nur in der und durch die Landschaft, sondern verorteten sich auch in internationalen Zusammenhängen. Inszenatorische Praktiken weisen auf möglicherweise Alltägliches hin, ohne alltäglich zu sein. Zu Fuss von einem Ort zum anderen zu laufen reicht noch nicht aus, um inszenatorisch zu wirken oder tätig zu werden. Dies in einer Gruppe zu tun, unter Anleitung, mit Auftrag, Ritualen und dem Ziel, die gewonnenen Erkenntnisse festzuhalten (wie im Eingangsbeispiel des Friedhofs Altach und dem Ritus der Beerdigung beschrieben und nun um viele Beispiele aus der Geschichte erweitert), macht aus einer alltäglichen Praktik eine inszenatorische: Dies eröffnet Perspektiven auf das Vorgefundene, das in regulären Planungsprozessen nicht zum Vorschein käme (Kaps, 2018a). Diese Inszenierungsmomente „machen das in und mit ihnen Geschehende für eine Weile auf eine Weise auffällig, in der es hier und jetzt unübersehbar als gegenwärtig erfahren werden kann“ (Seel, 2001, S. 54, Hervorhebung im Original). Diese Inszenierung von Landschaft als kulturverstärkender Trägerin und Wert kommt in aktuellen Planungen jedoch zu wenig oder kaum zum Tragen. So fordert der Architekt und Stadtplaner Thomas Sieverts (2001 [1997], S. 129): „Landschafts- und Stadtplanung müssen wieder eine konzeptionelle und gestalterische Einheit bilden. Sie müssen als Planungskultur in einen Diskurs mit Kunst und allgemeiner Kulturtheorie eintreten. In diesem Sinne müssen sie selbst wieder zu Künsten werden und sich als wichtiger Bestandteil einer metropolitanen Kultur verstehen […]“. Aus unserer Sicht kann Landschaftsplanung durch inszenatorische Praktiken wieder zur Kunst werden. Grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft können genau diese Forderung einlösen. Sie sind aus unserer Sicht ein mögliches Gefäss, das inszenatorische Landschaftspraktiken zur ästhetischen Landschaftsgestaltung initiieren und langfristig etablieren kann.


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Grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft Grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft wie etwa die IBA, die REGIONALE, das Europäische Kulturhauptstadtjahr oder die Schweizer Landesausstellung geniessen nach wie vor Popularität. Als „Politik der großen Ereignisse“ (Häußermann & Siebel, 1993, S. 8) werden sie seit den 1980er Jahren genutzt, um Orte zu profilieren und den Tourismus zu stärken, politisch-administrative Systeme zu mobilisieren, regionale und überregionale Subventionierungen zu ermöglichen und um das Gemeinschaftsgefühl und lokale Qualitäten und Identitäten zu fördern. Klotz (2014, S. 312) bemängelt, „dass städtische Handlungsansätze einer Logik unterliegen, die sich vorwiegend in traditionellen Top-Down basierten Lenkungsinstrumenten und weniger in netzwerkorientierten, kontextfördernden Ansätzen widerspiegelt“. Grossformatige Architekturausstellungen wie oben beschrieben eignen sich laut Pachaly (2008) besonders, regionale und kommunale Akteure miteinander zu verknüpfen, die sonst häufig parallel und auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Zudem ist festzustellen, dass sich diese Ausstellungen dahingehend weiterentwickelt haben, auch nachhaltige regionalplanerische Ziele umzusetzen (Kaps, 2018a). So waren etwa die ersten drei Schweizer Landesausstellungen in Zürich 1883, in Genf 1896 und in Bern 1914 zu Beginn ephemere Feste. An dieser Tradition hielt man lange fest, auch wenn landschaftliche und stadtaufwertende Gestaltungsmittel wie die Landiwiese 1938 und die Saffa-Insel 1958, beide in Zürich, die Zugänglichkeit des Sees und seinen Freizeit- und Erholungswert langfristig optimierten. Erst die Macher und Macherinnen der Expo 64 formulierten regionalplanerische Ansätze in der Publikation „achtung: die Schweiz“. Zwar wurden Lucius Burckhardts, Markus Kutters und Max Frischs Idee, eine neue, moderne Stadt anstelle einer traditionellen Landesausstellung zu gründen, nie umgesetzt. Aber ihre Forderung mündete in einen regionalplanerischen Ideenwettbewerb für das Lausanner Seeufer, welches das Ausstellungsgelände der Landesausstellung beherbergen sollte und eine langfristige Aufwertung der Uferzone vorschlug. Das Drei-Seen-Land wurde als Enkelin dieser Ideen durch die Schweizer Landesausstellung Expo.02 regionalplanerisch zu einer Region zusammengeschlossen, anstatt als neben- oder gar gegeneinander konkurrierende Ausstellungsorte betrachtet zu werden. Jedoch bedauern die Bewohnerinnen und Bewohnern des Drei-Seen-Landes noch heute den ansonsten ephemeren Charakter der Expo.02, der keine baulichen Rückstände hinterliess. Eine dauerhafte Übersetzung der gestalterischen Möglichkeiten des Labors ‚grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft‘ ist also gewünscht.


