Rita Miljo ZuM Affen weRden
Aufgeschrieben von Michael C. Blumenthal Aus dem Amerikanischen von Christine Maier-Rezic
Rita Miljo
ZuM Affen weRden der Kampf um die Paviane Südafrikas
Verlag André Thiele
die englische Vorlage ist nur teilveröffentlicht. die deutschsprachige Ausgabe weicht im einvernehmen mit den beiden Autoren deutlich von der englischen Vorlage ab und wurde durch einen nachruf auf Rita Miljo ergänzt. den nachruf hat Christophe fricker übersetzt.
für das unveröffentlichte englische Original: © Rita Miljo und Michael C. Blumenthal 2008, 2012 für die deutschsprachige Ausgabe: © VAT Verlag André iele, Mainz am Rhein 2012 fotos: © Benjamin weinkauf/BILd umschlag: Inka Heerde druck und Bindung: CPI ebner & Spiegel, ulm Satz: felix Bartels, Osaka Alle Rechte vorbehalten. www.vat-mainz.de isbn 978-3-940884-80-0
RITA MILJO (1928–2012)
einen Tag, nachdem Sie uns die vorliegende Version dieses Buches zum druck freigegeben hatte, starb Rita Miljo am 27. Juli 2012 zusammen mit dem Pavianweibchen Bobby, das sie 27 Jahre zuvor gerettet hatte, und zwei weiteren Pavianen bei einem Brand auf der Auswilderungsfarm von C.A.R.e. Ihr tragischer Tod fand weltweite Beachtung. die ursache des Brandes ist bis heute ungeklärt. dieses Buch ist ihrem Andenken gewidmet. »Rita Mijo war die Mutter Teresa der Paviane.« New York Times
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eInLeITung
es ist ein weiter weg von den Straßen, in denen sich früher das deutsch-jüdische ghetto washington Heights von new York City befand, zum Bushveld der im norden Südafrikas gelegenen Provinz Limpopo. es gehört außerdem einiges dazu, als Sohn deutsch-jüdischer einwanderer, die Hitlers Öfen nur mit letzter not entkamen, mit einer frau befreundet zu sein, die früher Mitglied im Bund deutscher Mädel (BdM) der Hitlerjugend war. und es ist vermutlich sogar eine noch größere wegstrecke vom Stadtjungen, der sich vor Kakerlaken und Mäusen fürchtet, zum Mann mittleren Alters, der mit einem Pavian namens dennis an der Brust kuschelt und der dessen Schwester Maggie die Pflege seines Brusthaars und zwei weiteren Pavianen, Sabrina auf der linken Schulter und Tortilla auf dem Kopf, den übrigen Körper zur fellpflege überläßt. doch genau in dieser Lage fand ich mich im Mai 2007. Rita Miljo und ihre Paviane sind der grund dafür. Ich verliebte mich in Rita Miljo, so wie viele Schwärmereien beginnen, im fernsehen, während ich eine Serie mit dem Titel »findelkinder: Paviane« auf AnIMAL PLAneT verfolgte. Rita ist kein Pavian, soviel steht fest, obwohl es mich nicht überraschen würde, wenn ich erführe, daß sie in einem 7
früheren Leben einer war. Rita ist heute eine 80jährige frau mit dem elan einer 16jährigen und der entschlossenheit eines Tornados. Sie ist nicht sonderlich angetan von uns Menschen. Aber sie liebt Paviane und hat einen großen Teil ihres komplexen und faszinierenden Lebens ihrem Schutz gewidmet. da gab es etwas an Rita Miljo, das mich sofort, schon als ich im fernsehen ihr gesicht das erste Mal sah und ihre Stimme hörte, und um so mehr, als ich sie dann persönlich kennenlernte, an eine Mischung aus der deutschen filmemacherin Leni Riefenstahl und der amerikanischen Malerin georgia O’Keefe erinnerte. Vielleicht war es die in die Jahre gekommene Schönheit oder der charaktervolle Ausdruck ihres gesichtes, vielleicht die Ausstrahlung eines eisernen willens verbunden mit einer grimmigen entschlossenheit und furchtlosigkeit, vielleicht auch ihre stark Sabra-artige Persönlichkeit – die an den berühmten israelischen wüstenkaktus erinnert, nach dem dort geborene frauen oft benannt sind: außen hart und dornig, innen süß und saftig. Irgendwo unter diesem ruppigen und einschüchternden Äußeren, da war ich mir sicher, lag eine gewisse Süße. was auch immer es war, ich wußte von Anfang an, daß ich sie treffen und kennenlernen wollte. und dann, als ich ihr tatsächlich gegenüberstand, wurde mir, zum ersten Mal in meinem Leben als Schriftsteller klar, daß ich nicht über mich, sondern über einen anderen ein Buch schreiben wollte. 8
