G端nther Kittel
Chemische Arbeitsstoffe II
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Humanisierung. Technologie.Umwelt.
G端nther Kittel
Chemische Arbeitsstoffe II
Günther Kittel
Chemische Arbeitsstoffe II
Dieses Skriptum ist für die Verwendung im Rahmen der Bildungsarbeit des Österreichischen G ewerkschaftsbundes, der Gewerkschaften und der Kammern für Arbeiter und Angestellte bestimmt.
Inhaltliche Koordination: Peter Autengruber
Zeichenerklärung
Hinweise Beispiele Zitate
Stand: September 2014 Impressum: Layout/Grafik: Dietmar Kreutzberger/Walter Schauer Layoutentwurf/Umschlaggestaltung: Kurt Schmidt Medieninhaber: Verlag des ÖGB GmbH, Wien © 2011 by Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH, Wien Herstellung: Verlag des ÖGB GmbH, Wien Verlags- und Herstellungsort: Wien Printed in Austria
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Inhalt Grenzwerte 6 Stoffmessungen 14 Chemiemanagement im Betrieb
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Gefährdungsbeurteilung („Evaluierung“)
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Schutzmaßnahmen 32 Kommunikation und Information
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Betriebliche Gesundheitsförderung
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Wer ist für den ArbeitnehmerInnenschutz zuständig?
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1
Grenzwerte Beim Umgang mit gefährlichen Arbeitsstoffen muss grundsätzlich davon aus gegangen werden, dass die Beschäftigten mit diesen Chemikalien in Kontakt kommen können. Die Bestimmung der Höhe dieser Grenzwerte (MAK-Werte und TRK-Werte) beruht auf den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die physika lischen, chemischen und toxikologischen Eigenschaften des jeweiligen Stoffes. Soweit vorhanden, fließen auch praktische Erfahrungen aus dem Umgang mit chemischen Arbeitsstoffen ein. Der empfohlene Wert wird dann von einem Ausschuss aus VertreterInnen von Behörden und Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen auf seine wirtschaftliche und technische Umsetzbarkeit geprüft. Schließlich legen die zuständigen Behörden den entspre chenden Grenzwert fest.
MAK-Wert (Maximale Arbeitsplatzkonzentration) Der MAK-Wert gibt an, wie viel von einem Stoff als Gas, Dampf oder Schwebstoff maximal in der Luft eines Arbeitsplatzes vorhanden sein darf. Er wird in mg Stoff/m3 Luft oder in ml Stoff/m3 Luft (ppm) angegeben. In den letzten Jahren gab es große Veränderungen in der Einteilung der Grenzwerte und ihrer Darstellung in den Auflistungen. Die grundlegenden Begriffs definitionen blieben jedoch dieselben wie früher. Er ist ein Mittelwert über die Schadstoffkonzentration in einer 8-StundenSchicht (40 Wochenstunden). Kurzfristige Grenzwertüberschreitungen sind je nach Stoff teils gestattet. Bei Einhaltung des MAK-Wertes sollte im Allgemeinen auch bei wiederholter und langfristiger Belastung die Gesundheit von ArbeitnehmerInnen nicht beeinträchtigt und diese nicht unangemessen beläs tigt werden.
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MAK-Werte
1.1
Grenzen der MAK-Werte Im Betrieb bilden die MAK-Werte eine wichtige Beurteilungsgrundlage für eine mögliche Gefährdung durch einen Stoff und zeigen, ab wann Schutzmaßnahmen unbedingt erforderlich sind. Sie sind aber kein absolutes Maß dafür, ob ein Stoff schädlich ist! Daher sollten sie prinzipiell so weit wie möglich unter schritten werden. Gibt es von einem chemischen Arbeitsstoff mit einem potenziellen inhalativen Risiko keinen Grenzwert, bedeutet dies jedoch nicht automatisch, dass keine Gefährdung von ihm ausgeht, sondern oft nur, dass nichts oder zu wenig über seine schädlichen Wirkungen bekannt ist. Die MAK-Werte spiegeln den momentanen Wissensstand wider. Eine Änderung der Grenzwerte bedeutet meist eine Senkung. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die Hinweise auf die schädliche Wirkung von Asbest allgemeine Anerkennung gefunden haben und dieser Stoff EU-weit verboten wurde. Vinylchlorid, der Grundbaustein für PVC, ist ein anderes Musterbeispiel dafür, wie sehr sich Grenzwerte mit wachsenden Kenntnissen verändern können. Die Vinylchlorid-Story: Lange Zeit galt diese Chemikalie nur als narkotisierend und augenreizend, der MAK-Wert lag im Jahr 1966 bei 500 ppm, die inhalative Gefahr wurde also als nicht sehr hoch eingeschätzt. Erst Anfang der 1970er Jahre gab es genauere wissenschaftliche Kenntnisse über das Schädigungsbild von Vinylchlorid. Laufend wurden die MAK-Werte herabgesetzt, im Jahr 1971 auf 100 ppm, und im Jahr 1974 auf 50 ppm. Weil für Vinylchlorid in der Folge Karzinogenität nachgewiesen wurde, kann heute nur mehr ein TRK-Wert (siehe unten) festgelegt werden.
Ein besonders großes Risiko geht von flüchtigen Stoffen aus, die leicht eingeatmet werden können. Um dieser Gefährdung zu begegnen, werden Grenzwerte für gefährliche Stoffe in der Luft am Arbeitsplatz festgelegt.
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1
Grenzwerte Von den etwa 100.000 in der Europäischen Union gehandelten chemischen Stoffen sind nur rund 5.000 in Bezug auf alle Wirkungen toxikologisch gut untersucht. In jedem EU-Mitgliedsstaat sind ein paar hundert Grenzwerte festgelegt, in Österreich derzeit zirca 700. Die genaue Zahl unterscheidet sich von Land zu Land und nicht für alle Arbeitsstoffe stimmt der Grenzwert in allen Staaten überein. MAK-Werte orientieren sich am gesunden Menschen im erwerbsfähigen Alter und sind für die Einwirkung von chemischen Stoffen über Atemwege definiert. Viele Faktoren werden bei ihrer Erstellung nicht berücksichtigt: xx Unterschiedliches Körpergewicht; xx Verschiedene Körpergröße; xx Besondere Empfindlichkeiten; xx Besondere und Vorbelastungen; xx Psychische Verfassung; xx Schwangerschaft: Ein Schutz für Schwangere und Stillende ist ausdrücklich nicht garantiert; xx Aufnahme eines Schadstoffes über die Haut: Daher wurden diesbezügliche Informationen in die Grenzwertliste (siehe unten) aufgenommen; xx Arbeitsplatzfaktoren bzw. Wechselwirkungen mit anderen Belastungen und Arbeitsstoffen („Belastungsvielfalt“): Ob in derselben Zeiteinheit viel oder wenig von einem in der Luft befindlichen Stoff aufgenommen wird, hängt z. B. von der körperlichen Anstrengung ab; ein Schwerarbeiter verbraucht während der Arbeit viermal so viel Luft als jemand, der ruhig sitzt; entsprechend höher ist die Schadstoffmenge, die eingeatmet wird.
Im Einzelfall ist eine Gefährdung daher nicht vollständig auszuschließen. Aber dennoch sind MAK-Werte ein bedeutendes Instrument im Rahmen des Managements chemischer Arbeitsstoffe.
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TRK-Werte
1.2
TRK-Werte (Technische Richtkonzentration) Bei eindeutig krebserzeugenden Chemikalien werden keine MAK-Werte fest gesetzt, da hier keine Konzentration angegeben werden kann, bei der der Stoff als unbedenklich anzusehen ist. Für diese Substanzen gibt es TRK-Werte. TRK-Werte sind für die zu treffenden Schutzmaßnahmen und die meßtechnische Überwachung am Arbeitsplatz heranzuziehen und berücksichtigen technische Entwicklungen (verfahrens-, lüftungstechnischer Stand, Analysemöglichkeiten). Allerdings gibt es weitaus weniger Senkungen von TRK-Werten als nach dem auch für Klein- und Mittelbetriebe umsetzbaren technischen Fortschritt zu erwarten wäre. Eine Gesundheitsgefährdung kann auch dann nicht ausgeschlossen werden, wenn die TRK-Werte eingehalten werden! Daher sieht das Arbeit nehme rIn nenschutzgesetz vor, dass krebserzeugende und ähnliche Stoffe grundsätzlich zu ersetzen sind, wenn ein gleichwertiges Arbeitsergebnis mit einem weniger gefährlichen Ersatzstoff erzielt werden kann. Ist dies nicht möglich, muss durch technische Schutzmaßnahmen (z. B. Kapselung) sichergestellt werden, dass die Beschäftigten mit diesen besonders gefährlichen chemischen Stoffen nicht in Kontakt kommen. Die krebserzeugenden Arbeitsstoffe sind nach der GKV wie folgt eingeteilt: A: Eindeutig krebserzeugende Arbeitsstoffe: A1: Stoffe, die beim Menschen erfahrungsgemäß bösartige Geschwülste zu verursachen vermögen, z. B. Asbest, Benzol A2: Stoffe, die sich im Tierversuch unter Bedingungen wie in der Praxis als krebserzeugend erwiesen, z. B. Cadmium und seine Verbindungen Der TRK-Wert ist jene Konzentration eines Stoffes als Gas, Dampf oder Schwebstoff in der Luft eines Arbeitsplatzes (als Mittelwert), die nach dem Stand der Technik erreicht werden kann. Zur Beurteilung des „Stands der Technik“ werden z. B. Normen und technische Richtlinien herangezogen. Er wird in mg Stoff/m3 Luft oder in ml Stoff/m3 Luft (ppm) angegeben.
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Grenzwerte
1
B: Stoffe mit begründetem Verdacht auf krebserzeugendes Potenzial, z. B. Blei chromat, Formaldehyd und Chloroform C: Krebserzeugende Stoffgruppen und Stoffgemische, z. B. Hartholzstäube, manche Kühlschmierstoffe und bestimmte Verbrennungsprodukte wie Stein kohlenteer oder Kokereigase.
Was findet man in der Grenzwerte-Liste? Die Grenzwerteliste informiert darüber, wie hoch das Gefahrenpotenzial ist, das mit der Aufnahme eines Arbeitsstoffes über die Atemwege verbunden ist. Sie zeigt auch spezielle Gefahren beim Kontakt des Arbeitsstoffes mit der Haut. Die Grenzwerteliste ist eine wertvolle Informationsquelle für den Umgang mit Chemie am Arbeitsplatz. Sie behandelt auch spezielle Chemikalien, besonders gefährliche Arbeitsstoffe und Maßnahmen für das chemische Risikomanagement. Die Grenzwerteverordnung geht über eine bloße Aufzählung von Grenz werten weit hinaus.1 Die Grenzwerteverordnung enthält folgende Stofflisten: xx In Anhang I die alphabetische Liste von Arbeitsstoffen, denen ein MAK-Wert oder ein TRK-Wert zugeteilt wurde; xx Anhang II entfällt: In ihm waren bis zum Jahr 2007 die TRK-Werte enthalten; xx In Anhang III die Listen krebserzeugender Arbeitsstoffe für Stoffe (A1, A2, B), sowie für Stoffgruppen und Stoffgemische (C); xx Anhang IV entfällt: In ihm waren früher die Maschinenlisten Holzstaub enthalten; xx In Anhang V eine Liste krebserzeugender Harthölzer; xx In Anhang VI die Listen fortpflanzungsgefährdender (reproduktionstoxischer) Arbeitsstoffe (F, D, f, d, L).
Eine ausführlich kommentierte Fassung ist auf der Website der Arbeitsinspektion zu finden: www.arbeitsinspektion.gv.at/AI/Arbeitsstoffe/Grenzwerte/
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10
Grenzwerte-Liste
1.3
Im Text wird auf folgende Themen eingegangen: xx Grenzwerte und Ausnahmeregelungen von biologisch inerten Schwebstoffen (Stäube); xx Grenzwerte von Kohlenwasserstoffdämpfen; xx Bewertung von Stoffgemischen in der Luft am Arbeitsplatz; xx Vorschriften für krebserzeugende Arbeitsstoffe (Einteilung, Anwendungs verbote, Meldung, Schutzmaßnahmen); xx Sonderbestimmungen für Holzstaub (Schutzmaßnahmen, Reinigung); xx Sonderregelungen für Asbest (Meldung, Schutzmaßnahmen, Anwendungs verbote, Information der ArbeitnehmerInnen); xx Messungen (Grenzwert-Vergleichsmessungen, Kontrollmessungen); xx Prüfung von Absaug- und Lüftungsanlagen.