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Heterotopie auf Zeit Grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft sind Motoren einer regionalen Entwicklung. Zudem inszenieren sie Landschaft bzw. greifen sie gestaltend in sie ein. So formte etwa die Internationale Bauausstellung IBA See im Fürst Pückler Land zwischen 2000 bis 2010 diverse Landschaftsparks, das Europäische Kulturhauptstadtjahr Ruhrgebiet 2010 transformierte die Zeche Zollverein zum Kulturzentrum, die Schweizer Landesausstellung Expo.02 exponierte – zumindest temporär – Architekturen im und am Neuenburger- und Murtensee und die regionale2010 transformierte den Kölner Rheinboulevard. Dabei fungieren diese Ausstellungen und Schauen als heterotope Orte, an denen in einem fixen Zeitraum und zu laborartigen Zuständen Architekturen und Landschaften geschaffen und Prozesse angestossen werden, die über den Ausstellungszeitraum hinaus wirken und weiterverfolgt werden sollen, um laut des IBA Expertenrats (2017, S. 7) „modellhafte Lösungen für aktuelle Probleme in baukultureller, ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht“ zu entwickeln. In Foucaults (2019 [1966]) Worten werden die Ausstellungsorte zu „Gegenräumen“ und „absolut anderen Orten“, die es ermöglichen, einen kritischen Abstand zum Alltäglichen einzunehmen, mit dem Ziel, die Perspektiven auf diesen Ort und seine Prozesse zu verändern und neuen Imaginationen Raum zu geben. Foucault (ebd., S. 9) beschreibt eine Heterotopie wie folgt: „Es gibt also Länder ohne Ort und Geschichten ohne Chronologie. Es gibt Städte, Planeten, Kontinente, Universen, die man auf keiner Karte und auch nirgendwo am Himmel finden könnte, und zwar einfach deshalb, weil sie keinem Raum angehören. Diese Städte, Kontinente und Planeten sind natürlich, wie man so sagt, im Kopf der Menschen entstanden oder eigentlich im Zwischenraum zwischen ihren Worten, in den Tiefenschichten ihrer Erzählungen oder auch am ortlosen Ort ihrer Träume, in der Leere ihrer Herzen, kurz gesagt, in den angenehmen Gefilden der Utopien. Dennoch glaube ich, dass es – in allen Gesellschaften – Utopien gibt, die einen genau bestimmbaren, realen, auf der Karte zu findenden Ort besitzen und auch eine genau bestimmbare Zeit, die sich nach dem alltäglichen Kalender festlegen und messen lässt. Wahrscheinlich schneidet jede menschliche Gruppe aus dem Raum, den sie besetzt hält, in dem sie wirklich lebt und arbeitet, utopische Orte aus und aus der Zeit, in der sie ihre Aktivitäten entwickelt, uchronische Augenblicke.“ So definiert Foucault fünf Grundsätze jener ausgeschnittenen Orte, der Heterotopie: (1) Jede menschliche Gruppe bildet heterotope Orte aus, die sich jedoch niemals wiederholen oder gleich sind, sondern sehr vielfältige


