Ich sollte Drehbücher schreiben, oder Romane. Ein Roman von Roman, fünf Mark in die Wortspielkasse. Tatsächlich hatte ich als Kind immer davon geträumt. Ich verschlang sie alle und bewunderte dabei nicht Lassiter, Jerry Cotton, John Sinclair oder Perry Rhodan – für mich waren die wahren Helden die, die sich die Groschenromane ausgedacht hatten. Ich wollte so sein wie Jack Slade, Terence Howl, Bill MacGregor und Jim Smith. Bald machte ich die ersten Entwürfe, merkte aber schnell, dass ich die Kunst meiner Vorbilder, die Kunst der klaren Erzählung, nicht beherrschte. Meine Hauptfiguren verstrickten sich spätestens auf Seite 20 in ein derart unübersichtliches Handlungs- und Personengestrüpp, dass nicht einmal ich mehr wusste, ob Jim jetzt in Cherry, Jill oder Joyce verliebt war und wer von den dreien seine Halbschwester sein könnte, die er das letzte Mal im Alter von acht, was zufällig dem meinen entsprach, gesehen hatte, und ob er tatsächlich seinen Vater, den er nie kennen gelernt aber möglicherweise ermordet hatte, wiederfinden würde, was er seiner Mutter auf dem Totenbett versprach, die ihm mit dem letzten Atemzug anvertraute, dass er nur adoptiert sei und so weiter. Das alles eingebettet in jede Menge heldenhafter Action, Raubüberfälle, Entführungen, Prügeleien und Schießereien. Eine Handlung war allerdings nicht zu erkennen. Mit dem Schriftsteller war es demnach nichts. Also, dachte ich mir, wenn ich keinen Roman schreiben kann, dann werde ich eben einen
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Roman leben, und fasste eine Karriere als erfolgreicher Privatdetektiv ins Auge, der natürlich nur die allerkompliziertesten Fälle, mit denen selbst Scotland Yard nicht mehr klarkam, zu lösen vermochte. Ich besorgte mir die YPS-Detektivhefte und machte mich an die Grundausbildung. Beschattung, Fingerabdrücke, Spionage. Ich hatte zwar noch keinen Fall, dafür aber eine prima Ausrüstung: Die Spionbrille mit den eingebauten Spiegeln, ein Periskop aus Pappe, Plastikhandschellen, eine Lupe und Fingerabdruckpulver. Auch die Lochkamera war für einen Detektiv unverzichtbar. Erbsenpistole, Steinschleuder und Stinkbomben stellten meine Bewaffnung dar. Vor dem Spiegel übte ich die finstersten Gesichtsausdrücke, mit denen ich meine Spielkameraden erschrecken wollte, doch selbst die Vierjährigen lachten nur über meine Grimassen. Dann entdeckte ich die Existenz von Vampiren. Sie waren überall, diese Blutsauger, aber außer mir wusste das nur Jim Frost. Ich würde andere Waffen brauchen – Pflöcke, Knoblauch, Weihwasser ...
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Wie alles anfing Wäre das Fernsehprogramm nicht so beschissen gewesen, wäre ich nie im Kaffee Burger gelandet. Miriam lehnte allein und betrunken an der Bar. Frauen, die allein und betrunken an der Bar lehnen, zumal an Silvester, wird ja ein unsteter Lebenswandel unterstellt, und ich bin nicht anders als meine männlichen Artgenossen. Die will ficken, dachte ich, ganz klar, dachte ich und stellte mich wie zufällig daneben. »Wer hat dich denn hier reingestellt?« fragte sie. »Das beschissene Fernsehprogramm«, antwortete ich, und sie lachte. »Du willst mit mir ficken, das seh ich dir an«, sagte sie, und wenn ich mich nicht auf der Stelle verliebt hätte, wäre es spätestens dann passiert, als sie eine halbvolle Flasche Absolut aus ihrem Rucksack angelte und mir zu trinken anbot. Ich hatte bezüglich meines Alkoholpegels noch einiges nachzuholen und nahm einen kräftigen Schluck. »Also du willst mit mir ficken?« fragte sie noch mal, und ich sagte ja. »Tja, da kann ich dir nicht weiterhelfen. Ich will in meinem Leben nie wieder Sex haben, und wenn, dann nur noch beruflich.« Sprach’s und torkelte kichernd auf die Tanzfläche. Nein, sie torkelte nicht, sie fiel – in die Arme eines offensichtlichen Schwachkopfes. Blondierter Bürstenschnitt, randlose Brille, die Figur eines kalifornischen Dreamboys, ein »ICH WILL FICKEN«-T-Shirt, bauchfrei, ohne Ärmel. Das Vorzeigemodell einer Arschgeige. Sie legte ihren Kopf auf den »ICH WILL FICKEN«-Schriftzug und schlang ihre Hände um seinen Stiernacken um nicht umzufallen. Der Traum eines jeden SinglePartygängers. Und meiner.
