Recyclinggerechtes Konstruieren

Page 1

Recyclinggerechtes Konstruieren

Konzepte f端r eine abfallfreie Konstruktionsweise im Bauwesen Valentin Brenner


Impressum Diplomarbeit im Fachbereich Architektur von Valentin Brenner Cäsar-Flaischlen-Weg 1 D-73479 Ellwangen vbrenner@gmx.de am Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren (ILEK) Universität Stuttgart, Fakultät 1: Architektur und Stadtplanung Prof. Dr. Dr. E.H. Werner Sobek, Betreuer: Pascal Heinz, Michael Hermann, Thorsten Klaus © V.Brenner, Oktober 2010


Abstract

Die Bauindustrie ist mit mehr als 50% aller jährlich gewonnenen Rohstoffe größter Ressourcenverbraucher weltweit. In Deutschland entfallen 56% des Abfallaufkommens auf Baurestmassen, ebenso ist das Baugewerbe massiv am globalen Energieverbrauch und dem CO2 Ausstoß beteiligt. Andererseits ist die weltweite Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen begrenzt und durch den explosionsartigen Anstieg der Nachfrage in den letzten Jahrzehnten hat sich die statische Reichweite einiger wichtiger Baustoffe beachtlich reduziert. Während andere Branchen, wie beispielsweise die Automobilindustrie, bereits mit strengen Richtlinien konfrontiert sind und heutzutage in Europa hergestellte Fahrzeuge zu 95% rezyklierbar sein müssen, ist das Baugewerbe von der Einführung einer Kreislaufwirtschaft weit entfernt. Die Bemühungen konzentrieren sich gegenwärtig auf den Umgang mit bereits zu Abfall gewordener Baurestmasse und wirken daher nur symptomatisch. Die größten Lenkungsmöglichkeiten bestehen aber in der Entwurfs- und Konstruktionsphase. Zukünftig sollten Gebäude so konzipiert sein, dass die verbauten Materialien am Ende der Nutzungsphase wieder vollständig in den Stoffkreislauf eingegliedert werden können. Die wesentlichen Stellschrauben zur Steigerung der Rezyklierbarkeit liegen in der Wahl der Materialien, der Baustruktur und der Verbindungstechnik. Nur wenn es gelingt neue Konstruktionsweisen zu entwickeln, die gewährleisten, dass zukünftig möglichst alle Materialien in Stoffkreisläufen hoher Qualität zirkulieren können, sind die Ressourcenprobleme unserer Zeit zu lösen.

Schlagwörter: Recycling, recyclinggerechtes Konstruieren, Kreislaufwirtschaft, Bau, Stoffkreislauf, Cradle-to-Cradle, Demontage, Nachnutzung, anthropogenes Lager



Abstract English: The building sector is the biggest consumer of natural resources, using more than 50% of the global aggregated feedstock. In Germany, the construction industry is also responsible for 56% of the overall solid waste production. At the same time, the worldwide request for raw materials is explosively growing and for some common building materials the peak of exploration is already crossed. While other sectors, like the car-manufacturing-industry, are already facing strict regulations and have to design 95% recyclable products, the building branch is paying almost no attention to the topic. The few existing efforts tend to act only symptomatically. They just begin to deal with the problem when the materials have already become useless. However, the biggest chances for change exist in the designing phase. In the future, all buildings should be designed in a way to keep all materials used in the cycle. The recyclability is basically influenced by the material choice, the jointing techniques and the construction method. If we can’t manage to develop a new way of construction principles, allowing high quality cyclic material flows, we won’t be able to solve our existing problems of resources and waste. Tags: Recycling, recycling-oriented, Design for Recycling, Design for Disassembly, Design for Deconstruction, Building industry, Cradle to Cradle, End of Life, Urban Mining


6

Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Inhalt 1 Einführung 1.1 Drei Gründe für eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen 1.1.1 Ressourcenverknappung

9 9 9

1.1.2 Schwindende Deponiereserven

11

1.1.3 Energieeffizienz

13

1.2 Begriffsbestimmung und Definition

13

1.2.1 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz

13

1.2.2 EU-Richtlinie 2008/98/EG

14

1.2.3 VDI- Richtlinie 2243

14

1.3 Einführung des sechsstufigen Recyclingmodells

2 Ein neuer Stoffkreislauf

14

17

2.1 Stoffflüsse im Bauwesen

17

2.2 Der Kern des Problems

20

2.3 Die Vision einer Welt ohne Abfall

20

2.4 Das Grundgerüst eines neuen Stoffkreislaufs

21

3 Analyse bestehender Verwertungssysteme 3.1 Mineralische Baustoffe

23 23

3.1.1 Aufkommen und Recyclingquoten

23

3.1.2 Beton

23

3.1.3 Gips

25

3.1.4 Mauerwerk

26

3.1.5 Mineralwolle

26

3.2 Glas

27

3.2.1 Flachglas

27

3.2.2 Gussglas, Glaswolle

27

3.3 Metalle

27

3.3.1 Stahl

27

3.3.2 Aluminium

27

3.3.3 Kupfer

28

3.4 Holz und Materialien auf Holzbasis

28

3.5 Kunststoff & Materialien auf Erdölbasis

29

3.5.1 Formen des Kunststoffrecycling

30

3.5.2 Biokunststoffe

32

3.5.3 Bitumen und Teerhaltige Materialien

32

3.6 Aufbereitungstechnik

32

3.7 Recycling in anderen Branchen

33

4 Bewertung der Recyclingprozesse

37

4.1 Analyse bestehender Bewertungssysteme

37

4.2 Ansätze für ein neues Bewertungssystem

38

4.3 Bauteilvergleich

41


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

5 Recyclingleitfaden Bau

7

42

5.1 Einführung

43

5.2 Übergeordnete Strategien

44

5.2.1 Einordnung in das Nachhaltigkeitskonzept

44

5.2.2 Langlebigkeit

44

5.2.3 Layers of change - Austauschcluster

46

5.3 Konstruktionsprinzipien

47

5.3.1 Materialien

47

5.3.2 Baustruktur

51

5.3.3 Demontierbarkeit & Verbindungstechnik

57

5.3.4 Verwertungskompatibilität

62

5.3.5 Kennzeichung

64

5.3.6 Dokumentation

67

5.4 Übersicht Recyclingleitfaden Bau

70

6 Gebaute Beispiele

73

7 Zusammenfassung und Ausblick 8 Literatur-, Abkürzungs- und Abbildungsverzeichnis

83 85


8

Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Abbildung 01: Unkontrollierter Abriss, Foto: von unbekannt; aus flickr.com


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

9

1 Einführung

Die konsequente Umsetzung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen steckt noch in der Anfangsphase. Einige Pilotprojekte haben zwar schon beachtliche Ergebnisse erzielt, für den Großteil der Planer und Bauschaffenden steht das Thema Recycling jedoch noch nicht auf der Tagesordnung. sworldrawmat.pdf 10:15:06 Daher 2005-12-05 scheint es nicht verwunderlich, dass es nach Kenntnisstand des Verfassers keine aktuelle und umfassende Publikation zum Themenkomplex „Recyclinggerechtes Konstruieren“ aus Sicht der Architekten gibt. Dabei ist ein umfangreiches Wissen in anderen Fachgebieten und verschiedensten Disziplinen vorhanden. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen und teilweise stark variierenden Zielsetzungen machen dieses Know-how jedoch nur schwer gegenseitig nutzbar und für den Planer praktisch nicht zugänglich. Die vorliegende Diplomarbeit soll einen Teil dazu beitragen diese Lücke zu schließen. Dafür wurde zunächst Fachwissen aus vielen Teilbereichen der Technik und Wissenschaft durch ausgiebige Literaturrecherche und Expertenbefragungen gesammelt und analysiert. Mit der Zusammenführung der für den Bausektor relevanten Aspekte und deren Verzahnung im methodischen Arbeitsprozess eines Planers soll das erlangte Wissen im Sachgebiet Recycling für Architekten nutzbar gemacht werden. Heute sind wir mit dem Rücklauf eines Altstoffstroms aus dem Bauwesen konfrontiert, auf den wir nur noch reagieren können. Es besteht jedoch die große Chance neue Gebäude so zu konzipieren, dass deren Rückbau am Ende keinen unkontrollierbaren Abfallstrom nach sich zieht, sondern alle Stoffe wieder in den Kreislauf eingegliedert werden können und somit zu Rohstoffen für eine nachhaltige Entwicklung werden.

und Wissenschaft. Die Rohstoffe, die unsere Wirtschaft für die steigende Produktion benötigt, sind endlich. Während diese Erkenntnis in anderen Branchen, wie beispielsweise dem Automobilbau, zusammen mit neuen Gesetzesauflagen bereits zu starken Veränderungen in der Konstruktionsweise geführt hat, zeigt sich das Bauwesen davon weitgehend unbeeindruckt, trotz des Status als weltweit größter Ressourcenverbraucher. In vielen Planungsbüros findet die Forderung nach einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft im Bausektor keinen Anklang. Nicht selten werden Argumente für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft als Widerspruch zum technischen Fortschritt und der gestalterischen Freiheit betrachtet. Um eine fundierte Diskussionsgrundlage zu schaffen werden nachfolgend die drei wichtigsten Gründe für ein verstärktes Recycling im Bauwesen erläutert.

1.1.1 Ressourcenverknappung In den vergangenen 100 Jahren ist der weltweite Ressourcenverbrauch geradezu explodiert. Seit 1970 hat die globale Jahresproduktion von Stahl um 84%, die von Zement sogar um 271% zugenommen [1],[2],[3],[4]. Ressourcenverbrauch Weltweit und USA

1.1 Drei Gründe für eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen Über die Notwendigkeit eines sparsamen Umgangs mit natürlichen Ressourcen herrscht breiter Konsens in Politik

Abbildung 02: Ressourcenverbrauch weltweit (alle Rohstoffe), US Geological Survey, 2004


Im Jahr 2009 wurden allein in Deutschland 600 Mio. t mineralische Baustoffe gewonnen [5]. Ein hierzulande lebender Mensch verbraucht im Laufe seines Lebens im Durchschnitt 1000 bis 1100 t davon 39,5 t Stahl, 8,5 t Gips, 1,1 t Kupfer und 307 t Sand und Kies [6]. Wachstum und zunehmender Wohlstand gingen in der Vergangenheit immer mit einem höheren Verbrauch an Rohstoffen und Energie einher. Die Fortschritte bei der Ressourcenproduktivität wurden jedoch stets durch die steigende Produktion und den wachsenden Konsum wieder wett gemacht. Zusätzlich wird dieser Effekt durch die weltweit wachsende Bevölkerung und den steigenden Rohstoffbedarf aufstrebender Schwellenländer verstärkt. Es stellt sich schnell die Frage, wie lange die auf unserem Planeten Erde vorkommenden Ressourcen noch ausreichen werden. Hierzu gibt es teils stark voneinander abweichende Zahlen. Dies ist sowohl den unterschiedlichen Berechnungsmethoden, als auch den variablen Annahmen bezüglich des künftigen Wachstums geschuldet. Eine für Vergleichszwecke sinnvolle Berechnungsgrundlage ist die „statische Reichweite“. Sie stellt dar, wie lange ein Rohstoff unter Berücksichtigung der derzeit bekannten Vorkommen bei aktuellem Rohstoffverbrauch noch reichen wird. Dabei wird die zu erwartende Dynamik in der Nachfrage bewusst außer Acht gelassen, da diese nur schwer zu prognostizieren ist und somit eine verlässliche Aussage 10:16:03 unmöglich machen würde. Abbildung 05 zeigt die statistische Reichweite für diverse Rohstoffe. Für einige unter ihnen, wie zum Beispiel für den gängigen Baustoff Kupfer, ist das Fordermaximum bereits überschritten. Schon heute

Ressourcenverbrauch in den USA in the United States Raw materials consumption

befindet sich mehr Kupfer in der gebauten Umwelt, als in den vorhandenen Kupferminen noch zu holen ist. Dazu ist anzumerken, dass die Bauindustrie mit 48% der weltweit größte Kupferverbraucher ist [7]. Aber auch für scheinbar unendlich vorhandene Rohstoffe wie Kies ist bei gleichbleibender Förderung in absehbarer Zeit mit Engpässen zu rechnen. So sind zwar in Deutschland theoretisch Reserven für ca. 300 Jahre vorhanden, aktuell sind aber nur 13% dieser Vorkommen abbaubar. Der Rest ist aus Gründen des Gewässer- und Landschaftsschutzes, sowie weiterer gesetzlicher Vorgaben nicht für den Abbau freigegeben. Begriffe wie „Peak Oil“ (Ölfördermaximum) sind in aller Munde. Dass dies aber gleichzeitig auch „Peak Kunststoff“ bedeutet, wird selten erwähnt. Der Bausektor ist weltweit der größte Verbraucher natürlicher Ressourcen. Somit wird die Bauindustrie ganz besonders von den Auswirkungen der Ressourcenverknappung betroffen sein und steht daher in einer großen Verantwortung. Ein in der Wissenschaft zunehmend diskutierter Lösungsansatz ist das sogenannte „Urban Mining“. Dabei wird die gebaute Umwelt als das Rohstofflager der Zukunft betrachtet. Unsere Städte werden zu den „Minen der Zukunft“. Das anthropogene Lager, also der Materialvorrat in der gebauten Umwelt, den wir in den letzten 100 Jahren um uns geschaffen haben, ist gigantisch. Für manche Rohstoffe übersteigen diese Vorräte bereits diejenigen in natürlichen Vorkommen. In den hochentwickelten Industrieländern sind zum Beispiel ca. 270 kg Kupfer pro

Aggregierter Materialverbrauch der EU-10

Million tonnes 3 500

Metals Non renewable organics

1 400 1 000 800

World War II Great depression

600 400

World War I

200

500

Abbildung 04: Materialverbrauch EU, eurostat, 2004

2020

1995

2018

1980

2016

1970

2014

1960

2012

1950

2010

1940

2008

1930

2006

1920

2004

1910

Source: USGS Abbildung 03: Ressourcenverbrauch USA, US Geological Survey, 2004

2002

0 2000

0 1900

Prognose

1 200

1998

1 000

Biomasse

1 600

Agricultural and forestry products

2 000 1 500

Mineralische Masse

2 000 1 800

1996

2 500

Industrial minerals

1994

3 000

fossile Brennstoffe

Mio. t

Recession Oil crisis

Construction materials

1992

5-12-05

10 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Statische Reichweite wichtiger Rohstoffe Rohstoff

statische Reichweite [a]

Kupfer

Anteil des Verbrauchs durch Bauindustrie [%] 32

48***

Eisen

120

>50³

Aluminium

100

26²

Kunststoff (Erdöl)

45

25**

Zink

26

30²

Kalk, Dolomit

200* (60)

>50³

Kies & Sand

300* (40)

>50³

12

-

Silber

Abbildung 05: Rohstoffreichweite, Daten für statische Reichweite nach Chemie in unserer Zeit 4/2005; *nur für Deutschland, (genehmigt), ***P. Rahm, **vom Kunststoffverbrauch, ² aus [1], ³Schätzung Author

Zusammensetzung des anthropogenen Lagers Rohstoff

[ kg / EW *a]

Kies & Sand

370 000

Ziegel

20 000

Stahl

7 500

Holz

5 000

Kunststoffe

1 000

Aluminium

1 000

Kupfer

270-300

Zink

300

Cadmium

1

1.1.2 Schwindende Deponiereserven In Deutschland fallen jährlich ca. 332 Mio. Tonnen Abfall an. Das entspricht mehr als 4 Tonnen pro Einwohner und Jahr. Für 56% des Massenmüllaufkommens ist das Baugewerbe verantwortlich [9] (Abbildungen 08+09). Davon sind 66% Bodenaushub, die aus dem Hochbau stammende Fraktion Bauschutt ist mit 24% oder 68 Mio. t/a zweit größter Posten und damit wesentlich größer als das jährliche Gesamtaufkommen von Siedlungsabfall oder Abfall aus der industriellen Produktion von jeweils ca. 46 Mio. t/a. Erstaunlicherweise ist das Müllaufkommen aus Rückbaumaßnahmen trotz stark schwankender Baukonjunktur relativ stabil. Gleichzeitig haben sich die Deponiekapazitäten in den letzten Jahren verringert, viele Deponien wurden geschlossen oder rückgebaut. Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes ist allein das Restvolumen auf Deponien für Siedlungsabfälle zwischen 2000 und 2009 von 370 Mio. m³ auf weniger als 150 Mio. m³ gesunken [10]. Neuerschließungen werden wegen enormer Proteste der betroffenen Anwohner zunehmend schwer durchsetzbar. Letztlich hat diese Verknappung eine Steigerung der Kosten für Bauabfälle, die abgelagert werden müssen zur Folge. Da die gegenwärtig im Bausektor jährlich verbaute Materialmasse weit höher ist als die anfallende Abfallmenge kann, langfristig mit einem Anstieg des Abfallaufkommens aus Rückbaumaßnahmen gerechnet werden, das anthropogene Lager wächst also stetig [11], (Abbildung 07). Hinzu kommt, dass die Gebäude aus zunehmend komplexen Materialkombinationen bestehen.

Anthropogenes Lager & Abfallaufkonnen der Zukunft 20

Masse t/Ew * a

Einwohner im anthropogenen Lager verbaut. Die weltweit förderwürdigen Kupfervorräte entsprechen dagegen nur noch 50-70 kg/EW [8]. Die Zusammensetzung des anthropogenen Lagers pro Einwohner für einen Mitteleuropäer sind in Abbildung 06 dargestellt. Alle Produkte und Materialien haben eine begrenzte Nutzungsphase und so lässt sich der Material-Input von heute als potentieller Material-Output in 50 oder 100 Jahren betrachten. Viele natürliche Rohstoffe sind sowohl für die Industrie als auch für das tägliche Leben unentbehrlich und können bis jetzt nicht durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden. Finden wir keinen Weg diese Ressourcen wieder dem Kreislauf zuzuführen und erneut nutzbar zu machen sind sie für immer verloren.

Input an Baustoffen in die gebaute Umwelt

Output an Baustoffen durch Abriss und Umbau

15 mittlere Verweilzeit

10

5

1960 Abbildung 06: Zusammensetzung anthropogenes Lager, Daten für die Schweiz, nach Wittmer, 2007 und Rechberger - TU Wien, 2010

11

1980

2000

2020

2040

2060

2080

Abbildung 07: Anthropogenes Lager, Daten nach: Prof. H. Rechberger, TU Wien, 2010


12 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Erhöhte Anforderungen an den Wärmeschutz und die Luftdichtigkeit haben dazu geführt, dass verschiedenste Materialien dauerhaft miteinander verbunden werden und nur schwer für einen Recyclingprozess zu trennen sind. Einige Experten sprechen gar vom Entstehen einer „gebauten Sondermülldeponie“. Im Jahr 1999 hat das Bundesumweltministerium unter Minister Jürgen Trittin ein „Abfallwirtschaftliches Ziel 2020“ formuliert und darin gefordert, die Weiterentwicklung der Behandlungs- und Verwertungstechnik so voranzutreiben, dass bis 2020 alle Siedlungsabfälle umweltverträglich verwertet werden können und dadurch die oberirdische De-

ponierung beendet wird [12]. Sechs Jahre später reagierte der Gesetzgeber mit einem Verbot der Ablagerung unbehandelter Abfälle. Seit dem 1.6.2005 dürfen nun keine Siedlungsabfälle mehr deponiert werden ohne zuvor mit einer Maßnahme zur Minderung der Abfallmenge behandelt worden zu sein. Letztlich führte dieser Beschluss aber nur zu einer Zunahme der thermischen Beseitigung in Müllverbrennungsanlagen. Dabei werden jedoch auch viele wertvolle, nicht erneuerbare Rohstoffe verbrannt und gehen somit für immer verloren. Langfristig kann nur eine echte Kreislaufwirtschaft, in der es praktisch keinen Abfall mehr gibt, sondern möglichst

Abfallaufkommen in Deutschland, Entwicklung 1999-2006 Mio. t total: 400

405,1

406,7

395,2

381,3

366,4

339,4

331,9

(372,9) 340,9 Abfälle aus Abfallbehandlungsanlagen (Daten nur für 2006)

300

200

Bau- und Abbruchabfälle (incl. Straßenaufbruch)

259

261

251

241

223

188

185

196

Abfälle aus Produktion und Gewerbe Bergematerial aus dem Bergbau

100

Siedlungsabfälle 0

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

Abbildung 08: Abfallaufkommen, Statistisches Bundesamt, 2008

Abfallaufkommen im deutschen Bausektor 2005

Bauabfall 2005 Total: 185 Mio. t 56% des gesamten Abfallaufkommens

Bodenaushub 66% Bauschutt 24% Straßenaufbruch 8% Baustellenabfall 2%

Abbildung 09: Abfallaufkommen Bausektor, Statistisches Bundesamt, 2006


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

alle Materialien dem Kreislauf wieder zugeführt werden können, die Müllprobleme unserer Gesellschaft lösen. Für die Automobil- und Elektronikindustrie hat der Gesetzgeber bereits strikte Recyclingquoten vorgeschrieben. Bleibt abzuwarten, wann derartige Gesetze für den Bausektor folgen werden.

1.1.3 Energieeffizienz Die Herstellung von Materialien und der Abbau der dafür benötigten Rohstoffe sind für einen großen Teil des globalen Energieverbrauchs verantwortlich. So hatte 2004 laut IPCC (Weltklimarat) alleine die Schwerindustrie einen Anteil von 37% am weltweiten Primärenergieverbrauch [1],[3]. Neben den in der Forschung und Praxis vielfältig untersuchten und angewandten Maßnahmen zum Energiesparen im Bereich des Gebäudebetriebs und der Mobilität, bietet auch die Rohstoffgewinnung und Verarbeitung ein großes Einsparpotential. Die Herstellung von Stahl aus Stahlschrott spart gegenüber der Produktion aus Primärrohstoffen bis zu 70% Energie [1]. Auch das Recycling anderer Stoffe weist ein hohes Einsparpotential auf: Aluminium 95%, Kupfer 70-85%, Blei 60-80%, Zink 6070%, Papier 64%, Plastik 80-88% und Glas 68% [13],[1]. In diesem Zusammenhang muss der Begriff des „kumulierten Energieaufwandes“ erwähnt werden (man spricht auch von „Grauer Energie“ oder „Embodied Energy“). Dieser gibt die Gesamtheit des Primärenergieaufwandes an, der zur Herstellung, Nutzung und je nach Berechnungsart auch für die Beseitigung eines Produktes erforderlich ist (vgl.: VDI 4600, [14]). Studien haben gezeigt, dass gerade bei neuen Gebäuden, deren Konstruktionsweise auf eine Reduktion des Heizenergieverbrauches optimiert ist, der kumulierte Energieaufwand für das Herstellen der Gebäude bis zu 40% des Gesamtprimärenergieverbrauchs über einen Zeitraum von 50 Jahren entspricht [15]. Werden diese Gebäude nach dem Ende ihrer Nutzungsdauer abgerissen und die Bestandteile nicht rezykliert, geht die in den Materialien enthaltene Energie verloren. Die Gewinnung von Sekundärrohstoffen aus dem anthropogenen Lager unserer Gebäude bietet also eine enorme Chance den weltweiten Energieverbrauch zu senken. Dafür müssen die Gebäude jedoch künftig so konstruiert sein, dass dem hochwertigen Recyceln der Bestandteile nichts im Wege steht.

13

1.2 Begriffsbestimmung und Definitionen Recycling bezeichnet das Rückführen von gebrauchten Stoffen oder Materialien in einen, dem natürlichen Stoffkreislauf nachempfundenen, künstlichen Kreislaufprozess. Der Begriff Recycling ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt und so kommt es zu unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Definitionen des Begriffs. Hösel beschrieb 1972 erstmals die Kategorien Wiederverwendung, Weiterverwendung und Weiterverwertung und unterschied damit „Gestalt erhaltende“ (Produktrecycling) und „Gestalt auflösende“ (Materialrecycling) Formen des Recyclings [16]. Andere Publikationen spalten den Recyclingprozess weiter in thermische und stoffliche Verwertung auf. Besonders die Inkludierung der thermischen Verwertung in den Recyclingbegriff scheint verwirrend. Im Folgenden werden die wichtigsten Gesetze und Publikationen zum Thema Recycling erläutert.

1.2.1 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Das 1996 in Kraft getretene Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) [17] ist das zentrale Bundesgesetz des deutschen Abfallrechts, sozusagen das Grundgesetz der Abfallwirtschaft. Es ersetzt das frühere Abfallgesetz und wurde seit Inkrafttreten mehrfach aktualisiert. Das Gesetz regelt die Grundsätze und Grundpflichten der Kreislaufwirtschaft und stellt Leitgedanken wie beispielsweise die Produktverantwortung von Herstellern, das Verursacherprinzip und die Anforderungen an die Abfallverwertung dar. Der Begriff „Recycling“ kommt im KrW-/AbfG nicht vor. Es werden drei Hierarchien im Umgang mit Abfall unterschieden: 1. Abfallvermeidung, 2. Abfallverwertung, 3. Abfallbeseitigung. Verheerend ist hierbei die Gleichstellung von energetischer und stofflicher Verwertung in derselben Hierarchie. Dies führt zu teilweise absurd hohen, theoretischen Recyclingquoten, die mit Recycling im Sinne einer echten Kreislaufwirtschaft wenig gemein haben. Bis zum 12.12.2010 muss das bestehende Gesetz jedoch an europäisches Recht (Richtlinie 2008/98/EG) angepasst werden. Hierzu soll die dreistufige Hierarchie auf fünf Stufen erweitert werden.


14 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

1.2.2 EU-Richtlinie 2008/98/EG Die „Richtlinie des Europäischen Parlamentes und Rates über Abfälle“ [18] unterscheidet im Umgang mit Abfall fünf Prioritätsstufen, die wie folgt definiert sind: 1. Vermeidung. 2. Wiederverwendung: „Jedes Verfahren, bei dem Erzeugnisse oder Bestandteile, die keine Abfälle sind, wieder für denselben Zweck verwendet werden, für den sie ursprünglich bestimmt waren.“ 3. Recycling: „Jedes Verwertungsverfahren, durch das Abfallmaterialien zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden. Es schließt die Aufbereitung organischer Materialien ein, aber nicht die energetische Verwertung und die Aufbereitung zu Materialien, die für die Verwendung als Brennstoff oder zur Verfüllung bestimmt sind.“ 4. Sonstige Verwertung, z.B. energetische Verwertung: „Jedes Verfahren, als dessen Hauptergebnis Abfälle innerhalb einer Anlage oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, indem sie andere Materialien ersetzen, die ansonsten zur Erfüllung einer bestimmte Funktion verwendet worden wären, oder die Abfälle so vorbereitet werden, dass sie diese Funktion erfüllen. “ 5. Beseitigung: „Jedes Verfahren, das keine Verwertung ist, auch wenn das Verfahren zur Nebenfolge hat, dass Stoffe oder Energie zurück gewonnen werden.“ Der Begriff „Verwertung“ wird folgendermaßen definiert: „Jedes Verfahren, als dessen Hauptergebnis Abfälle innerhalb der Anlage oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, indem sie andere Materialien ersetzen, die ansonsten zur Erfüllung einer bestimmte Funktion verwendet worden wären, oder die Abfälle so vorbereitet werden, dass sie diese Funktion erfüllen.“ Wie erwähnt ist die EU-Richtlinie in Deutschland noch nicht in geltendes Recht umgesetzt worden. Dies muss jedoch bis Ende 2010 geschehen.

1.2.3 VDI Richtlinie 2243 „Recyclinggerechte Produktentwicklung“ Die Richtlinie 2243 des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) [19], richtet sich vornehmlich an Produktentwickler aus der

Industrie, insbesondere an der Automobilbranche. Sie gibt wesentliche Hinweise zum Konstruieren recyclinggerechter technischer Produkte und operiert in drei Prioritätsstufen, welche sich jeweils in zwei Untergruppen gliedern. 1. Verwendung: „ Erneute Nutzung von gebrauchten Produkten oder Produktteilen für a) denselben Zweck (Wiederverwendung, Instandsetzung) oder b) einen anderen Verwendungszweck als zuvor (Weiterverwendung, Aufarbeitung).“ 2. Verwertung: a) stofflich: „Nutzung des Abfalls zur Substitution von Rohstoffen durch das Gewinnen von Stoffen aus Abfällen oder Nutzung der stofflichen Eigenschaften der Abfälle mit Ausnahme der unmittelbaren Energierückgewinnung.“ b) thermisch: „Einsatz von Abfall als Ersatzbrennstoff.“ 3. Beseitigung: a) thermisch: „Thermische Beseitigung von Abfall dessen Brennwert keine energetische Verwertung zulässt.“ b) Deponie. Die Aktuelle Richtlinie ersetzt die 2003 zurückgezogene Vorgängerversion VDI 2243 „Konstruieren recyclinggerechter technischer Produkte“.