Was zeigen die Angaben in der Grenzwerte-Liste? Die Abbildung unterhalb zeigt an einem Stoffbeispiel, wie die Grenzwerte-Liste aufgebaut ist. Die Bedeutung der einzelnen Spalten wird im Anschluss e rklärt.
Stoffe
CAS
Grenzwert MAK Fort Krebs TMW KZW oder pflanzungs erzeu3 TRK gefährdend gend (ppm) (mg/m ) (ppm) (mg/m3)
1,2Dichlor- [95-50-1] MAK benzol
20
122
50
306
HäufigDauer keit pro H, S (min) Schicht (mg/m3) 15 (Miw)
4x
H
xx Die erste Spalte beinhaltet, alphabetisch geordnet, den Stoffnamen. Bei Trivialnamen (das ist der Name, mit dem der Stoff üblicherweise bezeichnet wird) wird jeweils auf die „chemisch korrekte“ Bezeichnung verwiesen, z. B. ist „Ätznatron“ ein Trivialname für „Natriumhydroxid“. In unserem Beispiel geht es um den Stoff „1,2-Dichlorbenzol“.
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1
Grenzwerte xx In der zweiten Spalte steht eine Zahl in einer eckigen Klammer [ ]. Das ist die so genannte CAS-Nummer. Jeder chemische Stoff erhält eine eigene Zahl und kann mit ihr weltweit eindeutig identifiziert werden. Falls Sie sich einmal näher über einen Stoff informieren wollen, vergessen Sie Stoffnamen oder Formeln, bei denen man sich leicht verschreiben kann. Die Eingabe der CAS-Nummer funktioniert auch bei jeder Suchmaschine im Web und in fastallen Datenbanken! 1,2-Dichlorbenzol hat die CAS-Nummer [95-50-1]. xx Die dritte Spalte gibt an, ob es sich beim Grenzwert um einen MAK-Wert oder einen TRK-Wert handelt. Das ist notwendig, weil beide Arten jetzt in einer Liste geführt werden, aber völlig unterschiedliche Bedeutungen und Auswirkungen auf die Praxis haben (siehe oben). 1,2-Dichlorbenzol ist nicht krebserzeugend und besitzt einen MAK-Wert. xx Die vierte Spalte erläutert die Klasse fortpflanzungsgefährdender Arbeitsstoffe. Im Beispiel ist sie leer, weil 1,2-Dichlorbenzol keine solche Wirkung hat. F = Kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen f = Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen D = Kann das Kind im Mutterleib schädigen d = Kann vermutlich das Kind im Mutterleib schädigen L = Kann Säuglinge über die Muttermilch schädigen xx In der fünften Spalte wird die Klasse krebserzeugender Stoffe (siehe vorne) angeführt. Im Beispiel ist sie ebenfalls leer, weil 1,2-Dichlorbenzol keine solche Wirkung hat. xx In der sechsten und siebenten Spalte steht der MAK-Wert als Tagesmittelwert in zwei Einheiten. Im Beispiel ist er 20 ppm (= 20 ml/m3) bzw. 122 mg/ m3. Damit dürfen im Tagesschnitt bis zu 20 Milliliter dieses Stoffes in einem Kubikmeter Atemluft sein, um den MAK-Wert nicht zu überschreiten. xx TRK-Werte werden hier und in den anderen Spalten ganz analog interpretiert. xx Die nächsten Spalten zeigen den Kurzzeitwert, meist auch als Durchschnittswert über den Beurteilungszeitraum, der in der zehnten Spalte genannt wird („MiW“). Seltener wird hier ein Momentanwert vorgeschrie-
12
Grenzwerte-Liste
1.3
ben, der nicht überschritten werden darf („MoW“). Weiters ist festgelegt, wie oft pro Schicht eine solche Überschreitung erlaubt ist. In unserem Beispiel darf der MAK-Wert vier Mal pro Schicht für im Schnitt jeweils maximal 15 Minuten das Zweieinhalbfache (50 ppm) betragen. Über den ganzen 8-Stunden-Tag darf jedoch der MAK-Wert von 20 ppm nicht überschritten werden. Er muss also in der restlichen Zeit der Schicht deutlich unterschritten werden! xx Die letzte Spalte gibt Hinweise auf dermale Gefahren, die ja mit Grenzwerten nicht beschrieben werden können: Stoffe mit „H“ („Hautresorption“) können besonders leicht durch die Haut eindringen. Chemikalien mit „S“ können besonders leicht Allergien auslösen. Die Angabe dieser Überempfindlichkeitsreaktionen ist je nach Art noch präzisiert: „Sa“ bezieht sich auf Sensibilisierung der Atemwege, „Sh“ auf Sensibilisierung der Haut und „Sah“ auf Sensibilisierung von Atemwegen und Haut. „P“ steht für Photosensibilisierung, d.h. Lichtempfindlichkeit. Der Beispielstoff 1,2-Dichlorbenzol weist eine überdurchschnittlich große Gefahr auf, die Haut zu durchdringen.
Die Grenzwerteliste informiert darüber, wie hoch das Gefahrenpotenzial ist, das mit der Aufnahme eines Arbeitsstoffes über die Atemwege verbunden ist. Sie zeigt auch spezielle Gefahren beim Kontakt des Arbeitsstoffes mit der Haut.
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2
Stoffmessungen In einem holzverarbeitenden Unternehmen wird mit einer Vielzahl von Lacken gearbeitet. Bei einem Rundgang durch den Betrieb treten einige Beschäftigte der Lackiererei an Sie mit einer Klage heran: „Hier stinkt es immer ganz fürchterlich. Das ist total unangenehm. Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit am Ende des Arbeitstages sind keine Seltenheit. Wir arbeiten ja nicht gerade mit harmlosen Stoffen und jetzt sind wir besorgt, dass die Absaugung nicht ausreicht und wir uns vergiften. Wir möchten, dass hier einmal gemessen wird.“ Ein verständlicher Wunsch der Beschäftigten. Aber zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang zu bedenken: xx Messungen verändern nicht automatisch einen belastenden Zustand. Sie sind keine Lösung, sondern ein Hilfsmittel, um z. B. die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zu überprüfen. xx Zuallererst sollte die Evaluierung dieser betroffenen Arbeitsplätze überprüft bzw. wiederholt werden, um alle Bedingungen zu sammeln, die zur Beurtei lung der Gefährdungssituation und der erforderlichen Schutzmaßnahmen benötigt werden. Wie hier vorzugehen ist, wird in den folgenden Kapiteln beschrieben. Das Beispiel zeigt jedenfalls, dass in diesem Unternehmen die Organisation und Umsetzung des ArbeitnehmerInnenschutzes nicht gut funktionieren dürften. Keine/r der Zuständigen im Management und bei den innerbetrieblichen ExpertInnen (ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräfte; siehe Kap. 8) scheint sich die Arbeitsplätze in der letzten Zeit angeschaut zu haben. Und wer weiß, ob die technischen Schutzmaßnahmen korrekt geprüft und gewartet sind! Wenn Sie als Betriebsrat / Betriebsrätin von Ihren KollegInnen über eine belastende Situation informiert werden, sorgen Sie dafür, dass die Personen, die für Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb verantwortlich und zuständig sind, aktiv werden.
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Messverpflichtung des Betriebs
2.1
Seit 2006 ist endlich genau festgelegt, wann und wie die Messung chemischer Arbeitsstoffe zu erfolgen hat.2 Die Durchführung von so genannten GrenzwertVergleichsmessungen und Kontrollmessungen ist beschrieben, aber auch etwaige notwendige kontinuierliche und mobile Messungen sowie Überwachung. Grenzwert-Vergleichsmessungen Dies sind repräsentative Messungen der Exposition der ArbeitnehmerInnen, das heißt, des Ausmaßes, in dem sie einem chemischen Stoff in der Luft am Arbeits platz ausgesetzt sind. Ihre Ergebnisse müssen Vergleiche mit Grenzwerten erlauben. „Repräsentativ“ bedeutet, dass sie unter praxisnahen Bedingungen durchzuführen sind. Überspitzt gesagt, nicht am Sonntagabend in der Kantine, sondern am Arbeitsplatz, wenn eine typische chemische Arbeit erledigt wird. Nur wenn bei der Messung der tatsächliche Iststand erfasst wird, ist das Messergebnis brauchbar. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Messtechniker und den mit der Situation vertrauten Personen im Betrieb. Grenzwert-Vergleichsmessungen müssen durchgeführt werden, wenn bei einem Arbeitsstoff eine gefährliche Exposition nicht sicher auszuschließen ist. Sie sind nicht erforderlich, wenn xx es gar keinen Grenzwert gibt; xx eine Gefährdung praktisch auszuschließen ist, weil z. B. in einer geschlosse nenen Apparatur gearbeitet wird oder mit sehr geringen Stoffmengen; xx bei kurzzeitigen Arbeiten die Verwendung einer geeigneten persönlichen Schutzausrüstung möglich ist, z. B. bei Probenahmen oder Wartungsarbeiten.
Siehe den Abschnitt 5 und die zugehörigen Kommentare in der Grenzwerteverordnung 2011 auf der Website der Arbeitsinspektion: www.arbeitsinspektion.gv.at/AI/Arbeitsstoffe/Grenzwerte/
2
Messen ist eine schwierige Tätigkeit. Und messen kann man nur, was man kennt. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass man einfach eine Luftprobe nehmen und diese dann analysieren lassen kann.
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Stoffmessungen Ergibt sich aus der Messung eine Überschreitung des Grenzwertes, müssen technische und andere Schutzmaßnahmen optimiert und ihre Wirksamkeit mit einer weiteren Messung überprüft werden. Grenzwert-Vergleichsmessungen stehen in Zusammenhang mit einer Evalu ierung. Sie sind genau und nachvollziehbar zu dokumentieren, einschließlich der Verfahren und Bedingungen für spätere Kontrollmessungen. Grenzwert-Vergleichsmessungen müssen von geeigneten, „fachkundigen“ Personen durchgeführt werden, welche die erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Berufserfahrungen besitzen, z. B. ZiviltechnikerInnen. Kontrollmessungen Sie dienen der Prüfung, ob sich an den Expositionsverhältnissen etwas geändert hat. Sie dürfen mit vereinfachten Messverfahren durchgeführt werden, z. B. kann bei einem Gemisch sich ähnlich verhaltender Chemikalien ein typischer Stoff gemessen werden, statt alle Substanzen messen zu müssen. xx Kontrollmessungen haben in regelmäßigen Abständen zu erfolgen. Die Zeit abstände werden in den Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten der Evaluierung (siehe Kap. 4) festgelegt. xx Kontrollmessungen mit vereinfachten Messverfahren können auch von entsprechend geschulten Betriebsangehörigen gemacht werden. Anlagenprüfung Um zum oben geschilderten Beispiel zurückzukehren: Absaugungen und mecha nische Lüftungsanlagen, mit denen gesundheitsgefährdende Arbeitsstoffe aus der Arbeitsumgebung entfernt werden, dürfen nur dann in Betrieb genommen werden, wenn zu Beginn ihre Wirksamkeit durch eine repräsentative Messung der Absaug- bzw. Lüftungsleistung nachgewiesen wurde. xx Mindestens einmal pro Jahr sind solche Anlagen auf ihren ordnungs gemäßen Zustand zu überprüfen. xx Diese Prüfungen sind von fachkundigen Personen auszuführen.
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ArbeitgeberInnen kontrollieren!
2.2
Bestehen Sie auf Ihren Rechten als Betriebsrat / Betriebsrätin: xx Vielleicht sind die AuftraggeberInnen einer Messung an einem korrekten Messergebnis nicht allzu interessiert, weil es größere Investitionen in Schutz maßnahmen nach sich ziehen könnte. Deshalb hat der Betriebsrat / die Betriebsrätin das Recht, bei der Messung von Schadstoffkonzentrationen anwesend zu sein. Nehmen Sie sich die Zeit dafür. Denn die ArbeitsinspektorInnen können nicht jeden Betrieb kontrollieren. xx Schauen Sie wenn nötig, dass auch der genaue Arbeitsablauf, einschließlich der Ausnahmefälle wie Störungen oder Belastungsspitzen, für die Messun gen berücksichtigt werden. Weisen Sie hier auch auf den normalen Betriebs zustand hin, z. B. Arbeitshaltung der Beschäftigten, üblicherweise gleich zeitig laufende Maschinen eingeschaltet lassen. xx Der Betriebsrat / Die Betriebsrätin müssen auch alle Ergebnisse von Messungen zu gefährlichen Arbeitsstoffen erhalten. Die Messung ergibt eine Reihe von Messwerten, die darüber Auskunft geben, wie hoch die Konzentration des gemessenen Arbeitsstoffes in der Atemluft während der Messung war. Erst im nächsten Schritt werden die Messergebnisse interpretiert, z. B. im Vergleich mit Grenzwerten. Sie haben Zugang zu den Sicherheitsund Gesundheitsschutzdokumenten, in denen die Auswertungen und daraus folgenden Maßnahmen beschrieben sein sollten. xx Sie sind auch über Maßnahmen zu informieren, die bei möglichen Grenz wertüberschreitungen, z. B. infolge Wartung oder durch Zwischenfälle vorbereitet werden müssen. Die hier angesprochenen Rechte besitzen auch Sicherheitsvertrauenspersonen.