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Roman leben, und fasste eine Karriere als erfolgreicher Privatdetektiv ins Auge, der natürlich nur die allerkompliziertesten Fälle, mit denen selbst Scotland Yard nicht mehr klarkam, zu lösen vermochte. Ich besorgte mir die YPS-Detektivhefte und machte mich an die Grundausbildung. Beschattung, Fingerabdrücke, Spionage. Ich hatte zwar noch keinen Fall, dafür aber eine prima Ausrüstung: Die Spionbrille mit den eingebauten Spiegeln, ein Periskop aus Pappe, Plastikhandschellen, eine Lupe und Fingerabdruckpulver. Auch die Lochkamera war für einen Detektiv unverzichtbar. Erbsenpistole, Steinschleuder und Stinkbomben stellten meine Bewaffnung dar. Vor dem Spiegel übte ich die finstersten Gesichtsausdrücke, mit denen ich meine Spielkameraden erschrecken wollte, doch selbst die Vierjährigen lachten nur über meine Grimassen. Dann entdeckte ich die Existenz von Vampiren. Sie waren überall, diese Blutsauger, aber außer mir wusste das nur Jim Frost. Ich würde andere Waffen brauchen – Pflöcke, Knoblauch, Weihwasser ...
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Wie alles anfing Wäre das Fernsehprogramm nicht so beschissen gewesen, wäre ich nie im Kaffee Burger gelandet. Miriam lehnte allein und betrunken an der Bar. Frauen, die allein und betrunken an der Bar lehnen, zumal an Silvester, wird ja ein unsteter Lebenswandel unterstellt, und ich bin nicht anders als meine männlichen Artgenossen. Die will ficken, dachte ich, ganz klar, dachte ich und stellte mich wie zufällig daneben. »Wer hat dich denn hier reingestellt?« fragte sie. »Das beschissene Fernsehprogramm«, antwortete ich, und sie lachte. »Du willst mit mir ficken, das seh ich dir an«, sagte sie, und wenn ich mich nicht auf der Stelle verliebt hätte, wäre es spätestens dann passiert, als sie eine halbvolle Flasche Absolut aus ihrem Rucksack angelte und mir zu trinken anbot. Ich hatte bezüglich meines Alkoholpegels noch einiges nachzuholen und nahm einen kräftigen Schluck. »Also du willst mit mir ficken?« fragte sie noch mal, und ich sagte ja. »Tja, da kann ich dir nicht weiterhelfen. Ich will in meinem Leben nie wieder Sex haben, und wenn, dann nur noch beruflich.« Sprach’s und torkelte kichernd auf die Tanzfläche. Nein, sie torkelte nicht, sie fiel – in die Arme eines offensichtlichen Schwachkopfes. Blondierter Bürstenschnitt, randlose Brille, die Figur eines kalifornischen Dreamboys, ein »ICH WILL FICKEN«-T-Shirt, bauchfrei, ohne Ärmel. Das Vorzeigemodell einer Arschgeige. Sie legte ihren Kopf auf den »ICH WILL FICKEN«-Schriftzug und schlang ihre Hände um seinen Stiernacken um nicht umzufallen. Der Traum eines jeden SinglePartygängers. Und meiner.