1.3 Einführung des sechsstufigen Recyclingmodells Die eben beschriebenen, teils gegensätzlichen Definitionen stiften nicht nur Verwirrung, sondern erschweren auch die Kommunikation und die Vergleichbarkeit von Recyclingprozessen untereinander. Außerdem vernachlässigen sie allesamt den qualitativen Aspekt. Die meisten aktuell angewandten Recyclingmethoden sind jedoch leider mit einem erheblichen Qualitätsverlust des Rezyklats gegenüber dem Ausgangsprodukt verbunden. Dies führt dazu, dass der lineare Prozess von der Rohstoffgewinnung über die Nutzung zur Beseitigung zwar unterbrochen und verlängert wird, jedoch nicht in einen echten Kreislauf übergeht. Dieser Abwärtsspirale, die als „Downcycling“ bezeichnet wird, muss in einem zeitgemäßen Recyclingmodell enthalten sein. Daher enthält das hier eingeführte, sechsstufige Recyclingmodell eine weitere Hierarchieebene für die Verwertung mit Qualitätsverlust. Die sechs Prioritätsstufen sind wie folgt gegliedert: 1. Verwendung: „Erneute Nutzung von gebrauchten Produkten oder Produktteilen für denselben oder einen anderen Zweck. Gegebenenfalls nach Aufarbeitung oder Instandsetzung der Produkte.“ Diese Stufe kann auch als


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

„Produktrecycling“ bezeichnet werden. Beispiel: Wiederverwendung eines gebrauchten Stahlträgers zum selben Zweck. 2. Stoffliche Verwertung: „Nutzung des Abfalls zur Substitutin von Rohstoffen durch das Gewinnen von Stoffen aus Abfällen. Dabei erreicht der Sekundärrohstoff dieselbe oder für die jeweilige Anwendung gleichwertige Qualität wie das Ausgangsprodukt.“ Dieser Prozess kann auch als „Materialrecycling“ bezeichnet werden. Beispiel: Einschmelzen eines Stahlträgers und erneutes Herstellen eines gleichwertigen Produkts. 3. Stoffliche Verwertung mit Qualitätsverlust (Downcycling): „Dieser Prozess verläuft analog zu „2. Stoffliche Verwertung“ jedoch mit Qualitätsverlusten durch den Recyclingprozess. Dabei verschlechtert sich die Qualität des Rezyklats mit jedem weiteren Recycling, bis schließlich keine weitere Verwertung mehr möglich ist und das Material aus dem Kreislauf ausscheidet und beseitigt werden muss. Beispiel: Altpapier kann maximal fünfmal rezykliert werden. 4. Energetische Verwertung: „Einsatz von Abfall mit hohem Brennwert als Ersatzbrennstoff“. Diese Form der Verwertung ist nur für nachwachsende Rohstoffe als Recycling zu bezeichnen. Das Verbrennen von nichterneuerba-

ren Rohstoffen wie beispielsweise Kunststoff zur Energiegewinnung ist nicht als Recycling zu bezeichnen. Es kann zwar argumentiert werden, dass die Verbrennung von Abfall aus nicht erneuerbaren Rohstoffen mit Energierückgewinnung ökologisch vertretbar ist, solange die Energiewirtschaft fossile Energieträger einsetzt, dem Recycling im Sinne eines Materialkreislaufes wird dieser Vorgang jedoch nicht gerecht. 5. Thermische Beseitigung: „Verbrennen von Abfall, dessen geringer Brennwert keine energetische Verwertung zulässt, mit dem primären Ziel die zu deponierende Abfallmenge zu reduzieren.“ 6. Deponie: „Ablagerung von Abfall, der keiner weiteren Behandlung zugeführt werden kann, auf einer Mülldeponie.“

Recyclingmodell mit sechs Hierarchiestufen RohstoffGewinnung

BaustoffProduktion

Rückbau Umbau

Gebäudeerstellung & Nutzung

Verwendung

stoffliche Verwertung „Downcycling“

15

Verwertung mit Qualitätsverlust (Downcycling)

energetische Verwertung

EU-Richtlinie 2008/98/EG VDI 2243 KrW-/AbfG

Abbildung 10: Recyclingmodell, inklusive Definitionsgrenzen der verschiedenen Publikationen

thermische Beseitigung Deponie


16 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Abbildungen 11: Heutiges Verst채ndniss von Recycling-Architektur. Fotos: links oben: Matthias Loebermann, FH Bieberach; links unten: Freitag lab. AG, Z체rich; Mitte oben: Palettenhaus Biennale 2008 (flichr.com); Mitte mitte: Kees van der Hoven Architect; Mitte unten: Shigeru Ban, Expo Hannover; Rechts oben: Pet House, Frankfurt (baunetz.de);Rechts unten: Dirk Schelpmaier, Detmold (superuse.org)


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

17

2 Ein neuer Stoffkreislauf

2.1 Stoffflüsse im Bauwesen - Zusammensetzung und Materialverbrauch Über die im Bauwesen auftretenden Stoffflüsse gibt es nur lückenhafte Daten. Besonders die Zusammensetzung unserer gebauten Umwelt ist nur schemenhaft erforscht. Dabei wäre eine fundierte Kenntnis über die zu erwartenden Teilfraktionen an Baurestmassen erforderlich, um das Ressourcenpotential des anthropogenen Lagers optimal nutzen zu können [20]. Bis heute wird nicht ausreichend dokumentiert, welche Massen der jeweiligen Stoffe tatsächlich in einem Gebäude verbaut werden. Fest steht lediglich, dass das Lager weiterhin massiv wächst. Einige Wissenschaftler prognostizieren gar eine Verdopplung der verbauten Materialmassen bis zum Jahr 2050 [21], (Abbildung 12). Dem jährlichen Input von ca. 600 Mio. t mineralischer Baustoffe [5] steht in Deutschland lediglich ein Output von ca. 200 Mio. t/a mineralischer Bauabfälle gegenüber [22]. Folglich wächst das Lager allein durch mineralsichere Baustoffe um ca. 400 Mio. t pro Jahr. Eine Studie aus der Schweiz hat festgestellt, dass dort dem Lager jährlich

Stoffflussschema Neue Rohstoffe 10-12 [t/EW*a]

Baustoff

Recycling 0,5-1 [t/EW*a]

Input

+100% bis 2050

Output

2-3 [t/EW*a]

8-10 [t/EW*a]

anthropogenes Lager 350-400 [t/EW] Verbrennung

Deponie 50-70 [t/EW]

Abbildung 12: Stoffflussschema, Daten nach Rechberger-TU Wien 2009 und Baccini 2002

fünf mal mehr zugefügt als entnommen wird, was einer jährlichen Wachstumsrate der Gebäudemasse von 2,3% entspricht [23]. Bleibt die mittlere Nutzungsdauer der Baumaterialien bei den heute üblichen Zeiträumen bestehen, ist mit einer erheblichen Zunahme der Abfallströme in mittlerer Zukunft zu rechnen. Die Frage nach der Zusammensetzung der Baurestmassen einerseits, wie auch der Inputströme an Materialien andererseits, ist wichtig, um bei möglichen Maßnahmen zu Gegensteuerung gezielt ansetzen zu können. Um trotz der schlechten Datenlage einen groben Überblick geben zu können, werden nachfolgend, anhand von drei Beispielen, Stoffflüsse erläutert, die stellvertretend für den jeweiligen Teilbereich stehen, jedoch keine allgemeinen Schlüsse zulassen. Wohnungsbau Bayern: Im Rahmen einer Studie zum Stoffflussmanagement an der TU München [11] wurden 2006 die Materialströme im bayrischen Wohnungsbau analysiert. Abbildung 13 gibt die Zusammensetzung der Materialien für Neubauten der Jahre 1979-2003 wieder. In diesem Zeitraum wurden durchschnittlich 1407 kg an Baumaterialien pro Einwohner und Jahr im Wohnungsbau verarbeitet [24]. Am Ende dieses Zeitraums, im Jahr 2003 betrug der Gesamtbestand des bayrischen Wohnungsbaus 110 t/EW. Erwähnenswert scheinen außerdem die in dieser Studie [11] hergestellten Zusammenhänge zwischen verbauten Materialien und deren Ökobilanz. So kann zum Beispiel festgestellt werden, dass Dämmstoffe, Fließen, Ziegel und Keramik zusammen zwar nur 4% der verbauten Masse ausmachen, jedoch über 50% des kumulierten Energieaufwandes (KEA) verbrauchen. Das Ozonbildungspotential (POCP), maßgeblich verantwortlich für den Sommersmog, wird gar zu über 60% von der Dämmstoffherstellung verursacht, obwohl diese Materialgruppe nur 1% der Gesamtmasse ausmachen. Diese Daten können jedoch nicht generell auf andere Gebäudetypen übertragen werden, wie eine Studie von Lichtensteiger [25] deutlich macht (Abbildung 14).


18 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Baustoffinput in den bayrischen Wohnungsbau 1979-2003, Massenverteilung und Ökobilanz-Dominanzanalyse Anteil [%]

Verteilung der Baustoffmassen im

100

57%

Beton

1,24%

Gips

3%

Fließen, Keramik, Ziegel

32%

Mauerziegel

0,13%

Bitumen

1,05%

Dämmstoffe

0,04%

Kunststoffe

0,24%

Glas

1,92%

Metall

3,05%

Holz

Mauerziegel

90 80

Metall

70

Keramik, Ziegel

60 50 40

Glas

30

Dämmstoffe

20 10

Bitumen Beton

0

GWP

ODP

POCP

AP

NP

KEA

Wirkungsindikator Ökobilanz

Abbildung 13: Baustoffinput in den bayrischen Wohnungsbau. Datenquelle: SFM-F236, Schießl P., Heinz D., TU München, 2006

Baumaterialien - Zusammensetzung nach Gebäudetyp Einfamilienhaus

Mehrfamilienhaus

4% 1%

1% 2%

Dienstleistungsgebäude

Produktionsgebäude

1% 1% 5%

6%

13%

7%

8%

2%

2%

4% 5%

1% 6%

15%

82%

Beton

68%

Mörtel

Formstein

82%

Felsstein

Holz

81%

Metall

Rest

Abbildung 14: Baumaterialien nach Gebäudetyp. Zeitraum für Datenerhebung 1976-2000, Schweiz. Datenquelle: T. Lichtensteiger, Bauwerke als Ressourcennutzer und Ressourcenspender, 2006

Für verschiedene Gebäudetypen wurde untersucht, welche Materialmengen im Zeitraum 1976-2000 verbaut wurden. Dabei ist festzustellen, dass Beton zwar in sämtlichen Gebäudetypen mit weit über 50% der Masse wichtigstes Baumaterial ist, bei anderen Stoffen, wie zum Beispiel Metall, ergeben sich aber je nach Gebäudetyp sehr verschiedene Verteilungen. Während in Produktionsgebäuden durchschnittlich 6% der Gesamtmasse metallische Materialien sind werden im Wohnungsbau weniger als 1% verarbeitet. Umgekehrt ist das Verhältnis bei Holz. Der nachwachsende Rohstoff findet hauptsächlich im Wohnungsbau Anwendung und wird im Bereich der Produktionsgebäuden kaum eingesetzt. Als drittes Beispiel dienen Daten des Umweltministeriums Rheinland-Pfalz [26],[27]. Nach dem kontrollierten

Abriss eines Wohngebäudes mit 12 Einheiten aus dem Sozialen Wohnungsbau wurde die Zusammensetzung des Bauschutts analysiert und in Beziehung zum Bruttorauminhalt dargestellt. Die ermittelten Massen wurden dabei nicht nur nach den Materialfraktionen gegliedert, sondern ebenso in tragenden Konstruktionen (Rohbau) und nichttragenden Konstruktionen (Ausbau) unterteilt. Für die Berechnung des Materialaufkommens wurde nicht nur der finale Rückbau des Gebäudes angerechnet, sondern der gesamte Lebenszyklus betrachtet. Für die Ausbaumaterialien gingen die Verfasser von einem Austauschzyklus von 30 Jahren aus, was eine 2,5 fache Auswechslung innerhalb des Betrachtungszeitraums von 80 Jahren bedeutet [28]. Die daraus resultierenden Daten sind in Abbildung 15 dargestellt. Die nichttragenden Konstruktionen kommen


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

19

Bauschuttzusammensetzung eines Wohngebäudes über den gesamten Lebenszyklus (80 Jahre) Anteile am Bauschutt bezogen auf den Bruttorauminhalt (BRI): Stoffgruppe:

Bauschuttmasse: [ m³/m³ BRI ]

Anteil an Gesamtmasse: [ % ]

Tragende Konstruktionen (Rohbau):

42

Mauerwerk

0,110

18

Beton und Stahlbeton

0,090

15

0,0001

0,1

0,054

9

Naturstein und Betonwerkstein Zimmerermaterial Nichttragende Konstruktionen (Ausbau): Splitt und Kiesschüttung

58 0,06

10

Fliesen im Mörtelbett

0,011

2

Zementestrich

0,032

6

Holzbaumaterial

0,046

8

Tischler- und Parkettholz

0,007

1

Wärmedämmung

0,088

14

Rollladen und Kunststoff

0,011

1,8

Bodenbeläge

0,004

0,6

Verglasungen

0,004

0,6

Bitumendachpappe und Glasgewebe

0,018

2,9

Putz und Stuckmaterial

0,070

11

0,606

100

Gesamtmasse an Bauschutt

Zusammensetzung innerhalb des Bauschutts der nichttragenden Konstruktion (58% der Gesamtmasse): Splitt und Kiesschüttung 16%

Bitumendachpappe und Glasgew. 5% Putz und Stuck 21% Verglasungen 1% Bodenbeläge 1% Rollladenmaterial 3%

Zusammensetzung des Bauschutts der nichttragenden Konstruktion

Wand und Bodenfließen 3% Zementestrich 9% Holz 15% Wärmedämmung 24%

Sonstigen 2%

Abbildung 15: Bauschuttzusammensetzung, Ministerium für Umwelt und Gesundheit Rheinland-Pfalz, 1988. Datengrundlage ist der kontrollierte Abriss eines Wohngebäudes mit 12 Einheiten in Rheinland-Pfalz über einen Lebenszyklus von 80 Jahren. Dabei wird für die durchschnittliche Lebensdauer von nichttragenden Konstruktionen eine Lebensdauer von 30 Jahren angesetzt, was zusammen mit der Erstellung zu einem 3,5-maligen Einbau führt; aus Andrä, Schneider


20 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

auf einen Anteil von 58% der gesamten Baurestmassen, während sie bei einem isoliert betrachteten Totalabbruch nur 33% ausmachen. Im Gegensatz zu den tragenden Bauteile, die aus den Stoffgruppen Beton, Stein, Stahl und Holz bestehen, für die allesamt Verwertungsmöglichkeiten bestehen, sind die nichttragenden Bauteile aus einem wesentlich heterogeneren Materialgemisch zusammengesetzt und erschweren dadurch den Recyclingprozess. Durch die Ausweitung der Betrachtungsweise auf den ganzen Lebenszyklus bekommt der Anteil der Abbruchmasse aus Ausbaumaterialien eine ganz neue Relevanz, besonders wenn man beachtet, dass die Materialvielfalt im Bereich der nichttragenden Konstruktionen in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Weitere Analysen zu Stofffluss beim Rückbau von Gebäuden sind in [29],[30],[31],[32] zu finden.

2.2 Der Kern des Problems Betrachtet man den Status quo im Umgang mit Abfall in Deutschland so kann festgestellt werden, dass viele Lösungsansätze das Problem nur symptomatisch behandeln. Die Beschäftigung mit Recycling beginnt erst, wenn die Produkte bereits nutzlos und somit zu Abfall geworden sind. In vielen Beispielen lässt sich darstellen wie nachträglich versucht wird Verwertungskonzepte für nutzlos gewordene Materialien zu entwickeln. Für einige Beispiele gelingt dies ganz gut, bei der großen Masse der Recyclingprodukte muss aber von „Downcycling“ gesprochen werden. Damit wird die Nutzung eines Stoffs zwar um zwei oder drei Lebenszyklen verlängert, aber mit jedem weiteren Recyclingprozess verliert der Stoff technische Qualität und geht ein Stück weiter in Richtung Nutzlosigkeit. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in der Konstruktionsweise unserer Produkte. Diese sind nicht für eine weitere Nutzung oder Verwertung nach dem Ende des Lebenszyklus konzipiert. Produktentwickler und Planer machen sich in der Regel keine Gedanken darüber, was nach der Nutzungsphase mit den verbauten Materialien geschieht. Ebenso werden die Verbraucher nur unzureichend über die Möglichkeiten der Kreislaufführung der von ihnen erworbenen Materialien informiert. Seit einigen Jahren findet jedoch in den Konstruktionsbüros mancher Branchen ein durch Gesetzesvorgaben motiviertes Umdenken statt. So ist die Automobilindustrie durch die EU-Altautoverordnung [33] verpflichtet Altfahr-

Abbildung 16: Ein VW-Golf in Einzelteile zerlegt, Volkswagen AG

zeuge kostenlos zurück zu nehmen, um dann 95% der Masse zu rezyklieren. Ähnliche Vorgaben durch EU Gesetze gibt es für andere Branchen wie die WEEE- Richtlinie für die Elektronikindustrie [34]. Diese Gesetze haben dazu geführt, dass sich Produktentwickler und Konstrukteure Gedanken über die Rezyklierbarkeit ihrer Produkte machen müssen. Die dadurch in den letzten Jahren erzielten Verbesserungen bezüglich der Rezyklierbarkeit sind beachtlich. In der Bauindustrie sind solche Anstrengungen bisher nicht in nennenswertem Umfang zu beobachten und dies, obwohl der Bausektor, wie eingangs erwähnt, für 56% des Massenmüllaufkommens verantwortlich ist [9]. Um hohe Recyclingquoten und eine möglichst weite Annäherung an einen geschlossenen Materialkreislauf zu erreichen, ist es aber unerlässlich bereits am Kern des Problems anzusetzen. Die Erfahrungen aus den genannten Branchen haben gezeigt, dass nur durch ein frühzeitiges Einbeziehen der „End-of-Life“ - Phase in den Entwicklungsprozess die hohen Ziele eines funktionierenden Stoffkreislaufs erreicht werden können. Teilweise reichen bereits kleine Änderungen oder die flächendeckende Anwendung bestehender Verfahren. Andere Produkte müssen dagegen völlig neu konzipiert und in der Konstruktionsweise an die zusätzlichen Anforderungen angepasst werden.

2.3 Die Vision einer Welt ohne Abfall: Cradle-to-Cradle Mit der Vision einer Welt ohne Abfall und dem dazugehörigen „Cradle-to-Cradle“ - Konzept sind der deutsche Chemiker Michael Braungart und der amerikanische Architekt William McDonough weltweit zu gefragten Persönlichkeiten und begehrten Experten geworden. In


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

ihrem Buch „Cradl-to-Cradle: Einfach intelligent produzieren“ [35] erläutern sie, wie durch zyklische Stoffwechselkreisläufe und eine naturnahe Produktionsweise Materialien immer wieder neu genutzt werden können und somit nicht mehr schädlich für die Umwelt sind, sondern zu nützlichen „Nährstoffen“ werden. Der Kern ihrer Theorie zielt darauf ab, durch neuartiges Design Produkte zu entwickeln, die entweder einem biologischen oder einem technischen Kreislauf zugeführt werden können. Mit ihren Firmen „MBDC“ und „Epea“ beraten und unterstützen sie Unternehmen bei der Entwicklung vollständig rezyklierbarer Produkte. So wurde zum Beispiel für die Sitzbezüge des neuen Airbus A380 ein Gewebe entwickelt, das vollständig und rückstandslos kompostierbar ist. Die Firma „Herman Miller “ entwickelte in Zusammenarbeit mit MBDC einen vollständig rezyklierbaren Bürostuhl und der amerikanische Sportartikel Hersteller „Nike“ einen vollständig verwertbaren Sportschuh [36]. Sicherlich muss man den Kritikern der Cradle-to-Cradle Strategie, die die Durchführbarkeit des Konzeptes für alle Produkte bezweifeln, zugestehen, dass enorme Anstrengungen erforderlich sein werden, um sämtliche Produkte umzustellen und quasi neu zu erfinden. Der gleichermaßen revolutionäre wie konsequente Grundgedanke des Konzepts soll aber als Basis für die vorliegende Arbeit dienen. Möglicherweise ist die Umsetzung der Idee nicht lückenlos auf alle Produktkategorien anwendbar - für einen

Großteil der am Bau eingesetzten Materialien kann aber das Ziel erreicht werden, durch intelligentes Design und recyclinggerechte Konstruktionsweisen den Stoffkreislauf zu schließen.

2.4 Das Grundgerüst eines neuen Stoffkreislaufs Auf Basis der Cradle-to-Cradle -Theorie soll nun versucht werden das Konzept der abfallfreien Materialkreisläufe auch im Bauwesen zu integrieren (Abbildung 17). Zunächst lassen sich zwei unabhängige Stoffkreisläufe unterscheiden: der biologische Kreislauf und der technische Kreislauf. Der biologische Kreislauf entspricht dem natürlichen System organischer Stoffe und gilt für alle Produkte und Bauteile, die aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden können. Nach ihrer Nutzungsphase werden diese Produkte gesammelt und entweder einem natürlichen Zersetzungsprozess oder der energetischen Verwertung zugeführt. Dabei werden die vollständig biologisch abbaubaren Bestandteile wieder zu Nahrung für Pflanzen und schließlich zu neuen Produkten. Dieser Kreislauf eignet sich gut für Verbrauchsprodukte, die nur eine sehr kurze Nutzungsdauer haben. Besonders wichtig ist hierbei, dass diese Materialien keine Substanzen enthalten, die nicht vollständig biologisch abbaubar sind oder schädliche Rückstände hinterlassen. So ist zum Beispiel imprägnier-

Ein neuer Stoffkreislauf Primärrohstoff

Sekundä Rohstoff

r-

Rohstoff h ac wächst n

Rücknahme, Demontage

g eitun Aufa rb

Abbildung 17: Ein neuer Stoffkreislauf, in Anlehnung an Braungart & McDonough (Cradle-to-Cradle)

V e r we rtun g

Rücknahme, Demontage

Abbruch / Rückbau

Produktrecycling

e etisch energ

technischer Kreislauf

Produkt Nutzung

che Zerse tzun biologis g

Baustoff

Produktrecycling

21

biologischer Kreislauf


22 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

tes Holz zwar aus einem nachwachsenden Rohstoff, durch den chemischen Feuchteschutz fallen bei der biogenen Zersetzung aber umweltgefährdende Stoffe an, was dazu führt, dass das Holz teuer deponiert oder in speziellen Müllverbrennungsanlagen beseitigt werden muss. Der technische Kreislauf hingegen betrifft alle anderen Produkte, deren Bestandteile nicht biologisch abbaubar sind. Dabei soll industrielle Masse auf beständigem Qualitätsniveau in geschlossenen Systemen zirkulieren. Dies geschieht durch sorgfältige Materialauswahl, modulare Baustruktur und leicht demontierbare Bestandteile. Sicherlich ist der technische Kreislauf die größere Herausforderung und erfordert noch viel Forschungsaktivität. Die beiden beschriebenen Kreisläufe können gemäß der Recyclingdefinition als Materialrecycling bezeichnet werden. Die in der Grafik aufgezeigten kleinen Kreise stellen den Produktrecyclingprozess dar, der, wenn möglich, einem Materialrecycling vorzuziehen ist. Jedoch nur unter der Voraussetzung, dass dadurch keine Einschränkungen für ein späteres Materialrecycling in einem der beiden Kreisläufe entsteht. Sind Bauteile aus Bestandteilen biologischer und technischer Materialien zusammengesetzt, muss für den Recyclingprozess eine sortenreine Trennung der entsprechenden Materialkomponenten möglich sein.

Abbildung 18: Selektiver Rückbau, Foto: Paul J. White


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

23

3 Analyse bestehender Verwertungssysteme Um in die Konstruktion und Entwicklung recyclinggerechter Produkte einsteigen zu können, ist es zunächst erforderlich über die bestehenden Recyclingverfahren einen Überblick zu erhalten. Für viele gängige Baumaterialien existieren ausgereifte Verwertungstechnologien, auch wenn diese oft keine verbreitete Anwendung finden. Für den Konstrukteur und Planer ist ein möglichst fundiertes Wissen über die zur Verfügung stehenden Verfahren unerlässlich, um bei der Materialwahl und baukonstruktiven Ausführung ein späteres Recycling einplanen zu können. Im Folgenden werden bestehende und neuentwickelte Recyclingverfahren entsprechend der am Bau üblichen Materialfraktionen vorgestellt. Aufgrund der schlechten Datenlage ist es nicht für alle Materialien möglich repräsentative oder gar allgemeingültige Aussagen zu machen. Aber auch der Einblick in Teilbereiche gibt wichtige Hinweise.

3.1 Mineralische Baustoffe 3.1.1 Aufkommen und Recyclingquoten Der größte Teil aller im Bauwesen verwendeten Materialien ist mineralischer Art. Im Jahr 2009 wurden nach Lüttig [6] in Deutschland allein 236 Mio. t Kies und Bausande sowie 217 Mio. t Naturstein gewonnen und verbaut. Daher erscheint es logisch, dass auch unter den Bauabfällen der Großteil aller Stoffe mineralischen Ursprungs ist (ca. 3/4). Eine gute Datenquelle über den Umgang mit mineralischem Baustoffabfall in Deutschland bieten die Monitoring-Berichte der Arbeitsgemeinschaft Kreislaufwirtschaftsträger Bau (Arge KTWB), ein Zusammenschluss am Bau beteiligter Wirtschaftsverbände [22]. Diese gingen 1995 die Selbstverpflichtung gegenüber dem Bund ein, binnen 10 Jahren die zu deponierende Menge mineralischen Bauabfalls zu halbieren. Die ARGE KWTB wurde 2007 mit Erfüllung der Selbstverpflichtung aufgelöst. Im Abschlussbericht des Erhebungsjahres 2004 werden folgende Daten genannt [22]:

[ Mio. t ] Gesamtaufkommen mineralischer Bauabfälle incl. Bodenaushub (2004):

200.7

Bauabfall ohne Bodenaushub:

72,4

Recyclingquote (ohne Bodenaushub):

49,6 (68,5%)

Substitutionsquote durch Recycling-Baustoffe:

6,5 (9%)

Hochwertige Recycling-Baustoffe (z.B. als Betonzuschlag verwendbar):

2,4 (3%)

Recyclingraten von beinahe 70% hören sich zunächst gut an, betrachtet man jedoch die geringe Substitutionsquote von lediglich 9%, sowie den geringen Anteil hochwertiger Recycling-Baustoffe, muss man feststellen, dass der Großteil der rezyklierten Baustoffe in minderwertigen Anwendungen Verwendung finden. So wurden 91,6% aller Recycling-Baustoffe im Straßen- und Erdbau verwendet. Von den 548,5 Mio. t 2004 in Deutschland produzierter Gesteinskörnung wurden lediglich 9% aus Rezyklaten hergestellt. Dieser „Downcyclingprozess“ wird nicht einer Kreislaufwirtschaft im Sinne der eingangs erläuterten Prinzipien gerecht. Um hochwertige Sekundärrohstoffe für hochwertige RC-Produkte herzustellen ist eine getrennte Sammlung mineralischen Bauabfälle erforderlich. Mindestens folgende Fraktionen sollten getrennt gesammelt werden: Betonabbruch, Mauerwerksabbruch, gipshaltige Baustoffe, Dämmstoffe, Mischabbruch.

3.1.2 Beton Beton ist das mit Abstand am häufigsten verwendete Baumaterial. Betonabbruch wird gegenwärtig nicht grundsätzlich separat gesammelt sonder ist häufig Teil des mineralischen Mischabbruchs, also vermengt mit Ziegelbruch, Naturstein und weiterem mineralischen Bauschutt. Mischabbruch kann üblicherweise nur in minderwertigen Anwendungen wie dem Straßenbau verwertet werden. Für ein hochwertiges Recyceln ist ein separates erfassen des Betonabbruch erforderlich.


24 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Verarbeitung von Betonabbruch:

Elektromechanische Zerkleinerung

Um Recycling-Baustoffe aus Betonabbruch herstellen zu können, muss dieser durch ein Zerkleinerungsverfahren aufbereitet und in definierte Korngrößen unterteilt werden. In einer hochwertigen Aufbereitungsanlage für Betonabbruch geschieht die Vorzerkleinerung mittels Backenbrecher. Im Anschluss wird die Metallfraktion aussortiert und einem gesonderten Verwertungsweg zugeführt. Die eigentliche Rezyklatherstellung erfolgt dann mit Prallbrechern. Schließlich wird das Material gesiebt und nach Korngrößen sortiert. Eine übliche Größenverteilung für den Betonbau ist 0/4, 4/8, 6/16 und 16/32 mm. Der Anteil der Sieblinie 0/4 mm wird als Betonbrechsand bezeichnet, die grobkörnigen Bestandteile als rezyklierte Gesteinskörnung. Bei gängigen Aufbereitungsverfahren kann der Anteil an Betonbrechsand bis zu 40% der Gesamtmasse betragen [37].

