SR-01_Grundbegriffe_des_Sozialrechts

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Sozialrecht SR 1

Ursula Filipič/Karl Wörister

Grundbegriffe des Sozialrechts

INHALT Was ist Sozialrecht? 3 Warum Sozialrecht? 5 Organisation und Durchführung der Sozialversicherung 6 Die Selbstverwaltung in der österreichischen Sozialversicherung 7 Die Leistungssysteme im österreichischen System der sozialen Sicherheit 12 Haupt- und Sondersysteme für die einzelnen Zielgruppen 19 Soziale Auffangnetze 24 Wichtige Merkmale unterschiedlicher Sozialleistungssysteme 25 Zur Organisation 34 Beantwortung der Fragen 35

Inhaltliche Koordination: Josef Wöss

Stand: März 2016

Dieses Skriptum ist für die Verwendung im Rahmen der Bildungsarbeit des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, der Gewerkschaften und der Kammern für Arbeiter und Angestellte bestimmt.


Wie soll mit diesem Skriptum gearbeitet werden?

Anmerkungen

Zeichenerklärung Frage zum Lernstoff im vorigen Abschnitt (vergleichen Sie Ihre eigene Antwort mit der am Ende des Skriptums ange­ gebenen).

Anmerkungen: Die linke bzw. rechte Spalte jeder Seite dient zur Eintra­ gung persön­licher Anmerkungen zum Lernstoff. Diese ei­ genen Notizen sollen, gemeinsam mit den bereits vorgege­ benen, dem Verständnis und der Wiederholung dienen.

Arbeitsanleitung – Lesen Sie zunächst den Text eines Abschnitts aufmerksam durch. – Wiederholen Sie den Inhalt des jeweiligen Abschnittes mit Hilfe der ge­ druckten und der eigenen Randbemerkungen. – Beantworten Sie die am Ende des Abschnitts gestellten Fragen (möglichst ohne nachzu­sehen). – Die Antworten auf die jeweiligen Fragen finden Sie am Ende des Skrip­ tums. – Ist Ihnen die Beantwortung der Fragen noch nicht möglich, ohne im Text nachzusehen, arbeiten Sie den Abschnitt nochmals durch. – Gehen Sie erst dann zum Studium des nächsten Abschnitts über. – Überprüfen Sie am Ende des Skriptums, ob Sie die hier angeführten Lernziele erreicht haben.

Lernziele Nachdem Sie dieses Skriptum durchgearbeitet haben, sollen Sie – einen Überblick über die rechtlichen Bestimmungen und die Grund­ prinzipien im System der sozialen Sicherheit gewonnen haben; – die einzelnen sozialen Leistungssysteme in Österreich kennengelernt haben; – über die Versorgung einzelner Zielgruppen Bescheid wissen; – zu einigen zentralen Diskussionspunkten zur sozialen Sicherheit Stel­ lung beziehen können.

Viel Erfolg beim Lernen!

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Was ist Sozialrecht?

Anmerkungen

Kennzeichnend für das österreichische Sozialrecht ist, „dass der Staat als soziale Gemeinschaft durch seine Einrichtungen dem Einzelnen von der Gemeinschaft finanzierte soziale Leistungen erbringt, um ihn in bestimm­ ten existenziell besonders belastenden Lebenslagen zu schützen“ (Berger 2003, 231). Das heißt, eine Vielzahl von rechtlichen Bestimmungen regelt Ansprüche, die Schutz vor Risken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter und Tod bieten.

Definition

Dabei kann zwischen drei Bereichen des Sozialrechts unterschieden werden: dem Sozialversicherungsrecht, dem Versorgungsrecht und dem Sozialhilferecht (vgl. Berger 2003, S. 231).

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Gliederung

Zentraler Angelpunkt des österreichischen Sozialversicherungsrechts ist die Absicherung gegen den Ausfall des Erwerbseinkommens aufgrund des Verlusts des Arbeitsplatzes oder der Arbeitsfähigkeit, Erkrankung, In­ validität und Alter. Auch die Sicherstellung der medizinischen Versorgung im Krankheitsfall gehört dazu.

Kernpunkte des

Letzteres gilt ungeachtet des Sachverhaltes, dass zwischen Herbst 2010 und Herbst 2011 die früheren Sozialhilfeleistungen durch die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ersetzt worden sind. Leistungen im stationären Bereich werden weiterhin meist von der „geschlossenen Sozialhilfe“ getragen. Sozialrechts

Im Rahmen des Versorgungsrechts werden Ansprüche geregelt, „die als Ausgleich für ganz bestimmte Gegenleistungen oder Opfer erbracht [wer­ den], die im öffentlichen Interesse gelegen sind“ (Berger 2003, S. 274). Das Versorgungsrecht ist sowohl durch Charakteristika des Sozialversiche­ rungs- wie auch des Sozialhilferechts gekennzeichnet. Die wichtigste Ge­ meinsamkeit mit dem Sozialhilferecht ist die Finanzierung der Leistungen aus dem Steueraufkommen. Das Versorgungsrecht umfasst Leistungen der Kriegsopfer- und Heeresversorgung, die Versorgung von Verbrechensop­ fern und Impfgeschädigten, die Opferfürsorge, das Unterhaltsvorschuss­ recht sowie die Altersversorgung der Beamten (vgl. Berger 2003, S. 274). Weitere zentrale Komponenten sind Familienleistungen, Leistungen bei Pflegebedürftigkeit und die ergänzenden Leistungen (vgl. Berger 2003, S. 278) im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Die Be­ darfsorientierte Mindestsicherung „stellt das sogenannte dritte oder letzte Netz der sozialen Sicherung dar, das all jene auffangen soll, die durch das erste (Soziale Sicherung) oder das zweite Netz (Haushalt und Familienver­ bund) nicht erfasst werden“ (AK Wien 2014, Sozialleistungen im Überblick, S. 347). Sie umfasst Leistungen zur Sicherung des Lebens­unterhalts und des Wohnbedarfs sowie den Schutz im Falle von Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (vgl. ebenda, S. 347 ff). Das geltende Sozialrecht ist in unterschiedlichen Gesetzen z.B. ASVG, AlVG, KBGG usw. geregelt und ist bedingt durch zahllose Novellen ein sehr schnelllebiges Rechtsgebiet. Zu bedenken ist jedoch, dass viele Gesetze außerhalb des Sozialrechts (im engeren Sinn) erst die Funktionsfähigkeit des Sozialrechts garantieren und mit diesem eng verknüpft sind (z. B. Arbeitsrecht). Die sozialrechtlich be­ deutsamen Bestimmungen reichen von den einzelnen Sozialversicherungs­ gesetzen über Arbeitsmarktförderungsmaßnahmen, Bestimmungen über Familienleistungen und Pflegesicherung hin zum Mietrecht sowie Wohnund Studienbeihilfen.

Zahlreiche sozial­ rechtlich relevante Bestimmungen

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Orientiert man sich an den – nicht ganz eindeutigen – Konventionen, dann fallen in den engeren Bereich des Sozialrechts folgende Gesetze:

Engerer Bereich des Sozialrechts

Sozialversicherungsgesetze – Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) – Allgemeines Pensionsgesetz (APG) (im ASVG enthalten) – Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz (GSVG) – Freiberuflich Selbständigen-Sozialversicherungsgesetz (FSVG) – Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) – Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (B-KUVG) – Notarversicherungsgesetz (NVG) – Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) – Sonderunterstützungsgesetz (SUG) Versorgungsgesetze – Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG) – Opferfürsorgegesetz (OFG) – Impfschadengesetz – Verbrechensopfergesetz (VOG) – Heeresversorgungsgesetz (HVG) Pflegegeldgesetz des Bundes (BPGG) Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) Sozialleistungssysteme der Länder, wie – Bedarfsorientierte Mindestsicherung, – Behindertengesetze, – Wohnbeihilfen und – Familienzuschüsse Nacht-Schwerarbeitsgesetz (teilweise) (NSchG) Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz (IESG) Auslandsrenten-Übernahmegesetz (ARÜG) Nicht zuletzt muss hier auch noch auf das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz hingewiesen werden, das die Rechtsdurchsetzung u. a. bei Leis­tun­ gen aus der Sozialversicherung regelt.

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Anzumerken wäre, dass die sozialrechtlich relevanten Beamtengesetze – mit Ausnahme des B-KUVG – als Teil des Arbeitsrechts gelten, da dort der/ die ArbeitgeberIn für die Erbringung der entsprechenden Leistungen zu­ ständig ist. Da sie jedoch zu den Sozialversicherungsleistungen gleichwer­ tige Ansprüche beinhalten, werden sie hier angeführt.

Arbeitsrecht/ Sozialrecht

Zwischen Arbeits- und Sozialrecht besteht eine sehr enge Verzahnung. Im Unterschied zum Sozialrecht, das auf die Absicherung bestimmter sozi­ aler Risiken abzielt, regelt das Arbeitsrecht einen individuellen Leistungs­ austausch zwischen AG und AN. Es ist als Schutzrecht für AN konzipiert mit dem Ziel, das soziale und wirtschaftliche Machtungleichgewicht zwi­ schen AN und AG auszugleichen (vgl. Berger 2003, S. 19f).

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Warum Sozialrecht?

Anmerkungen

Die historischen Wurzeln des Sozialrechts reichen zurück bis ins Mittelalter. In dieser Zeit dominierte vor allem eine im kirchlichen Bereich organisierte Armenpflege. Im Spätmittelalter gewährten die Handwerkerzünfte und Knappschaften Unterstützungen in Notlagen und Hinterbliebenenleistungen bei Unfällen. Weiters entwickelte sich ein von Städten organisiertes Armenpflegewesen. Wesentlicher Anlass zur Entwicklung einer modernen Sozialversicherung waren jedoch die Missstände der industriellen Revolution. Das Sozialversicherungsrecht ist daher relativ „jung“. Teile des Sozialrechts wurden erst in den letzten Jahrzehnten eingeführt. Man denke etwa an die erst in den 1950er- und 1960er-Jahren beschlossenen Sozialversicherungsgesetze für Bauern/Bäuerinnen und Gewerbetreibende oder die ersten Pflegegeldleistungen in den 1960er-Jahren („Hilflosenzuschuss“).

Historische Wurzeln

Motiv für die ersten Sozialversicherungsgesetze am Ende des 19. Jahrhun­ derts waren nicht so sehr sozialpolitische Anliegen. Vielmehr sollte weiteren drohenden Unruhen von Seiten des Industrieproletariats begegnet werden, das sich in der sich entwickelnden Industriegesellschaft immer weniger auf traditionelle Formen der sozialen Sicherung stützen konnte. Zwei solche – schlecht und recht funktionierende – traditionelle Formen der Existenz­sicherung waren:

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Der Familienverband: Die Großfamilien stellten ein gewisses Siche­ rungsnetz dar. Sie lösten sich durch die Abwanderung in die Städte zu­ nehmend auf. Die Landwirtschaft: Die überwiegend agrarische Gesellschaft ermöglich­ te ein gewisses Maß an Existenzsicherung. Die städtische Bevölkerung in den Industriezentren war im Fall indi­ vidueller Notsituationen (Krankheit, Arbeitslosigkeit) zunehmend auf staatliche Hilfestellung angewiesen.

Früher Existenzsiche­ rung durch Familie, Versorgung in der Landwirtschaft und Armenfürsorge

Darüber hinaus führten die Arbeitsbedingungen in den Industriebetrieben zu einer Verschärfung der sozialen Lage der ArbeitnehmerInnen. Arbeitsun­ fälle und berufsbedingte Erkrankungen einerseits und geringe ­Löhne ande­ rerseits brachten viele Menschen in eine aussichtslose Situation. Die dadurch immer stärker werdende Arbeiterbewegung drängte daher auf einen Aufund Ausbau von Institutionen, die den Betroffenen in den verschiedenen so­ zialen Notlagen mit entsprechenden Sozialleistungen helfen sollten. Mit der wachsenden Leistungsfähigkeit der Wirtschaft konnten auch die Ansprüche höher angesetzt werden. Die Sozialleistungen im modernen Sozialstaat sollen nicht nur das nackte Überleben garantieren, sondern auch vor sozialem Abstieg schützen, der sich ergibt, wenn nur das Existenz­ minimum abgedeckt wird. Mit Ausnahme kleinerer Gruppen wurde dieses Ziel in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg für den Großteil der Bevöl­ kerung erreicht. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist auch, dass Sozial­leis­ tun­gen in der Regel Rechtsansprüche darstellen und nicht als Almosen gewährt werden.