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Sie hing dieser Arschgeige also um den Hals und die Arschgeige legte seine Arschgeigenarme um ihre Hüften und massierte ihr mit seinen Arschgeigenfingern den Arsch. Ich bestellte mir noch einen Doppelten und gab mir Mühe nicht hinzuschauen. Es ging nicht nur mir so. Der Arschgeigen- und Miriamklumpen auf der Tanzfläche erregte Aufsehen. Die Arschgeige schleuderte Miriam – vom DJ, der sich auf das Pärchen eingeschossen hatte, unterstützt – nur so um sich. Um die Hüften, über die Schultern, durch die Beine. Rock Around The Clock. Mir wurde übel, was mir immer passiert, wenn ich einen Song von Bill Haley höre. Miriam auch. Sie kotzte der Arschgeige das T-Shirt voll und die Arschgeige ließ sie wie einen nassen Sack mitten in der Drehung fallen. Miriam segelte auf einen Tisch am Rande der Tanzfläche zu, fiel in die Biergläser, versuchte sich taumelnd aufzurichten, riss dabei den Tisch um. Noch mehr Biergläser gingen zu Bruch. Sie landete in den Scherben. Jemand schlitzt sich den Rücken auf, das ist komisch. Die Runde lachte. Ich ging zu ihr. Ich hängte sie mir um die Schulter. Ich nahm den Rucksack. Auch ihre Jacke. Ich brachte sie nach draußen. Ich winkte ein Taxi. Sie legte den Kopf auf meine Schulter. Sie kotzte. Ihr Rücken blutete, aber nicht schlimm. Ich warf die Jacke darüber. »Wohin soll’s denn gehen?« fragte der Fahrer, der nichts mitbekommen hatte oder ein feiner Kerl war. »Moment«, sagte ich, fischte ihre Brieftasche aus dem Rucksack, und suchte die Adresse. Friedrichshain. »Wir sind da«, sagte ich, und ob ich sie noch hochbringen soll? »Nein, nein, es geht schon«, sagte sie, und stieg aus. »Ich bin dir was schuldig«, meinte sie zum Abschied. »Nicht der Rede wert«, sagte ich. Das Jahr fing schon mal gut an.
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Wie alles weiterging Einen Monat später traf ich sie wieder. Sie sah besser aus als das letzte Mal, stand an der Bar in der Tagung und hielt sich an einem Bierglas fest. »Na, hast du dich wieder erholt?« fragte ich. »Wer bist du denn?« fragte sie. Ich winkte ab. »Nicht so wichtig. Miriam, oder?« »Kennen wir uns?« »Nicht wirklich, aber das könnte sich ändern.« »Wieso? Willst du mit mir ficken? Du siehst aus, als würdest du mit mir ficken wollen. Da musst du dir aber jemand anderen suchen. Ich werde nie mehr in meinem Leben Sex haben, und wenn«, fügte sie hinzu, »dann nur noch beruflich. Wie heißt du überhaupt?« »Ich bin der Roman«, sagte ich. »Und du wohnst in Friedrichshain.« Sie verschluckte sich an ihrem Bier. »Du bist wohl einer von diesen Psychopathen, die nachts den Frauen hinterher schleichen. Bleib mir bloß vom Hals. Letztens wollte mir unbedingt einer seinen Schwanz zeigen, nur, weil ich ihn zum Kaffee eingeladen habe, diese Arschgeige. Magst du Wodka?« »Absolut.« »Dann zwei«, sagte sie zum Barmann. »Doppelte. Das ist Ziegenbart«, sagte sie zu mir, und deutete auf Ziegenbart. »Ziegenbart ist der Bezirksbefruchter. Und das ist meine Freundin mit der roten Brille«, sagte sie und deutete auf die Freundin mit der roten Brille. »Und das ist der Roman«, sagte sie zu Ziegenbart und der Freundin mit der roten Brille. »Der Roman ist Psychopath aber ganz nett, glaube ich.« Wir tranken den doppelten Absolut. Ziegenbart verzog sich. Die Freundin mit der roten Brille rückte ab und spielte mit dem Bierglas.