diese einzigartige und mutige frau – ihre Arbeit, ihre geschichte, ihre welt, ihre Art, das Leben zu sehen – verdiente es, einem größeren Publikum vorgestellt zu werden. Als ich Rita und ihre Paviane in AnIMAL PLAneT sah und begriff, daß auch ich bei der Arbeit mit diesen Primaten mithelfen könnte, griff ich einfach zum Telefon und wählte Ritas nummer. Kaum fünf Monate später landete das kleine flugzeug, das mich von Johannesburg nach Limpopo, der nördlichsten Provinz Südafrikas, brachte, auf der einzigen Landebahn des winzigen flughafens von Phalaborwa. 1989 hatte Rita ihre Stiftung Center for Animal Rehabilitation and education (C.A.R.e.) auf dem fünfzig Hektar großen flecken afrikanischen Buschlands gegründet, das sie in Limpopo gekauft hatte. der Rest ist, wie die Paviane vielleicht sagen würden, wenn sie könnten, geschichte. und es war diese geschichte – Ritas und meine –, die uns überhaupt erst zusammengebracht hat, an vielen südafrikanischen winterabenden, in einem Zimmer: einen 58jährigen amerikanischen dichter mit deutsch-jüdischen wurzeln aus new York, der von eltern aufgezogen wurde, die Hitlers Schergen nur knapp entwischt waren, und ein 77jähriges ehemaliges Mitglied der Hitlerjugend, das als junge frau nach Südafrika zog und die weltweit bekannteste Tieraktivistin wurde, die sich gezielt für die Rechte und die Auswilderung von Pavianen einsetzt. ein Zusammentreffen zweier Menschen, das nur durch, um es mit 9
Ritas Lieblingsausdruck zu sagen, »menschlichen Irrtum« herbeigeführt werden konnte. was kann also in Kürze über das faszinierende, risikoreiche und abenteuerliche Leben der Rita Miljo gesagt werden? daß sie 1931 als Rita neumann in eine der Mittelschicht angehörende familie in der umgebung von Königsberg im äußersten nordosten deutschlands nahe der russischen grenze hineingeboren wurde; daß sie als junges Mädchen der Hitlerjugend beitrat – eine Tatsache, die sie weder entschuldigt noch in irgendeiner weise zu verheimlichen sucht; daß sie selbst als Jugendliche eine tiefe Verbundenheit mit Tieren verspürte, so daß sie ihre familie verließ, um im berühmten Hamburger Tierpark Hagenbeck zu arbeiten; daß sie einen jungen deutschen Ingenieur namens Lothar Simon heiratete, mit dem sie 1953 nach Südafrika emigrierte; daß sie in Afrika lernte, wie man flugzeuge fliegt, mit waffen umgeht – das hatte sie zuvor schon im BdM geübt – und wie man wände hochzieht und Häuser baut, und sich rasch alles über Paviane und andere afrikanische Tiere aneignet, was ein »Laie« – oder sogar ein sogenannter experte – überhaupt nur wissen kann; daß sie 1963 ein Stück wildnis am Olifants River kaufte; daß ihr Mann und ihr 17jähriges Kind 1972 bei einem flugzeugabsturz auf tragische weise ums Leben kamen. »Als mein Mann und meine Tochter starben«, erzählte Rita mir eines Abends, »war es mir möglich, 10
diese Tür zu verschließen und mir zu sagen, ›das werde ich morgen angehen‹, denn ich wußte, ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht damit fertigwerden. wenn man das schafft, kann man über solche Sachen hinwegkommen. Sonst ziehen sie einen runter. Aber das verlangt disziplin, denke ich … das war eine Überlebensstrategie. Manche Leute sind stark, und manche sind nicht so stark, das ist eine individuelle Sache.« Acht Jahre nach dem unfall, während ihrer kurzen zweiten ehe mit Piet Miljo, einem Buren, kam es zu der alles verändernden Begegnung in Ritas Leben. Als sie durch nordnamibia reiste, traf sie auf ein vernachlässigtes und mißhandeltes Bärenpavian-weibchen namens Bobby. (Alle namenlosen Paviane werden in Südafrika Bobby genannt nach der Bezeichnung für Paviane in Afrikaans: bobbejaan.) der Pavian wurde unter schlechten Bedingungen als Maskottchen in einem Militärlager gehalten. Allen bürokratischen erfordernissen zum Trotz nahm Rita Bobby mit nach Hause, und knüpfte so zum ersten Mal ihr Band zwischen den Arten. 