© Oliver W. Schwarzmann - www.oliver-schwarzmann.de
Oliver W.
Schwarzmann
KOLUMNE Die Gravitation der Macht Ein Tag in der Chronik von Stuttgart 21 Ich war immer gerne in Stuttgart, habe die Parks und Museen besucht, in den Geschäften eingekauft und mich mit Freunden und Geschäftspartnern getroffen. Stuttgart besitzt für mich das Flair der Tüftlerstadt, ich schätze sie als einen Ort der Kunst, Muße und Kreativität, auch der Lebensfreude. Im Besonderen verströmt die Stadt den urschwäbischen Charme des Gemütlichen. Auch gestern, am 30.09.2010, war ich wegen eines Geschäftstermins nicht weit vom Ort des Protests gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 entfernt, der mit dem Zusammenprall von Demonstranten und Polizei in seiner Intensität nunmehr eine entscheidende Grenze überschritten hat. Jetzt geht es um Auseinandersetzung. Egal nun, wer Recht haben mag, welche Seite die besseren Argumente vorzuweisen hat oder welches Gutachten die Lage zukunftsweisender zu beurteilen weiß, eines ist sicher: Emotionen sind stärker als Fakten. Und es geht bei Stuttgart 21 um nichts anderes mehr, als um Gefühle. Vor allem das Gefühl der Ohnmacht gegen die Rigorosität der Durchsetzung des Ungewollten suchen die Gegner zu überwinden. Dabei werden die alten Bäume im Schlossgarten zu hilflosen Opfern mythisiert, deren Fall als ein Synonym gedeutet werden könnte für den aussichtlosen Kampf der scheinbar natürlichen Substanz des Bewährten gegen den vermeintlich notwendigen, aber künstlich erzwungenen Fortschritt. Die verantwortlichen Politiker verteidigen Vorhaben und Vorgehen, Letzteres könnte sie sogar ihr Amt kosten. Doch was ändern zurückgetretene Politiker? Stuttgart 21 ist ein Beispiel für die Gravitation der Macht: Gravitation wirkt immer und überall und sie zieht stets nach unten. Und Stuttgart? Stuttgart hat am 30.09.2010 eine Zäsur erlebt. Und vieles verloren, womöglich ist die Stadt ihres urschwäbischen Charmes beraubt. Stuttgart könnte zu einer ungemütlichen Stadt werden. Ja, das befürchte ich.