Überlassen Sie Messungen und ihre Konsequenzen nicht nur den Experten und Expertinnen. Überprüfen Sie, was getan wird!
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3
Chemiemanagement im Betrieb In jedem Betrieb machen erst geeignete Strukturen ein gesundes, sicheres und umweltfreundliches Arbeiten mit gefährlichen Stoffen und Gemischen möglich. Unabdingbare Basis dafür ist es, die Aufgaben- und Verantwortungs bereiche für Sicherheit und Gesundheitsschutz im Unternehmen auf allen Ebenen klar und verbindlich festzulegen. Chemiemanagement organisiert den Umgang mit chemischen Arbeitsstoffen und ist Bestandteil der Aufbau- und Ablauforganisation des Unternehmens. Nicht nur die Arbeitsplätze, an denen mit chemischen Stoffen gearbeitet wird, sind betroffen, sondern auch andere Betriebsbereiche wie das Beispiel Einkauf zeigt: xx Zuständigkeiten für den Einkauf chemischer Stoffe und Gemische klären: Wer bestellt (potenziell) gefährliche Produkte? Wer bestellt geringwertige bzw. produktionsferne Produkte, z. B. Reinigungsmittel? xx Informations- und Verteilungskanäle etablieren: Gibt es im Einkauf ein Verfahren zum Bezug und zur Kontrolle von Sicherheitsdatenblättern? Ist die innerbetriebliche Verteilung der Sicherheits datenblätter bzw. der in ihnen enthaltenen (aufgearbeiteten) Informationen organisiert? xx Vorgaben der Firmenleitung an den Einkauf erwirken: Welche Produkte dürfen / von wem / nach welchen Kriterien bestellt werden? Ist die (optimale) Einführung eines Freigabesystems möglich? Es reicht nicht, eine Übersicht über die vorhandenen chemischen Gemische und Stoffe zu besitzen. Es macht Sinn, sich über das kurzfristige Setzen von Stoff prioritäten und das längerfristige Forcieren einer Produktbereinigung Probleme zu ersparen. Solche Zielsetzungen sind nicht von einer Person oder Abteilung allein zu erreichen. Chemiemanagement ist Teamarbeit: Sie erfordert die enge Zusammenarbeit von Management, Sicherheits- und GesundheitsexpertInnen (Sicherheitstechnik, Arbeitsmedizin, eventuell Zuständige für Umwelt-, Abfall- und Brandschutz). Betriebsrat und Sicherheitsvertrauenspersonen spielen eine wichtige Rolle!
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Bessere Arbeitsorganisation
3.1
Der Weg zu sicheren und gesunden Arbeitsplätzen führt über Verbesserungen in der Unternehmensorganisation: xx Etablieren geeigneter Werte und Regelungen im betrieblichen Alltag; xx Positive Veränderungen der Arbeitsorganisation; xx Vermeiden, Verringern bzw. Kontrollieren gefährlicher Arbeitsbedingungen; xx Verbessern des persönlichen Umgangs mit Gefahren (z. B. Mitspracherecht bei Arbeitsgestaltung, genügend Information, optimale Schutzmaßnahmen). Vier Eckpfeiler tragen dazu bei, diese Veränderungen praktisch umzusetzen: xx Bereitschaft des Unternehmens: Die Betriebsleitung entscheidet sich ausdrücklich für Schutz und Förderung der Gesundheit der Beschäftigten und trifft ihrerseits entsprechende Maßnahmen. xx Beteiligung: Der Betrieb nutzt die Kompetenz und die Arbeitserfahrung der Beschäftigten, ermöglicht und fördert ihre Beteiligung bei der Gestaltung sicherer Arbeitsplätze und sichert den Zugang zu gesundheitlich relevanten Informationen. xx Qualifizierung: Die Qualifikation sowohl der Personen mit Leitungs funktionen als auch der übrigen MitarbeiterInnen im Betrieb wird im Hinblick auf die Aufgaben des Gesundheitsschutzes entwickelt und er weitert. Der Betrieb legt Wert auf Zusammenarbeit der verschiedenen FunktionsträgerInnen. xx Information: Die MitarbeiterInnen werden regelmäßig über Ziele und Maßnahmen für mehr Sicherheit und Gesundheit im Betrieb informiert, die offene Diskussion darüber ist im Betrieb erwünscht und wird gefördert. Arbeitsplatzbezogene Informationen werden beispielsweise im Rahmen von Betriebsversammlungen der jeweiligen Abteilungen oder in Form von Unterweisungen allen Beschäftigten leicht zugänglich gemacht. In Bezug auf Chemie gibt es eine Reihe von gesetzlichen Verpflichtungen für das Unternehmen, von der Evaluierung über die Minimierung von Gefährdungen und die Messpflicht bis zur Information der ArbeitnehmerInnen. Auf sie wird in den jeweiligen inhaltlichen Zusammenhängen hingewiesen.
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Chemiemanagement im Betrieb Die laufende Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit im Betrieb ist oft mit Schwierigkeiten verbunden. So kann der Ersatz gefährlicher Technologien oder Arbeitsstoffe technische und organisatorische Veränderungen in Ausrüstung und im Arbeitsablauf erfordern, die in der Umstellungsphase Zeit und Geld kos ten. Eine klare Position der Firmenleitung gibt den MitarbeiterInnen die Möglichkeit und Legitimation, sich entsprechend zu verhalten. Besonders in Klein- und Mittelbetrieben machen Vorgesetzte, Meister und Betriebsräte und Betriebsrätinnen trotz unterschiedlicher hierarchischer Positionen oft dieselben Erfahrungen: Knappe Mittel und zeitlicher Druck verzögern oder verhindern oftmals gesundheitsfördernde Maßnahmen. Auch führt das Wissen um bestehende Gefahren und Risiken nicht immer sofort zur Einleitung der nötigen Schritte. Drängen Sie als Betriebsrat und Betriebsrätin in Zusammenarbeit mit den Arbeit nehmerInnen, Sicherheitsvertrauenspersonen und Sicherheits- und GesundheitsexpertInnen darauf, dass erkannte Mängel so rasch wie möglich beseitigt werden.
Informationsquellen im Internet Internetquellen Informationsquellen im Web sind mittlerweile unverzichtbar geworden, z. B. zum Recherchieren von Stoffeigenschaften, zum raschen Bezug von Leitfäden oder zum Auffinden von Handlungsmöglichkeiten.
Über Iststand und Verbesserungspotenzial von Strukturen und Prozessen lernt man viel, wenn man beispielhaft den Weg eines chemischen Stoffes durch den Betrieb verfolgt: vom Einkauf über Produktion bis zum Lager. Schlagen Sie dies den PräventivexpertInnen vor und achten Sie darauf, dass dafür weder ein völlig harmloser, noch ein besonders gefährlicher Stoff ausgewählt wird.
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Informationsquellen im Internet
3.2
Für Österreich sind die Webseiten der AUVA www.auva.at, des Arbeitsinspek torats www.arbeitsinspektion.gv.at und der Arbeiterkammern www.arbeiterkammer.at sowie das Gesundheitsportal des ÖGB und der Gewerkschaften www.gesundearbeit.at eine wichtige Quelle für Informationen und Broschüren (Infohefte, Merkblätter, Evaluierungshefte). Stoff- und arbeitsplatzbezogene Evaluierungsmaterialien sind auf der Arbeitsplatzevaluierungsseite www.eval.at zu finden. Das deutsche Institut für Arbeitsschutz IFA www.dguv.de/dguv/ifa/ liefert viele Fachinformationen, Praxishilfen, Publikationen und Links (zu Datenbanken usw.) und zum Arbeitsstoffmanagement für viele Branchen.3 BAuA, die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, bietet eine Fülle auch an chemiebezogenen Informationen. GESTIS, das Gefahrstoffinformationssystem der deutschen Berufgenossenschaften (BGen), ist eine gute Datenbank mit Informationen über physikalische und chemische Eigen schaften, arbeits medizinische Aspekte sowie Umgang mit und Verwendung von ca. 8.000 Stoffen. Für den Baubereich ist das Gefahrstoff-Informationssystem GISBAU (bzw. online WINGIS) der BG BAU sehr nützlich. Ein Zugang zu allen Branchen-BGen (z. B. für Vorlagen von Betriebsanweisungen) und zu chemiebezogenen Leitlinien etc. ist über die deutsche DGUV, die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung möglich. Hervorzuheben in Bezug auf alle möglichen chemiebezogenen Instrumente ist auch Gischem-interaktiv der deutschen BG Chemie. Bei den deutschen Quellen ist zu beachten, dass es Unterschiede in der Regelung chemischer Stoffe zwischen Deutschland und Österreich gibt!
Die meisten deutschen Websites sind über Links in diesem Portal erreichbar und ansonsten über eine Suchmaschine wie Google leicht auffindbar.
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Gefährdungsbeurteilung („Evaluierung“) Ob es um unmittelbar nötige Schutzmaßnahmen oder die langfristige Umsetzung struktureller Verbesserungen geht, in jedem Fall ist es nötig, zuerst einmal über die bestehende Situation Bescheid zu wissen. Denn um beurteilen zu können, welche Maßnahmen im Betrieb notwendig sind, muss bekannt sein, mit welchen Gefahren und Belastungen zu rechnen ist. Erst dann kann abgeschätzt werden, wie groß die Risiken wirklich sind und welche Maßnahmen daraus abgeleitet werden müssen. Das folgende Bild zeigt die prinzipiellen Stufen der Gefährdungsbeurteilung:
Gefahren ermitteln
Ergebnisse kontrollieren
kooperieren kommunizieren einbeziehen motivieren
Maßnahmen planen
Maßnahmen umsetzen
Abbildung: Qualität im Arbeitnehmerschutz
Eine Gefährdungsbeurteilung bildet die unabdingbare Basis für das weitere Handeln. Für diese schrittweise Selbstkontrolle im ArbeitnehmerInnenschutz hat sich in Österreich auch der Begriff „Evaluierung“ eingebürgert.
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Ständiger Kreislauf
4.1
Diese Vorgangsweise ist für Unternehmen – auch für Kleinbetriebe – nicht neu, sie entspricht in vielen Aspekten der Arbeit eines sorgfältigen Unternehmers: Auch z. B. bei der Planung und Einführung einer neuen Produktionsanlage wird nach diesem Schema gehandelt.