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Formen ausbilden, da auch jede Gruppe einzigartig ist. (2) Über die Zeit hinweg können diese heterotopen Orte neu geschaffen, ergänzt, aufgelöst oder abgeschafft werden. (3) Jeder heterotope Ort besteht aus mehreren Teil-Heterotopien und bringt Räume zusammen, die eigentlich unvereinbar sind. So zeigt das Theater auf der Bühne kurz hintereinander mehrere völlig unterschiedliche Orte und bindet sie zu einer Geschichte zusammen. (4) Heterotope Orte verkörpern auch immer Zeit. So gibt es zeitweilige Heterotopien wie etwa Festorte, Ewigkeitsheterotopien wie etwa Friedhöfe oder Heterotopien der Verwandlung wie Schulen oder Kasernen. (5) Heterotope Orte sind immer isoliert, da sie gewisse Gruppen durch ein Ritual einlassen und andere ausschliessen. Entscheidend ist, dass wir Heterotopien meist nur für eine gewisse Zeit betreten und sie auch wieder verlassen können. Sie sind Parallelwelten, wie Foucault sie im Kino, im Theater, auf Festen, Jahrmärkten oder im Museum findet. „Das Schiff, das ist die Heterotopie schlechthin“, so Foucault (1993 [1967], S. 46). „In den Zivilisationen ohne Schiff versiegen die Träume.“ Daher ist es naheliegend und ergebnisfokussiert, grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft (ähnlich der klassischen foucaultschen Heterotopie des Theaters oder des Schiffs der Träume) als heterotope Orte zu verstehen, die zwar Raumentwicklungsprozesse entwerfen, fortsetzen oder gar testen, jedoch mehr als Möglichkeitsraum und weniger als konkrete Planung mit Umsetzungscharakter gedacht werden. Dies gibt Raum, um zu imaginieren, zu träumen. In solch einem Zustand machen Heterotopien immer Dinge sichtbar, die vorher unerkannt waren: indem sie Räume und Gewohnheiten in Frage stellen. Entweder „indem sie eine Illusion schaffen, welche die gesamte übrige Realität als Illusion entlarvt, oder indem sie ganz real einen anderen realen Raum schaffen, der im Gegensatz zu wirren Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist“ (Foucaults, 2019 [1966], S. 19–20). Alltägliches inszenieren Wie Kaps (2018a) bereits im Kontext der Schweizer Landesausstellung analysierte, sind es neben den Festmomenten und kollektiven Auszeiten der Heterotopie vor allem die alltäglichen und lokalen Praktiken, die Menschen mit ihren Orten verbinden. Dabei ist es eine besondere Herausforderung für die Macherinnen und Macher der Ausstellungen, das richtige Mass an Kurationsdichte zwischen Inszenierung und Alltagspraktik herzustellen: Da grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft nicht auf einem klar abgegrenzten Gelände stattfinden, sondern sich über eine ganze Region


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erstrecken können, liegt die Herausforderung der Macherinnen und Macher darin, Alltag und Ausstellung miteinander zu verweben. Ziel ist eine sorgfältige Balance zwischen dem intensivierten Erlebnis des Vorgefundenen und einer gezielten, spezifischen Inszenierung herzustellen. Dabei stechen besonders diejenigen Inszenierungen hervor, die nach dem Ausstellungszeitraum in den Alltag, also in Alltagspraktiken übergehen sollen. So können Praktiken, die gezielt für eine grossformartige Architekturausstellung in der Landschaft entworfen werden, nach dem Ausstellungszeitraum weiter ausgeübt werden – etwa die Art und Weise, wie wir uns durch Landschaft bewegen, wie wir Landschaft übersetzen, wie wir landschaftliche Blicke rahmen oder durch sie reflektieren und kritisieren. Dabei spielt auch Performanz eine Rolle, die im Moment des Handelns entsteht. Sie ist ereignishaft, auf den Moment bezogen und daher flüchtig. So generiert sie sich beispielsweise während des Wanderns oder dem Blick in die Landschaft während der Panoramafahrt und hinterlässt demnach auch keine materiellen Rückstände in Form von Artefakten, sondern lediglich Spuren. Die Teilnehmenden (und ihre Körper) treten dabei mit der Landschaft in Beziehung. Indem diese Praktiken wiederholt werden, können sie nach den Ausstellungsmonaten in Alltagspraktiken übergehen. Auf einem langen Zeitraum betrachtet, könnten sie sogar zu Traditionen werden. Diesen Ansatz verfolgte gerade ambitioniert aber von der Corona-Pandemie überschattet – und daher in der öffentlichen Wahrnehmung wesentlich weniger präsent als die anderen Schauen, die IBA Basel 2020. Sie zelebrierte das ‚Zusammenwachsen‘ und ‚Zusammen wachsen‘ im trinationalen Raum entlang des Rheins. Der Fluss soll das Grenzgebiet zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich räumlich, gestalterisch und in der gemeinsamen (Freizeit-) Nutzung verbinden und als Lebens- und Erholungsraum einen gemeinsamen regionalen Wert darstellen. Dezidiert versteht sich die IBA Basel als einen „Handlungsrahmen zur Sicherung und Weiterentwicklung der trinationalen Planungskultur und Regionalentwicklung.“7 In einem zehnjährigen vorgeschalteten Qualifizierungsprozess wurden Projekte und Prozesse evaluiert, die das Potenzial haben, auf vielfältige, kreative und nachhaltige Weise die vernetzende Regionalplanung entlang des Rheins voranzutreiben. Dieser Ansatz könnte Schule machen und ergänzt um unsere aus der Geschichte heraus destillierten Landschaftspraktiken an anderen Orten, wie z. B. im Alpenrheintal, der Grenzregion zwischen Vorarlberg, der Schweiz und Liechtenstein, zu einem entscheidenden Motor der vernetzenden Regionalplanung werden – unter dem Imperativ der Landschaftsanalyse und Landschaftsinszenierung. 7

