Saul Ascher Flugschriften

Page 1

Flugschriften

VAT


Theoretische Schriften. Band 1


Saul Ascher

FlugSchriFTen

herausgegeben von AndrĂŠ Thiele

VAT Mainz 2011


© VAT Verlag André iele, Mainz am rhein 2011 umschlag: Malika Wichtendahl, www.gestaltungsraum.de Satz und gestaltung: Felix Bartels, Berlin Druck und Bindung: Anrop ltd., Jerusalem Alle rechte vorbehalten. www.vat-mainz.de isbn 978-3-940884-27-5


inhAlT Vorwort

7

eisenmenger der Zweite

9

napoleon oder Ăœber den Fortschritt der regierung

61

Die germanomanie

141

idee einer PreĂ&#x;freiheit und Zensurordnung

173

Die Wartburgsfeier

193

Der deutsche geistesaristokratismus

227

europas politischer und ethischer Zustand seit dem KongreĂ&#x; von Aachen

265

Anmerkungen Zur Ausgabe

299 352



VorWorT Das Vorwort einer Ausgabe der Werke von Saul Ascher ist nicht der ort, den Autor selbst vorzustellen. Daß man Saul Ascher vorstellen muß, benennt einen Mißstand. Der verehrte leser wird Wege gefunden haben, diesen Mißstand zu umgehen, andernfalls dürfte er kaum zum vorliegenden Buch gefunden haben. Ziel dieser Werkausgabe ist, dem leser eine zuverlässige und zugleich modernen gepflogenheiten entgegenkommende Textbasis zur Verfügung zu stellen. Die Mitarbeiter gehen davon aus, daß Aschers Denken nicht nur Auskunft über seine Zeit gewährt, sondern auch vermag, heute lebenden zur lösung ihrer Probleme Anregung zu geben; sie verorten Saul Ascher in seiner epoche, sehen die Wirkmöglichkeiten insbesondere seines theoretischen Werkes aber damit nicht als erschöpft an. Das Wort »Werkausgabe« beinhaltet einen gewissen Anspruch auf Vollständigkeit. Der herausgeber ist gezwungen, diesen einzuschränken: Saul Ascher war ein produktiver und vielfältiger Schriftsteller. Von den fünf Abteilungen, die eine umfassende Werkausgabe aufwiese (eoretische Schriften, Journalistische Arbeiten, Belletristik, Übersetzungen, Briefe & Paralipomena) hat sich der Verlag zunächst nur verpflichten lassen, die vier Bände der ersten Abteilung »eoretische Schriften« zu beginnen und abzuschließen, deren erster Band hiermit vorliegt. ob das interesse des Publikums die Publikation einer oder mehrerer weiterer Abteilungen rechtfertigen kann, muß die Zukunft erweisen. Die Arbeit am vorliegenden Band wäre nicht möglich gewesen ohne die großmütige finanzielle Förderung der 2010 verstorbenen Katharina elisabeth Beihofer aus Konstanz, der hier besonders gedacht werden soll. Der herausgeber ist außerdem herrn Felix Bartels aus Berlin zu hohem Dank verpflichtet, der bei der textkritischen Arbeit behilflich war und ohne den die Anmerkungen weniger fundiert ausgefallen wären. Saul Ascher verstand sich als Mann der Aufklärung und der politischen Klassik, also derjenigen gruppe, die die Vermittlung


8

Vorwort

des Allgemeinen und damit des guten ohne die Beteiligung eines souveränen Staates nicht für machbar hält, die also den Staat nicht als Feind per se, sondern als notwendigkeit und chance begreift. Darüber hinaus verstand er sich aber auch als Jude, der aus seiner gemeinde heraus und auf seine gemeinde hin zu wirken versuchte. er war einer der ersten, wenn nicht der erste derer, die die Möglichkeit in Betracht zogen, daß gewisse eigenschaften und Denkmodelle der politischen romantik eines Tages zu einer Politik der realen Vernichtung des Judentums führen könnten. in der langen Zeit der Forschung zu Ascher und der entstehung dieses Bandes hat der herausgeber das Wiedererstarken der jüdischen gemeinde in Mainz verfolgt, die 2010 mit der über viele Jahre hinweg erstrittenen eröffnung der neuen Synagoge eine neue entwicklung nahm. obwohl die bisherigen Kenntnisse von Saul Aschers leben keinen besonderen Bezug zu Mainz erkennen lassen, habe ich nach rücksprache mit Verlag und Mitarbeitern beschlossen, diesen Band dem lebenswillen und der streitbaren Durchsetzungskraft der jüdischen gemeinde von Mainz zu widmen, als schwaches Symbol der hoffnung auf eine vielleicht anbrechende neue epoche jüdischen Selbstbewußtseins in Deutschland. ich freue mich besonders, daß der Vorstand der jüdischen gemeinde von Mainz diese Widmung angenommen hat. Mainz, im Juni 2011 André iele


eiSenMenger Der ZWeiTe nebst einem vorangesetzten Sendschreiben an den herrn Professor Fichte in Jena

metiri – quemque suo modulo ac pede verum est



Eisenmenger der Zweite

11

herr Professor! nachfolgende Bemerkungen waren schon dem Drucke übergeben, als mich das ungefähr in einen Zirkel von aufgeklärten Denkern führte, wo man unter anderm auch über die rechtmäßigkeit der schriftstellerischen Anonymität sich einige Bemerkungen zu machen erlaubte. einer aus unserm Zirkel behauptete, die republik der Publizisten gleiche einer Maskerade. Die Schriftsteller, die sich zu ihren Arbeiten bekennen, erscheinen nie, wie sie wirklich sind, die, welche ihre namen verschweigen, schreiben meistens für eine Welt, die sie sich bloß denken, welche aber nicht wirklich vorhanden ist. Zu diesem ende allegierte er eine Menge Schriftsteller und Schriften, um seine Behauptung durch Beweise zu bekräftigen. Bei diesem gespräche bemerkte ich, daß mein Freund einen Anonymen zu erwähnen vergessen, der ein vorzügliches interesse für mein gedächtnis haben mußte, da er mich veranlaßt, die folgenden Bemerkungen öffentlich erscheinen zu lassen. ich meine den Verfasser des »Beitrags zur Berichtigung der urteile des Publikums über die französische revolution«. Kaum hatte ich dieser Schrift mit der Bemerkung erwähnung getan – daß ich glaubte, der Verfasser derselben habe so geschrieben, wie man aus Überzeugung immer zu schreiben pflege –, so entgegnete mir mein Freund, daß dieser Verfasser gar nicht zu den Anonymen gehören wollte, sondern gegen verschiedene Freunde sich mündlich schon zu dieser Schrift bekannt habe. Die Anonymität war entweder wohlüberlegte Vorsicht, um den Jähzorn, welchen die mannigfaltigen Ausfälle auf verschiedene Stände verursachen könnten, in den ersten Augenblicken gegen seine Person erkalten zu lassen, oder Affektation, um unter der Maske des unbekannten imposante und schneidende urteile in einem nimbus von gemeingeist und Kosmopolitismus als Wahrheit verbreiten zu können. »Also der herr Professor Fichte in Jena ist der Verfasser jener Schrift?« – Das wiederholte ich mir einige Mal, um meine einbildungskraft zu der geläufigkeit zu gewöhnen, einen Professor der


12

Eisenmenger der Zweite

Philosophie und einen anmaßenden Schriftsteller in einer Person mir vorstellen zu können. Auf der andern Seite war es mir äußerst angenehm, aus der Ähnlichkeit in der Manier, die ich, wie Sie in der Folge bemerken werden, in ihrer »Kritik aller offenbarung« und in ihrem »Beitrag zur Berichtigung« bemerkt haben will, so ziemlich die gemeinschaftliche Quelle beider Produkte geahnt zu haben. indes ist die Verlegenheit, in der Sie sich befinden, sich als den Verfasser des »Beitrags zur Berichtigung« öffentlich ausgestellt zu sehen, lange noch nicht so groß als die meinige. ich habe mir es zum gesetz gemacht, keine Zeile von mir drucken zu lassen, zu welcher ich mich nicht gleich öffentlich bekenne. nun bedenken Sie: ich, der Autodidaktos, muß jetzt gegen einen Professor der Philosophie auftreten, welcher doch weit mehr gelten soll als einer der Sophisten Deutschlands, wie Sie einen rehberg zu nennen belieben. – ich, der ich keineswegs glaube, durch meinen namen meiner Schrift das Siegel der Vollkommenheit aufzudrucken, wage es nun, dem Publikum in meinem gegner den Verfasser der »Kritik aller offenbarung« zu erkennen zu geben. – ich, der ich wähne, daß in meinem Tode nur ein grashügel meinen Staub bedecken wird, nehme es mit einem Manne auf, der sich erst im Alter oder nach seinem Tode durch das Bekenntnis, der Verfasser des »Beitrags zur Berichtigung« zu sein, das dauerndste Monument zu verschaffen wähnt. – Wenn ich alles das erwäge, so muß ich mich wohl fragen: Welches Schicksal hast du zu erwarten? ich wollte aber dadurch keineswegs sagen, daß ich, wenn Sie, herr Professor, der belobten Schrift ihren namen vorgesetzt, mich nicht erdreistet hätte, ihnen einige gegenbemerkungen zu machen. ich wollte nur sagen, daß ich dann nicht nötig gehabt hätte, mich hin und wieder so bitter auszudrücken, und dies nur, weil ich noch so viel ehrgefühl bei ihnen erwarte, daß Sie auch alsdenn eine größere Bescheidenheit in ihren Ausdrücken würden beobachtet haben. Wenn ich dann so geschrieben, wie ich jetzt wirklich getan, dann hätte ich freilich ein Schicksal in der gelehrten Welt verdient, wie Sie mir es jetzt vielleicht wünschen. Aber sagen Sie mir aufs gewissen: Wie würden Sie verfahren haben, wenn ihrem Stande irgend jemand so zu nahe getreten


Eisenmenger der Zweite

13

wäre, wie Sie mir und einem jeden braven Juden nahegekommen sind? Was würden Sie getan haben? – Sie hätten geschwiegen, das weiß ich, aber nur, wenn der Verfasser mit minder schriftstellerischen Fähigkeiten ausgerüstet wäre, wenn er mit einem geringern grade von Scharfsinn seine Prinzipien, sie mögen wahr oder falsch sein, auf jeden beliebigen gegenstand, der ihm auf seinem Wege aufstößt, anwendete als Sie; doch nicht, wenn er mit einer lebhaften und feurigen Suade alle Folgerungen geltend zu machen sucht, die er aus Prinzipien deduziert, welche zwar einen hohen grad von Scharfsinn, aber keineswegs Allgemeingültigkeit verraten; nicht, wenn aus diesen Prinzipien ein tiefangelegter Plan hervorleuchtet, der nicht allein einer ganzen nation, sondern auch der ganzen Menschheit nachteilig sein kann; nicht, wenn die getanen Ausfälle stricte aus jenen unzureichenden Prinzipien zu folgen scheinen. Befinde ich mich nun in einem andern Verhältnis gegen Sie? – Wenn ich in jener Schrift Scharfsinn, nachdrücklichen Vortrag, scheinbare Konsequenz usw. vorfinde, wenn ich darin die Arbeit keines gemeinen Kopfes erkenne, so muß ich mein gewissen um so mehr auffordern, da, wo dieser gute Kopf exzentrisch zu sein scheint, ihn, der nachteiligen Folgen wegen, in seine Bahn zurückzuscheuchen. Die unbescheidenheit, ihrer Anonymität den Schleier entrissen zu haben, werde ich nicht mit den besten gründen entschuldigen können. indes kann ich dabei keineswegs gewinnen, wenn ich in ihnen dem Publikum meinen gegner anzeige. Denn es braucht nur von einem kleinen grade von Prädilektion belebt zu sein, so wird es sich leicht den erfolg eines Schauspiels denken, wo der Zwerg den riesen zu bekämpfen verspricht. Bloß ein kleiner grad von eigenliebe, den ich hier selbst an mir verraten muß, verleitet mich, das Publikum zu überzeugen, daß ich doch nicht mit einem Schatten fechte. es wird sich freilich wundern, daß einer von seinen ersten Denkern auf solchen Abweg geraten konnte. Mancher ihrer Verehrer, herr Professor, wird freilich den Kopf schütteln und ausrufen: Das geziemt einem Denker, einem Professor der Philosophie nicht! Doch ihre wahren Verehrer werde ich ihnen dadurch keineswegs abwendig machen. Sie werden mit diesem Fehlschritte ihren posi-


