VERDOPPELUNG DES SUBJEKTES Poesie von Vlado Franjević Gelesen am 23. März 1997 im Theater am Kirchplatz in Schaan, Fürstentum Liechtenstein
DEIN SMERZ IST EINE AMPLITUDE dein Schmerz ist eine Amplitude er ist sichtbar am Monitor und man kann ihn durch das Netz weiterschicken reproduzieren die ausgedehnte Amplitude und dein Schmerz wird gleich ummodelliert er vibriert zu meinem durch anders als früher dein Schmerz ist eine Amplitude und der Vogel aus Stein
HAB KEINE ANGST hab keine Angst meine Strasse abwärts zu stolpern sie ist ein Federnmosaik die Strasse die dich von dir zu mir führt
MONITOR ANSTELLE DEINES GESICHTES Monitor anstelle deines Gesichtes dein Gedanke eine Farbe im Schleimbogen Liebe ist kein Wort das in ein Gedicht passt
HARMONIKASPIELER Harmonikaspieler mit schwarzer Harmonika Töne tropfen aus dem Balg Blut Harmonika Element aus einer ganz andersartigen Geschichte
BEULENAUSSTELLUNG Beulenausstellung kleine Beulen Knollen grosse Beulen Krankheit Krankheit einer Beule Knolle auf den Beulen kleine Beulen auf den großen die große auf den kleinen Gnade Knolle Punkt Punkt im Auge im Auge das dich sieht
KLANG Klang Mitternacht Nachthälfte in der Mitte eines Tages Scheideweg vom Vergangenen und vom Niedagewesenen Verkörperung des Klanges Papieresel eine Schöpfung des betrübten schläfrigen Künstlers
DIESE NACHT WIRD EUCH NICHT ÜBERRASCHEN diese Nachricht wird euch nicht überraschen die Nacht war dunkel feucht und lang das Dunkle die Mitte der Meisenpupille das Feuchte der Schweiss im schwarzen Süden das Lange die Strecke von hier bis nirgendwohin
MUTTER Mutter Vater Grossvater und -Mutter Gattin Tochter Schwager Schwiegermutter und -Vater Schwesterhälfte Halbschwester erste Schwägerin zweite und dritte erster zweiter und dritter Schwager Tante und vor kurzer Zeit ihr verstorbener Mann Nichte und Neffe ihre Kinder und Kinder meiner Schwäger und Schwägerinnen Flamme Flammensteine Stein in der Flamme Feuerstein Stein Flammen Amen
NETZ Netz StahlNylonHanf- und Efeufäden Fäden aus Adern von lebenden Wesen und aus den Adern der kürzlich Verstorbenen Meridiane Parallelen Knotenpunkte Netz Kreuzen von verschiedenen Gedankensystemen verursachte Schwingung infolge dieses Kreuzens Verhältnis Verhältnis im Netz und so weiter
KOMM komm wir werden uns verabschieden bleib vor der Türe stehen in meiner Einzelhaft ist es kalt ich werde zu dir herauskommen und wir werden uns verabschieden beim Abschied liebkosen und beim Liebkosen könntest du mir und ich könnte dir ein Ohr abbeissen es sollen zwei salzige Wunden das Andenken unseres Abschieds sein
AM BAHNHOF GIBT ES NICHTS NEUES am Bahnhof gibt es nichts neues einer hinter dem anderen stehst du mit mir mit ihm mit ihr mit ihnen und mit dir selbst steht sie mit mir mit dir mit ihm mit uns mit euch mit ihnen und mit ihr selbst steht er mit mir mit dir mit ihr mit uns mit euch mit ihnen und mit ihm selbst stehen wir mit dir mit ihm mit ihr mit euch mit ihnen steht ihr mit mir mit ihm mit ihr mit uns mit ihnen stehen sie mit mir mit dir mit ihm mit ihr mit uns mit euch und stehe ich in einer Schlange und wir alle versuchen mit so wenig Geld wie möglich diese nach der Lokerfindung immerwiedergesuchte und nie möglicherreichbare Fahrkarte in die ewigfalsche Nichtrückkehrrichtung von dir zu dir zu ihm und ihr zu uns und ihnen von dir zu mir von ihm zu ihm zu dir und ihr zu uns und ihnen
von ihm zu mir von ihr zu ihr zu dir und ihm zu uns und ihnen von ihr zu mir von uns zu uns zu mir und ihm zu ihr und ihnen von uns zu dir von euch zu euch zu dir und ihm zu ihr und ihnen von euch zu mir von ihnen zu ihnen zu dir und ihm zu ihr und euch von ihnen zu mir zu erwerben da sind wir unsicher
"Vlado Franjević versteht sein lyrisches Schaffen als Auslotung derjenigen Seiten des Subjekts, die er mittels Malerei nicht erschliessen kann. Der anfängliche Hang zum Erzählerischen wurde zunehmend von sich immer stärker verdichtenden Sprachbildern abgelöst. Die frühen Texte waren von einer melancholischen Romantik geprägt, die sich immer stärker zu einer die Vielschichtigkeit des Textes erschliessenden Schreibweise entwickelte, in der sich eine eigenartige Poesie des Absurden einschleicht." Al’ Leu, Publizist