https://www.iba-basel.net/de/iba-basel/ziele [02.12.2021]


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Kultur als Motor im Alpenrheintal Laut erstem Kreativwirtschaftsbericht Liechtensteins (Staub, Jochum Gasser, Kaps & Martinez- Cavañate, 2014) zählen 19.6% aller Arbeitsstätten in Liechtenstein zur Kreativwirtschaft. Das ist im Vergleich zu Metropolitanräumen sehr hoch und zeigt, dass Kultur das Potenzial hat, als Motor in Liechtenstein und im Alpenrheintal genutzt zu werden. Zudem soll der prominente Wirtschaftszweig der Finanzdienstleistungen um eine gestärkte Kulturindustrie erweitert werden, mit dem Ziel, das Image Liechtensteins zu verändern und dementsprechend ein neues kreatives und innovatives Bild zu geben, das als Impulsgeber für Kultur und Wirtschaft neue Arbeitsplätze schaffen und Interesse wecken kann (Regierung des Fürstentum Liechtenstein, 2011). Schwencke (2005, S. 38) hält fest, “dass Investitionen in Kultur Investitionen in Entwicklung“ seien und fordert, „die Kulturhaushalte entsprechend auszustatten“. Ein Konzept für eine grenzüberschreitende grossformatige Architekturausstellung in der Landschaft könnte zeigen, wie „Kultur als Motor und ständig erneuerbare Ressource“ (ebd., S. 38) genutzt, das Alpenrheintal physisch und narrativ zusammengeführt, als kultureller Standort geschärft und als solcher lokal und regional vermitteln werden kann. Dieses Gefäss, das wir uns als grossformatige Architekturausstellung in der Landschaft des Alpenrheintals als Mittler zwischen Vorarlberg, Liechtenstein und der Schweiz vorstellen und das Narrativ der gemeinsamen Landschaft nutzt, verstärkt und inszeniert, könnte als heterotoper Moment gepaart mit dem Daueranspruch langfristiger vernetzter Regionalplanung (ähnlich der IBA 2020 in Basel) die gesamte Region beflügeln und langfristig grenzübergreifend kulturell und identitätsstiftend vernetzen. Eine solche transnationale Schau könnte Menschen unterschiedlichster Disziplinen an einen Tisch bringen, die sonst keinen Anlass zum gemeinsamen Gespräch finden würden. Sie könnten so politische Grenzen nivellieren und gesetzlich scheinbar Unmögliches weiterdenken. Die Schau könnte prozesshaft geformt und immer wieder justiert werden, da sie keinen inhaltlichen, sondern nur einen zeitlichen Horizont kennt. Sie wäre geschützt, indem sie sich frei spräche von gesetzlichen Zwängen und so den isolierten laborartigen Zustand optimal nutzen könnte, um langfristige Modelle zu erproben. Unsere sieben Landschaftspraktiken würden sich hierzu besonders eignen und anbieten. Landschaftliche Blicke würden gerahmt und auf Scheinbares und Unscheinbares gerichtet. Kunst, Kultur und Wirtschaft würde die Landschaft des Alpenrheintals hegemonial verbindend und auf Augenhöhe beanspruchen. Die Landschaft des Alpenrheintals würde individuell und