Die Bauschuttaufbereitung stützt sich im Wesentlichen auf die traditionellen Aufbereitungsverfahren. Diese Methoden kommen jedoch bei Verbundwerkstoffen wie Beton an ihre Grenzen. Neben der Zerkleinerung ist hierbei ein Aufschluss erforderlich, bei welchem die Bestandteile freigelegt und anschließend getrennt werden können. Eine neuentwickelte Technik dafür ist die Schallimpulszerkleinerung. Ziel dieser elektromechanischen Zerlegungsmethode von Altbeton ist es den Verlust von großkörnigen Sieblinien durch den Brechprozess zu reduzieren und dadurch hochwertige Rezyklate der einzelnen Bestandteile zu erzielen. Prinzip: Die bei einer Hochspannungsentladung frei werdende mechanische Energie eines Leistungsschallimpulses wird genutzt, um Altbeton in seine Einzelteile Kies, Sand und Zement zu zerlegen. Der grob vorzerkleinerte Altbeton wird in einem Wasserbad zwischen zwei Elektroden positioniert. Die in einem Kondensator zwischengespeicherte elektrische Energie entlädt sich explosionsartig entlang des Entladungskanals. Dadurch entsteht eine Druckwelle (kurzwelliger Schall im Wasser = Leistungsschallimpuls), die auf das Wasser und das Material darin wirkt. Die Schallwellen werden an den Grenzflächen verschiedenen Bestandteile des Betons reflektiert, da diese unterschiedliche Dichten haben (Abbildung 19). Diesem Effekt ist es zu verdanken, dass der Verbundwerkstoff an den Korngrenzen aufgelöst wird. So werden die Zuschlagstoffe vollständig vom Zement befreit und ihre Korngröße wird nicht durch Mahlen oder Brechen ständig verkleinert. Die Ausbeute an hochwertiger Gesteinskörnung ist wesentlich großer als bei herkömmlichen Verfahren. Versuchsanlagen existieren bereits im Forschungszentrum Karlsruhe (Anlage: „Franka Stein“) sowie an der Bauhausuniversität Weimar [38].

Abbildung 19: Rezyklierte Gesteinskörnung, A.Müller

Verwendung der Rezyklate: In Deutschland finden Rezyklate aus Betonabbruch üblicherweise im Straßenbau als Untergrundverbesserung, sowie als Trag- und Frostschutzschicht Verwendung. Dabei werden Fraktionen der Korngrößen 0/45 oder 0/56 angewandt (also inkl. Betonbrechsand). Die Verwendung als Zuschlag in Form von rezyklierter Gesteinskörnung für neuen Beton ist die Ausnahme und wird in Deutschland gegenwärtig nur für 3-5% des Abbruchmaterials verwirklicht [22]. Gemäß der aktuellen DAfStb Richtlinie (DIN EN 206-1) über „Beton mit rezyklierter Gesteinkörnung“ ist die Verwendung von Zuschlag der Korngrößen kleiner 2 mm ausgeschlossen, da diese die Betonqualität negativ beeinflussen. Damit bleibt Betonbrechsand mit 35-38% der Gesamtmasse für die Verwendung in neuem Beton unbrauchbar. Aktuelle Forschungsansätze untersuchen die Verwendung des Betonbrechsands als Rohstoffkomponente bei der Zementherstellung oder als Primärbindemittel nach der thermischer Reaktivierung [37].

Abbildung 20: Prinzip Elektromechanische Zerkleinerung, A.Müller


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Recyclingbeton in der Schweiz Als Vorreiter in Sachen Recyclingbeton kann die Schweiz, insbesondere die Stadt Zürich, betrachtet werden. Das Amt für Hochbauten der Stadt setzt seit einigen Jahren konsequent alle Neubauten mit Recyclingbeton um. Dabei muss der Anteil an rezyklierter Gesteinskörnung gemäß den ökologischen Bestimmungen bei mindestens 60% liegen. Bei vielen Projekten wird dieser Wert jedoch weit übertroffen und man kann sagen, dass die Verwendung von RC-Beton in Zürich heute Stand der Technik ist. Zusammen mit den Wissenschaftlern der Eidgenössischen Materialprüfanstalt (EMPA) wurden diverse Untersuchungen und Materialtests unternommen, so dass der heute in Zürich verwendete Recycling-Beton (RCB-Beton, aus Betonabbruchgranulat) nahezu die Qualität von Primärbeton aufweist [39]. Beispiel: Bei Bau des 2007 fertig gestellten Ersatzneubaus „Wohnsiedlung Werdwies“ in Zürich wurden sämtliche Betonbauteile aus Recyclingbeton hergestellt. Bodenplatten, Wände und Decken wurden aus RCB-Beton hergestellt, einige tragende Wände im Innenraum wurden sogar erstmals in RCM-Beton, aus 100% Mischabbruchgranulat ausgeführt. Dabei konnte eine Betongüte von REM 20/25, für Beton aus 100% Mischabruchgranulat und REB 40/50, für Beton aus 100% Betonabbruchgranulat erreicht werden [39]. Auch in Deutschland gibt es wissenschaftlich begleitete Pilotprojekte, zum Beispiel in Ludwigshafen. Weitere ausführliche Details zum Thema Recyclingbeton finden sich unter [40],[41],[21], (www.rc-beton.ch, rc-beton.de).

Ökobilanz des Betonrecyclings Die drei in Kapitel 1 erwähnten Gründe für eine Kreislaufwirtschaft lassen sich auch auf den Bereich des BetonRecyclings anwenden. Der Vorteil, den die Vermeidung von Abfall durch eine Verwertung des Abbruchmaterials bringt, erscheint offensichtlich, besonders in Anbetracht der in Zukunft zu erwartenden enormen Mengen an mineralischem Bauschutt. Das Argument der Ressourcensubstitution ist aktuell durch die hohen Downcyclingraten etwas geschmälert, die genannten Beispiele aus der Schweiz zeigen aber einen vielversprechenden Weg hin zu einer nahezu vollständigen Substitution natürlicher Gesteinskörnung. Das dritte Argument, die Energieeinsparung ist für Betonrecycling bislang wenig überzeugend. Das Brechen und Aufbereiten von Betonabbruch

25

zu rezyklierter Gesteinskörnung benötigt in etwa dieselbe Energie wie das Herstellen von primärer Gesteinskörnung, da der Mehraufwand beim Brechen durch verringerte Transportkosten quasi wieder ausgeglichen wird [21]. Den entscheidenden Einfluss auf die Ökobilanz von Beton hat aber der Zement, obwohl er nur einen kleinen Anteil der Gesamtmasse hat. Die Herstellung von Zement ist extrem energieaufwendig und CO2 intensiv. So werden 5-8% der weltweiten CO2 Emissionen von der Zementindustrie verursacht [1]. Dabei ist nicht nur die Energie für den Brennprozess selbst relevant, auch die Entsäuerung des Kalksteins verursacht rohstoffbedingte Emissionen. Da bei Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung ein höherer Zementanteil benötigt wird, schlägt der daraus resultierende Mehraufwand an Energie negativ zu Buche [42]. Vor diesem Hintergrund erscheinen die zuvor erwähnten Vorhaben zum Betonbrechsand-Recycling zukunftsweisend, die auf eine Verwendung des Rezyklats als Sekundärrohstoff in der Zementherstellung oder als Recycling-Bindemittel zielen. Andere Wissenschaftler schlagen einen Umstieg auf Aluminiumsilikat-Zement vor und prognostizieren dadurch ein CO2 Einsparpotential von 80% [1].

3.1.3 Gips Die zunehmende Verwendung von Gipsbaustoffen vor allem im Innenausbau seit 1970 führt zu einem stetig steigenden Abfallaufkommen. So fallen heute in Deutschland ca. 300 000 t/a an [43]. Obwohl gipshaltige Bauabfälle sowohl bei Recyclingbaustoffen als auch auf Deponien als Störfaktor gelten, gibt es hierzulande bis dato kein getrenntes Verwertungssystem für Gipsabfälle. Während in Ländern wie Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien gar Deponierungsverbote bestehen, ist die Ablagerung von Gipsabfällen in Deutschland gängige Praxis. Gips ist gut wasserlöslich und bei der Ablagerung auf nicht abgedichteten Deponien führt dies zu erhöhter Sulfatbelastung im Grundwasser. Wegen des Sulfattreibens beeinträchtigen Gipsreste im Bauschutt auch die Qualität sowie die Nachnutzungsmöglichkeiten von Baustoffen. Bei hochwertigem Recyclingbeton darf der Gipsanteil im rezyklierten Zuschlag maximal 0,3 Massen-% ausmachen [40]. Nimmt der Anteil im Bauschutt weiterhin zu, wird dies zu erheblichen Einschränkungen bei der Verwertung führen. Die einzige Möglichkeit den Gipsanteil zu reduzieren ist es den Bauschutt fein zu brechen und den Gips mittels Windsichtung und Aquamator zu entfernen [27].


26 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Das Rezyklieren von sortenreinem Gips oder Gipskartonplatten ist jedoch kein Problem. Vorreiter ist Dänemark, wo ein Verfahren entwickelt wurde, mit dem reiner Gipsabfall zu 100% rezykliert und zu neuen Gipsprodukten verarbeitet werden kann [43],[44]. Vor dem Hintergrund, dass Gipsabfall im Bauschutt zunehmend zum Problem wird, obwohl ausgereifte Recyclingverfahren existieren, kündigte der Bundesverband der Gipsindustrie im Frühjahr 2010 an, nun auch in Deutschland ein flächendeckendes Recyclingsystem für sortenreine Gipsabfälle einführen zu wollen. Dieses soll aus mobilen und stationären Recyclinganlagen bestehen [45]. Bleibt die Frage welche Möglichkeiten bestehen, Gipsbaustoffe bereits frühzeitig auf der Baustelle zu separieren. Für Gipskartonplatten wird dies durch ein getrenntes Sammeln auf der Baustelle gewährleistet. Gipsbasierte Putze dagegen zeichnen sich durch einen guten Verbund mit dem jeweiligen Untergrund aus. Eine von H. Andrä und der Firma Antoch durchgeführte Testreihe [27] untersuchte das Lösen von Gipsputz vom Mauerwerk mittels wasserbasierter Hochdrucktechnik mit anschließender Gipsabscheidung. Technisch können die Versuche durchaus als erfolgreich bezeichnet werden, die Frage nach den zu erwartenden Kosten ist sicherlich das größere Problem.

3.1.4 Mauerwerk Mauerwerksabbruch wird aktuell nur in seltenen Fällen getrennt erfasst. Folglich fällt das Material unter die Fraktion Mischabbruch, die Natursteinbruch, Kalksandsteinbruch, Betonbruch, Porenbetonbruch, Ziegelbruch, Putz, Mörtel, Gips und weitere Begleitstoffe enthalten kann. Aufgrund der variablen Konsistenz bleibt in diesem Fall die Verwertung in Downcyclingprozessen im Strassenund Wegebau. Aktuelle Untersuchungen zeigen jedoch Möglichkeiten auf, auch Mischabbruch als Zuschlagstoff für Konstruktionsbeton zu verwenden (siehe 3.1.2 Beton und [39]). Für sortenreines Mauerwerk bieten sich theoretisch weitere, hochwertige Verwertungsmöglichkeiten an, die bis dato jedoch aufgrund des geringen Aufkommens an sortenreinem Abbruch nur selten Anwendung finden. Bei der Kalksandsteinherstellung wird bereits Produktionsabfall wieder eingesetzt. Dies ist theoretisch auch mit sortenreinem Kalksteinbruch möglich. Ähnliches gilt für Ziegel. Sortenreiner Ziegelbruch kann zu Ziegelmehl ver-

arbeitet und erneut der Produktion zugemischt werden. Dabei kann der Anteil 20-30% betragen [46]. Das von W. Eden entwickelte Verfahren [47] macht es möglich mit der Kalksandstein-Technologie Recyclingmauersteine aus bestimmten Mischabbruchfraktionen herzustellen.

3.1.5 Mineralwolle Auch wenn der Anteil von Dämmstoffen an der Gesamtmasse mineralischer Bauabfälle gering ist, so ist der volumenmäßige Anteil erheblich. Aufgrund der starken Verunreinigung und nicht lösbaren Verbindungen mit dem Untergrund wird Mineralwolle aus dem Fassadenbereich häufig nicht rezykliert. Dabei existieren für sortenreine Reststoffe zum Beispiel von Flachdachsanierungen bereits Rücknahme- und Recyclingsysteme. Die Firma Rockwool bietet zum Beispiel ein Alt gegen Neu Rücknahmesystem für Steinwolle an. Dabei wird das sortenreine Altmaterial (auch fremder Hersteller) in Big Packs gesammelt und bei der Anlieferung der neuen Materialien vom Händler mitgenommen. Rockwool rezykliert das Altmaterial dann im Produktionsprozess. Die alte Steinwolle wird gereinigt, eingeschmolzen und zu neuen Rockwool Produkten verarbeitet. Verunreinigte Materialien oder Mineralwollebahnen mit Folienkaschierung können nur unter enormem Reinigungsaufwand aufbereitet werden.

Abbildung 21: Rücknahme im BigBag, Rockwool


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

27

3.2 Glas

3.3 Metalle

Glasrecycling ist eine seit Jahrhunderten Anwendung findende Technik. Die chemische Struktur von Glas ist ideal für den Recyclingprozess geeignet. Theoretisch kann der Recyclingprozess unendlich oft ohne Qualitätseinbussen wiederholt werden. Im Bereich Behälterglas besteht in Deutschland eine Recyclingquote von ca. 90% und es kann von einem weitgehend geschlossenen Kreislauf gesprochen werden [48]. Dies gilt jedoch nicht für das im Baugewerbe für Fenster und Fassaden verwendete Flachglas. Abfälle aus der Produktion und dem verarbeitenden Gewerbe werden zwar gesammelt und recycelt, die Gläser aus Rückbaumaßnahmen werden jedoch noch häufig im Bauschutt entsorgt.

Wie bei keinem anderen Bauprodukt ist das Materialrecycling bei den gängigen Metallen schon längere Zeit Stand der Technik. Einerseits sind die Kosten für die Rohstoffe hoch, das Recycling lohnt sich also finanziell, andererseits sind Metalle hervorragend rezyklierbar und eine Verwertung ohne Qualitätseinbußen ist vergleichsweise einfach umzusetzen. Die explodierenden Rohstoffpreise für die Produktion neuer Metalle haben einen regelrechten Kampf um Metallschrott hervorgerufen. Metalle finden im Bauwesen in folgenden Bereichen Anwendung: Stahl: Konstruktiver Stahlbau, Fassadenbau, Bewährung im Stahlbeton Aluminium: Fassadenbau, Verkleidung, Leichtbau Messing, Kupfer: Bedachungen, Fassadenbau, technische Installationen Zink: Korrosionsschutz

3.2.1 Flachglas Wegen der hohen Qualitätsanforderungen bei der Herstellung von Flachglas, die stark durch die Reinheit der Rohstoffe beeinflusst werden, setzt die Industrie überwiegend Eigenscherben und Glasscherben aus weiterverarbeitenden Betrieben ein. Es gibt aber Bemühungen das Flachglasrecycling auszuweiten und auch hochwertige Produkte aus Recyclingmaterial herzustellen. Dabei werden die Glasscherben einem sehr aufwendigen Sortierund Reinigungsprozess unterzogen, um dann in mehrere, der Zusammensetzung der aktuellen Floatwanne entsprechende, Fraktionen eingeteilt zu werden. Ein flächendeckendes Sammelsystem für Flachglas existiert bereits [49],[50].

3.2.2 Gussglas, Glaswolle, Schaumglas Für Glasprodukte mit weniger strengen Qualitätsanforderungen wie Gussglas, Glasbausteine, Glaswolle und Schaumglas bestehen bereits flächendeckende Recyclingsysteme. Glaswolle wird aktuell zu 70% aus Rezyklaten hergestellt. Im Bezug auf die Energieeinsparung ist Glasrecycling ein hoch effizienter Prozess. Unter Anderem wegen der niedrigeren Schmelztemperaturen lassen sich bei der Produktion von Recycling-Glas 70% Energieverbrauch, 50% Wasserverbrauch und 20% Luftverschmutzung gegenüber Glas aus Primärrohstoffen einsparen [49].

3.3.1 Stahl Stahl ist nahezu ohne Qualitätseinbußen vollständig rezy-klierbar [51]. Bereits heute gibt es ein ausgereiftes Sammel- und Recyclingsystem für Stahlschrott. Die Recyclingquote liegt aktuell bei 80% [46]. Die Gestalt erhaltende Wiederverwendung gebrauchter Stahlprodukte findet nur in sehr eingeschränktem Maße statt und ist noch ausbaufähig. Üblicherweise wird Stahlschrott thermisch rezykliert. Dabei wird durch Einschmelzen die Kristallstruktur erneuert, so dass neues Halbzeug mit anderer Geometrie, aber gleicher Materialqualität hergestellt werden kann [52]. Die Herstellung von Rohstahl ist sehr energieintensiv. Durch die Substitution von Primärrohstoffen durch Stahlschrott kann neben den Rohstoffen auch bis zu 70% der Herstellungsenergie eingespart werden [1].

3.3.2 Aluminium Auch Aluminium ist ein ideales Recyclingprodukt, das im Bauwesen in Fenster- und Fassadenprofilen, Verkleidungen und Leichtbaukonstruktionen Einsatz findet. Aufgrund der günstigen chemischen Eigenschaften ist ein vielfaches Einschmelzen ohne großen Qualitätsverlust möglich. Die Herstellung von Sekundäraluminium aus Schrott ist Stand der Technik und aktuell wird eine Recyclingquote von 85%


28 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

erreicht [50]. Die Bauindustrie ist in Europa mit 26% Anteil an allen gefertigten Aluminiumendprodukten nach dem Transportwesen der zweitgrößte Absatzmarkt. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Verbrauch vervielfacht, so wurden 2004 in Deutschland über 3 Mio. t fertiger Aluminiumprodukte verkauft [50], [53]. Wegen der vielfältigen Verarbeitungs- und Einsatzmöglichkeiten, sowie dem natürlichen Korrosionsschutz durch Oxidation oder dem verwertungskompatiblen Eloxieren, sind zusätzliche Schutzschichten überflüssig. Dies erleichtert den Recyclingprozess durch den Erhalt der Sortenreinheit. Zwei Formen des Aluminium Recycling sind zu unterscheiden: a) Refiner: Dabei wird 100% Aluschrott in der Schmelzhütte verarbeitet. Die entstehenden Legierungen sind nicht vollständig sortenrein, aber für den breiten Einsatz im Baubereich ist dieser Qualitätsverlust nicht relevant. b) Remelter: Im Umschmelzwerk werden meist 60% Schrott bestimmter Güte mit 40% Primäraluminium gemischt. Hier entsteht das hochwertigere Produkt.

Ökobilanz Wegen des enorm hohen Energieverbrauchs bei der Produktion ist die ökologische Akzeptanz von Aluminiumprodukten mitunter nicht die Beste. Die Herstellung von Sekundäraluminium spart jedoch 95% der Energie gegenüber der Herstellung aus Primärmaterial und der geringe Qualitätsverlust macht theoretisch unendlich viele Recyclingvorgänge möglich. Werden diese Umstände in die Ökobilanz mit einbezogen ist Aluminium auch unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit konkurrenzfähig.

3.3.3 Kupfer Unter allen gängigen Baustoffen ist Kupfer derjenige, der am schnellsten knapp werden könnte. Wie eingangs erwähnt befindet sich bereits heute mehr Kupfer im anthropogenen Lager als in natürlichen Lagerstätten noch abgebaut werden kann. Die Verteilung von Kupfer innerhalb eines Gebäudes gliedert sich wie folgt: Dach 35%, Elektroinstallation 30%, Heizungsinstallation 25%, Sanitär 9%, Telekommunikation 1% [54]. Wegen der Materialknappheit sind bereits ausgereifte Sammel- und Recyclingprozess flächendeckend eingeführt. Dennoch landet ein nennenswerter Teil im Abfall. So enthält nach M. Braungart heute die Schlacke einer Müllverbrennungsanlage einen höhe-

ren Kupferanteil als im Gestein einer Mine üblicherweise zu finden ist. Während das im Fassadenbau und in Verkleidungen eingesetzte Kupfer verhältnismäßig einfach separiert werden kann, ist das in Rohrleitungen und vor allem in Elektroinstallationen und Kabelsträngen eingesetzte Material schwer trennbar. In diesen Bereichen sind neue Ansätze zur Konstruktionsweise wünschenswert.

3.4 Holz und Materialien auf Holzbasis Demontierbare Hölzer und Holzwerkstoffe lassen sich gut in anderen Anwendungen wieder- oder weiterverwenden. Grundsätzlich muss dabei aber sichergestellt werden, dass das Holz nicht mit gesundheitsschädlichen Stoffen wie etwa Holzschutzmitteln behandelt ist, was man nicht immer ohne weiteres auf der Baustelle nachweisen kann. Als nachwachsender Rohstoff nimmt Holz eine Sonderstellung im Rahmen des Baustoffmanagements ein. Der ökologische motivierte Druck Holzwerkstoffe zu rezyklieren ist nicht vergleichbar mit dem der auf Baustoffen aus endlichen Ressourcen lastet. Da in Deutschland und ebenso in weiten Teilen Europas der Holzbestand in den Wäldern stabil ist oder sogar zunimmt, ist wenig Anreiz zur stofflichen Verwertung gegeben. Vor diesem Hintergrund ist die energetische Verwertung, also das Verbrennen oder Vergasen von Holzwerkstoffen zur Energiegewinnung ökologisch akzeptabel. Allerdings schließt dieser Schritt eine vorherige stoffliche Verwertung nicht aus. In jüngster Zeit beklagen sich Holzrecyclingbetriebe zunehmend über die starke Konkurrenz bei der Beschaffung von Sekundärrohstoffen durch Biomassekraftwerken und Müllverbrennungsanlagen [48]. Aus Sicht der Ressourceneffizienz sollte, wann immer möglich, eine stoffliche Verwertung der energetischen Nutzung vorausgehen. Das Ablagern von Altholz auf Deponien ist seit 2005 in Deutschland verboten. Rechtliche Grundlage für die Entsorgung und Verwertung von Altholz ist die 2003 in Kraft getretene „Verordnung über Anforderungen an die Verwertung und Beseitigung von Altholz“ (Altholzverordnung) [55]. Darin werden vier Altholzkategorien unterschieden, die nach der chemischen Verunreinigung des Altholzes gegliedert sind. Für jede Kategorie werden der Schadstoffbelastung entsprechende Verwertungswege festgelegt (siehe Abbildung 21).


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

29

Altholzkategorien und deren Verwertungsmöglichkeiten

Altholzkategorie

Bezeichnung

Herkunft (Beispiel)

Verwertung / Beseitigung

AI

naturbelassenes oder mechanisch bearbeitetes Altholz, nicht verunreinigt

Massivholz ohne Leim, Vollholz aus der Konstruktion

Wiederverwendung, geeignet für stoffliche Verwertung (z.B. Fertigung von Spanplatten), biogene Verrottung oder Vergasung, Verbrennung

A II

verleimtes, beschichtetes oder lackiertes Altholz ohne halogenorganische Verbindungen in der Beschichtung und ohne Holzschutzmittel

Leimholz, Innentüren, Dielen

Wiederverwendung, geeignet für stoffliche Verwertung (z.B. Fertigung von Spanplatten)

A III

Altholz mit halogenorganischen Verbindungen in der Beschichtung ohne Holzschutzmittel

Holz mit Beschichtung (z.B. aus PVC)

Thermische Verwertung in einer geeigneten Anlage

A IV

Mit Holzschutzmitteln behandeltes Altholz und Altholz, das aufgrund seiner Schadstoffbelastung nicht den Kategorien A I - A III zugeordnet werden kann

Bahnschwellen, Leitungsmasten, Fenster, Außentüren, Gartenzäune, Dachsparren

Thermische Verwertung in einer geeigneten Anlage

PCB- Altholz

Altholz, das mit Mitteln behandelt ist, die polychlorierte Biphenyle (PCB) enthalten

Mit Steinkohleteerölen imprägniertes Holz, Bahnschwellen, Dämmplatten

Beseitigung auf einer geeigneten Sonderabfalldeponie

Abbildung 22: Altholzkategorien, nach Altholzverordnung

Stoffliche Verwertung: Für unbehandeltes Holz gibt es eine Vielzahl von Verwertungsmöglichkeiten in der holzverarbeitenden Industrie. So kann das Altholz beispielsweise zu Spanplatten, Holzfaserplatten oder Dämmstoffen verarbeitet werden. Die Weiterverarbeitung von chemisch verunreinigten Holzwerkstoffen ist nur teilweise möglich und hängt vom Grad der Verunreinigung ab. Diverse Forschungsvorhaben befassen sich mit Methoden zur hochwertigen stofflichen Verwertung. So entwickelte das Wilhelm-Kauditz-Institut (Fraunhofer Institut für Holzforschung) ein Verfahren mit dem alte Span- und Faserplatten mit UF-Harzen (Harnstoffharz) als Bindemittel rezykliert werden können. Seit 1996 ist dieses Verfahren in der Praxis realisiert. Andere Verfahren erproben den chemischen Aufschluss der Holzzellstoffe oder zielen auf die Verarbeitung von Bindemitteln die dem natürlichen Lignin nachempfunden sind und somit vollständig biologisch abbaubar sind [46],[21].

Das FSC- Gütesiegel für Holzprodukte aus nachhaltiger Forstwirtschaft unterhält auch ein FSC-Recycling Siegel, das rezyklierte Holzwerkstoffe auszeichnet, die zu 100% aus Altholz hergestellt sind.

3.5 Kunststoff und Produkte auf Erdölbasis Der relativ junge Baustoff Kunststoff wird erst seit ca. 60 Jahren in der Bauindustrie verwendet, erfreut sich aber stetig steigender Beliebtheit. Im Jahr 2009 wurden in Deutschland 17 Mio. t Kunststoff verarbeitet. Nach der Verpackungsindustrie (29,5%) ist die Bauindustrie (24,5) zweitgrößter Kunststoffverbraucher, gefolgt von der Fahrzeug- (9,0%), Elektro- (7,5%) und Möbelindustrie (7,0%) [21],[56]. Kunststoffe zersetzen sich auch nach Millionen von Jahren nicht vollständig, weshalb deren unbehandelte Ablagerung auf Deponien als äußerst kritisch zu bewerten ist. In Deutschland werden aktuell 52% des Kunststoffabfalls verbrannt, 45% werkstofflich oder rohstofflich rezykliert und der Rest auf Deponien abgelagert [48]. Die Vielfalt der verwendeten Kunststoffarten ist enorm groß und ständig kommen neue Sorten hinzu.


30 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Nachfolgend sind die im Bauwesen gängigsten Kunststoffe und deren üblicher Verwendungszweck aufgelistet: Kunststoffe im Bauwesen Kürzel

Bezeichnung

Anwendung

PB

Polybuten

Rohre

PE

Polyethylen

Rohre, Dichtungsbahnen

PVC-U

HartPolyvinylchlorid

Rohre, Lichtkuppeln, Stegplatten, Rolläden

PVC-P

WeichPolyvinylchlorid

Bodenbeläge, Dichtungsbahnen, Dichtungen

PP

Polypropylen

Rohre, diverse Bauteile

PS

Polystyrol

EPS, XPS, geschäumt als Isoliermaterial

PMMA

Polymethylmethacrylat

Plexiglas, Acrylglas, Stegplatten

PC

Polycarbonat

Stegplatten

TPE

thermoplast. Elastomere

Dichtungsprofile, Dichtungsbahnen

CFK, GFK

Carbon/Glasfaserverstärkter Kunststoff

tragende Bauteile, Fassade

Abbildung 23: Kunststoffe im Bauwesen

Die Bezeichnungen sagen jedoch wenig über die konkrete Zusammensetzung aus, da neben dem polymeren Grundmaterial, nach dem sich die Bezeichnung richtet, unzählige Zusatzstoffe wie Weichmacher, Farbstoffe, UV- und Alterungsschutz, Brandhemmer etc. verwendet werden. Erst diese Zusatzstoffe ermöglichen einen leistungsstarken Einsatz im Baubereich [57].

