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DIE UNIVERSITÄT STEHT IN DER VERANTWORTUNG Sich und anderen gegenüber
Universitäten sind intellektuelle Keimzellen. Sie beziehen Position, stehen im Diskurs, erheben Widerspruch, setzen sich aus und engagieren sich. Inwieweit diesbezüglich die Freiheit von Forschung und Lehre gewährt ist, gibt Auskunft über die Verfasstheit eines Staates. Daran schliessen die Campus-Gespräche an, indem sie im Sinne der akademischen Erwachsenenbildung brennende Themen aufgreifen und sich mit diesen auseinandersetzen.
Es gibt wenige Institutionen in einem Staat, die derart in der Verantwortung stehen, wie eine Universität. «Nicht zu wissen, kein ausreichendes Wissen oder Bewusstsein davon zu haben, was verantwortlich sein heißt, ist an sich schon ein Verfehlen der Verantwortung», sagt Verena Häseler im Klappentext ihres Buches Momente der Verantwortung bei Jacques Derrida (Häseler, 2019).
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Wenn ich über die Universität nachdenke, dann muss ich mir immer wieder folgenden Satz von Jacques Derrida in Erinnerung rufen. «Was die[se] Universität beansprucht, ja erfordert und prinzipiell geniessen sollte, ist über die sogenannte akademische Freiheit hinaus eine unbedingte Freiheit der Frage und Äusserung, mehr noch: das Recht, öffentlich auszusprechen, was immer es im Interesse eines auf Wahrheit gerichteten Forschens, Wissens und Fragens zu sagen gilt» (Derrida, 2001, S. 9–10). Nein, ich muss ihn mir nicht in Erinnerung rufen, er ist mein Glaubensbekenntnis, ist in mich eingedrungen, leitet mich, macht mir deutlich, an was ich in den letzten Jahren gearbeitet habe.
«Diese Grenze des Unmöglichen, des ‹vielleicht›, ‹als ob›, und ‹wenn›, ist der Ort, an dem die Universität der Realität, den Kräften des Draußen ausgesetzt ist (seien es kulturelle, ideologische, politische, ökonomische oder andere Kräfte). Genau dort ist die Universität in der Welt, die sie zu denken sucht. An dieser Grenze muss sie verhandeln und ihren Widerstand organisieren. An ihr muss sie sich ihren Verantwortungen stellen (Derrida, 2001, S. 76).
Liechtenstein steht als eines der reichsten Länder der Welt in der Verantwortung anderen und sich selbst gegenüber. Diese Verantwortung endet nicht an den Grenzen des Landes, sie geht weit darüber hinaus. Der Reichtum, teilweise Überreichtum ist ideologisch schwer zu rechtfertigen, er ist
mit Leistung oder Meriten nicht zu begründen. Er kann aber auch nicht negiert werden, bleibt bestehen, wächst aller Voraussicht nach. Der bekannte Satz von Albert Schweitzer «Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt» müsste Leitgedanke für die Gestaltung der Zukunft Liechtensteins sein, und Aufgabe der Universität müsste sein, zu forschen, wie dieser Leitgedanke Gegenwart werden kann. Die Zukunft wird gemacht, sie geschieht nicht einfach.
Universitäten stehen seit jeher im Spannungsfeld von Anforderungen an die Ausbildung auf der einen und gesellschaftspolitischen Ansprüchen auf der anderen Seite. Die Politik, die Wirtschaft, Verbände und Verwaltung fordern von der Universität, dass diese ihre Studierenden «employable» macht. Die Abgänger und Abgängerinnen von Universitäten sollen sich in ihren künftigen Berufen situationsgerecht bewähren, sollen erfolgreich sein, sollen mithelfen, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Die Vereinfachung der Bologna-Reform hat den Focus der Ausbildung in den vergangenen Jahren vor allem hierhin gerichtet. Die Lehre hat Fertigkeiten für das spätere Berufsleben zu vermitteln und die Forschung hat Lösungen zu aktuellen Problemen zu liefern. Vereinfacht könnte man von einer praktischen Funktion der Universität sprechen.
Ihren Ursprung und ihre wesentliche Berechtigung hat die Universität aber anderswo als im obgenannten Diktat der unmittelbaren Gegenwart. Diese Funktion begründet sich in der gesellschaftlichen Relevanz. Es sei an dieser Stelle mit Nachdruck auf den Artikel 26 der Menschenrechte verwiesen, in dem es heisst: «Die Ausbildung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziele haben. Sie soll Verständnis, Duldsamkeit und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens begünstigen.»