1988 gründete Rita zusammen mit dem in Südafrika geborenen Bennett Serane C.A.R.e., und ihre fünfzig Hektar Buschland wurden zur Zufluchtsstätte, wo verletzte wildtiere – verschiedene Vogelarten, Reptilien und kleine Säugetiere zu Anfang – behandelt und dann ausgewildert wurden. Als immer mehr verletzte oder mißhandelte Bärenpaviane, hauptsächlich verwaiste Babys, hereinkamen, begann das Zentrum sich zu spezialisieren. 11
Landwirtschaftlich genutzte flächen waren in den natürlichen Lebensraum der Paviane vorgedrungen, und wo auch immer die ernte gefährdet war, hatten die Bauern das Recht, die gegen die gesetze verstoßenden »Schädlinge« abzuschießen. wilderei, giftauslegen, illegaler Handel mit Haus- und Versuchstieren und auch umweltgefahren ließen schutzbedürftige Paviane zurück, die auf C.A.R.e. dringend angewiesen waren. »weißt du, sie sind die einzigen geschöpfe unter der Sonne, um die sich niemand kümmert«, sagt Rita. »Als ich anfing, sagte jeder zu mir, ›Bei all dieser energie, die du hast, warum kümmerst du dich da nicht um nashörner?‹ – oder geparde oder wofür auch immer sie sich interessierten. und ich antwortete, ›weil sie mich brauchen.‹« und sie brauchen Rita nun wirklich. All dies sind reine Tatsachen, bloße biographische daten, und obwohl aus ihnen etwas über Rita Miljos furchtlosigkeit, Abenteuergeist und engagement hervorgeht, sagen sie doch recht wenig über die Person, die ich im Mai 2007 etwa 25 Kilometer entfernt von der Kupferstadt Phalaborwa kennenlernte. denn wie immer ist der Mensch interessanter, komplexer und in seiner wahren Persönlichkeit schwerer faßbar, als es eine papierne Biographie je vermitteln kann. Ich unterbreitete Rita nach ein paar Tagen als freiwilliger Helfer bei C.A.R.e., nachdem ich bemerkt hatte, daß sie mich – ein wenig widerwillig – zu mögen begann, einen Vorschlag: Ich würde jeden 12
Abend nach dem Abendessen zu Ritas Haus – bestehend aus einem einzigen zum Bersten vollen wohnzimmer, das außerdem als Büro von C.A.R.e. diente, und einem dachbodenzimmer, in dem Rita schlief – herüberkommen, und wir würden ein glas wein zusammen trinken, um dann ein ema zu diskutieren, das ich zum Tagesordnungspunkt erklärte. – einverstanden? »Oh, Michael«, hob Rita in dem für sie typischen, des Lebens und meiner überdrüssigen Ton an, »also gut, wenn es denn sein muß … einverstanden.« »wenn du sagen müßtest, was du vor allen dingen von den Pavianen gelernt hast«, wählte ich als einstiegsfrage an unserem ersten Abend, »was wäre das?« das war eine frage, von der ich annahm, daß Rita nicht zögern würde, sie zu beantworten. »Ich habe gelernt, wie Menschen ticken«, kam die prompte Antwort. »Ich habe gelernt, warum Menschen auf eine bestimmte Art und weise handeln.« »Aber du hast mir kürzlich noch gesagt«, erinnerte ich sie, »daß du, nachdem du einige Zeit mit Schimpansen verbracht hast, gemerkt hast, daß du niemals mit ihnen zusammenarbeiten könntest, weil sie wie Menschen seien.« »ganz genau«, antwortete Rita, »denn sie können täuschen, betrügen, verführen, während Paviane das noch nicht gelernt haben. deshalb ist das, was man von den Pavianen lernt, die wahrheit über sich selbst. Schimpansen haben schon gelernt, nette, kleine Ausreden für ihre Verhaltensweisen 13
