Maria Rathgeb/Walter Sauer
Internationale Politik ‌ aus gewerkschaftlicher Sicht
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Internationale Gewerkschaftsbewegung
Maria Rathgeb / Walter Sauer
Internationale Politik … aus gewerkschaftlicher Sicht
Maria Rathgeb / Walter Sauer
Internationale Politik … aus gewerkschaftlicher Sicht
Dieses Skriptum ist für die Verwendung im Rahmen der Bildungsarbeit des Österreichischen G ewerkschaftsbundes, der Gewerkschaften und der Kammern für Arbeiter und Angestellte bestimmt.
Zeichenerklärung
Hinweise Beispiele Zitate
Stand: Mai 2015 Impressum: Layout/Grafik: Walter Schauer, Dietmar Kreutzberger Umschlaggestaltung: Dietmar Kreutzberger Umschlagfoto: Political map of the world vector © max_776 Medieninhaber: Verlag des ÖGB GmbH, Wien © 2015 by Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH, Wien Herstellung: Verlag des ÖGB GmbH, Wien Verlags- und Herstellungsort: Wien Printed in Austria
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Inhalt Vorwort 6 Einleitung 8 Krise der Demokratie und des Friedens
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Nukleare Abr端stung
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Regionale Konflikte
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Entwicklungskrise 20
Wachsende Ungleichheit
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Freihandel
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Die Umweltkrise
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Ursachen
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Auswirkungen des Klimawandels
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Klimawandel und Gewerkschaften
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Anhang 32 China
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S端dafrika
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Brasilien
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Griechenland
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Qatar
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AutorInnen 51
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Vorwort Warum beschäftigen sich engagierte Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mit internationaler Politik? Wo das doch angeblich eine sehr komplizierte Materie ist und man ohnehin nichts beeinflussen kann... Ja, zugegeben, die Entwicklung auf internationaler Ebene ist in den letzten Jahrzehnten komplexer und unüberschaubarer geworden. Viele Entscheidungen, vor allem in ökonomischer Hinsicht, werden hinter verschlossenen Türen getroffen, selbst Regierungen erscheinen vielfach als Getriebene oder, im Extremfall, als Erfüllungsgehilfen mächtiger, intransparenter und demokratisch nicht legitimierter Lobbies. Als gesteuert von Interessengruppen, denen das fehlende Inter esse von großen Teilen der Öffentlichkeit an den Ursachen und den Folgen internationaler Prozesse nur gelegen sein kann. Wohin das führt, zeigen die Ereignisse der letzten Jahre sehr deutlich. Der „Fall des Eisernen Vorhangs“ und das Ende des Kalten Krieges 1989/90 haben nicht, wie von vielen erhofft, ein Zeitalter des Friedens und des allgemeinen Aufbruchs herbeigeführt. Schwerter wurden nicht zu Pflugscharen umgeschmiedet, es gab keine „Friedensdividende“, die zur Beseitigung der weltweiten Armut genutzt hätte werden können. Ganz im Gegenteil: Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich seit den 1990er Jahren überall dort, wo die sogenannte Globalisierung uneingeschränkt Platz greifen konnte, weiter vertieft – inklusive im Osten Europas. Die Zahl diktatorischer Regime in der Welt hat sich kaum verringert, neue Überwachungstechnologien lassen im Zeichen des „Kampfes gegen den Terror“ sogar in traditionellen Demokratien totalitäre Tendenzen stärker hervortreten, wie wir am Beispiel der USA sehen. Bestehende Krisenherde außerhalb Europas blieben ungelöst (Afghanistan, Korea) oder haben sich verschärft (Israel/Palästina, Irak), neue sind hinzugekommen (Syrien). Mit dem Bürgerkrieg in der Ukraine wird nach dem Zerfall Jugoslawiens zum zweiten Mal kriegerische Gewalt als Mittel zur Lösung politischer Konflikte innerhalb Europas eingesetzt – mit derzeit kaum absehbaren Konsequenzen auch für die Europäische Union. Gleichzeitig wird das Völkerrecht von allen möglichen Seiten gebrochen, und die Rolle der Vereinten Nationen, die 1945 eigentlich als „Wächterin des Weltfriedens“ und als „Hüterin des Völkerrechts“ gegründet wurden, erscheint nachhaltig geschwächt. Also eine alarmierende Bilanz der aktuellen weltpolitischen Situation. Man kann sich ausrechnen, dass sich diese Entwicklung – ähnlich wie das schon bei der
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1 sog. Globalisierung der Fall war – früher oder später auch auf die Situation in Österreich negativ auswirken wird. Oder sich bereits auszuwirken beginnt: Wirtschaftlich merken wir das durch das Mittragen der umstrittenen EU-Sanktionen gegen die Russische Föderation, sozialpolitisch bei der anhaltenden krisenbedingten Migration, die zwar nur zu einem kleinen Teil nach Österreich führt, dennoch aber zu einem unwürdigen Umgang mit Asylwerberinnen und Asylwerbern Anlass gibt, sicherheitspolitisch durch Drohungen religiöser Fanatiker, die sich von den Kriegen außerhalb Europas zu Gewaltakten auch im Inland motivieren lassen. Können wir es uns angesichts dessen leisten, uns nicht mit den Brennpunkten der Weltpolitik zu beschäftigen? Liegt es nicht in unserem eigenen Interesse, die internationale Entwicklung zu durchschauen, gestaltende Faktoren namhaft zu machen und Möglichkeiten zum Engagement zu suchen? Genau das versuchen wir mit diesem Skriptum – internationale Politik weniger kompliziert erscheinen zu lassen und zumindest teilweise auch Möglichkeiten zum Engagement aufzuzeigen. Strategien und Instrumente, mit denen die organisierte Gewerkschaftsbewegung versucht, die Entwicklung auf internationaler Ebene zu beeinflussen und ihre Forderungen durchzusetzen, wurden in einem früheren Skriptum über „Internationale Gewerkschaftsbewegung“ dargestellt. Dort stand das WIE eines internationalen gewerkschaftlichen Engagements im Vordergrund. Wir sprechen in diesem Skriptum zunächst drei grundlegende weltpolitische Herausforderungen an, im Anhang folgen Fallstudien, die sich auf die Entwicklung in einzelnen Ländern beziehen.
Im vorliegenden Heft geht es um das WOFÜR und WOGEGEN: Was sind die wichtigsten Herausforderungen, mit denen wir im Bereich der internationalen Politik konfrontiert sind, unter welchen weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen kämpfen wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter um menschenwürdige und faire Arbeitsbedingungen?
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Einleitung Hier soll keiner Politikverdrossenheit das Wort geredet werden – aber es ist eine Tatsache, dass in vielen Staaten der Welt große Teile der Bevölkerungen Politikern und Politikerinnen mit Misstrauen gegenüberstehen. Der seit nunmehr drei Jahrzehnten fast weltweit praktizierte Neoliberalismus und sein Ergebnis, die sogenannte Globalisierung, haben die menschliche Gesellschaft weltweit in eine fundamentale Krise geführt. In seiner Hauptresolution konstatierte der 3. Weltkongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes (Berlin, 18.–23. Mai 2014) Folgendes: „Die Menschen fühlen sich von ihren Regierungen verlassen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verfolgen die Staats- und Regierungschefs und die internationalen Institutionen eine Wirtschaftsagenda, die zu mehr Ungleichheit und zu verheerender Arbeitslosigkeit geführt hat und Demokratien überall untergräbt. Sie haben sich nicht für die Maßnahmen eingesetzt, die notwendig sind, um sichere und integrative Demokratien und einen nachhaltigen Planeten für das 21. Jahrhundert zu gewährleisten. xx Sie haben es versäumt, eine solide globale Wirtschaft aufzubauen, was den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Familien enorme Kosten verursacht hat. xx Sie haben es versäumt, die Rekordarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, jungen Menschen Chancen zu bieten und das Wachstum prekärer und informeller Arbeitsverhältnisse zu stoppen. xx Sie haben es versäumt, für eine gesunde Umwelt zu sorgen und den Klimawandel in den Griff zu bekommen. xx Sie haben es versäumt, Atomwaffen abzuschaffen und für globalen Frieden zu sorgen. xx Selbst das ,soziale Europa‘, in dem Rechte und Schutzvorkehrungen traditionell fest verankert sind, ist unter Beschuss geraten. Es herrscht tiefes Misstrauen gegenüber den Institutionen, da die Menschen zunehmend das Vertrauen in Regierungen verlieren, die den Wirtschaftsinteressen eine höhere Priorität einräumen als dem Wohl der Erwerbsbevölkerung.“ In dieser fundamentalen Krise, in die uns die Politik der letzten Jahrzehnte geführt hat, können wir, vereinfacht gesagt, drei Dimensionen unterscheiden:
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2 xx Eine Krise der Demokratie und des Friedens: Kaum durchschaubare Netzwerke von Konzernen, Institutionen und Personen bestimmen die Entwicklung auf globaler Ebene. Demokratische Kontrolle und Mitsprachemöglichkeiten werden ausgehöhlt, Menschen- und Gewerkschaftsrechte untergraben. Wachsende Instabilität führt zu Verteilungskonflikten, die durch irrationale Ideologien nationalistischer oder religiöser Art geschürt werden und denen die bestehende internationale Sicherheitsarchitektur immer weniger gewachsen ist. Bewaffnete Auseinandersetzungen in vielen Teilen der Welt – mittlerweile auch wieder in Europa – sind die Folge. xx Eine entwicklungspolitische Krise: Die materielle Ungleichheit, also die Kluft zwischen Reich und Arm, hat sich in dieser Zeit sowohl zwischen einzelnen Ländern und Regionen als auch innerhalb derselben dramatisch vergrößert. Obwohl die von den Vereinten Nationen koordinierten Bemühungen zur Reduzierung der Armut (Milleniumsziele) in manchen Ländern zu Erfolgen geführt haben, lebt immer noch ca. ein Viertel der Menschheit in absoluter Armut. xx Eine Umweltkrise: Eine rücksichtslose, rein profitorientierte Verschwendungsökonomie gefährdet wertvolle ökologische Ressourcen und führt zu Klimaveränderungen mit unabsehbaren wirtschaftlichen und politischen Folgen für die gesamte Menschheit. Diese drei Dimensionen der Krise, die von der sogenannten Globalisierung nicht erfunden, aber wesentlich verschärft wurden, stellen die Gewerkschaften vor neue, in ihrer Dimension bisher unbekannte Herausforderungen auf nationaler wie internationaler Ebene. Grenzübergreifende Organisation und internationale Kampagnen der Gewerkschaften dürfen daher nicht nur Ausdruck verbaler Solidarität sein, sondern ihre praktische Durchführung ist unerlässlich für die Erreichung unserer Ziele. Nur durch verstärkte internationale Koordination und Kooperation werden Gewerkschaften in Zukunft ihren politischen Einfluss zurückgewinnen können, um in Bündnissen mit nahestehenden zivilgesellschaftlichen Organisationen, aber auch mit einzelnen Regierungen und Institutionen, die ähnliche Interessen verfolgen, die Interessen ihrer Mitglieder zur Geltung zu bringen. Gewerkschaften stehen also nicht nur für sich selbst, sondern sind ein untrennbarer Teil einer weltweiten Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, für Demokratie und Frieden.
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Krise der Demokratie und des Friedens Soziale Gerechtigkeit – das Ziel der Arbeiterbewegung – kann nur in einer Situation des Friedens hergestellt werden. Deshalb sind Abrüstung im nuklearen wie konventionellen Bereich sowie die Entwicklung einer Kultur ziviler Konfliktprävention (inkl. verantwortungsvolle Wortwahl von politisch Verantwortlichen in der Öffentlichkeit!) wichtige Voraussetzungen für die Entfaltung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte der ArbeitnehmerInnenschaft. Neben Abrüstung zählen langfristig auch demokratische Teilhabe sowie eine gerechte Wohlstandsverteilung zu den Voraussetzungen für Frieden und Stabilität. Denn politische Ausgrenzung, mangelnde Bildung und das Fehlen demokratischer Zukunftsperspektiven einerseits sowie unzureichende Lebensbedingungen und soziale Verelendung, Ressourcenknappheit und mangelnde Verteilungsgerechtigkeit andererseits führen ebenfalls zu gewalttätigen Konflikten. Damit werden wir uns im zweiten Abschnitt befassen.