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Sie hing dieser Arschgeige also um den Hals und die Arschgeige legte seine Arschgeigenarme um ihre Hüften und massierte ihr mit seinen Arschgeigenfingern den Arsch. Ich bestellte mir noch einen Doppelten und gab mir Mühe nicht hinzuschauen. Es ging nicht nur mir so. Der Arschgeigen- und Miriamklumpen auf der Tanzfläche erregte Aufsehen. Die Arschgeige schleuderte Miriam – vom DJ, der sich auf das Pärchen eingeschossen hatte, unterstützt – nur so um sich. Um die Hüften, über die Schultern, durch die Beine. Rock Around The Clock. Mir wurde übel, was mir immer passiert, wenn ich einen Song von Bill Haley höre. Miriam auch. Sie kotzte der Arschgeige das T-Shirt voll und die Arschgeige ließ sie wie einen nassen Sack mitten in der Drehung fallen. Miriam segelte auf einen Tisch am Rande der Tanzfläche zu, fiel in die Biergläser, versuchte sich taumelnd aufzurichten, riss dabei den Tisch um. Noch mehr Biergläser gingen zu Bruch. Sie landete in den Scherben. Jemand schlitzt sich den Rücken auf, das ist komisch. Die Runde lachte. Ich ging zu ihr. Ich hängte sie mir um die Schulter. Ich nahm den Rucksack. Auch ihre Jacke. Ich brachte sie nach draußen. Ich winkte ein Taxi. Sie legte den Kopf auf meine Schulter. Sie kotzte. Ihr Rücken blutete, aber nicht schlimm. Ich warf die Jacke darüber. »Wohin soll’s denn gehen?« fragte der Fahrer, der nichts mitbekommen hatte oder ein feiner Kerl war. »Moment«, sagte ich, fischte ihre Brieftasche aus dem Rucksack, und suchte die Adresse. Friedrichshain. »Wir sind da«, sagte ich, und ob ich sie noch hochbringen soll? »Nein, nein, es geht schon«, sagte sie, und stieg aus. »Ich bin dir was schuldig«, meinte sie zum Abschied. »Nicht der Rede wert«, sagte ich. Das Jahr fing schon mal gut an.
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Wie alles weiterging Einen Monat später traf ich sie wieder. Sie sah besser aus als das letzte Mal, stand an der Bar in der Tagung und hielt sich an einem Bierglas fest. »Na, hast du dich wieder erholt?« fragte ich. »Wer bist du denn?« fragte sie. Ich winkte ab. »Nicht so wichtig. Miriam, oder?« »Kennen wir uns?« »Nicht wirklich, aber das könnte sich ändern.« »Wieso? Willst du mit mir ficken? Du siehst aus, als würdest du mit mir ficken wollen. Da musst du dir aber jemand anderen suchen. Ich werde nie mehr in meinem Leben Sex haben, und wenn«, fügte sie hinzu, »dann nur noch beruflich. Wie heißt du überhaupt?« »Ich bin der Roman«, sagte ich. »Und du wohnst in Friedrichshain.« Sie verschluckte sich an ihrem Bier. »Du bist wohl einer von diesen Psychopathen, die nachts den Frauen hinterher schleichen. Bleib mir bloß vom Hals. Letztens wollte mir unbedingt einer seinen Schwanz zeigen, nur, weil ich ihn zum Kaffee eingeladen habe, diese Arschgeige. Magst du Wodka?« »Absolut.« »Dann zwei«, sagte sie zum Barmann. »Doppelte. Das ist Ziegenbart«, sagte sie zu mir, und deutete auf Ziegenbart. »Ziegenbart ist der Bezirksbefruchter. Und das ist meine Freundin mit der roten Brille«, sagte sie und deutete auf die Freundin mit der roten Brille. »Und das ist der Roman«, sagte sie zu Ziegenbart und der Freundin mit der roten Brille. »Der Roman ist Psychopath aber ganz nett, glaube ich.« Wir tranken den doppelten Absolut. Ziegenbart verzog sich. Die Freundin mit der roten Brille rückte ab und spielte mit dem Bierglas.
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»Also wie soll’s jetzt weitergehen?« fragte mich Miriam. »Gar nicht«, antwortete ich. »Wir werden Wodka trinken und schweigen. Was macht dein Rücken?« Sie verschluckte sich noch mal. »Sag bloß, du warst Silvester im Burger.« Ich nickte. Sie wurde rot. »Erzähl’s mir lieber nicht. Ich will es gar nicht wissen. Ich kann mich an nichts mehr erinnern und das ist auch gut so.« Ich tat ihr den Gefallen und schwieg. »Ich muss sofort gehen«, sagte sie plötzlich, schmiss sich in ihre Jacke und 20 Mark auf den Tisch. »Ich hoffe das reicht. Tut mir leid. Oh Gott ist mir das peinlich, oh Gott ist mir das peinlich«, und schon war sie verschwunden. Die Freundin mit der roten Brille rückte wieder näher heran. »Du willst also mit Miriam ficken?« fragte sie. »Ja«, sagte ich. »Vergiss es«, sagte die rote Brille. »An die kommst du nicht ran.« »Ein Versuch wäre es wert«, sagte ich, und ob ich Miriams Telefonnummer haben könne. Sie sagte, ich könne.