3.5.1 Formen des Kunststoff Recyclings Grundsätzlich werden drei Wege des Kunststoffrecyclings unterschieden: 1. (Werk-) stoffliches Recycling: Sortenreine Kunststoffabfälle werden zerkleinert und zu Regranulat aufbereitet. Dabei handelt es sich um einen mechanischen Prozess, die chemische Makromolekülstruktur bleibt erhalten. Das Regranulat dient dann als Sekundärstoff für die Herstellung des neuen Kunststoffprodukts, entweder in derselben Verwendung wie das Ausgangsprodukt oder in einem weniger anspruchsvollen Produkt (Downcycling). Um diesen Prozess zu ermöglichen müssen die Kunststoffabfälle äußerst sortenrein und frei von Verunreinigungen sein. Bereits Störstoffe in kleins-

ter Konzentration beeinflussen die Qualität und führen somit zu einem minderwertigen Produkt. Dabei ist die große Vielzahl an verschiedenen, im Bauwesen verwendeten Kunststoffen, sowie deren teils untrennbarer Verbund mit anderen Werkstoffen als kritisch zu betrachten. Der Einsatz über mehrere Jahrzehnte führt mitunter zu chemischen Vorgängen, die zum Beispiel durch UV-Strahlung hervorgerufen werden. Des Weiteren ist die Entwicklung in der Kunststoffindustrie ungebremst, wodurch sich die heute produzierten Stoffe chemisch von den heute zu rezyklierenden unterscheiden können. Diese Tatsache erschwert ein gemeinsames stoffliches Rezyklieren. 2. Chemisches / rohstoffliches Recycling: Bei diesem Verfahren werden die gebrauchten Kunststoffe unter Auflösung der Makromolekülstruktur chemisch in ihre Bestandteile zerlegt, es entstehen Sekundärrohstoffe wie Öle und andere petrochemische Grundstoffe. Dieses Recyclingverfahren ist jedoch nur für bestimmte Kunststoffarten geeignet, da sich viele Polymere nicht mehr in die Ausgangssubstanzen zerlegen lassen. Entscheidend ist auch die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit bestimmter Kunststoffarten untereinander, was die Verträglichkeitsmatrix der Firma Bayer exemplarisch darstellt (Abbildung 24). 3. Energetisches / thermisches Recycling: Nach der bereits anfangs erwähnten Recyclingdefinition ist der Schritt des „energetischen“ bzw. „thermischen Recycling“ aus Sicht des Autors nicht als echtes Recyclingverfahren zu verstehen. Da es in der Praxis jedoch die gängigste Methode ist, findet diese hier Erwähnung. Kunststoffe haben einen äußerst hohen Brennwert. Die verbreiteten Massenkunststoffe PP, PE oder PS weisen eine Energiedichte vergleichbar mit Erdöl auf. Bei deren Verbrennung entstehen Wasser, Kohlendioxid und Abgase, die von den jeweiligen Zusatzstoffen abhängig sind. Andere Kunststoffe, wie zum Beispiel PVC, haben aufgrund beigemischter Brandhemmer einen deutlich niedrigeren Brennwert und setzen bei der Verbrennung außerdem gefährliche Halogene frei. Solange Öl noch zur Wärmeerzeugung genutzt wird, könnte argumentiert werden, dass das Verbrennen von erdölbasierten Kunststoffen gleichermaßen legitim ist. Voraussetzung muss jedoch sein, dass sämtliche umweltgefährdenden Stoffe (Schwermetalle, Halogene, etc.) dem Kreislauf entzogen werden. Durch das Verbrennen gehen aber wertvolle Rohstoffe für immer verloren, denen bei


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

31

Abbildung 24: Verträglichkeitsmatrix der Firma Bayer

entsprechender Aufbereitung viele weitere Verwendungen offen gestanden hätten. Außerdem birgt die Herstellung von Sekundärkunststoff 80-88% Energieeinsparpotential gegenüber Kunststoff aus Primärmaterial [1].

Kunststoffrecycling in der aktuellen Praxis: PVC (Polyvinylchlorid) ist der am Bau mit Abstand am häufigsten verwendete Kunststoff. Er findet Anwendung in Fenstern, Fußböden, Rohrleitungen und Membranen. Für den Recyclingprozess unterscheidet man zwischen hartem und weichem PVC. Für beide Sorten haben sich werkstoffliche Recyclingverfahren durchgesetzt. Dabei wird das AltPVC durch spezielle Lösungsmittel in eine Polymerlösung zerlegt und im Anschluss durch Filter von diversen Zusatzstoffen befreit. Die eigentlichen PVC-Partikel können dann zu neuen Produkten weiterverarbeitet werden. Hierbei muss jedoch ergänzt werden, dass der Recyclingprozess toxische Substanzen zurück lässt. Die Verbrennung von PVC-Reststoffen ist ebenfalls problematisch, da dabei Chlor freigesetzt wird, das zusammen mit Wasser die äußerst aggressive Salzsäure bildet. Ein weiteres, häufig bei alten PVC Fenstern auftretendes Problem, ist deren Belastung mit Blei und Cadmium. Werden diese Schwermetalle nicht ausgesondert und das Alt-PVC einfach dem Recyclingprozess zugeführt verbleiben auch die Giftstoffe im Kreislauf [21]. EPS/XPS: Für EPS aus Verpackungen existieren bereits

ausgereifte Recyclingverfahren. Der Rücklauf aus dem Baubereich beschränkt sich bis jetzt hauptsächlich auf Verschnitt, wird aber in wenigen Jahren stark zunehmen. Der zu erwartende Abfall an EPS/XPS-Platten aus dem Bereich der Fassadendämmung ist jedoch stark mit Kleber, Putz und mineralischen Reststoffen verunreinigt und könnte im aktuellen Recyclingverfahren nicht verarbeitet werden. In einem Forschungsprojekt des Fraunhofer Instituts Verfahrenstechnik und Verpackung wurde 2005 ein stoffliches Recyclingverfahren im Labormaßstab erprobt. In dem Projekte wurde verschmutzter EPS-Abfall in einer geeigneten Flüssigkeit aufgelöst, Fremdstoffe wurden abgetrennt und ein wiederaufschäumbares Polystyrol gewonnen. Verfahrenstechnischen Probleme stellen die eingesetzten Flammschutzmittel dar [46]. PUR/PIR-Hartschaum: Im Glycolyseverfahren können PUR/PIR-Hartschaumabfälle bei ca. 200°C in flüssiges Glycolysepolyol umgewandelt, das einen Teil der für die Herstellung neuer Polyurethane benötigten Rohstoffe ersetzen kann. Daneben besteht für unverschmutzte Baustellenabfälle die Möglichkeit der stofflichen Verwertung durch Klebepressen. Dabei werden saubere PUR-Plattenreste zerkleinert und mit Polyurethan-Kleber unter Druck zu Platten verpresst. Für die üblicherweise beim Rückbau stark verschmutzten Abfälle gibt es derzeit kein stoffliches Recyclingverfahren.


32 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

3.5.2 Biokunststoffe Eine viel zitierte und mit großen Hoffnungen verbundene neue Stoffgruppe sind die sogenannten Biokunststoffe. Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffes gibt es nicht und so kommt es zu teils sehr weitgefassten Begriffsauslegungen. Grundsätzlich können zwei Typen unterschieden werden: a) Kunststoffe, die auf Basis nachwachsender Rohstoffe wie, Stärke, Zucker, Pflanzenöl, Cellulose hergestellt werden. b) Biologisch abbaubare Kunststoffe, welche alle Kriterien von wissenschaftlich anerkannten Normen zum Nachweis der biologischen Abbaubarkeit und Kompostierbarkeit von Kunststoffen erfüllen; in Europa: EN 13432 / EN 14995 [58],[59]. Zur ersten Kategorie werden häufig auch solche Produkte gezählt, die nur zu einem gewissen Anteil von nachwachsenden Rohstoffen bestehen, teilweise nur zu 20%. Gerade diejenigen Produkte, die biologische Fasern mit einer herkömmlichen Kunststoffmatrix mischen, sind aus recyclingtechnischer Sicht kein Fortschritt. Vielversprechender

erscheinen dagegen die biologisch abbaubaren Kunststoffe. Sie ermöglichen auch bislang nur unter größten Anstrengungen zu rezyklierende Kunststoffbauteile nun im biologischen Kreislauf zu verwerten. Allerdings häufen sich die Klagen von Biogasanlagenbetreiber, dass diese neuartigen Kunststoffe ein völlig anderes Verrottungsverhalten hätten und daher im herkömmlichen Bioabfall als Störstoffe empfunden werden [48].

3.5.3 Bitumen und teerhaltige Materialien Bitumen und teerhaltige Materialien kommen hauptsächlich für Dachabdichtungen, Bodenbeläge und als Asphalt bzw. Gussasphalt zum Einsatz. Hauptunterschied zwischen den beiden Bindemitteln ist deren Herstellung. Bitumen wird auf Erdölbasis durch fraktionierte Destillation hergestellt, Teer hingegen ist auf Steinkohlebasis durch Verkokung hergestellt. Beide Materialien enthalten mitunter hohe Schadstoffkonzentrationen an toxischem EPAPAK (Kohlenwasserstoffe) und Phenolen. Für ein Recycling müssten die Schadstoffe abgesondert werden, was praktisch kaum realisierbar ist [21].

3.6 Aufbereitungstechniken

Abbildung 25: Wood Plastic Composite (WPC) Profile aus natürlichen Fasern mit Polymer Matrix (Thermoplast oder Duroplast); Foto: Greiner Extrusionstechnik GmbH

Eine Vielzahl von technischen Hilfsmitteln zur Aufbereitung von Abfall ist vorhanden. Zusätzlich zur verbesserten Separierbarkeit durch recyclinggerechtes Konstruieren werden auch die Fortschritte in der Aufbereitungstechnik einen Beitrag auf dem Weg zum geschlossenen Kreislauf leisten. Für den Konstrukteur ist daher eine Übersicht der wichtigsten Methoden hilfreich. Die in der Abfallaufbereitung eingesetzte Technologie kann mit wenigen Ausnahmen (z.B. Kunststoff, biologischer Kreislauf ) der mechanischen Verfahrenstechnik zugeordnet werden. Im Gegensatz zu thermischen Verfahren und dem biologischen Verwertungsprozess erfolgt hierbei keine chemische Konversion der Einsatzstoffe [4].

Zerkleinerung:

Abbildung 26: Systematik Biokunststoffe, Wolfgang Beier, UBA

Das Zerkleinern fester Abfallstoffe stellt in der Aufbereitungstechnik einen wichtigen, ersten Verfahrensschritt dar. Dabei wird der Parameter Korngröße gezielt verändert und bildet somit die Grundlage für den weiteren Verarbeitungsprozess. Zusätzlich dient die Zerkleinerung zum Aufschluss von mechanischen Materialverbünden und


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

33

dem freilegen sortenreiner Materialalteile. Die gängigen Zerkleinerungsverfahren sind: Zerkleinern mit schneidender Beanspruchung (Rotorscheren, Wellenzerkleinerer, Schneidemühle), Zerkleinerung mit reißender Beanspruchung (Kammwalzenzerkleinerer, Schneckenmühle), Zerkleinerer mit Schlag- und Prallbeanspruchung (Hammermühle und Schredder, Prallbrecher, Backenbrecher).

Stoffgemisches in mindestens zwei Produkte unterschiedlicher Zusammensetzung. Für den Konstrukteur ist das Wissen über mögliche Trennverfahren bei der Zusammensetzung einer Verwertungseinheit von großer Bedeutung. Abbildung 27 stellt die wichtigsten Sortiermethoden und deren Trennkriterien zusammen.

Klassierung

Automobilindustrie

Unter Klassierung wird die Trennung der Komponenten nach geometrischen Abmessungen verstanden. Fraktionen aus den Zerkleinerungsanlagen werden durch Klassierungsverfahren vorsortiert und für die weitere Verarbeitung vorbereitet. Gängige Techniken sind: Trommelsiebe, Linear- und Kreisschwingsiebe, Spannwellensiebe, bewegte Roste.

Die Entwicklungen in der Automobilindustrie fanden in vorangegangenen Kapiteln bereits mehrfach Erwähnung. Hersteller wie BMW befassen sich bereits seit Ende der achtziger Jahre intensiv mit der Rezyklierbarkeit von Fahrzeugen. Große Fortschritte wurden aber erst durch gesetzliche Regelungen erreicht. In Deutschland traten die ersten Bestimmungen 1998 in Kraft. Seit 2001 regelt die EU-Altautoverordnung [33] das Recycling von Fahrzeugen in Europa und macht den Herstellern genaue Vorgaben, die teils sehr ambitioniert sind. So sind die Hersteller seit

Sortierung Dieser Bearbeitungsschritt beschreibt die Trennung eines

3.7 Recycling in anderen Branchen

Trennkriterien und Anwendung von Sortiermaschinen im Aufbereitungsprozess Trennkriterien

Verfahren (Trennmedium)

Häufig verwendete Sortiermaschienen

Beispiele für die Anwendung

Magnetische Suszeptibilität, Form Masse

Magnetscheidung (Luft / Suspensionen)

Überband-, Trommel und Bandrollenmagnetscheider

Abtrennung von Fe-Metall aus Abfallgemisch

Elektrische Leitfähigkeit, Korngröße, Masse

Wirbelstromscheidung (Luft)

Wirbelstromscheider (NE-Metallscheider)

Abtrennung von NE-Metallen aus Abfallgemischen

Elektrische Leitfähigkeit, Dielektrizitätszahl

Elektrosortierung (Luft)

Walzenscheider, Freifallscheider

Abtrennung feinkörniger Metalle, Trennung Kunststoffe

Stoffdichte, Korngröße, Kornform

Windsichtung, Luftherdtrennung, (Luft)

Aufstrom- und Querstromwindsichter, Luftherde

Abtrennung leicht flugfähiger Stoffe

Stoffdichte, Korngröße, Kornform

nasse Strömungssortierung (Wasser)

Setzmaschinen, Aufstromsortierer, Nassherde, Wendelscheider

Sortierung von Bauschutt und Kabel-, Elektroschrott

Stoffdichte, Korngröße, Kornform

Schwimm-Sink-Trennung, Trennung im Zentrifugalfeld (Wasser, Suspensionen)

Trommel- und Trogscheider. Hydro- und Schwertrübzyklone

Sortierung von Metallen und Kunststoffen untereinander

Stoffdichte

Trennung im Zentrifugalfeld (Wasser, Salzlösungen)

Sortierzentrifugen, Hydrozyklone

Sortierung unterschiedlicher Kunststoffarten

Farbe, Lichtadsorbtion, el. Leitfähigkeit, Stoffdichte

Sensorgestützte Sortierung (Luft)

Farbsortierer, NahinfrarotTrenner, Metalltrenner, Röntgensortierer, LIBS-Trenner

Abtrennung von Altglas, Metallen, Kunststoffen, Holz, Papier

Sprödigkeit, Duktilität, Korngröße

selektive Zerkleinerung und Siebklassierung (Luft)

Hammer- oder Prallmühlen und Siebe

mineralische Stoffe, Kunststofffolien und Papier

Stofflösevermögen

Stofflösung (Wasser)

Pulper, Lösetrommeln

Rückgewinnung von Papierfasern aus Altpapier

Abbildung 27: Trennverfahren, Tabelle nach Kranert, Cord-Landwehr: „Einführung in die Abfallwirtschaft“, 2010


34 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

2007 verpflichtet alle Altfahrzeuge kostenlos zurückzunehmen und diese dann zu mindestens 85% zu recyceln. Ab 2015 wird diese Quote dann auf 95% erhöht. Dabei dürfen gewisse Mengen auch energetisch verwertet werden. Allerdings findet diese Regelung nur bei einem kleinen Teil der Altfahrzeuge Anwendung. So wurden laut dem Kraftfahrtbundesamt von den 3,2 Mio. Fahrzeugen, die im Jahr 2005 in Deutschland abgemeldet wurden, nur 0,8 Mio. recycelt. Der Rest wurde als Gebrauchtfahrzeuge ins Ausland exportiert [60]. Alle großen Hersteller haben in den letzten Jahren intensive Forschung und Entwicklungsarbeit zur Optimierung der Rezyklierbarkeit ihrer Produkte geleistet. Leider ist dieses Know-How häufig sehr fachspezifisch oder gar Betriebsgeheimnis und daher für den Bausektor nur schwer nutzbar. Eine Reihe von Publikationen wie die bereits erwähnte VDI-2243 [19] geben allgemeingültige Anregungen. Ebenfalls für das Bauwesen adaptierbar könnten die erarbeiteten Kriterien zur Kennzeichnung von Werkstoffen sein (vgl. [61]). Um die neuen Anforderungen an die Verwertung von Altautos innerhalb Europa zu gewährleisten wurde ein Online Informationsportal entwickelt, das es Verwertungsbetrieben ermöglichen soll bei der Vielzahl von verschiedenen

Abbildung 29: Rezyklierbare Verkleidungen. BMW Ag

Automodellen der Überblick zu behalten. Dafür stellen 62 Hersteller detaillierte Demontage- und Verwertungsanleitungen von über 700 Modellen im sogenannten „International Dismantling Information System“ bereit. (www.IDIS2.com)

Konsumgüter Auch für einige Konsumprodukte haben Hersteller Konzepte entwickelt, die deren Kreislauffähigkeit gewährleisten. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Hierbei ist ein nicht zu unterschätzendes Argument, gerade bei Konsumprodukten, der Marketingeffekt durch das Label „Recyclingfähig“. Als einer der Vorreiter kann der amerikanische Büromöbelhersteller Hermann Miller bezeichnet werden. Der vollständig demontierbare und rezyklierbare Bürostuhl Mirra wurde schnell zum meistverkauften Produkt des Konzerns (Abbildung 30).

Abbildung 30: Rezyklierbarer Bürostuhl: Mirra. Herman Miller Inc.

Abbildung 28: Ford Modell U: Studie eines vollständig rezyklierbaren Automobils. Ford Motor Company

Der Sportartikelhersteller Nike hat eine Serie recyclingfähiger Produkte aufgesetzt, die er Nike-Considered nennt. So ist beispielsweise ein Schuh entstanden, der nur aus Leder, Bast und einer Sorte Kunststoff entsteht. Durch geschickten Formschluss lässt sich der Gummi rückstandslos von den biologisch abbaubaren Bestandteile trennen und rezyklieren. Das Produkt war innerhalb kürzester Zeit aus-


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

verkauft (Abbildung 31). Andere Hersteller entwickelten vollständig biologisch zersetzbare Textilien, oder Farben, die chemisch so unbedenklich sind, dass man sie ohne weiteres essen könnte. Die Beispiele zeigen, dass von Seiten der Verbraucher durchaus ein Interesse und Akzeptanz für neue, recyclinggerechte Produkte besteht, auch wenn das bestimmte Veränderungen mit sich bringt. Eine Umsetzung auf breiter Front scheint aber nur durch gesetzliche Regelungen, wie die Entwicklungen aus der Automobilbranche zeigen, durchsetzbar zu sein.

Abbildung 31: Rezyklierbarer Schuh: Nike considered. Nike Inc.

35


36 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

37

4 Bewertung der Recyclingprozesse

In den vorangegangenen Kapiteln war bereits mehrfach von Recyclingquoten die Rede. Wie am Beispiel der mineralischen Baustoffe dargelegt, werden dabei zum Teil sehr hohe Angaben gemacht, die einen nahezu geschlossenen Kreislauf vermuten lassen, obwohl dies offensichtlich nicht der Fall ist. Unterschiedliche Definitionen des Recyclingbegriffs und variierende Ansätze bei der Datenerhebung machen das Vergleichen von verschiedenen Recyclingprozessen äußerst schwer bis unmöglich. Um die Qualität einer Verwertung überprüfen zu können sind jedoch nachvollziehbare, quantitative Daten erforderlich. Nur sie können als belastbare Argumentationsgrundlage für oder gegen die ökobilanzielle Relevanz einer Maßnahme zur Rezyklierbarkeit dienen. Jedoch macht es keinen Sinn nur den relativen Anteil der verwerteten Materialien an der Gesamtmasse zu beurteilen, da die Qualität des Rezyklats und die Möglichkeit einer mehrfachen Kreislaufführung entscheidend sind. Leider gibt es bislang kein System, das es dem Planer erlaubt den Einfluss verschiedener Konstruktionsvarianten auf den Recyclingprozess zu evaluieren und in Zusammenhang mit der gesamten Ökobilanz zu stellen. Wegen der enormen Komplexität durch eine Vielzahl von Einflussgrößen ist die Entwicklung eines solchen Bewertungssystems enorm aufwändig. Bestehende Ökobilanztools stehen vor dem Problem, dass es kaum Daten zur Bilanzierung bestehender Recyclingverfahren gibt.

4.1 Analyse bestehender Bewertungssysteme LEED Das vom „US Green Building Council“ betriebene Bewertungssystem basiert auf einer Checkliste mit maximal 100 Punkten. Sieben bzw. acht dieser Punkte beziehen sich auf das Recycling. So wird ein Punkt vergeben wenn 50% der Abbruchmasse nicht auf der Deponie landen, bei 75% gibt es zwei Punkte. Werden 20% RC- Materialien verwendet wird dies mit 2 Punkten honoriert. Die Wiederverwendung

von 55% der bestehenden Wände oder Decken bringt einen weiteren Punkt. Die Bewertung der Rezyklierbarkeit der Materialien an sich oder eine qualitative Aussage zum Recyclingprozess erfolgt nicht.

DGNB Die „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ operiert in ihrem Zertifizierungssystem mit einer bewertenden Checkliste. Die Rezyklierbarkeit ist dabei eines der 51 untersuchten Kriterien. Im Steckbrief Nr. 42: „Rückbaubarkeit, Recyclingfreundlichkeit, Demontagefreundlichkeit“ [62] werden die Anforderungen beschrieben. Dabei wird ein Gebäude zunächst in die vier Bereiche technische Gebäudeausrüstung, Ausbauelemente, sowie tragende- und nichttragende Rohbaukonstruktion unterteilt. Für jeden dieser Bereiche werden dann der Aufwand zur Demontage und der Aufwand zu Trennung geprüft und bewertet. Durch die gesonderte Betrachtung der einzelnen Gebäudeebenen ist eine wesentlich differenziertere Betrachtung möglich, als dies beispielsweise das LEED System ermöglicht. Die eingangs geforderte qualitative Beurteilung des Recyclingprozesses bleibt jedoch ebenfalls aus.

Cradle-to-Cradle Bei den zur Cradle-to-Cradle Zertifizierung angeführten Bewertungskriterien werden fünf Anforderunsgruppen definiert: 1. Materialtransparenz und gesundheitliche Aspekte 2. Materialwiederverwendung (re-utillization) 3. Energieverbrauch 4. Wasserverbrauch 5. Soziale Verantwortung Die Zweite Gruppe bezieht sich dabei unmittelbar auf die Rezyklierbarkeit. Produkte, welche die höchste Auszeichnung (Platinum) erreichen wollen, müssen zu mindestens 80 Massenprozent stofflich rezyklierbar sein, dabei wird die energetische Verwertung ausgeschlossen. Außerdem darf das Produkt keine toxischen oder gesundheitsschädlichen Substanzen enthalten. Alle chemischen Bestandtei-


38 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

le größer als 0,01% müssen identifiziert sein [63].

Recyclingquote und ISO 22628 Der Begriff Recyclingquote gibt den Anteil der rezyklierten Masse am gesamten Abfallaufkommen eines Produkts an. Es gilt R= 100% * Σ M rezykliert / M alt. Verwendung findet diese Quote zum Beispiel in der Automobilindustrie. So wird die in der EU-Altautoverordnung [33] geforderte Recyclingquote von 95% danach berechnet. Die Berechnungsmethodik ist in der DIN ISO 22628 definiert (Berechnungsmethode der Recyclingfähigkeit und Verwertbarkeit von Straßenfahrzeugen) [64]. Dabei ist jede Materialkomponente separat zu betrachten und es finden nur bewährte Recyclingmethoden Beachtung. Außerdem findet eine Unterscheidung von Recyclingquote und Verwertbarkeitsquote statt. Letztere schließt im Gegensatz zur Recyclingquote die energetische Verwertung mit ein. Die resultierenden numerischen Angaben ermöglichen den Vergleich verschiedener Recyclingansätze. Erneut bleibt eine Beurteilung der Qualität der Recyclingprozesse aus. Dieser Teilaspekt ist aus Sicht des Autors jedoch der entscheidende Faktor in der Weiterentwicklung eines funktionierenden Kreislaufwirtschaftsmodells. Wenn im Bewertungsprozess diejenigen Verwertungsmethoden, die durch ein starkes Downcycling den linearen Weg von der „Wiege zur Bahre“ nur verlängern, mit denjenigen Verfahren, die auf einen geschlossenen Kreislauf zielen gleichrangig sind, dann scheitert die Entwicklung eines geschlossenen Materialkreislaufs. Ziel muss es sein, ein Verfahren zu entwickeln, bei dem auch die Qualität des Rezyklats Beachtung findet.

4.2 Ansätze eines neuen Bewertungssystems Um der Frage nach zu gehen welche Parameter für eine Bewertung relevant sind, lohnt ein Blick auf die eingangs beschriebenen drei Gründe für das Recycling. Der eigentliche Grund aller Bemühungen rund um das Thema Recycling ist die Schonung natürlicher Reserven auf materieller und energetischer Ebene, sowie die Reduktion des Abfallaufkommens aufgrund der schwindenden Deponiekapazitäten. Folglich muss auch eine Bewertung des Recyclingprozesses diese Aspekte gewichten. Daher wird im Folgenden eine dreigliedrige Bewertungs-

methode vorgeschlagen, mit den Parametern Substitutionsrate, Abfallvermeidungspotential und Energierückgewinnungsrate. Ressourcenverknappung Substitutionsrate

Graue Energie Energierückgewinnungsrate

Schwindende Deponiereserven Abfallvermeidungspotential

Die erläuterten Kriterien sind als systematische Ansätze für ein Bewertungssystem zu verstehen, das über die blose Berechnung der Recyclingquote hinausgehen soll und dadurch eine umfassendere Bewertung der Recyclingprozesse ermöglichen möchte. Der qualitative Aspekt, bzw. die mehrmalige Kreislaufführung, findet darin eine klare Wertung. Die drei Parameter werden unabhängig voneinander bestimmt. Bei Produkten, die aus verschiedenen Materialien bestehen, für welche wiederum getrennte Verwertungswege vorgesehen sind, geschieht die Bewertung zunächst für jedes Material separat. Anschließend werden die Bestandteile eines Produktes dem Anteil ihres Gewichts an der Gesamtmasse entsprechend gewertet. Die Demontierbarkeit wird indirekt bewertet, indem sich die Sortenreinheit der Materialien in der Qualität der Rezyklate niederschlägt.

Parameter 1 - Abfallvermeidungspotential: Bewertet werden die Vermeidung der Ablagerung oder Verbrennung von Abfall und die dadurch entstehende Schonung der Deponiereserven. Ein Vermeidungspotential von 100% entspricht der vollständigen stofflichen Verwertung der Materialien, bzw. der energetischen Nutzung oder Verrottung bei Stoffen des biologischen Kreislaufs. Es gilt: P1= (M ges – M dep) / M ges *100% (mit M dep = Masse des deponierten Abfalls; M ges = Masse Abfall gesamt). (Formeln siehe auch Abbildung 32)

Parameter 2 - Substitutionsrate: Bewertet wird die Substitutionsrate von Primärrohstoffen durch die Herstellung von Recyclingbaustoffen. Dabei gibt ein Qualitätsfaktor an, inwiefern das Rezyklat den Primärbaustoff ersetzen kann.


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Es gilt: P2=(M rez * q) / M pri * 100% (mit M rez = Masse des substituierten Materials; M pri = Masse des Primärmaterials; q = Qualitätsfaktor) Es gibt verschiedene Methoden, um den Qualitätsfaktor zu ermitteln: Die wertbereinigte Substitutionsmethode [50],[65] berücksichtigt die finanzielle Wertminderung des Rezyklats gegenüber des Primärstoffs. Das Interessante an dieser Methode ist, dass somit marginale Verunreinigungen, die für den Herstellungsprozess im Bauwesen keine Rolle spielen, auch keine finanzielle Wertminderung des Stoffes nach sich ziehen, da sie für den jeweiligen Herstellungsprozess ja unrelevant sind. Andere Verunreinigungen dagegen, die bei der Weiterverarbeitung störend sind, zeichnen sich dementsprechend stark in der Wertminderung des Rezyklats gegenüber dem Primärrohstoff ab. Eine weitere Möglichkeit ist es die chemische Reinheit des Sekundärrohstoffes im Vergleich zum Primärstoff zu be-

stimmen und dadurch den Qualitätsfaktor zu ermitteln. Neben der chemischen Reinheit im Sinne des Anteils von Fremdstoffen können hier auch andere Eigenschaften, wie zum Beispiel die Größe oder Form der Bestandteile, eine Rolle spielen. So geht etwa beim Brechen von Betonabbruch dadurch Qualität verloren, dass die Gesteinskörnung mit jedem weiteren Brechvorgang an Größe verliert, bis die Gesteinskörnung zu klein zum Verwerten ist.