Ständiger Kreislauf Der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin ist nach den Bestimmungen des Arbeit nehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) dazu verpflichtet, die für die Sicherheit und Gesundheit der ArbeitnehmerInnen bestehenden Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen, und aufgrund dieses Wissens die geeigneten Maßnahmen zur Gefahrenverhütung festzulegen und umzusetzen. Die Anpassung des ASchG an die EURichtlinien brachte für die Unternehmen mehr Freiraum, jedoch auch mehr Eigen verantwortung für Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb. Die innerbetriebliche Vorgangsweise wird gesetzlich nicht im Detail vorgegeben, es werden nur die Rahmenbedingungen festgelegt. Die gewählte Arbeitsweise muss in den Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten für das Unternehmen selbst und die zuständigen Behörden nachvollziehbar sein. In der Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung werden nach der Bildung eines Evaluierungsteams die Evaluierungsbereiche festgelegt und Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente angelegt. Das Evaluierungsteam besteht z. B. aus einer koordinierenden Person, ExpertInnen aus Arbeitsmedizin und Sicherheitstechnik sowie eventuell weiteren Fachleuten. Wie die vorherige Abbildung zeigt, entspricht die Vorgehensweise einem ständigen Kreislauf mit Kontrollen und Wiederholungen: xx Ermittlung und Beurteilung von Gefahren bzw. Risiken; xx Festlegen von Maßnahmen; xx Erstellen von Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten; xx Umsetzung der Maßnahmen; xx Kommunikation und Überprüfung der Maßnahmen usw. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss sich eine Firma laufend verändern: modernere Produktionsverfahren werden eingeführt, neue Arbeitsstoffe einge-
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Gefährdungsbeurteilung („Evaluierung“)
4
setzt. Dieser ständige Modernisierungsprozess darf vor Sicherheit und Gesund heitsschutz bei der Arbeit nicht Halt machen. Auswirkungen der Veränderungen auf die Arbeitsbedingungen müssen daher zumindest in Teilbereichen erneut ermittelt und beurteilt werden. Die Aktualisierung der Evaluierungsergebnisse ist meist weniger aufwändig als die Erstevaluierung und muss nicht immer den gesamten Betrieb umfassen. Erforderlich ist eine neuerliche Evaluierung, d. h. Ermittlung und Beurteilung der Gefahren und eine Festlegung darauf abgestimmter Maßnahmen, wenn: xx bauliche Veränderungen im Betrieb durchgeführt wurden; xx neue Arbeitsverfahren, -mittel oder -stoffe eingeführt werden; xx ein Unfall oder Beinaheunfall passiert ist; xx Erkrankungen auftreten, die möglicherweise auf die Arbeitsbedingungen im Betrieb zurückzuführen sind.
Sicherer Umgang mit chemischen Arbeitsstoffen Das prinzipielle Vorgehen erfolgt für chemische Gefährdungen wie bei anderen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit im Betrieb. Hier werden daher im Weiteren nicht die einzelnen Evaluierungselemente näher erläutert, sondern für chemische Arbeitsstoffe spezifische Vorgangsweisen und Details beschrieben.4 Mehr Informationen zur Gefährdungsbeurteilung im Allgemeinen und bei spezifischen Gefahren finden sich in den Merkblättern und Evaluierungsheften der Unfallversicherung, AUVA www.auva.at.
4
Oft werden Bereiche übersehen, die „außer der Norm“ sind, nichts mit der chemischen Produktion oder Dienstleistung im Engeren zu tun haben: ➔➔ Instandsetzung und Wartung; ➔➔ Probenahmen; ➔➔ Reinigungsarbeiten.
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Chemische Gefahren evaluieren
4.2
Zu berücksichtigen sind auch spezifische Personengruppen wie Schwangere oder Jugendliche sowie vorhersehbare Notfälle, z. B. Leckagen, Brand, Unfälle usw. Und: Bei Gefahr in Verzug sofort handeln!
Chemische Gefahren evaluieren Wie sehen sinnvolle Einzelschritte der chemischen Gefährdungsbeurteilung aus? ➔➔ Alle Arbeitsstoffe ermitteln: Verwendete oder auftretende Stoffe und Gemische erheben; ➔➔ Informationen zu Gefahren der Arbeitsstoffe sammeln: (Gefährliche) Eigenschaften feststellen – zuerst mittels Kennzeichnung und Sicherheitsdatenblatt; ➔➔ Informationen zu Arbeitsbedingungen sammeln: Technische, organisatorische und personenbezogene Verhältnisse an den Arbeitsplätzen unter Einbeziehung von ArbeitnehmerInnen und Vorgesetzten erheben; ➔➔ Chemische Risiken beurteilen: Schadensschwere und Eintrittswahrscheinlichkeit der Schäden abschätzen; ➔➔ Konsequenzen für den Umgang mit Chemie ziehen: Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Minimierung der chemischen Risiken ausarbeiten, festlegen und in Maßnahmenblättern dokumentieren, umsetzen, kommunizieren und kontrollieren (inkl. Maßnahmen für den Notfall wie Erste Hilfe, ungewollte Freisetzung usw.). Die ersten vier Schritte werden auf den folgenden Seiten erläutert. Der letzte Schritt wird in den folgenden Kapiteln 5 und 6 über Schutzmaßnahmen, Risiko kommunikation und Risikoinformation näher behandelt. Die Prüfung der Wirksamkeit von Maßnahmen kann teils mittels Arbeitsplatzmessungen erfolgen (vgl. Kap. 2).
Alle Arbeitsstoffe ermitteln Grundlage der Gefährdungsbeurteilung ist ein Verzeichnis der vorhandenen chemischen Produkte im Betrieb. Es empfiehlt sich, in der Arbeitsstätte alle ver-
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4
Gefährdungsbeurteilung („Evaluierung“) wendeten Chemikalien zu erfassen, obwohl dies nur für als gefährlich eingestufte Arbeitsstoffe vorgeschrieben und laufend zu aktualisieren ist. Denn nicht gekennzeichnete Arbeitsstoffe sind nicht automatisch ungefährlich (vgl. Skriptum „Chemische Arbeitsstoffe I“)! Für eine solche Liste können die Aufzeichnungen des Einkaufs herangezogen werden. Häufig werden aber erhebliche Unterschiede zwischen den Daten des Einkaufs und dem tatsächlichen Ist-Zustand in den Abteilungen festgestellt. Es befinden sich auch oft viele Arbeitsstoffe im Betrieb, die nicht mehr verwendet und gebraucht werden oder vielleicht einmal als Muster gesendet wurden. Beim Recherchieren auf den Arbeitsplätzen können mit einem einfachen ArbeitsstoffErhebungsbogen gleich wichtige Anwendungsmerkmale „mitgenommen“ werden. Die Erfassung der Arbeitsstoffe kann als Anlass genommen werden, diese Produkte auszuscheiden und zu entsorgen.
Gefahrenhinweise Inhaltsstoff/ Produkt Hersteller/ Nr. (Handels Zersetzungs Lieferant Signal- H- Grenz- Brand/ name) produkt wort Sätze wert Ex-Gefahr
Verwendungs Verhinweise Ort der brauch/ VerwenZeit dung P-Sätze einheit
Vorlage für ein Arbeitsstoffverzeichnis
In diese beispielhaft abgebildete Stoffliste wird als erster Schritt bei Reinstoffen der chemische Name, bei Gemischen der Handelsname eintragen, alles laufend nummeriert. Das Arbeitsstoffverzeichnis ist ein Instrument, das leicht mit weiteren Spalten ergänzt werden kann, z. B. um die Zahl der betroffenen ArbeitnehmerInnen.
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Stoffe und Gefahren ermitteln
4.3
Nun wird notiert, welche Gefahren mit den aufgelisteten Stoffen und Gemischen verbunden sind, in erster Linie gesundheitsgefährdende und gefährliche physikalisch-chemische Eigenschaften. Dazu werden zentrale Angaben in das Arbeitsstoffverzeichnis eingetragen. Bei Zersetzungsprodukten werden die bearbeiteten Materialien angegeben. Damit soll sich der Betrieb das im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz geforderte Arbeitsstoffverzeichnis aufbauen, das eine Übersicht über Produkte, gefährliche Eigenschaften, Umgangshinweise, Einsatzmengen usw. bietet. Die wichtigsten Informationsquellen über gefährliche Produkteigen schaften sind die Kennzeichnungen auf den Gebinden und die Sicher heitsdatenblätter (vgl. Skriptum „Chemische Arbeitsstoffe I“). Für fehlende, unkorrekte oder völlig veraltete Sicherheitsdatenblätter muss bei der Lieferfirma Ersatz angefordert werden. Als zusätzliche Unterlagen können Gebrauchsan weisungen, technische Merkblätter, Prüfergebnisse, Erfahrungen aus der Praxis und Ähnliches dienen. Auch für nicht kennzeichnungspflichtige Produkte sollten die Lieferanten um ein Sicherheitsdatenblatt oder um anwendungstechnische bzw. gesundheitsrelevante Auskunft ersucht werden. Beim Einsatz von krebserzeugenden, erbgutverändernden oder fortpflanzungs gefährlichen chemischen Arbeitsstoffen (z. B. Perchlorethylen in Textilreinigungs betrieben), muss der Betrieb ein laufend aktualisiertes Verzeichnis aller Beschäftigten führen und aufbewahren, die der Einwirkung dieser Arbeitsstoffe ausgesetzt sind. Scheidet eine/r dieser ArbeitnehmerInnen aus dem Betrieb aus, sind die Blätter dem zuständigen Unfallversicherungsträger (AUVA) zu senden.
Das Notieren der so genannten „CAS-Nummern“ der Stoffe erleichtert weiterführende Recherchen in Datenbanken oder im Internet. Mit ihr kann direkt in sämtlichen Internet-Suchmaschinen und in den meisten Datenbanken gesucht werden, ohne dass man sich bei schwierigen oder sehr ähnlichen Namen verschreiben kann!
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4
Gefährdungsbeurteilung („Evaluierung“) Arbeitsbedingungen ermitteln Als Nächstes gilt es, Informationen zu sammeln, um die Verhältnisse zu ermitteln, unter denen an den Arbeitsplätzen mit den Arbeitsstoffen umgegangen wird. Es lässt sich zwischen technischen, organisatorischen und personenbezogenen Verhältnissen unterscheiden: xx Technische Situation, z. B. technische Ausrüstung (offenes Arbeiten, Absaugung, Belüftung, Kapselung, geschlossenes System), Stoffkonzentra tion; Möglichkeit und Ausmaß von Haut- bzw. Augenkontakt; Form des Stoffes (fest, flüssig, gasförmig); xx Organisatorische Situation, z. B. Zahl der betroffenen ArbeitnehmerInnen, Einwirkungsdauer, Stoffmenge, erforderliche persönliche Schutzausrüstung; korrekte Lagerung; xx Personenbezogene Situation, z. B. Qualifikation und Informationsstand der Beschäftigten, Arbeitsschwere (inkl. Schichtarbeit), Monotonie, Arbeitsdruck. Bei der Ermittlung der Situation an den Arbeitsplätzen ist darauf zu achten, dass nicht alle Belastungen von den verwendeten Stoffen selbst hervorgerufen werden. Viele entstehen erst während der Arbeit, etwa Verbrennungsprodukte beim Abflämmen alter Lacke, Zersetzungsprodukte beim Schweißen oder krebserregender Buchen- oder Eichenholzstaub bei der Holzbearbeitung. Die Ermittlung an den Arbeitsplätzen muss unbedingt unter Einbeziehung von Beschäftigten und Vorgesetzten geschehen. Die methodische Palette ist weit gestreut, z. B. Beobachtungen, Begehungen, Befragungen, Messungen, Analyse von Aufzeichnungen und Dokumenten, usw.
Betriebsräte / Betriebsrätinnen sollten darauf achten, dass die Beteiligung von ArbeitnehmerInnen auch wirklich ermöglicht wird, weil sie hier eine besonders wichtige Rolle spielt!
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Chemische Risken beurteilen
4.4
Aus der Zusammenführung der Stoffgefahren und der Gefährdung durch seine Anwendung wird das gesamte Risiko abgeschätzt, das mit dem Stoff unter den vorhandenen Arbeitsbedingungen verbunden ist. Man erhält stoffbezogene und arbeitsplatzbezogene Risikoklassen und kann die Arbeitsstoffe bzw. Arbeitsprozesse nach ihrer Gefährlichkeit reihen.5 Das klingt kompliziert und aufwändig und das ist es auch, wenn man sehr exakt vorgeht. Die Details sind Sache des Evaluierungsteams bzw. der Sicherheits- und GesundheitsexpertInnen. Der Betriebsrat/Die Betriebsrätin sollten aber zumindest grob wissen, worum es geht, um effizient kontrollieren zu können. Zur näheren Erklärung wird eine einfache Prioritätenabschätzung vorgestellt. Sie zeigt zugleich das Vorgehensprinzip „qualitativer“ Methoden, die z. B. in kleineren Unternehmen mit begrenzten Ressourcen eingesetzt werden.6
Vorlage zur Abschätzung des Stoff-Risikos
Eine erste Abschätzung des gesundheitlichen bzw. sicherheitsbezogenen Stoff-Risikos der chemischen Arbeitsstoffe aus dem Arbeitsstoff-Verzeichnis ist mit Hilfe der Kennzeichnung von chemischen Produkten möglich, die ja die Einstufung nach gefährlichen Eigenschaften widerspiegelt. In der „alten“ Kennzeichnung wird nach Gefahrenbezeichnung bzw. R-Satz gereiht, in der neuen nach Signalwort bzw. H-Satz (vgl. Skriptum „Chemische Arbeitsstoffe I“). Höchste Priorität haben natürlich sog. „CMR“-Stoffe, das heißt
Siehe beispielsweise das Evaluierungsheft zu chemischen Stoffen der AUVA www.auva.at. Vgl. das „Einfache Maßnahmenkonzept Gefahrstoffe“ der deutschen BAuA www.baua.de.
