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Bücher

Städte unterliegen einem nachgerade als rasant zu bezeichnenden Wandel, was verschiedene Ursachen hat, die sich in der gebotenen Tiefe hier aber weder in toto noch en détail erörtern lassen. Einer jener, wie es Neudeutsch heißt, Treiber, der ihre Gestalt zumindest seit mehreren Dekaden maßgeblich und nicht selten sogar maßstabsprengend zu beeinflussen vermochte und weiterhin vermag, darf an dieser Stelle gleichwohl nicht unerwähnt bleiben, befördert er doch nicht nur bauliche Einschnitte oder Veränderungen von oftmals arg unterdurchschnittlichem Niveau, sondern eben auch eine Art der Geschichtsverdrängung und -beseitigung, die sich aus dem politisch gewollten Irrglauben an ein unaufhörliches Wirtschaftswachstum und das Allheilmittel eines Fortschritts ohne irgendwelche negativen Begleiterscheinungen zu speisen pflegt. Wenn ökonomische Interessen die Oberhand gewinnen, verringert sich die Halbwertzeit von Büro-, Kauf- und Wohnhäusern fast unweigerlich, müssen sie de facto immer häufiger und schneller zu(un)gunsten von vermeintlich zukunftsorientierteren Gebäuden weichen, wobei Fragen nach ihrer Relevanz für Kontext und Stadtbild, ihrer Bedeutung als identitätsstiftendes Element oder als Zeugnis der Vergangenheit höchstens sporadisch Berücksichtigung finden. Eine Veröffentlichung, die (wenigstens) zu erinnern hilft, indem sie ein längst vergessenes und zudem gerne ignoriertes Kapitel der sogenannten Nachkriegsmoderne thematisiert, verdient infolgedessen größte Aufmerksamkeit. »Plan! Leipzig, Architektur und Städtebau 1945–1976« betitelt, veranschaulicht sie den Wiederaufbau der sächsischen Metropole und damit, durchaus exemplarisch, eine Entwicklung, die keineswegs kontinuierlich verlief, da sie stets von staatlich diktierten Periodisierungen geprägt wurde. Und das zeigt sich bereits an der Gliederung in die drei Hauptteile »Verdrängung und Bewahrung«, »Neubeginn« und »Die moderne sozialistische Stadt«, deren eingehende Lektüre schon allein deshalb lohnt, weil sie einen trotz sämtlicher Generalplanungsversuche und der offiziell verordneten Bemühungen um Typisierung und Massenproduktion mit vielen außerordentlich qualitätvollen Beispielen aus Beton, Stahl und Stein konfrontiert, die (überwiegend) nicht mehr oder lediglich in später überarbeiteter, ergo verzerrter Form existieren. Wer die (jüngere) Vergangenheit nicht einfach abzuhaken gedenkt, die Auseinandersetzung mit ihr und die Kenntnis ihrer positiven wie negativen Charakteristika generell als wichtig erachtet, um frühere wie heutige Diskussionen besser verstehen und aktuelle Entwurfsresultate auf solider Basis treffender kritisieren zu können, wird in und mit dem Buch zweifelsohne fündig. Die Empfehlung sollte, ja muss daher lauten: Kaufen und lesen.

Michael Wiederspahn

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Christoph Kaufmann, Peter Leonhardt, Anett Müller: Plan! Leipzig, Architektur und Städtebau 1945–1976. Hrsg. v. Stiftung Sächsischer Architekten. Sandstein Verlag, Dresden 2018. 168 S., 188 Abb., br., 20 €.