zu finden – sie schmeicheln, passen sich an, das können Paviane nicht.« »wenn man Parallelen zwischen den Vorgängen in einer Paviangruppe und denen in einer Menschengruppe ziehen möchte«, fuhr sie fort, »dann kann man sehen, daß das genau die gleichen sind, mit der Ausnahme, daß wir eine solch verdammt hinterlistige Spezies sind. und weißt du, warum? weil wir die Sprache erfunden haben. wir behaupten munter das eine und meinen genau das gegenteil. Ich möchte damit nicht sagen, daß Paviane etwa keine Sprache hätten, aber die hat mit Sicherheit keine Möglichkeit des Ausdrucks, um jemanden zu täuschen. Man weiß immer, woran man bei ihnen ist. und man kann das akzeptieren oder es bleiben lassen.« Zwei der Innovationen, die Rita Miljo und die Mitarbeiter von C.A.R.e. in den Jahren ihrer Pflege von zurückgelassenen und mißhandelten Pavianen eingeführt haben, sind vor allen dingen das gezielte Zusammenstellen kohärenter gruppen, die ausgewildert werden können, sowie die entdeckung, daß wilde und in gefangenschaft lebende Paviangruppen in der Lage sind, grundsätzlich als eine einzige, wenn auch nicht immer einheitliche gruppe zu funktionieren. Bis Rita damit begann, nach eingehender Überlegung und genauer untersuchung, nach Alter, geschlecht und geistesverfassung passende gruppen von Pavianen in Käfigen zu organisieren, ist man 14
praktisch davon ausgegangen, daß die gruppenbildung bei Pavianen ein »natürlicher« Prozeß sei, der ausschließlich matrilinear vonstatten gehe, wobei die weibchen ihr ganzes Leben lang derselben gruppe angehörten und einige dominante Männchen zur gruppe hinzukämen oder sie verließen, je nachdem wie die Rangordnung sich veränderte. was Rita jedoch entdeckte – mit sorgfältiger Vorüberlegung und Planung – war, daß gruppen formiert, daß ihnen das gemeinsame Heranwachsen ermöglicht und daß sie im reifen Alter von fünf Jahren ausgewildert werden konnten. Sie fand außerdem heraus – mehr oder weniger als ein nebenresultat der Tatsache, daß sich die wilde gruppe und die in gefangenschaft lebende gruppe dasselbe Territorium teilen mußten –, daß sie größtenteils als eine gruppe interagieren konnten. dabei lernten die jüngeren, in gefangenschaft gehaltenen von den älteren freien Pavianen nahrungssuche, Spielen, Kämpfen und Paarungsverhalten, und dabei paarte und vermehrte sich die gruppe der wildtiere frei mit ihren in freier wildbahn lebenden Artgenossen. Im falle von C.A.R.e. führt dies zu einer recht amüsanten Variante der Tatsache, daß die Abstammung väterlicherseits bei Pavianen ohnehin schwer zu ermitteln ist. In der wildnis entwöhnt ein Pavian-weibchen ihr Baby, wenn es zwischen sechs und acht Monaten alt ist. das ist ein Prozeß, der im wesentlichen in vier Phasen vonstatten geht: etwa die erste woche, in der die Mutter das Baby eng an ihrem Körper 15
hält und auf drei Beinen futter sucht; die zweite Phase, in der die Arme des Babys stärker sind und es unter der Mutter an einer Zitze saugend hängt; die Jockey-Position, bei der das Baby auf dem Rumpf der Mutter sitzt und gegen ihren Schwanz lehnt, während diese es füttert; und schließlich die Laufphase, in der das Jungtier anfängt, selbst nach nahrung zu suchen und sich auf die unabhängigkeit vorbereitet. der entwöhnungsprozeß bei C.A.R.e., eine etwas »unnatürliche« Variante dessen, was in der natur geschieht, ist ein bißchen komplexer. er beginnt im ersten und zweiten Monat mit »24/7«, der bei C.A.R.e. üblichen, etwas kryptischen Bezeichnung dafür, daß das Jungtier bei seiner ersatzmutter entweder in ein Tuch um die Hüfte gewickelt oder auf dem Arm ist – die Zeit unter der dusche und, falls es jemanden wirklich interessiert, auf der Toilette eingerechnet, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die woche. wenn Rita, die ersatzmutter und die Mitarbeiter glauben, daß das Jungtier bereit ist, wird es mit den anderen Jungtieren für mehrere Stunden am Tag zur Kinderstube gebracht und kommt danach zurück, um die nacht bei der ersatzmutter zu schlafen. nach etwa zwei Monaten geht diese Phase normalerweise langsam in die nächste über, in der das Kleine den ganzen Tag in der Kinderstube und die nächte bei der ersatzmutter verbringt. die letzte Phase bedeutet, daß das Jungtier zwar weiterhin im Zimmer seiner ersatzmutter schläft, 16