Beim Sterben ist jeder der Erste »Hallo, hier ist der Roman.« »Wer?« »Na der Roman.« »Ach du, ja also, tut mir leid, dass ich dich neulich so hab stehen lassen, weil...« »Ach, das ist schon in Ordnung. Wollen wir uns treffen?« »Wie treffen?« »Na treffen. Treffen eben. Einfach so.«
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»Ich weiß nicht. Wann denn? Wo?« »Na, am Samstag zum Beispiel. Bin ich im Fischladen.« »Fischladen? Hm, na, wollt ich schon immer mal.« »Na dann komm doch.« »Ich weiß nicht, Samstag bin ich eigentlich schon zum Kino.« »Dann komm doch nach dem Kino.« »Also gut, vielleicht. Aber nur vielleicht.« Vielleicht klang gut. Klang besser als nein. »Also dann, vielleicht bis Samstag.« »Ja, du brauchst aber nicht auf mich warten.« »Gut, ich werde nicht auf dich warten.« Das war das erste Mal, dass ich sie belogen hatte. Ich wartete auf sie, sagen wir, bis Mitternacht. Dann gab ich’s auf und ließ mich voll laufen. Der Fischladen ist eine Besetzerkneipe in Friedrichshain, eine autonome Spielwiese, ein alternatives Disneyland. Samstags ist immer Disko. Dann wird ein feuchtes Kellerloch aufgemacht, zu dem man durch einen engen Durchgang über eine halsbrecherische Holztreppe nach unten steigt. Jemand legt auf, alle tragen Stiefel. Nach meinem ersten Samstag im Fischladen wusste ich auch warum. Früher hätte es mir nichts ausgemacht, beim Pinkeln bis zu den Knöcheln im Urin zu stehen, heute ist das anders. Ich bin zu alt für so eine Scheiße. Für die Zugereisten aus Stuttgart ist das aber der Hit. Außerdem ist das Bier billig. Ich war gerade beim fünften, als sich der Haken an der Decke löste und mir eine Lautsprecherbox auf den Kopf knallte. Ich blutete wie ein Schwein und musste mich so durch einen Wust von Studenten graben. Die halsbrecherische Holztreppe hoch, dann der enge Durchgang, in dem es das billige Bier zu kaufen gibt, schließlich der Raum, in dem das Billard und der Flipper steht. Dann noch ein enger Durchgang, der mit der überfluteten Toilette, und endlich im Café mit Ausgang zur Straße. In
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»Also wie soll’s jetzt weitergehen?« fragte mich Miriam. »Gar nicht«, antwortete ich. »Wir werden Wodka trinken und schweigen. Was macht dein Rücken?« Sie verschluckte sich noch mal. »Sag bloß, du warst Silvester im Burger.« Ich nickte. Sie wurde rot. »Erzähl’s mir lieber nicht. Ich will es gar nicht wissen. Ich kann mich an nichts mehr erinnern und das ist auch gut so.« Ich tat ihr den Gefallen und schwieg. »Ich muss sofort gehen«, sagte sie plötzlich, schmiss sich in ihre Jacke und 20 Mark auf den Tisch. »Ich hoffe das reicht. Tut mir leid. Oh Gott ist mir das peinlich, oh Gott ist mir das peinlich«, und schon war sie verschwunden. Die Freundin mit der roten Brille rückte wieder näher heran. »Du willst also mit Miriam ficken?« fragte sie. »Ja«, sagte ich. »Vergiss es«, sagte die rote Brille. »An die kommst du nicht ran.« »Ein Versuch wäre es wert«, sagte ich, und ob ich Miriams Telefonnummer haben könne. Sie sagte, ich könne.