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kollektiv übersetzt in Karten, Geschichten und Visualisierungen. Akteure aus dem Alpenrheintal würden in ihrer Landschaft und mit der Landschaft ausstellen. Kollektiv und individuell, geleitet und ungeleitet würden sich Besucher und Bewohnerinnen durch die verschiedenen Landschaftstypologien des Alpenrheintals bewegen – in der Ebene, auf dem Wasser, in den Bergen. Landschaft als Reflexions- und Kritikort nutzend, den Status quo hinterfragend und neue Zukunftsbilder für die Region entwerfend. Diese unterschiedlichen Praktiken und Analysen würden ihrerseits neues Wissen und Erkenntnis generieren, die individuell und kollektiv den Bildungsanspruch in und durch Landschaft einlösten. Eine Forderung Just in dem Moment, in dem die Landschaft oftmals nur noch selten als solche wahrgenommen werden kann, weitet sich gegenwärtig in der akademischen Diskussion der Landschaftsbegriff: Alles wird zur Landschaft erklärt. Wir geben jedoch zu bedenken, dass ‚alles‘ auch gleichzeitig ‚nichts‘ ist. Zwingt uns die Verkettung von Lebensbereichen, Orten und Ansprüchen im Anbeginn des Klimawandels nicht vielmehr durch bewusste Inszenierung der Landschaft diese als solche, als kulturell gestaltete Natur, lesbar zu halten? Ziel sollte es daher eher sein, den Landschaftsbegriff wieder greifbar zu machen. Landschaft verstehen wir in diesem Sinne nicht als jegliche Art von Freiraum, sondern als gezielt und ästhetisch gestalteten Freiraum. Dazu braucht es konkrete Praktiken, um vorhandene Qualitäten sichtbar und lesbar zu machen und diese zu erhalten und zu fördern. In einem ersten Schritt mag es sinnvoll sein, alles als Landschaft zu bezeichnen. In einem zweiten Schritt sollte zur späteren Schärfung und Fokussierung alles in der Landschaft bezeichnet werden. So würden bereits bestehende und wirksame Landschaftspraktiken aus der terra incognita herausgeschält werden. Was rahmt landschaftliche Blicke? Welche Bewegungen lassen sich durch die Landschaft feststellen? Welche Übersetzungsmodi von Landschaft sind gegeben? Welche hegemonialen Ansprüche sind vertreten? Welche möchte ich als Gesellschaft implementieren? Was soll betont, gerahmt oder ausgestellt werden? Welche (Bildungs-)Ziele möchte ich erreichen? Möchte ich die Tür zu einer Utopie aufstossen? Übe ich Kritik am Hier und Jetzt? Welche Zukunft möchte ich erträumen und im Labor, in der Heterotopie einer grossformatigen Ausstellung in der Landschaft erreichen? Dank dieser anwendungsorientieren Analyse könnten Ansatzfelder und -orte identifiziert werden. Suboptimale oder nicht ausgereizte bereits bestehende


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Praktiken liessen sich optimieren und eine – und das ist zentral – Sensibilisierung für Nicht-Orte sowie Restorte könnte gezielt stattfinden. Die Kulturlandschaft würde weiterentwickelt mit dem klaren Ziel, Qualitäten zu benennen und zu entwickeln, die dem immer knapper werdenden Gut der Landschaft, zur optimalen Inszenierung und Nutzung verhelfen und somit unsere unmittelbare Lebenswirklichkeit massiv verbessern würden. Dieses Plädoyer für eine qualitätsvolle Inszenierung von Landschaft offeriert eine neue Lesart von Landschaft und identifiziert überzeitliche, inszenatorische Praktiken zur Gestaltung einer ästhetischen Landschaft. Es zeigt sich, dass inszenatorische Landschaftspraktiken – wie unsere sieben hier definierten und über Jahrhunderte erprobten und aus der Geschichte extrahierten Praktiken (Landschaftliche Blicke rahmen, sich durch Landschaft bewegen, Landschaft übersetzen, Landschaft hegemonial beanspruchen, in Landschaft ausstellen, durch Landschaft bilden und Landschaft als Reflexions- und Kritikort nutzen) ein starker Teil unserer Planungs- und auch Alltagskultur werden müssen. Siedlungsstrukturen sind von den Freiräumen aus zu denken. Besonders grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft, die als Inkubatoren für Raumentwicklungsprozesse gesehen werden, können diese Landschaftspraktiken heute initiieren und langfristig als Planungsinstrumente für eine ästhetische Landschaftsgestaltung etablieren.