nun aber in einem kleinen Käfig im Zimmer. dies ist die Vorbereitungsphase für den eintritt in die nach-Säuglingszeit, wenn es anfangen wird, zusammen mit den anderen Jungtieren in Käfigen zu schlafen, die in Ritas Badezimmer im Haupthaus aufgestellt sind. die Kleinen wirken nun sehr unglücklich. Über die Pflege der Pavianwaisen und auch die einiger ihrer betagteren und gebrechlicheren Artgenossen hinaus gibt es auch spezielle fütterungen für erdmännchen, eichhörnchen, warzenschweine und – manchmal, wenn Rita fast schon heimlich spät nachts mit den fleisch- und Knochenresten des Tages den Hügel hinunterläuft – für wilde Schakale. »Sie sind alle geschöpfe gottes«, sagt Rita, wobei sie wiederholt eine gottheit anruft, an die sie gar nicht glaubt. »wer sind wir, daß wir eine Hierarchie unter ihnen einführen könnten?« Rita Miljo gehört nicht zu den frauen, die die persönliche, harte Auseinandersetzung scheuen, besonders dann nicht, wenn es um den Schutz der Paviane geht. die Aufgabe, die sie auf sich genommen hat, wird durch die Tatsache erschwert, daß Paviane, selbst für Liebhaber von Primaten, selten ganz oben auf der Popularitätsliste stehen. erstens sind sie nicht so leicht dafür zu haben, in Overalls oder Lederhosen gekleidet in beliebten fernsehshows vorgeführt zu werden. Zweitens entwickeln sie, wenn sie voll ausgewachsen sind, nicht die re17
lativ flachen, allseits beliebten menschenähnlichen gesichter der Schimpansen und Bonobos, sondern haben eine länglichere und schnauzenartige gesichtsform, die an einen Hund erinnert. und drittens –was mich angeht, das wichtigste – sind sie alles andere als blöd, sondern geradezu verteufelt einfallsreich und schlau. das geht so weit, daß sie wahrhaft zur Plage werden können für jeden, in dessen Haus, Auto, Kühlschrank oder garten hineinzugelangen sie sich in den Kopf gesetzt haben. denn sie lieben es, Hindernisse zu überwinden und sie sind sehr, sehr gut darin. Manchmal hat Ritas hartnäckige entschlossenheit, diesen oft verabscheuten Primaten eine Stimme zu verleihen, sie nicht nur das gegenteil der nachbarlichen Zuwendung spüren lassen, sondern sie auch vors gericht gebracht. So im September 2005, als ihr die südafrikanischen Behörden zur Last legten, einen verletzten Pavian vom Mpumalanga Park zur Provinz Limpopo transportiert zu haben, ohne die erforderliche erlaubnis zu besitzen. In wahrhaft »ghandiesker« Art räumte Rita ein, gegen das gesetz verstoßen zu haben, gab aber zu Bedenken, daß sie aus notwendigkeit gehandelt hatte, denn sonst wäre der Pavian verwahrlost oder gestorben, weil das Mpumalanga-Park-Management das Prozedere bei der Ausstellung der erlaubnis absichtlich verzögert hätte. Sie bezeugte, daß früher schon einmal ein Pavian, den sie zu retten versuchte, gestorben sei, weil es ähnliche Verzögerungen bei der Ausstellung der erforderlichen erlaubnis gab. 18
Mit seiner erklärung, daß »das gericht sich sicher ist, daß was sie [Rita] getan hat, jeder normale Bürger an ihrer Stelle getan hätte«, entschied der für Mpumalanga zuständige Richter in einem salomonischen Richterspruch, daß die verzögernde Ausstellungspraxis von erlaubnissen die Arbeit einer weltberühmten Spezialistin für die Auswilderung von Pavianen behindere. darüber hinaus entschied der Richter, daß die naturschutzbeamten eine »verächtliche einstellung« Rita und ihrer Arbeit gegenüber gezeigt hätten, die beträchtliche Verzögerungen, manchmal um Jahre, beim Bewilligen von erlaubnissen, die sie für die Ausübung ihrer Arbeit brauchte, nach sich zogen. »das Leben des Tieres war bedroht, und es mußte gerettet werden«, äußerte sich Helen dagut, Leiterin des Internationalen Tierschutz-fonds IfAw, einem der Hauptgeldgeber von C.A.R.e.. »es war notwendig, gegen das gesetz zu verstoßen, um das zu erreichen, und der Richter hat das bestätigt.« das große Ziel all des Bemutterns, des in Käfige Setzens, fütterns, in gruppen Zusammenstellens und Jonglierens von Pavianbabys und -jungtieren ist die freiheit. In den fast 20 Jahren der Stiftung wurden etliche gruppen, ungefähr 250 Paviane, über ganz Südafrika verteilt ausgewildert. dies ist ein solch zeitaufwendiger und komplexer Prozeß, daß C.A.R.e. locker das fünffache an Personal beschäftigen könnte – und es gibt zumeist immerhin zehn Mitarbeiter. es müssen nicht nur die geeig19