Beim Sterben ist jeder der Erste »Hallo, hier ist der Roman.« »Wer?« »Na der Roman.« »Ach du, ja also, tut mir leid, dass ich dich neulich so hab stehen lassen, weil...« »Ach, das ist schon in Ordnung. Wollen wir uns treffen?« »Wie treffen?« »Na treffen. Treffen eben. Einfach so.«
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»Ich weiß nicht. Wann denn? Wo?« »Na, am Samstag zum Beispiel. Bin ich im Fischladen.« »Fischladen? Hm, na, wollt ich schon immer mal.« »Na dann komm doch.« »Ich weiß nicht, Samstag bin ich eigentlich schon zum Kino.« »Dann komm doch nach dem Kino.« »Also gut, vielleicht. Aber nur vielleicht.« Vielleicht klang gut. Klang besser als nein. »Also dann, vielleicht bis Samstag.« »Ja, du brauchst aber nicht auf mich warten.« »Gut, ich werde nicht auf dich warten.« Das war das erste Mal, dass ich sie belogen hatte. Ich wartete auf sie, sagen wir, bis Mitternacht. Dann gab ich’s auf und ließ mich voll laufen. Der Fischladen ist eine Besetzerkneipe in Friedrichshain, eine autonome Spielwiese, ein alternatives Disneyland. Samstags ist immer Disko. Dann wird ein feuchtes Kellerloch aufgemacht, zu dem man durch einen engen Durchgang über eine halsbrecherische Holztreppe nach unten steigt. Jemand legt auf, alle tragen Stiefel. Nach meinem ersten Samstag im Fischladen wusste ich auch warum. Früher hätte es mir nichts ausgemacht, beim Pinkeln bis zu den Knöcheln im Urin zu stehen, heute ist das anders. Ich bin zu alt für so eine Scheiße. Für die Zugereisten aus Stuttgart ist das aber der Hit. Außerdem ist das Bier billig. Ich war gerade beim fünften, als sich der Haken an der Decke löste und mir eine Lautsprecherbox auf den Kopf knallte. Ich blutete wie ein Schwein und musste mich so durch einen Wust von Studenten graben. Die halsbrecherische Holztreppe hoch, dann der enge Durchgang, in dem es das billige Bier zu kaufen gibt, schließlich der Raum, in dem das Billard und der Flipper steht. Dann noch ein enger Durchgang, der mit der überfluteten Toilette, und endlich im Café mit Ausgang zur Straße. In
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der Küche bekam ich ein Pflaster und konnte mir das Blut aus dem Gesicht waschen. »Was macht ihr eigentlich, wenn’s brennt?« fragte ich die Küchenfee. »Sterben«, sagte sie und zuckte mit den Schultern. Seitdem bin ich nicht mehr hingegangen. So hat alles sein Gutes. Was tun? Aus Erfahrung kann ich sagen: Auch wenn man noch so verknallt ist, ist es besser, sich zurückzuhalten. Auf keinen Fall sagen, dass man verknallt ist und auf keinen Fall ständig anrufen. Am besten so tun, als wäre gar kein Interesse vorhanden, aber nicht allzu sehr. Hier wie beim Geschlechtsverkehr gilt: Erst mal kommen lassen. Am nächsten Tag rief ich sie an. »Ach du schon wieder«, sagte sie. »Mir ist das gestern alles zu viel gewesen.« »Schade. War ’ne tolle Party.« »Kann sein, aber ich wäre wenn, dann erst um eins gekommen.« »Um eins geht’s doch erst richtig los.« Ich betastete die blutverkrustete Beule auf meinem Kopf. »Na ja, egal. Wieso rufst du überhaupt an?« »Ach, ich wollte dich nur fragen, ob du nächsten Samstag auf meine Geburtstagsparty kommen willst?« »Wieso lädst’n du mich auf deine Geburtstagsparty ein? Wir kennen uns doch gar nicht.« »Na ja, eben deswegen. Ich find dich halt nett. Hast du Lust?« »Mal gucken. Wenn ich einen Babysitter kriege.« Frauen mit Kind waren für mich immer tabu. Ich hatte nichts gegen Kinder, wollte sie aber auch nicht um mich haben. Kinder gingen mir auf die Nerven. Vermutlich war sie allein
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erziehend, doch auch hier gilt: Erst kommt das Kind, dann der Vater des Kindes und wenn du Glück hast, dann du. »Du kannst dein Kind ja mitbringen«, schlug ich vor. »Der Oskar ist erst fünf, das wird doch viel zu spät.« »Ach Quatsch, die Party fängt doch schon um sieben an.« Ich hoffte, dass ein paar Leute Zeit haben würden. »Was, so früh?« »Na ja, ist ja auch mehr so ’ne kleine Party. Eigentlich mehr ein Essen im engen Kreis.« »Wie eng?« »So fünf, sechs Leute. Mit dir wären’s sieben.« »Und mein Kind?« »Also acht, meine ich.« »Ich esse aber kein Fleisch.« »Ich koche meistens vegetarisch.« »Also gut, ich überleg mir’s. Kann ich dich anrufen?« »Klar, hast du was zum Schreiben?« »Nö, kann ich mir merken. Wo wir grad dabei sind. Woher hast du eigentlich meine Telefonnummer?« »Die hab ich von deiner Freundin mit der roten Brille.« »Aha. Na, mit der muss ich mal ein Wörtchen reden. Also sag an!« Und ich sagte an. Meinen 35igsten Geburtstag hatte ich also ein halbes Jahr vorverlegt, jetzt ging es nur noch darum, für den kommenden Samstag ein paar Leute zu mobilisieren. Bis Mittwoch hatte ich eine kleine Runde Irgendwen zusammen. Den Rest der Woche verbrachte ich damit, vegetarische Kochbücher zu studieren.