5 6
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4
Gefährdungsbeurteilung („Evaluierung“) krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährliche Stoffe. Sie sind auch speziell im ASchG geregelt. Vorrangig ist den top-gefährlichen Arbeitsstoffen ganz oben Aufmerksamkeit zu schenken, danach von oben nach unten der Reihe nach die anderen Stoffe.
Die bei der Arbeit mit einem chemischen Stoff bestehende Gefährdung hängt jedoch nicht nur von den Gefahren ab, die dieser Stoff besitzt, sondern auch davon, wie sehr man ihm bei der Tätigkeit ausgesetzt ist („Exposition“), das heißt von den Arbeitsbedingungen. Das tatsächliche Risiko bei der Arbeit ist also beispielsweise auch höher: xx je größer die Exposition der ArbeitnehmerInnen ist (z. B. verwendete Stoffmenge, Höhe bzw. Dauer der Belastung); xx je mehr Beschäftigte exponiert sind; xx je weniger sicher die Arbeitsbedingungen sind (z. B. geringer technischer Schutz einschließlich personeller Voraussetzungen wie schlechter Informa tionsstand der Beschäftigten).
Als Faustregel gilt: Das Gesundheitsrisiko ist umso höher, je weiter oben in der Abbildung die gefährliche Eigenschaft steht.
30
Chemische Risken beurteilen
4.4
Gefahr und Exposition wirken auf das schlussendliche Risiko am Arbeitsplatz ein. Bei einem weniger gefährlichen Arbeitsstoff kann daher die Exposition höher sein als bei einem gefährlichen. Wenn jedoch die Stoffgefährlichkeit sehr hoch ist, muss die Belastung möglichst gering gehalten werden (z. B. durch Kapselung, Absaugung)! Was macht man aber, wenn man nicht weiß, wie gefährlich ein Stoff ist? Dann muss aus der Sicht von ArbeitnehmerInnen und BetriebsrätInnen beim Festlegen von Maßnahmen unbedingt das „Vorsorgeprinzip“ leitend sein, das über präventive Vorgehensweisen hinausgeht, wie sie sich z. B. in der Hierarchie der Schutzmaßnahmen ausdrücken (siehe nächstes Kapitel). In der Praxis bedeutet dies: Wenn nach derzeitigem Stand des Wissens für einen Arbeitsstoff ernsthafte irreversible Gesundheitsschäden nicht ausgeschlossen werden können, sollte er wie ein (sehr) gesundheitsgefährdender Stoff betrachtet werden. Ist seine Vermeidung nicht möglich, sind möglichst weitreichende technische, organisatorische und weitere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, also z. B. geschlossene Systeme, automatische Produktion. Ein Beispiel dafür sind bestimmte Nanomaterialien, für die schwerwiegende langfristige Wirkungen vermutet werden, die aber noch nicht wissenschaftlich gesichert sind. Viele Einrichtungen und Behörden in der Europäischen Union, aber auch Unternehmen, fordern für Nanoarbeiten ein Vorsorgeprinzip, darunter auch die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz.
Das Vorsorgeprinzip zielt darauf, potenzielle Schäden von vornherein zu vermeiden, auch wenn deren Art, Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit ungewiss sind.
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5
Schutzmaßnahmen Welche Maßnahmen zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit zu ergreifen sind, hängt von den Ergebnissen der Evaluierung ab. Gefährliche Stoff eigenschaften und die Exposition, das Ausmaß der Stoffbelastung für die ArbeitnehmerInnen, bestimmen das Arbeitsrisiko für die Beschäftigten. Vorrang besitzen daher ein hohes Arbeitsstoffrisiko oder Arbeitsplatzrisiko bzw. eine sehr schlechte Beurteilung bestimmter Einzelaspekte. Wenn z. B. mit einem sehr gefährlichen chemischen Produkt offen gearbeitet wird, sodass die Arbeitenden mit ihm unmittelbar in Kontakt kommen, besteht dringender Handlungsbedarf! Die Planung der Maßnahmen muss in enger Zusammenarbeit mit der Sicher heitsfachkraft und dem Arbeitsmediziner bzw. der Arbeitsmedizinerin erfolgen und auch Vorkehrungen für absehbare Betriebsstörungen und für Not- und Rettungsmaßnahmen beinhalten. Die letzte Entscheidung, welche Maßnahmen im Betrieb getroffen und umgesetzt werden, liegt bei der Unternehmensleitung. Die Art der eingesetzten Maßnahmen ist aber nicht beliebig. Die Grundsätze der Gefahrenverhütung sind im ASchG festgelegt, sie bestimmen unter anderem: xx Vermeidung von Risiken: Geeignete Maßnahmen verhindern die ermittelten Risiken bei der Arbeit oder verringern sie zumindest möglichst stark; xx Gefahrenbekämpfung an der Quelle: Geeignete Maßnahmen setzen so nahe wie möglich bei der Gefahrenquelle an; xx Vorrang des kollektiven Gefahrenschutzes vor individuellem Gefahrenschutz: Geeignete Maßnahmen schützen möglichst viele Beschäftigte; xx Verpflichtende Maßnahmenhierarchie: Die Reihenfolge der Maßnahmen ist im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, ASchG, zwingend vorgeschrieben. Das Besprechen der Evaluierungsergebnisse und der zu treffenden Maßnahmen mit den MitarbeiterInnen kann im Rahmen einer Betriebsversammlung oder einer Unterweisung erfolgen. Sofern Sie als Betriebsrätin oder Betriebsrat nicht an der Evaluierung mitgearbeitet haben, müssen die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung und die geplanten Maßnahmen jedenfalls mit Ihnen besprochen werden.
32
Hierarchie der Maßnahmen
5.1
Hierarchie der Schutzmaßnahmen(nach AK OÖ)
Ersatz besonders gefährlicher chemischer Stoffe bzw. Verfahren: Es liegt es auf der Hand, als Erstes zu versuchen beim Arbeitsstoff anzusetzen und sein Anwendungsrisiko zu vermeiden bzw. zu verringern. Was nicht gefährlich ist, bereitet auch in Bezug auf die Exposition kein Kopfzerbrechen. Krebserzeugende, erbgutverändernde, fortpflanzungsgefährdende Stoffe dürfen nicht verwendet werden, wenn die Verwendung nicht gefährlicher oder weniger gefährlicher Arbeitsstoffe ein gleichwertiges Resultat bringt. Analog sind auch Arbeitsverfahren mit diesen besonders gefährlichen Stoffen zu ersetzen. Beispiele: xx Verwendung von schwermetallfreien Lacken; xx Gebrauch von Lösungsmitteln auf pflanzlicher Basis im Offsetdruck; xx Ersatz von chlorierten Kohlenwasserstoffen bei der Metallentfettung durch alkalische Reinigungsmittel.
Gefährliche Arbeitsstoffe müssen durch nicht oder zumindest weniger gefährliche Stoffalternativen ersetzt werden („Substitution“).
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5
Schutzmaßnahmen Auch beim Ersatz des Verfahrens kann angesetzt werden, um ein Anwendungs risiko ganz zu vermeiden oder soweit wie möglich zu verringern. Beispiel: xx Mechanisches anstelle eines chemischen Verfahrens, z. B. Reinigung mit Ultraschall statt mit Lösungsmitteln; xx aerosolarme Verfahren (Streichen, Tauchen) statt Sprühanwendungen. Organisatorische bzw. technische Maßnahmen: Falls der Ersatz von gefährlichen Arbeitsstoffen und Verfahren nicht möglich ist, sind als nächste Priorität organisatorische und technische Maßnahmen zu ergreifen, um die Stoffbelastung der ArbeitnehmerInnen möglichst zu verringern bzw. zu vermeiden. So ist beispielsweise der Einsatz von Lösungsmitteln in einem gekapselten oder geschlossenen System kein Problem für die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen, während die Verwendung derselben Produkte in offenen Wannen schwere Gesundheitsschäden verursachen kann. Dies bedeutet, dass die am Arbeitsplatz vorhandene Menge des gefährlichen Arbeitsstoffes auf das unbedingt notwendige Maß verringert wird. Es sollten nicht mehr ArbeitnehmerInnen (potenziell) betroffen sein als nötig, z. B. durch Zugangsbeschränkungen für Beschäftigte zu Bereichen mit einem hohen Gefährdungspotenzial. Auch muss die Dauer und Intensität der Einwirkung des gefährlichen Arbeitsstoffes so weit wie möglich herabgesetzt werden.
Gefährliche Arbeitsprozesse müssen durch nicht oder zumindest weniger gefährliche Verfahrensalternativen ersetzt werden. Die Arbeitsprozesse und Arbeitsvorgänge, eingesetzten Ausrüstungen und Kontrollen sind so zu gestalten, dass sie ein sicheres und gesundes Arbeiten ermöglichen.
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Hierarchie der Maßnahmen
5.1
Beispiele: xx Räumliche Abtrennung von Arbeiten mit gefährlichen Arbeitsstoffen; xx voll eingekapselter Arbeitsprozess (geschlossene Anlagen); xx teilweise eingekapselter Arbeitsprozess, z. B. Deckel auf Behälter und Tanks; xx Umstellung auf emissionsarme Techniken, z. B. nebelreduzierte Spritzpistolen in Lackieranlagen; xx Optimierung von Prozesstemperaturen und -drucken. Schutzmaßnahmen an der Risikoquelle und Lüftung Falls weder Ersatzmaßnahmen möglich sind, noch mit den vorher beschriebenen organisatorischen und technischen Maßnahmen das Freiwerden gefährlicher Gase, Dämpfe, Schwebstoffe vermieden werden kann, muss an der Risikoquelle angesetzt werden, damit sich diese Stoffe nicht schädlich auswirken. Falls dies nicht ausreicht, müssen ergänzende Lüftungsmaßnahmen getroffen werden, die dem Stand der Technik entsprechen. Beispiele: xx Wirksame Abzüge, Abzugshauben, Absaugungen usw.; xx Geeignet konstruierte Absaugtechnik; xx Optimale Filtertechnik; xx Zusätzliche Lüftungstechnik.
Gefährliche Arbeitsstoffe müssen an der Austritts- oder Entstehungsstelle vollständig erfasst und beseitigt werden, damit Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten nicht gefährdet sind.
35
5
Schutzmaßnahmen Persönliche Schutzmaßnahmen: Erst wenn alle bisher beschriebenen Maßnahmen ausgeschöpft wurden, ein ausreichender Schutz aber noch immer nicht gewährleistet ist, müssen personenbezogene Schutzmaßnahmen vorgesehen werden. Das Tragen von persönlicher Schutzausrüstung stellt für die Beschäftigten eine zusätzliche Belastung dar und sollte daher immer nur eine kurzfristige Maß nahme sein! Hinweise auf die Art des persönlichen Schutzes gibt das Sicherheitsdatenblatt. Welche Schutzausrüstungen geeignet sind, sollte aber auch mit den Sicherheitsfachkräften und im Zweifel mit den Lieferanten der chemischen Produkte abgeklärt werden. Die ArbeitnehmerInnen sollten in die Auswahl des persönlichen Schutzes einbezogen werden. Ist sie unumgänglich, muss sie der Betrieb kostenlos allen zur Verfügung stellen. Die ArbeitnehmerInnen sind dann zur Verwendung auch gesetzlich verpflichtet. Die Schutzausrüstungen müssen regelmäßig gewartet bzw. ausgetauscht werden. Zu beachten ist die ausreichende Einschulung der Beschäftigten! Beispiele: xx Atemschutz: Voll- oder Halbmasken, Filtergeräte mit Gebläse und Haube oder Helm; xx Hautschutz: Schutzhandschuhe mit und ohne Stulpen; xx Augenschutz: Brillen mit Spritzschutz, Gesichtsschirme; xx Arbeitskleidung: Einweg-Overalls mit und ohne Kapuze, Chemikalienschutz anzüge, geschlossene Arbeitsschuhe, Wegwerf-Überschuhe.
Persönliche Schutzausrüstung bleibt die letzte Möglichkeit, wenn alle anderen Maßnahmen keinen ausreichenden Schutz bieten. Sie muss auf das Verfahren bzw. die Verarbeitungsart und die verwendeten Chemikalien abgestimmt sein.