neten Orte lokalisiert, die erlaubnis beantragt, die einzelnen gruppen auf ihre freilassung vorbereitet und transportiert werden, sondern auch mindestens zwei der Mitarbeiter für bis zu fünf Monate abkömmlich sein, um zum Ort der Auswilderung geschickt werden zu können, damit sichergestellt ist, daß die Paviane sich akklimatisiert haben und in der Lage sind, selbst nahrung zu finden. erschwerend kommt hinzu, daß die nachfolgebetreuung durch Rita und ihre Mitarbeiter, die das wohlergehen der gruppe überprüfen, sprichwörtlich Jahre dauert. Manchmal endet diese mit entmutigenden ergebnissen. die gruppe, die gerade freigelassen werden sollte, als ich dort war, war schon einmal ausgewildert worden – fünf Jahre vorher, um genau zu sein. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie schon vier Jahre lang in der wildnis überlebt. Aber dann brachte es das Pavianpech mit sich, daß der farmer, auf dessen Land sie freigelassen worden waren, starb und sein Sohn, der das Land geerbt hatte, nun damit drohte, die gruppe zu vergiften, falls C.A.R.e. sie nicht abholte. Also gingen Rita und Lee nachts dorthin und fingen die von der gruppe Übriggebliebenen ein – ein Vorgang, bei dem ein reusenartiger A-Rahmen gebaut werden mußte, der in der Spitze mit futter befüllt war. die Alpha-Männchen ging zuerst in die falle, dann die geschlechtsreifen weibchen, bis schließlich nur noch die Jungen übrigblieben, die zu fangen leicht war. dann brachten sie die Tiere zu C.A.R.e. zurück. und das mühsame Prozedere begann von vorn. 20
Selbst das Verfahren vor der Auswilderung der Tiere strotzt nur so vor Komplexität: Zunächst muß einer der Mitarbeiter – entweder Auswilderungsleiter Stephen Monro oder der ehemalige Auswilderungsleiter und wildlife-experte davie van der Merwe – das Vertrauen der Alpha-Männchen der gruppe gewinnen. wenn der Ort für die Auswilderung gefunden wurde, muß ein Schlafbaum als zentraler Versammlungsort ausgemacht werden. die Auswilderungsleiter, die am Ort der freilassung in einem Zelt übernachten, müssen langsam, aber sicher die Paviane zum wasser, zu den Obstbäumen und zu anderen nahrungsquellen führen bis zu dem Zeitpunkt, an dem man davon ausgehen kann, daß die Männchen diese Orte selbst finden. diese letzte Phase dauert normalerweise etwa fünf Monate. während dieser Zeit bleibt mindestens ein Auswilderungsleiter ständig bei der gruppe. In kapitalistischem Sprachgebrauch ausgedrückt ist diese fast einjährige »Investition«, die man braucht, um eine gruppe von 15 bis 22 Pavianen auszuwildern, wirtschaftlich völlig unrentabel. Aber die »Investition«, um die es hier geht, beeilt sich Rita hervorzuheben, hat nichts mit solchen Kalkulationen zu tun. »Sie verdrehen alles auf diesem verdammten Planeten so, daß es nur noch ums geldverdienen geht«, sagte sie mir eines Abends, wobei Rita mit »sie« den Rest der Menschheit meinte. »das ist der größte fehler, den der Mensch je begehen konnte … es ist krank. es ist nicht richtig, und es wird uns auf lange Sicht in den Ruin treiben.« 21
Lassen Sie mich diese kurze einführung damit beenden, daß ich das letzte gespräch, das ich mit Rita am 6. Juni 2007 führte, zitiere, als ich mich ins Auto setzte, um sie zu verlassen. »Ich glaube«, sagte ich ihr, »du hast es für ein Mädchen, das früher in der Hitlerjugend war, weit gebracht.« »und ich weiß auch«, entgegnete sie mir, während sie mich lang und herzlich umarmte, »woher du kommst, und daß es für dich nicht einfach war. und ich respektiere dich dafür sehr.« und so ist es dann gekommen: der großstadtmensch und die afrikanische Abenteurerin, der Sohn von Holocaust-Überlebenden und die ehemalige nazi-Anführerin wurden durch die wirrungen des Schicksals zusammengebracht, um schließlich die denkwürdige geschichte dieser faszinierenden frau und ihres Kampfes für die Rettung der Paviane Südafrikas zu erzählen. Michael C. Blumenthal