14

Eisenmenger der Zweite

tiven Wert in ihren Augen behalten. Sie werden immer ein origineller, spekulativer Kopf bleiben, aber auch nicht der erste ihrer Art sein, der, unbeschadet dieser seiner Fähigkeit, sich in seinem enthusiasmus verleiten läßt, über die Verhältnisse in der wirklichen Welt so imposant zu urteilen. Wenn der große rousseau, wie es mir ihre Worte oft zu verraten scheinen, ihr Muster ist, so hätten Sie sich in den Schranken halten sollen, die dieser weise Mann sich vorzeichnete. er schuf sich eine Welt, welche die allgemeine glückseligkeit der Menschen begründen sollte. er zeigte nur immer die Mängel an, die der Menschheit überhaupt nachteilig wären. er wollte dem allgemeinen interesse, das die gesellschaft daran hatte, einen Stoß versetzen. er tadelte ihre Denkart, ihre Verfassung, ihre handlungsweise. Sie mußte gegen ihr eingebildetes interesse handeln, wenn sie ihm folgen wollte. Sie aber, herr Professor, verderben alles durch eine inkonsequenz, der Sie sich dadurch schuldig machen, daß Sie die gesellschaft, indem Sie ihr die einzelnen Mängel, welche sie in ihrem jetzigen Zustande von glückseligkeit stören, mit solchen grellen Farben schildern, in diesen einzelnen Mängeln die Quelle ihres allgemeinen Verderbens zu wähnen veranlassen. – hat die Konstitution der gesellschaft eine schiefe richtung, so müssen daraus alle einzelnen Mängel entstehen. Wird jene gehoben, so werden sich auch diese verlieren. gift und Dolch predigen Sie nun gegen die Juden und vergessen, daß Sie gegen alle bestehende gesellschaften diese Katachrese gebrauchen. ist die Möglichkeit vorhanden, daß je eine gesellschaft nach ihrem spekulativen Plane konstituiert werden kann und eine bessere richtung dadurch erhält, so wird der Jude daran Anteil nehmen können und müssen. nach ihrem ideengange heißt es aber: Der kleine grad von glückseligkeit, der einer gesellschaft, nach dem jetzigen Zustande der Dinge, eigen ist, wird unter anderm auch durch den Juden verbittert. Der Jude ist der erste Stein des Anstoßes in einer jeden gesellschaft; er ist die hydra, die alles um sich her zerstört; er liegt, dem Zerberus der hölle gleich, vor den Pforten des Tempels der glückseligkeit und versperrt allen den Zugang; er, der Jude –


Eisenmenger der Zweite

15

doch was würden Sie nicht alles in dem Augenblicke ihrer inkonsequenz dem Juden aufgebunden haben! Schon aus diesen beiden Zeilen nathans beim lessing: »Sind christ und Jude eher christ und Jude, Als Mensch?« muß ihnen ihre inkonsequenz hervorleuchten, und Sie sollten mir es verübeln, wenn ich Sie beschuldige, daß nicht ihre logik, sondern ihr herz Sie dazu verleitet? Sollten Sie mir es verübeln, wenn ich Sie für den rühmlichsten nachfolger eines eisenmengers erkläre? Der mindeste Ärger, den Sie gegen mich äußern wollten, würde Sie nur in den Augen eines jeden biedern Mannes in ein noch gehässigeres licht setzen. Sie würden ihrem charakter die noch einzige entschuldigung entziehen, daß ein gewisser Anfall von Misanthropie Sie irregeleitet habe. – Auch der Weise hat das recht, das zu verabscheuen, was er in dem Augenblicke tat, wo er nicht herr seiner selbst war. ich glaube schwerlich, daß Sie hiervon gebrauch machen dürften. ein solches Mittel ist kein kräftiges Antidot eines Übels, dessen Wurzel bei ihnen tiefer liegt, als es gemeinhin der Fall zu sein pflegt. ich werde ihnen deutlicher sein, wenn ich ihnen sage, daß die Prinzipien, die ihr großer lehrer Kant ihnen vorzeichnete, ihrem geiste eine solche richtung geben mußten, die mit jenen Prinzipien steht und fällt. Was ich daher gegen herrn Kant in folgenden Blättern vorbringe, werde ich keineswegs auf ihre rechnung schreiben. ich wünschte, daß es zu ihrer rettung etwas beitragen möchte. Denn entgehen kann es dem Denker nicht, daß ihr Übel kein endemisches ist. Daß es bei ihnen sich aber in solchen auffallenden und schrecklichen Symptomen äußert, dazu muß die Disposition wohl in ihnen selbst vorhanden sein. Sie von aller Zurechnung freizusprechen steht daher wahrlich nicht bei mir. genug werde ich schon bewirkt haben, wenn ich ihren lehrer einesteils überzeugt, wie nachteilig es selbst für seine gute Absicht ist, einem jeden, ohne vorher seinen charakter einer strengen Prü-


16

Eisenmenger der Zweite

fung unterworfen zu haben, die Pforte seines lyzeums zu öffnen und ihn auf dem gebiete seiner esoterischen Philosophie oder seiner Meinungen frei umherwandeln zu lassen. Die einzige entschuldigung, die man für herrn Kant in rücksicht ihrer anführen könnte, wäre bloß, daß Sie durch eine »Kritik aller offenbarung« – wie? keinen Wink zu einer Kritik des Judenhasses gegeben? Daß Sie aber sich zugleich dazu entschließen konnten, diese idee zu realisieren; daß Sie so öffentlich die Prolegomena dazu dem Publikum vorlegten, das kann und darf einer rüge in unserm zu exzentrischen Prinzipien geneigten Zeitalter nicht entgehen. ob Sie sich von einer jeden gehässigen Absicht loszusprechen vermögen werden, zweifele ich sehr. ebensowenig stehe ich dafür, daß ihr großer lehrer davon freigesprochen werden dürfte. ob durch seine oder ihre Schuld, das weiß ich wirklich nicht stricte auszumitteln. Schließlich bitte ich Sie, lieber herr Professor, meine in folgenden Blättern geäußerte schriftstellerische Manier nicht in meinem charakter aufzusuchen. Sie macht wahrlich nicht die Basis meiner Denkart, vorzüglich gegen Männer von entschiedenen Talenten, aus. Sie können daher glauben, daß auch ihre schätzbare Seite bei mir ihren Wert behält. ich wünsche, daß ihr Scharfsinn Sie von meinen Vorwürfen so befreien mag, wie die Wahrheit und die gute Sache mich und meine nation von den ihrigen retten kann und wird. ich erwarte ihr Stillschweigen oder ihre Antwort mit der gleichmütigkeit eines Klienten, der seine gute Sache den händen eines erfahrnen Sachwalters übergeben und nun von einem unbestechlichen richter ein gerechtes urteil zu erwarten hat.


Eisenmenger der Zweite

17

eisenmenger der Zweite i Wenn die Vorfahren ihren nachkommen ehre machen, so ist es billig und recht, daß man die nachkommen Schild und Wappen derselben führen läßt, damit sie zu neuen guten Taten aufgemuntert werden mögen. Verlassen diese nachkommen den rühmlichen Weg ihrer Vorfahren, so ist es wieder billig und recht, daß man ihnen Schild und Wappen entreißt und nicht durch ihre hände verunreinigen läßt. Womit können aber die nachkommen die Fehler der Vorfahren gutmachen? – Sonst haben unsere Weisen gesagt: Werdet besser, wie sie sind, sucht die Flecken auszutilgen, die sie überall hineinbrachten, und verehrt sie in den Fehlern, die sie euch durch ihr Beispiel vermeiden lehrten. Die Weisen nach dem neuesten Tone rufen ihrem Zeitalter zu: Menschen! ihr seid auf der höchsten Stufe der unvollkommenheit! Was vor euch geschehen, ist der Verdammung wert. Waffnet euch mit Werkzeugen, auf daß wir das Andenken der Vorwelt, die Denkmäler ehemaliger geistesgröße vernichten, in ihren Schutt sie vergraben und auf ihre Vergessenheit uns eine neue Welt nach ganz eigenem Plan erbauen können. Den Wink der vormaligen Weisen befolgte nun der unsterbliche eisenmenger in seinem trefflichen Werke »Das neuentdeckte Judentum«. Dieser große Mann sah den Fehler seiner Vorfahren ein und bemerkte, daß man die Juden viel zu glimpflich behandelte, wenn man sie bloß deshalb, wie bis zu seiner Zeit, haßte, weil sie nicht an Jesum christum ihren glauben wollten haften lassen. er öffnete seinem Zeitalter die Augen. nicht bloß unchristliche Menschen sind sie, sondern gewissenlos gegen alle, die sich nicht zu ihrem Bunde bekennen, sind sie dem Staate, der öffentlichen Sicherheit und dem gemeinschaftlichen Wohl höchst gefährlich. Das resultat war: Wenn dies Volk seines glaubens wegen geduldet werden könnte, so sollte ihm seiner grundsätze wegen in den Zirkel der Menschheit nie ein Zutritt verstattet werden.