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der Küche bekam ich ein Pflaster und konnte mir das Blut aus dem Gesicht waschen. »Was macht ihr eigentlich, wenn’s brennt?« fragte ich die Küchenfee. »Sterben«, sagte sie und zuckte mit den Schultern. Seitdem bin ich nicht mehr hingegangen. So hat alles sein Gutes. Was tun? Aus Erfahrung kann ich sagen: Auch wenn man noch so verknallt ist, ist es besser, sich zurückzuhalten. Auf keinen Fall sagen, dass man verknallt ist und auf keinen Fall ständig anrufen. Am besten so tun, als wäre gar kein Interesse vorhanden, aber nicht allzu sehr. Hier wie beim Geschlechtsverkehr gilt: Erst mal kommen lassen. Am nächsten Tag rief ich sie an. »Ach du schon wieder«, sagte sie. »Mir ist das gestern alles zu viel gewesen.« »Schade. War ’ne tolle Party.« »Kann sein, aber ich wäre wenn, dann erst um eins gekommen.« »Um eins geht’s doch erst richtig los.« Ich betastete die blutverkrustete Beule auf meinem Kopf. »Na ja, egal. Wieso rufst du überhaupt an?« »Ach, ich wollte dich nur fragen, ob du nächsten Samstag auf meine Geburtstagsparty kommen willst?« »Wieso lädst’n du mich auf deine Geburtstagsparty ein? Wir kennen uns doch gar nicht.« »Na ja, eben deswegen. Ich find dich halt nett. Hast du Lust?« »Mal gucken. Wenn ich einen Babysitter kriege.« Frauen mit Kind waren für mich immer tabu. Ich hatte nichts gegen Kinder, wollte sie aber auch nicht um mich haben. Kinder gingen mir auf die Nerven. Vermutlich war sie allein
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erziehend, doch auch hier gilt: Erst kommt das Kind, dann der Vater des Kindes und wenn du Glück hast, dann du. »Du kannst dein Kind ja mitbringen«, schlug ich vor. »Der Oskar ist erst fünf, das wird doch viel zu spät.« »Ach Quatsch, die Party fängt doch schon um sieben an.« Ich hoffte, dass ein paar Leute Zeit haben würden. »Was, so früh?« »Na ja, ist ja auch mehr so ’ne kleine Party. Eigentlich mehr ein Essen im engen Kreis.« »Wie eng?« »So fünf, sechs Leute. Mit dir wären’s sieben.« »Und mein Kind?« »Also acht, meine ich.« »Ich esse aber kein Fleisch.« »Ich koche meistens vegetarisch.« »Also gut, ich überleg mir’s. Kann ich dich anrufen?« »Klar, hast du was zum Schreiben?« »Nö, kann ich mir merken. Wo wir grad dabei sind. Woher hast du eigentlich meine Telefonnummer?« »Die hab ich von deiner Freundin mit der roten Brille.« »Aha. Na, mit der muss ich mal ein Wörtchen reden. Also sag an!« Und ich sagte an. Meinen 35igsten Geburtstag hatte ich also ein halbes Jahr vorverlegt, jetzt ging es nur noch darum, für den kommenden Samstag ein paar Leute zu mobilisieren. Bis Mittwoch hatte ich eine kleine Runde Irgendwen zusammen. Den Rest der Woche verbrachte ich damit, vegetarische Kochbücher zu studieren.
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