Der in diesem Fall unverdächtige Papst Benedikt hat 2008 in einer Kontroverse um eine abgesagte Rede an der Universität von Rom verlautet: «In ihrer Freiheit von politischen und kirchlichen Autoritäten kommt der Universität ihre besondere Funktion gerade auch für die moderne Gesellschaft zu, die einer solchen Institution bedarf.» Der Ursprung der Universität liege, so Papst Benedikt, in dem Drang des Menschen nach Erkenntnis: «Er will wissen, was das alles ist, was ihn umgibt. Er will Wahrheit» (Focus Online, 2013).
Die Universität sucht nach Erkenntnis, nach Wahrheit, nach Wissen. Aber nicht nur. Die Universität vertritt Positionen, nimmt Stellung, mischt sich ein, führt Diskurse, steht in der Zeit und setzt sich aus. Auch auf die Gefahr hin, dass dies zu Konflikten führt. Humboldt sprach von Wissenschaft als Bildung und schrieb: «Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger und seinem Stande nach aufgeklärter Bürger und Mensch ist» (zit. nach Hass & Müller-Schöll, 2009, S. 128).
Die Universität fordert und fördert in diesem Sinne eine gesellschaftliche und moralische-ethische Auseinandersetzung. Sie muss Bildung leisten, die über die bloss Ausbildung hinausgeht. Die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen zur Förderung des Verantwortungsbewusstseins von Studierenden ist zentrale Aufgabe der Universität. Die Universität Liechtenstein muss daher nicht nur Ausbildung leisten, sie muss Menschen bilden. Peter Bieri beschreibt treffend den Unterschied in dem er sagt, dass Bildung etwas ist, «das Menschen mit sich und für sich machen: Man bildet sich. Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder nur selbst. Das ist kein blosses Wortspiel. Sich zu bilden, ist tatsächlich etwas ganz Anderes, als ausgebildet zu werden. Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein» (Bieri, 2005, S. 1). Die Universität, die Lehrenden, die Forschenden, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben hier Vorbildfunktion. Es gilt der einfache Satz: Es nutzt nichts, unsere Kinder zu erziehen, sie machen uns ohnehin alles nach. Es gilt also Verantwortung für sich und für die anderen zu übernehmen, sie kann nicht delegiert werden, sie wird uns von niemandem abgenommen.
An dieser Schnittstelle arbeiten die Campus Gespräche. Die Pandemie hat uns in vielerlei Hinsicht gefordert, sei dies zwischenmenschlich, politisch, wirtschaftlich oder kulturell. Dabei gerieten wichtige Themen aus dem Fokus. Wir wissen, dass wir unseren Planten zerstören, wenn wir so weiterwirtschaften wie bislang. Wir wissen, dass wir auf Kosten der Zukunft unserer Kinder leben. Was hindert uns daran, unser Leben so zu verändern, dass dies nicht mehr der Fall ist? Was heisst Verantwortung in diesem Zusammenhang? Diesen Fragen wollen wir uns stellen. Daher haben wir für die Veranstaltungen den Titel «Utopie jetzt» gewählt. Wir befragen hochkarätige Forschende, Intellektuelle, Expertinnen und Experten. Diese stehen im Zentrum des Abends, an dem es im Anschluss an die jeweiligen Referate Fragen seitens der Moderation und des Publikums gibt.
In dieser Hinsicht sind die Aufgaben der Universität mannigfaltig und können nicht ohne volles Engagement geleistet werden. Nicht nur die Universität steht in der Pflicht, auch der Staat. Wir müssen eine Universität im obgenannten Sinne wollen und entsprechend handeln. Die Universität steht in der Verantwortung, der Staat ebenso.
Siehe dazu www.campus-gespraeche.li
Dr. Roman Banzer, Leiter des Center für Geistes- und Kulturwissenschaften
Quellen
– Bieri, P. (2005). Wie wäre es gebildet zu sein? hwr-berlin. https://www.hwr-berlin.de/fileadmin/downloads_internet/publikationen/
Birie_Gebildet_sein.pdf – Derrida, J. (2001). Die unbedingte Universität (1. Aufl.). Suhrkamp. – Focus Online. (2013). Papst-Rede: Nach der Absage regnet es Rosen—
Papst—FOCUS Online. http://www.focus.de/politik/ausland/papst/ papst-rede_aid_233959.html – Häseler, V. (2019). Momente der Verantwortung bei Jacques Derrida.
Verlag Traugott Bautz. – Hass, U., & Müller-Schöll, N. (Hrsg.). (2009). Was ist eine Universität?
Schlaglichter auf eine ruinierte Institution. Transcript-Verl. http://deposit.d-nb.de/cgi-bin/dokserv?id=3039806&prov=M&dok_ var=1&dok_ext=htm