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url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwjinoX_ sp7tAhXIxoUKHTJKBqYQFjACegQIAhAC&url=https%3A%2F%2Fwww. presseportal.ch%2Fde%2Fdownload%2Fdocument%2F10003228920140929-kreativwirtschaftsberichtuniversit-t-liechtenstein-web. pdf&usg=AOvVaw1NRDp8PyYL3crKbOPpIsou Stobbe, Urte (2012). Gartenbeschreibungen zwischen Fakten und Fiktionen. Aspekte der medialen Dokumentation, Rezeption und Vermittlung von Gärten. In S. Schweizer & S. Winter (Hg.), Gartenkunst in Deutschland. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Geschichte – Themen – Perspektiven. Regensburg: Schnell & Steiner, S. 371–387. Teyssot, Georges (2009). Fenster. Zwischen Intimität und Extimität. In Schwellenatlas. Von Abfallzerkleinerer bis Zeitmaschine. Jg. 42, 191/192. Zürich: Arch +, S. 52–59. Tönnesmann, Andreas (2014). Enea Silvio und der Berg. In Heilige Landschaft - heilige Berge: Achter Internationaler Barocksommerkurs 2007, Stiftung Bibliothek Werner Oechslin Einsiedeln. Zürich: gta Verlag. S. 146–156.


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FORSCHUNG Abbildungen

ABBILDUNGEN

1 Studioposter zur Haltung des ‚Exploring Landscape.Studios‘ von Urs Egg und Vera Kaps an der Universität Liechtenstein am Institut für Architektur und Raumentwicklung von 2019 bis 2021 Nachweis: Urs Egg und Vera Kaps, 2020 2 Dionysos-Theater vom Pantheon gesehen, Athen, um 330 v. Chr. Nachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Leo Wehrli, Dia_247-08751, CC BY-SA 4.0 3 Andrea Palladio und Vincenzo Scamozzi, Teatro Olimpico, Vicenza, ab 1580 Nachweis: Didier Descouens, Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https:// commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=61983821 4 Juliertheater in Graubünden, 2017 Nachweis: Friedrich Böhringer, 2017,Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 at, https://commons.wikimedia.org/w/ index.php?curid=63261356 5 Identitätskonstruierende Praktiken bestehend aus Landschafts-, Gemeinschafts- und wertbildenden Praktiken Nachweis: Vera Kaps, 2018a

6 Islamischen Friedhof Altach im Vorarlberg, 2012 Nachweis: Friedrich Böhringer, Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 at, https://commons.wikimedia.org/w/ index.php?curid=29076592 7 Ausschnitt aus dem Fresko Buon Governo von Ambrogio Lorenzetti, Palazzo Pubblico, Siena 1338/39 Nachweis: - 1QEdJ3E935Z8-A at Google Cultural Institute maximum zoom level, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=23689393 8 Gartenfassade der Villa Medici in Careggi Nachweis: Sailko, 2009. 9 Andrea Palladio, Villa Barbaro in Maser, 1554–1558 Nachweis: Britta Hentschel, 2017. 10 Parterre du Midi, Schloss und Park von Versailles, ab 1667 Nachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Sigel, Brigitt / Dia_366-1475 / CC BY-SA 4.0 11 John Rocque, Gestochener Plan des Gartens und Ansicht der Häuser von Chiswick, 1736 Nachweis: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France