36
Arbeitsplatzhygiene
5.2
Grundsätze der Arbeitsplatzhygiene Unter Hygienemaßnahmen versteht man allgemeine Maßnahmen, die beim Umgang mit chemischen Arbeitsstoffen beachtet werden müssen. xx Nicht rauchen: Rauchen an Arbeitsplätzen, an denen chemische Stoffe eingesetzt werden, gefährdet Sicherheit und Gesundheit. Oft besteht Brand- oder Explosions gefahr und die in der Luft enthaltenen Stoffe verstärken die schädlichen Wirkungen der Rauchinhaltsstoffe um ein Vielfaches; xx Nicht essen oder trinken: Bei Arbeiten mit gefährlichen Chemikalien sollte am Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen auch nicht gegessen oder getrunken werden; xx Quer-Kontamination vermeiden: Die Verschleppung von gefährlichen Verunreinigungen vom Arbeitsplatz in Sozialräume o. Ä. ist mit organisatorischen Maßnahmen zu vermeiden; xx Nach der Arbeit reinigen: Die Hände (ggf. der ganze Körper) sind nach der Arbeit und vor Pausen gründlich mit Wasser und Seife zu reinigen. Hartnäckige Verschmutz ungen, z. B. durch Kleber und Lacke, dürfen unter keinen Umständen mit Benzin oder Nitroverdünnung entfernt werden; xx Stoffspezifische Arbeitskleidung und persönliche Schutzausrüstung sind, wenn nötig, vom/von der ArbeitgeberIn zur Verfügung zu stellen: Ebenso sind vom/von der ArbeitgeberIn arbeitsstoffspezifische Erste-HilfeVorkehrungen, Waschbecken und Augendusche bereitzustellen sowie Hautschutz und Hautpflege, wenn notwendig; xx Arbeitskleidung getrennt von der Straßenkleidung aufbewahren: Sie muss auch separat gewaschen werden; falls notwendig, muss der/die ArbeitgeberIn getrennte Spinde bereitstellen; xx Keine Lebensmittel an Arbeitsplätzen aufbewahren: Ansonsten besteht die Gefahr, dass Chemikalien unabsichtlich verschluckt werden; natürlich dürfen zur Aufbewahrung von Chemikalien niemals Getränkeflaschen verwendet werden.
37
6
Kommunikation und Information ArbeitnehmerInnen müssen über Risiken, Schutz- und Präventionsmaßnahmen ausreichend informiert sein. Dazu verpflichtet das ASchG die ArbeitgeberInnen, aber auch zur Durchführung von Unterweisungen, die sich auf den jeweiligen konkreten Arbeitsplatz und Aufgabenbereich beziehen. Betriebsanweisungen für bestimmte chemische Arbeitsstoffe sind dabei eine hilfreiche Ergänzung. Es ist sehr sinnvoll, dass sich ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräfte an der Gestaltung von Information und Unterweisung beteiligen. Innerbetriebliche Kommunikation ist jedoch keine Einbahnstraße! Sie läuft nicht nur einseitig von oben nach unten, sondern auch umgekehrt und umfasst z. B. ein einfaches und klares innerbetriebliches Vorschlagswesen. Die meisten gescheiterten Versuche von Unternehmen, Verbesserungs maß nahmen im Unternehmen zu realisieren, sind auf mangelnde Information und auf fehlende Beteiligungsmöglichkeiten der MitarbeiterInnen bei der Gestaltung des Umsetzungsprozesses zurückzuführen. Maßnahmen von oben herab zu verordnen erzeugt in vielen Fällen Widerstände und verurteilt auch an sich sinnvolle und gut gemeinte Ansätze zum Scheitern. Befürchtungen der Beschäftigten müssen ernst genommen und diskutiert werden!
Unterweisungen Unterweisungen werden oft als ungeliebte Pflichterfüllung gesehen. Sie sind jedoch eine wichtige Beteiligungs- und Kommunikationsmöglichkeit zwischen Vorgesetzten bzw. ExpertInnen und Beschäftigten, um z. B. die Kenntnis über den Umgang mit chemischen Stoffen zu überprüfen und zu vertiefen, aber auch um Erfahrungen der ArbeitnehmerInnen zu sammeln.
Die Beteiligung aller im Betrieb Beschäftigten ist daher nicht nur eine gesetzliche Vorgabe, sondern ein wichtiges Erfolgskriterium: So kann das bei den Mitarbeitern vorhandene Erfahrungspotenzial genützt werden, z. B. im Umgang mit chemischen Arbeitsstoffen oder Schutzmaßnahmen.
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Unterweisungen
6.1
Das Unternehmen ist verpflichtet, die ArbeitnehmerInnen zumindest ein Mal jährlich über die vorhandenen Gefährdungen und die damit in Zusammenhang stehenden Schutzmaßnahmen zu unterweisen, jedenfalls: xx In Einschulungen bei Arbeitsantritt vor Aufnahme der Tätigkeit; xx Bei einer Versetzung oder Veränderung in den Aufgaben; xx Bei Einführung neuer chemischer Produkte oder Änderung in Bezug auf Arbeitsstoffe bzw. Arbeitsverfahren; xx Nach Unfällen oder Beinahe-Unfällen. ➔➔ Diese Unterweisungen finden während der Arbeitszeit schriftlich oder mündlich statt, müssen verständlich sein und dokumentiert werden. Unterweisungen müssen auf den Arbeitsplatz und die Tätigkeiten, die Erfahrung und den Wissensstand der Beschäftigten zugeschnitten sein. Und sie müssen verstanden werden. Das heißt, sie erfolgen in leicht verständlicher Form, ggf. in der jeweiligen Muttersprache. Es zahlt sich aus, Zeit in die Planung von Ablauf und Gestaltung zu investieren. So ist es wenig zielführend, den Inhalt zu überfrachten; auch sollten die Arbeit nehmerInnen aktiv einbezogen werden (z. B. einen Erfahrungsaustausch und Diskussionen ermöglichen, offene Fragen stellen lassen). xx Vorkenntnisse und Sprache der Zielgruppe berücksichtigen; xx Praktische Übungen direkt an Beispielarbeitsplatz; xx Einsatz von Videos, Bildmaterial und EDV-unterstützter Information; xx In ungestörter, entspannter Atmosphäre durchführen.
Kontrollieren Sie als Betriebsrat, als Betriebsrätin, dass Unterweisungen ernsthaft und kompetent gemacht werden! Fordern Sie die ExpertInnen in Sicherheit und Gesundheitsschutz auf, bei Vorbereitung und Durchführung mitzutun.
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6
Kommunikation und Information Betriebsanweisung Schriftliche Betriebsanweisungen sind den ArbeitnehmerInnen zu übergeben bzw. auszuhängen. Sie sind ein nützliches Instrument: Am Arbeitsplatz liefern sie eine knappe und übersichtliche Information über besonders gefährliche chemische Arbeitsstoffe oder Arbeitsprozesse. Sie können auch als didaktische Unterstützung bei Einschulungen und Unterweisungen verwendet werden. Ihr Inhalt ist in Anlehnung an die in Deutschland verwendete Struktur gegliedert und hat in der Regel den Umfang einer A4-Seite: xx Bezeichnung des gefährlichen chemischen Stoffes bzw. Produkts; xx Gefahren für Mensch und Umwelt; xx Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln; xx Verhalten im Gefahrfall (Störfall etc.); xx Erste Hilfe; xx Sachgerechte Entsorgung. Betriebsanweisungen sind gut sichtbar aufzuhängen, z. B. als ein Plakat in A3Format, damit sie rasch gelesen werden können. Es macht wenig Sinn, die Arbeitsplätze mit vielen Betriebsanweisungen zuzupflastern. Sie sollten sparsam für die wirklich kritischen chemischen Stoffe bzw. Situationen eingesetzt werden! Die Betriebsanweisung bringt auf einer Seite die wesentlichen Informationen, die im Bedarfsfall sehr schnell erfassbar sein müssen. Das heißt, dass der Text sinnvollerweise knapp gehalten ist („Nicht zu viel, aber was notwendig ist“) und das Layout übersichtlich gestaltet ist (z. B. mit Punktationen).
Zur Erstellung der Betriebsanweisungen werden wesentliche Informationen über einen gefährlichen chemischen Stoff dem Sicherheitsdatenblatt und anderen Materialien entnommen und knapp und verständlich unter Mitarbeit von ExpertInnen aufbereitet.
40
Betriebsanweisungen
6.2
Sie sind Information für ArbeitnehmerInnen und nicht für chemische, technische oder medizinische Fachleute! Sie müssen daher allgemein verständlich und möglichst ohne Fachausdrücke geschrieben sein. Für viele Branchen und Stoffe finden sich Vorlagen für Betriebsanweisungen in deutschen Quellen, vor allem bei den Berufsgenossenschaften.7 Diese Vorlagen müssen um betriebsund arbeitsplatzspezifische Aspekte ergänzt werden. Und sie müssen an die österreichische Rechtslage angepasst werden!
Abb.: Vorlage einer Betriebsanweisung für Epoxidharzdispersionen (Quelle: GISBAU) Für Links zu den deutschen Berufsgenossenschaften siehe z. B. bei der DGUV www.dguv.de, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung; siehe auch Kap. 3.2.
7
Mischen Sie sich als Betriebsrat/Betriebsrätin bei der Ausarbeitung von Betriebsanweisungen ein. Stellen Sie vor allem sicher, dass sie auch gut verständlich sind!
41
7
Betriebliche Gesundheitsförderung Gesundheitsförderung im Betrieb („BGF“) beginnt unter zentraler Beteiligung der ArbeitnehmerInnen einen Kommunikations- und Lernprozess zur Gestaltung einer gesund heits gerechten Arbeitsumwelt. Sie will das Bewusstsein für gesundheitliche Zusammenhänge schärfen, für Belastungen Lösungen finden, Ressourcen stärken und den sozialen Rückhalt fördern. Fünf zentrale Grundsätze sichern den BGF-Erfolg: xx Integration in den Alltag: Gesunde Arbeit als ausdrückliches Unter nehmensziel und Managementaufgabe; xx Partizipation: Umfassende Beteiligung der ArbeitnehmerInnen; xx Ganzheitliches Gesundheitsverständnis: Beachtung von psycho-sozialen und körperlichen Faktoren, von Verhältnissen und Verhalten; xx Systematisches Vorgehen: Projektkreislauf von Diagnose bis Evaluation; xx Gender Mainstreaming: Ermittlung und Berücksichtigung von Geschlechter differenzen. Die ArbeitnehmerInnen sind stärker und systematischer beteiligt: bei der Erhebung des Ist-Zustands, bei der Veröffentlichung eines Gesundheitsberichts und vor allem über die Gesundheitszirkel (s. S. 46). Gesundheitsförderung im Betrieb kann den traditionell stark expertInnenorientierten ArbeitnehmerInnenschutz um die Ideen der MitarbeiterInnen erweitern und gleichzeitig bei vielen Maßnahmen dadurch auch die Umsetzbarkeit erhöhen. So kann im Unternehmen auch der Umgang mit Chemie verbessert werden, z. B. wenn es strukturelle oder kommunikative Problemlagen gibt.
Freiwillige Gesundheitsförderung im Betrieb kann niemals den gesetzlich vorgeschriebenen „herkömmlichen“ Arbeitnehmer Innen schutz ersetzen! Dies ist weder sachlich gerechtfertigt noch sinnvoll.
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Sinnvolle Ergänzung
7.1
. . . aus der Sicht der Unternehmensleitung Für ArbeitgeberInnen ist die menschliche Arbeitskraft zuallererst ein Produktionsfaktor, der möglichst wirtschaftlich eingesetzt werden sollte. Maßnahmen der Gesundheitsförderung werden daher häufig mit dem Argument der für den Betrieb entstehenden Kosten abgelehnt. Natürlich ist es für UnternehmerInnen unumgänglich, sich über die Rentabilität der eingesetzten Mittel Gedanken zu machen. Aber auch die Unternehmen selbst sehen bei innovativen Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit in erster Linie nicht-finanzielle Vorteile: Sie nennen den Imagenutzen für die Firmen fast gleich oft wie den gesundheitlichen Nutzen. Auch die Vorteile aus einer damit verbundenen Verbesserung des Betriebsklimas werden von ihnen noch vor die Verringerung der Fehlzeiten gereiht. Gelingt es, Sicherheit und Gesundheit im Betrieb zusätzlich mit Umweltschutz aspekten zu verknüpfen, können Maßnahmen der Gesundheitsförderung dem Unternehmen noch weiteren Nutzen bringen. . . . aus der Sicht der Beschäftigten Das größte Interesse an einer gesunden Arbeitsumwelt haben in den meisten Fällen natürlich die Betroffenen selbst: Ein guter Gesundheitszustand sichert neben dem persönlichen Wohlbefinden volle und andauernde Erwerbsfähigkeit. Die mit Maßnahmen der Gesundheitsförderung verbesserten Kommunikations strukturen bewirken zudem ein angenehmeres Betriebsklima. Arbeits zufriedenheit und Arbeitsmoral steigen: Zufriedene ArbeitnehmerInnen sind motivierter.