Parameter 3 – Energieeffizienz: Der Dritte Parameter schließlich beschreibt die Energetische Bilanz des Recyclingprozesses. Dabei wird bewertet, wie viel Energie der Recyclingprozess im Vergleich zur Herstellung des Primärproduktes benötigt. Parameter 3 gibt also die „Energierückgewinnungsrate“ an. Da aufgrund des Qualitätsverlustes gegenüber dem Primärmaterial nicht die volle Menge an Primärrohstoffen substituiert werden kann, erfolgt eine Minderung des Vergleichswerts der “Grauen Energie“ für die Herstellung (EE) durch Mul-

Recyclingpotential - Graphische Darstellung Beispiel: Alu-Glas Fassade Gesamtgewicht: 39 kg/m² Alu: 8 kg/m² = 20% Glas: 31 kg/m² = 80%

Berechnung der drei Parameter: Abfallvermeidungspotential: n

Mges - Mdep i * 100% P1 = i Mges i

Σ

i=1

Substitutionsrate: P2 =

n

Σ

i=1

Mrez i * q i * 100% Mpri i

Energierückgewinnungsrate: P3 =

n

Σ i=1

(EE i * P2) - Eproc i * 100% EE i

Mges = Baurestmasse Gesamt Mdep = zu deponierende Baurestmasse Mrez = Masse Rezyklar (Sekundärrohstoff) Mpri = Masse Primärrohstoff EE = Embodied Energie Eproc = Prozessenergie Recyclingvorgang q = Qualitätsfaktor Abbildung 32: Recyclingpotential

39


40 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

tiplikation mit der Substitutionsrate (P2). Es gilt: P3= ((EE * P2) – E proc) / EE * 100% (mit EE = Embodied Energy, „Graue Energie“ oder „Kumulierter Energieaufwand“ für Primärprodukt; P2 = Parameter 2 E proc = Energie für den Recyclingprozess) Negative Werte bedeuten folglich, dass der Recyclingprozess mehr Energie benötigt als die Herstellung aus Primärrohstoffen. Im Idealfall wird der Energieaufwand aus erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen getrennt betrachtet. Recyclingpotential nach Thormark: Als Ergänzung zu den eben genannten Methoden zur qualitativen Beurteilung (P2) soll hier noch ein weiteres Konzept Erwähnung finden. Das von C. Thormark beschriebene „Recycling-potential“ [66]. Es beschreibt wie viel „Graue Energie“ und natürliche Ressourcen durch Recycling wieder nützlich gemacht werden können und bedient sich hierzu eines zeitlichen Faktors, der „Remaining Lifetime“. Dieser Faktor beschreibt, wie lange der erwartete Lebenszyklus des Rezyklats im Vergleich zum Primärstoff ist. Es gilt: Rpot= Σ EE*Remaining Lifetime –E rec.proc (mit Rpot= Recycling potential; EE = Embodied Energy, Graue Energie; E rec proc = Energy recycling process; Remaining lifetime = Erwartete Lebenszeit in % der Lebenszeit des Primärprodukts) Dieser Ansatz scheint durchaus interesant, jedoch wird es zu großen Differenzen bei der Bestimmung der „Remaining lifetime“ kommen, was wiederum zu Lasten der vergleichbarkeit geht.

4.3 Bauteilvergleich Der in Abbildung 33 dargestellte Vergleich der Rezyklierbarkeit verschiedener Konstruktionsweisen soll zeigen, wie mit Hilfe der grafischen Darstellung eine schnelle und übersichtliche Beurteilung des Recyclingpotentials erstellt werden kann. Aufgrund der lückenhaften Datenlage können die gezeigten Ergebnisse und Daten jedoch nur als methodischer Ansatz und näherungsweise Beschreibung, jedoch nicht als exakte Auswertung betrachtet werden.


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

41

Bauteilvergleich

Beton - WDVS

Mauerwerk - 2 Schalig

Holzrahmenbau

Porenbeton

Pofosten-Riegel Alu/Glas

Aufbau: Innenputz Beton C30/25 Steinwolle Außenputz

[cm] 03 15 11 02

Innenputz Ziegel Steinwolle Klinker

[cm] 03 24 09 11,5

Gipskarton KV Holz Zellulose Fassade

[cm] 2,5 8/18 18 5

Porenbeton (P4-0,55)

[cm] 45

Alu eloxiert, Postenabstand: Riegelabstand: Isolierglas:

1 m 4,4 m 2-fach

Separierbarkeit: vollflächig verklebt, schwer separierbar, Bestandteile stark verunreinigt

separierbar, jedoch mit erheblichem Aufwand

Separierung und sortenreine Trennung aller Bestandteile möglich

Monostoffbauteil, separierung überflüssig

hervorragend separierbar, wenn auf geklebte Verbindungen verzichtet wird.

Der hohe Trennaufwand führt dazu, dass lediglich Downcyclingverfahren im Mischabbruch anwendung finden

Bei sortenreiner Trennung sind stoffliche Verwertungsverfahren für Holz, Zellulose und Gipskarton möglich.

Das Sortenreine Material kann nach Aufarbeitung wieder eigeschrängt als Zuschlagstoff verwendung finden.

Für Aluminium und Glas bestehen hochwertige, ausgereifte Recyclingverfahren. Das Glas wird jedoch nicht erneut als Fensterglas Anwendung finden.

Masse [kg/m²] U-Wert [W/m²K] KEAne* [MJ/m²] KEAe* [MJ/m²]

Masse [kg/m²] U-Wert [W/m²K] KEAne* [MJ/m²] KEAe* [MJ/m²]

Masse [kg/m²] U-Wert [W/m²K] KEAne* [MJ/m²] KEAe* [MJ/m²]

Masse [kg/m²] U-Wert [W/m²K] KEAne* [MJ/m²] KEAe* [MJ/m²]

Rezyklierbarkeit: Aufgrund der starken Verunreinigung ist für Steinwolle und Beton nur ein Downcycling z.B. im Strassenbau möglich.

Recyclingpotential:

Ökobilanz Herstellung: Masse [kg/m²] U-Wert [W/m²K] KEAne* [MJ/m²] KEAe* [MJ/m²]

398 0,33 286 53

481 0,33 1046 159

70 0,23 332 1075

248 0,30 763 51

43 1,1 1084 69

Abbildung 33: Bauteilvergleich. Aufbau, Ökobilanz und Recyclingpotential, *KEAne/e =Kumulierter Energieaufwand nichterneuerbar/erneuerbar) Daten überschlägig nach SFM Bauwerke - TU München 2006 auf Basis von ecoinvent 2003


42 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Ăœbergeordnete Strategien Einordnung in das Nachhaltigkeitskonzept Seite 44

Langlebigkeit Seite 44

Austauschcluster

Bauprozess

Seite 46

Konstruktionsprinzipien 1. Materialien Seite 47

2. Baustruktur Seite 51

3. Verbindungstechnik & Demontierbarkeit Seite 57

4. Verwertungskompatibilität Seite 62

5. Kennzeichnung 425 4563

Seite 64

6. Dokumentation DOKU

Seite 67


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

43

5 Recyclingleitfaden Bau

5.1 Einführung Nachdem mehrfach die Verantwortung des Planers und Konstrukteurs im Recyclingprozess erwähnt worden ist, soll nun eine Umsetzung dieser Verantwortung in geeignete Handlungsweisen erfolgen. Ein Blick auf die historische Entwicklung und auf die Erfahrungen aus anderen Branchen zeigt, dass sich die Bemühungen um das Themenfeld „Recycling“ in drei Bereiche einteilen lassen, die auf ganz unterschiedlichen Maßstabsebenen operieren: Raum, Struktur und Material (Abbildung 34). Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie ist es die Aufgabe des Planers Nachnutzungskonzepte auf allen drei Ebenen zu entwickeln: Die räumliche Ebene bezieht sich auf die ganze Struktur eines Gebäudes. Dabei wird versucht durch Flexibilität und Anpassungsfähigkeit den Nutzungszyklus einer räumlichen Struktur als Ganzes zu verlängern. Man könnte auch von einem Globalrecycling eines ganzen Gebäudes durch Wieder- oder Weiterverwenden sprechen. Die Methoden auf struktureller Ebene haben dagegen das Ziel, durch modularen Aufbau und Demontierbarkeit, Teile des Gebäudes ersetzbar, austauschbar und in die Bestandteile zerlegbar zu machen. Dabei spielt die Verbindungstechnik und die Baustruktur die entscheidende Rolle. Nachnutzungsstrategien auf der Ebene der Materialien

versuchen durch einen optimierten Umgang mit den Baustoffen selbst das Aufkommen von Abfall zu vermeiden und die stoffliche Verwertbarkeit der Materialien zu gewährleisten. Dabei sind Entscheidungen der Materialwahl, der Stoffkombination und der angewandten Verbindungsmethoden maßgebend. Ein umfassendes Nachnutzungskonzept arbeitet auf allen drei Ebenen, die auch hierarchisch verstanden werden können. Die Erfüllung einer stofflichen Verwertbarkeit ist immer Grundvoraussetzung für ein strukturelles oder räumliches Nachnutzungskonzept. Um eine strukturierte Gliederung zu erreichen, die sich an den Arbeitsschritten eines Planers bzw. Konstrukteurs orientiert, werden im Folgenden „übergeordnete Strategien“ (Entwurf ) und „Konstruktionsprinzipien“ unterschieden. Die beschriebenen Leitlinien sollen einen „Fahrplan“ im Umgang mit dem komplexen Themenfeld des Recycling im Bauprozess bereitstellen und einen strukturierten Überblick der relevanten Teilbereiche liefern. (siehe Übersichtsgrafik links)

Nachnutzungskonzepte Nachnutzungskonzept:

Einordnung:

Maßnahme:

Nutzungsanpassung, Umbau

übergeordnete Strategie

räuml. Flexibilität & Anpassungsfähigkeit

Struktur

Instandsetzung, Austausch

Konstruktionsprinzipien

Demontierbarkeit Verwertungskompatibel

Material

stoffliche Verwertung

Konstruktionsprinzipien

Materialien rezyklierbar

Raum

Abbildung 34: Nachnutzungskonzepte


44 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

5.2 Überbeordnete Strategien Die „übergeordneten Strategien“ fassen die großmaßstäblichen Maßnahmen zusammen und beziehen sich auf die frühe Konzept- und Entwurfsphase.

zu bewerten und aufeinander abzustimmen. Leider fehlen für viele Materialien im Moment noch die erforderlichen Datensätze, um auch für den Bereich Recycling belastbare Analysen herzustellen. Bleibt zu hoffen, dass die Lücken schnellstmöglich geschlossen werden.

5.2.1 Einordnung in das Nachhaltigkeitskonzept

5.2.2 Langlebigkeit

Am Beispiel der aktuell wachsenden Problematik, dass immer mehr Materialien zu untrennbaren Verbünden verklebt werden, um beispielsweise Luftdichtigkeit zu gewährleisten, ist gut erkennbar wohin einseitig orientierte Konzepte führen können. So wird durch die beschriebenen Maßnahmen zwar Heizenergie gespart, aber gleichzeitig wird ein neues Problem in Form von Abfall generiert. Die Frage, ob der Aspekt Energieeinsparung oder Müllvermeidung für den Umweltschutz höher zu bewerten ist kann nicht pauschal beantwortet werden. Das Beispiel zeigt, dass nur eine ausgewogene Abstimmung aller Teilbereiche des nachhaltigen Bauens zum Ziel führen kann. Dabei müssen alle Phasen des Lebenszyklus mit einbezogen werden. Aktuelle Studien zeigen, welch großen Einfluss die „End-of-Life“ - Phase auf die ganzheitliche Ökobilanz eines Gebäudes haben kann. Bis zu 40% der gesamten, im Lebenszyklus verbrauchten Energie steckt in den Materialien die es am Ende zu verwerten gilt [15]. Ziel eines ausgewogenen Konzeptes muss es sein, alle Parameter so gegeneinander abzuwägen, dass die Umwelt am Ende minimal belastet wird. Gerade bei Aspekten der Rezyklierbarkeit sind Zielkonflikte mit anderen Teilgebieten des umweltverträglichen Bauens vorprogrammiert. Die Methoden der Ökobilanz (LCA) können ein hilfreiches Instrument sein, um alle Parameter ganzheitlich

Seit jeher ist die Welt in der wir leben in einem ständigen Entwicklungsprozess. Technische Produkte vergrößern in immer kürzer werdenden Innovationszyklen ihre Leistungsfähigkeit, gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen die Lebensweise. Letztlich ändert sich dadurch auch die Art und Weise wie wir Gebäude nutzen. So hat sich zum Beispiel in den letzten 50 Jahren die Wohnfläche pro Einwohner mehr als verdoppelt [65],[9]. Auch die Arbeitswelt bleibt von diesen Entwicklungen nicht verschont. Waren vor einigen Jahren noch kleinteilige Zellenbüros allgemeiner Standard, sind heute flexible Großraumbüros gefragt, die sich an die neuen Arbeitsformen anpassen können. Es ist absehbar, dass ein Gebäude nicht über seinen ganzen Lebenszyklus von 50 oder 100 Jahren in der Weise genutzt werden kann, wie dies zu Beginn vorgesehen war. Daher scheint es nur logisch, diesen natürlichen Wandlungsprozess von Anfang an in die Planung zu integrieren. Leider sieht die Praxis anders aus. Die wenigsten Gebäude werden abgerissen weil die Materialien das technische Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. Vielmehr scheitert eine weitere Nutzung intakter Bausubstanz meist daran, dass die vorhandene Raumstruktur oder das optische Erscheinungsbild nicht mehr an die veränderten Nutzungsanforderungen angepasst werden können. Unter dem Gesichtspunkt der Ressourceneffizienz ist dieser Zustand nicht hinnehmbar. Ziel muss es folglich sein, den Nutzungszeitraum eines Gebäudes zu maximieren.

Soziale Qualität

Recycling

EnergieEffizienz

Nutzungsflexibilität & Anpassungsfähigkeit

Ökologie Ökonomie

Abbildung 35: Einordnung in das Nachhaltigkeitskonzept

An einigen bereits gebauten Beispielen kann man verschiedenste Herangehensweisen, wie durch Flexibilität und Anpassungsfähigkeit die Nutzungsdauer eines Gebäudes verlängert wird, erkennen. Eine gute Basis zum beschriebenen Themenfeld bietet die 2010 erschienene Dissertation „Das adaptive Habitat“ von Sigrid Loch [67]. Darin werden nicht nur unzählige Bei-


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

spiele flexibler Nutzungskonzepte beschrieben, es gelingt ihr auch eine systematische Strukturierung und Kategorisierung dieser Typologien durchzuführen. Die Arbeit unterscheidet drei Kategorien der Nutzungsflexibilität: 1. Funktionale Flexibilität: Diese Kategorie beschreibt die Anpassungsfähigkeit ohne bauliche Maßnahme, durch flexibel gestaltete Räume. Dafür ist ein gewisser Flächenüberschuss, bzw. eine großzügige Raumgestaltung, erforderlich. Die Räume müssen nutzungsneutral gestaltet sein, damit einzig durch eine andere Möblierung die Funktionalität an neue Nutzungsbedingungen angepasst werden kann. Hierzu ist eine Mindestraumgröße von ca. 14m² erforderlich. Eine weitere Möglichkeit sind multifunktionale Raumzusammenhänge oder großzügige Einraumwohnungen wie beispielsweise eine Loft in der flexibel gearbeitet und/oder gewohnt werden kann. 2. Integrierte Flexibilität: Hierbei geht es um die Flexibilität durch diverse, in Ausbauelemente oder Raumkonfigurationen integrierte, Schiebe-, Klapp- oder Faltwände sowie flexible Möbel. Dadurch werden kurzfristige Anpassungen der Raumfunktion möglich. Überlagerungen verschiedener Nutzungen im selben Raum werden durch das Verstauen entsprechender Funktionselemente in Möbeln oder Schrankwänden ermöglicht. Wandelbare Materialeigenschaften erweitern die Anpassungsfähigkeit beispielsweise durch schaltbare Gläser oder veränderliche Oberflächen. Die ständige Wandelbarkeit ist also von Beginn an in die Baukonstruktion bzw. in den Ausbau integriert. 3. Konstruktive Maßnahmen: Die dritte Kategorie schließlich beschreibt die Anpassung durch bewusst eingeplante, bauliche Maßnahmen. Diese können auf allen Maßstabsebenen, vom einzelnen Zimmer bis zur Tragstruktur des ganzen Gebäudes, angewandt werden. So kann zum Beispiel ein Türdurchbruch zwischen zwei Zimmern vorgesehen werden, welcher dann im Laufe der Jahre geöffnet wird. Sofern von Beginn an eingeplant, können nichttragende Wände an bestimmte andere Positionen versetzt werden ohne dabei ein Schallschutzproblem zu generieren. Schalträume oder das Kombinieren und Trennen einzelner Parzellen sind eine weitere Option. Im großen Maßstab können flexible, unabhängige Tragstrukturen beispielsweise mittels großer Spannweiten programmoffene Gebäude ermöglichen. Zusammenfassend lässt sich diese Kategorie als „vorgeplante Umbaufähigkeit“ beschreiben.

45

Typologien der Nutzungsflexibilität

Nutzungsneutralität Funktionale Flexibilität

Einheit mit nutzungsneutralen Räumen

Multif. ungegliederte Raumkonfiguration Multif. gegliederte Raumkonfiguration Multifunktionalität

Multifunktionale Raumlandschaft Multifunktionaler Schwellenraum

Flexible Raumbegrenzungselemente Integrierte Flexibilität

Flexible Möbel und Einbauelemente Wandelbare Materialeigenschaften

Interne konstruktive Flexibilität

Nichttragende, versetzbare Wände Schalträume

Konstruktive Flexibilität

Externe konstruktive Flexibilität

Kombinieren und Trennen Wachsen und Schrumpfen

Konstrukt. Flexibilität auf Gebäudeebene

Tragwerk und Ausbau Programmoffene Gebäude

Funktionale Flexibilität: z.B.: Nutzungsflexible Räume

Integrierte Flexibilität: z.B.: Verschiebbare Wände

Konstruktive Flexibilität: z.B.: Versetzbare, nichttragende Wände

Abbildung 36: Typologien der Nutzungsflexibilität nach S.Loch: „Das adaptive Habitat“, 2010


46 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Schafzimmer

Kinderzimmer

Esszimmer

Büro

Abbildung 37: Nutzungsneutraler Raum. Morgan & Stevenson, 2005

tauschzyklus einzelner Gebäudeteile unmöglich. Jedoch können Austauschcluster mit vergleichbaren Zeithorizonten erarbeiten werden. Dafür bieten die Ausführungen von S.Brand [68] eine gute Grundlage. Darin werden die sechs Cluster Standort, Tragstruktur, Fassade, Service, Grundriss und Ausbau/Möbel unterschieden. Während der Standort und die Tragstruktur als langfristig fixierte Parameter definiert werden, unterliegen der Grundriss und vor allem der Ausbau samt Möbel einem relativ kurzen Austauschzyklus (Abbildung 38). Eine unabhängige Differenzierung, sowie konstruktive Schichtung dieser Austauschcluster ermöglicht die Anpassung einzelner Teilbereiche, ohne dabei die ganze Struktur zu beeinflussen.

Dauerhaftigkeit Neben der Langlebigkeit durch Nutzungsflexibilität ist die Dauerhaftigkeit der Konstruktionsweise sowie der eingesetzten Materialien entscheidend. Robuste und wartungsarme Konstruktionen, die dem täglichen Verschleiß standhalten, gepaart mit hochwertigen Materialien, gewährleistet eine lange Lebensdauer. Dabei ist auf eine reparaturfreundliche Konstruktionsweise wert zu legen. Der Verschleiß sollte auf möglichst niederwertige, gut austauschbare Teile gelenkt werden (Verschleißlenkung). Die Verwendung von hochwertigen Materialien ist nicht nur für den Recyclingprozess entscheidend, sondern auch für die gesamte Ökobilanz. Werthaltige Stoffe bleiben in der Regel wesentlich länger im Materialkreislauf. Sie werden aufbereitet und gepflegt und sparen dadurch Primärressourcen. Am Ende des Nutzungszyklus ist der Anreiz sie einem qualitätserhaltenden Recyclingprozess zuzuführen schon allein aus Kostengründen wesentlich größer.

5.2.3 Layers of Change – Austauschcluster Motive für die Anpassungsfähigkeit eines Gebäudes gibt es nicht nur auf Ebene der räumlichen Flexibilität, sondern auch im technischen, ökologischen und ökonomischen Bereich. Für jeden Parameter gelten jedoch ganz unterschiedliche Bedingungen für den Zeithorizont des Austauschs. Der schwer kalkulierbare Wandel aus technischen, ökonomischen, ökologischen und gesellschaftspolitischen Anforderungen macht konkrete Aussagen über den Aus-

Ausbau:

5-10

Jahre

Grundriss: 10-15 Jahre Service:

10-20 Jahre

Fassade:

25-30 Jahre

Tragwerk: 50-100 Jahre Grundstück: 200+ Jahre

Abbildung 38: Austauschcluster. nach S. Brant: How buildings learn, 1994


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

5.3 Konstruktionsprinzipien Im Gegensatz zu den übergeordneten Kriterien, die auf großmaßstäblicher Ebene die Recyclingstrategie für das ganze Projekt festlegen, beziehen sich die Konstruktionsprinzipien auf die eigentliche Baukonstruktion und sollen konkrete Hinweise für den Planenden geben. Die Reihenfolge in der Gliederung der Teilaspekte entspricht dem Ablauf im Planungsprozess.

47

Logisches Vorgehen bei der Materialwahl Konstruktionsaufgabe/ Funktion

Materialkomponenten kreislauffähig ?

nein

ja

Substitution durch RC-Baustoffe prüfen

5.3.1 Materialien Monostoffbauteil / Monostoffbaugruppe ?

Bereits bei der Auswahl der Baumaterialien wird der Grundstein für das Funktionieren des späteren Recyclingprozesses gelegt. Dabei ist zunächst die Kreislauffähigkeit jeder eingesetzten Materialkomponente zu gewährleisten.

Kreislauffähige Materialien Unabhängig davon ob ein Bauteil oder eine Baugruppe als Ganzes aufbereitet oder erneut verwendet werden kann, müssen alle Bestandteile am Ende des Nutzungszyklus verwertbar sein. Ist zum Beispiel eine Gestalt erhaltende Wiederverwendung eines Bauteils (Produktrecycling) so ausgelegt, dass dadurch ein späteres stoffliches Recycling erschwert oder gar unmöglich gemacht wird, ist dieser Schritt kontraproduktiv. Um die Recyclingfähigkeit zu gewährleisten müssen alle verwendeten Materialien entweder im biologischen oder im technischen Kreislauf verwertbar sein (siehe auch 2.4 Stoffkreislauf ). Während dies für den biologischen Kreislauf durch die Verwendung von rückstandslos zersetzbaren Materialien, die frei von chemischen Zusätzen und Störstoffen sind, gewährleistet wird, stellt die Eingliederung der Stoffe in den technischen Kreislauf für Planer eine große Herausforderung dar. Das dafür erforderliche fundierte Fachwissen bezüglich der verwendeten Werkstoffe und zur Verfügung stehenden Verwertungsmethoden kann häufig nur unter erheblichen Anstrengungen abgerufen werden oder steht überhaupt nicht zur Verfügung. Das liegt einerseits daran, dass selbst etablierte Recyclingverfahren je nach Verwerter stark variieren und somit nur schwer allgemeingültige oder repräsentative Daten erhoben werden können. Andererseits gibt es für viele, meist neuartige Stoffe, wegen des geringen Materialrücklaufs kein flächendeckendes

ja

Ausführen

nein

Bauteil / Baugruppe Verwertungskompatibel ?

ja

nein

Aufteilung in Bauteile (Verwertungseinheiten) Abbildung 39: Vorgehen Materialwahl

Sammel- und Verwertungssystem, selbst wenn die Bestandteile eigentlich hervorragend rezyklierbar wären. Für ein glaubwürdiges Recyclingkonzept muss der Planer bzw. Konstrukteur aber belastbare Nachweise zur Kreislauffähigkeit der ausgewählten Materialien liefern können. Dafür stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: 1. Zertifizierte Materialien: Auswahl von Stoffen oder Produkten, deren Rezyklierbarkeit durch ein anerkanntes Öko-Label zertifiziert ist. Die wichtigsten Zertifizierungssysteme werden im Weiteren beschrieben. 2. Herstellereigene Rücknahmesysteme: Einige Hersteller bieten an, die von ihnen vertriebenen Baustoffe nach dem Ende der Nutzungsphase zurück zu nehmen, um die Materialien zu rezyklieren und zu neuen Baustoffen zu verarbeiten (Beispiel: Rockwool). Noch einen Schritt weiter geht die Idee des „ProduktLeasing“. Bei diesem Konzept vermietet ein Hersteller sein Produkt für die Nutzung über einen bestimmten Zeitraum an den Verbraucher. Am Ende geht das Produkt dann samt der verbauten Materialien zum Hersteller zurück, der es aufarbeiten oder stofflich verwerten kann [35],[36]. 3. Sollten für die gewünschten Materialien keine zertifizierten Produkte zur Verfügung stehen, bieten diverse Datenbank Informationen zur Recherche an. Gegebenenfalls


48 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Die Verwendung von Baustoffen aus rezyklierten Materialien hat zwar keinen direkten Einfluss auf die Recyclingfreundlichkeit einer Konstruktion, ist aber fester Bestandteil eines funktionierenden Stoffkreislaufes. Nur wenn es gelingt die Akzeptanz von Sekundärbaustoffen zu steigern, so dass Verbraucher und Investoren diese als gleichwertig wahrnehmen, werden sich auch genügend Abnehmer finden lassen, um den Kreislauf zu erhalten. Recycling-Baustoffen haftet generell das Image an „gebraucht“ oder „alt“ zu sein und wer will schon ein „gebrauchtes“ Produkt kaufen, wenn es das „Neue“ nahezu zum selben Preis gibt. Damit sind vermutlich auch die Schwierigkeiten beim Absatz von Gestalt erhaltenden RC- Produkten zu begründen (Produktrecycling). Bessere Chancen auf breite Akzeptanz bietet hier sicherlich das Materialrecycling (Auflösung der Gestalt). Es muss gelingen, Produkte aus rezyklierten Materialien in derselben Qualität wie diejenigen aus Primärrohstoffen herzustellen, so dass der Verbraucher keinen Unterschied mehr erkennt. Dann wird das Argument des „bereits gebrauchten Materials“ obsolet. An dieser Stelle sind natürlich in erster Linie die Hersteller der Produkte gefragt. Die Baustoffindustrie muss es schaffen ihre Palette an hochwertigen Sekundärbaustoffen auszubauen und weiterzuentwickeln. Der Planer hingegen kann durch konsequentes Verwenden von RC-Baustoffen den Markt stärken und bei etablierten Materialien prüfen, ob diese durch Sekundärbaustoffe zu substituieren sind. Bedingung für die Verwendung von RC-Baustoffen ist aber grundsätzlich deren Kreislauffähigkeit. Das ist leider nicht selbstverständlich. Bisweilen ist für viele Hersteller von Recyclingprodukten primär die Verwendung von alten Stoffen wichtig, sei es aus ökonomischen Gründen oder des Marketings wegen. Dabei werden nicht selten eigentlich sortenreine und gut rezyklierbare Materialkomponenten so zusammengefügt, dass ein Verwerten der neuen Materialkombination erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. So wird beispielsweise Kunstholz, also eine Kombination von natürlichen Fasern mit petrochemischer Matrix, als Recyclingprodukt beworben, weil Altholz und Kunst-

Materialvielfalt Die Anzahl der verschiedenen Materialien, die in einem Gebäude verwendet werden, hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Rezyklierbarkeit. Theoretisch ist zwar einzig die Kreislauffähigkeit der verbauten Materialien wichtig, in der Praxis jedoch stellt die große Menge verschiedener Baustoffe Schwierigkeiten dar. Die Anzahl der Fraktionen, die auf der Baustelle getrennt gesammelt werden können, ist durch Faktoren wie Platzmangel, Zeitund Kostenaufwand begrenzt. So führt eine große Materialvielfalt zwingend zu Einschränkungen bei der Sortenreinheit. Folglich muss es Ziel des Konstrukteurs sein die Anzahl der verbauten Materialien so gering wie möglich zu halten. Potentiale liegen einerseits in der Funktionsintegration innerhalb eines Werkstoffs (Integralbauweise). Andererseits ist die Vereinfachung der Baustruktur und die Reduktion von überflüssigen Beschichtungen und Verkleidungen ein häufig eingesetztes Mittel. Werkstoffsysteme

Mehrstoffsystem mit unverträglichen Werkstoffen & nicht lösb. Verbindungen Mehrstoffsystem mit lösbaren Verbindungen Mehrstoffsystem mit verträglichen Werkstoffen Monostoffverbundsystem Monostoffsystem

Abbildung 40: Werkstoffsysteme, in Anlehnung an Brinkmann, Ehrenstein, Steinhilper, 1996

Zunahme der Rezyklierbarkeit

Recycling Baustoffe (RC-Baustoffe)

stoffabfall für die Herstellung eingesetzt wird. Für den neu entstandenen Materialmix ist jedoch keine weitere stoffliche Verwertung möglich. Er kann nur verbrannt werden. Als Auswahlhilfe sind erneut die Materialdatenbanken sowie die Zertifizierungssyteme zu nennen. (siehe Materialdatenbanken & Zertifizierung)

Zunahme der Integration verschiedener Funktionen in einem Bauteil

muss der Planer mit Produzenten und Recyclingunternehmen in Kontakt treten, um Informationen über mögliche Verwertungswege zu erhalten (siehe Datenbanken).