18

Eisenmenger der Zweite

Auch unzulängliche Beschuldigungen, Schmälern und lästern haben schon der Welt heil gebracht. Wer ist mehr geschmält und gelästert worden als ein Volk, bloß weil es Juden heißt? Welche schlechte Sache hat aber jemals bessere Apologen, Schutzredner und Verteidiger gehabt als die Sache der Juden? Dem himmel sei Dank! Seit jenem Ahnherrn der Judenfeinde hat man sich endlich überzeugt, daß die Juden wie die christen, und beide wie jeder Mensch, gewissen haben können, wenn sie wollen; daß sie der rechte der Menschheit teilhaftig zu werden vermögen und daß zum Teil alle jene Beschuldigungen ihren Widerspruch in den Traditionen selbst finden, wo sie hergeholt werden. So, sehen wir, hat auch ein eisenmenger zum heile eines Volkes beigetragen, das er verfolgen wollte; so hat er es gebessert, indem er es zum unverbesserlichsten machen wollte. Der himmel verzeihe ihm deshalb seinen irrtum! er wähnte, alles, was er um sich her sehe, alle Verfassungen, alle Stände sind in der christlichen Welt zur Vollkommenheit gediehen. noch einen Flecken fand er, und dieser Flecken war das Judentum. Was Wunder, wenn er gegen dieses gebäude alle Kräfte der gesellschaft aufbot, es zu demolieren, um seinen Mitbrüdern eine völlig offene Aussicht zu verschaffen. Man hat es deshalb immer geduldet und dulden können, wenn man sich gegen Judentum und Juden in dieser Manier auflehnte. Von der einen Seite konnte man das Bessere zeigen, das stattfände, wenn Judentum und Juden anders wären, als sie jetzt sind; von der andern konnte man dem Übel soviel abhelfen, als es derzeit möglich war, bis Zeit und umstände eine größere Vollkommenheit darin herzustellen veranlaßten. Allein wende ich mich zu der rotte von spekulativen Schwärmern, die sich in ihrem Bewußtsein so vergessen kann, daß sie an keinem orte des erdballs zu existieren glaubt, die ihre Bücherzelle für den Schweif eines Kometen hält, auf welchem sie über unseren Kontinent umherschwärmt, überall Mängel und gebrechen nicht allein finden will (denn wann waren oder sollten diese fern von uns sein), sondern sogar es versucht, uns gegen uns selbst verdächtig zu machen, uns anrät, alle unsere Sinne zu unterdrücken, in uns selbst zu gehen und aus uns die Quelle unsers heils zu holen –


Eisenmenger der Zweite

19

wende ich mich zu ihr und beobachte ihre Schritte, so muß ich gestehen, daß ich nach vielem Wachen auch gern oft mit ihr träume. Aber welchen Traum? Wenn du mich mit süßen Bildern einschläferst, meine Phantasie mit sanften Täuschungen unterhältst und mit dem gaukelspiele deiner Menschheit mich zu fesseln suchst, hinterdrein aber mich durch Schreckenstimmen, die deine süßen Worte endlich überschreien, aufschreckst, das verleidet mir, und mit mir jedem vernünftigen Mann, wahrlich deine Zauber. So spielte mir nun ein Schriftsteller mit, der sich zu dieser rotte zu bekennen scheint und der Anspruch macht, aus reinen Prinzipien der Vernunft die rechte der Menschheit zu entwickeln. Der leser erlaubt es mir, ihn in folgenden Worten anreden zu dürfen. »Sage, ist es Plan deiner Zunft, jene neuerbaute Welt, auf welche sie uns so oft aufmerksam macht, bereits entstanden oder noch entstehen zu sehen? ist dies ihr Plan? So sage mir: Welchen Zweck kannst du haben, wenn du uns auf einzelne Flecken und Mängel derjenigen aufmerksam machst, die du oder deine Zunft bereits der ewigen Verwesung und Vergessenheit übergeben. ist es dein Zweck, unter den Menschen Prinzipien einzuführen, nach welchen sie handeln sollen, so mußt du unfehlbar Menschen haben, die nicht allein empfänglich für diese Prinzipien sind, sondern auch so handeln können, wie sie wollen. gesetzt nun aber, du wähnst sie zu besitzen, so kannst du, solange diese deine nächsten Anhänger, die die Macht in ihren händen haben, alles nach deiner Form, die du einführen willst, zu bequemen dir nicht hilfreiche hand leisten, solange sie noch alles in einem haufen von Mißbräuchen, wie du es nennst, ungerührt liegenlassen, es nicht von Menschen (Juden?) fordern, die ihre ohnmacht überall zu empfindlich drückt, als daß sie etwas Fruchtbringendes für deine Absicht sollten darbieten können. Was du nun von diesem ohnmächtigen Teil der gesellschaft verlangst, verrät nicht bloß eine inkonsequenz, sondern eine Animosität, die deiner ganzen rotte eigen zu sein scheint, du verrätst es zum wenigsten durch deine Anhänglichkeit an sie. Sag mir um’s himmels willen, hattest du, indem du die Mißverständnisse zwischen dem recht der natur und der Politik auf-


20

Eisenmenger der Zweite

zulösen suchst, indem du die menschliche Vernunft in ihre rechte einsetzen, dem Staat allen Anspruch auf eigentum und Kultur entziehen willst, indem du alles meisterst und niederreißest, kein andres Mittel, dein System zu begründen, keine bessere Stütze, um es unverrückt zu erhalten, als die Verleumdung, die dich schänden und deine eorie entkräften muß?« Die gesunde Vernunft soll zwischen dem Verfasser des »Beitrags zur Berichtigung der urteile des Publikums über die französische revolution« und mir urteilen. Dieser Schriftsteller setzt, nach gewissen vorausgeschickten Betrachtungen und Deduktionen, die wir in der Folge näher erörtern werden, das resultat fest: »in einem jeden Staate hat ein jeder das vollkommene recht, aus dem Staate zu treten, sobald er will. Kann einer aus dem Staate treten, so können es mehrere. Die, welche sich abgesondert haben, können sich enger untereinander vereinigen und einen Vertrag unter (nicht: auf *) beliebigen Bedingungen schließen. Dies wären also zwei Staaten neben- und ineinander.« – »Aber«, fügt der Autor hinzu, »hier stoße ich auf den mächtigen einwurf von der Schädlichkeit des Staats im Staate. Wenn ich mich losgerissen, in eine neue Verbindung getreten bin, meine beiden nachbarn rechts und links aber sich noch in der alten befinden, welche Verwirrung und unordnung muß notwendigerweise daraus entstehen.« – »ihr«, redet er nun die ganze Welt an, »die ihr die gefahr eines solchen Verhältnisses so sehr fürchtet, habt ihr denn noch nie über eure eigene lage nachgedacht, noch nie entdeckt, daß diese gefahren euch immerfort hundertfach umringen?« Der Verfasser eröffnet nun sein politisches Drama unter dem Titel: »Die Juden oder Der Staat im Staate«, wobei ich den Scholiasten abgeben werde. text »Fast durch alle länder von europa verbreitet sich ein mächtiger, feindselig gesinnter Staat, der mit allen übrigen in beständigem

* Der Verfasser entschuldige, wenn ich ihm öfters solche Bemerkungen mache. es ist seine goldene regel, die mich dazu verleitet: metiri – quemque suo modulo ac pede verum est.


Eisenmenger der Zweite

21

Kriege lebt (nicht: steht) und der in manchem fürchterlich schwer auf die Bürger drückt; es ist das Judentum.« scholion Dieser introitus ist ganz eines politischen Dramas würdig. Wie erhaben sich der Verfasser auszudrücken weiß und den kleinsten gegenstand auf die höchste Stufe des oratorischen Pathos zu erheben vermag! Welcher meiner leser sollte wohl erraten, daß der Satz: Die Nahrungs- und Handlungsart, die der Staat den Juden zugesteht, sind auf mancher Seite dem Bürgerstande nachteilig, eben das sagt, was der Verfasser sagen wollte – sagen muß, sonst hat jene Periode keinen Sinn. text »ich glaube nicht, und ich hoffe es in der Folge darzutun, daß dasselbe dadurch, daß es einen abgesonderten und so fest verketteten Staat bildet, sondern dadurch, daß dieser Staat auf dem haß des ganzen menschlichen geschlechts aufgebaut ist, so fürchterlich werde.« scholion Der Verfasser verspricht, sich über diese Periode näher zu erklären, man verzeihe ihm daher, wenn er sich berechtigt hält, schielend oder zweideutig sich auszudrücken. Denn in jenen Worten kann es heißen: 1) daß der haß des ganzen Menschengeschlechts gegen die Juden Veranlassung oder ursache wäre, daß ihre Verfassung dem Staate so fürchterlich ist, 2) daß der haß des Juden gegen das menschliche geschlecht unfehlbar eine fürchterliche gesellschaft in jedem Staate entwickeln muß. – Den eigentlichen Schlüssel zu dieser Stelle aber findet der leser in Kants Schrift »Die religion innerhalb der grenzen der Vernunft«. text »Von einem Volke, dessen geringster seiner Ahnen höher hinaufsteigt als wir andern alle unsre geschichte, und in einem emir, der älter ist als sie, seinen Stammvater sieht – eine Sage, die wir selbst unter unsere glaubensartikel aufgenommen.« scholion ich kann dem leser wirklich nicht bestimmt sagen, ob der Verfasser die Ahnen oder den emir älter hält als die geschichte. – So viel erhellt, daß der Verfasser allzusehr die Bemü-



Die gerMAnoMAnie

Skizze zu einem Zeitgem채lde



Die Germanomanie

143

Wer länger schon als ein Vierteljahrhundert, und vollends um eine solche Zeit wie die des letzten, in der ideenwelt gelebt oder wer das Treiben und handeln der denkenden Köpfe von Ausbruch der Französischen revolution an bis jetzt zu beobachten gelegenheit hatte, dem wird endlich das resultat werden, daß auch in dieser region der liebe zum Wahren und Vortrefflichen ein gewisser, in der natur angeordneter Kreislauf sich erhärtet. Werfen wir nun einen Blick auf den ideengang, der den Menschen über die wichtigsten Angelegenheiten ihres physischen und intellektuellen Seins während des letzten Vierteljahrhunderts geworden, so dürften wir finden, daß sie diejenigen Anordnungen, welche von ewigkeit her in ihrer Mitte bestanden und die eine Folge ihrer körperlichen und geistigen organisation sind, welche das begründen, was wir Wissenschaft, Kunst und Sittlichkeit nennen – die drei Pfeiler der in der idee begründeten Menschheit –, daß sie dies alles mit Betriebsamkeit und Aufopferung auszubilden, zu läutern und zu reorganisieren suchten. Der befangene Beobachter oder derjenige, dem die grundprinzipien der Welt sich bloß nach den vormals bestandenen oder zu seiner Zeit bestehenden Formen darstellen, sah in der rotation, in dem Wogen der verschiedenen grundstoffe des menschlichen Seins und in dem Kampf zwischen Vernichtung und Dasein, der sich seit fünfundzwanzig Jahren in dem gebiet der religion, der Politik und der Wissenschaft, als den drei repräsentanten der im Menschen liegenden Prinzipien seiner intellektuellität, vor unsern Augen entfaltete, den untergang aller Sittlichkeit, alles Staatenvereins und aller geistesbildung. Anders sah aber der denkende Kopf, der in dem gang der erscheinungen dieser Welt einen allgemeinen gesetzmäßigen lauf der Dinge ahnt und solchen darin aufzusuchen sich bestrebt, anders sieht und folgert er. es ging und geht aus dem sich angehäuften chaos eine verjüngte Form von allen grundfesten des menschlichen und bürgerlichen Daseins hervor. Wir haben nun beinahe wieder einen von denjenigen Kreisen durchlaufen, die der Menschheit zum Fortschritt ihrer Vollkommenheit vorgezeichnet sind, wir stehen wieder auf dem Punkt, von welchem vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren die Menschheit ausgegangen und exzentrisch sich