Schlechte Arbeitsbe­ dingungen als Ursache für soziale Notlagen

Auf- und Ausbau des Sozialstaats

Insgesamt lässt sich feststellen, dass ein ausgebautes System so­ zialstaatlicher Leistungen Voraussetzung für den sozialen Frieden und das Funktionieren moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften ist. 5


Anmerkungen

1. Aus welchen Gründen wurde das Sozialrecht geschaffen?

Organisation und Durchführung der Sozialversicherung Die wichtigste Institution des österreichischen Systems sozialer Sicherung ist die Sozialversicherung1. Sie umfasst die Kranken-, Unfall- und Pensions­ versicherung sowie die Versicherung im Falle der Berufsunfähigkeit bzw. der Invalidität. Die Durchführung der Sozialversicherung obliegt 22 Versicherungsträgern – 15 Krankenkassen und sieben Versicherungsanstalten –, die im Haupt­ verband der österreichischen Sozialversicherungsträger zusammengefasst sind. Die Versicherungsträger sind regional (z.B. Gebietskrankenkassen), aufga­ benbezogen (z.B. KV, UV) und nach Berufsgruppen2 gegliedert (z.B. Sozial­ versicherungsanstalt der Bauern etc.). Die einzelnen Träger können auch danach unterschieden werden, ob ihnen die Durchführung eines einzelnen oder mehrerer Aufgabenbereiche ob­ liegt: ersteres trifft beispielsweise für die Gebietskrankenkassen zu, letzte­ res hingegen für die Sozialversicherungsanstalt der Bauern, die sowohl die PV, wie auch die KV und UV der Bauern/Bäuerinnen regelt. Ähnliches gilt für die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, die für die PV und KV der selbständig Erwerbstätigen im gesamten Bundesgebiet zu­ ständig ist (vgl. dazu u.a. Tálos/Wörister 1998, 215-221).

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Weitere wichtige Institutionen sind u.a. die Arbeitslosenversicherung, die Kriegsopfer- und Heeresversorgung sowie die Opferfürsorge, siehe unten. 2 Dies geht teilweise mit unterschiedlichen Leistungen im Falle von Krankheit und Alter einher.

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Abbildung 1: Gliederung der österreichischen Sozialversicherung

Anmerkungen

Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger Unfallversicherung Allgemeine Unfall­ versicherungsanstalt

Krankenversicherung

Pensionsversicherung

9 Gebietskrankenkassen 6 Betriebskrankenkassen

Pensionsversicherungsanstalt

Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft

Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau* Sozialversicherungsanstalt der Bauern Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter

Versicherungsanstalt des ­österreichischen Notariats

*) VAEB führt UV für Eisenbahnbedienstete selbst durch, für den Bergbau die AUVA.

Quelle: Soziale Sicherheit Juli/August 2015, S. 302f.

Die Selbstverwaltung in der österreichischen Sozialversicherung Im heutigen Verständnis bedeutet Selbstverwaltung, dass jene Gruppen, die an der Durchführung der Sozialversicherung ein direktes Interesse ha­ ben – als ZahlerInnen von Beiträgen und/oder als Versicherte – berechtigt sind, an deren Verwaltung mitzuwirken. Insofern haben die einzelnen Sozi­ alversicherungsträger ein gewisses Ausmaß an Autonomie, sind jedoch der Kontrolle des Staates, v.a. des BMASK und des BM für Gesundheit, aber auch des BM für Finanzen3, unterworfen. Personengruppen, die ein unmittelbares Interesse an der Sozialversiche­ rung haben, sind unselbständig und selbständig Erwerbstätige als Versi­ cherte und BeitragszahlerInnen sowie deren ArbeitgeberInnen. Die Entsen­ dung in die Selbstverwaltungsgremien erfolgt durch Nominierung durch die Interessenvertretungen, d.h. dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, der Wirtschaftskammer Österreich, der Bundesarbeitskammer und der Landwirtschaftskammer Österreich. Leitende Organe des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversiche­ rungsträger sind die Trägerkonferenz sowie der Verbandsvorstand (siehe Abb. 2). Die Trägerkonferenz ist das rechtsetzende Organ des Hauptverbandes, wo­ bei deren Mitglieder (37 Personen) von den einzelnen Sozialversicherungs­ trägern (je ein/e AN- und AG-VertreterIn) sowie von drei Seniorenvertre­ tungen entsandt werden. Dem Verbandsvorstand obliegt die Wahrnehmung der laufenden Geschäfte sowie die Vertretung des Hauptverbandes nach außen. Er besteht aus zwölf stimmberechtigten Mitgliedern, die von der Trägerkonferenz über Vor­ schlag der Interessenvertretungen entsandt werden. Dabei werden je fünf VertreterInnen von der Bundesarbeitskammer und der Wirtschaftskammer Österreich, sowie je ein Mitglied von der Gewerkschaft öffentlicher Dienst und der Landwirtschaftskammer Österreich vorgeschlagen. Die Nominie­ rung von drei weiteren – allerdings nicht stimmberechtigten Mitgliedern – obliegt den Freiheitlichen Arbeitnehmern, den Alternativen und Grünen GewerkschafterInnen sowie dem Wirtschaftsverband Österreichs. 3

Entsendung in den Selbstverwaltungs­ gremien

Trägerkonferenz

Verbandsvorstand

So etwa die VAEB.

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Anmerkungen

Dem Beirat obliegen die Wahrnehmung der Interessen der Versichertenge­ meinschaft und der LeistungsbezieherInnen sowie die Sicherstellung einer versichertennahen Verwaltung4. Abbildung 2: Organisatorische Struktur des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger

Trägerkonferenz Rechtsetzendes und kontrollierendes Organ

Beirat

Verbandsvorstand Generalkompetenz für laufende Geschäfte

Verbandsmanagement Geschäfte des Büros Weisungsgebundenheit gegenüber dem Verbandsvorstand Quelle: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger: http:// www.hauptverband.at/portal27/portal/hvbportal/content/contentWindow? contentid=10007.693855&action=2&viewmode=content; download am 29.2.2016.

Historische Entwicklung Die Anfänge Die Anfänge der Selbstverwaltung in der österreichischen Sozialversiche­ rung reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, wobei es einige wesentliche Unterschiede zwischen der damaligen (Arbeiter-)Selbstverwaltung und dem heute gebräuchlichen Begriff der Selbstverwaltung gibt. Die Arbeiterselbstverwaltung war einerseits gelebte Praxis in den frühen Arbeiterhilfs- und Unterstützungskassen, deren Verwaltung allein den ArbeiterInnen5 oblag und die – im Unterschied zu heute – durch direkte Wahl in deren Verwaltungsgremien gewählt wurden. Andererseits stellte die Arbeiterselbstverwaltung eine wichtige Forderung der Arbeiterbewe­ 4

Vgl. dazu : http://www.hauptverband.at/portal27/portal/hvbportal/content/contentWin dow?contentid=10007.693853&action=2&viewmode=content. 5 Dies implizierte v.a. eine weitgehende finanzielle und organisatorische Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Behörden.

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gung6 seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert dar, die v.a. im Zuge der Integration der selbstverwalteten ArbeiterInnenvereine in die staatliche Sozialversicherung erhoben wurde (vgl. Grandl 2004, 19-21).

Anmerkungen

Denn bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Systeme der so­ zialen Sicherung nur in Ansätzen vorhanden: so enthielt etwa das ABGB aus 1811 keinerlei Verpflichtung für Arbeitgeber, für arbeitsunfähige Ar­ beiterInnen und deren Hinterbliebenen zu sorgen. Erst im Allgemeinen Berggesetz von 1854 war die verpflichtende Errichtung von Bruderladen durch den Eigentümer des Bergwerks und in der Gewerbeordnung von 1859 die Errichtung von Unterstützungs- und Genossenschaftskassen vor­ gesehen7 (vgl. Grandl 2004, 31-35).

Situation Anfang 19. Jahrhunderts

Die Vorläufer der Arbeiterhilfs- und Unterstützungskassen reichen noch weiter – bis ins Mittelalter – zurück, in Form von Zünften, Gilden und Innungen, denen nicht nur die Meister, sondern auch die Gesellen ange­ hörten. In der Folge wurden im Bergbau (aufgrund deren wirtschaftlicher Bedeutung und der hohen Unfallgefahr) erste Bruderladen bzw. Knappschaftskassen errichtet, die den Bergarbeitern und deren Angehörigen Unterstützung im Falle von Krankheit, Unfällen, Invalidität und Tod leis­ teten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfolgten die Fabriks­ kassen der Industriearbeiter den gleichen Zweck. Seit Ende der 1860erJahre wurden zunehmend auch von den bestehenden Arbeiterfortbil­ dungs- und Fachvereinen Arbeiter-Unterstützungskassen gegründet, die auf der Arbeiterselbstverwaltung basierten (vgl. Grandl 2004, 47ff). Die Arbeiterselbstverwaltung hatte eine besonders hohe Bedeutung auch vor dem Hintergrund, dass sich die österreichische Arbeiterschaft bis zur Verabschiedung des Allgemeinen gleichen, direkten (Männer-)Wahl­ rechts 1906 an der parlamentarischen Willensbildung nicht beteiligen konnte (vgl. Hofmeister 1980, 477). Zudem war die Arbeiterschaft – abge­ sehen von der ausgesprochen tristen sozialen Lage – massiven politi­ schen Repressionen ausgesetzt, wie dies exemplarisch der zwischen 1884 und 1891 verhängte Ausnahmezustand (vgl. Grandl 2004, 246) und die wiederholte Auflösung von Arbeiterfach- und -bildungsvereinen durch die Behörden belegen.

Vorläufer bis ins Mittelalter

Vor diesem Hintergrund spielte die Selbstverwaltung auch in den ersten österreichischen Sozialversicherungsgesetzen seit den späten 1880er-Jah­ ren eine wichtige, wenn auch im Vergleich zu der in den Arbeitervereinen und -kassen praktizierten Form der Arbeiterselbstverwaltung deutlich eingeschränkten – Rolle: In den zwei Stammgesetzen der österreichischen Sozialversicherung war hinsichtlich der Verwaltung der Versicherungs­ einrichtungen das Prinzip der Selbstverwaltung verankert worden.

Selbstverwaltung seit den 1880er-Jahren

Das erste diesbezügliche Gesetz war das Arbeiter-Unfallversicherungsge­ setz 1887. Mit diesem Gesetz sollten zum einen die Pflichtversicherung von IndustriearbeiterInnen geregelt und zum anderen Missstände besei­ tigt werden, die aus dem Verschuldensprinzip resultierten, bei dem die Beweislast bei den Unfallopfern lag (vgl. Hofmeister 1980, 533ff).

Arbeiter-Unfallversi­ cherungsgesetz 1887

Im Hinblick auf die Organisation der Versicherung waren bereits in den ersten Entwürfen das Territorialprinzip (eine Versicherungsanstalt pro Handels- und Gewerbekammerbezirk) und die Selbstverwaltung festge­ legt. Demnach sollte der Vorstand der Versicherungsanstalten zu je einem Drittel aus Vertretern der Unternehmer, der Arbeiter und des Innenminis­ teriums entsandt werden. Den politischen Behörden oblag auch die Auf­ sicht über die Anstalten (vgl. Hofmeister 1980, 539f). 6

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So etwa im Rahmen des Wiener Neustädter Arbeitertages 1876 (vgl. Hofmeister 1980, 479f). Die jeweiligen Leistungsansprüche waren nur auf vergleichsweise kleine Personengruppen beschränkt und zudem deren Niveau marginal. Im Falle von Arbeitslosigkeit erloschen sämtliche Ansprüche.

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Anmerkungen

Auch das Arbeiter-Krankenversicherungsgesetz 1888 normierte sowohl die Pflichtversicherung der Industriearbeiter8 wie – im Hinblick auf die Orga­ nisation – die Selbstverwaltung. Dabei konnte jedoch auch auf bereits beste­ hende Institutionen zurückgegriffen werden9 (vgl. Hofmeister 1980, 562f).