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

49

Abbildung 41: Festigkeit - Graue Energie. Aus Ashby: Materials and Environment, 2009

Materialmasse und Graue Energie Für alle Materialien gilt: je mehr Masse davon verbaut wird, desto mehr Energie ist für die Herstellung dieser Baustoffe nötig. Gleichermaßen steigt das Aufkommen an Abbruchmasse. Folglich muss die Forderung nach einem sparsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen und einer Reduzierung des Abfallaufkommens mit einer Minimierung der Materialmasse einhergehen. Dies gilt zumindest solange, bis der Stoffkreislauf vollständig geschlossen ist und die Herstellungsenergie (Graue Energie) komplett regenerativ erzeugt wird. Auf der Ebene der Materialien mündet diese Forderung in der Optimierung des Verhältnisses aus statischer Leistungsfähigkeit und spezifischem Gewicht bzw. Grauer Energie [69],[52] (Abbildung 41). Leider stößt die einfache Formel: weniger verbaute Masse = kleinerer „ökologischer Rucksack“ in der Praxis schnell an ihre Grenzen. Hochleistungsmaterialien mit geringem Gewicht bei hoher Tragkraft sind in der Herstellung häufig ungleich aufwändiger und bringen letztlich dann auch einen größeren „ökologischen Rucksack“ mit sich [66].

Schadstoffe Die Liste an gesundheits- und umweltbelastenden Schadstoffen in Bauprodukten ist lang und deren Vermeidung

aus diversen Gründen wünschenswert. Aus recyclingtechnischer Sicht ist vor allem von Bedeutung, dass diese Schadstoffe, die häufig in Beschichtungen, Weichmachern und Lacken enthalten sind, durch den Verwertungsprozess in das Rezyklat gelangen und somit nicht nur dessen Qualität mindern (Beispiel: Cadmium bei PVC-Fenstern) [21], sondern durch den Recyclingprozess auch wieder in neue Produkte gelangen und dadurch im Kreislauf verbleiben. Sollte aus bautechnischen Gründen auf einen Schadstoff nicht verzichtet werden können, muss dieser durch eine leicht separierbare Anordnung von der restlichen Konstruktion getrennt werden. Häufig in Gebäuden vorkommende Schadstoffe sind [70]: - Teerhaltige Dachabdichtungen - PCB - haltige Fugen, Dichtungen, Lacke und Kunststoffe - PEP in Holzschutzmitteln - Künstliche Mineralfaserummantelungen (KMF) - Asbest - Ölverseuchte Elemente - Schwermetallhaltige Anstriche und PVC Produkte - Formaldehyd - PAK haltige Kleber, Beläge, Isolierungen


50 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Recyclingkritische Störstoffe Neben den Schadstoffen gibt es Materialien, die zwar nicht direkt toxisch oder gesundheitsgefährdend sind, aber den Recyclingprozess stören. Für diese Störstoffe gelten ebenfalls die oben genannten Regeln einer guten Separierbarkeit von den restlichen Materialien. Welche Stoffe recyclingkritisch sind, ist wiederum für jede Materialkombination individuell zu entscheiden. Hilfreich hierzu sind die Ausführungen unter „Verwertungskompatibilität“.

Materialdatenbanken In zunehmendem Maße findet der Aspekt der Recyclingfähigkeit auch in den bestehenden Materialdatenbanken Erwähnung. Im deutschsprachigen Raum ist vor allem die Wecobis Datenbank empfehlenswert: WECOBIS - Ökologisches Baustoffinformationssystem (Daten: Ökobau.dat) Das Informationsportal ist eine Internetplattform des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, auf der breitgefächert Informationen zum nachhaltigen Bauen zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund des breiten Informationsspektrums will dieses Portal eine nationale Schnittstelle für alle Akteure des nachhaltigen Bauens sein (Bauverwaltungen, Planer, Bauherren, Zertifizierer und andere Interessierte). Für viele Baustoffe werden umfassende Informationen angeboten, wie beispielsweise zur Herstellung, Verarbeitung, Nutzung, Nachnutzung und Entsorgung. (www.wecobis.de; www.nachhaltigesbauen.de), [46]

Deklarierung und Zertifizierung von Baustoffen Durch die Wahl von zertifizierten Baumaterialien ist es möglich Stoffe mit nachweisbaren Verwertungsverfahren einzusetzen. Bei vielen der gängigen Öko-Siegeln wird die Recyclingfreundlichkeit jedoch bis dato nur am Rande erwähnt oder ganz ausgeklammert. Drei Typen von Umweltzeichen können unterschieden werden [71]: Typ I (nach ISO 14024) besteht lediglich aus einem Zeichen mit Logo ohne detaillierte Informationen (Bsp.: „Blaue Engel“). Typ II (nach ISO 14021) ist eine „Umweltbezogene Anbietererklärung“ und wird vom Hersteller selbst herausgegeben. Typ III (nach ISO 14025) ist die ausführlichste Kennzeichnung, welche auch für den Recyclingprozess rele-

vante Daten liefert. Sie beinhaltet eine umfassende Beschreibung des Produkts und auf der Ökobilanz (nach ISO 14040) basierend, werden alle Stoffströme und Umweltauswirkungen von Rohstoffgewinnung bis zur Beseitigung beschrieben. (Beispiele.: EPD, Star-Label)

Umweltproduktdeklaration (Environmental Product Declaration, EPD) Die EPD ist die umfassendste deutsche Produktbeschreibung und wird vom Institut Bauen und Umwelt (IBU) in Königswinter und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und dem Umweltbundesamt koordiniert. Die EPD beschreibt Nachhaltigkeitsaspekte eines Produktes, indem sie qualitative und umweltbezogene Daten auf der Basis festgelegter Parameter bereitstellt. Diese Parameter basieren auf internationalen Normen (ISO 14040, ISO 21930, ISO 14025 u.a.). Neben einer Produktbeschreibung und Angaben zu den Lebenszyklusstadien enthält die EPD Ökobilanzdaten zum Ressourcen- und Energieverbrauch, Informationen zu Abfällen und Recyclingverfahren sowie zu weiteren Umweltauswirkungen wie Luftverschmutzung und CO2-Ausstoß. Den Auftrag zur Erstellung einer EDP erteilt der Hersteller selbst, um somit seinen Kunden ausführliche Informationen über den Umwelteinfluss seiner Produkte zur Verfügung zu stellen. Eine Prüfung der Daten von unabhängigen Dritten ist dabei obligatorisch. Da der Umfang der Untersuchungen vom Auftraggeber mitbestimmt wird, ist der Bereich „Nachnutzung und Entsorgung“ leider häufig nur am Rande behandelt oder ganz ausgespart. Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des Systems ist aber auf eine Vervollständigung der Datensätze zu hoffen. [72]

Abbildung 42: Umwelt Produktdeklaration, www.bau-umwelt.de


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

51

Cradle to Cradle Zertifizierung

5.3.2 Baustruktur

Die Cradle to Cradle Certification (EM) geht meist einher mit der Neuentwicklung bzw. Optimierung eines bestehenden Produkts. Die Beratungsfirma „McDonough Braungart Design Chemistry“ (MBDC) unterstützt die Hersteller bei der Entwicklung und vergibt eine auf ihrem Cradle to Cradle-Konzept basierende Zertifizierung nach vier Stufen (Basic, Silver, Gold und Platinum). Dabei werden fünf Anforderungsgruppen unterschieden, in der jeweils mehrere Kriterien beurteilt werden: 1. Materialtransparenz und gesundheitliche Aspekte 2. Materialwiederverwendung (re-utillization) 3. Energieverbrauch 4. Wasserverbrauch 5. Soziale Verantwortung Produkte, welche die höchste Auszeichnung (Platinum) erreicht haben, müssen zu mindestens 80 Massenprozent rezyklierbar sein. Die Energie für den Herstellungsprozess muss zu 100% aus erneuerbaren Energien stammen, die der Zulieferer zu mindestens 50%, außerdem darf das Produkt keine toxischen oder gesundheitsschädlichen Substanzen enthalten. Alle chemischen Bestandteile größer als 0,01% müssen identifiziert sein [63]. Aktuell sind über 700 Produkte zertifziert. Eine Liste aller zertifizierten Produkte ist unter http://c2c.mbdc.com/c2c/ zu finden.

Jedes Bauwerk besteht aus einem mehr oder weniger strukturierten, hierarchischen Arrangement von Teilen und Elementen. Diese Bestandteile stehen in definierten Beziehungen zueinander. Über den Grad der gegenseitigen Abhängigkeiten entscheiden die Verbindungen, die zwei Elemente zusammenhalten. Diese hierarchische Gliederung zieht sich durch alle Maßstabsebenen eines Gebäudes. Von den Materialien bzw. den verwendeten Baustoffen über daraus zusammengesetzte Bauteile und Baugruppen bis zur Gesamtstruktur des Gebäudekomplexes. Der Recyclingprozess ist davon geprägt, diese Strukturen wieder in möglichst sortenreine Materialkomponenten aufzulösen. Für den Planer ist daher die Kenntnis, bzw. der bewusste Einsatz der strukturellen Zusammenhänge, entscheidend, um die bestmögliche Verwertung für alle eingesetzten Stoffe zu gewährleisten und gleichzeitig eine optimale Ausnutzung der Lebensdauer für jeden Bestandteil zu erreichen. Zunächst lassen sich folgende hierarchischen Ebenen unterscheiden:

Materialebene: Die unterste Ebene beschreibt die eigentlichen Materialien. Hierbei geht es nicht darum jedes einzelne chemische Element, in welches sich ein Baustoff zerlegen lässt, darzustellen, sondern um die Werkstoffebene, in der ein Planer oder Konstrukteur die Materialien einsetzt ohne diese weiter unterteilen zu müssen. Zum Beispiel: Kunststoff, Beton, Glas, Holz, Metalllegierung, usw…

Bauteilebene: (Funktionseinheit) Aus der Kombination von einem oder mehreren Materialien entsteht ein Bauteil. Dieser Zusammenschluss kann bereits eine gewisse Funktion erfüllen. Mit additiven oder subtraktiven Verfahren werden Bauteile häufig auch nur aus einem Werkstoff hergestellt (Monostoffbauteil). Üblich ist auch, dass Hersteller Bauteile als fertige Komponente anbieten. Beispiele: Türgriff, Stahlträger, Isolierglas, usw…

Baugruppen Ebene: (Nutzungseinheit) Aus einem oder mehreren Bauteilen entsteht eine Baugruppe. Im Unterschied zum Bauteil erfüllt diese Ebene


52 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Systematik der Baustruktur

Austauschcluster Fassade

Tragstruktur

Baugruppe

Bauteil

STBStruktur

STBStütze

STBDecke

Fassadenpaneel opak

Fenster transparent

Fundament

Fensterrahmen

Isolierglas

Ausbau nicht tragend

Griff

Dämmung

technischer Ausbau

Leichtbauwand

Rahmen

Verkleidung

AluProfil

GipsKarton

Installationen

Schallschutz

Wasserrohr

Sanität Objekte

elektr. Install.

Badewanne

STB

Material

Stahl

Beton

Holz

Aluminium

Glas

Kunststoff

EPS

Aluminium Stahlblech

Aluminium

Gips

Pappe Mineralwolle

PU-Schaum

Kupfer

PVC

Acryl

Porenbeton

Verwertungseinheit Abbildung 43: Baustruktur

einen konkreten Nutzen. Beispiel: Fenster (incl. Rahmen, Glas, Griff, …), Fußbodenaufbau, Fassadenpaneel, etc..

Austauschcluster: Die höchste Ebene in der Gebäudehierarchie beschreibt das Austauschcluster. Dieses ist aus einer oder mehreren Baugruppen zusammengesetzt und gliedert die Gebäudestruktur in mehrere Bereiche, die sich auf die Gesamtstruktur beziehen. Diese Bereiche spiegeln üblicherweise gemeinsam ausgetauschte Baugruppen wieder und können je nach Gebäudetyp und Entwurf stark variieren. Eine typische Untergliederung, die zum Beispiel im Kriteriensteckbrief Nr. 42 der DGNB [62] verwendet wird, ist:

– technische Gebäudeausrüstung – nicht-konstruktive Bauelemente – nicht tragende Rohbaukonstruktion – tragende Rohbaukonstruktion Eine andere Möglichkeit der Untergliederung ist die in Abbildung 38 dargestellte Version nach S. Brant. In der Praxis verschwimmen die Grenzen zwischen den Ebenen natürlich. Theoretisch kann beispielsweise die Tragstruktur als Monostoffsystem von der Materialebene bis zum Austauschcluster aus denselben Komponenten bestehen.


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Bauweisen Innerhalb der konstruktiven Ebenen, also vom Material bis zur Baugruppe, können die Eigenschaften bezüglich der Montage, Demontage, Recyclingverhalten sowie der statisch-konstruktiven Zusammenhänge auch durch die Bauweise beschrieben werden [73],[52]. Dabei erfolgt eine Unterteilung in Differentialbauweise, Integralbauweise, integrierende Bauweise und Verbundbauweise. Eine generelle Empfehlung einer Bauweise zur Steigerung der Rezyklierbarkeit kann nicht gegeben werden. Es ist aber festzuhalten, dass Verbundbauweisen, mit wenigen Ausnahmen, wie beispielsweise Stahlbeton, nicht empfohlen werden können. Die sortenreine Trennung der Verbundpartner ist üblicherweise nicht möglich, da diese vollflächig und dauerhaft verbunden sind. Andererseits sind Integralbauteile aus einem Material hervorragend rezyklierbar, sofern der verwendete Stoff dies zulässt. Die Differentialbauweise zeichnet sich besonders durch die Mög-

lichkeit, einzelne Bestandteile austauschen zu können, aus. Abbildung 44 stellt die erwähnten Bauweisen schematisch dar. An der grafischen Darstellung der Baustruktur lassen sich Abhängigkeiten rasch erkennen. Eine horizontal ausgedehnte Baustruktur spiegelt eine funktionelle Trennung wieder, eine vertikale Ausdehnung dagegen eine technische Separation.

Bauweisen - Baustruktur und Rezyklierbarkeit

Differentialbauweise

Integralbauweise

BG

M

M

Integrierende Bauweise

BT

BT

M

M

Verbundbauweise

BG

BG

BT

BT

M

BT

BT

BG

BT

BT

M

M

M

BT

M

M

Mehrere Elemente aus verschiedenen Materialien werden durch punktuelle Fügung zu einem Bauteil/Baugruppe verbunden.

Diese Monostoffelemente werden durch Technologien wie Fräsen, Gießen, Extrudieren aus nur einem Material hergestellt. Dabei sind komplexe Bauteile/Baugruppen mit mehreren integrierten Funktionen möglich.

Mehrere Monostoffbauteile werden zu einer quasi-homogenen Baugruppe verbunden. Dabei werden Vorteile der Differential- und Integralbauweise vereint.

Bei der Verbundbauweise werden mehrere Materialien zu einem Stück kombiniert. Der Verbund ist dabei im Gegensatz zur Differentialbauweise flächig und nicht lösbar gestaltet. Materialien entwickeln in der Kombination ein neues Eigenschaftsprofil.

Recycling: ** Punktformige Verbindungen sind vergleichsweise einfach zu lösen, daher ergibt sich eine gute Separierbarkeit der Elemente.

Recycling:*** Da lediglich ein Material verbaut wird ist die Separierung obsolet. Die Recyclingfähigkeit ist also ausschließlich von der Materialwahl abhängig.

Recycling:** Für die Rezyklierbarkeit ist die Art der Verbindung entscheidend. Ist das Verbindungsmittel weder verwertungskompatibel noch lösbar wird das Material verunreinigt.

Recycling: Die Rezyklierbarkeit ist von der Separierbarkeit der Materialkomponenten abhängig. Bis auf einige Ausnahmen (z.Bsp.: Stahlbeton) lassen sich diese nicht gut separieren.

Abbildung 44: Bauweisen

53


54 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Funktionstrennung - Vergleich a) Wärmedämm-Verbund-System

Tragstruktur

Dämmung

Finish

b) Fassaden-Paneel

Tragstruktur

Dämmung

BG

BG

BG

BT

BT

BT

BT

M

M

M

BG

BT

M

M

BT

M

M

M

M

Abbildung 45: Funktionstrennung

M

M

BT

M

M

M

Finish

c) Vorhangfassade Keramik

M

Tragstruktur

Dämmung

BG

Finish

BG

BT

M

BT

M

M


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Funktionstrennung

In traditionell aufgebauten Baustrukturen stehen alle Elemente eines Gebäudes in direktem Bezug zueinander, ohne dabei auf die verschiedenen Funktions- und Lebenszyklen der Bestandteile einzugehen. Sie zeichnen sich durch eine maximale Integration aller Elemente aus. Ändert sich nutzungsbedingt die Funktion eines Bauteils oder ist das Ende der technischen Lebensdauer erreicht, hat der Austausch Einfluss auf die gesamte Struktur. Diese Abhängigkeit kann so weit gehen, dass der Austausch einzelner Teile zum Abriss der gesamten Struktur führt. Die eingangs beschriebene Forderung nach flexiblen Nutzungskonzepten schlägt sich in der Konstruktion vor allem durch eine Trennung der Elemente mit verschiedenen Funktionen nieder. Dabei sind zunächst zwei Maßstabsebenen zu unterscheiden: Einerseits gibt es die Unterteilung in die Austauschcluster. Hier wird im großen Maßstab in die Grundbausteine einer Gebäudestruktur unterteilt. So werden beispielsweise die Tragstruktur, der technische Ausbau und die Fassade separierbar und getrennt voneinander umgesetzt. Andererseits findet eine Funktionstrennung innerhalb der einzelnen Baugruppen statt, aus denen ein Austauschclus-

ter zusammengesetzt ist. Hierbei hat die Trennung den Zweck, einzelne Komponenten nach technischen Problemen unabhängig voneinander instandzusetzen oder austauschen zu können, ohne dabei die ganze Struktur zu beeinflussen. Diese Separierung steht jedoch nicht im Widerspruch zur Integration einzelner Funktionen innerhalb einer Baugruppe, wenn die einzelnen Teilfunktionen denselben Nutzungs- und Austauschzyklus haben. Besondere Herausforderungen ergeben sich bei der Separierung von technischen Installationen. Die extrem kurzen Austauschzyklen machen ein schnelles und einfaches Demontieren bzw. Ersetzen erforderlich. Andererseits wird von vielen Planern und Bauherren eine möglichst unsichtbare Integration in Wände und Decken gewünscht [74].

Modularer Aufbau

Die Gruppierung einzelner Teile zu Modulen scheint zunächst im Widerspruch zur zuvor geforderten Funktionstrennung zu stehen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn sich die Systemgrenzen eines Moduls mit denen eines Austauschclusters oder einer Funktionseinheit überschneiden. Bei modular aufgebauten Konstruktionen werden die ein-

Module - Funktionstrennung und Basisbauteil

Prinzip 1

Prinzip 2

F2: Tragstruktur

F1: Fassade

Die Funktion Fassade (F1) und Tragstruktur (F2) sind direkt miteinander verbunden. Eine gleichzeitige Montage auf der Baustelle ist erforderlich. Beide Funktionen sind direkt voneinander abhängig. Es gibt kein Basisbauteil. Abbildung 46: Module mit Basisbauteil

Prinzip 3

F1 + F2: Fassade & Tragstruktur

Basisbauteil

Die Funktion Tragstruktur (F2) und Fassade (F2) sind in einem Modul zusammengefügt. Da die Tragstruktur aber gleichzeitig Basisbauteil für die Fassade ist, kann kein separater Austausch stattfinden.

55

Prinzip 4

F2: Tragstruktur Basisbauteil

F1: Fassade

Die Funktion Tragstruktur (F2) ist unabhängig von den Modulen der Fassade, die sich auf ihr Basisbauteil beziehen. Die fomschlüssige Geometrie erschwert jedoch die Demontage.

F2: Tragstruktur Basisbauteil

F1: Fassade

Die beiden Funktionen sind wie in Prinzip 3 unabhängig. Durch ein zusätzliches unabhängiges Verbindungselement zwischen Tragstruktur und Basiselement wird eine unabhängige Demontage ermöglicht.


56 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

zelnen Bauteile und Materialien so zu Baugruppen zusammengefasst, dass diese eine unabhängige, funktionale Einheit bilden. Dabei werden die einzelnen Bestandteile sorgfältig aufeinander abgestimmt, damit sich deren Lebenszyklen gegenseitig entsprechen und einen Austausch der Komponente als Ganzes ermöglichen. So haben zum Beispiel die Planer des Beispiels b) in Abbildung 45 entschieden, dass in diesem Fall die Funktionen „Finish“ und „Dämmung“ den gleichen Austauschzyklus haben und daher zu einem Modul vereint werden können. Der Vorteil von modular aufgebauten Konstruktionen liegt in deren schneller Demontage und einfacher Austauschbarkeit. Die einzelnen Baugruppen (Module) sind reversibel miteinander verbunden und erlauben dadurch den Austausch einzelner Module, ohne dadurch die gesamte Struktur zu beeinflussen. Je mehr Bauteile eine Baugruppe vereint, desto weniger reversible Verbindungen sind auf der Baustelle nötig. Der dadurch entstehende Vorteil für den Montageprozess liegt auf der Hand. Da die für die Rezyklierbarkeit entscheidende Demontage aber quasi einer Umkehr der Montage entspricht, fällt der modulare Aufbau besonders ins Gewicht. Analog zu den Möglichkeiten der maschinellen Vorfertigung, die sich dadurch bei der Herstellung ergeben, ist auch an einen maschinellen Rückbau bzw. eine maschinelle Verwertung der einzelnen Module zu denken.

gesequenzen unterschieden werden. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass mit jeder weiteren Funktionsschicht eine neue Abgängigkeitsebene geschaffen wird und nur ein Montageschritt auf den anderen Folgen kann. Die parallele Montage erlaubt dagegen das gleichzeitige Verbauen mehrerer Module / Baugruppen. Die dabei entstehenden Abhängigkeitsmuster entscheiden über die spätere Demontierbarkeit. Offene Abhängigkeiten sind Geschlossenen vorzuziehen, verschachtelte Muster sollten möglichst vermieden werden.

Montagesequenz & Abhängigkeitsmuster parallele sequentielle offen Montage Montage

geschlossen

verschachtelt

Abbildung 47: Montagesequenz

Basisbauteil Eine häufig eingesetzte Methode bei der Erstellung von modulhaften Baugruppen ist die Verwendung eines Basisbauteils mit Trägerfunktion. Die Basis leistet dabei einerseits die Funktion des „tragenden Rahmens“, auf dem die einzelnen Komponenten montiert sind. Andererseits stellt das Basisbauteil die Verbindung zum Nachbarmodul her und erleichtert dadurch den Ein- und Ausbau auf der Baustelle. Abbildung 46 stellt verschiedene Prinzipien der Funktionstrennung, des modularen Aufbaus und der Verwendung von Basisbauteilen gegenüber.

De-/ Montagesequenz & Abhängigkeitsmuster Montage- und Demontageprozess sind in umgekehrter Reihenfolge identisch. Daher ist die bewusste Planung der Montage auch für den späteren Rückbau bzw. die Demontage maßgebend. Grundsätzlich können parallele und sequentielle Monta-

Abbildung 48: Montagesequenzplan einer Bohrmaschine, Robert Bosch GmbH


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

5.3.3 Verbindungstechnik & Demontierbarkeit Durch eine Verbindung treten zwei oder mehrere Komponenten eines Gebäudes in eine definierte Beziehung zueinander. Die Auflösung dieser Fügungen zwischen Bauteilen, Baugruppen und auf Ebene der Materialien ist der maßgebende Schritt innerhalb des Recyclingprozesses. Die Art und Weise wie Elemente miteinander verbunden sind entscheidet über die Praktizierbarkeit der Demontage. Laut einer Studie aus der Automobilindustrie fallen beim Rezyklieren von Kunststoffen 47% der Kosten für die Demontage an. 18% nehmen Sammellogistik und Transport in Anspruch und lediglich 35% entfallen auf den eigentlichen Werkstoffaufbereitungsprozess [75]. Die Zahlen zeigen eindrücklich, welch entscheidenden Einfluss die Demontage in der gesamten Bilanz eines Recyclingprozesses hat. Von der wirtschaftlichen Umsetzbarkeit der Demontage hängt letztlich auch die Wahrscheinlichkeit eines hochwertigen Rezyklierens ab.

Verbindungsarten Verbindungen sind Zusammenschlüsse von zwei oder mehreren widerstandsfähigen Körpern, die eine Trennung der Elemente auch unter Betriebskräften verhindern. Die VDI Richtlinie 2232 über Verbindungen [76] unterscheidet feste und bewegliche Verbindungen, je nachdem ob an der Verbindungsstelle eine Bewegung der Partner stattfindet. Zur Vereinfachung wird eine Beschränkung auf die festen Verbindungen vorgenommen. Diese werden üblicherweise nach den physikalischen Wirkprinzipien in drei

Kategorien unterteilt [77]: Stoffschluss: Bei stoffschlüssigen Verbindungen werden die Verbindungspartner durch molekulare oder atomare Kräfte zusammengehalten. Hierzu gehören Klebe-, Schweiß-, Löt- und Vulkanisierverbindungen. Kraftschluss: Kraftschlüssige Verbindungen setzen eine Normalkraft auf die miteinander zu verbindenden Flächen voraus. Ihre gegenseitige Verschiebung wird durch Haftreibungs- und Druckkräfte verhindert. Der Schluss ist verloren wenn die Haftreibung nachlässt und die Flächen zu rutschen beginnen. Beispielhaft können Nagel-, Magnet-, Klettverschluss- und Schraubverbindungen genannt werden. Letztere jedoch nur, wenn sie aufgrund der Reibung halten. Formschluss: Bei dieser Verbindungsart stehen sich die Verbindungspartner gegenseitig im „Weg“ und halten den Verbund aufgrund ihrer Geometrie. Zu dieser Kategorie gehören alle Schnapp- und Klippverbindungen, durch Stifte oder Nieten verbundenen Elemente sowie Schrauben, Spann- und Drehverschlüsse [78], [79]. Diese Kategorisierung ist jedoch für die Beurteilung der Eignung im Recyclingprozess wenig hilfreich. Hierfür sind zwei Aspekte von Bedeutung. Einerseits die Lösbarkeit einer Verbindung, mit der Unterscheidung in zerstörend und erhaltend. Andererseits die Verwertungskompatibilität des als Verbindungsmittel eingesetzten Stoffes. Abbildung 50 versucht die klassische Gliederung mit den für das Recycling relevanten Aspekten zu überlagern.