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PROLOg
um meinen Kritikern den wind aus den Segeln zu nehmen, möchte ich zu Beginn zugeben: Ja, das ist ein emotionales Buch. die erfahrungen und die Beobachtungen, die ich während meiner langen Zeit zusammen mit einer wilden Paviangruppe gemacht habe, unser Zusammenleben, unsere gegenseitige Beeinflussung, meine gefühle und, da habe ich keinen Zweifel, auch die gefühle und Reaktionen der Paviane haben dieses Buch entstehen lassen. Mein ganzes Leben lang gab es Streitereien und Auseinandersetzungen darüber, ob Tiere gefühle haben, ob sie wie wir Schmerzen, Liebe und Haß fühlen können und ob es ihnen gestattet sein sollte, namen zu tragen. welch lächerliche und bequeme Argumente sich menschliche Primaten einfallen lassen, um sich selbst eine wissenschaftliche Lizenz auszustellen, die es ihnen ermöglicht, mit ihren Mitprimaten umzuspringen, wie es ihnen beliebt … wenn wir einen Blick darauf werfen, wie wir in der Vergangenheit miteinander umgegangen sind, wird erkennbar, daß vor gar nicht allzu langer Zeit Buschmänner als »Schädlinge« gejagt und getötet wurden, Menschen mit schwarzer Hautfarbe als minderwertig betrachtet wurden; wir kämpfen heute immer noch damit, diese Klassifikation endlich endgültig zu überwinden. dazu gehört auch die peinliche Situation, in die die großaffen uns 23
jetzt gebracht haben angesichts der neuerdings verfügbaren wissenschaftlichen fakten zur genetischen Ähnlichkeit von Mensch und Primat. dieses Buch wurde aus dem wunsch heraus geschrieben, meine erfahrungen, eindrücke und meine Liebe zu einer mißverstandenen Spezies zum Ausdruck zu bringen. falls mir fehler unterlaufen sind, dann mag das so sein. Soweit ich weiß, ist das schon größeren geistern in der Vergangenheit passiert. Rita Miljo Philaborwa (Südafrika)
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KAPITeL 1 deR KAMPf BegInnT
Mitte der achtziger Jahre vollzog ich den letzten Schritt vom Stadtleben ins Lowveld auf meine kleine farm, die an den Olifants River angrenzte. Ich kam mit fünf Prachtexemplaren von Rhodesian Ridgebacks, einer afrikanischen Hunderasse, meinem geliebten Pavian Bobby und einem winzigen wohnwagen an. der wohnwagen war tatsächlich so klein, daß es einfach keinen Platz gab, den ich mit fünf Ridgebacks hätte teilen können. und so baute ich ihnen eine bequeme »Höhle« unterhalb des wagens. während dieses ersten winters schlug ich sie jeden Abend sorgfältig in ihre decken ein und bekam den Schreck meines Lebens, als ich eines Morgens die decken entfernte, und eine Mosambik-Speikobra, eine Mfezi, ihren Kopf herausstreckte. Sie hatte da sehr gemütlich und warm gelegen, eingerollt zwischen den Ridgebacks, und protestierte dagegen, so unfreundlich geweckt zu werden. wir machten alle einen Satz, und ich beschloß in diesem Augenblick, daß es höchste Zeit war, ein richtiges Haus zu bauen. während der schlimmen Jahre, die ich durchlitt, um über den Verlust meiner familie hinwegzukommen, hatte ich einen Maurerkurs besucht. und mit der Hilfe von Long Piet, einem sehr fähigen und talentierten afrikanischen Hausbauer, beginn 25