Arbeiter-Krankenver­ sicherungsgesetz 1888

Ungeachtet der Bedeutung dieser beiden Gesetze sind deren Schwächen un­ übersehbar: sie umfassten nur einen kleinen Teil der Arbeiterschaft, hatten relativ geringe Leistungen und gingen mit einer massiven Einschränkung der Arbeiterselbstverwaltung10 in den bisherigen Arbeiterinvaliden- und Unter­ stützungskassen einher. Dementsprechend kritisch bewertete die Sozialde­ mokratie diese Reformen auf dem Hainfelder Einigungsparteitag 1888/89: „Was heute vorzugsweise ‚Sozialreform‘ genannt wird, die Einführung der vom Staat organisierten Arbeiter-Versicherung gegen Krankheit und Unfall, entspringt vor allem der Furcht vor dem Anwachsen der proletarischen Bewegung, der Hoffnung, die Arbeiter von dem Wohlwollen der besitzenden Klassen zu überzeugen, und zuletzt aus der Einsicht, daß die zunehmende Verelendung des Volkes endlich die Wehrfähigkeit beeinträchtigen müsse. Mit der Ausführung der Arbeiter-Versicherung werden zwei Nebenzwecke verknüpft: Die teil­ weise Überwälzung der Kosten der Armenpflege von den Gemeinden auf die Arbeiterklasse und die möglichste Einengung, womöglich Be­ seitigung der selbständigen Hilfsorganisationen der Arbeiter, welche als Vorschulen und Übungsstätten der Organisation und Verwaltung den Herrschenden ein Dorn im Auge sind. Angesichts dieser Sachlage erklärt der Parteitag: Die Arbeiter-Versicherung berührt den Kern des sozialen Problems überhaupt nicht. Eine Einrichtung, welche im besten Falle dem arbeitsunfähigen Proletariat ein kärgliches, von ihm selbst teuer bezahltes Almosen gewährt, verdient nicht den Namen ‚Sozial­ reform‘.“ (zitiert nach Hofmeister 1980, 595).

Kritik

In den frühen 1900er Jahren verlangte die Sozialdemokratie eine deutliche Ausweitung der Sozialversicherung (Alters- und Invalidenversicherung so­ wie Hinterbliebenenversorgung) sowie deren einheitliche Ausgestaltung un­ ter „durchgängiger Selbstverwaltung der Versicherten“ (Gesamtparteitag der österreichischen Sozialdemokratie 1901, zitiert nach Hofmeister 1980, 596). Auch das 1906 verabschiedete Gesetz betreffend die Pensionsversicherung der in privaten Diensten und einiger in öffentlichen Diensten Angestellten enthielt die Errichtung einer – nach dem Prinzip der Selbstverwaltung organi­ sierten – zentralen Pensionsversicherungsanstalt (vgl. Hofmeister 1980, 617f). Nach Ende des Ersten Weltkrieges beschloss die Provisorische Nationalver­ sammlung für Deutsch-Österreich Ende Oktober 1918 die Beibehaltung der bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Normen und damit auch des Prinzips der Selbstverwaltung ihrer Organe. Die Versichertenvertreter wur­ den von den Versicherten gewählt (vgl. Hofmeister 1980, 626f).

Austrofaschismus und Nationalsozialismus Massive Eingriffe in die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger erfolgten nicht erst mit der nationalsozialistischen Machtübernahme in Ös­ 8

Der Kreis der Versicherten war breiter als im Arbeiter-Unfallversicherungsgesetz 1887 und umfasste auch ArbeiterInnen in Gewerbebetrieben, Bergwerken, der Eisenbahn und der Binnenschifffahrt. 9 Es bestand u.a. bereits eine Reihe von Krankenkassen für einzelne Berufszweige (vgl. Hof­ meister 1980, 564) sowie eine Vielzahl von Kassen der Arbeiterbewegung. 10 Die Selbstverwaltung in den neu geschaffenen Versicherungsinstitutionen oblag nicht mehr allein der Arbeiterschaft, sondern wurde von Vertretern der Unternehmer, der Arbeiterschaft und des Ministeriums ausgeführt. Zudem hatten die Behörden weitreichende Entschei­ dungs- und Aufsichtsbefugnisse: von der Errichtung der Versicherungseinrichtung, der Genehmigung ihrer Statuten, der Ernennung ihrer leitenden Beamten bis hin zur Auflösung einzelner Kassen (vgl. Grandl 2004, 130ff).

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terreich 1938 11, sondern bereits durch das austrofaschistische Herrschafts­ system 1933 (vgl. Tálos 2013). So wurde bereits im Dezember 1933 die Selbst­ verwaltung den Arbeiterkammern beseitigt und zeitgleich erfolgten massive Eingriffe in die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger. Im März 1934 verloren AN-VertreterInnen, die von der Sozialdemokratischen Arbei­ terpartei entsandt worden waren, in den Gremien der Sozialversicherungs­ träger ihre Vertretungsbefugnisse, und 1935 wurden Wahlen in der Sozial­ versicherung gänzlich abgeschafft (vgl. dazu Kalliauer/Tálos 2013).

Anmerkungen

Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 brachte im Hin­ blick auf die Organisation der Sozialversicherungseinrichtungen die Über­ nahme des „Führerprinzips“ mit sich. Demgemäß hatte die gesamte Ent­ scheidungskompetenz der Leiter des jeweiligen Versicherungsträgers inne (vgl. Hofmeister 1980, 662).

Zweite Republik Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte mit dem SozialversicherungsÜberleitungsgesetz vom Juni 1947 die Wiederherstellung der Selbstverwal­ tung in den Organen der österreichischen Sozialversicherung. Hinsichtlich der Bestellung der Versicherungsvertreter wurde jedoch das Wahlprinzip aus der Zeit vor 1933 aufgegeben und durch die Bestellung durch demokratisch legitimierte Interessenvertretungen ersetzt (vgl. Hofmeister 1980, 663-671).

Sozialversicherungs­ überleitungsgesetz 1947

Umbau der Organisationsstrukturen unter Schwarz-Blau Von der ÖVP-FPÖ-Regierung wurden die Organisationsstrukturen der So­ zialversicherung weitreichend umgebaut. Dabei wurde zum einen der Mo­ dus der Entsendung von VersichertenvertreterInnen in den Hauptverband dahingehend geändert, dass diese nicht mehr durch die Dachverbände ÖGB und WKÖ erfolgte, sondern auf Basis der Wahlergebnisse in den Kam­ mern. Zum anderen wurde das, seit dem 19. Jahrhundert bestehende zah­ lenmäßige Übergewicht von VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen gegen­ über ArbeitgebervertreterInnen durch eine Parität der beiden Gruppen er­ setzt (vgl. Tálos/Obinger 2006, 191).

Schwächung der ArbeitnehmerInnen­ gruppe

„Diese Änderung lief auf eine politische Umfärbung der Mehr­ heitsverhältnisse in der Sozialversicherung hinaus. Der Einfluss der ÖVP-nahen Versicherungsvertreter wurde zu Lasten der SPÖ-nahen Vertreter beträchtlich gestärkt. Doch auch die FPÖ sollte bei diesem Umbau nicht leer ausgehen. Unter der Losung der ‚Entpolitisierung‘ wurde den Interessenvertretungen die Verpflichtung auferlegt, auch die drittstärkste Fraktion in den Kammern mit einer Vertretung im Verwaltungsrat des Hauptverbandes zu betrauen. Im Konkreten be­ deutete dies die Absicherung des Zugangs der FPÖ zu Institutionen der Sozialversicherung“ (Tálos/Obinger 2006, 191f).

Selbstverwaltung beim Arbeitsmarktservice Die Arbeitslosenversicherung ist ein weiterer wesentlicher Teil der österrei­ chischen Sozialversicherung, obwohl organisatorisch nicht – wie die ande­ ren Sozialversicherungszweige – dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger angegliedert.

Arbeitslosen­ versicherung

Seit 1994 obliegt die12 Verwaltung dem Arbeitsmarktservice (AMS), das im Rahmen einer Organisationsreform aus den früheren – staatlich verwal­ teten – Arbeitsämtern hervorgegangen ist. 11 Wie

dies fälschlicher Weise in der Sozialen Sicherheit 7/8 2015, 303 dargelegt wird. den Zuständigkeitsbereich des AMS fällt neben der Durchführung der Arbeitslosenver­ sicherung auch die Gestaltung der aktiven Arbeitsmarktpolitik (vgl. dazu Tálos/Wörister 1998, 218).

12 In

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Auch das AMS untersteht der Kontrolle durch das BMASK, genießt aber – ähnlich der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung – eine gewisse Au­ tonomie: auf allen Ebenen des AMS, d.h. auf Ebene der Bundes-, der neun Landes- und der 104 Regionalorganisationen des AMS sind VertreterInnen der Sozialpartner, d.h. der Bundesarbeitskammer, des ÖGB, der WKÖ und der Vereinigung der österreichischen Industrie in die geschäftsführenden Organe eingebunden und somit in die Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik und die Kontrolle des AMS einbezogen13.

Anmerkungen

Die Leistungssysteme im österreichischen System der sozialen Sicherheit Für die Zuerkennung der einzelnen Sozialleistungen sind unterschiedliche Institutionen zuständig, wobei unterschiedliche Prinzipien zur Anwen­ dung kommen. Grundsätzlich kann grob zwischen zwei Gruppen unterschieden werden: Leistungen für Erwerbstätige und deren Angehörige

a) Leistungssysteme für Versicherte und deren Angehörige Im Wesentlichen handelt es sich hier um Leistungen der Sozialversicherung. Gleichgelagert sind jedoch auch Leistungssysteme für pragmatisierte Beamte/Beamtinnen, die vor allem im Bereich der Pensionen direkt von den Dienstgebern (Bund, Länder, Gemeinden) versorgt werden.

Leistungen für alle

b) Leistungssysteme für Personen, die ihren Wohnsitz in Österreich haben Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen werden aus diesen ­Systemen Leistungen gewährt. Es sind dies

• • •

die Versorgungsleistungen (vor allem Kriegsopfer- und Heeresversor­ gung), die Familienbeihilfen, das Kinderbetreuungsgeld sowie das Pflegegeld und die Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung und den Behindertengesetzen- bzw. Chancengleichheitsgesetzen der Länder.14

Über die Möglichkeiten der freiwilligen Versicherung (Selbst-, Weiter- oder Höherversicherung) in der Sozialversicherung stehen aber auch die Kran­ ken-, die Pensions- und die Unfallversicherung allen EinwohnerInnen of­ fen. Im Unterschied zu den unter b) angeführten Leistungen ist jedoch die Entrichtung von Beiträgen Voraussetzung für Leistungsansprüche.

Freiwillige Versicherung in der Sozialversicherung

13 Vgl. dazu die Informationen auf der Homepage des AMS: http://www.ams.at/ueber-ams/

ueber-ams/daten-fakten/organisation; download am 29.2.2016. Leistungen der Bundesländer sind zwar ähnlich, variieren aber im Einzelnen. So re­ gelt beispielsweise das Wiener Chancengleichheitsgesetz Leistungen im Zusammenhang mit Frühförderung, Schule, Tagesstruktur, Berufsqualifizierung und -integration, Arbeits­ integration, Betreutem Wohnen, Mobilität, Persönlicher Assistenz, Hilfsmitteln, Gebärden­ sprachdolmetsch und Beratung.

14 Die

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Die Leistungssysteme im Einzelnen:

Die Sozialversicherung Hierzu zählen vor allem die Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung, deren Träger im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zusammengefasst sind. Aber auch die Arbeitslosenversicherung ist ein Teil der Sozialversicherung. Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung werden in der Regel nur gewährt, wenn entsprechende Ver­ sicherungsbeiträge auf Basis einer ­Erwerbsarbeit geleistet wurden. Die Höhe der Geld­leistungen hängt meist von den früher entrichteten Beiträgen bzw. den zu­grunde­liegenden Ein­ kommen ab. Manche Leistungen werden nur bei Bedürftigkeit erbracht (vor allem: Ausgleichszulage in der Pensionsversicherung, Notstandshilfe in der Arbeitslosenversicherung).

Leistungen aufgrund von Beiträgen

Die zuständigen Institutionen der einzelnen Zweige sind teils regional und teils zentral organisiert und haben eine gewisse Autonomie (Selbstverwaltung). Sie sind teilweise auch nach Berufsgruppen gegliedert. Die Einbeziehung in die Sozialversicherung erfolgt über ein persönliches Versicherungsverhältnis, entweder aufgrund der Voll-, der Teilversicherung basierend auf einer Erwerbsarbeit oder aufgrund einer freiwilligen Versicherung. In der Regel erwerben nur diejenigen Ansprüche aus der Sozialver­sicherung, die versichert sind. Eine freiwillige Versicherung im ­Bereich der Arbeitslosenversicherung war bis 2008 nicht möglich.

Mit 1. 1. 2009 ist jedoch die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung im Rahmen der Arbeitslosenversicherung für selbstständig Erwerbstätige, die nach dem GSVG oder dem FSVG pensionsversichert sind, sowie für RechtsanwältInnen und ZiviltechnikerInnen in Kraft getreten. Der Eintritt in die Arbeitslosenversicherung muss schriftlich erklärt werden. Die Bestimmungen über die Versicherungspflicht sind am Anfang der je­ weiligen Sozialversicherungsgesetze enthalten (z. B. im ASVG in den §§ 4 bis 9). Je nach Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe unterliegen die Betrof­ fenen unterschiedlichen Gesetzen. Auch die Voraussetzungen für Teilver­ sicherungen und die freiwilligen Versicherungen sind am Beginn der Ge­ setze im Detail geregelt. Folgende Möglichkeiten der Einbeziehung in die Sozialversicherung bestehen: a) Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit Wer eine reguläre Erwerbstätigkeit ausübt, ist zumeist automatisch und verpflichtend kranken-, pensions- und unfallversichert. Darüber hinaus ist der überwiegende Teil der unselbstständig Erwerbstätigen auch arbeitslosenversichert.

