Umrisse 4-5/2021

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Angesichts der vielen über die Jahrzehnte und gerade in den letzten rund 15 Jahren erschienenen Bücher von und über Max Bill (1908–1994) und der mindestens ebenso zahlreichen Ausstellungen mit seinen Werken mag man sich kurz fragen, was es noch Neues über ihn zu entdecken gilt: Es ist der Netzwerker Bill. Diese eher umgangssprachliche Bezeichnung für einen Menschen, der sehr gezielt zum eigenen beruflichen Nutzen und Erfolg, aber auch zu seiner − in diesem Fall künstlerischen − Weiterentwicklung den Aufbau und die Pflege von Kontakten betreibt, beschreibt das Wirken Bills auf das Trefflichste, wie der anlässlich der bis zum 9. Januar 2022 laufenden Ausstellung »max bill global – Ein Künstler als Brückenbauer« im Berner Zentrum Paul Klee erschienene Katalog eindrucksvoll belegt. Der Katalog zeigt, darin der Ausstellung folgend, chronologisch die wichtigsten Stationen und prägendsten Begegnungen Bills mit einflussreichen Denkern und Künstlern sowie deren Auswirkungen auf das Schaffen des jeweils anderen. Einem kurzen Einstieg zu einzelnen Orten folgen Seiten mit jeweils nur einem Werk in hervorragender Wiedergabe und Druckqualität, die eindrucksvoll vermitteln, was die Texte nur skizzieren. Gut 90 Arbeiten Bills aus allen Schaffensphasen mit den Schwerpunkten auf Gemälden, Grafiken, Plakaten, Skulpturen und Plastiken, sind 50 Arbeiten seiner zeitgenössischen Gesprächspartner – Lehrer, Kommilitonen und andere von ihm als wichtig erachtete Kunst- und Architekturschaffende –, mit denen er zu den unterschiedlichsten Zeiten seines Lebens einen intensiven Austausch suchte, gegenübergestellt. Den Kuratorinnen ist es gelungen, für die Ausstellung Werke aus aller Welt – auch aus vielen privaten Sammlungen – nach Bern zu holen, die im direkten Dialog mit denen von Bill fast selbsterklärend Beziehungsgeflechte und wechselseitige Einflüsse offenbaren – wenn man sich die Muße zur Betrachtung nimmt. Neben den aus Bills Bauhaus-Studienzeit resultierenden Begegnungen mit Hans Arp, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und vielen anderen wird auch seinem frühen Interesse an der Gedanken- und Schaffenswelt Südamerikas, die ihn schon Anfang der 1950er-Jahre nach Brasilien zog, viel Raum gegeben.

Sein Kontakt zu der zu diesem Zeitpunkt in europäischen Architektenkreisen wenig bekannten Architektin Lina Bo Bardi, die daraus resultierenden Verbindungen, die ihn auf dem südamerikanischen Kontinent schnell bekannt machten, all das lässt sich, in kurzen, prägnanten Texten dargelegt und nachfolgend anhand seiner und der Werke seiner Gegenüber illustriert, in Ruhe und mit großem Erkenntnisgewinn nachvollziehen. Gleiches gilt für Bills über viele Jahre gepflegten Austausch mit Künstlern in den USA, seien es Charles und Ray Eames, Donald Judd und Richard Serra oder der bildgewaltige Andy Warhol, um nur einige zu nennen. Sie alle beeinflussten seine Art zu denken und künstlerisch zu arbeiten – und er die ihre. Der textlich kompakte, sehr gut bebilderte Katalog ist über die Ausstellung hinaus ein in sich stimmiges, facettenreiches, dabei nicht nach Geschlossenheit trachtendes Porträt eines gleichermaßen um Ausdruck und nach Erfolg Suchenden, der beides fand. Er eröffnet tatsächlich einen neuen Zugang zu Max Bill – und ist deswegen zur Lektüre und »Besichtigung« zu empfehlen. Elisabeth Plessen Fabienne Eggelhöfer, Nina Zimmer (Hrsg.): max bill global. Ein Künstler als Brückenbauer. Scheidegger & Spiess, Zürich 2021. 256 S., 153 Farb- und 37 SW-Abb., Broschur, 48 €.

Anders als gedacht Während der seit Jahrzehnten fortgeschriebenen Definition des Authentischen in der Architektur spätestens seit der Charta von Venedig eine große Rolle zukommt und ihr – wenngleich unter sehr westlichen Wertvorstellungen – Qualitäten eingeschrieben werden, scheint das Inauthentische des Historismus, aber auch von Themenwelten, Erlebnisparks und Einkaufsparadiesen sowie von exportierten Nachbauten ganzer historischer Stadtstrukturen als ihr »schmuddeliges« Gegenstück. Von diesem Image will Christian Rabl die »Architekturen des Inauthentischen« in seiner Verteidigungsrede befreien. Dabei geht es ihm nicht um deren Nobilitierung. Sein vorrangiges Ziel ist es, das Authentische, das meist objektbezogen unter sehr unterschiedlichen Ansätzen konstatiert

wird, als Werturteil zu hinterfragen sowie die ihm zugrunde liegenden Denkmuster und die zu Teilen daraus resultierenden Kontroll- und Machtsysteme aufzuzeigen, kurz: den Blick zu weiten und den Diskurs zu öffnen. Auf fast 560 eng bedruckten Seiten – ohne eine einzige Visualisierung – arbeitet er sich akribisch und mit großer Kenntnis sowohl des Architekturdiskures als auch der Zeit- und Kulturgeschichte durch die von ihm ausgewählten Beispiele der Jahrhunderte und weist die manchem sogenannten Authentischen innewohnenden Fragwürdigkeiten auf. In einem weiteren Schritt wendet er sich anhand teilweise sehr lebensnaher Beispiele wie »Der Attraktion des Authentischen in der Urlaubsindustrie« dem scheinbar Inauthentischen zu, dem – wie er nachweist – gelegentlich sehr wohl authentische Aspekte innewohnen. Fast die Hälfte der Publikation ist der Analyse von sechs Hauptstädten des Inauthentischen – Budapest, Tiflis, Baku, Wiesbaden, Atlantic City und Doha – gewidmet. Die Auswahl ist, wie er selbst einleitend konstatiert, erklärungsbedürftig. Aber seine Erklärungen überzeugen ebenso wie die breit angelegten Ausführungen zu den Städten. Rabls Ausführungen sind bedenkenswert und erhellend. Allerdings stellt sich ein längerer Lese- und Gedankenfluss nur selten ein. Denn der Autor macht es dem Leser unnötig schwer, wenn er in fast schon manieriert wirkender wissenschaftlicher Selbstverliebtheit seine oft mit einem Übermaß an Adjektiven und Adverbien garnierten Ausführungen zusätzlich mit eingedeutschten Begrifflichkeiten aus dem Lateinischen, Englischen und Französischen überfrachtet. Hier hätten mehr Klarheit und Straffung sowie ein Lektorat gutgetan. Wer bereit ist, kanonisierte Architekturbilder kritisch zu hinterfragen und sich dem Inauthentischen vorurteilsfrei zu nähern, der wird aus der Lektüre neben großem (Er-)Kenntnisgewinn vielleicht auch eine veränderte Sicht auf seine Umwelt erlangen. Elisabeth Plessen Christian Rabl: Architekturen des Inauthentischen. Eine Apologie. Transkript Verlag, Bielefeld, 2020. 560 S., Broschur, 55 €.

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