Nukleare Abrüstung Die wohl grundlegendste Bedrohung des internationalen Friedens ist im öffentlichen Bewusstsein kaum noch präsent: die Existenz von Atomwaffen, die für eine allfällige militärische Verwendung einsatzbereit gehalten werden und deren Einsatz in den Strategiepapieren der Kernwaffenmächte bislang nicht ausgeschlossen wird. Zwar hat sich die Anzahl der gelagerten Atomwaffen seit dem Kalten Krieg leicht verringert, doch beläuft sich das globale Nukleararsenal heute immer noch auf mehr als 16.000 Sprengköpfe – ausreichend, um die Erde gleich mehrfach zu vernichten. Bislang kamen Atomwaffen erst zwei Mal unter kriegsmäßigen Bedingungen zum Einsatz: im August 1945, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, als die Vereinigten Staaten je eine Bombe über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki zur Detonation brachten. Obwohl diese Sprengkörper eine im Vergleich zu heutigen Bomben relativ geringe Sprengkraft aufwiesen, waren die wirtschaftlichen und humanitären Folgen der Abwürfe katastrophal: In Hiroshima starben sofort 130.000 bis 140.000 Menschen einen qualvollen Tod, in Nagasaki etwa 70.000; Hunderttausende erlagen ihren Verletzungen später oder blieben ihr Leben lang davon gezeichnet. Beide Städte wurden innerhalb von
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Nukleare Abrüstung
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Sekunden zu großen Teilen zerstört – Betriebe, Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser, Brücken, Gas- und Wasserleitungen usw. Kriegsentscheidend war der nukleare Bombeneinsatz übrigens nicht; die Abwürfe erfolgten (wie schon die konventionelle Bombardierung Dresdens durch britisch-US-amerikanische Flieger im Februar 1945) zur Demonstration der Stärke der Alliierten, möglicherweise auch als erster praktischer Test einer noch ziemlich neuen Technologie. Der Schock über den atomaren Angriff saß tief, nicht nur in Japan. Schon sechs Monate nach den Atomschlägen gegen Hiroshima und Nagasaki, Anfang 1946, setzte die Generalversammlung der neu gegründeten Vereinten Nationen (UNO) eine Kommission ein, die Vorschläge „für die Eliminierung von Atomwaffen und aller anderen Massenvernichtungswaffen aus den nationalen Arsenalen“ machen sollte. Dies war die Geburtsstunde der Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung, die auf verschiedenen Ebenen bis heute andauern – eine Geschichte mit einzelnen Erfolgen, aber auch Rückschlägen: xx Atomwaffensperrvertrag 1968: Darin verpflichteten sich die fünf damaligen Atommächte USA, Sowjetunion, China, Großbritannien und Frankreich, keine Nuklearwaffen an Dritte weiterzugeben und selbst „Verhandlungen in gutem Glauben über effektive Maßnahmen zur baldigen Beendigung des nuklearen Wettrüstens und zu atomarer Abrüstung zu führen.“ Andere Staaten, die dem Abkommen beitreten, dürfen selbst keine Atomwaffen produzieren oder erwerben, haben aber das Recht auf friedliche Nutzung der Atomkraft unter internationaler Kontrolle (durch die Internationale Atomenergie-Agentur/IAEA in Wien). Den „Nuclear Non-Proliferation Treaty/NPT“ haben 190 Staaten unterzeichnet. xx SALT-Verträge I und II 1972, 1979: Die „Strategic Arms Limitation Talks“ (SALT) waren der Versuch, die nuklearen Arsenale der beiden Gegner des Kalten Kriegs quantitativ auf dem Niveau des Jahres 1972 einzufrieren, und stellten ein wichtiges Element der Entspannungspolitik der 1970er Jahre dar. xx INF-Vertrag 1987: Im Vertrag „Intermediate-Range-Nuclear-Forces“ (INF) verpflichteten sich USA und Sowjetunion, nukleare landgestützte Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 5.000 Kilometern komplett zu verschrotten. Beide Seiten haben die Vertragsbedingungen inzwischen erfüllt.
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Krise der Demokratie und des Friedens xx Der START-Prozess 1991-2010: Im Juli 1991 einigen sich die USA etc. und die Sowjetunion bei „Strategic Arms Reductions Talks“ (START) darauf, die Zahl ihrer jeweiligen atomaren Gefechtsköpfe wesentlich zu verringern. Die Umsetzung erfolgte infolge von Widerständen in den USA sowie des Zerfalls der UdSSR allerdings schleppend, das Nachfolgeabkommen START II von 1993 trat nie in Kraft. START III wurde im Frühling 2010 von US-Präsident Barack Obama und seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew in Prag unterzeichnet. Der Vertrag sieht vor, die Zahl der nuklearen Sprengköpfe in den nächsten sieben Jahren auf je 1550 zu senken (dzt. Stand: je 7-8.000). Die Zahl der Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützten Langstreckenraketen und Langstreckenbomber soll auf je 800 halbiert werden. xx Kernwaffenteststopp-Vertrag 1996: Ausgearbeitet von der UN-Abrüstungskonferenz sieht das Abkommen ein komplettes Verbot von Kernwaffenexplosionen, ziviler und militärischer Art, vor. Es wurde zwar mit Mehrheit beschlossen und von zahlreichen Staaten ratifiziert, zum Inkrafttreten fehlte im März 2014 jedoch noch der Beitritt von China, Ägypten, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und den USA. Die Zuständigkeit liegt bei der in Wien angesiedelten Preparatory Commission for the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization (CTBTO). Begrenzte Fortschritte im Prozess atomarer Abrüstung waren also v. a. bei der Reduzierung der Zahl von Kernwaffen und von Trägersystemen zu verzeichnen. Die Probleme sind jedoch unübersehbar. So wies das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI im Juni 2014 darauf hin, daß die Zahl der Nuklearwaffen zwar weiterhin im Sinken begriffen ist (insgesamt gibt es derzeit in den USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea etwa 16.300 Atomsprengköpfe), dass die Verringerung aber sehr langsam vor sich geht und von einer gleichzeitigen Modernisierung der Bestände begleitet ist. In keinem Atomwaffenland der Erde gibt es lt. SIPRI zudem Anzeichen, Kernwaffen mittelfristig vollständig abzuschaffen: Diese blieben „fest verankerte Elemente des strategischen Kalküls“. Dies spiegelt sich auch in der hartnäckigen Weigerung einiger Atommächte wider, das Teststoppabkommen zu ratifizieren – Atombombentests werden als notwendig für ihre Modernisierung betrachtet.
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Nukleare Abrüstung
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Für Unmut in der internationalen Gemeinschaft sorgt weiters, dass die fünf dem Atomsperrvertrag (NPT) angehörenden Atomwaffenmächte (SIPRI spricht von „NPT states“) bislang keine Schritte unternommen haben, ihre im NPT enthaltene Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung in die Wege zu leiten. Internationaler Druck wird auch auf Nordkorea, Indien, Pakistan und Israel (laut SIPRI „non-NPT states) ausgeübt, die sich einer internationalen Kontrolle verweigern. Es liegt auf der Hand, dass die schleichende Weiterverbreitung nuklearer Militärtechnologie an Schwellenländer bei gleichzeitiger Stagnation der Abrüstungsverhandlungen sowohl im Rahmen der UNO als auch in jenem der IAEA das internationale Gefahrenpotential erhöht – auch wenn die Öffentlichkeit in Teilen Europas und in Österreich das kaum zur Kenntnis genommen hat. Einige Staaten haben daher vor einigen Jahren den Versuch gestartet, die Blockade in den Abrüstungsverhandlungen zu umgehen und die Debatte in eine Konferenzserie „über die humanitären Auswirkungen von Nuklearwaffen“ zu verlagern. 2013 koordinierte Südafrika – der einzige Staat bisher, der über ein Atomwaffenprogramm verfügte und dieses vernichtete –, eine gemeinsame Erklärung von 80 Staaten, die formulierte: ➔➔ „Es liegt im Interesse des Überlebens der Menschheit, dass Atomwaffen nie wieder verwendet werden, egal unter welchen Umständen. Den katastrophalen Auswirkungen der Detonation einer Atomwaffe – ob durch Zufall, Versehen oder Absicht hervorgerufen –, kann nicht adäquat begegnet werden. Jede Anstrengung muss unternommen werden, um diese Drohung zu beseitigen. Die einzige Garantie dafür, dass Nuklearwaffen nie wieder verwendet werden, ist ihre totale Vernichtung. Allen Staaten ist die Verantwortung auferlegt, den Gebrauch von Nuklearwaffen sowie ihre vertikale und horizontale Weiterverbreitung zu verhindern und atomare Abrüstung unter Einschluss der Ziele des Atomsperrvertrags zu erreichen.“ Bisherige Konferenzen fanden in Oslo/Norwegen (2013), Nayarit/Mexiko (2014) und Anfang Dezember 2014 in Wien statt. Angepeilt ist in letzter Konsequenz ein völkerrechtliches Verbot von Kernwaffen, zu dem ein Mehrheitsbeschluss der UN-Mitgliedsstaaten, zugleich aber enormer politischer Druck auf die ver-
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Krise der Demokratie und des Friedens schiedenen Atomwaffenmächte erforderlich wäre. Umso wichtiger daher, dass die Initiative mittlerweile von den Konferenzsälen der Diplomaten auf nationale Parlamente (z. B. Erklärung des österreichischen Nationalrats vom 10. Juli 2014), Gewerkschaften, Kirchen und NGOs übergesprungen ist. In der erwähnten Resolution nahm auch der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) dazu Stellung: ➔➔ „Massenvernichtungswaffen stellen eine ernsthafte und unmittelbare Gefahr für die Menschheit dar. Der IGB wird gemeinsam mit seinen Verbündeten in der Zivilgesellschaft darauf hinarbeiten, dass alle Länder den Atomwaffensperrvertrag oder Nichtverbreitungsvertrag (NVV) ratifizieren und umsetzen, auch anlässlich der für 2015 geplanten Konferenz zur Überprüfung des NVV. Wir fordern umgehende Verhandlungen über einen Vertrag zum Verbot des Einsatzes, der Herstellung, Lagerung und des Besitzes von Atomwaffen als einen ersten Schritt in Richtung auf ihre vollständige Beseitigung. Wir werden uns zudem für die Regulierung des Handels mit Kleinwaffen einsetzen und deutlich machen, daß Hunderte Milliarden Dollar an Militärausgaben umgelenkt und der Deckung grundlegender Bedürfnisse im Zusammenhang mit nachhaltiger Beschäftigung und Entwicklung dienen müssen.“ Dass auch österreichische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sich gemeinsam mit der Zivilgesellschaft für Frieden und innerhalb dessen für nukleare Abrüstung engagieren, ist im Sinn der Beschlüsse des ÖGB-Bundeskongresses über die Neutralität Österreichs wünschenswert: „Über den Rahmen der EU hinaus setzt sich eine friedensorientierte österreichische Außenpolitik für eine Stärkung der Vereinten Nationen sowie des multilateralen Systems ein. Dazu zählt die Förderung von Abrüstungsprozessen im Rahmen multilateraler Abkommen ebenso wie internationale Vermittlungsdiplomatie in Krisengebieten und die Stärkung des Konferenzortes Wien.“
Regionale Konflikte Die Zahl bewaffneter Konflikte weltweit hat sich in den letzten Jahren kaum verringert – eher im Gegenteil. Manche Kriegsherde sind abgeebbt – an den
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Nukleare Abrüstung Regionale Konflikte
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Folgen werden die Menschen noch lange zu tragen haben (wie in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien) –, andere sind neu entstanden oder scheinen sich erst herauszubilden (siehe die Spannungen im Chinesischen Meer). Die Ursachen dafür sind vielfältig und oft miteinander verwoben: Hegemonialinteressen einzelner Staaten, Grenzkonflikte, ungelöste Kolonialprobleme, die nachhaltige Verweigerung grundlegender Menschenrechte, das Ignorieren sozialer Missstände durch neoliberal agierende Regierungen und internationale Institutionen u. a. Vor allem zwei Tendenzen der letzten Jahre sind besorgniserregend: erstens die abnehmende Bereitschaft zu Verhandlungslösungen und der Trend zu militärischen Aktionen, nicht selten als „humanitäres Eingreifen“ getarnt, und zweitens der Glaubwürdigkeitsverlust säkularer (weltlicher) politischer Konzeptionen (Blockfreiheit, Marxismus) zugunsten von religiös-fundamentalistischen, oft sozialpopulistisch argumentierenden Ideologien. Ein kurzer Überblick, nach Kontinenten geordnet: In Lateinamerika ist die Periode der Militärdiktaturen erfreulicherweise überwunden. An ihre Stelle sind mehr oder weniger stabile demokratische Systeme getreten, die sozialen Probleme sind jedoch weiterhin ungelöst. Als positiv ist die Entwicklung in Brasilien einzuschätzen, wo in den letzten Jahren in Zusammenwirken von Regierung (Präsident „Lula“), Gewerkschaften und Volksorganisationen das Ausmaß der Armut wesentlich reduziert werden konnte (siehe Fallstudie im Anhang). Auch Kolumbien – noch vor kurzem ein Brennpunkt gewerkschaftlicher Kritik wegen gravierender Verletzungen der Menschen- und Gewerkschaftsrechte – gibt Anlass zu Hoffnung: Der rechtsgerichtete, von den Vereinigten Staaten militärisch unterstützte bisherige Staatschef Uribe wurde 2010 abgewählt, sein 2014 wiedergewählter Nachfolger Juan Manuel Santos hat einen Friedensdialog mit der linksgerichteten Guerilla eingeleitet, bei dem es u. a. um die Demobilisierung der rechtsgerichteten Todesschwadronen geht. Gewerkschaften, Bauernorganisationen u. a. zivilgesellschaftliche Organisationen können heute freier mobilisieren als in früheren Jahren. Afrika: Die Hoffnungen des „arabischen Frühlings“, der 2010 mit einem Volksaufstand in Tunesien begann, haben sich großteils nicht erfüllt. Nur in Tunesien hat der Sturz der früheren Einheitspartei zu einem, noch instabilen, demokrati-