Wahl der Verbindung Die Wahl der Verbindungsart ist von vielen Faktoren abhängig. Aus recyclingtechnischer Sicht ist in erster Linie

Verwertungskompatibilität

Lösbarkeit

Anforderungen an Verbindungen nach Detaillierungsgrad

Abbildung 49: Anforderung an Verbindungen

57

Lösbarkeit:

Verwertungskompatibilität:

Austauschcluster

sehr gut lösbar

Verbindungsmittel separierbar

Baugruppe

gut lösbar

Verbindungsmittel separierbar

Bauteil

zerstörend lösbar

separierbar oder voll verwertungskompatibel

Material

trennbar

Verbindungsmittel möglichst aus selbem Material


58 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Bauteilverbindungen - Kategorisierung nach Wirkprinzipien und Lösbarkeit lösbare Verbindung

permanente Verbindung

physikalisches Wirkprinzip Stoffschluss: Die Verbindungspartner werden durch molekulare oder atomare Kräfte zusammengehalten

Kleben Löten Schweißen

Kraftschluss: Die Verbindung entsteht durch Übertragung von Druck- oder Reibungskräften

Warmnietung Nageln Schrauben Klemmverschluss Schnappverschluss Klettverschluss Magnet lose Auflage

Formschluss: Die Verbindung entsteht durch ineinandergreifende Formen

Kaltnietung Schrauben Band mit Schloss Drehverschluss Reisverschluss Druckverschluss Spannverschluss

potentieller Störstoff beim Materialrecycling

Schnappverschluss lose Auflage gering Abbildung 50: Bauteilverbindungen

hoch

Löseaufwand:


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

wichtig, auf welcher Ebene innerhalb der Baustruktur operiert wird bzw. um welchen Detaillierungsgrad es sich handelt. Außerdem ist entscheidend, ob die Fügung bei der Demontage auf der Baustelle oder später in der Demontagefabrik zu lösen ist. Die Anforderungen an die Lösbarkeit steigen, je höher sich die Verbindung innerhalb der Baustruktur befindet. Umgekehrt wird die Verwertungskompatibilität der Verbindungsmittel mit abnehmender Hierarchie maßgebend (siehe Abbildung 49). Grundsätzlich eine reversible Verbindung für alle Komponenten zu fordern wäre nicht nur unrealistisch, sondern auch überflüssig und für einen hochwertigen Recyclingprozess nicht unbedingt erforderlich. Folgende Stufen können unterschieden werden: Verbindung innerhalb einer Verwertungseinheit: Die Stoffe innerhalb einer Verwertungseinheit sind so gewählt, dass sie sich gegenseitig beim Recyclingprozess nicht stören. Das Verbindungsmittel muss so gewählt werden, dass es die Verwertungskompatibilität nicht negativ beeinflusst. Eine reversible Verbindung ist nicht erforderlich. Diese Verbindungsebene wird üblicherweise durch eine Aufbereitungsanlage maschinell gelöst. Sollte eine Verwertungseinheit gleichzeitig aus mehreren Nutzungseinheiten bestehen, die eventuell zu verschiedenen Zeiten ausgetauscht werden müssen, sind diese Verbindungen reversibel auszuführen. Weitere Ausführung zur Verwertungseinheit siehe Kapitel „5.4 Verwertungskompatibilität“. Verbindung auf Bauteilebene: Viele Bauteile sind per se verwertungskompatibel gestaltet. Für sie gelten obige Regeln. Alle anderen Bauteile müssen,

59

möglichst auf der Baustelle, in verwertungskompatible Einheiten zerlegt werden können, auch wenn dabei das Produkt zerstört wird. Ist keine Zerlegung in Verwertungseinheiten möglich, müssen die Materialien trennbar miteinander verbunden sein. Ist eine zerstörende Demontage nötig, sind die Sollbruchstellen so zu gestalten, dass sie eine möglichst sortenreine Aufspaltung der Verbindungspartner herbeiführen. Verbindungen auf Baugruppen- Ebene: Verbindungen zwischen Komponenten auf der Ebene der Baugruppen sind grundsätzlich reversibel zu gestalten. Wann immer möglich ohne dabei die Komponenten zu zerstören. Dies ist wichtig, da auf dieser Ebene üblicherweise der Austausch sowie die Instandsetzung einzelner Komponenten stattfindet.

Demontierbarkeit (DFD) Um eine demontagegerechte Konstruktionsweise zu gewährleisten gibt es außer den Verbindungen selbst auch einige weitere Aspekte, die zu beachten sind. Im englischen Sprachraum hat sich unabhängig von der Rezyklierbarkeit ein wissenschaftliches Sachgebiet etabliert, welches sich ausschließlich mit der Demontierbarkeit beschäftigt. Diese Handlungsstrategien werden als „Design for Disassembly“ (DfD) oder „Design for Deconstruction“ bezeichnet.

Reduktion der Verbindungen: Je mehr Fügungsstellen auf der Baustelle zu lösen sind, desto mehr Arbeitsaufwand ist hierfür erforderlich. Eine Reduktion der absoluten Verbindungsanzahl ist folglich wünschenswert. Fügungstechniken, die es erlauben mit einem Arbeitsschritt mehrere Verbindungen gleichzeitig zu lösen, sind zu begünstigen.

Reduktion der Verbindungstypen: Ist die Vielzahl der verwendeten Fügungstechniken groß oder werden gar Spezialwerkzeuge benötigt ist die Gefahr einer unsachgemäßen Trennung groß. Eine Standardisierung der Verbindungstypen auf möglichst wenige, einheitliche Methoden ist zu bevorzugen. Spezialwerkzeuge sind zu vermeiden, da sie die Gefahr beinhalten zum Zeitpunkt der Demontage nicht kurzfristig Abbildung 51: Arnold Newman. Lustron Prefabricated House, Columbus, Ohio. April 1949.


60 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

zur Verfügung zu stehen. Trockenen Verbindungen sind solchen auf chemischer Basis grundsätzlich vorzuziehen.

Zugänglichkeit: Die Zugänglichkeit und Erkennbarkeit der Fügepunkte muss auch nach vielen Jahren und etwaigen Umbaumaßnahmen noch gewährleistet sein. Reversible Verbindungen wie beispielsweise Schrauben sollten so vor Witterungseinflüssen geschützt sein, dass sie zum Zeitpunkt der Demontage auch noch lösbar sind.

Abbildung 52: Korrosionsschutz bei Schrauben, C.Willmann

Elementgeometrie: Der in Kapitel 4 bereits beschriebene Einfluss der Montagesequenz für die Demontierbarkeit findet im Bereich der Verbindungen in der Ausgestaltung der Elementgeometrie bzw. der Element-Kanten eine Fortsetzung. Geschlossene oder sich durchdringende VerbindungsgeoElementgeometrie im De-/Montageprozess

metrien sind zu vermeiden, da sie das Entfernen einzelner Komponenten erschweren. Auch offene Geometrien bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten. Für die Kategorisierung des Aufwands zur Demontage kann folgende Gliederung der DGNB herangezogen werden [62]: Sehr gering: „Sehr leicht zu demontieren (z.B. geklemmt, lose Auflage, einfache Klick- oder Schraubverbindung)“ Gering: „mit geringem Aufwand zu demontieren (z.B. Absaugung von geschütteten Materialien, Demontieren von abschraubbaren Verschalungen)“ Mittel: „mit mittlerem Aufwand zu demontieren (z.B. Herauslösen von Fußböden, Entfernen von eingegossenen Folienelementen)“ Hoch: „mit hohem Aufwand zu demontieren (z.B. Abschlagen von gut anhaftenden Beschichtungen)“ Sehr hoch: „mit sehr hohem Aufwand zu demontieren“

Automation Die Voraussetzungen einer automatisierten Demontage einzelner Bauteile sollte geschaffen werden. Dafür ist insbesondere ein modularer Aufbau von Vorteil. Welche weitere Eigenschaften die automatisierte Demontage eines Bauteils begünstigen, werden erst die Entwicklungen der nächsten Jahre zeigen. Eine Demontagefabrik zum erforschen der Potentiale steht bereits an der TU Berlin, SFB 281 [97] (Abbildung 54).

offene, lineare Geometrie

überlappend, symmetrisch

überlappend, asymmetrisch

überlappend, einseitig geschlossen, beidseitig eingebaut Abbildung 54: Testanlage Demontagefabrik. TU Berlin, SFB 281 geschlossen, einseitig eingebaut Abbildung 53: Elementgeometrie


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Beispiele neuartiger lösbarer Verbindungen a) Metaklett

b) Sigma-Knoten

c) Hochleistungs-Magnete

Mehrfch lösbare matallische Klettverbindung. Hält eine Zug von bis zu 35t/m². Einfache Lösbarkeit mittles Schälzug. Einfache Herstellung (Stanzverfahren) hohe Belastbarkeit, Hitze und Wetterbeständigkeit. Entwickelt von der Reinz Dichtungs GmbH und der TU-München. (www.metaklett.com)

Einfach lösbare und dennoch biegesteife Stahlverbindung. Eingesetzt am ChristusPavillon von GMP auf der Expo 2000 in Hannover. Quelle: [88]

Hochleistungsmagnete aus NeodymEisen-Bor. In verschiedensten Größen vorhanden. Bei einem Durchmesser von 32mm und einem Gewicht von 37g besteht bereits eine Haftkraft von 27 Kg. (www.supermagnete.de)

d) Lösen durch elektrische Spannung

e) Ziplock

f) Tricam - Verbindung

Verbindung wird mittels Anlegen einer ektrischen Spannung gelöst. Dadurch öffnet sich der Kunststoff-Druckring und gibt den Bolzen frei. (aus Sustainability in Manufacturing [97])

Kraftschlüssige Verbinfung zweier Folien. Dabei ist die Verbindungseinheit aus dem selben Kunststoff wie die Folie und damit voll verwertungskompatibel. (www.ziplock.com)

g) CNC Schwalbenschwanz

h) Rufix Wandverbinder

Stufenlose Profilverbindungstechnik Tricam, z.B. für Fenster oder Fassaden. Das Edelstahl-Spannteil besteht aus einem dreieckigen Schaft mit parallelen Schneidkanten und einem exzentrisch dazu verlaufenden ovalen Kopf. Darauf abgestimmt sind die zu verbindenden Profilquerschnitte. (Contrial GmbH, Wuppertal)

CNC gefräste Schwalbenschwanz Verbindungen, den traditionellen Zimmermannsmethoden nachempfunden, ermöglichen eine hochpräzise Fügung als Vollholzverbindung, und machen dadurch z.B. den Balkenschuh aus Metall überflüssig. (www.hundegger.de)

Eine Serie CNC gefräster Schwalbenschwanz Verbindungen wird am jeweiligen Ende einer Fertigbauwand befestigt. Auf der Baustelle lassen sich die Elemente schnell, flexibel, luftdicht und formschlüssig fügen. (Rüfux: Fritz Rutz, Banzenheid, CH)

Abbildung 55: Beispielhafte Verbindungen

61


62 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

5.3.4 Verwertungskompatibilität

Im vorangegangenen Kapitel wurde die Relevanz der Demontage im Recyclingprozess erwähnt. Je weiter eine Komponente in sortenreine Bestandteile zerlegt werden kann, desto besser können die einzelnen Materialien anschließend stofflich verwertet werden. Dieser Prämisse folgend müsste der Planer versuchen, möglichst alle Bauteile aus Monostoffkomponenten zusammenzufügen und ausschließlich lösbare Verbindungen verwenden. Diese Forderung wäre jedoch nicht nur völlig unrealistisch, sondern auch kontraproduktiv. Bestimmte Stoffkombinationen können nämlich, auch wenn sie nicht sortenrein vorliegen, hervorragend rezykliert werden. Entweder durch

Technologien, die unter Beibehaltung des Stoffgemisches ein Rezyklat erstellen, das anschließend wieder zu Produkten hoher Qualität verarbeitet wird oder mit Hilfe von Trennverfahren, bei denen nach dem Aufbruch der Verbindung die Inhaltsstoffe gereinigt und sortiert werden bis quasi sortenreine Sekundärrohstoffe vorliegen. Um diese Prozesse zu ermöglichen, müssen die Materialkombinationen verwertungskompatibel gewählt sein.

Verwertungseinheit Eine Verwertungseinheit kann aus Materialien einer Stoffklasse bestehen oder ist ein Verbund unterschiedlicher Materialien, deren Zusammensetzung so gestaltet ist, dass eine gemeinsame Verwertung mit einer bestehenden Recyclingmethode und vertretbarem Aufwand möglich ist.

Verträglichkeitsmatrix gängiger Baustoffe Überschuss-

Beton

Stahl

Flachglas

Gips

Holz (unbehandelt)

Kunststoff (Schaum)

Monostoffbauteil

Gut separierbar,

kaum separierbar,

kaum separierbar,

schwer separierbar,

schwer separierbar,

recycling Technolo-

keine Recy-

keine Recy-

Downcyclingtech-

keine Recycling-

gien für Stahl und

clingtechnologie

clingtechnologie

nologien vorhanden

technik vorhanden

Beton vorhanden

vorhanden

vorhanden

Monostoffbauteil

komponente Beton

Stahl

Gut separierbar,

Flachglas

Gips

gut separierbar,

Separierbar,

gut separierbar,

Separierbar, kaum

Recyclingtechnolo-

Glas rezyklierbar

Recyclingtechno-

Recyclingtechnolo-

Recyclingtechnolo-

gien für Stahl und

(nur eingeschr. wie-

logie für Gips und

gien vorhanden

gien vorhaden

Beton vorhanden

der als Flachglas)

Stahl vorhanden

Monostoffbauteil

kaum separierbar,

Schwer separierbar,

Gut separierbar,

separierbar, einge-

Separierbar, kaum

nur Downcycling

Recyclingtechnolo-

schränkt Downcy-

Recyclingtechnolo-

möglich

gien für Stahl und

clingtechnologien

gie vorhaden

Glas vorhanden

vorhanden

Gips ist ein Störstoff

Gut separierbar,

kaum separierbar,

schwer separierbar,

schwer separierbar.

im Betonabbruch,

Recyclingtechnolo-

keine Recy-

Gips stört stoffli-

keine Recy-

nur sehr geringe

gien für Stahl und

clingtechnologie

ches Recycling und

clingtechnologie

Mengen zulässig

Gips vorhanden

vorhanden

Verbrennen

vorhanden

Kleine stark

Gut separierbar,

teilweise separier-

schwer separierbar,

Monostoffbauteil

Separierbar, kaum

verschmutzte Holz-

Recyclingtechnolo-

bar, Holz ist Stör-

eingeschränkte

Recyclingtechnolo-

teile sind mitunter

gien für Stahl und

stoff in Glasproduk-

Technologien

gie vorhaden

schwer trennbar.

Holz vorhanden

tion, Downcycling

vorhanden

Monostoffbauteil

wegen Sulfattreiben

Holz (unbehandelt)

Großformatige

möglich

Holzreste unproblematisch

Kunststoff (Schaum)

Schwer separierbar,

teilweise trennbar,

teilweise sepa-

schwer separierbar,

schwer separierbar,

Monostoffbauteil

bei sehr geringem

Kunststoff verbrennt

rierbar, Kunststoff

keine Technologien

Kunststoff stört

(technisch rezyklier-

Kunststoffanteil

beim Einschmelzen

schmilzt im

zum Recycling

stoffliches Recyc-

bar, kaum realisiert)

Downcycling

Produktionsprozess,

vorhanden

ling, nur Verbren-

möglich

Downcycling mögl.

verträglich, gut rezyklierbar Abbildung 56: Verträglichkeitsmatrix

eingeschrängt verträglich, Downcycling möglich

nen möglich

unverträglich, kein Recycling möglich


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Bauteil, eine Baugruppe, ein ganzes Austauschcluster oder nur um den Zusammenschluss zweier Materialien handelt. Die Verwertungseinheit nimmt keinen direkten Bezug auf hierarchische Ebenen der Baustruktur oder auf die Lösbarkeit, sondern beschreibt ausschließlich, dass diese Materialien am Ende der Nutzungsphase durch nachgewiesene Verwertungsmethoden gemeinsam rezykliert werden können. Dabei finden idealerweise automatisierte Verfahren Anwendung. Die Verwertungseinheit bildet den Grundstein im Verwertungskonzept. Auf diese Größe müssen alle Teile zerlegt werden können. Zur Erläuterung ein weiteres Mal das Beispiel Stahlbeton: Stahl und Beton gehen einen Verbund ein, der auf der Baustelle nicht aufgelöst werden kann. Trotzdem sind diese Materialien gemeinsam rezyklierbar, da die Bestandteile Stahl und Beton mit maschineller Unterstützung aufgebrochen, getrennt und zu sortenreinen Sekundärrohstoffen verarbeitet werden können. Aufgrund der Möglichkeit des maschinellen Aufbereitens kann der Verbundwerkstoff Beton als „Verwertungseinheit“ fungieren, unabhängig davon ob es sich um ein STB-Bauteil, eine Baugruppe oder die ganze Tragstruktur handelt. Um möglichst vollständige Bauteile oder Baugruppen als Verwertungseinheit zu gestalten, ist es für den Planer Formen der Verwertungskompatibilität Material

M1

M1 VE

Monostoffbauteile / Monostoffverbundbauteile - technischer Kreislauf - biologischer Kreislauf

Verwertungseinheit

M1

M2

(z.B.: Stahlbeton, bestimmte Kunststoffe)

VE

?

Verwertungsverträgliche Materialkombinationen

Verwertungseinheit mit Herstellerrücknahme

? H VE

Voraussetzung: nachgewiesenes Recyclingkonzept

Abbildung 57: Stufen der Verwertungskompatibilität

63

wichtig, über die zur Verfügung stehenden Methoden informiert zu sein. Nur so kann er entscheiden, welche Materialien miteinander verbunden werden dürfen und welchen Stoffmix es besser zu vermeiden gilt (hierzu siehe Kapitel 3). Einen Überblick geeigneter bzw. ungeeigneter Materialkombinationen zeigt die Verträglichkeitsmatrix in Abbildung 56. Derart pauschale Aussagen sind jedoch bei der unglaublichen Fülle verschiedener Baustoffe nur bedingt möglich und müssen im konkreten Einzelfall ermittelt werden. Die Tabelle kann aber zur Gewinnung eines methodischen Ansatzes und eines groben Überblicks hilfreich sein.

Formen der Verwertungskompatibilität In Abhängigkeit der Anzahl verwendeter Materialien lassen sich alle Bauteile bzw. Gebäudekomponenten in fünf Werkstoffsysteme einteilen. Diese aus der Konstruktionslehre stammende Gliederung ist in Abbildung 40 dargestellt [80], [81]. Danach nimmt mit Zunahme der verwendeten Werkstoffe die Integration verschiedener Funktionen innerhalb eines Bauteils zu, gleichzeitig aber sinkt die Recyclingfreundlichkeit. Überträgt man diese Einteilung auf das Konzept der Verwertungskompatibilität, sind drei mögliche Stufen von Verwertungseinheiten zu unterscheiden (Abbildung 57).


64 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

1. Monostoffbauteile / Monostoffverbundbauteile Die Verwertungseinheit besteht lediglich aus einem Material. Entweder als monolithisches, mittels subtraktiver Verfahren bearbeitetes Bauteil, oder als Monostoffverbundbauteil. Bei Letzterem ist auf verwertungskompatible Verbindungsmittel zu achten. Der Recyclingprozess findet dann entweder im biologischen oder im technischen Kreislauf statt. Besonders interessant scheint hierbei die Möglichkeit Materialien mit verschiedenen technischen Eigenschaften, aber gleichem Werkstoff, zu kombinieren. Im biologischen Kreislauf können zum Beispiel tragende Vollholzelemente mit dämmenden Holzfaserwerkstoffen kombiniert werden. Sind beide Komponenten unbedenklich biologisch abbaubar, ergeben sie eine Verwertungseinheit (z.B. Holz100, Abbildung 70). Auf der Seite der technischen Werkstoffe können zum Beispiel gradierte Materialverläufe realisiert werden. So sind innerhalb eines Stoffes die statischen, haptischen oder isolierenden Eigenschaften steuerbar ohne durch einen Materialmix die Rezyklierbarkeit einzuschränken. 2. Verwertungsverträgliche Materialkombination Mehrere miteinander verbundene Werkstoffe sind so gewählt, dass deren Kombination der gemeinsamen Verwertung mit einem bestehenden Recyclingverfahren nichts im Wege steht. 3. Herstellerrücknahme Eine dritte, wenn auch ungewöhnlicher Stufe der Verwertungseinheit ist die Herstellerrücknahme. Bietet ein Hersteller an, das von ihm vertriebene Bauteil zurückzunehmen um es anschließend nachweisbar aufzuarbeiten oder stofflich zu verwerten, kann dies als Entsorgungsoption gelten. Dies ist insbesondere bei technisch hoch komplexen Bauteilen, die zwar recycelt werden können, aber keiner der am Bau üblichen Fraktionen zuzuordnen sind, interessant. (Bsp.: Solarmodul, elektrische Installationen- recyclebar nach WEEE [34].

5.3.5 Kennzeichnung 425 4563

Bei der Fülle der am Bau verwendeten Materialien fällt es mitunter schwer den Überblick zu behalten. Demontagebetriebe stehen vor der zunehmend komplexen Aufgabe die anfallenden Baurestmassen in Fraktionen aufzuteilen, die den jeweiligen Verwertungswegen entsprechen. Hinzu kommt, dass manche Werkstoffe optisch nicht eindeutig bestimmt werden können oder deren Zusammensetzung erst nach dem Aufbruch ersichtlich wird. Auf die Wichtigkeit und den Einfluss einer sortenreinen Trennung auf den gesamten Recyclingprozess wurde in den vorangegangenen Kapiteln hingewiesen. Vor diesem Hintergrund müssen Strategien entwickelt werden, die es Demontage- und Verwertungsbetrieben ermöglichen, schnell und unkompliziert die stoffliche Zusammensetzung aller verbauten Teile zu identifizieren und damit eine optimale Recyclingstrategie für die jeweilige Materialkomponente zu gewährleisten. In einigen anderen Branchen, insbesondere der Verpackungsindustrie, sind deshalb seit vielen Jahren entsprechende Gesetze und Richtlinien zur Kennzeichnung vorhanden. Leider konnte keine allgemeingültige Methodik gefunden werden, weshalb unterschiedliche, branchenspezifische Kennzeichnungssysteme nebeneinander existieren.

Bestehende Kennzeichnungssysteme Eine gute Basis bietet das „Werkstoffblatt VDA 260 – Bauteile von Kraftfahrzeugen – Kennzeichnung der Werkstoffe aus dem Automobilbau“ [61], des Verbands der Automobilindustrie. Darin ist die Systematik der Kennzeichnung für die im Automobilbau verwendeten Werkstoffe festgelegt. Das Blatt fasst den Inhalt vieler bestehender DIN-, EN- oder ISO-Normen zusammen, die sich meist nur auf eine Materialgruppe beziehen (Bsp.: ISO 18064 - Thermoplastische Elastomere; CEN/TS - 13388 Kupfer und Kupferlegierungen; …) Die Kennzeichnung besteht aus einer Kombination von mehreren Kurzbezeichnungen und ist die verbindliche Grundlage für die Werkstoffkennzeichnung im deutschen Automobilbau. Einige Beispiele: Kunststoffe: PA6-GF30) Die Abkürzung beschreibt ein Kunststoffprodukt aus Poly-


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

amid 6 (PA) mit Glasfaserverstärkung (GF) und einem Füllstoffanteil von 30 Massenprozent. Kunststoffe müssen bereits ab einer Teilgröße von 100g gekennzeichnet werden. Außer den oben erwähnten Zeichen bestehen Sonderzeichen, zum Beispiel für flammhemmenden Zusatz (PBTFR). Kunststoffverbundbauteile aus mehreren Materialien werden mit Komma getrennt angegeben (PVC,PUR), dabei ist die Hauptkomponente unterstrichen. Weitere häufig auftretende Bezeichnungen: Gusseisen (GJS); Hochlegierter Stahl (X5CrNiMo17-12-2); Verzinktes Bleck (Fe/Ze); Sinterwerkstoff (Sint-C11); Textil aus Baumwolle-Polyester (CO-PET); Kiefernholz (PNSY); etc. Bei üblicherweise nicht im Demontagebetrieb zerlegbaren Bauteilen werden die Hauptbestandteile nacheinander, durch Semikolon getrennt gekennzeichnet, z.B.: Lichtmaschine (AlSi9Cu3Mg; Cu; Fe <TaN24). Für die Verpackungsindustrie gelten dagegen andere Bezeichnungen, wie Abbildung 58 darstellt. Um das bestehende Durcheinander bei den Bezeichnungen nicht weiter zu verstärken, scheint es für die Bauindustrie ratsam, bestehende Systeme soweit als möglich zu übernehmen.

Abbildung 58: Kennzeichnung von Kunststoffen

Inhalt der Kennzeichnung Die Anforderungen an den Inhalt einer Kennzeichnung variieren mit dem jeweiligen Detaillierungsgrad. Grundsätzlich sollten nicht nur Materialien als solche gekennzeichnet sein, sondern auch Bauteile, Baugruppen oder Verwertungseinheiten bzw. alle Komponenten, die als Untereinheit separierbar sind. Sonst besteht die Gefahr, dass zum Beispiel Verwertungseinheiten überflüssigerweise aufgebrochen werden. Folgende Informationen sollten Bestandteil der Kennzeichnung sein: Materialkennzeichnung: - Stoffliche Zusammensetzung, Benennung aller Werkstoffe nach bestehenden Normen

65

(z.B. VDA 260 [61]) - Enthaltene Masse der entsprechenden Materialkomponente - Angestrebter Verwertungsweg bzw. Abfallfraktion - Besonderes Hervorheben schädlicher sowie wertvoller Stoffe Bauteil- / Baugruppenkennzeichnung: - Bauteil-/Gruppenbezeichnung mit Funktion (z.B. mit Seriennummer und Herstellername, Produktcode …). Dies ermöglicht eine schnelle Zuordnung für mögliche Aufarbeitungs- oder Rücknahmeprozesse. - Verwertungsweg (Herstellerrücknahme, Aufarbeitung Demontage, Verwertungseinheit) - Demontageinformation (für den Recycler muss ersichtlich sein, ob es sich bereits um eine Verwertungseinheit handelt, bzw. wie es das Bauteil / Baugruppe in Verwertungseinheiten aufbricht) - Materielle Zusammensetzung mit Massen der einzelnen Werkstoffe

Datenträger Um die jeweiligen Informationen dauerhaft auf der Materialkomponente zu verankern, sind verschiedene „Datenträger “ denkbar. Dabei ist neben der dauerhaften Lesbarkeit, die auch nach jahrelanger Beanspruchung noch gewährleistet sein muss, die Verwertungskompatibilität des Datenträgers zu beachten. Für Kennzeichnungen auf der Ebene der Materialien selbst sind besonders Präge-, Gravur-, Fräs- oder Stanzverfahren geeignet, da sie keine zusätzlichen Materialien in die Komponente eintragen, und die Informationsfülle typischerweise gering ist. Bei gegossenen Produkten kann die

Abbildung 59: radio-frequency identification (RFID)


66 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Information bereits im Produktionsprozess eingebracht werden. Für Bauteile höherer Ordnung, bei denen die Informationsfülle zunimmt, erscheinen Datenträger mit digitalen Ausleseverfahren interessant. Denkbar wären einerseits optische Methoden wie zum Beispiel Barcodes oder aber Techniken, welche die Daten magnetisch bzw. per Funk übertragen, beispielsweise RFID’s (radio-frequency identificatio). In Verbindung mit einer Datenbank könnten dabei sehr ausführliche Informationen von der Demontageanleitung bis zum Verwertungskonzept bereitgestellt werden. Forscher der Princeton University haben gemeinsam mit Motorola ein derartiges System entwickelt, das bestehende Barcodes auf Mobiltelefonen mit einer internetbasierten Datenbank kombiniert. Dort werden Demontagepläne und andere relevante Informationen für den Recycler bereitgestellt [82], (Abbildung 61). In der Automobilindustrie ist ein ähnliches, webbasiertes Informationssystem bereits in Betrieb. Die IDIS2 Datenbank (International Dismantling Information Systemwww. idis2.com) stellt detaillierte Informationen von über 700 Modellen verschiedener Hersteller bereit und ermöglicht es dadurch Verwertungsbetrieben einen optimierten Recyclingprozess durchzuführen. (Abbildung 62)

Dauerhaftigkeit und Zugänglichkeit der Kennzeichnung Unabhängig von etwaigen Instandsetzungs-, Aufbereitungs- oder Demontagearbeiten muss die Kennzeichnung stets gut lesbar bleiben. Die Zugänglichkeit sollte so gestaltet sein, dass die Informationen immer abgerufen werden können, ohne zuvor Teile demontieren zu müssen.

Abbildung 60: Dauerhaft lesbare, erhabene Kennzeichnung

Abbildung 61: Identifacitionssystem für Mobiltelefone. Saar, Stutz, 2004

Abbildung 62: International Dismantling Information System der Automobilindustrie, (www.idis3.com)


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

5.3.6 Dokumentation

DOKU

Der hochwertige Recyclingprozess einer Gebäudestruktur wird erst möglicht, wenn neben allen baukonstruktiven Voraussetzungen auch verwertungsrelevante Informationen zur Verfügung gestellt werden. Das beste Verwertungskonzept ist nutzlos, wenn es dem Recycler zum Zeitpunkt des Rückbaus oder Abbruchs nicht zur Verfügung steht. Alle an Umbau- oder Rückbaumaßnahmen Beteiligten müssen sämtliche recyclingrelevanten Projektinformationen schnell, gebündelt, unkompliziert und möglichst in standardisierter Form abrufen können. Nur wenn die Zusammensetzung der Material- und Demontagestruktur sowie die zu erwartenden Massen verschiedener Werkstoffe bekannt sind, kann eine optimale Recyclingrate erreicht werden. Gleiches gilt für den Informationsfluss bezüglich vorgesehener Nachnutzungskonzepte und aufarbeitungswürdiger Bestandteile. Erfahrungen aus anderen Branchen haben gezeigt, dass die Bündelung aller relevanten Daten in einem „Recyclingpass“ eine vielversprechende Methode darstellt.