144

Die Germanomanie

fortbewegte. Wir haben die Anwartschaft, religion, Staatsverfassung und Wissenschaft ganz nach den bisher bestandenen Zwecken in dem Kreise der Menschheit fortleben zu sehen wie vormals, aber verfeinert, bereichert mit den mancherlei erfahrungen, Ansichten und idealen empfindungen, die das menschliche gemüt in dem Drängen und Treiben der nationen und der revolutionären und exzentrischen Köpfe sich eigen zu machen gelegenheit fand. Die Menschheit gleicht jetzt dem ulysses, der nach mancherlei Wanderungen in die heimat zurückkehrt; wie er erscheint sie erschöpft und armseligen Ansehens. indes, laßt sie nur sich erholen; sie wird nicht athletisch, aber besonnen und gewandt die Kräfte handhaben, die ihr zu gebote stehen. es darf nicht befremden, wenn in diesem fieberhaften Zustande, in welchem die Menschheit ein Vierteljahrhundert vegetierte, denkende Köpfe, vorzüglich in Deutschland, wo bisher immer mehr gedacht als gehandelt worden, in dem chaotischen Zustand der Dinge bald das heil der Welt erblickten, bald aber wieder den untergang der Weltordnung ahneten. Sie sahen in dem gange der Begebenheiten nicht einen Prozeß, den die natur mit dem menschlichen gemüt vornimmt, um es zu steigern für die Fortschritte, die der Mensch in technischer und sinnlicher hinsicht gemacht, oder es zu verfeinern. nein! Sie wollten eine neue ordnung der Dinge oder einen förmlich reinen intellektuellen Zustand dem Menschen bereitet sehen. es sollten religion, regierung und gesetzgebung, in hinsicht ihrer positiven Seite, ganz aufgegeben werden; man wollte nur naturreligion, republik und gleiche rechte im Kreise der Menschheit verpflanzt wissen. Für dieses experiment, das der Fortgang der Französischen revolution nur möglich machte, stimmten alle die denkenden Köpfe in Deutschland, die seit einem Zeitraum von zwanzig Jahren in der intellektuellen Welt die richtung der geister betrieben; dahin tendierten die transzendentalen idealisten, die Anhänger des identitätssystems und ein heer After- und nebendenker, die, wie Trabanten und nebelsterne, die großen lichter am horizont der geisterwelt zu umschwärmen pflegen. Die meisten von diesen noch lebenden Anhängern der neuen Schule, als Buchholz, Arndt etc., wollen es jetzt nicht mehr wissen,


Die Germanomanie

145

daß sie als lebhafte Anhänger der grundsätze und ideen sich proklamierten, welche durch die revolution in Frankreich unter den nationen verbreitet wurden. eitle Scham! Wer wird ihnen dieses zurechnen. Jene grundsätze und ideen hatten eine hohe idealität, und idealismus für Wissenschaft und Kunst war der Stein der Weisen, den die philosophischen Adepte an den Mann zu bringen suchten. Während nun in Deutschland mancherlei aufgeboten ward, um eine revolutionäre Denkart geltend zu machen, sah man in Frankreich durch sie den schrecklichsten Zustand herbeigeführt. Die positive religion ward dort nicht durch religion, sondern durch Freigeisterei verdrängt; die verjährten regierungsrechte wurden angetastet, endlich über den haufen geworfen und nicht durch feste grundsätze des Staatsrechts, sondern durch einen immerwährenden Wechsel demagogischer gewalt und tyrannischer Willkür ersetzt, und die positive gesetzgebung, gefährdet und hintenangesetzt, mußte einer frechen handhabung des eigentumsrechts weichen. Die Folge war nun, daß das resultat der revolution, welche in Frankreich wütete, sich über die dasselbe umgebenden länder verbreitete. Die Macht, alles nach den neuen Ansichten zu konstituieren, verblieb bloß in den händen der Franzosen. Sie waren es, die den Meister spielten, und es geschah daher nichts fürs heil der Menschheit, sondern fürs heil der Franzosen. indes, der allmähliche Verfall des republikanismus in Frankreich, die Wiederherstellung der alten ordnung durch allmähliche einführung eines oberhaupts und der Mißbrauch, den dieses oberhaupt durch seine Übermacht von seinem einfluß auf die Völker, vorzüglich die Deutschen, machte, reizte das ehrgefühl der idealen Politiker in Deutschland auf. Sie wollten sich von dem oberhaupt Frankreichs nicht in dem grade wie von den republikanischen grundsätzen dominieren lassen, und so entwickelte sich denn jene idee der Deutschheit bei ihnen, die dahin tendierte, daß alle diejenigen ideen, die für den ganzen Kreis der Menschheit in dem idealismus ihre Anwendung erhalten, durch jene bestimmte richtung ihres gemüts ihre bestimmte Anwendung bloß für die Deutschen erhalten sollten.


146

Die Germanomanie

Die höchsten interessen der menschlichen natur – religion, Vaterland, recht – erwarben in dem gemüt der deutschen Denker nunmehr ein eigenes gepräge, das sich durch eine gemütsäußerung aussprach, die man füglich Germanomanie benennen könnte. Die fixe Tendenz oder das einzige Bestreben der germanomanen war und ist es noch, in der Deutschheit gegen die Gallomanie ein gegengewicht zu erlangen. in dieser hinsicht wurden nun alle hebel aufgeboten, den denkenden Teil Deutschlands für die idee von Deutschheit empfänglich zu machen, als das einzige Mittel, gegen das Joch der gallischen Tyrannei sich zu waffnen, um es endlich durch beharrlichen Widerstand ganz abschütteln zu können. Die hauptwirkung, die man sich von der aufgeregten idee der Deutschheit versprach, war nun, daß die deutschsprechende nation, welche der lauf der Begebenheiten gleichsam aufgelöst hatte und die in einer wahren entzweiung lebte, wodurch es einzig und allein den Ausländern gelang, ihren einfluß zu behaupten, unter einen hut gebracht und zum gemeinsamen Streben für ihre Freiheit und Selbständigkeit aufgeregt werden sollte. Das größte hindernis, diese einheit zu bewirken, lag aber in dem religiösen Zwiespalt Deutschlands, in dem Antagonismus der Katholiken und Protestanten. Dies zu beseitigen, ward nun von unsern idealistischen Denkern das protestantische christentum zu einer idealität gesteigert, die es der richtung des Katholizismus näher brachte, und so bemerkte man unter den denkenden Köpfen des protestantischen Deutschlands allmählich eine religiöse geistesrichtung, die gleichsam dem Katholizismus huldigte. Philosophen, Dichter, Künstler und Politiker sprachen, schrieben und stellten dar in einer in nimbus der legendenheiligkeit gehüllten Stimmung, und die Begeisterung für diese Stimmung gedieh schon so weit, daß der Katholizismus in mehreren Anhängern an dieselbe laute Bekenner und Proselyten erhielt. nichts war natürlicher, als daß bei diesem verblendeten und warmen enthusiasmus für jenes gesteigerte christentum gegen jede religiöse Denkart anderer Weise eine befangene gesinnung sich entwickeln mußte. Die Denkart des Philosophen, der liberalen Konfessionen des christentums und die der Juden ward als hin-


Die Germanomanie

147

dernis für den Fortschritt des gesteigerten christentums betrachtet, und natürlich war dann immer eine von diesen Denkarten das Stichblatt unserer intellektuellen Tonangeber und identitätsphilosophen, die sich nun deutsche Philosophen oder Christen nannten. christentum und Deutschheit war bald in eines verschmolzen; dies ist für den transzendentalen idealisten und identitätsphilosophen ein leichter Prozeß. es ward so von ihnen gefolgert. Deutschlands rettung von dem Joche der fremden Tyrannei kann nur vorbereitet werden durch einheit und einigkeit des Volkes in der idee. Die einheit und einigkeit in der religion spricht dies erfordernis ganz aus; dies soll nun durch den zum Katholizismus gesteigerten Protestantismus hergestellt werden, und so bestand daher für diese Denker ein deutsches christentum oder eine christliche Deutschheit, die sie zu gründen und zu verbreiten sich vorsetzten. Die Anhänger dieser lehre fanden freilich hin und wieder ihre gegner an den echten, unbefangenen Denkern Deutschlands und wahren Protestanten, indes sie hatten doch ein ganzes heer von jungen Männern durch ihre enthusiastische Denkart elektrisiert, und so konnten sie ungestört mehrere Mittel ausbilden, ihren Zweck zu erreichen. es darf nicht befremden, daß nach den Ansichten dieser enthusiastischen idealisten, wodurch Deutschheit und christentum so verquickt werden sollten, daß eines das andere auszuschließen nicht vermögend war, von ihnen vorzüglich in den Juden ein gegensatz dieser lehre vorgefunden ward, und daraus läßt sich denn erklären der rohe und abschreckende Ton, in welchem am ende des achtzehnten Jahrhunderts von Fichte, einem der ersten restauratoren der neuen lehre, an bis herab auf seine Schüler und Verehrer gegen Judentum und Juden losgestürmt ward. Die Anfälle sind gefährlicher und nachdrücklicher, da sie eine potenzierte Quelle haben. Die Juden, heißt es, sind weder Deutsche noch christen, folglich können sie nie Deutsche werden. Sie sind als Juden der Deutschheit entgegengesetzt, folglich dürfen sie die christen nicht als ihresgleichen aufnehmen und können sie unter ihnen höchstens mit der einschränkung geduldet werden, daß man überzeugt sei, sie treten der Deutschheit nicht in den Weg.


148

Die Germanomanie

Diese grundsätze verbreitete ein unter dem namen deutsche christliche Gesellschaft im nördlichen Deutschland gebildeter Verein in dem Zeitraum, wo Deutschland dem ganzen Druck des gallischen Despotismus erlag. er proklamierte seine grundsätze in Broschüren und Pamphlets, die er mitunter mit hieroglyphischen Deutungen ausgab*, und er scheint innig verwandt und in einverständnis mit dem sogenannten deutschen Tugendbund gewesen zu sein, über den herr Schmalz und mehrere Männer von wahrem deutschen Sinn kürzlich so mancherlei zur Sprache gebracht. Man muß die Menge, um auch sie für eine Ansicht oder lehre einzunehmen, zu begeistern suchen; um das Feuer der Begeisterung zu erhalten, muß Brennstoff gesammelt werden, und in dem häuflein Juden wollten unsere germanomanen das erste Bündel reiser zur Verbreitung der Flamme des Fanatismus hinlegen. Der Fanatismus kennt aber keine grenzen. er blieb bei der idee, die Juden seine geißel fühlen zu lassen, nicht stehen. Kaum war Frankreichs Despotismus gebrochen, so gingen unsere germanomanen noch weiter. Arndt, Jahn etc. und mehrere nachbeter derselben wollten nun schon keinen Franzosen mehr in Deutschlands gauen dulden, sogar die Sprache der Franzosen sollte aus Deutschlands Marken verbannt sein, und bei Verfolgung der fixen idee der germanomanie, alles Fremdartige von Deutschlands Boden entfernt zu sehen, geht endlich der lauteste germanomane der jetzigen Zeit in seiner neuesten Broschüre so weit, auch gegen england, das von den germanomanen mit huld bisher behandelte england, eine vollständige Philippika abzuhalten.** Wer wird und muß es nicht dem deutschen gemüt für eine hohe Tugend anrechnen, seine Selbständigkeit und eigenheit von der Willkür einer andern selbständig sein wollenden nation zu befreien? Wer wird es dem Deutschen verdenken, wenn er heute gegen die Tyrannei des Franzmanns, morgen gegen die des engländers und endlich so gegen die Tyrannei einer jeden fremden * ich erwähne hier nur einer Broschure der Art, die mir zu gesicht gekommen. Sie führt den Titel »Der Philister vor, in und nach der geschichte ...« ** »Über Preußens Marken und deutsche Bundes-Festungen am rhein«.