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Krise der Demokratie und des Friedens schen System geführt; für Ende 2014 werden die ersten Mehrparteienwahlen vorbereitet. Libyen ist nach dem Sturz von „Revolutionsführer“ Muammar alGaddafi 2011, der letztlich durch eine internationale, humanitär getarnte Militärintervention (Luftangriffe) herbeigeführt wurde, in einem innenpolitischen Chaos versunken. Die Volkserhebung in Ägypten gegen Langzeitdiktator Hosni Mubarak führte zum Wahlsieg der mit der jahrelang verbotenen Muslimbruderschaft verbundenen Freiheits- und Gerechtigkeitspartei; der von ihr nominierte Staatspräsident, Mohammed Mursi, wurde jedoch 2013 durch einen Militärputsch abgesetzt. Weithin aus dem Bewusstsein geraten ist der Konflikt in der ehemals spanischen Kolonie Westsahara, die 1975 völkerrechtswidrig von Marokko besetzt wurde („Grüner Marsch“) und deren Bevölkerung zum großen Teil im Exil in der algerischen Wüste lebt; Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen kommen kaum voran. Afrika südlich der Sahara ist nach den krisenhaften 1990er Jahren durch hohe Wachstumsraten und wirtschaftlichen Aufschwung in vielen Ländern geprägt, die ländliche Armut ist infolge unzureichender Verteilungsmechanismen jedoch nicht gesunken. Südafrika hat sich seit dem Ende der Apartheid 1994 zu einer stabilen Demokratie mit starken antirassistischen Elementen entwickelt, kämpft jedoch mit wirtschafts- und sozialpolitischen Problemen (siehe Fallstudie im Anhang). Mehrere Staaten der Sahel- bzw. Regenwaldzone leiden nach wie vor an inner- oder zwischenstaatlichen militärischen Konflikten, etwa Mali, die Zentralafrikanische Republik oder die Demokratische Republik Kongo; die staatliche Ordnung in Somalia ist weitgehend zerfallen. Nigeria ist mit einer anti-modernistischen Guerillabedrohung konfrontiert. In vielen Staaten ist die Lage der Menschen- und Gewerkschaftsrechte unbefriedigend, u. a. in Swaziland und Zimbabwe. Der Nahe Osten hat sich zur vermutlich ältesten und komplexesten Krisenregion der Weltpolitik entwickelt. Grundlegend ist hier der Konflikt um Palästina, einem ehemals britischen Mandatsgebiet, in dem 1948 der Staat Israel errichtet wurde. Dieses Territorium („Grüne Linie“) wurde im Sechstagekrieg 1967 wesentlich erweitert; der ägyptische Versuch, diese Erweiterung militärisch rückgängig zu machen (sog. Jom-Kippur-Krieg), scheiterte im Jahr 1973. Von der internationalen Gemeinschaft wird Israel in den Grenzen vor dem Sechstagekrieg anerkannt
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Regionale Konflikte
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(„Grenzen von 1967“), das darüber hinaus von Israel kontrollierte Territorium gilt jedoch als „besetztes Gebiet“. Hier – in der Westbank und im Gaza-Streifen – wurden „palästinensische Autonomiegebiete“ errichtet, die dortigen israelischen Siedlungen sind laut Internationalem Gerichtshof völkerrechtlich illegal – ein permanenter Konfliktherd. Aus diesem Grund wird u. a. auch von der Europäischen Union über Wirtschaftssanktionen gegen diese Siedlungen diskutiert. Die internationale Gemeinschaft strebt weiterhin eine Zwei-Staaten-Lösung (Israel und Palästina) an, wenngleich Zweifel an der Realisierbarkeit derselben zunehmen. Aber auch die alte Idee der Arbeiterbewegung – ein friedliches Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem säkularen Staat – scheint derzeit kaum umsetzbar zu sein. Der Weltkongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes trat 2014 für eine Zwei-Staaten-Lösung ein und formulierte wie folgt: xx ein Ende des Baus illegaler israelischer Siedlungen und die Räumung bereits existierender Siedlungen; xx Israels vollständigen Abzug von palästinensischem Land im Einklang mit dem Grenzverlauf vom 4. 6. 1967 sowie die Entfernung der illegalen Trennmauer. Diese Forderungen werden Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und einen umfassenden Frieden fördern und das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und die Gründung eines freien und unabhängigen palästinensischen Staates mit Ostjerusalem als Hauptstadt bestätigen.“ Israel/Palästina ist nicht der einzige Spannungsherd im Nahen Osten. Im Irak wurde 2003 das diktatorische Regime Saddam Husseins durch eine multinationale Invasion unter Führung der USA zwar gestürzt, statt Demokratie und Frieden kam es im Anschluss jedoch zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Landesteilen bzw. Volks- und Religionsgruppen und 2014 zum Vormarsch der fundamentalistischen Terrorbewegung „Islamischer Staat“, die ein (von den meisten islamischen Gelehrten abgelehntes) Kalifat im Irak und Syrien ausrief. In Syrien eskalierten Proteste im Zuge des „arabischen Frühlings“ 2011 zum Bürgerkrieg, der durch das brutale Vorgehen des Regimes sowie die Beteiligung ausländischer Staaten und Organisationen zu einer humanitären Katas trophe entwickelte (laut UNO-Angaben bisher etwa 200.000 Tote und mehr als neun Millionen Flüchtlinge).
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Krise der Demokratie und des Friedens In Südasien sind schlechte (oft sklavereiähnliche) Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit und Missachtung der ILO-Standards nach wie vor weit verbreitet, nicht nur in Pakistan oder Bangladesch, sondern auch in Indien, der „größten Demokratie der Welt“, wo die Situation trotz wirtschaftlichem Aufschwung und der Modernisierung von Industrie- und Dienstleistungssektoren noch weit von sozialstaatlichen Verhältnissen entfernt ist. In Myanmar (Burma) hat die langsame politische Öffnung seit 2011 den politischen Parteien, aber auch den Gewerkschaften eine freiere Betätigung ermöglicht; die politischen Gefangenen wurden freigelassen, die Medienzensur gelockert. Die langjährig unter Hausarrest gestellte Bürgerrechtskämpferin Aung San Suu Kyi wurde ins Parlament gewählt. Allerdings schreibt die neue Verfassung noch immer Privilegien des Militärs fest, z. B. ist ein Viertel der Mandate für dieses reserviert. Wenig Aussichten bestehen für eine Lösung der Krise in Afghanistan, das in weiten Landesteilen von Warlords bzw. der ursprünglich von USA und Saudi-Arabien finanzierten Terrorbewegung der Taliban kontrolliert wird; das parallel zum schrittweisen Abzug der US-Truppen bis 2016 aufgebaute politische System funktioniert kaum. Ostasien schließlich ist durch die zunehmende Hegemonie Chinas bestimmt, wo die diktatorische Herrschaft einer Einheitspartei als vereinbar mit den Auswüchsen einer kapitalistischen Marktwirtschaft angesehen wird. Mit den Herausforderungen, die das für die chinesische wie die internationale Gewerkschaftsbewegung mit sich bringt, befasst sich eine weitere Fallstudie im Anhang. Auf der koreanischen Halbinsel ist das Verhältnis zwischen der Republik Korea im Süden und der Volksrepublik Korea im Norden weiterhin angespannt, das unberechenbare Regime in Pöngjang ist zwar international weitgehend isoliert, verfügt aber über Atomwaffen, die keiner unabhängigen Kontrolle unterliegen. Letztendlich: Auch Europa ist nicht frei von gravierenden Konflikten, mehr noch: Der Krieg ist in die Nachbarschaft der Europäischen Union zurückgekehrt. Zwei historische Fehler machen sich jetzt negativ bemerkbar: 1974 wurde die türkische Militärinvasion Zyperns zwar international verurteilt, gegen den NATO-Staat Türkei wurden jedoch keine Sanktionen beschlossen; seit 1983 ist eine völkerrechtlich illegale „Republik Nordzypern“ Realität. Zweitens: Massive Luftangriffe der NATO ohne UN-Mandat gegen die (Reste der) Bundesrepublik Jugoslawien ermöglichten 1999 die Bildung einer von Rechtsnationalisten ge-
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Regionale Konflikte
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tragenen Verwaltung im Kosovo, die sich 2008 zu einem unabhängigen Staat erklärte. 107 der 193 UN-Mitgliedsstaaten erkannten diesen Schritt an, darunter die USA und die meisten Mitgliedsstaaten der EU. Beide Vorgänge werden heute von der Russischen Föderation als Präzedenzfälle für die Eingliederung der völkerrechtlich zur Ukraine gehörigen Halbinsel Krim angeführt. Als Folgewirkung verstärkten sich separatistische Tendenzen in der von Kiew benachteiligten Ostregion der Ukraine, was zu einem bewaffneten Aufstand und in Folge zum Bürgerkrieg führte; die Beteiligung russischer wie US-amerikanischer Militärberater daran wird behauptet. Die resultierende Verschlechterung des Verhältnisses der EU zu Russland (gegenseitige Sanktionen) und ein möglicherweise wiederaufflammender Kalter Krieg stärken zugleich die globale Führungsrolle der Vereinigten Staaten (monopolare Weltordnung) und schränken die Entwicklung einer souveränen und autonomen europäischen Außen-und Sicherheitspolitik ein. Schon bisher hat sich die Europäische Union nicht als Friedensprojekt in benachbarten Regionen erwiesen, und es steht zu befürchten, dass dies in Zukunft noch weniger der Fall sein wird. Angesichts dieses trotz einiger Lichtblicke nicht sehr erfreulichen Überblicks über Brennpunkte der internationalen Außenpolitik wird deutlich, wie sehr ein kleines Land wie Österreich auf eine friedensorientierte Außenpolitik angewiesen ist, die sich – wie der ÖGB immer gefordert hat – „auf Basis der Grundsätze einer aktiven Neutralitätspolitik innerhalb wie außerhalb der Europäischen Union für Dialog, Abrüstung, Frieden und zivile Krisenprävention engagiert.“ Dies schließt eine Stärkung der Vereinten Nationen, des multilateralen Systems insgesamt sowie des Völkerrechts ein. Gleichzeitig aber ist es erforderlich, dass sich Österreich an Militarisierungstendenzen in der EU nicht (mehr) beteiligt (Ausstieg aus den EU-Battle-Groups!), ein Bekenntnis zu einer aktiven Konversionspolitik ablegt sowie die Revision der EU-Sicherheitsstrategie und der sicherheits- und rüstungspolitischen Teile des EU-Vertrags von Lissabon eintritt. Im Sinn der Neutralitätspolitik wäre auch die Nicht-Beteiligung an EU-Sanktionen, die nicht auf Basis eines Mandats des UN-Sicherheitsrates erfolgen, zu prüfen. All das wird in Brüssel nicht leicht durchzusetzen sein – ein verstärktes außenpolitisches Interesse und Engagement der Bevölkerung und nicht zuletzt von Gewerkschafter/inne/n ist daher gefordert!
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Die Entwicklungskrise Neben der zunehmenden Friedensgefährdung sind die stagnierende soziale Entwicklung sowie die anhaltende Verarmung großer Teile der Welt eine weitere Herausforderung, vor der die Gewerkschaftsbewegung steht. Der IGB charakterisiert sie folgendermaßen: ➔➔ „Die ‚Strukturanpassungspolitik‘ der 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts hat die Entwicklung in den ärmeren Ländern gelähmt, und die heutige ‚Sparpolitik‘ hat der Beschäftigung, dem Wachstum und der Inklusion in zu vielen Industrieländern geschadet. Die globale Wirtschaft ist 2014 nicht sicherer als vor sieben Jahren. Wir befinden uns jetzt in einer Krise der Arbeitslosigkeit und Ungleichheit, die sowohl unsere Volkswirtschaften als auch unsere Gesellschaften lähmt. Die Wirtschaft und die sie unterstützenden Politiker haben die große Rezession dazu benutzt, um das Machtgleichgewicht auf Kosten einfacher Menschen nachdrücklich in Richtung auf Großkonzerne zu verlagern. Sie haben die von den Gewerkschaften und anderen progressiven Kräften in Jahrzehnten erzielten Fortschritte untergraben.“ Das Absurde an der gegenwärtigen Situation ist, dass genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stünden, um Probleme wie soziale Verelendung, bildungsmäßige Benachteiligung oder unzureichende Gesundheitsversorgung zu lösen. Allein die Kosten für die Erhaltung des nuklearen Arsenals belaufen sich heute auf etwa das Doppelte der gesamten Entwicklungshilfe an Afrika. Im Wesentlichen sind wir also auch auf internationaler Ebene mit einem Verteilungsproblem konfrontiert.