Wer in allen Zweigen der Sozialversicherung erfasst ist, gilt als voll­ versichert. ArbeitnehmerInnen unterliegen der Vollversicherung erst, wenn das monatliche Entgelt die sogenannte „Geringfügigkeitsgrenze“ überschritten hat. Diese Grenze liegt im Jahr 2016 bei € 415,72 und wird jährlich angepasst.

Ausnahmen von der Vollversicherung

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Wer nur in einzelne Zweige einbezogen wird, ist teilversichert. Eine Teil­ versicherung liegt beispielsweise bei geringfügigen Beschäftigungsverhält­ nissen vor. Für geringfügig Beschäftigte besteht nach ASVG nur eine Teil­ versicherung in der Unfallversicherung. Eine begünstigte freiwillige Kran­ ken- und Pensionsversicherung ist jedoch möglich. Auch für sogenannte „neue Selbstständige“ besteht eine Pflichtversicherung im Rahmen des GSVG nur bei Überschreitung einer Versicherungsgrenze. Diese liegt im Jahr 2016 bei 4.988,64 €, unabhängig davon, ob neben der selbständigen Er­ werbstätigkeit noch andere Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder anderen Quellen bezogen werden, oder nicht15 (vgl. Erstinformation der SVAGW16).

b) Pflichtversicherung bei SozialleistungsbezieherInnen BezieherInnen einer Pension und von Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind krankenversichert. Weiters sind BezieherInnen einer Leis­tung aus der Arbeitslosenversicherung auch in die Unfallund Pensionsversicherung einbezogen. c) Mitversicherung für Familienangehörige Nahe Familienangehörige (vor allem EhegattInnen, seit 1. 1. 2010 auch eingetragene PartnerInnen und Kinder) sind zumeist in der Kran­­kenversicherung mitversichert und können mit Ausnahme der Geldleistungen dieselben Leistungen in Anspruch nehmen wie die Pflichtversicherten. Zu beachten ist, dass bei der Mitversicherung bestimmter naher Angehöriger ein erhöhter Krankenversicherungsbeitrag (Zusatzbeitrag) eingehoben wird. Die Krankenmitversicherung ermöglicht eine fast flächendeckende Versicherung der in Öster­reich lebenden Bevölkerung bei Krankheit und Unfällen. Darüber hinaus haben Angehörige nach dem Tod des/der Versicherten ent­sprechend den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf Hinterblie­ benenleistungen (Witwen-, Witwer- und Waisenpensionen bzw. -renten). d) Versicherungsschutz aufgrund anderer Tatbestände

Versicherungsschutz nicht nur für Erwerbstätige

• • •

SchülerInnen und StudentInnen unterliegen der Unfallversicherung. Hie­ für leistet der Familienlastenausgleichsfonds Beiträge an die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt. Unfälle bei Erste-Hilfe-Leistungen unterliegen beitragsfrei einem Unfall­ versicherungsschutz. In der Pensionsversicherung werden zum Teil beitragsfreie Ersatzzeiten bzw. Beitragszeiten (neues Pensionsrecht) angerechnet (z. B. Kinder­ erziehungszeiten, Bezug einer Leistung aus der AlV oder Präsenz- und Zivildienst); zum Teil werden für diese Zeiten auch Beiträge aus ver­ schiedenen Töpfen geleistet (z. B. Familienlastenausgleichsfonds für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, Arbeitslosenversicherung für Zei­ten des Arbeitslosengeldbezuges). Zivildienst Leistende und Angehörige von Präsenzdienern sind kranken­ versichert. Der Bund entrichtet für diese Gruppen die Krankenversiche­ rungsbeiträge. Präsenzdiener werden aufgrund des Heeresgebühren­ gesetzes (Gesundheitsleistungen) bzw. des Heeresversorgungsgesetzes (Dienstunfälle) versorgt.

• 15 Bis

31.12.2015 galten zwei unterschiedliche Versicherungsgrenzen, je nachdem ob die selb­ ständige Erwerbstätigkeit die einzige Einkommensquelle war oder nicht (vgl. dazu: http:// svagw.at/portal27/portal/svaportal/content/contentWindow?contentid=10007.761367&a ction=2&viewmode=content; down-load: 17.3.2016). 16 http://esv-sva.sozvers.at/portal27/portal/svaportal/content/contentWindow?contentid =10008.586913&action=b&cacheability=PAGE&version=1421153650; download: 17.3.2016.

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e) Freiwillige Versicherungen

Einkommensersatz vom Dienstgeber bzw. von der Dienstgeberin

Personen, die ihren Wohnsitz in Österreich haben und im entsprechenden Versicherungszweig nicht schon versichert sind, können sich auf Antrag freiwillig versichern (Selbst- und Weiterversicherung). Weiters besteht die Möglichkeit einer Höherversicherung im Rahmen einer bestehenden Pflichtversicherung.

• •

In der Krankenversicherung besteht die Möglichkeit der Selbstversicherung. In der Pensionsversicherung kann man ebenfalls eine Selbstversicherung abschließen. Hinzuweisen ist auf die begünstigte Möglichkeit einer Selbstversicherung für die Zeit der Pflege eines behinderten Kindes. Weiters ist seit 1. 1. 2006 eine begünstigte Selbstversicherung in Rahmen der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger ab der Stufe 3 möglich. In der Pensionsversicherung ist auch eine Weiterversicherung nach Ende einer Pflichtversicherung möglich. Mit dieser Weiterversicherung kann der/die Versicherte nach Ende einer Pflichtversicherung die Versiche­ rung noch weiterbehalten, um nachteilige Lücken im Versicherungsverlauf zu verhindern. Personen, die sich – nicht erwerbsmäßig – gänzlich der Pflege eines nahen Angehörigen widmen, der zumindest Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 3 hat, können eine beitragsrechtlich begünstig­ te Weiterversicherung abschließen. In der Unfallversicherung können sich – ansonsten nicht versicherte – selbstständig Erwerbstätige ebenfalls freiwillig versichern. Darüber hinaus gibt es freiwillige Höherversicherungen in der Pensionsund Unfallversicherung (Letztere nur Selbstständige) und die Zusatzversicherung für gewerblich Selbstständige. Weiters können geringfügig Beschäftigte eine Selbstversicherung bean­ tragen („opting-in“). In diesem Fall sind sie – neben der Unfallversiche­ rung – auch in der Kranken- und Pensionsversicherung versichert.

Freiwillige Versiche­ rung in der Kranken-, Pensions- und Unfall­ versicherung

• • • •

15


Anmerkungen

Versicherungsverhältnisse in der Sozialversicherung 2014 (Jahresdurchschnitt, gerundet): Geschützte Personen in der Krankenversicherung

Fast die gesamte Bevölkerung ist krankenversichert

8,624.400

Beitragsleistende Personen 6,452.900 Beitragsfrei mitversicherte Angehörige 1,971.900 Durch Krankenfürsorgeanstalten geschützte Personen 200.000 Anspruchsberechtigte Personen in der Krankenversicherung, Jahresdurchschnitt 2014

3,6 Millionen Pensionsversicherte

Beitragsleistende Personen Angehörige insgesamt Kinder Sonstige Angehörige Durch Krankenfürsorgeanstalten geschützte Personen Anspruchsberechtigte Personen insgesamt

6,452.500 1,971.900 1,575.700 396.200 200.000 8,424.400

Pensionsversicherung insgesamt (2014)

3,758.300

Pflichtversicherte 3,704.900 Freiwillig Versicherte 17.400 Ruhe- und Versorgungsgenüsse aufgrund einer Dienstpragmatik (Dezember 2014) 325.100 Alle Unfallversicherten (2014)

6,220.200

Unselbstständig Erwerbstätige 3,382.900 Selbstständig Erwerbstätige1 1,436.900 SchülerInnen und StudentInnen2 1,400.400 Arbeitslosenversicherung (2015)

2,87 Millionen arbeits­ losen­versichert

1

2

3,135.000

Einschließlich der mittägigen Familienangehörigen in der Land- und Forstwirtschaft. Einschließlich der 5-jährigen Kindergartenkinder.

Quelle: Hauptverband 2015, S. 63; 102. Hauptverband 2015, Tab. 3.05. Hauptverband, Jahresergebnisse 2015, Versicherte nach dem AlVG, Tab. 10.

Andere Leistungssysteme Versorgungssysteme Wesensmerkmal der Versorgung ist, dass ohne vorherige Beitragsleistung durch den/die LeistungsempfängerIn ein gesetzlicher Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen besteht. Allerdings werden die Versorgungsleistungen nur als Ausgleich für bestimmte Gegenleis­ tungen (dies gilt für die Altersversorgung der BeamtInnen) oder für Opfer erbracht. Wenn etwa eine körperliche oder psychische Schädigung auf bestimmte Umstände zurückzuführen ist, werden direkt vom Bund Versorgungsleistungen gewährt. Für folgende Gruppen sind besondere Leistungen vorgesehen:

Leistungen aufgrund bestimmter Ursachen

• • • •

Kriegsopfer Heeresopfer (für Präsenzdiener) Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und ­Opfer der politischen Verfolgung Impfgeschädigte (insbesondere nach Pockenimpfungen und Impfungen nach dem Epidemiegesetz)

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Opfer von Verbrechen

In diesen Fällen werden bei Vorliegen der entsprechenden Vorausset­ zungen Leistungen (meist: Renten) an Beschädigte und deren Hinterbliebene gewährt. Diese Leistungen sind in ihrer Höhe in der Regel nach dem Ausmaß der Erwerbsminderung abgestuft. Zusätzlich werden bei Bedürf­ tigkeit auch Zulagen etc. gewährt, die eine höhere Mindestsicherung als etwa in der Pensionsversicherung oder in der Bedarfsorientierten Mindest­ sicherung garantieren.

Versorgungsleistungen für Beschädigte und deren Hinterbliebene

Eine Sonderstellung nimmt die (auslaufende) BeamtInnenversorgung ein, sofern auf sie noch nicht das Allgemeine Pensionsgesetz (APG) zur Anwendung kommt. Die klassische (Bundes)Beamtenpension („Ruhege­ nuss“) fällt in ihrer traditionellen Konzeption in den Typus Versorgung als Belohnung für besondere Dienste.

Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld Die bedeutendsten allgemeinen Geldleistungen für Familien sind die Familienbeihilfe, das Kinderbetreuungsgeld sowie die Kinderabsetzbeträge. Bei der Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbeträgen handelt es sich um eine Art StaatsbürgerInnenleistung, auf die in Österreich wohnhafte Personen unabhängig vom Einkommen in einheitlicher Höhe Anspruch haben. Unter bestimmten Bedingungen können sie auch AusländerInnen beanspruchen.

Familienbeihilfen, Kinderbetreuungsgeld und Pflegegeld für alle in Österreich wohnhaften Personen

An die Stelle der früheren Sozialversicherungsleistung Karenzgeld, die dem (pauschalierten) Einkommensersatz während eines gesetzlichen ­Karenzurlaubs diente, trat mit 1. 1. 2002 eine reine Familienleistung, das Kinderbetreuungsgeld. Es zielt darauf ab, Eltern die Kosten für die Be­ treuung eines Kleinkindes z.T. abzugelten. Seit 2010 können Eltern dabei zwischen fünf verschiedenen Leistungsmodellen wählen: vier Pauschal­ modellen und einem einkommensabhängigen Modell. Das Kinderbe­ treuungsgeld wird auf Antrag eines Elternteils gewährt, wenn für das Kind ein Anspruch auf Familienbeihilfe vorliegt und einige weitere Voraus­setzungen erfüllt sind, wie etwa: Elternteil und Kind leben in einem ­gemeinsamen Haushalt und haben ihren Lebensmittelpunkt in ­Österreich. Im Unterschied zum früheren Karenzgeld (und zur Teilzeitbeihilfe) haben seither auch nichterwerbstätige Personen, wie etwa Hausfrauen, Studieren­ de und ­geringfügig Beschäftigte Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld. Seit 1. 1. 2010 steht Eltern neben den verschiedenen Varianten des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes auch ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld zur Wahl. Dessen Höhe beläuft sich auf 80% des durch-schnittlichen Erwerbseinkommens, kann jedoch € 66,– pro Tag nicht überschreiten und € 33,- nicht unterschreiten. Es wird maximal bis zum vollendeten 12. bzw. 14. Lebensmonat ausbezahlt. Letzteres jedoch nur, wenn es von beiden Elternteilen in Anspruch genommen wird. Die Finanzierung des Kinderbetreuungsgeldes erfolgt aus dem Familien­ lastenausgleichsfonds.