Gesundheitsfördernde Maßnahmen tragen zur Unternehmensleistung bei. Motivation, Gesundheit und Arbeitsbedingungen sind mit Produktivität und Produktqualität eng verbunden: „Qualitätsarbeit braucht Arbeitsqualität!“
43
7
Betriebliche Gesundheitsförderung Traditionelle Vorstellungen der Verhütung und Vorbeugung reichen heutzutage nicht mehr aus. Es geht nicht mehr (nur) darum, Prävention als Schadens begrenzung zu sehen. Betriebliche Gesundheitsförderung ersetzt auf keinen Fall in der Arbeits verfassung festgeschriebene Mitbestimmungsrechte. Sie erweitert allerdings das inhaltliche Spektrum: Die Verbesserung von Arbeitsbedingungen bedeutet ja oft, dass einzelne Arbeitsplätze, Abläufe oder Strukturen genauer untersucht und Vorschläge zur Veränderung ausgedacht werden müssen. Dies leisten in einem BGF-Projekt die MitarbeiterInnen in den Gesundheits zirkeln. Ob die Vorschläge dann aufgegriffen und umgesetzt werden, bestimmen schlussendlich die EntscheidungsträgerInnen im Unternehmen. Obwohl viele in BGF-Projekten erarbeitete Vorschläge nicht nur der Gesundheit der Arbeit nehmerInnen nützen, sondern auch dem Unternehmen, kann eine Entscheidung für oder gegen eine Umsetzung auch von den Kräfteverhältnissen im Unternehmen abhängen. Wenn BetriebsrätInnen die aus den Gesundheitszirkeln kommenden Verbesse rungsvorschläge unterstützen, kann dies zur Umsetzung wesentlich beitragen. Sie bewegen sich damit selbstverständlich innerhalb ihrer von der Arbeits verfassung festgelegten Zuständigkeit. Die rechtliche Stellung der Betriebs rätInnen erlaubt es jedenfalls, beharrlicher und konsequenter auf Umsetzung zu drängen, als dies die Betroffenen selbst tun können. Die Erfahrung von ArbeitnehmerInnen, dass ihr Engagement auch Verbesserungen bringt, kann dadurch sogar zu einer höheren Wertschätzung für die kollektive Interessenvertretung führen.
Gesundheitsförderung im Betrieb muss in einem ausgewogenen Verhältnis sowohl bei der persönlichen Lebensweise (Verhalten) als auch bei den Arbeitsbedingungen (Verhältnisse) ansetzen! Dabei hat die gesundheits gerechte Gestaltung der Arbeitswelt Vorrang vor anderen Maßnahmen!
44
BGF-Projekte und ‑Instrumente
7.2
xx Zu Projektbeginn muss eine Steuerungsgruppe gegründet werden. xx Die Analyse der Ist-Situation kann durch mehrere einander ergänzende Methoden erfolgen, deren Auswahl unter anderem von Größe und Struktur des Unternehmens abhängt: z. B. Einzel- und Gruppeninterviews, schriftliche Befragung, Betriebsbegehung, Krankenstandsauswertung. xx Der Gesundheitsbericht fasst die in der Ist-Analyse gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Er ist ein wichtiges Kommunikationsinstrument und wird allen MitarbeiterInnen bekannt und zugänglich gemacht. Er enthält eine Einleitung der Geschäftsführung und des Betriebsrates, Projekt-Erläuterungen (Struktur, Ablauf, Ziele), eine Darstellung der Ergebnisse der IstAnalyse (Belastungsfelder und Ressourcen) sowie einen Ausblick auf weitere Projektschritte. xx Der Gesundheitszirkel als BGF-Hauptinstrument ist ein Arbeitskreis, in dem sich ArbeitnehmerInnen mit gesundheitsrelevanten Aspekten ihrer Arbeits situation befassen. Begleitet durch Moderation werden unternehmens spezifische Belastungen und Potenziale identifiziert, analysiert und konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation erarbeitet. xx Auf Basis der Ist-Analyse-Ergebnisse und der Vorschläge aus dem Gesund heitszirkel beschließt die Steuerungsgruppe einzelne Maßnahmen und plant ihre Umsetzung (zentrale Interventionsbereiche, Umsetzungsschritte, Zuständigkeiten, Zeitrahmen). Ein Maßnahmenplan, der allen Arbeitnehme rInnen zugänglich gemacht wird, dokumentiert dies. xx Eine Evaluation prüft die Zielerreichung und reflektiert die in der Umsetzungs phase gewonnenen Erfahrungen. Die Evaluationsergebnisse werden wieder allen MitarbeiterInnen bekanntgemacht.
Die Information der MitarbeiterInnen über das BGF-Projekt, über Ergebnisse und geplante Maßnahmen ist das Um und Auf für ein gutes Gelingen. Bei Ist-Analyse und Gesundheitsbericht ist Datenschutz sicherzustellen!
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7
Betriebliche Gesundheitsförderung Gesundheitszirkel Die Beschäftigten haben auf Grund ihrer Alltagserfahrung am Arbeitsplatz ein Wissen, welches das Know-how der ExpertInnen (Sicherheitsfach kräfte, ArbeitsmedizinerInnen, BetriebsrätInnen usw.) wesentlich zu ergänzen vermag. xx Gesundheitszirkel sind innerbetriebliche Arbeitskreise, in denen sich die Beschäftigten eines Betriebs mit ihren Arbeitsbedingungen auseinan dersetzen. Sie tragen ihre Erfahrungen mit gesundheitsbelastenden Faktoren zusammen, diskutieren sie gemeinsam, entwickeln neue Lösungen und erarbeiten Vorschläge, wie sie in die Praxis umgesetzt werden können. xx Im Rahmen derartiger Zirkel werden auch heikle Probleme (ungünstige Strukturen, Verhalten von Vorgesetzten, Betriebsklima etc.) angesprochen, die im herkömmlichen Vorschlagswesen nicht berührt werden. Die Resultate werden in der BGF-Steuerungsgruppe oder im Arbeitsschutzaus schuss bzw. mit dem führenden Management mit dem Ziel einer Umsetzung diskutiert. Gesundheitszirkel haben im Wesentlichen zwei Funktionen: xx Faktoren werden gesammelt, welche die Gesundheit bzw. das Wohlbefinden der Arbeitenden beeinträchtigen. Dies reicht von Schadstoffexposition über unergonomische Arbeitsplätze und Lärm bis hin zum schlechten Verhältnis zwischen MitarbeiterInnen und Vorgesetzten. xx Solche Gesundheitszirkel haben aber nur dann wirklich Erfolg, wenn sie zugleich dazu beitragen, Hemmschwellen abzubauen, über Missstände am Arbeitsplatz offen zu sprechen, ohne Sanktionen irgendeiner Art befürchten zu müssen. Gesundheitszirkel sind ein Diagnose- und Planungsinstrument, um gesund heitliche Belastungen am Arbeitsplatz abzubauen. Sie nutzen dazu insbesondere auch das Erfahrungswissen der Beschäftigten.
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Gesundheitszirkel
7.3
Gesundheits- und Qualitätszirkel können entweder „von oben“, also von Seiten der Betriebsleitung, oder auch „von unten“, also z. B. von BetriebsrätInnen ini tiiert werden. Der Erfolg eines Zirkels hängt wesentlich von der Auswahl der Mitglieder und der ModeratorInnen ab. Die Moderation muss den Vorrang von Sach problemen gegenüber Gruppenproblemen gewährleisten. Dazu ist eine Aus bildung in Gesprächs- und Diskussionstechnik sowie in Problem- und Risiko analyse erforderlich. Regeln für einen Gesundheitszirkel: ➔➔ Der Zirkel tagt auf Wunsch bzw. mit Zustimmung der Firma; ➔➔ Die Zirkelarbeit erfolgt im Auftrag des Unternehmens und ist daher Arbeits zeit; wenn jemand außerhalb seiner Schicht teilnimmt, muss der Abrech nungsmodus mit den Zuständigen geklärt werden; ➔➔ Die Teilnahme ist freiwillig; es gibt einen fixen Teilnehmerkreis aus einem gemeinsamen Arbeitsbereich; ➔➔ Ein Gesundheitszirkel hat maximal 10 TeilnehmerInnen; alle Beschäftigungs gruppen sollten vertreten sein; Personen mit formellen oder informellen Leitungsfunktionen nehmen nicht teil; ➔➔ Es gibt Zusammentreffen in regelmäßigen Abständen über einen längeren Zeitraum: 4 bis 5 Treffen zu je 2 Stunden; bei Terminvereinbarungen werden Arbeitsspitzen berücksichtigt; ➔➔ Im Gesundheitszirkel werden arbeitsbezogene Probleme behandelt; ➔➔ Im Gesundheitszirkel werden Probleme bearbeitet, auf welche die Teilnehme rInnen direkten Einfluss haben; ➔➔ Der Gesundheitszirkel wird von speziell ausgebildeten ModeratorInnen geleitet.
47
8
Wer ist für den ArbeitnehmerInnenschutz zuständig? Hier wird ergänzend eine kurze Übersicht über das inner- und außerbetriebliche ArbeitnehmerInnenschutzsystem gegeben.
Das innerbetriebliche ArbeitnehmerInnenschutzsystem ArbeitgeberIn
ArbeitnehmerIn wählen
bestellt
Sicherheitsvertrauensperson
stimmt zu
Betriebsrat
Beteiligung Information Kontrolle Präventivkräfte (Arbeitsmediziner, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, sonstige Fachkräfte arbeiten mit leitet
Arbeitsschutzausschuss
Abb.: Das innerbetriebliche ArbeitnehmerInnenschutzsystem (Quelle: AK OÖ)
Nähere Details entnehmen Sie bitte den Arbeitsrechtsskripten AR 8A und AR 8B („ArbeitnehmerInnenschutz I und II“)!
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Innerbetriebliches System
8.1
Unternehmensleitung Sichere und gesunde Arbeitsplätze sind in erster Linie die Aufgabe der Unter nehmensleitung! Sie trägt die Verantwortung, muss die betriebliche Gesundheits schutzpolitik und die Leitlinien dazu festlegen. Sie wird dabei von internen und externen ExpertInnen sowie Sicherheits vertrauenspersonen unterstützt. Manche ArbeitgeberInnen verwechseln Unterstützung mit Verantwortlichkeit und versuchen, die Zuständigkeit für den ArbeitnehmerInnenschutz auf andere abzuwälzen! Der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin muss für die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung sorgen. Er/Sie hat dazu mehrere Möglichkeiten: xx Bestellung betriebseigener ausgebildeter ArbeitsmedizinerInnen und Sicher heitsfachkräfte im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses; xx Verpflichtung freiberuflich tätiger ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheits fachkräfte durch Werkvertrag; xx Inanspruchnahme eines arbeitsmedizinischen bzw. sicherheitstechnischen Zentrums; xx Kostenlose Anforderung eines Präventionszentrums des zuständigen Unfall versicherungsträgers durch „Kleinbetriebe“ mit bis zu 50 ArbeitnehmerInnen, z. B. Betreuung durch Präventivkräfte der AUVA im Rahmen des Angebots AUVA-SICHER (Kontakt: die zuständige Landesstelle von AUVA-SICHER); xx Wahrnehmung der sicherheitstechnischen Betreuung durch ArbeitgeberInnen von Kleinbetrieben („Unternehmermodell“: Nachweis einschlägiger Kenntnisse). Der/Die ArbeitgeberIn muss die erforderliche Präventionszeit jährlich ermitteln. Die Einsatzzeiten der Sicherheitsfachkräfte und ArbeitsmedizinerInnen sind abhängig von der Betriebsgröße und dem vorhandenen Gefahrenpotenzial. Verantwortlich für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeit nehmerInnen sind die ArbeitgeberInnen. Präventivkräfte werden vom Unternehmen bestellt und beraten den Betrieb und die ArbeitnehmerInnen.