Wachsende Ungleichheit Von Verteilungsgerechtigkeit aber sind wir weiter entfernt denn je. Weltweit nimmt die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen stark zu – eine typische Folge der herrschenden neoliberalen Wirtschaftsideologie. Während immer noch mehr als 1,2 Milliarden Menschen weltweit in extremer Armut leben (mit einem Verdienst von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag), ist das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte vor allem den Wohlhabenden zu Gute
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Wachsende Ungleichheit
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gekommen. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel hat das reichste Prozent der Bevölkerung seinen Anteil am Gesamteinkommen seit 1980 mehr als verdoppelt – auf rund 20 Prozent im Jahr 2012. Die reichsten 0,1 Prozent („Superreiche“) steigerten sich im selben Zeitraum von zwei auf acht Prozent des Gesamteinkommens der USA. Diese Angaben sind dem Bericht „Growing Unequal“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von Mai 2014 entnommen – einer nicht gerade klassenkämpferischen Organisation. Ihren Recherchen zufolge ist die Einkommensungleichheit in den letzten 30 Jahren in 17 der 24 OECDLänder, für die Angaben vorliegen, größer geworden, darunter auch in Europa. Eine Ursache dafür sieht die OECD in der Steuerpolitik: „Durch die Steuerreformen der letzten 30 Jahre wurden in fast allen OECD-Ländern die Steuersätze für Spitzeneinkommen gesenkt. Im Schnitt wurden die Spitzeneinkommen im Jahr 1981 mit 66 % besteuert, im Jahr 2013 nur mehr mit 43 %. Auch Steuern für Kapitaleinkommen sind gesunken, so wurden die Steuern auf Dividendeneinkommen von 75 auf 42 Prozent gesenkt.“ (zit. nach Die Presse, 2. Mai 2014). Auch für Österreich registriert die OECD vor allem für die Periode Mitte der 1990er bis Mitte der 2000er Jahre eine Zunahme der Einkommensungleichheit. Heimische Studien – wie die von der AK in Auftrag gegebene der Wirtschaftsuniversität Wien von Anfang 2014 – kommen zwar zum Schluss, dass Unterschiede im Bereich des Erwerbseinkommens durch funktionierende sozialstaatliche Strukturen hier zum Teil ausgeglichen werden, konstatierten aber eine wachsende und starke Ungleichheit im Bereich der Vermögen: „Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu.“ Eine Priorität der internationalen Wirtschaftspolitik aus gewerkschaftlicher Perspektive ist damit klar: ➔➔ „Finanzielle Undurchsichtigkeit, Betrug und Steuerhinterziehung müssen entschieden und wirksam bekämpft werden. Das bedeutet die Bekämpfung von Geldwäscherei, Steueroptimierung und Steueroasen, Praktiken, die einer gerechten Entwicklung und der Verminderung von Ungleichheiten im Wege stehen. Schwarzarbeit und Korruption sind eine starke Belastung für die öffentlichen Finanzen und müssen bekämpft werden. Schwarzarbeit
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4
Die Entwicklungskrise geht auf Kosten des öffentlichen Wohls, nutzt verzweifelte Beschäftigte aus und sorgt für unlauteren Wettbewerb. ... Die Finanzwelt muss im Dienste der Wirtschaft stehen, um kommenden Generationen eine Zukunft zu garantieren.“ (IGB). Im übrigen hat nicht nur die Steuer- bzw. Wirtschaftspolitik Einfluss auf die Einkommensverteilung. Auch die zunehmende Missachtung von arbeits- und sozialrechtlichen Errungenschaften durch Regierungen (auch in Europa: siehe Fallstudie zu Griechenland im Anhang), willkürliche Vorgaben zur „Budgetsanierung“, die verstärkten Ausbeutung von Millionen von Wanderarbeitskräften sowie eine Zunahme von atypischen und nicht abgesicherten Beschäftigungsformen spielen eine wichtige Rolle. Immer öfter werden die Organisierungs- und Verhandlungsmöglichkeiten von Gewerkschaften umgangen oder gänzlich ignoriert. Auch das Engagement für die Aufrechterhaltung erkämpfter Sozialstandards sowie für die Beachtung der ILO-Konventionen leistet daher einen wichtigen entwicklungspolitischen Beitrag.
Freihandel als Mechanismus zur Senkung von Sozialstandards Es ist ein Irrtum zu glauben, die sog. Globalisierung käme ohne Spielregeln aus. Das Funktionieren des globalen Marktes baut vielmehr auf politischen Vereinbarungen auf, die von den Staaten im Rahmen von internationalen Spezialorganisationen beschlossen worden sind (siehe dazu auch das Skriptum „Gewerkschaften, Globalisierung und der Nord/Süd-Konflikt“). Eine dieser Vereinbarungen – getroffen in der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation/WTO) in Genf – proklamiert den Freihandel zum obersten Prinzip jeder Handelspolitik. Die Mitglieder der WTO verpflichten sich dadurch zur Senkung bzw. Entfernung von Zollschranken und anderen Handelshemmnissen für den Import bzw. Export von Waren. Ein analoges Regime soll auch für Dienstleistungen eingeführt werden bzw. ist zum Teil bereits vorhanden. Befürworter der Freihandelspolitik begründen sie in erster Linie mit dem zu erwartenden höheren Handelsaufkommen und somit höherem Wachstum. KritikerInnen hingegen widersprechen aus folgenden Gründen:
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Wachsende Ungleichheit Freihandel
4.1 4.2
xx dass es zu einem höheren Wirtschaftswachstum kommt, ist nicht gesichert. Außerdem kann auf Dauer nicht von steigender Nachfrage und dadurch höherem Außenhandelsaufkommen ausgegangen werden; xx selbst wenn es zu höherem Wirtschaftswachstum käme, ist dadurch noch keine gerechte Verteilung des zusätzlich erwirtschafteten Einkommens garantiert; xx ferner profitieren nicht unbedingt alle Handelspartner von einer Intensivierung des zwischenstaatlichen Handels; vielmehr kann es auch zu einem Verdrängungswettbewerb kommen; wenn keine Korrektivmaßnahmen ergriffen werden (dürfen), können steigende Importe einen industriell schwächeren Staat sogar schädigen; xx um eigene Exportprodukte günstiger anbieten zu können und dadurch allfällige Nachteile im Außenhandel zu kompensieren, nehmen viele Regierungen ihre Zuflucht zu einer Senkung von Sozial- und Umweltstandards. Vor allem in ärmeren Staaten wirkt sich Freihandel daher unmittelbar negativ auf die soziale Lage der ArbeitnehmerInnen bzw. der ärmeren Bevölkerungsgruppen aus. Aus diesen Erwägungen erklärt sich der hartnäckige Widerstand vieler Entwicklungsländer gegen die Verschärfung der Freihandelspolitik, wie sie im Rahmen der derzeit laufenden „Doha-Verhandlungsrunde“ der Welthandelsorganisation (WTO) geplant ist. Aber auch die Außenhandelspolitik der Europäischen Union gegenüber den sog. AKP-Staaten (den Entwicklungsländern in Afrika, der Karibik und im Pazifik), die sog. Wirtschaftspartnerschaften, sind unbeliebt; sie sehen freien Handel für beide Seiten vor: Industriebetriebe in der EU würden somit zollfrei nach Afrika liefern können und dort den Aufbau einer eigenständigen Industrie behindern; im Gegenzug dürfte Afrika zwar auch zollfrei in die EU exportieren, doch verfügen die meisten Länder des Kontinents mangels Industrialisierung kaum über verarbeitete Produkte, die in der EU nachgefragt werden und auch konkurrenzfähig sind. Tatsächlich hat sich bisher gezeigt, dass Freihandelsabkommen die volkswirtschaftliche Lage der armen Entwicklungsländer nicht verbessern. Diese sind Rohstoffexporteure geblieben, was negative Auswirkungen auf die Umwelt und
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Die Entwicklungskrise die Entwicklung in Afrika, Lateinamerika und anderen Teilen der Welt nach sich zieht. Ihre Regierungen haben heute sogar weniger Spielraum für den Aufbau einer höheren nationalen Wertschöpfung als noch vor einer Generation. Im Gegenteil ist es zur Verbreitung ausbeuterischer Lieferketten gekommen, in denen die Arbeitnehmerrechte in eklatanter Weise verletzt werden oder gar nicht existent sind. Hinzu kommt noch ein Faktor: Zusätzlich zu Freihandelsabkommen werden häufig auch bilaterale Investitionsschutzabkommen geschlossen. Mittlerweile soll es weltweit bereits mehr als 4.000 davon geben (Österreich hat 62 unterschrieben). In diesen Verträgen gesteht das Gastland weitreichende Investorenrechte (Inländergleichbehandlung, faire und gerechte Behandlung, prompte Entschädigungszahlung bei Enteignung bzw. Maßnahmen mit „enteignungsähnlicher Wirkung“, freier Kapitalverkehr) zu, um zusätzliche Investitionen anzulocken. Bei tatsächlicher oder angeblicher Verletzung der Abkommen werden in der Regel nicht die nationalen Gerichte, sondern private Schiedsstellen angerufen, die meist zu Gunsten der privaten Investoren und zu Lasten der beklagten Staaten urteilen. Häufig wurden Regierungen, die im Interesse ihrer Bevölkerung eingriffen, solchen Verfahren unterzogen und zu hohen Strafzahlungen verurteilt. Ein solches Beispiel ist Südafrika, das von italienischen Investoren aufgrund seiner Black Empowerment-Politik (bei gleicher Qualifikation Bevorzugung schwarzer Arbeitskräfte) wegen Gewinnausfalls geklagt wurde und einen ungerechtfertigten Kompromiss eingehen musste; als Reaktion darauf hat Südafrika mittlerweile alle seine bilateralen Investitionsschutzabkommen gekündigt. Nicht nur zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ergeben sich solche Probleme, sondern auch zwischen Industrieländern. Dies zeigt sich sehr deutlich am derzeit in Verhandlung stehenden Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Durch diese sog. Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) soll – den Befürwortern zufolge – das Wirtschaftswachstum in beiden Vertragspartnern um rund 0,5 Prozent steigen, was im gesamten OECD-Raum (800 Mio. Menschen) bis zu zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze zur Folge haben soll, etwa 180.000 davon in der Bundesrepublik Deutschland.
24
Freihandel
4.2
Kritiker hingegen halten diese Angaben für weit überhöht und befürchten zudem eine Liberalisierung von Lebensmittelgesetzen sowie Gesundheits- und Umweltstandards in der Europäischen Union, weil diese im Augenblick noch höher sind als jene in den USA (Verbot genetisch modifizierter Lebensmittel z.B.). Umgekehrt dürfte es beim Finanzsektor sein – hier befürchtet man in den Vereinigten Staaten eine Deregulierung, weil die Banken in der EU mehr Eigenständigkeit besitzen als in den USA, wo der Staat als Reaktion auf die Finanzkrise einige neue Regeln eingeführt hat. Die Überschwemmung der Märkte mit Billigprodukten würde zudem Sozialstandards auf beiden Seiten untergraben. Ein „Kompromiss“, in dem beide Seiten ihre jeweils höheren Anforderungen senken, kann nicht im Interesse der Arbeitnehmerschaft bzw. der Konsumentinnen und Konsumenten sein. Der IGB plädiert daher grundsätzlich für ein neues, faires Handelssystem, das auf internationaler Ebene ausverhandelt werden muss: ➔➔ „Wir brauchen Kooperation und nicht Konkurrenz, durch sowohl bilaterale als auch multilaterale Abkommen, die auf der uneingeschränkten Achtung der Arbeitnehmer- und anderer Menschenrechte basieren. Dabei ist es wichtig, die Auswirkungen von Handelsabkommen auf die Beschäftigung und die Umwelt zu berücksichtigen, die industrielle Entwicklung zu fördern und Garantien für den sozialen Dialog zu geben, um die Beteiligung der Sozialpartner zu gewährleisten. ... Fairer Handel, die Entwicklung der einzelnen Länder, Demokratie, Zusammenarbeit und Solidarität sowie die Achtung der Arbeitnehmer- und der Menschenrechte müssen die Grundlage eines neuen internationalen Handelssystems bilden, das die zahlreichen bilateralen, biregionalen und multilateralen Abkommen ersetzt.“
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Die Umweltkrise Friede und soziale Entwicklung sind mit ökologischer Nachhaltigkeit aufs engste verbunden. Denn die rein profitorientierte Verschwendungsökonomie, die sich im Zeitalter der neoliberalen Hegemonie noch gesteigert hat, birgt in sich nicht nur Kriegsgefahr, sondern gefährdet auch wertvolle Umweltressourcen und führt zu Klimaveränderungen mit unabsehbaren wirtschaftlichen und politischen Folgen. Die Gewerkschaften haben die Brisanz dieses Themas erkannt: „Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze“, sagte der IGB 2014, und 2012 formulierte er in einem Statement zur Deklaration der „Rio+20Konferenz“: „Ohne Schutz der Umwelt keine soziale Gerechtigkeit.“
Ursachen der Umweltkrise Zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zählt die Verwirklichung ökologischer Nachhaltigkeit. Die zunehmende Umweltverschmutzung, einschließlich der Emissionen von Treibhausgasen, kann von unserem Planeten kaum noch bewältigt werden. Der Klimawandel manifestiert sich weltweit in bedrohlichen Prozessen, viele von ihnen sind vermutlich nicht mehr reversibel. Die Ursache dieser Entwicklung liegt, physikalisch gesehen, in der zunehmenden Treibhausgaskonzentration der Atmosphäre. Diese begann schon mit der Industrialisierung, nahm im 20. Jahrhundert aber rapide zu. Seit den 1970er Jahren haben die durch menschliches Handeln freigesetzten Treibhausgase (vor allem Kohlendioxid/CO2) um mehr als 70 Prozent zugenommen, und die Emissionen steigen weiterhin an. Trotz zahlreicher umweltpolitischer Konferenzen, die ihren Anfang beim sogenannten Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro mit dem „Kyoto-Protokoll“ fanden, haben sich die Staaten bis heute zu keinen verbindlichen Zielen für die Reduktion ihrer Treibhausgasemission durchringen können. Laut einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind acht Sektoren die wesentlichen Verursacher von Umweltverschmutzung: Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energiesektor, ressourcenintensive Industrieproduktion, Abfallverwertung, Bau- und Transportwesen. Aus gewerkschaftlicher Sicht heißt das auch: Die Hälfte aller Erwerbstätigen ist weltweit in diesen Sektoren beschäftigt. Die Statistiken lassen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Wohlstandsakkumulation und Umweltzerstörung erkennen. Mehr als
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Ursachen der Umweltkrise
5.1
die Hälfte der globalen CO2-Emmissionen wurden demnach 2010 von nur drei Staaten bzw. Staatengruppen verursacht: von der Volksrepublik China (8,3 Mrd Tonnen bzw. 26,43% des weltweiten Ausstoßes), den Vereinigten Staaten (5,4 Mrd. bzw. 14,14%) und der Europäischen Union (3,7 Mrd. bzw. 13,3 %). Stellt man jedoch die sehr unterschiedlichen Bevölkerungszahlen in Rechnung (China: 1,4 Mrd., USA: 314 Mio., EU: 505 Mio.) und errechnet den CO2-Ausstoß pro Kopf, dann zeigt sich deutlich, dass die Ressourcenverschwendung in den Vereinigten Staaten mit 17,6 Tonnen am größten ist, knapp gefolgt von Australien, wo der Einfluss der Kohlekonzerne die Entwicklung alternativer Energien bremst, mit 17,4 t. Auch die Europäische Union liegt mit 8,6 Tonnen relativ hoch. Natürlich gibt es, pro Kopf gesehen, noch größere Umweltsünder, z. B. die Vereinigten Arabischen Emirate mit 21 Tonnen (Spitzenreiter: Qatar mit 38,7 t!). Allerdings handelt es sich hier um bevölkerungsschwache Staaten, sodass der Ausstoß absolut gesehen niedrig ist (0,2 %). In dieselbe Richtung weist eine andere Maßeinheit, die nicht nur die Treibhausgasemissionen, sondern den Verbrauch von Umweltressourcen generell misst: der „ökologische Fußabdruck“. Darunter versteht man jene Fläche, die rechnerisch erforderlich ist, um den Lebensstil und Lebensstandard eines Menschen unter heutigen Produktionsbedingungen dauerhaft zu ermöglichen. Dies schließt Flächen mit ein, die zur Produktion von Kleidung und Nahrung oder zur Bereitstellung von Energie benötigt werden, aber z. B. auch zur Entsorgung von Müll. Einer Aufstellung von 2012 zufolge ist der ökologische Fußabdruck am höchsten in Nordamerika (USA, Kanada und Mexiko) mit einem ökologischen Fuß abdruck von 6,2 Hektar pro Person und Jahr, in weitem Abstand gefolgt von der Europäischen Union mit 4,7 bzw. dem restlichen Europa mit 4,0. Am wenigsten Ressourcen verbrauchen Asien-Pazifik mit 1,6 und Afrika mit 1,4. Der durchschnittliche ökologische Fußabdruck für die gesamte Welt liegt bei 2,7. Damit ist klar: Dasselbe Wirtschaftssystem, das zu wachsender sozialer Ungleichheit sowohl innerhalb von Staaten als auch zwischen Staaten führt, ist auch für den Raubbau an natürlichen Ressourcen verantwortlich. Und besonders die Entwicklungsländer, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind von seinen Auswirkungen am härtesten betroffen.