17


Pflegegeld

Anmerkungen

Eine weitere StaatsbürgerInnenleistung stellt das Pflegegeld dar, das seit Juli 1993 an Pflegebedürftige in abgestufter Höhe – je nach Ausmaß der Pflegebedürftigkeit – erbracht wird. Anspruch auf Pflegegeld besteht, wenn aufgrund einer Behinderung bzw. Erkrankung ein Pflegebedarf von mindestens 65 Stunden pro Monat besteht. Zudem muss ein voraussichtlicher Pflegebedarf von mindestens sechs Monaten gegeben sein. Die Höhe des monatlichen Pflegegeldes beträgt im Jahr 2016 zwischen 157,30 € (Pflegestufe 1) und 1.688,90 € (Pflegestufe 7). Bedarfsorientierte Mindestsicherung und Behindertenhilfe der Länder Abhängig von der Bedürftigkeit bzw. bei besonderen Bedarfssitua­ tionen gewährt die Bedarfsorientierte Mindestsicherung Leistungen an im jeweiligen Bundesland ansässige Personen.

Leistungen der Länder

Die entsprechenden Bestimmungen sind nicht einheitlich. Zu erwähnen sind hier noch zwei besondere Leistungen der Länder, die ebenfalls nach Bedürftigkeit gewährt werden: die Wohnbeihilfen und Familienzuschüsse (Familien mit Kleinkindern).

2. Auf welche Leistungen haben alle in Österreich wohnhaften EinwohnerInnen (Sonderregelungen für AusländerInnen) Anspruch?

3. Welche Möglichkeiten der Einbeziehung in die Sozialver­ sicherung gibt es?

4. Was sind „Versorgungsleistungen“?

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Haupt- und Sondersysteme für die einzelnen Zielgruppen

Anmerkungen

Für die wichtigsten Zielgruppen im System der sozialen Sicherheit sind Hauptsysteme vorgesehen. Diese werden durch Sonderregelungen(-sys­ teme) für einzelne Gruppen ergänzt. Die einzelnen Systeme lassen sich hinsichtlich ihrer Hauptzielgruppen in vier Aufgabenbereiche einteilen. Die folgende Gliederung orientiert sich hierbei an den besonderen Struk­ turen des österreichischen Sozialleistungssystems. Die Unfallversicherung wird der ersten und zweiten Gruppe zugeordnet.

Vier Zielgruppen

Hauptzielgruppen im System der sozialen Sicherheit ­ sind folgende Risiken: 1.  Alter – Invalidität – Tod und Pflegebedürftigkeit 2.  Krankheit – Arbeitsunfähigkeit – Unfall 3. Arbeitslosigkeit 4.  Leistungen für Familien

Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenpensionen, Pflegegeld für Pflegebedürftige In Österreich werden diese Risikogruppen zusammen schwer­ punkt­mäßig von der gesetzlichen Pensionsversicherung abgedeckt, ­ sofern die entsprechenden individuellen Voraussetzungen erfüllt werden. Die Pensionsversicherung erbringt Alters-, Invaliditäts-*), Witwen-, Witwer- und Waisenpensionen.

Pensionsversicherung versorgt Alte, Invalide, Witwen, Witwer und Waisen

Besonders zu erwähnen ist, dass über Waisenpensionen zu einem hohen Anteil auch Kinder mit Behinderungen versorgt werden (siehe § 252 Abs. 2 ASVG). Teilweise erfüllen auch Witwen- und Witwerpension diese Funktion (§ 258 Abs. 2 ASVG).

• •

Innerhalb der Pensionsversicherung gelten für einzelne Berufsgruppen Sonderbestimmungen. Sechs Anstalten sind mit der Verwaltung betraut. Geregelt ist die Pensi­ onsversicherung in fünf verschiedenen Gesetzen (ASVG, GSVG, FSVG, BSVG und NVG). Bis auf die Notarversicherung garantieren diese Ge­ setze allen erfassten Gruppen relativ einheitliche Standards. Die Gesamtzahl aller Pensionen und Renten belief sich im Dezember 2014 auf 2,757.316. Davon entfielen 87,4% (bzw. 2,410.875 Pensionen) auf Pensionen aus der Sozialversicherung und 11,8% (bzw. 325.089) auf Ruhe- und Versorgungsgenüsse aufgrund einer Dienstpragmatik17 (vgl. Hauptverband 2015, Tabelle 3.05).

*) Korrekter Überbegriff: „Pensionen aus geminderter Arbeitsfähigkeit“. Der Einfachheit hal­ ber wird hier der für Arbeiter geltende Begriff verwendet. In den Gesetzen werden auch die Begriffe „Berufsunfähigkeitspension“ (Angestellte), „Knappschafts(voll)pension“ (Berg­ arbeiter) und „Erwerbsunfähigkeitspension“ (Selbstständige) verwendet. 17 Die

verbleibenden 0,8% entfallen auf Kriegsopfer-, Heeresversorgungs- und Opferfürsor­ gerenten.

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Anmerkungen

Die Pensionsversicherungsträger sind auch für das Sonderruhegeld nach dem Nacht-Schwerarbeitsgesetz zuständig. Sondersysteme Analoge Leistungen werden aus den BeamtInnenversorgungssystemen des Bundes, der Länder und einzelner Gemeinden erbracht. Pragmati­ sierte Bedienstete sind daher von der Pensionsversicherung ausgenom­ men. In deren Versorgung wird zwischen Ruhegenüssen (= Alters- und Invaliditätspensionen) und Versorgungsgenüssen (= Witwen-, Witwerund Waisenpensionen) unterschieden. Die Pensionen werden von denselben Stellen gewährt, die auch für aktive BeamtInnen zuständig sind. Die einzelnen Regelungen sind im Wesentlichen in eigenen Pensi­ onsgesetzen der zuständigen Gebietskörperschaften und Pensionsord­ nungen der Post, der Bundesbahn und der Bundestheater enthalten.

Analoge Leistungen für BeamtInnen

2014 bezogen etwa 11,8 % der PensionistInnen eine Pension aus der BeamtInnenversorgung (vgl. Hauptverband 2015, Tab. 3.05). Betriebspensionen als Zusatzversorgung

Renten nach dem Kausalitätsprinzip

Die Betriebspensionen stellen eine Zusatzversorgung für einen Teil der ArbeitnehmerInnen dar. Sie zählen zu den freiwilligen Sozialleistungen von Unternehmen. Im Jahre 2014 wurden von allen Pensionskassen 722.835 Anwartschafts- und 85.598 Leistungsberechtigte registriert (www.pen­ sionskassen.at). Betriebspensionen werden – teils unter Zuzahlungen von Arbeitnehmerbeiträgen – durch die ArbeitgeberInnen finanziert. Je nach Ausgestaltung des Systems werden die Pensionen direkt vom/von der ArbeitgeberIn oder über eigene Rechtsträger (Pensionskassen etc.) ausbe­ zahlt. Gesetzliche Rahmenbedingungen finden sich im Betriebspensionsgesetz und im Pen­sions­kassengesetz. Für den Fall der Invalidität bzw. Erwerbsminderung werden auch von der Unfallversicherung, der Heeres- und Kriegsopferversorgung, der Opferfürsorge ­sowie nach dem Impfschaden- und Verbrechensopfergesetz Renten geleistet. Ebenso können daraus auch Hinterbliebene bei Vorliegen der gesetzlich geregelten Voraussetzungen Witwen-, Witwer-, Waisen- oder Elternrenten erwarten. Diese Leistungen stellen zumeist nur eine zusätzliche Versorgung dar, und sie werden nach dem Kausalitätsprinzip gewährt. Die Rente wird – im Unterschied zu den Leistungen der Pensionsversicherung – nur zuerkannt, wenn die Erwerbsminderung bzw. der Tod auf ganz bestimmte Umstände (Erwerbstätigkeit, Militär­ dienst ...) zurückzuführen ist. Grundlegende Neuerungen wurden mit dem Sozialrechts-Änderungsge­ setz 2012 eingeführt, die mit 1.1.2014 in Kraft getreten sind. Dabei wurde für ab 1964 Geborene die befristete Invaliditätspension abgeschafft und als neue Leistung der Rechtsanspruch auf Maßnahmen der medizi­ nischen Rehabilitation eingeführt. Die medizinische Rehabilitation zielt darauf ab, im Anschluss an eine Krankenbehandlung eine Wiedereinglie­ derung ins Erwerbsleben zu ermöglichen.

Die Unfallversicherung wird von vier Sozialversicherungsträgern verwaltet. Die gesetzlichen Bestimmungen sind im Wesentlichen im ASVG geregelt.

Die Versorgungsleistungen werden vom Bundessozialamt bzw. den Landesregierungen (Opferfürsorge im Rahmen der mittelbaren Bundes­ verwaltung) erbracht. Für die einzelnen Zweige gelten jeweils eigene Gesetze.

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Pflegebedürftige erhalten das Pflegegeld nach dem Bundespflege­ geld­ gesetz. Mit 1. 1. 2012 wurden die Landeskompetenzen im Hin­blick auf das Pflegegeld auf den Bund übertragen. Zuständig sind die Pensionsversicherungsanstalt bzw. die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter. Die Finanzierung erfolgt generell aus Steuer­mitteln.

Pflegebedürftige erhalten Pflegegeld

Soziale Sicherung im Fall von Krankheit und Arbeitsunfähigkeit; Prävention Zentrale Institution ist die gesetzliche Krankenversicherung, die von neun Gebietskrankenkassen, acht Betriebskrankenkassen, zwei Sozialversicherungsanstalten der Selbstständigen und drei weite­ ren Versicherungsanstalten der Unselbstständigen (Beamte, Eisenbahner und Bergarbeiter) verwaltet wird. Die gesetzliche Krankenversicherung gibt es in Österreich bereits seit 1889.

Institutionen der Krankenversicherung

Die gesetzlichen Regelungen sind neben dem ASVG im GSVG, BSVG und B-KUVG enthalten. Sie unterscheiden sich vor allem durch unterschiedliche Selbstbehaltsregelungen. Nach Angaben des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger wurden 99,9% (im Jahre 2014) der Wohnbevölkerung, bzw. rund 8,53 Mio. Personen von der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst (vgl. Hauptverband 2015, S. 18).

Krankenleistungen aus anderen Systemen

Weiters werden ähnliche Leistungen im Rahmen der Krankenfür­sorge­ anstalten (pragmatisierte Bedienstete einiger Bundesländer) erbracht. Zusätzlich zur Krankenversicherung erbringen auch die Pensionsund Unfallversicherung Gesundheitsleistungen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation und der Gesundheitsvorsorge.

Gesundheitsleistungen anderer Institutionen

Diese Leistungen sollen einerseits frühzeitige Invalidität vermeiden hel­ fen und andererseits jene großzügiger betreuen, die im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit einen Unfall erlitten haben oder an einer be­ ruflich bedingten Krankheit leiden. Zusammen mit der Krankenversi­ cherung leisten beide Institutionen auch einen Beitrag zur Vermeidung von Krankheiten und Unfällen.

Wehrpflichtige Soldaten erhalten Leistungen nach dem Heeresgebührengesetz bzw. Heeresversorgungsgesetz (Letztere: bei Dienstunfällen).

Leistungserbringung bei Sachleistungen durch Vertragspartner oder Träger

Der Großteil der Gesundheitsleistungen wird nicht direkt von den Ein­ richtungen der Krankenversicherungsträger erbracht. Die meisten Leis­ tungen werden über Vertragspartner (ÄrztInnen, Spitäler, Apotheken usw.), denen die Kosten auf Grundlage von Gesamtverträgen abgegolten werden, erbracht.

Leistungen über Vertragspartner, eigene Einrichtungen oder Kostenersatz

Der/die Erkrankte hat bei Inanspruchnahme von Versicherungsleis­ tungen die e-card vorzulegen (siehe § 31a ASVG). Damit weist er/sie den Bestand des Versicherungsschutzes nach. 21


Mitunter werden Kosten erst im Nachhinein zur Gänze oder teilweise ersetzt (vor allem bei Selbstständigen; bei Inanspruchnahme von Wahl­ ärztInnen usw.).

Anmerkungen

Einkommensersatzleistungen im Krankheitsfall werden überwiegend direkt vom/von der Arbeitgeber/in erbracht. Erst nach Ablaufen der Ansprüche auf Entgeltfortzahlung durch den/die Arbeit­ geber/in setzen die Geldleistungen der Sozialversicherungsträger ein (zumeist Krankenversicherung).

Ansprüche von arbeitslosen Menschen Als arbeitslos gemeldete Menschen haben Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung. Die Landesstellen des Arbeitsmarkt­ service gewähren Geldleistungen (z.B. Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) und unterstützen arbeitslose Menschen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz.