Recyclingpass als Teil der Hausakte In den vergangenen Jahren wurden bereits von mehreren Institutionen und Verbänden Vorschläge erarbeitet, die darauf abzielen, nachhaltigkeitsrelevante Projektinformationen in einem Dokument zu vereinen. Dadurch sollen diese Daten allen am Bau und an der Nutzung Beteiligten

67

zur Verfügung gestellt werden und als Basis für ökologische und ökonomische Optimierungen dienen. Beispielhaft sei die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung erarbeitete „Hausakte“, sowie der „Bauwerkspass“ der Bundesingenieurkammer, genannt. Die 2001 entwickelte haptische Hausakte wurde 2005 um eine digitale Version erweitert. Leider sehen diese Konzepte bis dato keine Integration verwertungsrelevanter Informationen vor. Eine aussagekräftige Hausakte müsste jedoch aus Sicht des Autors um diesen Teilbereich ergänzt werden. Die Hausakte wäre ein idealer Platz, um alle Daten zum Recycling zu bündeln, da es sich um ein bereits etabliertes, standardisiertes und allen Beteiligten zugängliches System handelt.

Inhalt des Recyclingpass Mit den Daten aus dem Recyclingpass soll Demontage-, Behandlungs-, Recycling- und Verwertungsbetrieben die Arbeit erleichtert werden. Das Dokument enthält alle Endof-Life relevanten Informationen und stellt diese übersichtlich und anwenderfreundlich zusammen. Folgende Inhalte sollten teil des Passes sein: - Ausführliches Nachnutzungskonzept - Darstellung der Baustruktur - Demontageplan & Demontagestrukturplan - Hervorheben wiederverwendbarer oder aufarbeitungswürdiger Teile - Hervorheben von Schad- und Störstoffe - Verbindungstypen und erforderliches Werkzeug - Angaben zum Vorkommen und zum Gewicht relevanter Baustoffe - Verwertungsstrategien der gebrauchten Materialien - Recyclingpotential - Nachweis der Verwertungsverfahren - Kostenüberschlag des Recyclingprozess

Demontageplan

Abbildung 63: Hausakte, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen

Der zentrale Baustein innerhalb des Recyclingpasses ist der Demontageplan. Dieser fungiert als schnelle Übersicht und Demontagehilfe. Idealerweise werden in einer perspektivischen Darstellung die aufeinanderfolgenden Schritte der Demontage erläutert. Auf Besonderheiten wie Gefahrenstoffe oder erforderliches Spezialwerkzeug kann durch farbliche Akzente hingewiesen werden. Ein Demontagestrukturplan sollte zusätzlich zum Demontageplan bei besonders kompliziert zu zerlegenden Teilen


68 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

detaillierte Informationen und grafische Darstellungen zu den einzelnen Demontageschritten liefern (Abbildung 64 und 65).

Material- /Stückliste Eine tabellarische Auflistung fasst Menge, Art und Verwertungsweg der verbauten Materialien und Bauteile zusammen. Diese Liste ist unterstützend zum Demontageplan eine Grundlage zur schnellen Ermittlung zu erwartender Werkstoffmengen.

Nachweise Sämtliche Verwertungsmethoden, die im Nachnutzungskonzept vorgeschlagen und für die Berechung der Recyclingrate zugrunde gelegt werden, müssen sich auf bestehende und nachweisbare Technologien stützen. Nur so kann sichergestellt werden, dass am Ende auch wirklich eine hochwertige Kreislaufführung stattfindet. Für alle angestrebten Verwertungsverfahren, die nicht zu den bereits Anwendung findenden Methoden gehören, sollten entsprechende Verwertungsbetriebe als potentielle Recycler angegeben werden. Ein Nachweis über deren Bereitschaft, die anfallende Materialkomponente zu verwerten, sollte Teil des Recyclingpasses sein.

dige Aktualisierung erfolgt. Umbaumaßnahmen und Instandsetzungen müssen gleichermaßen vermerkt werden, ebenso wie ein partieller Rückbau oder eine Erweiterung. Nur wenn die Dokumentation immer auf dem aktuellen Stand ist kann sie der Verwerter als verlässliche Grundlage heranziehen.

Kostenermittlung Sind alle Daten für die Dokumentation bzw. den Recyclingpass zusammengestellt, wird abschließend eine grobe Kostenschätzung der zu erwartenden Aufwendungen für den Verwertungsprozess erarbeitet. Diese Rechnung ist so zu gestalten, dass die einzelnen Positionen variabel angepasst werden können und somit schnell ein aktualisierter Wert ermittelt werden kann.

Kontinuierliche Anpassung Die beste Dokumentation ist nutzlos, wenn keine stänDemontageplan und Baustruktur einer Fassade

3

4 5

6

7

8 3

9 12 10 1 2

4

5

6

7

11

8

9

10

Facade Baugruppe component Fassade

2

1

11

Basisbauteil

Abbildung 64: Demontageplan Fassade, E. Durmisevic in A.R. Chini [107], 2003

Abbildung 65: Recyclingpass mit Tabellarischer Auflistung, Agfa Gevaert


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

69


70 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Übersicht - Recyclingleitfaden Bau

Übergeordnete Strategien

Einordnung in das Nachhaltigkeitskonzept Das Recyclingkonzept muss als Teil einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsstrategie betrachtet werden. Eine Ausgewogenheit zwischen den einzelnen Teilaspekten ist entscheidend. Die einseitige Betrachtung der Recycling Soziale Rezyklierbarkeit schafft Defizite Qualität an anderer Stelle. Methoden: Ökobilanz (LCA) EnergieÖkologie

Effizienz

Ökonomie

Langlebigkeit Die Nutzungsanforderungen an ein Gebäude verändern sich ständig. Aus ökologischer, ökonomischer und recyclingtechnischer Sicht ist aber eine Maximierung der Lebensdauer wünschenswert. Durch Nutzungsflexibilität in der räumlichen Gestaltung und eine Anpassungsfähigkeit in der technischen Umsetzung lassen sich diese Veränderungsprozesse von Anfang an einplanen.

Layers of ChangeAustauschcluster Die Austauschzyklen der einzelnen Bestandteile eines Gebäudes variieren stark. Während die Tragstruktur im besten Falle 100 Jahre und länger hält, sind technische Installationen bereits nach wenigen Jahren überholt. Durch eine den Austauschzyklen entsprechende Schichtung der Bauteile kann verhindert werden, dass durch den Austausch einer Komponente die ganze Struktur beeinflusst wird.

Ausbau Grundriss Service Fassade Tragwerk Grundstück


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Konstruktionsprinzipien

1. Materialien

4. Verwertungskompatibilität

Die Wahl von kreislauffähigen Materialien ist der Grundstein jedes Recyclingkonzepts. Dafür ist die Kenntnis bestehender Verwertungsmethoden erforderlich. Zertifizierte Produkte können die Wahl rezyklierbarer Materialien erleichtern. Eine Reduktion der Materialvielfalt erhöht die Produkt Nutzung Wahrscheinlichkeit einer sortenreinen Trennung. Primärrohstoff

SekundärRohstoff

Rohstoff h wächst nac

itung

Aufar be

Produktrecycling

g

ng

Rücknahme, Demontage

Verw ertu

Abbruch / Rückbau

he Zerse tzun biologisc

Produktrecycling

tische energe

Baustoff

Nicht jedes Bauteil muss auf der Baustelle in alle stofflichen Bestandteile zerlegt werden können. Durch die Kombination von verwertungsverträglichen Materialien zu Verwertungseinheiten kann der Recyclingprozess teilweise automatisiert und die Recyclingquote erhöht werden.

Rücknahme, Demontage

2. Baustruktur

5. Kennzeichnung 425 4563

Die Baustruktur regelt das Verhältnis der Bauteile innerhalb eines Gebäudes zueinander und prägt dadurch den Demontageprozess. Eine bewusste Wahl der Bauweise, je nach angestrebtem Verwertungsweg ist erforderlich. Außerdem: - Funktionstrennung ermöglicht separaten Austausch - Modularer Aufbau - Austauschcluster

3. Verbindungstechnik & Demontierbarkeit Eine reversible Verbindungstechnik schafft die Voraussetzung um Einzelteile demontieren und Mehrstoffbauteile in die materiellen Bestandteile zerlegen zu können. Einfach lösbare Spann-, Klemm-, Klickund Schraubverbindungen sind geklebten Verbindungen vorzuziehen.

Um den bestmöglichen Recyclingweg einschlagen zu können, muss der Recycler die jeweiligen Materialien identifizieren können. Dies ist häufig rein optisch nicht möglich. Daher sollten alle Materialien, Bauteile und Baugruppen als solche gekennzeichnet sein. Inhalt: - stoffliche Zusammensetzung - Masse - angestrebtes Verwertungsverfahren

6. Dokumentation DOKU In der abschließenden Dokumentation werden alle für den Nachnutzungsprozess relevanten Daten in einem Dokument gesammelt. Folgende Informationen sollten enthalten sein: - ausführliches Nachnutzungskonzept - Demontageplan - Materielle Zusammensetzung (Massen) - Verwertbarkeitsnachweise

71


72 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

6 Gebaute Beispiele

Zum Abschluss sollen die in den vorangegangenen Kapiteln erarbeiteten Prinzipien durch einige Beispiele recyclinggerechter Bauten ergänzt werden. Die Architekten dieser Gebäude haben mit ganz unterschiedlichen Methoden versucht Wege zu finden, den Stoffkreislauf im Bauwesen zu schließen. Dabei haben sie eindrücklich bewiesen, dass es trotz aller zusätzlichen Anforderungen durch das Recycling möglich ist hochwertige Architektur zu schaffen. Die Herangehensweisen der vorgestellten Projekte können in drei Gruppen untergliedert werden: Die ersten drei Projekte legen den Schwerpunkt auf die Demontierbarkeit der Gebäudestruktur. Modularer Aufbau und reversible Verbindungstechnik sind hier die wesentlichen Themen. Dabei kann eine Dominanz der hervorragend rezyklierbaren Stoffgruppen Stahl, Aluminium und Glas beobachtet werden. Die nächsten drei Beispiele setzen ganz auf die Reduktion der Materialvielfalt und die damit verbundene Vereinfachung der sortenreinen Trennung. Die Gebäude werden als Vollholz- oder Dämmbetonstrukturen zu vollständig rezyklierbaren Monostoffprodukten. Das letzte Beispiel zeichnet sich durch die konsequente Wiederverwendung von Materialien des Vorgängerbaus aus und beweist dabei, dass Recycling-Baustoffe denen aus Primärressourcen keineswegs in Qualität und Ästhetik nachstehen müssen.

73


74 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Cellophane House Museum of Modern Art, NY, 2008 Kieran Timberlake Architects Philadelphia, USA www.kierantimberlake.com Der fünfgeschossige Versuchsbau wurde für die Ausstellung „Home Delivery: Fabricating the Modern Dwelling“ am Museum of Modern Art errichtet. Das Wohngebäude basiert auf einem flexibel gestalteten Modulsystem. Die Tragstruktur bildet ein Aluminiumrahmen aus Bosch- Profilen, sämtliche Zwischenwände können variabel eingeclipst werden. Die Fassaden sind aus Membranen und Glas hergestellt. Die Konstruktion wurde komplett vorfabriziert und innerhalb kürzester Zeit aufgebaut. Alle Verbindungen sind reversibel gestaltet, wenn möglich wurde auf Schraubverbindungen zugunsten von Steck- und Clipsverbindungen verzichtet. Am Ende der Nutzungsphase können 82% der gesamten Masse recycelt werden. Dabei beschränken sich die Baurestmassen auf Materialien mit etablierten Verwertungsverfahren wie: Aluminium, Kunststoff und Glas.

Abbildungen 66: Cellophane House. Foto oben: Peter Aaron/Esto; Zeichnung: Kierantimberlake, unten: Detail Green 01/09


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

75

XX-Project Bürogebäude, Delft, NL, 1999 Architekt: Jouke Post Archirekten, NL www.xxarchitecten.nl

Das XX-Project Gebäude wurde von Beginn an für eine Nutzungsphase von lediglich 20 Jahren konzipiert. Alle konstruktiven Details sind auf diese ungewöhnlich kurze Lebensdauer und den abschließenden Recyclingprozess abgestimmt. Nach Angaben der Planer sollen 100% der Gebäudemasse am Ende verwertet oder wiederverwendet werden können. Ein besonderer Schwerpunkt wurde auf die Demontierbarkeit der Gebäudestruktur gelegt: Das Betonfundament, welches zum Teil aus rezyklierter Gesteinskörnung besteht, wurde durch Folien vom Untergrund und der Dämmung separiert, um eine gegenseitige Kontamination der Materialien zu verhindern und eine sortenreine Trennung zu ermöglichen. Beim Entwurf der Tragstruktur ergab ein ökobilanzieller Vergleich, dass ein Holztragwerk aufgrund der kurzen Nutzungsphase einer Tragstruktur aus Stahl, Aluminium oder Beton überlegen ist. Das zweigeschossige Gebäude basiert auf einem Raster von 6x5 Metern, mit Holzstützen von 30x30 cm im Untergeschoss und 20x20 cm im Obergeschoss. Die Decken bestehen aus Holz-Sandwich-Platten, die der Akustik wegen mit einer losen Sandschüttung versehen sind.

Das Gebäude ist vollflächig verglast. Die 3-Scheiben Isolierverglasung wird von einem Holzrahmen gefasst, der unabhängig vom Tragwerk demontiert werden kann. Alle Installationen sind offen bzw. in einfach zugänglichen Kabelschächten geführt, für die Lüftungstechnik wurden wann immer möglich Schächte aus Pappröhren statt der üblicherweise verwendeten Metallschächte eingesetzt.

Abbildungen 67: xx-Project, Jouke Post Architecten, NL


76 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

R 128 Wohngebäude Stuttgart, 2000 Architekt: Werner Sobek www.wernersobek.com Eines der prominentesten Beispiele recyclinggerechten Konstruierens ist das Wohnhaus R128 in Stuttgart. Das viergeschossige, allseitig verglaste Gebäude ist modular aufgebaut. Das mit einfach demontierbaren Schraubverbindungen gefügte Stahlskelett basiert auf einem Raster von 3,85 x 2,90 m bei einer Geschosshöhe von 2,80 m. Der Raumabschluss wird durch eine hoch transparente Dreifachverglasung mit einem U-Wert von 0,44 W/m²K hergestellt. Alle Installationen sind leicht zugänglich in der Deckenkonstruktion bzw. in sich über alle Geschosse erstreckenden Röhren geführt. Durch das hohe Maß präziser Vorfertigung und den leicht lösbaren Verbindungselementen konnte nicht nur eine effiziente Montage ermöglicht werden, es wird auch die Voraussetzung für eine schnelle Demontage und abschließendes Rezyklieren aller Bestandteile geschaffen.

W. Sobek/H. Trumpf/F. Heinlein · Recyclinggerechtes Konstruieren im Stahlbau

Bild 2. Isometrie des Stahlskeletts von R128 Fig. 2. Isometric view of the steel skeleton of R128

Bild 4. Iso knotens vo Fig. 4. Isom

gerechtes Konstruieren im Stahlbau

skeletts von R128 e steel skeleton of R128 Bild 4. Isometrische Darstellung eines Konstruktionsknotens von R128 Fig. 4. Isometric view of a construction node of R128

Abbildungen 68: R128, Fotos: Roland Halbe, Zeichnungen: Werner Sobek Ingenieure


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Monolitisch - Holz100 Holzmassivbausystem Thoma Holzbau GmbH Goldegg, Österreich www.thoma.at Das patentierte Bausystem „Holz100“ der Thoma Holzbau GmbH basiert auf der Idee, möglichst alle Bauteile eines Gebäudes aus reinem, unbehandeltem Holz bzw. Holzwerkstoffen herzustellen. Dach, Wände und Decken werden aus einem einzigen Material gebaut. Dabei werden die massiven Holzelemente metall- und leimfrei mit Dübeln verbunden. Auf chemische Beschichtungen wird weitestgehend verzichtet, die verwendeten Anstriche sind biologisch abbaubar. Das System bietet eine gute Wärmedämmung, Hitzeschutz, Brandsicherheit und Strahlenschutz und aufrund der Materialhomogenität kann das Entstehen von Kondensat minimiert werden. Bei der Konstruktion werden stehende und liegende Pfosten vollmassiv, ohne Zwischenräume, zu kompakten Bauelementen geschichtet. Getrocknete Holzdübel durchdringen diese Schichten über die ganze Elementdicke. Im Bauteil nehmen diese Dübel dann die Feuchte der Umgebung an und quellen dabei auf, wodurch alle Schichten des Elements fest miteinander verbunden werden. Durch diese Bauweise kann das Gebäude bis auf wenige Ausnahmen wie Fenster und Dachhaut aus einer einzigen Baustoffgruppe hergestellt werden. Dabei spielen die unterschiedlichen Konsistenzen des verarbeiteten Holzes keine Rolle, da sie alle biologisch abbaubar sind.

Abbildung 69: Wohngebäude, Oskar Leo Kaufmann Architekten

Die Holz100 Produkte sind Cradle-to-Cradle zertifiziert.

Abbildungen 70: Holz 100, Thoma Holzbau GmbH

77


78 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Haus Gartmann - Dämmbeton Wohngebäude Chur, CH, 2002 Architekt: Patrik Gartmann www.cbg-ing.ch Das Einfamilienhaus am Fuße der Schweizer Alpen ist als vollständig monolithisches Gebäude errichtet. Wände, Decken und das Dach sind aus demselben Werkstoff: Dämmbeton. Die 45cm starken Außenwände erreichen einen u-Wert von 0.53 W/m²K bei ca. 1050 Kg/m³. Das 65cm starke Dach erreicht bereits 0,4 W/m²K. Für die Herstellung des Dämmbetons wurde Blähtonperlen und Recyclingglas-Granulat als Zuschlag verwendet. Bei allen Fragen, die der, vergleichen mit konventioneller Bauweise, relativ geringe Wärmeschutz sowie die große Bauteiltiefe mit sich bringen, ist die monolithische Konstruktionsweise für die Rezyklierbarkeit hervorragend. Leider gibt es noch wenige Studien zum konkreten Recyclingverhalten von Leichtbeton, aufgrund der zu erwartenden sehr hohen Sortenreinheit scheinen jedoch hochwertige Anwendungen denkbar.

Abbildungen 71: Haus Gartmann, Fotos: Gartmann


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

79

Haus Schlaich - Dämmbeton Wohngebäude Prenzlauer Berg, Berlin, 2007 Architekt: Clemens Bonnen www.bonnen-architekt.com Das dreigeschossige Wohnhaus ist auf einer wasserdichten „Weißen Wanne“ gegründet. Sämtliche Innenwände sowie die Geschossdecken sind in herkömmlichem Stahlbeton ausgeführt. Für die Fassade wurde ein 50 cm starker Dämmbeton verwendet. Dieser, an der TU-Berlin unter Leitung des Bauherren speziell für dieses Projekt entwickelte Ultraleichtbeton, zeichnet sich durch eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit von nur 0,181 W/mK bei einer Rohdichte von 800 kg/m³ und einer Würfeldruckfestigkeit von 7.0 N/mm² aus. Für die 50 cm starken Außenwände konnte ein U-Wert von 0,341 erreicht werden. Um die Wärmeleitfähigkeit nicht zu erhöhen, wurde in den Außenwänden auf Bewährungsstahl verzichtet und lediglich eine Rissbewährung aus Glasfasergewebe eingebracht. Auch bei diesem Projekt liegt die besondere Qualität der Rezyklierbarkeit in der radikalen Reduktion der Materialvielfalt.

Abbildungen 72: Haus Schlaich, Fotos: L. Artmann. unten: TU-Berlin


80 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Portola Valley Town Centre Verwaltungs- und Versammlungsgebäude, Kalifornien, USA, 2008 Architekten: Siegel & Strain Architects www.siegelstrain.com Das neue Ortschaftszentrum von Portola, nahe dem Silicon Valley in Kalifornien gelegen, ist eines der nachhaltigsten Gebäude der USA. Der Ersatzneubau erhielt 2009 die höchste Auszeichnung des US Green Building Councils, LEED Platinum. Aus recyclingtechnischer Sicht zeichnet sich der Bau vor allem durch den großen Anteil wiederverwendeter Materialien aus. Nahezu 90% der Masse des Vorgängerbaus konnte in verschiedensten Formen rezykliert werden, ein Großteil der gewonnenen Sekundärressourcen wurden im Neubau eingesetzt. Sämtliche Träger und Verkleidungen bestehen aus aufbereitetem Altholz. Ebenso sind die Außenfassaden aus kleinteiligen Brettern des Vorgängerbaus gestaltet. Des Weiteren bestehen die Betonfundamente zu 70% aus Schlackenbeton. Die Wahl von demontierbaren Verbindungen und der hohe Anteil biologisch abbaubarer Materialien begünstigt die Recyclingfähigkeit des Neubaus selbst.

Abbildungen 73: Portola Valley, Fotos: Cesar Rubio und Siegel & Strain, 2009


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

81


82 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Abbildung 74: recycle Poster, Foto: flickr.com


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

83

7 Zusammenfassung & Ausblick

Aufgrund der spärlich vorhandenen Literatur war es zunächst primäres Ziel der Arbeit eine allgemeine Informationsgrundlage recyclingrelevanter Themen für Architekten und Planer zu erarbeiten. Mit der Darlegung und faktischen Untermauerung der wichtigsten Gründe für die Einführung der Kreislaufwirtschaft in das Bauwesen wurde eine Argumentationsgrundlage geschaffen. Im nächsten Schritt konnte durch eine Analyse bestehender Recyclingtechniken der Status quo der Branche ermittelt werden und anhand von Beispielen dargestellt werden, wo es neue Entwicklungen und Potentiale gibt. Ansätze für eine neue Bewertungsmethodik, welche die Qualität des Rezyklats in die Beurteilung einbezieht, wurden aufgezeigt. Im Hauptteil, dem Kapitel „Recyclingleitfaden Bau“ werden klar strukturierte Handlungsempfehlungen für den Planenden aufgezeigt. Dieser Leitfaden kann als Grundlage für eine konkrete, konstruktive Umsetzung recyclinggerechter Konstruktionen dienen. Die Notwendigkeit einer radikalen Kehrtwende hin zu einer abfallfreien Kreislaufwirtschaft ist im Bauwesen noch nicht allgemein anerkannt. Unter diesen Voraussetzungen dürfte es schwer sein derartige Forderungen vor Investo-

ren und Bauherren durchzusetzen. Aufgrund der langen Lebenszyklen von Gebäuden ist der volkswirtschaftliche und ökologische Nutzen recyclinggerechter Bauweisen erst nach vielen Jahren erkennbar. Erfahrungen aus anderen Branchen haben gezeigt, dass nur durch regulatorische Maßnahmen des Gesetzgebers nennenswerte Verbesserungen erzielt werden können. Eine Ausweitung der Produktverantwortung sowie eine steuerliche Bevorzugung rezyklierbarer Materialien wären denkbar. Eine weitere Stellschraube könnte die Anhebung der Deponiegebühren sein. Die in der Vergangenheit langsam, aber kontinuierlich fortschreitende Verschärfung der Abfallgesetze, insbesondere von Seiten der Europäischen Union, lässt hoffen, dass zukünftig auch das Bauschaffen seiner Verantwortung als größter Ressourcenverbraucher und Abfallproduzent gerecht wird und an der Umsetzung eines geschlossenen Kreislaufs zu arbeiten beginnt.


84 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Dank

Für die großzügige und vielfältige Unterstützung gilt mein besonderer Dank: Herrn Professor Sobek und meinen Betreuern Pascal Heinz, Michael Hermann und Thorsten Klaus vom Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren, Henrike Frühauf, Leonie Brenner und Sebastian Boger sowie allen Experten und Fachleuten für die ausführlichen Informationen und zahlreichen Anregungen.

85


86 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

8 Literatur- , Abkürzungs- und Abbildungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis:



 

    

      

                  

                          

      

87


88 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

Abbildungsverzeichnis: Seite Abbildung 1:

Unkontrollierter Rückbau

8

Abbildung 2:

Ressourcenverbrauch weltweit

9

Abbildung 3:

Ressourcenverbrauch USA

10

Abbildung 4:

Materialverbrauch EU

10

Abbildung 5:

Rohstoffreichweite

11

Abbildung 6:

Zusammensetzung anthropogenes Lager

11

Abbildung 7:

Anthropogenes Lager und Abfallaufkommen der Zukunft

11

Abbildung 8:

Abfallaufkommen in Deutschland

12

Abbildung 9:

Abfallaufkommen im deutschen Bausektor

12

Abbildung 10:

Recyclingmodell

15

Abbildung 11:

Heutiges Verständnis von Recycling- Architektur

16

Abbildung 12:

Stoffflussschema

17

Abbildung 13:

Baustoffinput Wohnungsbau Bayern

18

Abbildung 14:

Baumaterialien nach Gebäudetypen

18

Abbildung 15:

Bauschuttzusammensetzung Wohngebäude RP

19

Abbildung 16:

VW-Golf in Einzelteile zerlegt

20

Abbildung 17:

Ein neuer Stoffkreislauf

21

Abbildung 18:

Selektiver Rückbau

22

Abbildung 19:

Rezyklierte Gesteinskörnung

24

Abbildung 20:

Elektromechanische Zerkleinerung

24

Abbildung 21:

Rücknahme Rockwool

26

Abbildung 22:

Altholzkategorien

29

Abbildung 23:

Kunststoffe im Bauwesen

30

Abbildung 24:

Verträglichkeitsmatrix der Firma Bayer

31

Abbildung 25:

Wood Plastic Composites

32

Abbildung 26:

Systematik Biokunststoffe

32

Abbildung 27:

Trennverfahren

33

Abbildung 28:

Ford Modell U

34

Abbildung 29:

Rezyklierbare Verkleidungen BMW

34

Abbildung 30:

Rezyklierbarer Bürohstuhl

34

Abbildung 32:

Rezyklierbarer Schuh

35

Abbildung 32:

Recyclingpotential

39

Abbildung 33:

Bauteilvergleich

41

Abbildung 34:

Nachnutzungskonzepte

43

Abbildung 35:

Einordnung in das Nachhaltigkeitskonzept

44

Abbildung 36:

Typologien der Nutzungsflexibilität

45

Abbildung 37:

Nutzungsneutraler Raum

46

Abbildung 38:

Austauschcluster

46


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

89

Abbildung 39:

Vorgehen bei der Materialwahl

47

Abbildung 40:

Werkstoffsysteme

48

Abbildung 41:

Festigkeit/Graue Energie

49

Abbildung 42:

Umweltproduktdeklaration

50

Abbildung 43:

Baustruktur

52

Abbildung 44:

Bauweisen

53

Abbildung 45:

Funktionstrennung - Vergleich

54

Abbildung 46:

Basisbauteil

55

Abbildung 47:

Montagesequenz

56

Abbildung 48:

Montagesequenzplan Bosch

56

Abbildung 49:

Anforderungen an Verbindungen

57

Abbildung 50:

Bauteilverbindungen

58

Abbildung 51:

Lustron Prefabricated House

59

Abbildung 52:

Korrosionsschutz bei Schrauben

60

Abbildung 53:

Elementgeometrie

60

Abbildung 54:

Testanlage Demontagefabrik

60

Abbildung 55:

Beispielhafte Verbindungen

61

Abbildung 56:

Vertr채glichkeitsmatrix

62

Abbildung 57:

Stufen der Verwertungskompatibilit채t

63

Abbildung 58:

Kennzeichnung von Kunststoffverpackungen

65

Abbildung 59:

Radio-frequency-identification

65

Abbildung 60:

Dauerhaft lesbare Kennzeichnung

66

Abbildung 61:

Identifikationssystem f체r Mobiltelefone

66

Abbildung 62:

IDIS2

66

Abbildung 63:

Hausakte

67

Abbildung 64:

Demontageplan

68

Abbildung 65:

Recyclingpass

68

Abbildung 66:

Cellophane House

74

Abbildung 67:

XX-Project

75

Abbildung 68:

R128

76

Abbildung 69:

Wohnhaus Holz100

77

Abbildung 70:

Bausystem Holz100

77

Abbildung 71:

Haus Gartmann

78

Abbildung 72:

Haus Schlaich

79

Abbildung 73:

Portola Valley Town Centre

80

Abbildung 73:

Recycle-Poster

82


90 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

 



Literaturverzeichnis:            

        

   



                                          


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

 

    

      



   

   



                                           

91


92 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

 

 

  

              

   



                                            


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

 



             

       

 



                                           

93


94 Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

 

                 

 



                                  


Diplomarbeit | Recyclinggerechtes Konstruieren | Valentin Brenner

95


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.