FORSCHUNG Abbildungen

12 Plan des Englischen Gartens in München, 1806 Nachweis: http://m-einenglischergarten.de/projekt/tradition-und-geschichte/ 13 Claude Monet, Ankunft des Zugs aus der Normandie am Gare Saint-Lazare, 1879 Öl auf Leinwand, Art Institute Chicago Nachweis: gemeinfrei 14 Paul Gauguin, Das reizvolle Land (Te Nave Nave Fenua), 1892 Öl auf Leinwand, Ohara Museum of Art Nachweis: gemeinfrei 15 Jungfraubahn auf der Kleinen Scheidegg, um 1912 Nachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_04396 / Public Domain Mark 16 Honoré Daumier, Physiognomien der Eisenbahn: Sturm auf den Ausflugszug, der zum Sonderpreis von 5 Francs von Paris zum Meer fährt, 1852 Nachweis: gemeinfrei 17 Ostseebad Zoppot, Postkarte von 1923 Nachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt /

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Fel_021147-RE / Public Domain Mark 18 Wochenendhaus Frau Hemann, Basel Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit, 1928, Bern Nachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Fel_018386-RE / Public Domain Mark (rechtefrei) 19 Giusto Utens, Lünette der Villa Medici in Cafaggiolo, 1599–1602. Museo Villa medicea della Petraia, Florenz Nachweis: Museo Villa medicea della Petraia, Florenz. 20 Sizilien, auf dem Kopf stehend und damit nach Rom ausgerichtet, Galleria delle Carte Geografiche, Vatikan 1580–1585 Nachweis: Jean-Pol Grandmont, 2011. 21 Capability Brown, Umgestaltung der Blenheim Gardens, Oxfordshire, ab 1761 Nachweis: Dreilly95 - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons. wikimedia.org/w/index.php?curid=112210609 22 Alexander Pope und Capability Brown, Palladiobrücke in Prior Park,


FORSCHUNG Abbildungen

1740 Nachweis: gemeinfrei. 23 William Chambers, Chinesische Pagode in Kew Gardens, London 1762 Nachweis: gemeinfrei. 24 Decimus Burton, Palmenhaus in Kew Gardens, London, 1844–1848 nach den Ideen von Joseph Paxton Nachweis: Fotografie von David Iliff, CC BY-SA 3.0. 25 Leo von Klenze, Monopteros im Englischen Garten, München 1831–1836 Nachweis: Clemens Franz. CC BY-SA 4.0 26 Walhalla in Kehlheim bei Regensburg, Stahlstich um 1840 Nachweis: gemeinfrei. 27 Charles Giron, Die Wiege der Eidgenossenschaft, Bundeshaus Bern, 1901 Öl auf Leinwand Nachweis: gemeinfrei. 28 Gebirgskrieg in den Dolomiten 1915–1918 Nachweis: https://www.campingsassdlacia.it/de/umwelt/erster-weltkrieg-dolomiten

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29 Frank Lloyd Wright, Broadacre City, 1934–1935 Nachweis: Ruth Eaton (2003). Die ideale Stadt. Von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin: Nicolai, S. 211. 30 Zollverein Park um die Zeche Zollverein, Essen, 2017 Nachweis: © Jochen Tack, Zollverein Foundation 31 Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1808–1810 Öl auf Leinwand, Alte Nationalgalerie, Berlin Nachweis: gemeinfrei. 32 Haus-Rucker-Co, Rahmenbau (Landschaft im Dia), anlässlich der documenta 6 in Kassel, 1977 Nachweis: Eva Köcher, 2006, CC BY-SA 2.5, https://commons. wikimedia.org/w/index.php?curid=834510 33 Pierre Patel, Vogelschau über den ersten Ausbauzustand des Schloss Versailles, 1668 Öl auf Leinwand, Château de Versailles Nachweis: lizenzfrei, wenn Autor mind. 100 Jahre tot. 34 Parco dei Mostri, Bomarzo, 1552– 1585 Nachweis: Ben Skála, Benfoto,


FORSCHUNG Abbildungen

Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https:// commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=25270070 35 Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, Künstlicher Vulkan auf der Insel Stein, Wörlitzer Park, 1788– 1794 Nachweis: M_H.DE, 2012, Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons. wikimedia.org/w/index.php?curid=18069889 36 Inszenatorische Praktiken zur Landschaftsplanung und -gestaltung Nachweis: Vera Kaps und Britta Hentschel, 2021 37 Identitätskonstruierende Praktiken bestehend aus Landschafts-, Gemeinschafts- und wertbildenden Praktiken (in Anlehnung an Kaps, 2018a): Die Landschaftspraktiken wurden nun durch Vera Kaps und Britta Hentschel differenziert und um vier Praktiken ergänzt, so dass nun acht Praktiken vorliegen. Nachweis: Vera Kaps, 2021