Farbige DDR

Das Haus des Lehrers in Berlin-Mitte mit seinem umlaufenden Mosaikfries ist vielen Architekturinteressierten mittlerweile ein Begriff, wird es doch gerne als Illustration bemüht, wenn es gilt, die Kunst auf dem Staatsgebiet der ehemaligen DDR pointiert darzustellen. Fast folgerichtig bildet es das Auftaktbild eines Überblicks der baubezogenen Kunst in der DDR, der, als Kunstführer konzipiert, tatsächlich eine beeindruckendeund nachdenklich machende Werkschau ist. Dass in jener Zeit zahlreiche weitere Arbeiten dieser und ähnlicher Art entstanden, ist meist allenfalls bekannt; wo jedoch sie sich befinden, dürfte den wenigsten präsent sein. Dabei waren die häufig unübersehbar im Stadtraum verteilten Werke mit stark didaktischer Ausrichtung einst Teil der Alltagskultur im Arbeiterund-Bauernstaat und integraler Bestandteil einer gesellschaftspolitischen Selbstdarstellung und Erziehung, der man sich nicht entziehen konnte. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von der zeitgleich in der BRD entstandenen Kunst am Bau, weshalb ihre Bezeichnung als »baubezogene Kunst« hilfreich ist. Wie es war, in ihrem »Schatten« heranzuwachsen, davon gibt der 1982 in Eisenhüttenstadt geborene Martin Maleschka Zeugnis. Bereits kurz nach der Jahrtausendwende, nachdem durch erste Abrisse auch die mit den Bauten verbundenen Werke allmählich verschwanden, hat er sein Interesse für diese Kunst entdeckt und mit ihrer Dokumentation begonnen. In über 15 Jahren ist daraus ein umfangreiches Archiv erwachsen. Aus diesem hat er für die nun vorliegende Publikation 120 noch existente Werke ausgewählt, die er, nach Bundesländern geordnet, katalogartig und mit reichem Bildmaterial versehen, vorstellt; eine Einladung zur Entdeckungsreise in eine noch nicht sehr ferne Vergangenheit. Eingeleitet wird sie mit der sehr persönlichen »Aufgewachsen inmitten von Kunst« betitelten Stellungnahme des Autors. Sein Ziel: zu zeigen, wie farbig die DDR war. Zwei wissenschaftliche Exkurse zur Entstehung und Einordnung der Kunst aus den Federn von Thomas Topfstedt und Peer Pasternack vermitteln Hintergrundwissen, bevor sich dem Leser auf den Folgeseiten eine sehr eigene, manchmal fremd anmutende Welt eröffnet: großformatige Wandbilder in Außen- und Innenräumen, Mosaiken, Plastiken, Reliefs, Fensterbilder und Brunnenskulpturen, mehrheitlich figurative, seltener abstrakt gehaltene Darstellungen, meist farbintensiv und in vielfältigen künstlerischen Techniken. Auffällig oft finden sich als Titel der Arbeiten Stereotype wie Mensch und Natur, Mensch und Bildung, Industrie und Landwirtschaft, Wasser und Leben. Aber auch »neuhistorischen« Ereignissen sowie einzelnen Wissenschaften und Wirtschaftszweigen und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung wird Platz eingeräumt. Die Kunst ist in frontalen Fotografien eingefangen, oft durch Detailaufnahmen ergänzt und wird meist komplettiert durch Aufnahmen, die sie im Kontext ihrer Umgebung zeigt. Und die ist gelegentlich von erschreckender Monotonie oder durch Vernachlässigung gekennzeichnet. Der Verzicht auf eine distanzierende künstlerische Überhöhung der Motive macht ihre »Alltäglichkeit« erfahrbar. Jedes Werk ist mit Standort, Titel, Entstehungszeit und Künstler angegeben und zur leichteren Auffindbarkeit mit einem QRCode versehen. In den knappen erläuternden Texten setzt der Autor sehr individuelle Schwerpunkte. Die Publikation ist mehr als ein beeindruckender architekturhistorischer Überblick, denn sie erlaubt in ihrer verdichteten Form und Intensität teilhabende Einblicke in die vergangene Lebenswelt der DDR.

Elisabeth Plessen

Martin Maleschka: Baubezogene Kunst. DDR. Kunst im öffentlichen Raum 1950 bis 1990. DOM publishers, Berlin 2019. 504 S., 500 Abb. 4c, br., 48 €.

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