Familien- und Mutterschaftsleistungen Leistungen für Familien sowie im Falle der Mutterschaft werden durch ver­ schiedene Träger erbracht. Ein und derselbe Personenkreis erhält die ein­ zelnen Leistungen von mehreren Stellen: Der Familienlastenausgleichsfonds kommt für folgende Leistungen auf:

• • • • • •

Familienbeihilfen Kinderbetreuungsgeld Kosten für Schüler- und Lehrlingsfreifahrten Schul- und Lehrlingsfahrtbeihilfen Unterhaltsvorschüsse Beiträge und Kostenersätze für einzelne Familienleistungen aus der So­ zialversicherung

Familienbeihilfen über Finanzämter

Leistungen aus anderen Systemen

• •

Die Kinderabsetzbeträge werden aus allgemeinen Steuermitteln finan­ ziert und zusammen mit den Familienbeihilfen von den zuständigen ­Finanzämtern ausbezahlt. Das Wochengeld stellt eine Leistung der Krankenversicherung dar, deren Aufwendungen zu 70 % vom Familienlastenausgleichsfonds erstattet werden. Beamtinnen haben Anspruch auf Bezugsfortzahlung durch den Dienstgeber. Eine wichtige Familienleistung stellt auch die Mitversicherung in der Krankenversicherung dar. Bei der Mitversicherung einiger erwachsener Angehöriger (EhegattInnen, LebensgefährtInnen, haushaltsführende Angehö­rige, eingetragene PartnerInnen) ist jedoch ein erhöhter Kranken­ versicherungsbeitrag zu entrichten. Nicht zuletzt werden in der Pensionsversicherung Zeiten der Kinderbetreuung angerechnet und Witwen-, Witwer- und Waisenpensionen an hinterbliebene Angehörige geleistet (Unfallversicherung: Renten). Für die Bereitstellung von Kinderbetreuungseinrichtungen sind die Länder zuständig. Sie gewähren bei Bedürftigkeit auch Familienzu­ schüsse.

Leistungen der Krankenversicherung

• • •

Leistungen der Pensionsversicherung Leistungen der Länder

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Anmerkungen

5. Welche Sozialleistungssysteme sind für die Versorgung von Alten, Invaliden, Hinterbliebenen und Pflegebedürftigen vorgesehen?

6. Welche Sozialleistungssysteme erbringen Leistungen für Kranke bzw. für Krankheitsverhütung?

7. Welche Leistungen sind für Familien und für Mutterschaft vorgesehen?

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Soziale Auffangnetze

Anmerkungen

Für Personen, die kein oder kein ausreichendes Einkommen haben (etwa niedrige Sozialleistung, kein oder nur ein geringes Erwerbseinkommen), sind besondere Unterstützungsleistungen vorgesehen. Unterhalt durch Familienangehörige hat Vorrang

Vor der Gewährung einer entsprechenden Unterstützung wird jeweils ge­ prüft, wieweit Familienangehörige (vor allem EhepartnerInnen, eingetrage­ ne PartnerInnen, aber auch LebensgefährtInnen) für den Unterhalt sorgen können. Diese Leistungen werden nach einer Bedürftigkeitsprüfung ge­ währt.

Existenzsicherung in einigen Leistungs­ systemen garantiert

In einigen Leistungssystemen sind ergänzende Elemente enthalten, die bei Unterschreiten gewisser Einkommensgrenzen im Falle der Bedürftigkeit gewährt werden und ein „existenzsicherndes“ Niveau garantieren soll­ten:

• • • • •

die Ausgleichszulage in der Pensionsversicherung, die Ergänzungszulage in der Beamtenversorgung, die Beihilfe für alleinstehende Elternteile oder Paare mit geringem ­Einkommen, die Zusatzrente in der Kriegsopfer- und Heeresversorgung und die Unterhaltsrente in der Opferfürsorge.

Höhe und Anspruchsvoraussetzung der entsprechenden Leistungen sind in den einzelnen Systemen unterschiedlich geregelt.

In der Arbeitslosenversicherung besteht nach Bezug des Arbeitslosen­ geldes Anspruch auf die Notstandshilfe. Der Anspruch auf die Not­ standshilfe ist jedoch an eine Notlage gebunden. Das bedeutet, dass für die Berechnung jegliches Einkommen des arbeitslosen Menschen und seiner Ehepartner/in, eingetragenen Partner/in bzw. Lebensgefährt/in angerechnet wird. In der Krankenversicherung sind Bedürftige von der Rezept- und der Krankenscheingebühr (Serviceentgelt bei der e-card) bzw. von Selbstbe­ halten befreit.

Wer weder über eigenes ausreichendes Vermögen, Einkommen bzw. Sozialleistungen noch über die Unterstützung von Familien­ angehörigen seine Existenz sichern kann, hat Anspruch auf Leis­ tungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Diese stellt ge­wisser­maßen das letzte Netz im System der sozialen Sicherheit dar, das „dann einsetzt, wenn Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu bestreiten“ (AK Wien 2014, Sozialleistungen im Überblick, S. 378).

Letztes Netz: Bedarfsorientierte Mindestsicherung

• •

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung umfasst als regelmäßige Geld­ leistungen die Leistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes und des angemessenen Wohnbedarfs. Besondere Lebenslagen können zusätzlich durch einmalige Geldleistun­ gen der Länder abgedeckt werden, so etwa Kosten im Zusammenhang mit dem Schulbeginn der Kinder, Reparaturkosten und Ähnliches. Da­ rauf besteht jedoch kein Rechtsanspruch. Wichtige Elemente der Mindestsicherung sind auch die Bestimmungen des Lohnpfändungsgesetzes und des Unterhaltsrechts. Weiters erfüllen auch Wohn- und Mietzinsbeihilfen eine wichtige Funktion bei der Ver­ meidung von Armut und sozialer Ausgrenzung.

• 24


Nicht zuletzt sind auch die Zuschussleistungen zu Fernsprechentgelten und Befreiungen von der Fernseh- und Radiogebühr zu erwähnen.

Anmerkungen

8. Welche Leistungen bzw. Zuschüsse werden nur Einkom­ mensschwachen gewährt?

Wichtige Merkmale unterschiedlicher Sozialleistungssysteme Um die Besonderheiten und die Grundstrukturen der österreichischen So­ zialleistungssysteme besser verstehen zu können, werden in diesem Ab­ schnitt einige wichtige Aspekte näher behandelt. Die auch für internatio­ nale Vergleiche interessanten Systemmerkmale sind die Fragen nach der Reichweite der Systeme, deren Gliederung, Verteilungsprinzipien, der Bedeutung des privaten Sektors und der Finanzierung. Aus dieser Darstellung wird ersichtlich, dass trotz unterschiedlicher Merk­ male bei den einzelnen Typen oft ein sehr ähnliches Ergebnis erzielt wird. Dies hat seinen Grund vor allem darin, dass sich die einzelnen Systeme – unabhängig von ihrer Grundkonstruktion – an den Bedürfnissen der Bevöl­ kerung orientieren und entsprechende Lösungen enthalten. Trotzdem ha­ ben die verbleibenden Unterschiede gewisse Auswirkungen auf das Ver­ sorgungsniveau einzelner Bevölkerungsgruppen.

Reichweite der Systeme Leistungen für die gesamte Bevölkerung (unabhängig von der Einbindung in die Sozialversicherung) In Österreich bestehen derzeit drei Systeme, die praktisch die gesamte Bevölkerung erfassen: Die Familienbeihilfe, die Pflegesicherung (ab 1993) und das Kinderbetreuungsgeld (ab 2002).

Umfassende Versorgung bei Familienleistungen und Pflegesicherung

Wesentliche Kennzeichen dieser Systeme sind, dass die Leistungen bei Vorliegen bestimmter Bedarfssituationen (Anzahl der Kinder in der Fami­ lie, Ausmaß der Pflegebedürftigkeit, Betreuung von Kleinkindern)

• •

unabhängig von früherer Erwerbstätigkeit und von Sozialversicherungsbeiträgen und unabhängig von den Einkommensverhältnissen erbracht werden.

Beim Kinderbetreuungsgeld ist einschränkend anzumerken, dass ein zu hohes eigenes Erwerbseinkommen zu einem (vorübergehenden) Wegfall der Leistung führt; Einkommen von Familienangehörigen (z. B. Ehepart­ nerIn) haben aber keinen Einfluss auf den Leistungsanspruch. 25


Allen offen stehen auch die Grundleistungen aus den Versorgungsgesetzen (etwa Kriegsopfer- und Heeresversorgung). In diesen Systemen wird aber auch nach der Ursache des sozialen Problems (Behinderung aufgrund eines Heeresunfalles etc.) gefragt. Leistungen der Sozialversicherung (im Wesentlichen begrenzt auf Erwerbstätige und Mitversicherte) Das Hauptsystem im österreichischen System der sozialen Sicherheit, die Sozialversicherung, ist im Unterschied zur ersten Gruppe im Wesentlichen auf Erwerbstätigkeit beschränkt.

Erweiterte Zentriertheit in der Sozialversicherung

Je nach Art der Leistung sind hiefür auch unterschiedliche Wartezeiten bzw. Beitrags-/Versicherungszeiten vorgesehen, die für einen Leistungsan­ spruch nachgewiesen werden müssen. Sie liegen in den Regelfällen zwi­ schen einem Tag (Wochen- und Krankengeld) und mehreren Jahren (Alters­ pension).*) Für das Arbeitslosengeld und teilweise bei Pensionen („altes“ Pensionsrecht) gelten darüber hinaus Rahmenfristen, innerhalb deren die erforderlichen Wartezeiten liegen müssen. Trotz der Erwerbszentriertheit wird im Bereich der Kranken- und Pensionsversicherung ein Großteil der nichterwerbstätigen Bevölkerung – vor allem Frauen und Kinder – vom System erfasst.

Über die Mitversicherung und die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung sind in der Krankenversicherung 8,53 Mio Personen oder 99,9% (2014) der Wohnbevölkerung geschützt (vgl. Hauptverband 2015, S. 18). In diesem System hat damit fast die gesamte Bevölkerung An­ spruch auf Sachleistungen, wobei allerdings auch Selbstbehalte vorgese­ hen sind. In der Pensionsversicherung besteht ebenfalls die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung. Diese hat allerdings nur eine geringe Bedeutung, wofür nicht zuletzt der hohe Mindestbeitrag verantwortlich ist. Darüber hinaus werden über die österreichische Hinterbliebenenversorgung in der gesamten Pensionsversicherung 48.026 Waisen (Dezem­ ber 2014) und im Alter 207.686 Frauen ausschließlich über die Witwen­ pen­sion versorgt (vgl. Hauptverband 2015, S. 74f).

Reichweite der Krankenversicherung

• •

Reichweite und Grenzen des Pensions­ systems

Grundsätzlich könnte die Sozialversicherung auch die gesamte Bevölkerung – unabhängig von einer Erwerbstätigkeit – in die Pflichtversicherung einbe­ ziehen, wie dies etwa in den Niederlanden und in der Schweiz der Fall ist. Für den Bereich der Alterssicherung bestehen darüber hinaus in einigen Staa­ ten steuerfinanzierte Grundsysteme, die allen Personen, die eine bestimmte Altersgrenze überschritten haben, eine Alterssicherung garantieren.

Internationaler Vergleich

Einheitliche und gegliederte Systeme

Ein Teil der sozialpolitischen Diskussion beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Vereinheitlichungen im Interesse der betroffenen Men­ schen und zur Steigerung der Effizienz wünschenswert wären. In den letzten Jahren sind jedenfalls Bemühungen um eine Vereinheitlichung erkennbar (z. B. Pflegegeld, langfristige Harmonisierung der BeamtInnenversorgung und der gesetzlichen Pensionsversicherung).

*) Z. B. Alterspension gem. APG: Anspruchsvoraussetzung für die Alterspension nach § 4 APG ist grundsätzlich das Erreichen des 65. Lebensjahres. Zum Stichtag muss der/die Versicherte 180 Versicherungsmonate erworben haben, von denen 84 aufgrund einer Erwerbs­tätigkeit erworben wurden (Mindestversicherungszeit; Details § 4 Abs 5 und 6 APG).

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Da sich die Systeme der sozialen Sicherheit in allen Staaten schrittweise entwickelt haben, sind sie schon aus historischen Gründen mehr oder weniger gegliedert. Das zeigt sich sowohl in der Organisation als auch in den verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen bzw. den damit zu­ sammenhängenden Ansprüchen für die einzelnen Gruppen.