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Die Umweltkrise Auswirkungen des Klimawandels Der ausbeuterische Umgang mit natürlichen Ressourcen führt zur zunehmenden Verknappung von frischem Wasser und fruchtbarem Land. Folgen des ausbeuterischen Umgangs mit den begrenzten Ressourcen der Erde sind unberechenbare Wetterverhältnisse und extreme Wetterlagen wie Hitze, Stürme, Überflutungen und Dürren. Diese Katastrophen führen zu Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten, wovon besonders die Menschen in Küsten- und Überschwemmungsgebieten betroffen sind. Schon jetzt sind durch den höheren Meeresspiegel kleine Inselstaaten im Pazifik akut vom Untergang bedroht. Langfristig wird sich der Temperaturanstieg bei einer globalen Erwärmung um ca. 4 Grad Celsius bis zur Jahrhundertwende katastrophal auswirken: xx Die Ernteerträge werden in vielen Gebieten zurückgehen. Die Erträge einiger afrikanischer Länder im Regenfeldbau könnten bis 2020 um 50 Prozent abnehmen, 75 bis 259 Millionen Menschen mehr würden unter akutem Wassermangel leiden – so die Berechnungen des Klimschutzrates der Vereinten Nationen. xx Die steigenden Temperaturen führen zum Abschmelzen der Gletscher: Deren Verschwinden und die Verkleinerung der Schneedecke in den Anden und im Himalaya gefährden die weltweiten Trinkwasservorräte und die Erzeugung von Wasserkraft. xx Die Ausdehnung der Ozeane durch das Schmelzen der Gletscher hat im 20. Jahrhundert schon zum Ansteigen des Meeresspiegels um 20 cm geführt: Sturmfluten werden dadurch verschlimmert, und es kommt zum Eindringen von Salzwasser in Trinkwasserreservoirs. Der UN-Weltklimarat warnt davor, dass der Meeresspiegel im ungünstigsten Fall bis zum Ende des Jahrhunderts um 82 cm ansteigen könnte. Nach einer Schätzung der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen würden bei einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter weltweit 2,2 Millionen km2 Landfläche verloren gehen, ca. 145 Millionen Menschen wären davon betroffen. Einige Inseln und manche Küstenregionen könnten langsam im Meer versinken. xx Mehr als eine Milliarde Menschen sind in Sektoren beschäftigt, die durch Übernutzung der Ressourcen und durch den Klimawandel bedroht sind.
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Auswirkungen des Klimawandels Klimawandel und Gewerkschaften
5.2 5.3
Rund 1,4 Millionen Menschen davon müssen mit weniger als 1,25 US-Dollar täglich auskommen. Die Armen im ländlichen Raum leben häufig in prekären Siedlungen und arbeiten in informellen Unternehmen, die durch Stürme, Überflutungen und Erdrutsche gefährdet sind. Durch einen Wegfall dieser prekären Arbeitsplätze kommt es zu einer zunehmenden Landflucht und damit zu einem Zulauf zu städtischen Arbeitsplätzen. xx Naturkatastrophen sind ein wesentlicher Auslöser für Migration: Laut dem Flüchtlingshilfswerk der UNO, UNHCR, wurden im Jahr 2002 etwa 24 Millionen Menschen weltweit aufgrund von Überschwemmungen, Hungersnöten und anderen Umweltveränderungen zu Flüchtlingen. Besonders die Entwicklungsländer, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, sind von seinen Auswirkungen am härtesten betroffen. Einige der größten Städte der Welt liegen in Küsten- und Überschwemmungsgebieten. In den Entwicklungsländern leben 14% der Weltbevölkerung und 21% der StadtbewohnerInnen in exponierten, niedrig gelegenen Küstenregionen. Die ärmeren Bevölkerungsgruppen in den Entwicklungsländern sind besonders gefährdet, weil ihre Anpassungsfähigkeit am geringsten ist. Am 4. August 2014 wurden erstmals Klimaflüchtlinge anerkannt, nämlich von Neuseeland, das im Antrag einer Familie des pazifischen Inselstaates Tuvalu den Klimawandel als Gefahr berücksichtigte. Die Familie erhielt das Bleiberecht für Neuseeland.
Klimawandel und Gewerkschaften Für die internationale Gewerkschaftsbewegung ist der Klimaschutz ein zentrales, mit anderen gesellschaftspolitischen Forderungen eng verzahntes Anliegen: Der Kampf gegen den Klimawandel geht einher mit der Forderung nach Erhalt und Schaffung nachhaltiger und menschenwürdiger Arbeitsplätze. Soziale Gerechtigkeit, menschenwürdige Arbeit und Gleichstellung der Geschlechter stehen in direktem Zusammenhang mit ökologischer Nachhaltigkeit , die wichtige Entwicklungsmöglichkeiten zu besseren und nachhaltigen Arbeitsplätzen, sozialer Inklusion und verringerter Armut eröffnet.
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Die Umweltkrise IGB-Resolution, 2014: ➔➔ „Der IGB unterstreicht die moralische Notwendigkeit, sowohl einen bewohnbaren Planeten zu erhalten als auch von den Arbeitsplätzen zu profitieren, die der Klimaschutz mit sich bringen kann. Wir fordern die Verpflichtung zu einem ‚gerechten Übergang‘ auf der Grundlage des sozialen Dialogs von der betrieblichen bis hin zur nationalen Ebene, bei dem grüne Fertigkeiten und Sozialschutz garantiert sind. Zu diesem Zweck werden wir uns um eine IAONorm als Leitfaden für die Maßnahmen der Regierungen und Arbeitgeber bemühen. Ferner werden wir auf die Gewährleistung hinarbeiten, dass unser eigenes Arbeitnehmerkapital in zunehmendem Maße in die Realwirtschaft investiert wird, einschließlich sowohl in den industriellen Wandel als auch in neue grüne Arbeitsplätze. Sämtliche Jobs müssen sauberer werden, wenn wir unsere Wirtschaft umweltfreundlicher gestalten wollen, und das Kernstück dieser Transformation muss menschenwürdige Arbeit sein. Während sich die Welt auf Dezember 2015 als neue Frist für ein globales Klimaabkommen vorbereitet, wird der IGB seine Mitglieder und ihre Gemeinwesen mobilisieren, um ein ehrgeiziges und verbindliches Abkommen zu fordern. Die Regierungen für den Klimaschutz zur Verantwortung zu ziehen, ist von höchster Priorität, ebenso wie die Gewährleistung, dass wir die Grenzen unseres Planeten nicht überschreiten und dass die entscheidenden Themen Ernährungs- und Energiesicherheit sowie Wasser aufgegriffen werden.“ Die internationale Gewerkschaftsbewegung fordert also die Schaffung menschenwürdiger und grüner (nachhaltiger) Arbeitsplätze. Der Kampf gegen die Umweltzerstörung und den Klimawandel muss unter umfassender Berücksichtigung sozialer Gerechtigkeit, menschenwürdiger Arbeit und Gleichstellung vorangebracht werden. Im Rahmen einer Strategie muss für einen gerechten Übergang vom derzeitigen Produktions- und Verbrauchsmuster zu einer nachhaltigen und klimaverträglichen Alternative mit geringen CO2-Emissionen gesorgt werden. Die globale Krise darf weder von Regierungen noch von Firmen oder Gewerkschaften als Vorwand für die Verzögerung eines globalen Klimaschutzabkommens benützt werden. Ein Abkommen, das diesen Namen verdient, bringt große
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Klimawandel und Gewerkschaften
5.3
Chancen für eine emissionsarme, arbeitsintensive Wirtschaft mit sich und kann damit auch den Anstieg menschenwürdiger Arbeitsplätze bewirken. Eine Voraussetzung dafür ist, dass Gewerkschaften auf betrieblicher, sektoraler, nationaler und internationaler Ebene umfassend an der Planung und Umsetzung sinnvoller und praktikabler Übergangsmaßnahmen zur Schaffung „grüner“ Arbeitsplätze eingebunden werden, die einen Beitrag zum Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise leisten, die biologische Vielfalt erhalten und das Ökosystem schonen. Die Rolle der Gewerkschaften ist es, die Verbindungen zwischen nachhaltiger Entwicklung, natürlichen Ressourcen, Klimawandel und der Arbeitswelt deutlicher hervorzuheben. Sie beteiligen sich am politischen und sozialen Dialog und tragen zu Lösungen für den Übergang zu einem CO2-armen, grünen und menschenwürdigen Arbeitsleben bei. Sensibilisierungs-, Forschungs- und Bildungsarbeit zu Umweltfragen und Klimawandel sollen verstärkt werden, um die Arbeit der Gewerkschaften auf internationaler, nationaler und betrieblicher Ebene auszuweiten. Im Rahmen der Initiative für eine grüne Wirtschaft trägt die Zusammenarbeit mit UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) und der IAO (Internationale Arbeitsorganisation) zur nachhaltigen Gestaltung der Arbeitsplätze sowie zur Entwicklung weitere Initiativen zu diesem Zweck bei. Die Gewerkschaften ihrerseits beteiligen sich an der Klimaschutzaktion „Unions4Climate“ und mobilisieren ihre Mitglieder, um den Regierungen ehrgeizige Zusagen für den Klimaschutz abzuringen. Diese Aktion kann hier unterstützt werden: http:// www.ituc-csi.org/unions4climate-action-campaign.