Die Germanomanie

149

Willkür sich erhebt, und das mit der Kraft, die des deutschen Volkes erbe ist? Aber die hebel, welche der intellektuelle Teil deutscher nation seit kurzem aufbietet, um diese Kraft in Bewegung zu setzen, dies wird jeder unbefangene einräumen, waren nicht von der Art, daß sie eine kräftige und biedere nation ehren sollten. Beleuchten wir ein wenig näher die hebel, welche unsere germanomanen ansetzten, so finden wir zuerst, daß die christusreligion als erbteil der Väter in hohe Protektion von ihnen genommen ward, und um darin ein heroisches Mittel für das protestantische gemüt zu besitzen, ward von denen protestantischen Denkern, die an der germanomanie kränkelten, der Katholizismus in bedeutender Dosis darin verwendet. Frömmelei, abenteuerliche Bilder, affektierte Anhänglichkeit an dogmatische Formen und geheimnisse waren die Maschinen, welche mit allem nachdruck die schöne richtung, in welcher Zollikofer, Spalding und Teller die christliche religiosität erhielten, verdrängten. Jene Besonnenheit und lauterkeit, welche das protestantische Deutschland selbst in den religiösen ideen begründet hatte, wurden mit der Kraft eines begeisterten Fanatismus von unsern katholisierenden Denkern bestürmt und gehöhnt. Der erfolg davon war, daß in dem gebiet der Kunst und der Philosophie sich ein exzentrischer geist verbreitete, der die Denker und Dichter, welche Deutschlands Kultur im achtzehnten Jahrhundert auf eine hohe Stufe der Bildung emporgehoben, für flache, bodenlose Wesen erklärte. So ward in Deutschland der Keim zu einer Denkart und einer literatur gelegt, für die von den Fichten, Schlegeln, Wernern, Müllern etc. und einem ganzen heere ihnen zu gebot stehender junger Männer, im nördlichen Deutschland mit dem glücklichsten erfolg, ein hoher grad von empfänglichkeit aufgeregt ward. nachdem man in geistiger hinsicht einen gegensatz gegen fremde oder gallische Tyrannei glücklich begründet zu haben wähnte, wollte man auch einen irdischen gegensatz aufstellen, und es ward nun die Deutschheit kräftig und nachdrücklich empfohlen. um beim Volke empfänglichkeit dafür zu finden, wurden Äußerungen vorgebracht, die grundsätze verrieten, welche dem geist der Zeit entgegenzuarbeiten vermögend sind. Deutschland,


150

Die Germanomanie

hieß es, ist vor uralten Zeiten einem Volk anheimgefallen, das sich in hinsicht des charakters, der Denkart, der Sprache und der Sitte von allen andern nationen unterscheidet. Diese individualität, die im laufe der Zeit und durch den gang der Begebenheiten zerrüttet worden, wiederherzustellen und zu erhalten ist der Beruf eines jeden echten Deutschen. hierzu ist nun die erste Bedingung, alles Fremde, von außen her eingewanderte von Deutschlands gauen zu entfernen und Deutschland gleichsam für einen geschlossenen Staat zu erklären. So waren also religion und Vaterland, diese beiden ideen, welche in den Staaten des Altertums die herrschenden Prinzipien ausmachten und deren Stärke und Festigkeit begründeten, in der neuern Zeit von den germanomanen als die lichten Punkte aufgestellt und empfohlen worden, um Deutschland wieder zu Kraft und Ansehen zu bringen. Die Fortschritte, die der menschliche geist in hinsicht seiner Denkart über religion, nationalität und bürgerliche Verfassung gemacht, waren keineswegs berücksichtigt, vielmehr sollte in Deutschland wieder der Zeitgeist des Mittelalters aufleben, wo der Pfaffengeist seine Macht zu üben und das Feudalrecht sein haupt emporzuheben vermochten. Diese Absicht ward von mehreren germanomanen ziemlich klar schon angedeutet. Zum wenigsten verfehlte herr Adam Müller* nicht, dem Mittelalter eine kräftige lobrede zu halten und es in hinsicht seiner Vortrefflichkeit dem unsrigen zum Muster aufzustellen, so wie mehrere germanomanen zur Beförderung echt deutscher gesinnung nicht allein die Verbreitung des Katholizismus als den kräftigsten hebel empfahlen, sondern auch durch den Übergang zu demselben die Aufrichtigkeit ihrer gesinnung erhärteten. unglaublich wirkte diese Tendenz der germanomanen zum Katholizismus auf den großen haufen der Afterdenker und Schwachköpfe. Dies geht ganz natürlich zu. Der Katholizismus, wie er von den germanomanen gehegt und gepflegt wird, hat mehr intensität als der in den katholischen landen herrschende. es zeigt sich in den gesinnungen der germanomanen über die

* in seinem Werke »Die elemente der Staatswirtschaft«.


Die Germanomanie

151

geheimnisvollen lehren des christentums eine Salbung, ein Mystizismus, der sich bei dem wahren Katholiken in dem grade nicht äußert. Dem kalten und unparteiischen Beobachter wird es daher nicht entgangen sein, daß der Protestantismus, der, wie das Wort gleichsam es andeutet, dem Katholizismus entgegenstehen sollte, von den bedeutendsten germanomanen mit der ihnen eignen innigkeit und herzlichkeit so umstrickt wird, die ihn eigentlich von seinem wahren geist entfremdet und ihn gleichsam dem alleinseligmachenden glauben unterordnet. Man könnte den mystischen geist, der jetzt in dem protestantischen Deutschland in hinsicht des christentums sich so lebhaft regt, füglich den idealen Katholizismus nennen, im gegensatz des realen Katholizismus, der im katholischen Deutschland dominiert. Dieser ideale Katholizismus, da er in tieferen regionen des menschlichen gemüts sich entfaltet und daher wirksamer als der reale ist, muß nun da, wo er sich mitteilt, viel nachdrücklicher und bestimmter seinen einfluß behaupten. er ist also weit mehr zu berücksichtigen. Die Anhänger desselben sind gleichsam für ihre Meinung mit einem hohen grad von Fanatismus oder mindestens enthusiasmus eingenommene Wesen, die deren unverletzlichkeit mit Beharrlichkeit behaupten werden, und mag darüber um und neben ihnen der Zustand der Dinge seinem untergang entgegeneilen, so betrachten sie dies als ein geringes opfer ihrer individualität. Für jeden selbst katholischen Staat ist es bedenklich, so gestimmte gemüter in seiner Mitte zu hegen. Befangen von ihrer idealen religiosität, werden sie selbige mit den gesinnungen des Volkes zu assimilieren suchen, und könnten sie endlich herren der Volksstimmung werden, vor welchen die regierung ihre edelsten Pläne nie durchzusetzen vermag, wenn sie diese geistigen Stimmengeber für ihre Absichten nicht zu gewinnen wissen wird. indes dürfte aber in katholischen landen der ideale Katholizismus nicht in so hohem grade wirksam sein oder die Phantasie der Völker ergreifen, weil das Volk daselbst, an symbolische oder zeremoniöse Darstellung der religionswahrheiten gewöhnt, für die ideale oder fanatische Darstellung derselben nicht die dazu erforderliche Tiefe des gemüts innehaben wird.



AnMerKungen


300

Anmerkungen

eisenmenger der Zweite erschienen unter dem Titel: »eisenmenger der Zweite. nebst einem vorangesetzten Sendschreiben an den herrn Professor Fichte in Jena«, Berlin (Verlag carl ludwig hartmann) 1794, 88 S. 8°; neudruck in: Saul Ascher: »4 Flugschriften«, Berlin und Weimar (Aufbau) 1991, S. 5–80. 9

metiri – quemque suo modulo ac pede verum est ] eigentlich »metiri se quemque ...«; aus den Briefen des horaz (i, 7, Vers 98); wörtlich: »Daß jeder sich nach seinem eigenen Maß und Fuß mißt, ist richtig.« Fichte hatte dieses Zitat im »Beitrag zur Berichtigung der urteile des Publikums über die französische revolution« in Kapitel 3 in einer Fußnote gebracht. 11 allegierte ] zitierte. Beitrags zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution ] politische Schrift Johann gottlieb Fichtes, in der dieser die rechtmäßigkeit der Französischen revolution zu beweisen sucht. Sie erschien anonym unter dem Titel: »Beitrag zur Berichtigung der urteile des Publikums über die französische revolution. Beurteilung ihrer rechtmäßigkeit« (o.o. 1793). im dritten Kapitel der Schrift, worin Fichte eigentlich über staatsrechtliche Fragen schreibt, finden sich mehrere Passagen, in denen er seine Abneigung gegenüber Juden und Judentum (als einem Staat im Staate) zum Ausdruck bringt. es sind diese Passagen, mit denen Ascher sich im »eisenmenger« minutiös auseinandersetzt. 12 Kritik aller Offenbarung ] Fichtes »Versuch einer Kritik aller offenbarung« (Königsberg 1792) wurde, in der ersten Auflage anonym erschienen, zunächst für ein Werk immanuel Kants gehalten, an dessen religionsphilosophischen Standpunkten sich Fichte in dieser Schrift, wie Ascher selbst bemerkt, stark orientierte. Bereits ein Jahr später erschien die Schrift dann unter den namen Fichtes (Königsberg 1793). keine Zeile von mir drucken zu lassen, zu welcher ich mich nicht gleich öffentlich bekenne ] Ascher hat später eine Vielzahl von Schriften anonym oder unter Pseudonymen (eodiskus bzw. eodiscus) publiziert.