ich die Arbeit. es wurde ein kleines Steinhaus. nichts war rechtwinklig, wie ich herausfand, als ich fliesen legen wollte, aber es hatte seinen strategischen Platz zwischen einigen alten BushveldBäumen, die zu fällen ich mich weigerte, bloß um einem »rechtwinkligen« Haus Platz zu schaffen. Ich versuchte so wenig wie möglich in die natur einzugreifen und zog es vor, mit all den wunderbaren geschöpfen zusammenzuleben, statt alles zu zerstören und zu »zivilisieren«. In der Zwischenzeit hatte sich die nachricht in der Tierwelt verbreitet, daß es da ein kleines fleckchen wildnis gab, wo alle Tiere willkommen waren, wo niemand auf sie schoß oder in ihnen das nächste Stück Biltong, das südafrikanische Trockenfleisch von Rindern oder wildtieren sah. es war schon verblüffend zu sehen, wie sie von diesem Zufluchtsort gebrauch machten, wenn an den wochenenden um uns herum geschossen wurde. Bald kamen auch die wilden Paviane, die mit der besonderen Intelligenz aller Primaten ausgestattet sind. So gab es bald eine gruppe wilder Affen, die sich auf unserer farm zusammendrängten, anfingen zu spielen, zu stehlen und sich wie zu Hause zu fühlen, sobald sie bemerkten, daß sie willkommen waren. Staunend beobachtete ich sie. was für eine wunderbare Chance eröffnete sich mir, sie zu studieren. Obwohl es nicht leicht war und eine bestimmte konzentrierte Lebensweise verlangte, war ich entschlossen, diese einmalige gelegenheit zu nutzen. 26
Angesichts der Anatomie der Mütter, und weil ich damals noch nicht wußte, daß das eine absolut normale Aussehensweise ist, nachdem die weibchen ihre ersten Jungen bekommen haben, nannte ich sie »die gruppe der Langbrüste«. Meine Leidenschaft für Paviane würde fortan mein Leben dominieren. und Leidenschaft war angesichts der Schwierigkeiten, die mich erwarteten, dringend vonnöten. Paviane haben diese unheimliche fähigkeit, jemanden zu beobachten und dann seinen nächsten gedankenschritt oder seine nächste Handlung vorauszuahnen. Sie müssen zum Beispiel nur einmal gesehen haben, wie dinge geöffnet werden, und sind schon in der Lage, es selbst zu tun. Ihnen einen Schritt voraus zu sein scheint fast unmöglich. Ich brachte »paviansichere« gitterstäbe an meinen fenstern an, aber die Türen stellten gleich das nächste Problem dar. Zuerst versuchten wir, sie immer abzuschließen. doch das war nicht praktikabel, weil die Schlüssel häufig verlorengingen. Ich versuchte es mit runden Türknäufen, doch die Paviane brauchten nur kurze Zeit, um herauszubekommen, wie sie funktionierten. Schließlich kam ein guter freund auf eine Idee, die so einfach wie praktikabel war. er schob einen simplen Riegel in die beiden Löcher, die das Schloß hielten. So mußte man nach dem Aufschließen nur noch den Riegel zur Seite schieben, und die Tür ließ sich öffnen. Bis zum heutigen Tag haben die 27
Langbrüste das noch nicht herausbekommen. deswegen fürchte ich mich ein bißchen, hier mitzuteilen, wie es geht – denn ich meine zu wissen, daß sie nicht lesen können, ganz sicher bin ich mir dessen aber nicht immer. eines jedoch ist sicher: wenn ich plötzlich zehn bis vierzig Paviane in meinem Haus habe, bin allein ich daran schuld, weil ich mal wieder nachlässigerweise gegen meine eigene Regel zum richtigen Verschließen der Tür verstoßen habe, und das vielleicht nur für eine halbe Sekunde. Jeder gedanke an einen garten, Rasen oder Blumen mußte schon im Keim erstickt werden, doch das stellte wirklich kein Problem dar. die wunderschöne, wilde Buschlandschaft hob das fehlen von Blumentöpfen bei weitem auf. es begann alles ganz unschuldig. die neue Bewegung zum Schutz und zur Auswilderung von wildtieren fing gerade erst an, in Südafrika fuß zu fassen, wobei der naturschutz sich sauber in »die guten« und »die Bösen« aufteilen ließ. Man mußte nur die Bösen meiden und nett zu den guten sein, dann war alles in Ordnung. Als ich eine erlaubnis für ein Rehabilitationszentrum in unserer gegend beantragte, riet mir einer der guten, mich an »die junge Karen Trendler« in Pretoria zu wenden, die gerade erst so ein Zentrum eröffnet hatte. das einzige andere, C.R.O.w. mit namen, so erklärte er mir, befand sich in durban. Also hielt ich mich an seinen Rat, und Karen und ich beschlossen, uns zusammenzutun. 28