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6
Anhang China (unter Verwendung eines längeren Textes von Wolfgang Greif, GPA-djp) China ist innerhalb von knapp drei Jahrzehnten von einem vom Weltmarkt isolierten Land zu einer der drei wichtigsten Handelsnationen der Welt aufgestiegen. Sein Import ist vor allem durch die gewaltige Nachfrage nach Rohstoffen geprägt, während der Export zu knapp 90 % aus Industriegütern besteht; 1981 hatte deren Anteil an den chinesischen Ausfuhren erst 53 % betragen. Chinas Wirtschaftswachstum – 7,5 % im zweiten Quartal 2014 – ist eine wichtige Stütze der Weltkonjunktur. Kein Wunder, dass China auch in der neuen Staatenkonstellation BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) eine tonangebende Rolle spielt; die 2014 beschlossene „Neue Entwicklungsbank“ der BRICS-Länder, die als Gegengewicht oder zumindest Korrektiv zum Internationalen Währungsfonds geplant ist, wird z. B. in Shanghai angesiedelt sein. Die soziale Situation hat sich in den letzten Jahren durch armutsreduzierende Maßnahmen zwar verbessert, doch sind die Lebensumstände vor allem der Millionen Wanderarbeiter/innen sowie der ethnischen Minderheiten nach wie vor schlecht. Verstärkt engagiert sich China auch auf der weltpolitischen Bühne; die auf die Kolonialzeit zurückgehenden Konflikte mit Taiwan und Japan im Südchinesischen Meer sind potentiell Kriegsgefahr. Die Gründe für das „chinesische Wirtschaftswunder“ sind unterschiedlicher Natur. Wirtschaftspolitisch wurde der Außenhandel weitgehend liberalisiert, der Zufluss ausländischer Direktinvestitionen wird gefördert, der private Sektor der Volkswirtschaft wächst. Teil der exportorientierten Entwicklungsstrategie sind u. a. auch niedrige Löhne – Chinas Aufstieg zu einer wichtigen Exportnation ist auch auf Kostenvorteile bei der Produktion arbeitsintensiver Industrieprodukte zurückzuführen. In Kontrast mit diesem immer stärker „kapitalistischen“ Charakter der Wirtschaftspolitik steht allerdings das autoritäre politische System: Einparteienherrschaft, starke Rolle von Geheimdiensten und Armee, Zensur von Medien, Presse und Kunst sowie nicht zuletzt auch drastische Eingriffe in das Privatleben der Bevölkerung (Einkindpolitik, soll nun aber gelockert werden). Die geringe Transparenz des Systems hat zu enormer Korruption geführt, gegen welche die derzeitige Staatsführung ankämpfen will – mit welchem Erfolg, bleibt abzuwarten.
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China
6.1
In dieser komplexen Situation kommt der chinesischen Gewerkschaftsbewegung eine – zumindest potentiell – große Bedeutung zu. Als Interessensvertretung der Werktätigen wäre sie dazu berufen, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Als politisches Sprachrohr eines großen Teils der Bevölkerung könnte sie ihr Gewicht zugunsten von mehr Demokratie und Meinungsfreiheit in die Waagschale werfen. Insgesamt zählt der All-Chinesische Gewerkschaftsbund (ACFTU) heute nach Eigenangaben 210 Mio. Mitglieder. Das entspricht bei einer Anzahl von ca. 800 Mio. ArbeitnehmerInnen in China einer Organisationsrate von etwa 25 Prozent. Von einer völligen gewerkschaftlichen Durchorganisierung kann selbst in den Staatsbetrieben keine Rede sein. Vielmehr sieht sich der ACFTU hinsichtlich der gewerkschaftlichen Organisierung zunehmend mit einer geteilten Wirtschaft konfrontiert: Gewerkschaften sind de facto nur in den großen Staatsbetrieben und in der staatlichen Verwaltung präsent. Klein- und Mittelbetriebe hingegen und v.a. der überwiegende Teil des enorm wachsenden Privatsektors sind praktisch gewerkschaftsfreie Zonen, obwohl es laut Gesetz in jedem Unternehmen Gewerkschaften geben müsste. Diese Klausel wird jedoch nicht umgesetzt, auch nicht in den Zulieferbetrieben für multinationale Konzerne, die in chinesischer bzw. süd-ost-asiatischer Eigentümerschaft stehen und im niedrigsten Lohnsegment angesiedelt sind und in denen bedenklichste Arbeitsbedingungen herrschen (Aufsehen erregte z. B. 2010 die Welle an Selbstmorden in den Zulieferfirmen für den weltweit größten Elektronikhersteller „Foxconn“, der u. a. auch für Apple, Hewlett-Packard, Dell, Sony oder Nokia produziert). Darüber hinaus nimmt sich die Gewerkschaft bislang erst in Ansätzen der Masse der auf Saison arbeitenden und sozial äußerst prekär abgesicherten WanderarbeitnehmerInnen an, die mit nahezu 200 Mio. einen hohen Anteil der Beschäftigten stellen. Um seine Mitgliederbasis zu erweitern und auch im Privatsektor bzw. unter ArbeitsmigrantInnen organisieren zu können, wird die bisherige Rolle des ACFTU freilich nicht ausreichen. Seitens der Führung der Kommunistischen Partei wird vom Gewerkschaftsbund erwartet, angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich für soziale Stabilität zu sorgen bzw. mitzuhelfen, dass die „gesellschaftliche Harmonie“ im Lande nicht aus dem Ruder gerät. Der ACFTU nimmt sich in diesem Sinn sozialpolitischer Brennpunkte an, beteiligt sich z. B.
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Anhang an den aktuellen Anstrengungen zur Einführung einer flächendeckenden Krankenversicherung. Für die Beschäftigten in den Unternehmen sind die Gewerkschaften in erster Linie als Veranstalter „sozialer Events“ wie etwa Betriebsfeiern und Berufswettbewerben sowie als Anbieter sozialer Wohlfahrtseinrichtungen spürbar. In der Provinz übernimmt die gewerkschaftliche Organisation darüber hinaus auch soziale Basisdienste für Gewerkschaftsmitglieder und ihre Familien wie etwa Arbeitsvermittlung oder die Führung von dezentralen Anlaufstellen zur sozialen Hilfe. Im für uns klassischen Kerngeschäft der Gewerkschaften hingegen, der Lohnfindung inklusive der Austragung und Organisation von Arbeitskonflikten, spielen die Gewerkschaften in China nur eine marginale Rolle: Der von Provinz zu Provinz und teilweise von Kommune zu Kommune variierende amtlich festgesetzte Mindestlohn wird in erster Linie von der Politik auf der jeweiligen Ebene festgelegt. Eine unmittelbare und systematische Beteiligung der Gewerkschaften gibt es dabei bislang de facto kaum. Nur am Rande agieren sie als Interessenvertretung, etwa bei der Verteilung zusätzlicher Leistungen, die über den Lohn hinaus an Gewerkschaftsmitglieder aus den Gewerkschaftsbeiträgen ausgezahlt werden. Hier nehmen die Arbeiterkomitees – so im Unternehmen vorhanden – eine zunehmend bedeutendere Rolle ein, insbesondere was den Umfang der Zusatzleistungen betrifft (Prämien, zusätzliche Versicherungsleistungen, Verpflegung im Betrieb, Firmenbusse). Mit neuen Arbeitsgesetzen 2008 wurden die gewerkschaftlichen Mitspracherechte zumindest laut Gesetz erweitert und gewerkschaftliche Mitglieder in Arbeiterkomitees unter Kündigungsschutz gestellt. Zudem wurde dabei auch die Möglichkeit geschaffen, kollektive Arbeitsverträge rechtlich durchzusetzen. Zweifellos wurde den Gewerkschaften hier eine Basis für eine robustere und pragmatischere Politik inklusive von Instrumenten kollektiver Interessenvertretung in die Hand gegeben. Eine solche neue Rolle hin zu einer echten interessenpolitischen Identität würde aber auch die Bereitschaft zum Austragen von Konflikten beinhalten – etwas, wovor private und staatliche Arbeitgeber, die Kommunistische Partei und wohl auch die chinesische Gewerkschaft selbst gehörig zurückschrecken. Hier wird das Zulassen gewerkschaftlicher Freiheiten schnell als ‚polnische Krankheit’ betrachtet: Wer Gewerkschaften echte Inter-
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China Südafrika
6.1 6.2
essenpolitik betreiben lasse, lege den Grundstein für politische Opposition – siehe Solidarnosc in Polen. Und im Betrieb führe das Ansprechen und gegebenenfalls auch Austragen von Interessen – so die allgemeine Sichtweise der Offiziellen – zwangsläufig zu Streik. Und das ist wohl unvereinbar mit der herrschenden Identität des ACFTU, „in Harmonie als Partner von Wirtschaft und Partei“ zu agieren; für das Auslandskapital dzt. jedenfalls keine schlechte Standortbedingung. Gelingt den Gewerkschaften in China kein „interessenpolitischer Relaunch“, dann wird die Anzahl autonomer Arbeitskonflikte nicht nur in Zulieferunternehmen südostasiatischer, europäischer und US-amerikanischer Multis weiter zunehmen. Proteste gegen Nichtbezahlung von Löhnen, Korruption und Bankrotte im Zuge von Privatisierungsprozessen u.a.m. werden perspektivisch nicht mehr wie bisher durch Intervention staatlicher Autoritäten und zunehmend auch durch Austragung von Gerichtsfällen zu schlichten sein. Als abschreckendes Beispiel kann die Entwicklung der Gewerkschaften in den Ländern Mittel- und Osteuropas seit Beginn der 1990er-Jahre gelten, wo die gewerkschaftliche Repräsentanz im Zuge der enorm dynamischen wirtschaftlichen Transformation in hohem Maß auf die Staatswirtschaft und den öffentlichen Sektor reduziert wurde. Sollte sich Ähnliches in der chinesischen Gesellschaft wiederholen, wäre wohl auch insgesamt die gesamtgesellschaftliche und politische Bedeutung der Gewerkschaften in Frage gestellt. Bleibt zu hoffen, dass der chinesische Weg der Transformation nicht zu einer solchen Marginalisierung führt. Denn nur so scheint die Perspektive einer sozialen Marktwirtschaft in der potentiellen Weltwirtschaftsmacht Nr 1. eine reale Zukunftsperspektive.
Südafrika Von Walter Sauer Ziemlich genau vor zwanzig Jahren, 1994, verfolgte die ganze Welt mit Spannung die Ereignisse in Südafrika: Würde es gelingen, einigermaßen faire und freie Wahlen durchzuführen? Würde es gelingen, der politischen Gewalttätigkeit ein Ende zu bereiten?
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Anhang Es gelang – nicht zuletzt aufgrund des staatsmännischen Verhandlungsgeschicks von Nelson Mandela. Der legendäre Bürgerrechtskämpfer, 1964 wegen „Hochverrats“ zu lebenslanger Inhaftierung verurteilt, war im Jänner 1990 aus dem Gefängnis entlassen worden. Als Vorsitzender der ältesten Befreiungsbewegung Afrikas, des African National Congress, konnte er Inhalt und Tempo der Verhandlungen mit der Apartheid-Regierung und ihren Unterstützern bestimmen. Mit dem Systemwechsel in Südafrika verschwand in Afrika die letzte staatliche Bastion rassischer Diskriminierung von Afrikanerinnen und Afrikanern durch Menschen europäischer Herkunft. „Apartheid“ bedeutete nicht nur „Fremdenfeindlichkeit“, sondern die systematische Benachteiligung von Menschen nicht-europäischer Herkunft per Gesetz: Vier Fünftel der Staatsfläche Südafrikas waren z. B. für eine Minderheit an weißen Grundbesitzern reserviert, Millionen von schwarzen Bäuerinnen und Bauern, die auf „weißem“ Grund lebten, wurden in meist unfruchtbare Reservate (sog. Homelands) zwangsumgesiedelt. Millionen von Wanderarbeitskräften wurden v. a. für den Bergbau aus den Homelands rekrutiert; wer sich für welche Zeitspanne und wofür im „weißen“ Gebiet aufhalten durfte, war durch sog. Passgesetze geregelt. Weiterführende und berufliche Bildung war Schwarzen verboten. Politische Parteien und Bewegungen, die dieses System der „Apartheid“ ablehnten, wurden unterdrückt und waren zwischen 1960 und 1990 überhaupt verboten, Gewerkschaften wurden in ihrer Aktivität stark behindert. Medien und Kultureinrichtungen standen unter scharfer Zensur, wer Widerstand leistete, wurde inhaftiert, gefoltert und vielfach ermordet bzw. ins Exil getrieben. Durch die Entwicklung des Bergbaus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und die frühe Industrialisierung Südafrikas (schon in den 1920er Jahren) kam es jedoch bald zur Entstehung einer Arbeiterbewegung. Intellektuelle und traditionelle Würdenträger schlossen sich 1912 weiters zum Afrikanischen Nationalkongress zusammen, einer Bürgerrechtsbewegung, die heute die führende Regierungspartei Südafrikas bildet. Aus ursprünglich rein gewaltlosen Methoden nach dem Vorbild Gandhis entwickelten sich radikale Proteste. Der junge Advokat Nelson Mandela wurde in den 1950er Jahren zu einer zentralen Persönlichkeit dieses Widerstands. Die 1955 beschlossene „Südafrikanische Freiheitscharta“ trägt seine Handschrift: „Südafrika gehört allen, die darin leben, Weißen und Schwarzen gemeinsam“.
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Nelson Mandela (1918–2013)
1960 ermordete die Polizei in der Ghettosiedlung Sharpeville südlich von Johannesburg 69 Demonstranten. Mandela, der im Untergrund den Widerstand organisierte, wurde 1962 verhaftet und zwei Jahre später zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst ab Mitte der 70er Jahre konnten Massenaufstände, Streiks und internationale Sanktionen das seit 1948 herrschende Regime entscheidend schwächen. Anfang 1990 wurde der ANC legalisiert, am 11. Februar öffneten sich die Gefängnistore für Nelson Mandela. Nach mühevollen Verhandlungen fanden im April 1994 die ersten freien Parlamentswahlen statt. Am 10. Mai 1994 wurde Mandela als erster Staatspräsident des demokratischen Südafrika angelobt. Dass Südafrika über Nacht nicht zum Paradies geworden ist, bedarf keiner Erwähnung. Die Bilanz der ersten zwanzig Jahre Freiheit kann sich dennoch sehen lassen: xx So gelang es, die Aktivitäten der Todesschwadronen zu stoppen, rechtsstaatliche Verhältnisse im Justizwesen zu schaffen und die Todesstrafe zu verbieten. xx Aufgelöst wurden die wirtschaftlich unterentwickelten Reservate („Homelands“) und damit die 1913 gesetzlich festgelegte Teilung in „weißes“ und „schwarzes“ Land. xx Eine neue Verfassung garantiert volle demokratische und wesentliche soziale (!) Grundrechte. xx Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit durch eine aktive Vergangenheitsbewältigung wurde in Angriff genommen, wichtiges Element dabei war die Wahrheits- und Versöhnungskommission. xx Ein breit angelegter Prozess der Landreform wurde gestartet; bis heute wurden etwa drei Millionen Hektar Land umverteilt, was etwa einem Drittel der Fläche Österreichs entspricht. xx Bisher vernachlässigte Regionen wurden mit Elektrizität, sauberem Trinkwasser und anderen kommunalen Dienstleistungen versorgt – eine fühlbare Verbesserung des täglichen Lebens von Millionen. Hunderte neue Gesundheitsstationen wurden errichtet, 4,5 Millionen Gratismahlzeiten für Schulkinder werden täglich ausgegeben, eine Million Haushalte wurde gratis mit Sonnenkollektoren ausgestattet.