Eisenmenger der Zweite

301

einer der Sophisten Deutschlands, wie Sie einen Rehberg zu nennen belieben ] August Wilhelm rehberg (1757–1836), Staatsmann und politischer Schriftsteller; rezensierte regelmäßig in der »Allgemeinen literatur-Zeitung« die neuesten Schriften zur Französischen revolution und gab eine Sammlung seiner Texte unter dem Titel »untersuchungen über die Französische revolution« (hannover 1793) heraus. – Fichtes »Beitrag zur Berichtigung« ist auch eine Streitschrift gegen die zeitgenössischen Kritiker der revolution, zu denen rehberg zählt. So schreibt Fichte etwa in der einleitung anläßlich rehbergs (ohne dort aber dessen namen zu nennen): »ich wenigstens verbitte für diese Schrift, wenn sie einer Anzeige würdig sollte befunden werden, das urteil eines empirikers. er wäre richter in seiner eignen Sache. ein spekulativer Denker sei mein richter, oder niemand!« Philosophiegeschichtlich gilt die sophistische Schule als empiristisch (im gegensatz zur spekulativen Akademie Platons); ein urteil, das sich aus ihrer rechtspraxis ableitet und im homo-mensura-Satz des Protagoras ebenso begründet ist wie in den »Dissoi logoi«. Aschers Bemerkung bezieht sich wohl auf eine Stelle im 2. Kapitel der Fichteschen Schrift: »eine solche Veräußerung könnte nur durch Vertrag geschehen sein; das gibt sogar herr rehberg gewissermaßen, und wo er glaubt, daß es keiner merken werde, völlig zu. Sollte jemand noch härter sein, so bitte ich denselben, sich so lange an den Anfang meines ersten Kapitels zu halten, bis ich die allerletzte Sophisterei gegen diesen Satz werde entblößt haben.« 13 Suade ] Beredsamkeit, hier: redeschwall. Prädilektion ] Vorliebe. 14 Katachrese ] unstimmigkeit in sprachlichen Bildern. 15 Zeilen Nathans ] »nathan der Weise«, ii. Akt, 5. Auftritt (Vers 1310f.). Nachfolger eines Eisenmengers ] Johann Andreas eisenmenger (1654–1704) hielt ab 1700 den lehrstuhl für hebraistik in heidelberg. er wurde bekannt durch die Publikation seiner Schrift: »entdecktes Judenthum oder gründlicher und wahrhaffter Bericht, welchergestalt die verstockte Juden die hochheilige Dreyeinigkeit, gott Vater, Sohn und heil. geist erschrecklicher Weise lästern und verunehren, die heil. Mutter christi verschmähen, das neue Testament, die evangelisten und Aposteln, die christliche religion spöttisch durchziehen, und die gantze christenheit auff das äusserste verachten und verfluchen; Dabei noch viel andere,


302

16 17

18

20

Anmerkungen

bißhero unter den christen entweder gar nicht oder nur zum eil bekant gewesene Dinge; Alles aus ihren eigenen und zwar sehr vielen mit grosser Mühe und unverdrossenem Fleiß durchlesenen Büchern mit Ausziehung der hebräischen Worte und derer treuen ubersetzung in die Teutsche Sprach kräfftiglich erwiesen und in Zweyen eilen verfasset, deren jeder seine behörige, allemal von einer gewissen Materie außführlich handelnde capitel enthält; allen christen zur treuhertzigen nachricht verfertiget und mit vollkommenen registern versehen« (Frankfurt a.M. 1700). unmittelbar nach seiner Publikation wurde das Buch von leopold i. verboten und erlebte zunächst nur in Königsberg, das außerhalb des Deutschen reichs lag, eine weitere Auflage (1711), bevor es 1751 auch innerhalb des reichs wieder aufgelegt werden durfte. Die neuauflage war von großer Wirkung und prägte die weitere entwicklung des antisemitischen Denkens nachhaltig. Speziell der Anspruch der Schrift, ein wahres Wesen des Judentums zur Darstellung gebracht zu haben, das im gegensatz zu seiner erscheinung erst noch entdeckt werden mußte, kann als Prototyp späterer eorien über die verborgenen Zusammenhänge und Aktivitäten des »Weltjudentums« gesehen werden. Antidot ] gegenmittel. Lyzeums ] lehranstalt. Prolegomena ] vorausgeschickte rede, Vorwort. Das neuentdeckte Judentum ] gemeint ist das »entdeckte Judenthum« von eisenmenger (siehe oben). Jesum Christum ] Akkusativ von Jesus christus. Apologen ] Apolog: lehrreiche Fabel (vgl. hegels Vorlesungen über die Ästhetik ii, iii, 2, c). Möglicherweise wird der Ausdruck von Ascher hier auch einfach im Sinne von »Apologeten« gebraucht. seine goldene Regel [...] metiri ] siehe Anm. zu S. 9. Staat im Staate ] Der Vorwurf gegen die Juden, einen Staat im Staat zu bilden, wurde in den achtziger Jahren des 18. Jahrhundert in den antisemitischen Streitschriften geläufig. erstmals taucht die Formel bei Johann heinrich Schulz auf (»Philosophische Betrachtung über eologie und religion überhaupt und über die jüdische insonderheit«, Frankfurt und leipzig 1784). Scholiasten ] Verfasser von Scholien (vom griech. σχόλιον); das sind randglossen oder Kommentare; in der Antike eine weitverbreitete gattung zur erläuterung alter, nicht mehr ohne weiteres verständlicher Texte; als wissenschaftliche Disziplin zuerst von


Eisenmenger der Zweite

21

24 25 26

303

den alexandrinischen Schriftgelehrten eingeführt. Ascher gebraucht den Begriff ironisch, indem er seine polemischen Kommentare als Scholien ausgibt. Introitus ] eröffnung. Die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft ] immanuel Kant: »Die religion innerhalb der grenzen der bloßen Vernunft« (Königsberg 1793). – in dieser Spätschrift begibt sich Kant auf die Suche nach den Wurzeln von Menschlichkeit und gesittung. er folgt hobbes in dem anthropologischen grundsatz, daß der Mensch von natur böse sei, sieht aber in der geschichte einen fortdauernden gegensatz zwischen der bösartigen naturverfassung und den gutartigen Moralansprüchen des Menschen; der Mensch befindet sich also in einem ständigen Kampf gegen sich selbst, und die religion ist ihm ein Mittel, seinen Werdegang vom natürlichen zum moralischen Wesen zu vollziehen. Sie wird daher zum ursprung des Sittlichen, und in ihrer organisierten Form – der Kirche – ist sie ein ethisches gemeinwesen, das den Menschen aus ihrem grundzustand – dem Krieg aller gegen alle – heraushelfen kann. Zugleich muß die religion allerdings ein Potential zur Moral haben, was Kant im christentum gegeben sieht, denn Schuld zu empfinden sei die Voraussetzung zur Bildung von Moral und die christliche religion daher der inbegriff der von Kant postulierten Vernunftreligion. Ascher bezieht sich, wenn er Kants Schrift an dieser Stelle ins Spiel bringt, auf dessen Äußerungen zum Judentum, gegen das Kant Spinozas allgemeine religionskritik (siehe Anm. zu S. 165) zur Anwendung bringt. Dem Judentum fehlen demnach zwei eigenschaften, die das christentum besitzt: zum einen die organisierte Form, weil es über keine einheitliche Kirche verfügt (und somit kein »ethisches gemeinwesen« werden könne), und zum anderen die innere Möglichkeit zur entwicklung der Moral, weil der gedanke der Schuld erst durch das christentum ausgebildet worden sei, die jüdischen gesetze dagegen bloß angeordnet und politisch begründet sind; es fehle dem jüdischen glauben somit die moralische gesinnung, die bei Kant erzeugnis des freien Willens ist. Geistliche, welcher sich nicht an gewisse Lehrformeln hält ] bezieht sich auf das Wöllnersche religionsedikt (siehe Anm. zu S. 199). Statistik ] hier: Staats- und länderkunde. sein liebes Ich ] Anspielung auf das ich als zentralem Begriff in Fichtes »grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« (leipzig 1794).


Die Germanomanie

311

Die germanomanie erschienen unter dem Titel: »Die germanomanie. Skizze zu einem Zeitgemälde«, Berlin (Achenwall & comp.) 1815, 70 S. 8°; neudruck in: Saul Ascher: »4 Flugschriften«, Berlin und Weimar (Aufbau) 1991, S. 191–232. 141 Germanomanie ] Mit der Bezeichnung »germanomanie« findet Ascher einen konzisen Ausdruck für die politische Bewegung, die aus dem Kampf gegen die Besetzung Deutschlands durch napoleon entstanden war und die man mit Begriffen wie nationale Befreiungsbewegung, Deutschtümelei, völkischer nationalismus u.ä. zu bezeichnen versucht hat. Der verneinende charakter der Bewegung äußert sich nicht zuletzt in der ideologischen Disparität ihrer konkreten Ziele: Deutschtümelei, Franzosenhaß, liberalismus, Anti-etatismus, Antisemitismus, Demokratie, ständische Verfassung und gegen-Aufklärung u.a. ihren politischen Körper hatte die germanomanie v.a. in den Burschenschaften und in der Turnbewegung. Bereits während der französischen Besatzung bilden die germanomanen ihr theoretisches Fundament aus und können dabei auf Dichter des 18. Jahrhunderts zurückgreifen, wie z.B. Johann elias Schlegel, Justus Möser, Klopstock, gleim, Voß, die Stolberg-Brüder und vor allem Wilhelm Friedrich von Meyern (mit seiner »Dya-na-Sore«, 1787–89). Johann gottlieb Fichte hält 1808 seine »reden an die deutsche nation«, Friedrich ludwig Jahn legt 1810 sein »Deutsches Volksthum« vor, und ernst Moritz Arndts entwickelt 1813 in »Über Volkshaß und den gebrauch einer fremden Sprache« eine grundlegende eorie des nationalismus. Als weitere Köpfe der Bewegung wären etwa Friedrich rühs, lorenz oken, heinrich luden, Friedrich Wilhelm carové, Karl Follen, Jakob Friedrich Fries, Friedrich Friesen, eodor Körner und hans Ferdinand Maßmann zu nennen. Bemerkenswert ist, daß die germanomanie ihre volle und bedrohlichste Aktivität erst in der Zeit nach dem Sieg über napoleon entfaltet, bis sie schließlich – nach dem Wartburgsfest (1817), dem Kotzebue-Mord und den hep-hepunruhen (1819) – von den regierungen des Deutschen Bundes zerschlagen wird.


312

Anmerkungen

143 wir stehen wieder auf dem Punkt, von welchem vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren die Menschheit ausgegangen ] Vom erscheinungsjahr der Schrift »ungefähr« 25 Jahre zurückgerechnet, ergibt sich 1789, das Jahr der Französischen revolution. 144 transzendentalen Idealisten ] Friedrich Wilhelm Schelling: »System des transzendentalen idealismus« (Tübingen 1800); philosophisches hauptwerk des frühen Schelling. Wie später noch deutlich wird (siehe S. 161), ordnet Ascher den transzendentalen idealismus Fichte zu. Dies mag sich, wenn nicht als irrtum, vielleicht aus der Meinung erklären, daß der idealismus seit Kant stets transzendental sei, und insofern Fichte die Frage nach der Möglichkeit von erkenntnis immerhin stellt, ließe auch seine Philosophie sich als transzendentaler idealismus bezeichnen. Anhänger des Identitätssystems ] Das System der identität geht auf Schellings »Darstellung meines Systems der Philosophie« (»Zeitschrift für spekulative Physik«, 1801) zurück, der zufolge idealismus und realismus im Absoluten zusammenfallen, wodurch ihre Verbundenheit mit der Transzendentalphilosophie Schellings deutlich wird. Buchholz ] siehe Anm. zu S. 114. 145 allmähliche Einführung eines Oberhaupts ] bezieht sich auf die Machtergreifung napoleons auf der nationalversammlung am 18. Brumaire des republikanischen Kalenders (9. november 1799), seine sukzessive Machtausweitung als erster Konsul und seine schließliche Krönung zum Kaiser (2. Dezember 1804). 146 das protestantische Christentum zu einer Idealität gesteigert, die es der Richtung des Katholizismus näher brachte ] z.B. in den lutherDarstellungen bei Zacharias Werner (»Martin luther oder die Weihe der Kraft«, Berlin 1807) und Kleist (»Michael Kohlhaas«, Berlin 1808). eine religiöse Geistesrichtung, die gleichsam dem Katholizismus huldigte ] neben den Brüdern Schlegel und ihren zahlreichen Äußerungen zugunsten des Katholizismus wäre hier v.a. novalis zu nennen, der – als Angehöriger der protestantischen Konfession – in seinem Fragment »Die christenheit oder europa« (1799) das katholische Mittelalter mit höchstem lob bedenkt, während der Protestantismus allenfalls als Ausdruck der Krise eine Art Berechtigung erhält. Der gleichfalls protestantische Tieck legte mit »Franz Sternbalds Wanderungen« (Berlin 1798) einen roman vor, in dem der Katholizismus als das wahre ideal der Kunst ausgestellt