Unterschiedliche Gliederung der sozialen Sicherung

Ohne hier auf die näheren Details einzugehen, lässt sich anhand einiger Beispiele zeigen, dass das System in Österreich nicht einheitlich gegliedert ist:

• •

Neben sehr zentralistischen und einheitlichen Bereichen (etwa: Familien­ beihilfen) existieren Bereiche, die nach Gruppen gegliedert sind (Beispiel: Pensionen). Sind die Sozialversicherungszweige bzw. -anstalten innerhalb der Un­ selbstständigen gegliedert, haben die Bauern eine einzige Anstalt (mit Landesstellen für jedes Bundesland, das heißt „Sozialversicherung in ei­ ner Hand“).

Neben rein staatlichen Systemen (Beispiele: Kriegsopferversorgung, Fa­ milienbeihilfen ...) und Systemen der Länder (Bedarfsorientierte Min­ destsicherung) existieren In­ stitutionen mit selbstverwalteten Körper­ schaften (Sozialversicherungsträger, Arbeitsmarktservice).

Vereinzelt werden Leistungen für gleichartige Fälle an ein und denselben Personenkreis von mehreren Trägern gewährt (Beispiel: Rehabilitation). Trotz dieser organisatorischen Differenzierungen ist das österreichische System der sozialen Sicherheit im Vergleich zu vielen anderen Ländern relativ einheitlich organisiert.

Ausmaß und Verteilung der Sozialleistungen In der Diskussion über das wünschenswerte Niveau der Sozialleis­ tungen werden im Wesentlichen vier theoretische Grundkonzep­ tio­nen unterschieden: a) Es soll nur eine Grundsicherung gewährt werden. b) Die Leistungen sollen streng nach dem Versicherungsprinzip verteilt werden. c) Die Sozialleistungen sollen den Lebensstandard sichern. d) Sozialleistungen sollen nur Bedürftigen gewährt werden.

Eckpunkte der Sozial­ leistungsdebatte

Hinter diesen Standpunkten verstecken sich natürlich unterschiedliche Interessen. Schließlich geht es um die Verteilung der vorhandenen Mittel. Aber auch gesellschaftspolitische Vorstellungen bestimmen das System. So wird die Frage nach der staatlichen Verantwortung unterschiedlich beantwortet: Die einen wollen ein „billiges“ System, das Leistungen nur einem eng um­ grenzten Kreis von „Bedürftigen“ gewähren soll, die anderen wollen die Menschen im Rahmen eines gut ausgebauten Sozialstaates angemessen absichern und treten für die Aufbringung der notwendigen öffentlichen Mittel ein.

Interessen bestimmen Ausgestaltung der Systeme

Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass praktisch überall eine Mischung dieser Grundkonzeptionen die Systeme kennzeichnet. Nur die Gewich­ tungen und die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Elemente sind in der Realität unterschiedlich. Bei Änderungsdiskussionen stellt sich dabei nur die Frage, welche der angeführten Prinzipien mehr Gewicht haben soll. 27


Anmerkungen zu den einzelnen Verteilungsprinzipien

Anmerkungen

Grundsicherung Nach diesem Modell soll der Staat für die einzelnen sozialen ­Ri­sikosituationen (vor allem: Arbeitslosigkeit, Invalidität, Alter) eine Grundleistung gewähren, die die bloße Existenzsicherung mehr oder minder garantiert.

Die Absicherung des Lebensstandards bleibt der Eigenvorsorge über­ lassen. In Ländern, die etwa in der Altersversorgung solche Grundleis­ tungen vorsehen (z. B. Volkspension), wurden in der Regel zusätzliche obligatorische oder/und kollektivvertragliche Betriebspensionen ge­ schaf­fen (zweite Säule), die die Sicherung des Lebensstandards garan­ tieren sollen. Darüber hinaus ist meist auch eine Zusatzleistung vorgesehen, die – ähnlich der österreichischen Ausgleichszulage – denjenigen eine gehobene Grundsicherung garantiert, die keine oder wenig zusätzliche Ein­ kommen haben (etwa aus der zweiten Säule oder unmittelbar aus Er­ werbstätigkeit). Insgesamt garantieren solche Systeme eine Untergrenze bei den Sozialleistungen, die auch unabhängig vom Familienstand gilt (für Verheirate­ te ist zumeist eine niedrigere Untergrenze vorgesehen). Im Rahmen der Sachleistungen (vor allem: medizinische Versorgung) garan­ tieren die einzelnen Systeme alle notwendigen Leistungen. Wer einen angenehmeren Krankenhausaufenthalt und eine intensivere Zuwendung durch WahlärztInnen haben will, muss hiefür selbst – etwa über eine Privatversicherung – aufkommen.

Eigenvorsorge und zweite Säule

• • •

Mindestleistungen

Im Rahmen der gegenwärtigen österreichischen Armutsdebatten wird eine Reihe von unterschiedlichen „Grundsicherungsmodellen“ diskutiert. „Grundsicherung“ und „Grundeinkommen“ sind ähnliche Begriffe, die je­ doch für wesentlich verschiedene Inhalte stehen. Das „Grundeinkommen“ beispielsweise ist eine Form der Grundsicherung, die unabhängig von vor­ handenem Vermögen, Einkommen und Erwerbsarbeit – also „bedingungs­ los“ ausbezahlt werden soll. Eine „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ ist erwerbszentriert und berücksichtigt die persönlichen Lebensumstände, und nur dann, wenn eigene Mittel bzw. Sozialversicherungsleistungen nicht mehr ausreichen, kommen ergänzend Mindestsicherungsleistungen zur Anwendung. Das Mindest­ sicherungsmodell beabsichtigt Armuts­ vermeidung und Existenzsiche­rung von Bedürftigen in sozialen Notlagen. Es setzt dort an, wo Lücken im S ­ ystem der sozialen Sicherung aufgetreten sind, und stellt eine Ergänzung bzw. Adaptierung des bestehenden Sys­ tems der sozialen Sicherung dar.

Österreichische Grundsicherungs­ modelle

Leistungen nach dem Versicherungsprinzip Die Leistungen bemessen sich nach den einbezahlten Beiträgen. Die Leistung steigt meist proportional mit den entrichteten Beiträgen (Beispiele in Österreich: Pension, Arbeitslosengeld). Am stärksten verwirklicht ist diese Methode bei den privaten Versicherungen. Aber auch die Leistung nach der freiwilligen Höherversicherung in der Pensionsversicherung wird versicherungsmathematisch berechnet, wenn­gleich Personen mit und ohne Angehörige gleich behandelt werden (Witwen-/Witwerpensionen für Verheiratete). Die österreichische Sozialversicherung weicht u. a. aufgrund folgender Regelungen vom Versicherungsprinzip ab:

Abweichung vom Versicherungssystem

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a) Es wird nicht nach „guten“ und „schlechten“ Risiken unterschieden. b) Die Höhe der Beiträge ist definiert als Prozentsatz des Erwerbseinkom­ mens (bis zur HBG); c) Berechnung der Leistung nach den letzten Monaten (Arbeitslosenver­ sicherung); d) Anrechnung von sogenannten Ersatzzeiten in der Pensionsversiche­rung z. B. für Zeiten der Kindererziehung, des Bezugs von Leistungen im Rahmen des AlVG; e) Ausgleichszulage; f) Mitversicherung in der Krankenversicherung und Hinterbliebenenleis­ tungen.

Anmerkungen

Diese Abweichungen ergeben sich aus der sozialen Orientierung der „Sozial“versicherung. Probleme ergeben sich am ehesten für BezieherInnen kleiner Einkommen bzw. für Personen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen; sie können nur geringe oder im schlimmsten Falle keine Leistungen (z. B. freie Dienst­ nehmerInnen sind nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezogen) erwar­ ten, wenn keine ausgleichenden Maßnahmen vorgesehen sind (Beispiele für Österreich: Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, teilweise bei Pensionen).

Geringe Leistungen für BezieherInnen kleiner Einkommen

Lebensstandardsicherung Die Geldleistungen entsprechen einem bestimmten Prozentsatz des letzten (bzw. besten) Einkommens. Die Systeme garantieren damit innerhalb eines bestimmten Bereiches (etwa bis zur Höchstbeitragsgrundlage) mehr oder minder gut die Sicherung des bisherigen Lebensstandards. Die Lebensstandardsicherung weicht insbesondere in Systemen mit zeitlich begrenzten Bemessungszeiträumen („beste“ oder letzte Jahre) zugunsten derjenigen vom Versicherungsprinzip ab, die z. B. eine Karriere gemacht haben; Zeiträume mit niedrigen Beitragsleistungen werden nicht für die Berechnung der Bemessungsgrundlage herangezogen. Diese Gruppe wird aus der Sicht des Versicherungsprinzips begünstigt.

Begünstigung jener, die Karriere gemacht haben

Wenige Vorteile von einer Lebensstandardsicherung haben diejenigen, de­ ren Einkommensverlauf sehr flach ist (was bei einem Großteil der Arbeite­ rInnen der Fall ist). Am ausgeprägtesten findet sich in Österreich das Prinzip der Lebensstan­ dardsicherung im (alten) Beamtenpensionsrecht. Die Bemessungsgrundla­ ge für die Pension ist dort der Letztbezug. Beginnend mit der Pensionsre­ form 1997 und fortgesetzt mit den Reformen 2003 und 2004 wird das Prin­ zip der Lebensstandardsicherung auch im Beamtenpensionsrecht mehr und mehr durch das Versicherungsprinzip ersetzt (Leistungsbemessung auf Basis ­aller Versicherungsjahre und nicht nur des Letztbezugs).

Beamtenpensionsrecht

Leistungen nur bei Bedürftigkeit (als Ergänzung zu anderen Leistungen) Die zweifellos schwächste Absicherung liegt dann vor, wenn Sozialleistungen bei Bedürftigkeit gewährt werden. Das ist dort notwendig, wo das öffentliche System keinerlei bzw. keine existenzsichernden Versicherungs- oder Versorgungsleistungen gewährt (siehe im Einzelnen Abschnitt „Soziale Auffangnetze“). Diese Form der Mittelverteilung wird vor allem mit der Knappheit öffent­ licher Mittel begründet. Darüber hinaus entspricht es im Rahmen des So­zialversicherungssystems bestimmten Gerechtigkeitsvorstellungen: Wer für 29


eine ausreichende Existenzsicherung zu wenig Beiträge geleistet hat, soll nur dann aus öffentlichen Mitteln abgesichert werden, wenn der aktuelle Lebens­ unterhalt nicht mehr durch eigene Anstrengungen garantiert werden kann.

Anmerkungen

Wie die Diskussion um die Sparmaßnahmen gezeigt hat, besteht eine starke Tendenz, einen größeren Teil der Sozialleistungen von der Höhe der Einkommen abhängig zu machen. Wenngleich der Staat auf diese Weise öf­ fentliche Mittel einsparen kann, sind doch einige schwerwiegende Pro­ bleme damit verbunden: a) Die Überprüfung von Einkommen ist mit einem großen administrativen Aufwand verbunden und nur teilweise effizient. Entweder man prüft genau und braucht hiefür viele BeamtInnen, oder die Einkom­ mensprüfung funktioniert sehr lückenhaft. In der Praxis wird ein Mit­ telweg gewählt. Besondere Schwierigkeiten machen die Erfassung von Selbstständigeneinkommen und die Feststellung, wer zum Familien­ verband gehört (insbesondere bei Lebensgemeinschaften). Schwer zu administrieren sind auch Einkommen, die nur in unregelmäßigen Ab­ ständen anfallen.

Problem der Bedürftigkeitsprüfung

b) Einkünfte aus Geldvermögen bzw. entsprechende finanzielle Reserven sind gerade in Österreich schwer zu ermitteln. c) Es handelt sich zumeist um eine versteckte Form der Familienbesteuerung. Das zentrale Problem, das in der Steuerdiskussion (Familien- ge­ gen Individualbesteuerung) angeführt wird, gilt auch hier: Die Berück­ sichtigung von Einkommen des Partners verringert insbesondere bei Frauen das Interesse an einer Erwerbstätigkeit. Die Berücksichtigung des Familieneinkommens hat also auch unerwünschte gesellschaftspolitische Folgen. d) Nicht zuletzt werden Einkommensprüfungen von den Betroffenen oft als entwürdigend empfunden. Bei der Ausgestaltung der Regelungen bestehen gewisse Spielräume, etwa in den Fragen,

Spielräume bei der Ausgestaltung der Regelungen

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welche Einkommen berücksichtigt werden, ob Vermögenswerte berücksichtigt werden sollen, welche Familienangehörigen für den Unterhalt herangezogen werden, ob Freibeträge gelten sollen oder nicht, ob Einkommen zu 100 % oder nur zu einem geringeren Prozentsatz angerechnet werden (im Unterschied zu den Bestimmungen bei Sozialleistun­ gen ist der Satz im Steuerrecht jedenfalls kleiner als 100 %!) und

wie hoch bzw. niedrig die Einkommensgrenzen festgesetzt werden.