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Anhang xx Die Zahl der Analphabeten sank zwischen 1995 und 2013 von 33,6 auf 19,1 Prozent. xx Ein neues rechtliches Rahmenwerk für die industriellen Beziehungen wurde geschaffen und Grundlagen einer Sozialpartnerschaft gelegt. Natürlich sind viele Probleme aus der Apartheidzeit ungelöst. Auch haben sich zahlreiche neue Herausforderungen vor Gesellschaft und Regierung Südafrikas aufgetürmt. Vor allem die Auswirkungen der Globalisierung, die das Land nach dem Ende seiner Isolierung und der erforderlichen Wiederintegration des Landes in die internationale Wirtschaft voll getroffen hat, bereiten Probleme. Milliarden Dollar wurden – offenbar aus politischen Gründen – aus dem „neuen“ Südafrika abgezogen, neue Investoren waren nur schwer zu gewinnen, und die Handelsverträge mit der Europäischen Gemeinschaft fielen für die Exportwirtschaft enttäuschend aus. Daher konnte die massive Arbeitslosigkeit nicht verringert werden. Das Ausmaß der verheerenden HIV/Aids-Epidemie kam erst in den letzten Jahren in seiner vollen Tragweite zum Bewusstsein und bedeutet eine schwere Belastung der staatlichen Gesundheitsausgaben. Gerade aus gewerkschaftlicher Sicht lässt sich also die Bilanz wie folgt ziehen. Demokratiepolitisch hat sich die Situation entscheidend verbessert: Nicht nur sind der von vielen prophezeite Bürgerkrieg oder die propagandistisch befürchtete Vertreibung aller Weißen nach jahrzehntelanger Diskriminierung der schwarzen Mehrheit ausgeblieben. Mit den ersten freien Wahlen 1994 und der Bildung einer Regierung unter Mandela wurde vielmehr ein Prozess zur Errichtung einer „nicht-rassistischen“ und „nicht-sexistischen“ Demokratie in Gang gesetzt, der in vielem Vorbildcharakter (auch für Europa) besitzt. Andererseits aber wurde auch deutlich, daß das Gelingen dieses Prozesses mit einer gerechteren Wohlstandsverteilung zusammenhängt – und in dieser Hinsicht fällt die Bilanz weniger eindeutig aus. Zwar ist die Landreform ebenso Verfassungsauftrag wie die bevorzugte Behandlung der früher aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen oder die gesetzliche Umschichtung von privatem Aktienbesitz in schwarze Hände. All dies hat dazu geführt, dass die früher bestehende Gleichung von „weiß = reich“ und „schwarz = arm“ im heutigen Südafrika nicht mehr gilt. Der Weg zu nachhaltigen Lösungen aber – eine
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Südafrika Brasilien
6.2 6.3
gerechtere Wohlstandsverteilung, aktive Arbeitsmarktpolitik, bessere schulische und berufliche Bildung – ist noch weit, und die Zahl der arbeitslosen und unzufriedenen Jugendlichen nimmt weiter zu. Um das bisherige Erfolgsmodell Südafrika trotzdem auf Kurs zu halten, ist daher auch internationale Unterstützung und Solidarität auch von gewerkschaftlicher Seite wichtig.
Brasilien Von Nadja Pospisil Brasilien ist für GewerkschafterInnen nicht erst seit der Wahl João Antonio Felicios zum Präsidenten des Internationalen Gewerkschaftsbundes interessant. Denn Brasilien ist ein Land mit bewegter politischer Geschichte, voller Widersprüche und beachtenswerter Sozial- und Investitionsprogramme. War Brasilien lange geprägt von seiner kolonialen Vergangenheit, der großen Abhängigkeit von einzelnen Exportgütern und enormer Inflation, entwickelte sich das Land zu einer echten Wirtschaftsmacht und ist mittlerweile zur siebtgrößten Volkswirtschaft weltweit herangewachsen. Doch viel interessanter als der isolierte Blick auf die Entwicklung des BIPs ist die Frage, wie sich dieser Wohlstand in der Gesellschaft verteilt. Brasilien bildet als ein Land mit starker Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ein gutes Beispiel, um zu veranschaulichen, welch positiven Effekt staatliche Investitions- und Sozialprogramme, nicht nur auf das Wirtschaftswachstum, sondern auch auf die Lebenssituation der Bevölkerung haben. Einen entscheidenden Wendepunkt stellte die Wahl Luiz Inácio da Silva, besser bekannt als „Lula“, zum Präsidenten Brasiliens dar. Während seiner Amtszeit wurden einige erfolgreiche Programme lanciert, die seine Nachfolgerin und Parteikollegin Dilma Rousseff nun weiterführt. Ein Machtwechsel mit Folgen Im Jahr 2003 fand der historische Machtwechsel und die politische Wende mit einem klaren Sieg der Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) bei den Präsidentschaftswahlen statt. Es war nicht nur der Sieg einer Partei, die während der harten Kämpfe gegen die Militärdiktatur entstanden war, sondern umso mehr auch ein symbolischer Sieg eines einfachen Arbeiters, der aus dem Nord-
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Anhang osten und damit einer der ärmsten Region des Landes kam und sich als Vorsitzender einer Metallgewerkschaft politisch hervorgetan hatte. Der neue Präsident repräsentierte eine politische Strömung, die sich nach ihrer Gründung zwar gemäßigt hatte, mit ihrem links-sozialdemokratischen Kurs aber immer noch politische Prioritäten setzte, die ins Herz der Bedürfnisse und Nöte der Bevölkerung trafen. Neben wirtschaftlicher Stabilisierung stand vor allem die Bekämpfung von Armut und Hunger durch soziale Reformen im Fokus der Politik Lulas. Kampf gegen Hunger und Armut Eines der umfassendsten Programme stellt das „Fome Zero“ (Null Hunger) dar. Hierunter werden mehrere Maßnahmen subsumiert, die auf verschiedene Aspekte der Beseitigung des Hungers der ärmsten Bevölkerungsschichten gerichtet sind. Die Maßnahmen reichen von Volksküchen, dem Bau von Zisternen, Schulspeisungen, der Unterstützung kleiner landwirtschaftlicher Familienbetriebe, die noch immer für einen großen Teil der Bevölkerung die Hauptnahrungsquelle darstellen, der Errichtung preiswerter Restaurants, bis hin zum erleichterten Zugang zu Mikrokrediten. Allein durch dieses Programm konnte laut dem UN World Food Programme (WFP) die Unterernährung in den ärmsten Regionen des Landes von rund 18% auf etwa 6% gesenkt werden, die Kindersterblichkeit wurde beinahe halbiert. Einen zentralen Bestandteil des Fome Zero-Programms stellt das 2003 geschaffene „Bolsa Familia“ (Familienstipendium) dar. Aufbauend auf dem bereits seit 2001 existierenden „Bolsa Escola“ (Schulstipendium) wurde eine neue Transferleistung geschaffen, die direkt den Ärmsten zugute kommt. Gekoppelt an Bedingungen wie den Schulbesuch der Kinder und regelmäßige Impfungen werden hierbei nach dem Einkommen gestaffelte Geldbeträge, vornehmlich an die Mutter des Haushaltes, ausgezahlt, über die frei verfügt werden kann. Das Bolsa Familia ist mittlerweile das größte Geldtransferprogramm in der so genannten „developing world“ und hat eine enorme Reichweite: Laut Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erhalten rund 12 Mio. Familien, ca. 48 Mio. Menschen und damit rund ein Viertel der Bevölkerung diese Unterstützung, die dennoch nur rund 1% des brasilianischen BIPs und ca. 2,5% der Regierungsausgaben ausmacht.
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Luiz Inácio da Silva („Lula“), geb. 1945, Präsident 2003-2011
Zusätzlich hat Brasilien im Jahr 2005 das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle BürgerInnen sowie AusländerInnen, die mehr als fünf Jahre im Land leben, in der Verfassung verankert. Die Einführung dieses Beschlusses sollte schrittweise erfolgen und sich zunächst auf die arme Bevölkerung konzentrieren. In diesem Gesamtzusammenhang ist das Bolsa Familia ein erster Schritt eines größeren Projektes, dessen Umsetzung jedoch bislang nicht gelungen ist. Wachstumsimpulse für die Wirtschaft Ein weiteres Element des brasilianischen Reformmodells stellen Konjunkturprogramme dar. 2007 wurde das erste „PAC“ - Programa de Aceleração do Crescimento (Programm zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums) implementiert. Es sollte vor allem durch öffentliche Investitionen das Wirtschaftswachstum stärken, aber auch private Investitionen ankurbeln. Da die Umsetzung der Vorhaben eher schleppend voranging, wurde das Programm unter Präsidentin Dilma Rousseff verlängert und als „PAC2“ kräftig auf ein Gesamtvolumen von knapp einer Billion Reais (ca. 380 Mrd. €) erhöht. Das Konjunkturprogramm 2011-2014 setzte seinen Schwerpunkt v.a. in den Bereichen Infrastruktur (Stadterneuerung, Wasserversorgung, Transportwesen), Energie, aber auch sozialen Wohnbau, der ebenfalls im Rahmen dieses Programms stattfindet. Eine Perspektive für Brasilien? Vielleicht vollbringen sozialpolitische Programme wie das Bolsa Familia keinen grundlegenden Wandel in der sozialen Verfasstheit der brasilianischen Gesellschaft. Dennoch haben derartige Maßnahmen das Potential, nachhaltige Veränderungen der sozialen Perspektive von Menschen zu bewirken. Seit 2003 wurden 20 Mio. Arbeitsplätze im formellen Sektor geschaffen, 36 Mio. Menschen leiden nicht mehr unter extremer Armut und 42 Mio. Menschen sind in die Mittelschicht aufgestiegen. Das bedeute kein Ende der Einkommensungleichheit und prekärer Lebenssituationen, aber es kann als Beginn gesehen werden, die ärmeren Schichten in die Gesellschaft zu integrieren und letztlich Einkommens- und Vermögensungleichheit den Kampf anzusagen. Angesichts jüngster Entwicklungen rund um die Fußball-WM und der Diskussion um die Verwendung öffentlicher Gelder geriet die brasilianische Führung jedoch in die Kritik. Es wird sich
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Anhang zeigen, welche Prioritätensetzung die Politik der nächsten Jahre bringt, und es kann aus gewerkschaftlicher Sicht nur die Hoffnung ausgesprochen werden, dass nicht die Aufrechterhaltung von Wachstumszahlen über die soziale Entwicklungsperspektive der Bevölkerung gestellt wird.