Die Germanomanie

313

ist. Von gleicher Tendenz sind Wackenroders »herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« (Berlin 1796), deren Verfasser ebenfalls protestantischer Konfession war. der Katholizismus in mehreren Anhängern an dieselbe laute Bekenner und Proselyten erhielt ] Ascher beschreibt einen damals noch nicht abgeschlossenen Vorgang; in der Zeit der Abfassung der »germanomanie«, 1815, waren bereits zum Katholizismus konvertiert: Adam Müller (1805), Friedrich Schlegel (1808), Zacharias Werner (1811), Friedrich August von Klinkowström (1814). Später sollten clemens Brentano (1817), Karl ludwig von haller (1820) und Joseph görres (1821) folgen. Auch August Wilhelm Schlegel galt, obwohl er sich trotz Sympathien nie zu einem eindeutigen Bekenntnis durchringen konnte, damals häufig als dem Katholizismus zugehörig. Friedrich von gentz erging es ähnlich, da er – obgleich nie konvertiert – in seiner Publikationstätigkeit und seiner politischen Arbeit für Metternich oft die gelegenheit nutzte, im Sinne des Katholizismus zu wirken. Tiecks frühe neigung zum Katholischen läßt sich eher als ästhetisch motiviert verstehen; Wackenroder und novalis kam möglicherweise ihr früher Tod einer Konversion zuvor. 147 Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Fichte [...] seine Schüler und Verehrer gegen Judentum und Juden losgestürmt ward ] Fichtes »Beitrag zur Berichtigung der urteile des Publikums über die französische revolution« wurde 1793 publiziert; er steht allerdings nicht singulär, sondern ist eingebettet in ein ensemble von aufklärerisch-religionskritischen bis hin zu offen antisemitischen Stellungnahmen gegen das Judentum, die man als Bestandteil der damaligen Debatte zwischen Aufklärung und christlicher orthodoxie oder auch als reaktion auf das 1782 erlassene Toleranzedikt Josephs ii. verstehen kann. insbesondere Dohms emanzipationsschrift (siehe Anm. zu S. 162) rief starke reaktionen hervor. in diesen Zusammenhang gehören etwa ignatz Klingler: »Über die unnütz- und Schädlichkeit der Juden im Königreiche Böhmen und Mähren« (Prag 1782), Johann David Michaelis: »Über die bürgerliche Verbesserung der Juden von christian Wilhelm Dohm« (in: »orientalische und exegetische Bibliothek« 19/1782), Friedrich Traugott hartmann: »untersuchung ob die bürgerliche Freiheit der Juden zu gestatten sei« (Berlin 1783), Johann heinrich Schulz: »Philosophische Betrachtung über eologie und religion überhaupt und über die jüdische insonderheit«


314

Anmerkungen

(Frankfurt und leipzig 1784), Johann gottfried herder: »hebräer« (in: »ideen zur Philosophie der geschichte der Menschheit. Dritter Teil«, Karlsruhe 1790), Karl Wilhelm Friedrich grattenauer: »Über die physische und moralische Verfassung der heutigen Juden. Stimme eines Kosmopoliten« (leipzig 1791), immanuel Kant: »Die religion innerhalb der grenzen der bloßen Vernunft« (Königsberg 1793) oder ernst Traugott Kortum: »Über Judentum und Juden, hauptsächlich in rücksicht ihres einflusses auf bürgerlichen Wohlstand« (nürnberg 1795). – Dem 1791 beschlossenen Bürgerrecht für Juden in Frankreich (siehe Anm. zu S. 113) kann man ebenfalls eine gewisse Wirkung auf die deutschen Publikationen zuschreiben; Fichte erörtert 1793 die Frage nach der Stellung der Juden im Staat im Zusammenhang mit den französischen Vorgängen. inwiefern der ihm folgende Antisemitismus hauptsächlich, wie Ascher schreibt, auf Fichtes »Schüler und Verehrer« zurückzuführen ist, läßt sich schwer ermitteln; deutlicher ist der Zusammenhang mit der politischen entwicklung in Deutschland. Die emanzipation der Juden in den meisten deutschen Territorialstaaten, die zwischen 1800 und 1812 vollzogen wird, löst in derselben Zeit eine Welle von judenfeindlichen Schriften aus, die Ascher bei seiner Äußerung offenbar im Blick hat. Diese Welle (1803–04) wurde auf Weisung hardenbergs (im September 1803) unterbunden. Bemerkenswert ist, daß der Antisemitismus in den Kreisen, auf die Ascher mit seiner »germanomanie« abzielt, bis auf wenige Ausnahmen (görres, Schleiermacher) erst um 1811 herum einsetzt. Die Judenfeindlichkeit der christlich-deutschen Tischgesellschaft (siehe unten) kann als reaktion auf das in Vorbereitung befindliche Judenedikt von Preußen (siehe Anm. zu S. 164) gesehen werden, und der Antisemitismus wird in dieser Zeit fast allgemeingültig für die romantik und die germanomanische Bewegung, welche beiden Strömungen von Ascher, wie seine Überlegungen zum Katholizismus zeigen, als zusammenhängend gedacht werden. Die gesamtdeutsche emanzipation der Juden wird 1814 am Widerstand Frankfurts und der hansestädte scheitern (siehe Anm. zu S. 209). in den hep-hep-unruhen in der zweiten hälfte des Jahres 1819 kulminiert die antisemitische Bewegung und findet durch die Maßnahmen der Karlsbader Beschlüsse (sie Anm. zu S. 267) ihren vorläufigen Abschluß. Zugleich ist das Jahr 1819 auch die vorläufige ideologische Kulmination, als mit hartwig von hundt-


Die Germanomanie

315

radowsky der unversöhnlichste und radikalste Judenfeind dieser epoche sich öffentlich bemerkbar macht. Zu den (hauptsächlich oder beiläufig) judenfeindlichen Schriften des beginnenden 19. Jahrhunderts gehören: Friedrich Daniel ernst Schleiermacher: »Über die religion. reden an die gebildeten unter ihren Verächtern« (Berlin 1799), Ders.: »Briefe bei gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer hausväter« (Berlin 1799), christian ludwig Paalzow: »Die Juden nebst einigen Bemerkungen über das Sendschreiben an herrn Probst Teller zu Berlin« (Berlin 1799), [Anonym]: »Die Juden in Deutschland und deren Annahme zu reichs- und Provinzialbürgern. gedanken durch den neuerlichen Antrag des churböhmischen gesandten zu regensburg, ›den Juden das Bürgerrecht zu ertheilen‹ veranlaßt« (heilbronn 1803), Karl Wilhelm Friedrich grattenauer: »Wider die Juden. ein Wort der Warnung an alle unsere christliche Mitbürger« (Berlin 1803), Ders.: »erklärung an das Publikum über meine Schrift: Wider die Juden« (Berlin 1803), Ders.: »erster nachtrag zu seiner erklärung über seine Schrift: Wider die Juden« (Berlin 1803), [Anonym]: »Können die Juden ohne nachtheil für den Staat bei ihrer jetzigen Verfassung bleiben?« (Berlin 1803), [Anonym]: »Auch ein Wort wider die Juden. Veranlaßt durch des herrn Justiz-commissarii grattenauer Schrift: Wider die Juden. Von einem praktischen geschäftsmann, der merkwürdige jüdische Schwindeleien erfahren hat« (Berlin 1803), Friedrich Buchholz: »Moses und Jesus, oder über das intellektuelle und moralische Verhältnis der Juden und christen« (Berlin 1803), christian ludwig Paalzow: »Tractatus historico-politicus de civitate judaeorum« (Berlin 1803; übersetzt: leipzig 1804), Ders.: »Der Jude und der christ. eine unterhaltung auf dem Postwagen« (Berlin 1804), Joseph rohrer: »Versuch über die jüdischen Bewohner der österreichischen Monarchie« (Wien 1804), Julius von Voß: »Der travestirte nathan der Weise. Posse in zwey Akten« (Berlin 1804), Karl Friedrich Müchler: »Taschenbuch für die Kinder israels oder Almanach für unsere leute« (Berlin 1804), Friedrich Buchholz: »untersuchungen über den geburtsadel und die Möglichkeit seiner Fortdauer im neunzehnten Jahrhundert« (Berlin und leipzig 1807), Joseph görres: »Schriftproben von Peter hammer« (1808), Achim von Arnim: »Über die Kennzeichen des Judentums« (rede der christlichdeutschen Tischgesellschaft, gehalten März oder April 1811),


316

Anmerkungen

clemens Brentano: »Der Philister vor, in und nach der geschichte. Scherzhafte Abhandlung« (rede der christlich-deutschen Tischgesellschaft, gehalten März 1811, gedruckt Berlin 1811), Adam Müllers Abschiedsrede (der christlich-deutschen Tischgesellschaft, gehalten am 18. Juni 1811), ernst Moritz Arndt: »Blick aus der Zeit auf die Zeit« (germanien [sic!] 1814), Ders.: »noch ein Wort über die Franzosen und über uns« (o.o. 1814), Friedrich rühs: »Über die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht« (1815) – Auch nach der »germanomanie« riß die dichte Folge der antisemitischen Schriften nicht ab; in opposition zum Wiener Kongreß und in Ablehnung der entwicklungen, die das regiment napoleons bewirkt hatte, trachteten verschiedene Kreise der völkischen Bewegung danach, die emanzipation der Juden rückgängig zu machen. heinrich luden (»nemesis«) und lorenz oken (»isis«) machten ihre Zeitschriften zu Plattformen antisemitischer Autoren und Karikaturenzeichner. ein besonderes Kapitel bildet der Streit um das Frankfurter Bürgerrecht, in dessen Verlauf eine hohe Anzahl von Schriften in Auftrag gegeben wurden, die der Beeinflussung der öffentlichen Meinung dienten: [Anonym]: »Was soll bei der neuen Verfassung aus den Juden werden?« (o.o. o.J. [1815]), georg Friedrich Karl robert: »Kurze erledigung des sogenannten nachtrags zu der an die hohe Teutsche Bundesversammlung gerichtete Beschwerdeschrift der Frankfurter Judenschaft« (Frankfurt 1817) u.v.a. Zu den einflußreichsten Schriften zwischen 1815 und 1819 gehören: Jacob Friedrich Fries: »Über die gefährdung des Wohlstandes und des charakters der Deutschen durch die Juden« (zuerst in: »heidelbergische Jahrbücher der literatur« 1816; später als Separatdruck: heidelberg 1816), Friedrich rühs: »Die rechte des christenthums und des deutschen Volks, vertheidigt gegen die Ansprüche der Juden und ihrer Verfechter« (Berlin 1816), Friedrich carl von Savigny: »Stimmen für und wider neue gesetzbücher« (in: »Zeitung für rechtswissenschaft« 1816), heinrich eberhard gottlob Paulus (hrsg.): »Beiträge von jüdischen und christlichen gelehrten zur Verbesserung der Bekenner des jüdischen glaubens« (Frankfurt 1817), [christian ludwig Paalzow]: »helm und Schild. gespräche über das Bürgerrecht der Juden« (Berlin 1817), ludolph holst: »Über das Verhältnis der Juden zu den christen in den deutschen handelsstädten« (leipzig 1818), garlieb helwig Merkel: »Über Deutschland, wie ich es nach einer zehnjährigen