Diese Spielräume werden bei der Ausgestaltung der Bestimmungen auch genützt. Je nach Leistungsart gelten in Österreich verschiedene Rege­lungen.

Mehrsäulensystem oder alle Säulen in einem System? Eine Reihe von Staaten hat neben dem Grundsystem noch weitere „Säulen“– insbesondere in der Pensionsversicherung – geschaffen. In Österreich ist vor allem die „erste Säule“ am bedeutendsten. Seit einiger Zeit mehren sich Stimmen für einen Ausbau der 2. und der 3. Säule, die „private Vorsorge“ wird zunehmend von staatlicher Seite gefördert und steuerlich begünstigt.

„Säulen“ der sozialen Sicherung

Grundsätzlich kommen als weitere Säulen für die Alterssicherung (auch Invaliditäts- und Hinterbliebenensicherung) in Frage: 30


• • •

Private Eigenvorsorgemaßnahmen (Lebensversicherung, Spareinlagen, Sachwerte, freiwillige Höherversicherung in der Pensionsversicherung). Betriebliche Zusatzpensionen. Staatlich geregelte obligatorische Vorsorgemaßnahmen: Diese stellen in vielen Ländern das zweite Standbein der Altersversorgung dar. Diese zweite Säule unterscheidet sich von der Grundsäule in der Regel da­ durch, dass sie a) nach dem Kapitaldeckungsverfahren funktioniert (Ri­ sikotragung im Regelfall beim Arbeitnehmer/bei der Arbeitnehmerin), b) von eigenen (privaten) Trägern verwaltet wird, c) der Geltungsbereich deutlich enger gefasst ist (keine Einbindung bestimmter atypisch be­ schäftigter ArbeitnehmerInnen) und d) kaum ein solidarischer Ausgleich zwischen den Versicherten stattfindet.

Anmerkungen

Bei der privaten Absicherung (3. Säule) ist vor allem zu bedenken, dass sie von vornherein auf Personen zugeschnitten ist, die sich die Zahlung der Prämien leisten können. Dazu kommt, dass kein solidarischer Ausgleich stattfindet und im Unterschied zu Betriebspensionen unterschiedliche Prä­ mienhöhen je nach Risikogruppe weit verbreitet sind.

Ausbau oder Einschränkungen öffentlicher Leistungen? Historisch gesehen verlief die Entwicklung bisher in Richtung Ausbau öffentlicher Leistungen. Manches ist nach wie vor privat organisiert bzw. obliegt der privaten Vorsorge. Grundsätzlich stellt sich die Frage, in wel­ chem Ausmaß das öffentliche System Hilfestellungen gewähren soll. Die Meinungen hiezu sind unterschiedlich. Manche glauben, dass mit stei­ gendem gesamtgesellschaftlichem Wohlstand (Wirtschaftswachstum) auch ein Mehr an sozialer Absicherung einhergehen sollte, andere sehen die Grenzen des Sozialstaates schon weitgehend erreicht. Manche wiederum wollen mehr den Einzelnen selbst überlassen. Beispiele für solche Grenzbereiche bzw. Spannungsfelder sind:

Spannungsfelder öffentliche Leistungen – private Vorsorge

• •

Das Ausmaß der öffentlichen Pflegesicherung: Trotz Pflegegeld können die erforderlichen Hilfestellungen damit nicht zur Gänze bezahlt werden.

Weniger Hilfen für Pflege- und Kinder­ betreuung?

Das Ausmaß der Familienleistungen: Zweifellos stellen die öffentlichen Leistungen nur begrenzte Hilfen zur Verfügung. Die tatsächlichen Kosten für die Kinderbetreuung bzw. Ein­ kommensverluste werden nur teilweise abgedeckt. Trotzdem gibt es ne­ ben den Forderungen für einen weiteren Ausbau öffentlicher Hilfestel­ lungen auch Tendenzen zu einer Einschränkung des Angebotes.

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Lebensstandardsicherung (Pensionen, Arbeitslosengeld): Besonders kontrovers ist die Frage, in welchem Ausmaß die öffentliche Hand für die Absicherung des Lebensstandards sorgen soll.

Mehr Eigenvorsorge?

Ausmaß und Qualität der Mindestsicherung: Diese erfolgt in der Regel unter Berücksichtigung des gesamten Fa­mi­ lieneinkommens. Eine vom Familienstand unabhängige Mindestsiche­ rung ist ein noch nicht eingelöstes, vor allem frauenpolitisches An­liegen.

Gesundheitswesen: Auch hier gibt es Vorschläge, die bestehende Versorgung in eine Grund­ versorgung und in eine gehobene Versorgung aufzugliedern. Zum Teil haben wir bereits Ansätze für eine solche Aufgliederung (z. B. Zusatz­ kranken­versiche­rungen). Aber auch Selbstbehaltsregelungen gehen in diese Richtung. 31


Steuer- oder Beitragsfinanzierung

Anmerkungen

Das österreichische System der sozialen Sicherheit ist durch eine Mischung beider Finanzierungsformen gekennzeichnet. Manche Teilsysteme werden zur Gänze aus Steuermitteln finanziert (etwa die Versorgungsleistungen), manche zur Gänze aus Beiträgen (Arbeits­losenversicherung, Krankenversicherung der Unselbstständigen) und andere wiederum aus beiden Quellen (etwa Pensionsversicherung).

Vor- und Nachteile beider Finanzierungsformen:

Da aus Beiträgen individuelle Leistungsansprüche entstehen, sind die Leistungen besser geschützt (Bestandsschutz) und daher weniger eingriffsanfällig. Steuerfinanzierte Leistungen sind bei Finanzproblemen des Staatshaushaltes eher gefährdet.

Leistungen aus der Sozialversicherung besser geschützt als steuerfinanzierte Leistungen

• •

Die Abgabebereitschaft ist bei zweckgebundenen Beiträgen höher als bei allgemeinen Steuern. Für die Steuerfinanzierung spricht beim bestehenden Sozialleistungssys­ tem die stärkere Verteilungswirkung (progressiver Tarif bei der Einkom­ menssteuer).

Zusammenfassung Das österreichische System der sozialen Sicherheit ist sehr vielfältig aus­ gestaltet: Wenngleich das Versicherungsprinzip dominiert, gibt es daneben einheitliche StaatsbürgerInnenleistungen, eine teilweise Steuerfinanzierung, eine Reihe von Leistungen mit Bedürftigkeitsprüfung und Ansätze eines Mehrsäulensystems mit privaten Vorsorgemaßnahmen. Ebenso stehen eher einheitlichen Subsystemen gegliederte Teilsysteme gegenüber. Insgesamt gesehen ist das österreichische System der sozialen Sicherung als vergleichsweise gut ausgebaut zu bewerten. Es bietet im Großen und Ganzen noch immer einen relativ ausgewogenen Mix aus Elementen des Versicherungsprinzips und des sozialen Ausgleichs. Es existieren jedoch aufgrund von sozial- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre Problemlagen im System der sozialen Sicherung. Diese sind beispielsweise die teilweise nicht existenzsichernde Höhe von sozialen Leistungen (Arbeits­losengeld, Notstandshilfe), der eingeschränkte Zugang von atypisch Beschäftigten (geringfügig Beschäftigte, freie DienstnehmerInnen) zur sozialen Sicherung. Gesellschaften entwickeln und verändern sich, daher sind Änderungen im Sozialrecht notwendig, um eine Anpassung an diese neuen gesellschaftlichen Realitäten zu ermöglichen.

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Anmerkungen

9. Nach welchen Merkmalen ist das österreichische System der sozialen Sicherheit gegliedert?

10. Nach welchen Prinzipien können Sozialleistungen verteilt werden?

11. Was unterscheidet „Lebensstandardsicherung“ vom „Ver­ sicherungsprinzip“?

12. Was sind die Probleme einer „Bedürftigkeitsprüfung“?

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Zur Organisation Die Sozialleistungen werden aufgrund von Bundes- oder Landesgesetzen geregelt. Nur vereinzelt haben die einzelnen Träger einen kleinen Spielraum bei der Vergabe der Leistungen, der aber ebenfalls auf einer gesetzlichen Basis beruht. Die einzelnen Institutionen können danach unterschieden werden, ob sie ein Teil der staatlichen Verwaltung sind oder aufgrund der Gesetze eine gewisse Eigenständigkeit haben. Im Wesentlichen können drei verschie­ dene Formen unterschieden werden: 1. Institutionen als Teil der direkten staatlichen Verwaltung: Beispiele hiefür sind die Systeme nach den Versorgungsgesetzen und Familienbeihilfen.

Staat und Selbstverwaltung

2. Institutionen mit Selbstverwaltung: Hiezu zählen zwei Institutionen: die Sozialversicherung und das Arbeits­ marktservice. 3. Institutionen, in denen die Gebietskörperschaften zugleich Dienstgeber sind: In der BeamtInnenversorgung handelt der Dienstgeber die Leistungen (etwa Pensionen, Leistungen bei Karenzurlaub und Krankenständen) mit den zuständigen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes aus.

Eigene Systeme für Beamte/Beamtinnen

Rechtsdurchsetzung Bescheide, die von den Selbstverwaltungskörperschaften ausgestellt wer­ den, können bei den Arbeits- und Sozialgerichten bekämpft werden, die ein Teil der unabhängigen Gerichtsbarkeit sind. Die übrigen Bescheide können im Rahmen der Verwaltungsinstanzen bekämpft werden.

Gerichtsbarkeit

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Beantwortung der Fragen F 1:

– – – – –

Anmerkungen

Vermeidung von Unruhen Auflösung der Familienverbände Keine Existenzsicherung wie in agrarischen Gesellschaften Notsituationen durch Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten Rechtsanspruch auf Sozialleistung

F 2: Familienbeihilfe; Pflegegeld; Versorgungsleistungen (wenn Verlet­ zung/Tod die Folge bestimmter Umstände ist) F 3: – Pflichtversicherung (Erwerbstätige, Krankenversicherung für So­ zialleistungsbezieherInnen) – Mitversicherung – freiwillige Versicherung – Vorliegen bestimmter Tatbestände (Unfall bei Erste-Hilfe-Leis­ tung ...) F 4: Leistungen, die beitragsfrei gewährt werden, wenn eine körperliche oder psychische Verletzung Folge ganz bestimmter Umstände ist. Im Einzelnen: Kriegs- und Heeresopfer, Opfer des Kampfes für ein freies und demokratisches Österreich, Impfgeschädigte, Verbrechens­opfer F 5:

– Gesetzliche Pensionsversicherung – Nacht-Schwerarbeitsgesetz (Sonderruhegeld) – BeamtInnenversorgungssysteme – Betriebspensionsregelungen – Unfallversicherung und Versorgungssysteme (Kriegsopfer ...) – Bundespflegegeldgesetz (Pflegegeld)

F 6:

– Krankenversicherung – Krankenfürsorgeanstalten (für BeamtInnen einiger Bundesländer) – Unfallversicherung – Pensionsversicherung – Bundesheer für Soldaten (Heeresgebühren- und -versorgungsge­ setz)

F 7:

– Wochengeld – Kinderbetreuungsgeld, Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld – Unterhaltsvorschuss – Familienzuschüsse (Länder) – Familienbeihilfe – Mitversicherung in der Krankenversicherung – Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung (Pensionsver­si­che­ rung) – Witwen-/Witwer- und Waisenpensionen(-renten) – Kinderbetreuungseinrichtungen

F 8:

– – – – –

F 9:

– Nach Aufgabenbereichen – regional – nach Gruppen von Erwerbstätigen

Ausgleichszulage, Ergänzungszulage (BeamtInnenpensionen) Zusatzrente in der Kriegsopfer- und Heeresversorgung Unterhaltsrente in der Opferfürsorge Bedarfsorientierte Mindestsicherung Wohn- und Mietzinsbeihilfen

F 10: Grundsicherung, Versicherungsprinzip, Lebensstandardsicherung, Leistungen nur bei Bedürftigkeit

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F 11: Beim Versicherungsprinzip besteht eine enge Beziehung zwischen Beitrag und Leistung: Je höher die insgesamt einbezahlten Beiträge, desto höher die Leistung. Für das Prinzip der Lebensstandardsi­ cherung bemisst sich die Leistung sehr stark nach dem letzten oder höchsten Einkommen (Einkommen im zeitlich begrenzten Bemes­ sungszeitraum); es handelt sich vor allem um eine Umverteilung zugunsten derjenigen, die Karriere gemacht haben.

Anmerkungen

F 12: – Bestimmte Einkommen sind schwer zu ermitteln – Großer administrativer Aufwand – Oft als entwürdigend empfunden

Quellen:

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