Griechenland Von Kathrin Niedermoser Die griechische Krise und ihre Bearbeitung stehen stellvertretend für die Krisenpolitik (in) der Europäischen Union. Was als „Rettung“ Griechenlands dargestellt wird, ist nichts anderes als die Fortsetzung neoliberalen Politik, die auf Kosten der Arbeits- und Lebensbedingungen breiter Bevölkerungsschichten gemacht wird. So hat die Politik der „Troika“ aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds den ökonomischen Niedergang beschleunigt und das Land in eine tiefe soziale und politische Krise gestürzt. Ausgehend von der Wirtschafts- und Finanzkrise stand Griechenland 2010 kurz vor dem Staatsbankrott. Um eine weitere Destabilisierung der Eurozone zu verhindern, wurde das Land unter Aufsicht der Troika gestellt, welche ein „Hilfspaket“ von 110 Mrd. Euro schnürte. Die Auszahlung dieses Geldes war jedoch an Sparmaßnahmen und sogenannte Strukturreformen geknüpft. Griechenland gilt als Labor für die europaweit forcierte Austeritätspolitik (Sparpolitik) als Ausweg aus der Krise. Als Kernstücke der Austeritätspolitik in Griechenland gelten massive Einsparungen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich sowie eine umfassende Privatisierungswelle. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter wurde
Athen, Juni 2013
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Griechenland
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erhöht, die Pensionen um bis zu 30% gesenkt, staatliche Leistungen für soziale Schwache wurden gestrichen. Das Gesundheitsbudget wurde um 60% gekürzt, öffentliche Krankenhäuser und Gesundheitszentren geschlossen, die Selbstbehalte für PatientInnen erhöht, Medikamente gibt es nur mehr gegen Barzahlung. Die Löhne- und Gehälter der Beschäftigten im Gesundheitsbereich wurden massiv gekürzt; zudem sollen tausende Arbeitsplätze abgebaut werden. Privatisierungen und Angriffe auf ArbeitnehmerInnenrechte Als weiteres Herzstück der griechischen Sparpolitik gilt die Privatisierung aller (teil-) staatlichen Infrastruktureinrichtungen und Unternehmen. Neben Häfen und Flughäfen und staatlichen Industriebetrieben sollen auch die öffentlichen Energieversorger, die Post, die Bahn und die kommunale Wasserversorgung in Athen und Thessaloniki privatisiert werden. Bisher scheiterten die angedachten Privatisierungen jedoch am Widerstand der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft, wie etwa der Verkauf der Wasserversorgungsgesellschaft EYATH in Thessaloniki. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Ökonomie durch eine „Abwertung nach Innen“ stellt den zweiten zentralen Mechanismus der Krisenbearbeitung in Griechenland dar. Die Kernelemente dieser Strategie sind die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und die Senkung des Lohnniveaus. Der gesetzliche Mindestlohn wurde um 22% auf 548 Euro netto (für ArbeitnehmerInnen unter 25 Jahre auf 490 Euro netto) gekürzt. Das Branchenkollektivver-
Aufruf zum Generalstreik, 2013
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Anhang tragssystem wurde per Gesetze ausgehebelt. Laut OECD haben die Eingriffe in das griechische Lohnfindungssystem im Jahr 2011 zu einem nominalen Rückgang der Löhne und Gehälter um 25% geführt. Auch die arbeitsrechtliche Situation von ArbeitnehmerInnen wurde massiv verschlechtert. Entlassungen wurden vereinfacht, der Kündigungsschutz aufgeweicht und die Arbeitszeit vollkommen flexibilisiert. Die hohe Arbeitslosigkeit und die drastischen Kürzungen im Bereich der sozialen Sicherheit haben zur massiven Prekarisierung und zur Erosion der Arbeitsverhältnisse geführt. Die Angriffe auf die Rechte von ArbeitnehmerInnen wurden durch die Einschränkung von Gewerkschaftsrechten begleitet. Die Arbeitsgerichtsbarkeit und die betriebliche Interessensvertretung wurden eingeschränkt. Zudem wurden mehrere Streikbewegungen im Frühjahr 2013 mittels Notverordnung aus der Militärdiktatur mit Polizeigewalt aufgelöst. Fatales Rezept: In der Krise sparen Für das Jahr 2014 wird Griechenland erstmals eine positive Wachstumsrate prognostiziert. Ein Ende der Krise ist jedoch nach wie vor nicht in Sicht. Angetrieben von einem Teufelskreis aus Sparprogrammen, Rezession und sinkenden Staatseinnahmen wird es Jahre dauern, bis sich die griechische Ökonomie wieder erholt. Das BIP ist seit Ausbruch der Krise um 25% geschrumpft. Der Produktionsindex ist seit 2009 um 22,9% eingebrochen. Besonders betroffen waren die Industrieproduktion, das Baugewerbe und der Handel. In den Jahren 2008–2012 sind die Unternehmensinsolvenzen jeweils um ca. 30% angestiegen.
Parlament
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Die skizzierte Politik hat Millionen von Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut getrieben. 2013 lag die Arbeitslosigkeit in Griechenland bei 27%, bei den Unter25jährigen waren es 57%. In den Jahren 2008–2013 hat sich die Anzahl der Arbeitslosen mehr als verdreifacht. Durch die drastische Senkung des Arbeitslosengeldes von 461 Euro auf 322 Euro wurden Millionen von GriechInnen in die Armut getrieben. Eurostat spricht von über 3 Millionen Menschen in Griechenland, die von Armut und/oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Alleine in Athen leben über 30.000 Menschen auf der Straße, die Schlangen vor den Suppenküchen werden immer länger, tausende Haushalte leben ohne Strom und im Winter ohne Heizung. Laut Berechnungen des griechischen Gewerkschaftsdachverbandes GSEE würde es selbst bei durchschnittlichen Wachstumsraten von 3,5% über 20 Jahre dauern, um 1 Million Arbeitslose abzubauen. Die nun prognostizierten bescheidenen Wachstumsraten können dieser sozialen Katastrophe jedoch nicht entgegenwirken. Vielmehr wird am Beispiel von Griechenland immer deutlicher, dass der eingeschlagene Weg der Krisenbearbeitung in Form der Austeritäts- und Wettbewerbspolitik einen massiven Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen breiter Bevölkerungsschichten bedeutet.
Qatar Von Agnieszka Bros Vergabe der Fußball-WM an Qatar 2010 wurde die Fußballweltmeisterschaft an eines der reichsten Länder dieser Welt vergeben, und zwar an Qatar. Sehr bald stellte sich heraus, dass die Vergabe nicht rechtmäßig erfolgt war. Korruptionsvorwürfe rund um FIFA-Funktionäre wurden immer lauter. Noch nie zuvor wurde die Fußballweltmeisterschaft in einem Wüstenstaat ausgetragen. Weder Klimabedingungen noch Infrastruktur eignen sich für einen solchen Event. Diese Tatsachen wurden zum Zeitpunkt der Vergabe nicht berücksichtigt. Die Folgen dieser fatalen Entscheidung treten jetzt immer mehr in Erscheinung. Die Bilanz: mehr als 1.200 Tote – und das in einem Land, das imstande ist, solchen Missständen vorzubeugen.
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Anhang Situation der MigrantInnen in Qatar Über eine Million MigrantInnen reisten nach Qatar in der Hoffnung, sich und ihren Familien ein besseres Leben bieten zu können. Arbeitsplätze gibt es aufgrund der bevorstehenden Fußballweltmeisterschaft genug. Die Arbeits- und Lebensbedingungen sind allerdings das Problem und alles andere als akzeptabel. Jeder Gastarbeiter, der nach Qatar kommt, muss zum Zeitpunkt der Einreise seinem Arbeitgeber den Pass abgeben. Über Ein- und Ausreise, Unterbringung, Entlohnung entscheidet immer der Arbeitgeber. Dieses System, das die Arbeitnehmer jeglicher Rechte beraubt, ist unter dem Begriff Kafala, einer Art Leibeigenschaft, bekannt. MigrantInnen, vor allem aus Nepal und Indien, sind zum Opfer moderner Sklaverei geworden. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) wurde auf diese alarmierende Situation rechtzeitig aufmerksam und rief eine Kampagne mit dem Titel „Re-run the vote“ (Neu abstimmen, keine Fußball-WM ohne Arbeitnehmerrechte: http:// www.rerunthevote.org) ins Leben. Auf den ersten Blick erscheint der Name der Kampagne „Re-run the vote“ ein wenig irreführend. Primäres Ziel dieser Kampagne ist die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der MigrantInnen. Falls das nicht gelingen sollte, wird man sich für eine Verlegung der WM einsetzen. Untersuchungen des IGB haben ergeben, dass bisher mehr als 1.200 Menschen im Zuge der Bauarbeiten ums Leben gekommen sind. Jeden Tag sterben
Unterkunft der Bauarbeiter, vorwiegend aus Nepal und Indien, 2013
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Qatar
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mindestens zwei Menschen. Grund für die zahlreichen Todesfälle sind unter anderem Unfälle, die sich im Zuge der Bauarbeiten ereignen, denn Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz existieren nicht. Zudem sind Arbeitsinspektorate mit der Gesamtsituation überfordert. Zu den häufigsten Todesursachen zählen allerdings Dehydrierung und Herzinfarkte. Die Menschen arbeiten unter Extrembedingungen bei Temperaturen von über 50 Grad. Die Wohnlager, in denen die Arbeiter untergebracht sind, haben eine wesentlich niedrigere Temperatur, wodurch viele im Schlaf an einem Herzinfarkt sterben. Die Zahl der Suizide steigt stetig an. Die menschenunwürdigen Lebensbedingungen sowie die Schuldgefühle, die eigene Familie im Stich gelassen zu haben, treiben die Menschen in diese ausweglose Situation. Falls nicht sehr bald etwas unternommen wird, werden bis zur Austragung der Fußballweltmeisterschaft mehr als 2.000 Menschen ums Leben kommen. Druck auf internationaler Ebene Die Kampagne des IGB sorgte weltweit für Aufmerksamkeit und setzte die FIFA immer weiter unter Druck. FIFA-Präsident Sepp Blatter traf mit dem damaligen IGB-Präsidenten Michael Sommer sowie dem Präsidenten des Deutschen Fußballbundes zusammen. Gemeinsam fordern sie eine Verbesserung der Situation in Qatar, die Einhaltung von Mindeststandards sowie Umsetzung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation. Als Reaktion auf den zunehmenden internationalen Druck fasste die FIFA den Entschluss, die Weltmeisterschaft aufgrund der unzumutbaren Hitze auf die
Welttag für menschenwürdige Arbeit, 2013
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Anhang Wintermonate zu verlegen. Der erste Schritt in die richtige Richtung, könnte man meinen. Die Verlegung auf eine kühlere Jahreszeit kommt allerdings nur den Fußballspielern zugute, nicht jedoch den Arbeitern, die unabhängig von dieser Entscheidung die Stadien bis zu diesem Zeitpunkt fertigstellen müssen, und das mit dem Risiko, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sowohl das Europäische Parlament als auch die Internationale Arbeitsorganisation haben sich dem Thema Qatar angenommen und fordern gemeinsam mit dem IGB die Anerkennung grundlegender Normen. Die Regierung in Qatar soll das Kafala-System beenden und Gesetze verabschieden, die ein Recht auf Vereinigungsfreiheit einräumen, internationalen Normen entsprechen, Mindestlöhne garantieren und jeglicher Art von Diskriminierung vorbeugen. Der ÖGB unterstützt alle genannten Forderungen. Der schwedische Gewerkschaftsbund LO-Sweden hat gemeinsam mit dem Schwedischen Olympischen Komitee eine Vereinbarung zum Schutz von ArbeitnehmerInnenrechten abgeschlossen, worin die Einhaltung von Mindeststandards bei Sportveranstaltungen garantiert wird. Diese Vereinbarung hat auch für Österreich eine Vorbildfunktion. Während eines Treffens des ÖGB mit Sportminister Klug wurde über die Einführung eines solchen Kodexes für Sportveranstaltungen in Österreich diskutiert.
Baustelle in Qatar, 2013
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Qatar
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Aktionen und Unterstützung auf nationaler Ebene Um die Kampagne bestmöglich zu unterstützen, hat der ÖGB in Kooperation mit der Vereinigung der Fußballer (VdF), der Fachgewerkschaft GdG-KMSfB, dem ÖGB-Projekt „Weltumspannend Arbeiten (WUSA)“ und der Südwind-Agentur den „Welttag für menschenwürdige Arbeit“ 2013 zum Anlass genommen, die Kampagne des IGB zu unterstützen. Abdeslam Ouaddou (ein marokkanischer Fußballer, der in Qatar gespielt hat), Ramesh Badal (Anwalt der nepalesischen Gewerkschaft GEFONT) und Tim Noonan (Leiter der Qatar-Kampagne des IGB) waren am 7. Oktober 2013 in Wien zu Gast und berichteten über die prekäre Situation in Qatar. Die Berichterstattung zu dem Thema war enorm. Die Kampagne wurde in den Gewerkschaftsschulen, bei Betriebsräten sowie in diversen Ausschüssen vorgestellt. Aufgrund des großen Engagements des ÖGB wurde Marcus Strohmeier, Leiter des Internationalen Referates des ÖGB, gemeinsam mit Gernot Zirngast, Vorsitzender des VdF, im Dezember 2013 zu einer „geheimen Mission“ nach Qatar eingeladen. Die Teilnahme an der Mission war auf einige wenige AktivistInnen beschränkt. Unangekündigte Stadionbesuche, ein Austausch mit den Arbeitern und Treffen mit Regierungsvertretern fanden im Zuge der Mission statt. Zum ersten Mal konnte sich GewerkschafterInnen aus Österreich selbst ein Bild von den Zuständen in Qatar machen. Die Eindrücke, die sie dort gewonnen haben, waren erschütternd.
Aktion für faire Arbeitsbedingungen vor der katarischen Botschaft, 2014
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Anhang Am 28. 4. 2014, dem internationalen Gedenktag für verunfallte und verunglückte ArbeitnehmerInnen, hat der ÖGB gemeinsam mit der Fachgewerkschaft GBH vor der Botschaft von Qatar in Wien eine große Aktion mit dem Titel „Fairplay auch für ArbeitnehmerInnen“ durchgeführt. Das Motto „Fairplay“ soll nicht nur auf dem Spielfeld eine Bedeutung haben, sondern ebenfalls im Hinblick auf alle, die solche Veranstaltungen erst möglich machen. 1.200 Helme wurden vor der Botschaft platziert – für jeden verunglückten Arbeiter ein Helm. Im Anschluss folgte die Übergabe einer Petition an den qatarischen Botschafter. Eine bedeutende Aktion mit einem starken Signal als Ausdruck internationaler Anteilnahme und Solidarität. Der ÖGB wird die Kampagne so lange unterstützen, bis die Rechte der ArbeitnehmerInnen an nationale Standards angepasst und umgesetzt werden.
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Zu den AutorInnen Maria Rathgeb, Politologin, arbeitet im Internationalen Referat des ÖGB. Walter Sauer, Historiker, war bis Oktober 2012 Internationaler Sekretär des ÖGB und vertritt den ÖGB bei der Internationalen Arbeitskonferenz der ILO in Genf.
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