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8
Wer ist für den ArbeitnehmerInnenschutz zuständig? Die Präventivkräfte Hier geht es vor allem um Sicherheitsfachkräfte und ArbeitsmedizinerInnen. Das Unternehmen kann bei Bedarf auch andere Fachleute bis maximal 25 Prozent der insgesamt vorgeschriebenen Präventivzeit beiziehen, z. B. aus Ergonomie, Arbeitspsychologie, Chemie oder Toxikologie. Die Präventivfachkräfte müssen untereinander sowie mit dem Betriebsrat und den Sicherheitsvertrauenspersonen zusammenarbeiten. Bei der Anwendung ihrer Fachkunde sind sie weisungsfrei und arbeitsrechtlich abgesichert. Eine genaue Kenntnis des Betriebs und der mit den Arbeitsplätzen verbundenen Gefahren ist Grundvoraussetzung für die Tätigkeit von Präventivkräften. Dazu sind regelmäßige Begehungen nötig. Sicherheitsfachkräfte sollten direkt der Geschäftsführung unterstellt sein und keine Vorgesetztenfunktion im Unternehmen besitzen. Besonders in kleinen Betrieben sind diese Funktionen aber häufig vermischt, da es möglich ist, dass der/die BetriebsinhaberIn die sicherheitstechnischen Aufgaben übernimmt. ➔➔ Die Kernaufgabe der Sicherheitsfachkräfte ist die Unterstützung der Unternehmensleitung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in allen Fragen der Arbeitssicherheit, inklusive Gefährdungsbeurteilung, Unfallverhü tung und menschengerechte Arbeitsgestaltung. Als Sicherheitsfachkräfte dürfen nur Personen bestellt werden, die den erfolg reichen Abschluss einer anerkannten sicherheitstechnischen Ausbildung nach weisen können.
Die Präventivkräfte sind auf Ihre Mitarbeit angewiesen. Weisen Sie sie auf Mängel und Gefahren hin und wenden Sie sich mit Fragen und Problemen zu Sicherheit und Gesundheit im Betrieb an sie! Prüfen Sie aber, ob sie auch wirklich das Unternehmen kennen und aktiv sind!
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Innerbetriebliches System
8.1
Die ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräfte sollen einander fachlich ergänzen. Die arbeitsmedizinische Tätigkeit unterscheidet sich maßgeblich von der Arbeit anderer Ärzte und Ärztinnen: Nicht die Beschäftigten sind die PatientInnen der ArbeitsmedizinerInnen, sondern vorrangig die Arbeitsplätze! ➔➔ Wesentliche Aufgabe der ArbeitsmedizinerInnen ist die Unterstützung der Unternehmensleitung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in allen Fragen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes, einschließlich Gefähr dungsbeurteilung, Gesundheitsförderung und menschengerechte Ar beitsgestaltung, sowie arbeitsmedizinische Untersuchungen. Als ArbeitsmedizinerInnen dürfen nur Personen beschäftigt werden, die die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes im Sinne des Ärztegesetzes und zusätzlich eine anerkannte arbeitsmedizinische Ausbildung absolviert haben. Die Sicherheitsvertrauenspersonen Sicherheitsvertrauenspersonen sind ArbeitnehmerInnen, die eine mindestens 24-stündige Ausbildung erhalten müssen, um die für diese Tätigkeit nötigen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen zu erfüllen. xx Sie haben das Recht auf Einsicht in alle betrieblichen Informationen, Dokumente (auch Bewilligungen und Bescheide) und Aufzeichnungen, die in Zusammenhang mit Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb stehen. xx Sie wirken bei der Bestellung von Präventivkräften sowie von ErsthelferInnen, Brandschutz- und Störfallbeauftragten mit. xx Sie sind auch in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen.
Zu den Aufgaben der Sicherheitsvertrauenspersonen gehört es, die Belegschaft und den Betriebsrat in Belangen des ArbeitnehmerInnenschutzes zu unterstützen und zu beraten. Sie sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Beschäftigten, Präventivkräften, Betriebsrat und Unternehmensleitung.
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8
Wer ist für den ArbeitnehmerInnenschutz zuständig? Sicherheitsvertrauenspersonen müssen vom Arbeitgeber/von der Arbeitgeberin in allen Unternehmen mit mehr als 10 ArbeitnehmerInnen bestellt werden. Ihre Bestellung bedarf der Zustimmung der zuständigen Belegschaftsvertretung (Betriebsrat). Das Gesetz sieht keine festen Einsatzzeiten für Sicherheitsvertrauenspersonen im Betrieb vor. Die Unternehmensleitung hat aber dafür zu sorgen, dass die für die Ausübung der Tätigkeit nötige Zeit in der Arbeitszeit zur Verfügung steht. Der Betriebsrat Betriebsräte/-rätinnen überwachen die Einhaltung der Fürsorgepflicht. Es hängt auch von ihrer Politik ab, wie mit Gesundheitsbelastungen im Betrieb umgegangen wird. Abmachungen zwischen Unternehmen und Betriebsrat, die dem Schutz der Gesundheit dienen, können in Betriebsvereinbarungen festgeschrieben werden. xx Sie sind an der Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsplätze zu beteiligen und müssen Zugang zu Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten haben sowie zu Messungen und Untersuchungen, die Arbeitsstoffe betreffen. xx Sie müssen unverzüglich über jeden Arbeitsunfall sowie über Grenzwert überschreitungen und deren Ursachen in Kenntnis gesetzt werden. xx Sie sind zu Auswirkungen neuer Technologien für die Sicherheit und Gesund heit der ArbeitnehmerInnen anzuhören, z. B. bei der Auswahl der Arbeits mittel und Arbeitsstoffe oder bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen. xx Sie sind an der Auswahl der persönlichen Schutzausrüstung zu beteiligen. xx Sie sind über Auflagen, Vorschreibungen und Bewilligungen zu informieren, die den ArbeitnehmerInnenschutz betreffen. xx Sie müssen bei Betriebsbesichtigungen im Zuge behördlicher Verfahren (z. B. Kontrollen des Arbeitsinspektorats, Bauverfahren oder Genehmigung von Betriebsanlagen) beigezogen werden. Betriebsräte/-rätinnen sind verpflichtet, die Unternehmensleitung auf Gefahrenquellen und Missstände hinzuweisen und mit ihr über deren Beseitigung zu beraten. Sie können eine Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat fordern.
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Außerbetriebliches System
8.2
Der Arbeitsschutzausschuss Betriebe mit mindestens 100 ArbeitnehmerInnen (ab 250 Beschäftigten, wenn drei Viertel Büroarbeitsplätze o. Ä. sind) müssen einen Arbeitsschutzausschuss einrichten. Mitglieder sind neben der Unternehmensleitung Sicherheitsfachkraft, ArbeitsmedizinerIn, alle Sicherheits vertrauens personen, Belegschafts vertreterInnen und alle weiteren für Arbeitsschutz verantwortlichen Personen. Der Ausschuss muss mindestens zweimal im Jahr zusammentreten. Sind Sicherheitsfachkraft oder ArbeitsmedizinerIn an der Teilnahme an der Sitzung verhindert, muss ein schriftlicher Tätigkeitsbericht von ihnen vorliegen.
Die außerbetrieblichen Einrichtungen des ArbeitnehmerInnenschutzes Sicheres und gesundes Arbeiten fördern hier in erster Linie: xx Die Arbeitsinspektorate: Sie kontrollieren die Arbeit geber /Arbeitgeberinnenpflichten, können bei Übertretung von Vorschriften Strafanträge stellen bzw. bei unmittelbar drohender Gefahr für Leben und Gesundheit eine unverzügliche Einstellung der Arbeiten fordern. Sie beraten ferner ArbeitgeberInnen, BetriebsrätInnen und ArbeitnehmerInnen zum ArbeitnehmerInnen- und Verwendungsschutz. xx Die gesetzlichen Unfallversicherungen: Allgemeine Unfallversicherungs anstalt (AUVA), Versicherungsanstalt der Österreichischen Eisenbahnen (VAdöE), die Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) und Versiche rungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA). xx Die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen: Der Österreichische Gewerkschaftsbund mit den Gewerkschaften sowie die Kammern für Arbeiter und Angestellte. Wesentliche Aufgabe des Arbeitsschutzausschusses ist die Koordination der Aktivitäten und die gegenseitige Information in Bezug auf Sicherheit, Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung und Arbeitsgestaltung.
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SKRIPTEN ÜBERSICHT SOZIALRECHT
SR-1
Grundbegriffe des Sozialrechts
SR-2
Sozialpolitik im internationalen Vergleich
SR-3
Sozialversicherung – Beitragsrecht
SR-4
Pensionsversicherung I: Allgemeiner Teil
SR-5
Pensionsversicherung II: Leistungsrecht
SR-6
Pensionsversicherung III: Pensionshöhe
SR-7
Krankenversicherung I: Allgemeiner Teil
SR-8
Krankenversicherung II: Leistungsrecht
SR-9
Unfallversicherung
SR-10
Arbeitslosenversicherung I: Allgemeiner Teil
SR-11
Arbeitslosenversicherung II: Leistungsrecht
SR-12
Insolvenz-Entgeltsicherung
SR-13
Finanzierung des Sozialstaates
SR-14
Pflege und Betreuung
SR-15
Bedarfsorientierte Mindestsicherung
Die einzelnen Skripten werden laufend aktualisiert.
ARBEITSRECHT
AR-1 AR-2A AR-2B AR-2C AR-3 AR-4 AR-5 AR-6 AR-7 AR-8A AR-8B AR-9 AR-10 AR-11 AR-12 AR-13 AR-14 AR-15 AR-16 AR-18 AR-19 AR-21 AR-22
Kollektive Rechtsgestaltung Betriebliche Interessenvertretung Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates Rechtstellung des Betriebsrates Arbeitsvertrag Arbeitszeit Urlaubsrecht Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Gleichbehandlung im Arbeitsrecht ArbeitnehmerInnenschutz I: Überbetrieblicher ArbeitnehmerInnenschutz ArbeitnehmerInnenschutz II: Innerbetrieblicher ArbeitnehmerInnenschutz Beendigung des Arbeitsverhältnisses Arbeitskräfteüberlassung Betriebsvereinbarung Lohn(Gehalts)exekution Berufsausbildung Wichtiges aus dem Angestelltenrecht Betriebspensionsrecht I Betriebspensionsrecht II Abfertigung neu Betriebsrat – Personalvertretung Rechte und Pflichten Atypische Beschäftigung Die Behindertenvertrauenspersonen
GEWERKSCHAFTSKUNDE
GK-1 GK-2 GK-3
Was sind Gewerkschaften? Struktur und Aufbau der österreichischen Gewerkschaftsbewegung Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1945 Die Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung von 1945 bis heute
GK-4
Statuten und Geschäftsordnung des ÖGB
GK-5
Vom 1. bis zum 18. Bundeskongress
GK-7
Die Kammern für Arbeiter und Angestellte
Die VÖGB-Skripten online lesen oder als Gewerkschaftsmitglied gratis bestellen: www.voegb.at/skripten
VÖGB/AK-SKRIPTEN Die Skripten sind eine Alternative und Ergänzung zum VÖGB/AK-Bildungsangebot und werden von ExpertInnen verfasst, didaktisch aufbereitet und laufend aktualisiert.
UNSERE SKRIPTEN UMFASSEN FOLGENDE THEMEN:
Lucia Bauer/Tina Brunauer-Laimer
Damit wir uns verstehen OEA 1
Tipps und Konzepte für Öffentlichkeitsarbeit im Betrieb
1
Damit wir uns verstehen
› Arbeitsrecht › Sozialrecht › Gewerkschaftskunde › Praktische Gewerkschaftsarbeit › Internationale Gewerkschaftsbewegung › Wirtschaft › Wirtschaft – Recht – Mitbestimmung › Politik und Zeitgeschehen › Soziale Kompetenz › Humanisierung – Technologie – Umwelt › Öffentlichkeitsarbeit SIE SIND GEEIGNET FÜR:
› Seminare › ReferentInnen › Alle, die an gewerkschaftlichen Themen interessiert sind. und Nähere InfosBes tellung: e s kostenlo kripten www.voegb.at/s ten@oegb.at E-Mail: skrip Adresse: öhm-Platz 1, Johann-Bien 1020 W534 44-39244 Tel.: 01/
Die Skripten gibt es hier zum Download:
www.voegb.at/skripten
Leseempfehlung: Reihe Zeitgeschichte und Politik
Öffentlichkeitsarbeit