Die Germanomanie

317

entfernung wiederfand« (riga 1818), hartwig von hundt-radowsky: »Judenspiegel – ein Schand- und Sittengemälde alter und neuer Zeit« (1819). 148 deutsche christliche Gesellschaft ] christlich-deutsche Tischgesellschaft; von Achim von Arnim und Adam Müller am 18. Januar 1811 in Berlin gegründeter politischer Verein zur Beförderung nationaler Tendenzen, des christentums sowie des Antisemitismus. unter den insgesamt 86 Mitgliedern finden sich viele bekannte namen, von denen nicht wenige im Zusammenhang mit der von Ascher beschriebenen Bewegung der germanomanie aufschlußreich sind: Brentano, Kleist, Fichte, Dohna, clausewitz, iffland, Staegemann, Zelter, reichardt, reimer, Schinkel, Schleiermacher, Solger, eichhorn, Savigny, Bernhardi und Friedrich August Wolf. Zum Sitzungsbetrieb der gesellschaft gehörte das Vortragen polemischer und satirischer reden gegen die erklärten Feindbilder. Von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren Franzosen, Juden, Frauen und »Philister«. Die gesellschaft bestand bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts hinein. – Aschers Behauptung einer geistigen Verwandtschaft der Tischgesellschaft mit dem Tugendbund erregte das Mißfallen ihrer Mitglieder. Am 5. Dezember 1815 schreibt Arnim an Savigny: »Beelitz [...] sollte dem S Ascher einen Proceß im namen der deutschen gesellschaft an den hals hängen, das machte viel Spas«; ebenfalls am 5. Dezember hatte Kunigunde von Savigny ihrer Schwester Bettina von Arnim geschrieben: »Die sämtliche gesellschaft will gegen Aschers Anklage einkommen«. Karl ludwig Beelitz war seit 1815 der Kriminaldirektor des Berliner Stadtgerichts. Der Philister vor, in und nach der Geschichte ] clemens Brentano: »Der Philister vor, in und nach der geschichte. Scherzhafte Abhandlung« (Berlin 1811); rede, die 1811 auf der Märzsitzung der christlich-deutschen Tischgesellschaft gehalten wurde. neben antiphiliströser Polemik enthält die rede antisemitische Passagen, wobei in ihr beide gruppen voneinander ausgeschlossen werden (»Kein Jude kann ein Philister sein«). deutschen Tugendbund ] Tugendbund; politischer geheimbund in Preußen mit deutsch-patriotischer, antifranzösischer Ausrichtung, der infolge des Friedens von Tilsit (siehe Anm. zu S. 201) als »sittlich-wissenschaftlicher Verein« im Frühjahr 1808 gegründet wurde. Die Quellenlage gibt für präzise Feststellungen wenig her. Die idee zur gründung des Vereins wird heinrich Karl ludwig Bar-


318

Anmerkungen

deleben (1775–1852) zugeschrieben. Spiritus rector des Kreises war vermutlich Karl Freiherr vom Stein. insgesamt zählte der Bund um die 400 Mitglieder, deren bekannteste wohl niebuhr, Scharnhorst, gneisenau und Schill waren. Der Bund wurde durch Friedrich Wilhelm iii. am 31. Dezember 1809 aufgelöst. Die von Ascher vermutete Verbindung zur christlich-deutschen Tischgesellschaft ist schon aufgrund der geringen Schnittmenge der Mitglieder schwer nachweisbar. Der Tugendbund erhielt seinen Zulauf stärker aus dem preußischen offiziers-Milieu, während die Tischgesellschaft hauptsächlich aus Angehörigen der literarischen intelligenz bestand. Herr Schmalz ] eodor Anton heinrich von Schmalz (1760– 1831), rechtswissenschaftler und erster rektor der Berliner universität, die in Folge des Verlustes der universitätsstadt halle 1810 gegründet wurde. Seine Schrift »Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturischen chronik für das Jahr 1808. Über politische Vereine« (Berlin 1815), in der Schmalz u.a. die deutschnationale Bewegung angriff und die existenz politischer Bünde (etwa des Tugenbundes) in Preußen konstatierte, erregte von seiten der Bewegung starken Widerspruch. Zu den repliken gehören Schleiermacher: »An den herrn geheimenrath Schmalz. Auch eine recension« (Berlin 1815), niebuhr: »Über geheime Verbindungen im preußischen Staat, und deren Denunciation« (Berlin 1815), rühs: »Das Märchen von den Verschwörungen« (Berlin 1815), carl Wilhelm Koppe: »Die Stimme eines Preußischen Staatsbürgers in den wichtigsten Angelegenheiten dieser Zeit« (Köln 1815), ludwig Wieland: »Bemerkungen gegen die Schrift des geheimrath Schmalz zu Berlin über politische Vereine« (erfurt 1815), christian gottfried Körner: »Stimme der Warnung bey dem gerücht von geheimen politischen Verbindungen im preußischen Staate« (Berlin 1815), Friedrich Förster: »Von der Begeisterung des preußischen Volkes im Jahr 1813 als Vertheidigung unseres glaubens« (Berlin 1816), Wilhelm Traugott Krug: »Das Wesen und Wirken des sogenannten Tugend Bundes und andrer angeblichen Bunde« (leipzig 1816) sowie vier anonym erschienene Schriften: »Wenige Worte vom untugendbund, in Bemerkungen zu der Schrift des herrn geheimen raths Schmalz über politische Vereine, und deren recension in allgemeinen Zeitung, September 1815« (Westteutschland 1815), »gegen den geheimen rath Schmalz zu Berlin wegen seiner jüngst herausgegebenen Worte


Die Germanomanie

319

über politische Vereine« (leipzig und Altenburg 1815), »Die neuen obscuranten im Jahre 1815. Dem herrn geheimen rath Schmalz in Berlin und dessen genossen gewidmet« (leipzig und Altenburg 1815) und »Darstellung des unter dem namen des Tugendbundes bekannten sittlich-wissenschaftlichen Vereins nebst Abfertigung seiner gegner« (Berlin und leipzig 1816). – Schmalz hat zweimal dupliziert: »Über des herrn B.g. niebuhrs Schrift wider die meinige, politische Vereine betreffend« (Berlin 1815) und »letztes Wort über politische Vereine« (Berlin 1816). – Am 6. Januar 1816 erließ Friedrich Wilhelm iii. eine Verordnung, wonach Schmalz’ Publikation verboten war und jede weitere Diskussion darüber zu unterlassen sei. sogar die Sprache der Franzosen sollte aus Deutschlands Marken verbannt sein ] bezieht sich auf die Sprachtümelei der germanomanischen Bewegung, dargelegt u.a. in Schriften von Jahn (»Deutsches Volksthum«, lübeck 1810) und Arndt (»Über Volkshaß und über den gebrauch einer fremden Sprache«, leipzig 1813; »entwurf einer teutschen gesellschaft«, Frankfurt a.M. 1814). Der eigentliche Begründer dieser richtung ist Fichte, der in seinen »reden an die deutsche nation« (Berlin 1808) die eorie entwickelte, daß die Deutschen – im gegensatz zu den sprachlich durch die römer beeinflußten Franzosen – ein »urvolk« mit einer »ursprache« geblieben seien. es ist dieser sprachliche gegensatz, aus dem Fichte eine unversöhnlichkeit und überhistorische geltung des hasses zwischen Franzosen und Deutschen ableitet. der lauteste Germanomane [...] eine vollständige Philippika ] ernst Moritz Arndt, der von den Köpfen der Bewegung zwischen 1812 und 1815 die meisten politische Schriften publiziert hatte; die Schrift, die Ascher in der Anmerkung als »Über Preußens Marken und deutsche Bundes-Festungen am rhein« angibt, ist offenbar Arndts »Über Preußens rheinische Mark und über Bundesfestungen« (o.o. 1815). 149 die schöne Richtung, in welcher Zollikofer, Spalding und Teller ] georg Joachim Zollikofer (1730–1788), eologe; Johann Joachim Spalding (1714–1804), Probst von Berlin; Wilhelm Abraham Teller (1734–1804), eologe. – gemeint ist die neologische richtung der protestantischen eologie, die sich im 18. Jahrhundert – auf die Anschauungen von leibniz und Wolff stützend – gebildet hatte und deren gedanklicher Kern in einer Vermittlung zwischen dem Vernunftglauben (Deismus) und dem


320

150

152

154 155

156

Anmerkungen

offenbarungsgedanken besteht; insofern steht sie der Aufklärung nahe und der lutherischen orthodoxie (siehe Anm. zu S. 199) entgegen. Weitere Vertreter der richtung sind Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789) und August Friedrich Wilhelm Sack (1703–1786). ein exzentrischer Geist verbreitete [...] für flache, bodenlose Wesen erklärte ] zum Beispiel in den Angriffen der Schlegel-Brüder auf Wieland und Schiller. Wernern ] Zacharias Werner. Müllern ] Adam Müller. in seinem Werke »Die Elemente der Staatswirtschaft« ] Ascher vermischt offenbar die Titel zweier Schriften Adam Müllers: »Die elemente der Staatskunst« (Berlin 1809) und »Die eorie der Staatshaushaltung und ihre Fortschritte in Deutschland und england seit Adam Smith« (Wien 1812). gemeint ist wohl erstere. Müller fordert darin, »daß jede wahre Spur des Mittelalters und jedes Monument in gesetzen, Sprache, Sitten und Kunst aus jener reichen ahnungsvollen Zeit ferner erhalten werde«. Epopten ] wörtlich: Zuschauer oder Aufseher; historisch: eingeweihte der eleusinischen Mysterien. Präeminenz ] naturgemäße Vorzüglichkeit. St. Pierre und Mably ] Abbé de Saint-Pierre (1658–1743), gabriel Bonnot de Mably (1709–1785). literarischen Kongreßadepten ] gemeint sind die eoretiker der germanomanischen Bewegung; der Kongreß ist der Wiener Kongreß, dessen ergebnisse die Zeit, in der die »germanomanie« entstanden ist, regierten. Die Bezeichnung Adepten ist ironisch; Ascher zielt damit, wie der folgende Absatz zeigt, auf die haltung ab, in der viele Deutschtümler nach dem Sieg über napoleon sich als öffentliche politische ratgeber der deutschen Bundesstaaten versuchten. Kongreßverhandlungen, die in Wien und Paris abgehalten worden sind ] Der Pariser Frieden (Mai 1814) markiert das ende der Koalitionskriege (siehe Anm. zu S. 97) und ging dem Wiener Kongreß (September 1814 bis Juni 1815) voraus, auf dem das neue Verhältnis der europäischen großmächte definiert und die Bildung der heiligen Allianz (siehe Anm. zu S. 281) vorbereitet wurde. Ökonomisten ] damals übliche Bezeichnung für die Physiokraten. historisch stellt der Physiokratismus, mit seinen hauptvertretern Quesnay und Turgot, nach dem Monetarismus (gresham, Bodin,


29.90 EUR [D] ISBN 978-3-940884-27-5


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.