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FORSCHUNG Landschaft inszenieren – ein Plädoyer

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AUTORINNEN

Dr. sc. Vera Kaps ist Architektin, Hochschuldozentin und Forscherin im Bereich Architekturvermittlung und Baukultur. Ausgebildet an der Universität Stuttgart, der Pontificia Universidad Católica de Chile in Santiago und der Universität Liechtenstein arbeitete sie in Architektur- und Stadtplanungsbüros in Deutschland, Wien und Zürich. 2013 bis 2021 forschte und lehrte sie am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein. 2014 und 2016 ko-kuratierte sie Liechtensteins erste Beiträge zur International Architecture Exhibition, la Biennale di Venezia. 2017 verlieh ihr das Fürstentum Liechtenstein den Forschungspreis für Nachwuchsforschende. Gegenwärtig arbeitet sie als Educational Developer am Departement Architektur der ETH Zürich. Dr. sc. ETH Britta Hentschel ist Architektur- und Kunsthistorikerin, Hochschuldozentin, Forscherin und praktische Denkmalpflegerin. Sie studierte in München, Rom und Bonn und promovierte an der ETH Zürich. Für ihre Doktorarbeit wurde ihr der Theodor-Fischer-Preis verliehen. Im Anschluss an ein Postdoctoral Fellowship an der Harvard Graduate School of Design und eine Gastprofessur an der TU Kaiserslautern forscht und lehrt sie seit 2017 Architektur-, Kunst- und Städtebaugeschichte an der Universität Liechtenstein. Hier wurde sie 2021 mit dem Best Teaching Award ausgezeichnet. Parallel zu Lehre und Forschung vertritt sie als Bauberaterin die Anliegen der Denkmalpflege in den Arealentwicklungen der Stadt Basel.


FORSCHUNG Landschaft inszenieren – ein Plädoyer

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Landschaft inszenieren – ein Plädoyer © 2021 by Vera Kaps und Britta Hentschel is licensed under CC BY 4.0. To view a copy of this license, visit http://creativecommons. org/licenses/by/4.0/

Die vorliegende Publikation wurde durch den Forschungsförderungsfond (FFF) der Universität Liechtenstein unterstützt. Impressum Herausgeberin Universität Liechtenstein Institut für Architektur und Raumentwicklung Fürst-Franz-Josef-Strasse 9490 Vaduz, Liechtenstein Verantwortlich für den Inhalt dieses Plädoyers Dr. sc. Vera Kaps, Dr. sc. ETH Britta Hentschel Konzeption & Gestaltung Michèle Steffen Grafik Est., Vaduz Satz Luis Hilti Druck Gutenberg AG Schaan Auflage 230 © 2021


Was und Wozu?

Vor dem Hintergrund des derzeitigen Planungsparadigmas einer Siedlungsentwicklung nach innen plädieren wir dafür, dass Landschaften besser inszeniert werden müssen, um qualitätsvolle Rückzugsräume und Aufenthaltsorte für die wachsende Bevölkerung zu schaffen. Warum?

Gegenwärtige Regionalplanung geschieht zumeist zweidimensional in Richt-, Nutzungs- und Zonenplänen. Wünschenswert wäre eine dritte Dimension, die die Vogelperspektive verlässt und Räume stärker durch Schnitte und Ansichten visualisiert. Wir votieren zudem für

UNI.LI

einen vierten Aspekt in der Planung: den der körperlichen Wahrnehmung. Wie?

Dieses Plädoyer offeriert eine neue Lesart der europäischen Landschaft und identifiziert überzeitliche, inszenatorische Praktiken zur Gestaltung einer ästhetischen Landschaft. Besonders grossformatige Architekturausstellungen in der Landschaft, die unter anderem als Inkubatoren für Raumentwicklungsprozesse gesehen werden, können diese Praktiken heute initiieren und langfristig als Planungsinstrumente für eine ästhetische Landschaftsgestaltung etablieren.


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